im september gab es in der "arge" in aachen eine gimpflich verlaufene situation, während der zwei dortige sachbearbeiterInnen von einer erwerbslosen frau mit einer luftdruckwaffe bedroht wurden - aus dem polizeibericht:
(...)"Nach ersten Ermittlungsergebnissen kam die Tatverdächtige zusammen mit einem 66-jährigen Begleiter in das Büro des Geschädigten und verlangte Geld oder Lebensmittelgutscheine. Als ihr dies verwehrt wurde, bedrohte die Täterin den ARGE-Mitarbeiter mit vorgehaltener Waffe."(...)
es ist nicht nur eine spekulation, dass sich derartige geschichten seit ein paar jahren - ohne große mediale beachtung, was sich in diesem fall auch mit dem staatlichen interesse decken dürfte - häufen - eine zahl alleine für die stadt hamburg:
(...)"Hinzu kamen allein im vorigen Jahr 1268 Übergriffe auf Mitarbeiter der Job-Center der Arbeitsgemeinschaft Arge, die Hartz-IV-Empfänger betreuen."(...)
und es scheint logisch zu sein, dass nicht alle betroffenen der repressiven staatlichen arbeitslosenverwaltung die überall vermittelte unausgesprochene botschaft "du / ihr seid überflüssig" bis zur letzen konsequenz des suizids in die tat umsetzen (was medial ebenfalls gerne beschwiegen wird), sondern sich jeweils auch so bedrängt / berechtigt / getrieben fühlen, in ihrem sinne zurückzuschlagen. das muss niemand im einzelfall akzeptabel finden, allerdings können vermutlich sehr viele betroffene der antisozialen politik ein solches handeln zumindest nachvollziehen. so weit, so bezeichnend für die derzeitigen verhältnisse.
was aber passieren kann, wenn erwerbslose (und andere betroffene) laut über aktionen wie die eingangs erwähnte nachdenken, und sich dabei eben auch u.u. in die täterin versetzen können, ist derzeit thema im erwerbslosen-forum - die aachener staatsanwaltschaft ermittelt gegen einzelne userInnen im forum wg. "volksverhetzung":
(...)"Am Dienstag wandte sich der Staatsschutz an das Erwerbslosen Forum Deutschland und begehrte die Daten von einigen Nutzern des Online-Forums, die sich dazu öffentlich geäußert hatten."(...)
im sinne der staatlichen paranoia ist das nur logisch - wenn sich vorfälle wie solche in aachen häufen und herumsprechen, könnte das eines tages mindestens zu hochsichherheitstrakten in den "jobcentern" führen, was auch die motivation der dort arbeitenden nicht unbeeinflusst lassen dürfte. was allerdings die verfolgung der bloßen äußerung von verständnis für derartige aktionen betrifft, dürfte das in der jetzt vorliegenden form ein neues kapitel in der unrühmlichen geschichte der durchsetzung antisozialer politik mit immer weiteren repressiven mitteln darstellen. ich schätze und hoffe, dass ich nicht der einzige sein werde, der diese geschichte weiter aufmerksam beobachtet. für die anstehende juristische auseinadersetzung gibt es übrigens seitens des forums einen spendenaufruf.
...und dann ist es soweit - an dieser stelle noch einmal die einladung für alle interessierten, die es ohne größere umstände nach bremen in die schwankhalle schaffen können:
leider wird frau mutant nicht lesen, aber auch so kann ich ein abwechslungsreiches - und auch informatives - programm versprechen. vermutlich wird´s nächste woche hier eine kleine rückblende geben.
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in kurzform: schön war´s! und meine aufregung hat sich auch im rahmen gehalten *g* dazu war´s mal eine interessante erfahrung, von einem grellen spot angestrahlt auf einer bühne zu stehen - und nichts und niemand mehr sehen zu können. ausführliche eindrücke gibt´s drüben beim spielverderber.
(...)"Der 14 Jahre alte Martin Anderson kam am 5. Januar in das Bay County "Boot Camp" in der Nähe von Panama City im US-Bundesstaat Florida, nachdem er gegen seine Bewährung für das Entwenden des Autos seiner Großmutter verstoßen hatte. Schon an diesem ersten Tag brach er zusammen und starb, während er gezwungen wurde, Runden zu laufen. Der Leichenbeschauer von Bay County, Dr. Charles Siebert, attestierte später eine natürliche Todesursache, die er darauf zurückführte, daß der Junge "Überträger" der genetischen Erkrankung der Sichelzellenanämie - aber eben nicht selbst daran erkrankt - war.
Kürzlich gelangte nun aber eine Aufzeichnung einer Überwachungskamera innerhalb des "Boot Camps" an die Öffentlichkeit. Darin ist zu sehen, wie 7 der "Ausbilder" auf den schlaffen Körper des Jungen einschlagen. Daneben stand eine Krankenschwester und schaute mit den Händen in den Hüften tatenlos zu."(...)
(...)"Eine Überwachungskamera nimmt die nun folgende Auseinandersetzung zwischen den Aufsehern und dem Jugendlichen auf. Sie dokumentiert die Agonie eines Teenagers, der hilflos der Willkür seiner Bewacher ausgesetzt ist. Sieben Männer umkreisen Martin Lee, treten und schlagen ihn. Die Aufseher zwingen ihn, Ammoniak aus Kapseln zu inhalieren, indem sie ihm den Mund zuhalten. Die Beine des Jungen geben nach, immer wieder wird er hochgerissen.
Eine dralle Krankenschwester steht direkt daneben und beobachtet, wie der Junge mehrfach kollabiert. Mit in die Hüften gestemmten Händen umkreist sie den Ort des Geschehens, scheint eher gelangweilt als alarmiert. Quälend lang wiederholt sich die Prozedur, bis plötzlich so etwas wie Unruhe in der Gruppe aufkommt. Die Krankenschwester bequemt sich, den am Boden Liegenden näher zu betrachten."(...)
nachdem die mutter des jungen einen prozeß erwirken konnte, hat nun ein gericht in panama city...
(...)"...die sieben Wachleute und die Krankenschwester heute vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Rund eineinhalb Stunden brauchte die Jury, die nur aus Weißen bestand, um zu ihrer Entscheidung zu kommen. Die Mutter des Jungen verließ nach dem Urteilsspruch der Geschworenen empört den Gerichtssaal. "Ich kann meinen Sohn nie mehr sehen. Das Urteil ist falsch", rief sie. Ihr Anwalt, Benjamin Crump, sagte anschließend zu Journalisten: "Wenn du einen Hund tötest, kommst du ins Gefängnis. Wenn du einen kleinen schwarzen Jungen tötest, passiert nichts."(...)
was nur ein weiteres bezeichnendes schlaglicht besonders auf den umgang mit schwarzen kindern in den usa wirft.
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es wäre nun als dringlichstes an der zeit, wenigstens die unsitte der "bootcamps" abzuschaffen, über die anläßlich des prozesses schon einmal gewußtes wieder bekannt wird:
(...)"Parallel zum Prozess hat der US-Kongress einen neuen Bericht vorgelegt, in dem noch einmal die ganze Grausamkeit der Erziehungsmethoden in Boot-Camps offengelegt wird: Demnach gab es allein im Jahr 2005 mehr als 1600 dokumentierte Fälle von Kindesmissbrauch. Zehn Kinder seien seit 1990 in Boot Camps oder vergleichbaren Institutionen ums Leben gekommen."(...)
(wobei mir die letztere zahl zu niedrig vorkommt, was aber bei offiziellen berichten auch nix neues wäre - im netz kursieren jedenfalls berichte, die von 30 toten seit 1980 ("new york times") bis zu über 50 ausgehen, incl. einer dunkelziffer).
und auch die praktiken sind bekannt:
(...)"Kinder werden gezwungen, ihr eigenes Erbrochenes zu essen, in Urin oder Kot zu liegen. Sie werden getreten, geschlagen und zu Boden geworfen", berichtet ein Ermittler des US-Kongresses, Gregory Kutz (...)".
aber die absicht, kinder bzw. jugendliche durch das brechen ihres noch in der entwicklung befindlichen selbst zu - aus sicht der quäler - "besseren", sprich fügsamen und innerhalb der herrschenden ordnung funktionierenden menschen zu machen, habe ich früher schon einmal so kommentiert:
(...)"einen sehr, sehr finsteren aspekt habe ich - unzulässigerweise, wie ich finde - auf das militär beschränkt. und zwar einfach die sehr reale variante, dass das brechen gerade, aber nicht nur, von kindlichen persönlichkeiten von denjenigen gewollt und propagiert wird, die selbst in unbeschreiblicher art davon wissen, dass sie auf diese weise erstens eine art sklaven zur persönlichen verfügung bekommen (die eher innerfamiliäre variante), und/oder von den heute herrschenden a-sozialen gesellschaftlichen machtverhältnissen profitieren und ebenfalls wissen, dass eingeschüchterte, verängstigte und zur freien kollektivität unfähige menschen keine bedrohung für den status quo darstellen (diejenigen, die auf die gewalt selbst mit gewalt reagieren, können ebenfalls instrumentalisiert werden - so funktioniert das militär - oder aber sind eine aufgabe für die repressionsapparate und geben dazu noch prächtige gesellschaftliche feind- und schreckbilder ab)."(...)
und da ich leider keinerlei gründe sehe, von dieser einschätzung abzugehen, wird uns diese institutionalisierte und auch für die jeweiligen betreiber profitable form der gewalt gegen kinder und jugendliche vorläufig vermutlich weiter begleiten - bis beim nächsten toten die gleichen schlagzeilen wie jetzt zu lesen sein werden.
in den kommentaren zu einem beitrag weiter unten wurde dankenswerterweise auch ein link auf einen artikel von steve wright, medikamente als waffen, gepostet. als ich den damals gelesen hatte, dämmerte mir die erinnerung an eine broschüre der deutschen gesellschaft für soziale psychiatrie aus dem jahr 1983 mit dem titel "panikpersonen sofort eliminieren! über die pläne der militärpsychiatrie, die ordnung des staates zu sichern (...)"
in dieser inzwischen vergriffenen und nur schwer aufzutreibenden broschüre (nur wildwuchs besitzt anscheinend auch noch ein exemplar, und gibt in ihrem artikel einen empfehlenswerten überblick zum inhalt) wird ganz gut deutlich, dass es sich bei den gedanken zum quasimilitärischen einsatz von psychopharmaka (und anderen medikamenten) erstens keinesfalls um überlegungen aus den letzten jahren handelt; und zweitens kann sie auch mit einigen mythen über "die gute alte zeit der alten brd" aufräumen - die entwicklungen, die wir heute wahrnehmen müssen, sind eben kein bruch und etwas qualitativ neues, sondern fußen allesamt auf der vergangenheit. darum finde ich diesen kurzen ausflug in die historie auch ganz angebracht. zumal zu bedenken ist: wer schon damals keinerlei skrupel hatte, eine verängstigte bevölkerung im falle des falles mit psychopharmaka zu traktieren, wird sich in der heutigen zeit erst recht nicht zurückhalten.
in der broschüre jedenfalls ist u.a. die nebenstehende anzeige aus der "Deutschen Apothekerzeitung" vom juli 1982 abgedruckt - mit folgenden anmerkungen:
"Für den, der die Präparate nicht kennt: Bei Diazepam handelt es sich um Valium, bei Droperidol und Haloperidol um starke Beruhigungsmittel, die bei massiven psychischen Störungen angewandt werden. Unseren Berechnungen nach können allein mit den Valium-Mengen die 230.000 Einwohner von Lübeck mindestens für einen Tag `flachgelegt´ werden.(...)
Auf die Frage nach dem Zweck von solchen Unmengen Beruhigungsmitteln erklärte das Bundesinnenministerium u.a.: `Haloperidol wird benötigt zur Behandlung akuter Erregungszustände bei Einzelpersonen, die ansonsten sich und andere gefährden würden.´ Im 1981 erschienenen Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall (Herausgeber: Bundesinnenministerium) kann man es genauer nachlesen: `...können auch laute Befehle und hartes Angreifen das Verhalten nicht beeinflussen, muß man den Erregten (...) festhalten, wenn möglich ihn außer Sicht bringen und ihm ein kräftiges, angstreduzierendes Beruhigungsmittel spritzen.´ An anderer Stelle heißt es: `Panikstifter müssen so schnell wie möglich isoliert und ruhiggestellt werden.´ Offensichtlich rechnen das Innenministerium und die verantwortlichen Stellen mit einer großen Anzahl erregter Menschen.(...)"
("panikpersonen sofort eliminieren!"; s.2)
wenn Sie sich nun einmal die in den links angegebenen (neben-)wirkungen der beiden neuroleptika anschauen, und dazu die medizinischen empfehlungen für den einsatz von haloperidol, wird zum mindesten eine art vabanque-spiel der damaligen verantwortlichen deutlich: im einsatzfall hätte die wahrscheinliche nichtberücksichtigung der obigen punkte bei den betroffenen zu schweren schäden führen können. dazu ziehen die autoren der broschüre damals den vermutlich zutreffenden schluß, dass eine derartige bevorratung mit hochpotenten psychopharmaka keinesfalls alleine hinsichtlich sog. ziviler katastrophen sinn macht, sondern speziell für den spannungs- bzw. kriegsfall gedacht ist/war. dazu präsentieren sie dann viele belege besonders aus der damaligen militärpsychiatrie, bei denen deutlich wird, dass mit dem begriff "panikpersonen" auch und bevorzugt politisch bzw. als solche verstandene oppositionelle gemeint waren - ein beispiel:
(...)"Als Panik nach vorn, so das Bundesministerium der Verteidigung 1962, `kann ferner jede gewalttätige Meuterei bezeichnet werden. Wie das Wort schon sagt, wird aus der Truppe dann eine Meute, die sich, statt auf den Feind, auf den Vorgesetzten stürzt´."(...)
(s.4)
(was daran nun so verwerflich sein soll, wissen nur die herrschenden "eliten"...) - aber im ernst: der panikbegriff, der dort sichtbar wird, ist ein hochgradig verzerrter mit schwerpunkt auf vermuteten und/oder tatsächlichen angriffen auf verschiedene aspekte der herrschenden gesellschaftsordnung.
neben dem sog. verteidigungsfall dürften auch die planspiele im hinblick auf mögliche atomare katastrophen einen ähnlichen schwerpunkt besitzen - ein indiz dafür könnte die folgende kleine meldung darstellen:
"Bonn: Zivilschutz testet Drogen gegen Angstreaktionen. Der Münchner Psychiatrieprofessor Hippius untersuchte im Rahmen eines von 1986 bis 1992 laufenden Forschungsvorhabens im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz die Eignung von Psychopharmaka für die Angstbewältigung im Katastrophenfall. Das bestätigte das Bundesinnenministerium im August 1989."
1986 war bekanntlich für die atomindustrie ein spezielles jahr...sollen wir den zeitlichen zusammenhang nur als zufall betrachten?
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ich schrieb von "historie", und speziell für das oben dargestellte dürfte das in einem gewissen sinne auch gelten. wie einem artikel der zeitschrift des "bundesverbandes der apotheker im öffentlichen dienst" aus dem jahre 2002 zu entnehmen ist, ist die oben thematisierte bevorratung mitte der 1990er jahre vorläufig eingestellt worden:
(...)"Die Bevorratung mit Sanitätsmaterial für die medizinische Notfallvorsorge im Rahmen des Zivilschutzes ist seit der Mitte der 90er-Jahre durch die Bundesregierungen aus Kostengründen abgeschafft worden. Diese Massnahme wurde mit dem Wegfall der äusseren Bedrohung seit der Beendigung des Ost-West-Konfliktes begründet. Der ersatzlose Wegfall der Sanitätsmittelbevorratung des Bundes wird zur Zeit in keiner Weise flächendeckend durch adäquate Vorsorgemaßnahmen der Bundesländer für die friedenszeitliche Notfallvorsorge kompensiert. Die Bundesländer haben in der Vergangenheit keine wesentliche Bevorratung für den Katastrophenschutz betrieben, da sie sich in ihren Vorsorgeplanungen bis 1995 stets auf Zivilschutzvorräte stützen konnten."(...)
was nicht heißt, dass es im falle des falles nicht wieder sehr schnell gehen könnte:
(...)"Um die vermeintliche Entbehrlichkeit von medizinischen Notfallvorräten zu begründen wurde auch auf die Vorräte bei der Industrie, den Händlern und Apotheken verwiesen, die man im Bedarfsfall nur zusammenführen müsse."(...)
was der autor durchaus als nicht ausreichend empfindet. an dieser stelle werde ich aber das gefühl nicht los, dass die erwähnten defizite vielleicht die allgemeinmedizinische versorgung der bevölkerung im katastrophenfall betreffen könnten - das ganz oben erwähnte jedoch lässt sich in der logik des herrschenden als unter sicherheitsaspekten besonders relevant begreifen, und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass hinsichtlich von echten oder vermeintlichen notwendigkeiten aus dieser perspektive keine prioritäten gesetzt werden.
und dann kommt der autor mit tönen, die inzwischen bis zum verdruß nur allzu bekannt sind:
(...)"Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen uns, dass die alten Denkmuster von äusserer und innerer Bedrohung nicht mehr zeitgemäss und ganzheitliche Konzepte erforderlich sind. Sie machen inzwischen auch der Bevölkerung deutlich bewusst,
* dass wir nicht ungefährdet in einer friedvollen und heilen Welt leben,
* dass die Potenziale der Bedrohung der Bevölkerung durch Terrorismus viel grösser sind, als allgemein angenommen wurde,
* dass die allgemeine Sicherheitslage in den vergangenen 10 Jahren zu optimistisch eingeschätzt wurde,
* dass unsere Vorsorgemassnahmen zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung bei Katastrophenfällen in der Vergangenheit kontinuierlich reduziert wurden und nicht mehr ausreichend sind,
* und in welchem Ausmass sowohl die professionellen als auch die ehrenamtlichen Rettungskräfte bei ihrer Arbeit selbst gefährdet sind."(...)
kommt einem diese argumentation nicht verdammt bekannt vor? es wäre sehr aufschlußreich zu wissen, ob, was und wieviel inzwischen wieder an medikamenten "bevorratet" wird. und wie hoch dabei der anteil von psychopharmaka ist.
die schriftstellerin anna mitgutsch bespricht im standard das buch gefühle in zeiten des kapitalismus, und fällt dabei meiner meinung nach gemeinsam mit der autorin eva illouz dem schein zum opfer:
"Wie die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch (...) nachweist, bestimmt der psychotherapeutische Diskurs mit seiner Betonung auf Emotionen den öffentlichen Raum und die Arbeitswelt - und zwar nicht nur in Form einer wahren Flut an Ratgeberliteratur sondern auch als Stil im Management. Gleichzeitig stellt sie eine emotionale Verarmung des Privaten fest."(...)
wobei es sich dabei eher um einen scheinwiderspruch handelt: was diese angeblichen "emotionen" tatsächlich sind, lässt sich bspw. hier und hier nachlesen - inszenierungen des authentischen, die in form von ökonomisch nutz- und instrumentalisierbaren simulationen daherkommen und sich bei dominanz auch im sog. "privaten" als symptom einer grundsätzlich geschädigten psychophysischen menschlichen struktur begreifen lassen.
im folgenden greift mitgutsch dann einen punkt heraus, den ich als "negative psychologisierung" bezeichnen würde, und zu dem sie aus einer bestimmten perspektive einiges richtige anmerkt:
(...)"In einer Gesellschaft, deren größte Anliegen Wellness und Fitness des Einzelnen sind und die es zum moralischen Imperativ macht, unter allen Umständen nach dem eigenen Wohlbefinden zu trachten, wird alles, was dieses Wohlbefinden durch ein Abweichen von der angestrebten Normalität stören könnte, als Behelligung, ja geradezu als Vergehen empfunden."
"wohlbefinden" ist allerdings ein wischi-waschi-wort, denn es sagt überhaupt nichts über den kontext aus, in dem sich das wohlbefinden einstellt. will sagen: wenn es eine mehr oder weniger große zahl vom menschen gibt, die unter "wohlbefinden" ihr reibungsloses funktionieren innerhalb des vorgegebenen und -gefundenen systems verstehen, dann kann wohlbefindlichkeit kein ernsthaftes kriterium für gesundheit mehr sein. überspitzt gesagt, reden wir dann über das wohlbefinden einer monade, die vor allem authentisch-lebendigen ausdruck pure angst verspürt. erst aus dieser perspektive macht das folgende dann tatsächlich sinn:
(...)"Die Psychologisierung, die den Einzelnen und sein unmittelbares Umfeld als Fall betrachtet und größere gesellschaftliche Strukturen vernachlässigt, hat auch soziale Ungerechtigkeit ins Private verkehrt. Damit ist jeder, der zu den Verlierern zählt, jeder, der von den Normen abweicht, nicht nur krank und therapiebedürftig, sondern auch selber daran schuld und verdient daher weder Mitgefühl noch Hilfe, es sei denn in Form der Psychotherapie.
Wie Susan Sontag und Michel Foucault zeigten, münzt die Gesellschaft Krankheit leicht zum Verbrechen um. In einer Zeit, in der politische Korrektheit die Sprache zu so mancher Verrenkung zwingt, werden Abweichungen von der Norm unreflektiert polemisch als Krankheit definiert und als Instrumente verbaler Ausgrenzung verwendet.
So wird jeder, der sich dem Druck ständiger Verfügbarkeit entzieht, als "Autist" bezeichnet, jedes nicht eindeutige Verhalten als "schizophren", jede Marotte als "psychisch gestört" und Menschen, die auf ihrer Unangepasstheit verharren als "borderline". Die von einer Erkrankung des Nervensystems tatsächlich Betroffenen werden als Soziopathen diffamiert.
Die Gleichsetzungen von gesund mit leistungsfähig und daher wertvoll, und im Gegenzug dazu: unangepasst mit psychisch krank und nutzlos, sogar potenziell kriminell, gehörten allerdings bereits zu den Denkmustern des Nationalsozialismus."
ja. eine solche psychologisierung (oder auch psychiatrisierung) gibt es. aber wie oben schon gesagt, sitzt mitgutsch dabei dem erwähnten scheinwiderspruch auf und kann deshalb die wichtige andere seite der medaille nicht berücksichtigen - gerade in bezug auf die ns-psychiatrie hatte ich das in der vergangenheit so zusammengefasst:
(...)"nun ist eine bestimmte art von "funktionsfähigkeit" ja auch immer wieder thema hier im blog - die "funktionsfähigkeit", die sich in mehr oder weniger reibungsloser anpassung und kompatibilität gerade mit anonymen, mechanischen, bürokratischen und auch mörderischen institutionellen apparaten ausdrückt. was hier wiederum früher bereits als ein schwerwiegendes indiz auf die dominanz des objektivistischen modus bei einem menschen skizziert worden ist. und auch bezgl der sehr wahrscheinlichen psychopathologie hitlers drängt sich zu dieser ganzen geschichte eine frage besonders auf:
waren (und sind) diejenigen, die ihre definitionen von "leistungs- und arbeitsfähigkeit", "lebensunwert" etc. als trennlinie benutzten, um die von ihnen so definierten "asozialen", "psychopathen", "gemeinschaftsunfähigen" etc. auszuselektieren, tatsächlich die weitaus gefährlicheren ver-rückten? lässt sich die these aufstellen, dass bei ihnen zumindest z.t. auch schlichte projektion bei der auswahl der opfer beteiligt war? neben einer hemmungslosen bereitschaft zur unterwerfung unter angemaßte autoritäten, die sich als impliziter selbstverrat bzw. als unfähigkeit, sich selbst als eigene persönlichkeit überhaupt wahrzunehmen, darstellt? empathielosigkeit und extrem verdinglichende wahrnehmung jedenfalls sind eigenschaften, die wir den tätern mit berechtigung attestieren dürfen - und wenn ein technokrat wie der oben erwähnte k. (ich kenne einiges, auch nicht öffentlich zugängliches, biographische material zu und von ihm, welches ich hier leider nicht vorstellen kann) die todeskandidatin als autistisch beschreibt, so scheint mir das eine bitterböse ironie zu sein - k. lässt sich durchaus selbst als eine, allerdings wesentlich bösartigere, zumindest funktionell autistische person begreifen - und das lässt sich nicht nur bei ihm als starker verdacht formulieren.
in früheren beiträgen wurde hier ja schon auf das modell von zwei qualitativ unterschiedlichen formen psychotischer weltwahrnehmung verwiesen, welches mit teils unterschiedlichen begründungen und auch unterschiedlicher terminologie bspw. bei theweleit, mertz und arno gruen als these zu finden ist. wobei nur eine dieser formen - diejenige, die offensichtlich gegen die "objektiven realitätskriterien" z.b. mittels halluzinationen verstößt - von der etablierten psychiatrie und psychologie als psychose benannt wird. während sich die andere eben u.a. durch funktionsfähigkeit und simulierte emotionalität, in krasser form als völlig simulierte lebendigkeit, auszeichnet."
zusammengefasst: ich sehe absolut keinen grund dafür, warum funktionelle oder strukturelle antisoziale persönlichkeiten mit durchschnittlichen simulativen fähigkeiten nicht auch psychiatrische diagnosen in ihrem sinne - der sich meistens mit kontroll- und machtambitionen fassen lässt - instrumentalisieren sollten (so etwas vermute ich ja auch bei den diskussionen und maßnahmen seitens der regierungen von frankreich und großbritannien bezgl. "antisozialen verhaltens"). wieder überspitzt gesagt, ist zb. das szenario überhaupt nicht abwegig, dass eine blande (und antisoziale) borderlinepersönlichkeit (die reibungslos funktionieren kann) in einer beliebigen funktion innerhalb der orthodoxen psychiatrie andere menschen, die bspw. durch ein trauma auch symptome aus dem diagnostischen katalog der bl-störung zeigen, mit ihren mitteln (der diagnose und therapie) in eine gesellschaftlich ausgegrenzte position zwingen kann. und all das lässt eben keineswegs den schluß zu, den ich bei mitgutsch implizit durchschimmern sehe: dass es nämlich "eigentlich" gar keine probleme mit "psychischen erkrankungen" gäbe, weil sie letztlich alle nur konstruktionen zur ausgrenzung seien. davor kann ich zum wiederholten male nur warnen
*
eine andere schriftstellerin, juli zeh nämlich, hatte ich vor längerer zeit in einem beitrag mal heftig gedisst. nun schreibt sie zur geplanten ärztlichen meldepflicht für "selbstverschuldete erkrankungen" ebenfalls etliches, was ich (wieder mit einschränkungen, dazu gleich mehr) unterschreiben kann - auszüge:
(...)"Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer Gesetzesinitiative, die Ärzte verpflichten soll, unter Aufhebung der Schweigepflicht bestimmte Patienten bei den Krankenkassen zu melden. Und zwar solche Patienten, die an ihrem jeweiligen Leiden selbst schuld sind. Als Beispiele werden die Folgen von Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen genannt. Die Begründung dieser absurden Idee liest sich wie ein Lehrbuchbeispiel für politische Scheinlogik unter Zugrundelegung verdrehter Prämissen. Eine Nasenoperation stelle einen Eingriff dar, der medizinisch nicht indiziert und vom Patienten frei gewählt sei. Wenn dabei etwas schief gehe, habe der Patient für Folgeschäden konsequenterweise selbst aufzukommen.(...)
Die Regierung hat nicht weniger vor, als das Privateste, Intimste, das uns zu eigen ist, zur Staatssache zu erheben: den menschlichen Körper. Dabei wird die Idee einer flächendeckenden (von Beitragszahlern finanzierten!) Krankenversicherung in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht das Krankenkassensystem schuldet uns Beistand in der Not - sondern wir schulden dem System die unbedingte Aufrechterhaltung unserer Gesundheit! Diese neue, fiktive Bürgerspflicht gibt dem Staat ein Machtinstrument an die Hand, welches auf fatale Weise an Huxleys Brave New World erinnert. "Krankheit" wird potenziell mit "Schuld" identifiziert, und um innerhalb dieses Zusammenhangs die Spreu vom Weizen zu trennen, bedarf es einer perfiden Form von Selektion.
Tätowierte, Gepiercte und Schönheitsoperierte, lehrt uns der Gesetzesentwurf, gehören schon mal zu den schwarzen Schafen. Auch Patienten, die sich durch ein von ihnen begangenes Verbrechen oder Vergehen selbst geschädigt haben, sollen laut der neuen Initiative gemeldet werden. Wer also beim Kirschenklauen vom Baum fällt, sollte fürderhin besser keinen Arzt aufsuchen, da dieser den medizinischen Fall nicht vertraulich behandeln könnte und die entstandenen Kosten ohnehin nicht von den Kassen gedeckt würden. Und um die neue staatliche Zugriffsgewalt endgültig in ein weites Feld zu verwandeln, soll die Meldepflicht generell für Krankheiten gelten, die sich der Patient "vorsätzlich" zugezogen hat.
In der Sprache der Juristen bedeutet einfacher Vorsatz, eine bestimmte Folge "billigend in Kauf zu nehmen". Nimmt also der Raucher den eventuellen Lungenkrebs billigend in Kauf? Der Alkoholiker die Leberzirrhose? Der Schokoladenliebhaber sein Übergewicht? Der Homosexuelle die mögliche AIDS-Infektion? Der Skifahrer den Beinbruch, der Fußballspieler den Bänderriss, der Autofahrer das Schleudertrauma? Und wie haben wir uns das Antlitz eines Behördenapparats vorzustellen, der in all diesen Situationen das Urteil "schuldig "oder "unschuldig" fällt?"
(was mir nicht nur bei ihren analogien und beispielen auffällt, ist die tatsache, das niemand der bisherigen öffentlichen kritikerInnen dieses kontrollprojektes das eigentlich naheliegendste sieht: den arbeitsunfall. "wie, du möchtest dir über das existenziell notwendige heraus weitere dinge kaufen und machst dafür im rahmen der (zwangs)lohnarbeit womöglich überstunden mit der folge eines unfalls? das ist vorsätzliche selbstschädigung...!" - deutlicher lässt sich der grad von absurdität und willkür, den inzwischen viele staatliche projekte anscheinend mühelos erreichen, kaum deutlich machen).
"Auf jeden Fall hässlich. Es wäre ein Staat, der seinen Bürgern vorschreibt, auf welche Weise sie mit ihrem Ureigensten, ihrer höchstpersönlichen Physis zu verfahren haben - beim Sex, beim Sport, beim Essen, beim Glühbirnenwechsel im Badezimmer - letztlich bei jeder denkbaren Alltagsbewegung. Nicht ohne Grund verfügen wir über ein Rechtssystem, das es bei Strafe verbietet, andere Menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden, während Selbstgefährdungen bis hin zur Selbsttötung straflos bleiben. Die Kernidee der Demokratie wurzelt in jenem kleinen, intimen Bereich, in dem der Mensch frei ist, also die volle Hoheitsgewalt über sich selbst besitzt."(...)
um mißverständnisse zu vermeiden, als erstes mal folgendes: ebenso wie die weiter oben schon erwähnten staatlichen projekte gegen "antisoziales verhalten" in mehreren europäischen staaten, ist die angesprochene geplante hiesige meldepflicht aus meiner sicht abzulehnen. was mich aber bei zehs argumentation stört, ist etwas ähnliches wie bei dem text von anna mitgutsch oben:
"demokratie" und rechtssystem werden als eigentlich "gut" und (bisher) "funktionierend" vorausgesetzt. das ist aus meiner sicht schlicht die verwechselung einer in den letzten jahrzehnten im sog. "freien westen" leidlich funktionierenden simulation von demokratie und rechtsstaat mit der tatsächlichen realität. "andere menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden" ist seit eh und je ein "recht", welches sich die "eliten" aller coleur als "naturgegebenes" ohne weiteres herausnehmen, wenn´s ihnen gerade in den kram passt (und damit natürlich auch für etliche ihrer untertanen ein schlechtes beispiel geben).
die postulierte "hoheitsgewalt über sich selbst" halte ich ebenfalls für ein abstraktes konstrukt, welches sich bei näherer betrachtung durchaus im rahmen der herrschenden systemlogik bewegt - die angesprochenen "eliten" nehmen diese hoheitsgewalt ja weiter für sich selbst in anspruch; sie ist gleichfalls immanenter teil des (falschen) westlichen menschen- und selbstbildes, und sie ist zunehmend gekoppelt mit der ökonomischen leistungsfähigkeit eines individuums, was gleichzeitig auf ihre wahrscheinliche basis verweist: eine allgemeine und alltägliche praxis der dissoziation. anders: wenn die postulierte hoheitsgewalt über das "eigene" selbst bereits auf einer pathologisch entgleisten realität aufbaut, halte ich es für nicht empfehlenswert, totalitäre tendenzen mit elementen der gleichen pathologischen logik zu kritisieren, die eben auch dieses totalitäre hervorbringt. ist das verständlich?
stichwort tattoos und piercings: wie im verlinkten beitrag zu sehen, halte ich das keinesfalls in allen fällen für eine harmlose mode. eher kann es sich dabei ohne weiteres auch um symptome für psychophysische störungen handeln, die bis zur realen antisozialität gehen können. mir fehlt bei zehs argumentation daher auch die aussage, dass es sich bei den betroffenen der staatlichen kontrolle eben nicht nur um opfer handeln könnte. warum ich allerdings die heutigen etablierten staatlichen und sonstigen institutionalisierten gesellschaftlichen apparate durch die bank für ungeeignet (und auch nicht befugt) halte, gegen reales antisoziales verhalten vorzugehen, habe ich an verschiedenen stellen schon öfter deutlich gemacht. und was aus meiner sicht die vielversprechendste alternative zu all dem mist sein könnte? freiwillige kollektive, gebildet aus psychophysisch tatsächlich gesunden - liebes- und beziehungsfähigen - menschen, die sich selbst nach den prinzipien der selbstregulation organisieren. mit weniger sollte sich niemand zufriedengeben.
(...)"Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer und der Zürcher Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr glauben, dass Menschen tatsächlich nur dann brav sind, wenn ihnen auf die Finger geschaut wird. »Alle bekannten Gesellschaftsordnungen gründen darauf, dass die Verletzung sozialer Regeln bestraft wird«, schreiben sie diese Woche in der Fachzeitschrift Neuron. Nur wenn Strafe droht, kontrollieren wir die spontanen Regungen und verhalten uns regelkonform: Eigennutz ist der vorherrschende Impuls."(...)
(...)"der schlechte witz an dieser schon tausendmal gehörten falschen gleichung "der mensch (was nebenbei auch die unterschiedlichen rollen von männern und frauen bei diesem trostlosen spielchen unsichtbar macht) = grundsätzlich bestie = muss sich selbst mit verstand und rationalität quasi selbst zügel anlegen und züchtigen, was sich leider niemals hundertprozentig umsetzen lässt= das chaos sickert durch" besteht darin, dass es sich tatsächlich um eine selbsterfüllende prophezeiung handelt, welche der ach-so-aufgeklärte westen bis heute nicht begreifen kann und will."(...)
...sowie auf die dem beitrag folgende kleine diskussion.
das ganze forschungsprojekt scheint mir ein weiteres beispiel für die im wissenschaftsbereich allgemein anzutreffende dissoziierende wahrnehmung zu sein: ich bestreite nicht unbedingt die ergebnisse der forschung, aber ich bestreite die aus dem situativen moment heraus abgeleitete be-deutung - die neuronale konfiguration "eigennutz" entsteht weder aus dem nichts, noch ist sie eine naturnotwendigkeit.
die junge welt kommt heute mit einem schwerpunkt zum thema, der neben einem allgemeinen überblick zur situation in der bundeswehr besonders die hier schon öfter erwähnte täter-opfer-dialektik bei den folgen von man-made-violence in den focus rückt:
(...)"684 Bundeswehrsoldaten sind bislang wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt worden. Das teilte die Bundesregierung im Februar dem Bundestagsabgeordneten Gert Winkelmeier mit. Das sind rund ein Prozent derjenigen, die zwischen 1996 und 2005 im Auslandseinsatz waren. Der Bundeswehrpsychiater Karl-Heinz Bisold geht aber von weit höheren Zahlen aus. Im Deutschen Ärzteblatt (Nr. 41/2006) schätzte er den Anteil behandlungsbedürftiger Soldaten nach Auslandseinsätzen »auf zwei bis fünf Prozent«. Das Problem sei, so Biesold, »daß die Soldaten sich nicht eingestehen wollen, daß sie krank sind«, aus Furcht, von den Kameraden verachtet zu werden.
Auch fünf Prozent dürften noch untertrieben sein. Eine US-Untersuchung mit GIs, die den Vietnamkrieg führten, aus dem Jahr 1992 ermittelte, daß rund 15 Prozent von PTBS betroffen waren, bei Soldaten mit »hoher Gefechtsintensität« sogar über 38 Prozent. Von den Irak-Rückkehrern leidet nach einer Studie des »Walter Reed Army Institute of Research« aus dem Jahr 2004 knapp jeder achte US-Soldat an der psychischen Störung."(...)
(...)"Und doch, die Bundeswehr sieht sich veranlaßt, das Problem auch selbst zu thematisieren. Im Vordergrund steht Abhärtung: den Soldaten werden Techniken zum Streßmanagement und »realitätsnahe« Einsatzvorbereitungen vermittelt, wie z.B. simulierte Geiselnahmen. Daß manche Ausbilder dabei über die Stränge schlagen, hat sich gezeigt, als Rekruten im Ausbildungslager Coesfeld im Jahr 2004 mehrfach mißhandelt wurden."(...)
mit potenziell traumatischen mitteln auf ein trauma angeblich vorbereiten: das ist wirklich eine irre logik. und eine logik, so wäre zu ergänzen, die einen wahren kreislauf des irrsinns produziert:
(...)"Der Luftwaffenpsychologe Bernd Willkomm schrieb in der Bundeswehrzeitschrift Y im Dezember 2006: »Je länger dann ein Auslandseinsatz dauert, umso mehr kann es bei den Soldaten … zur Absenkung von Hemmschwellen führen.« Damit erklärt der Psychologe auch, daß sich Soldaten in Afghanistan mit Skeletteilen in Pose gesetzt haben. Es habe sich dabei »mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte passive Aggressivitätshandlung« gehandelt. »Aktive« Handlungen, wäre zu ergänzen, haben US-Soldaten im Folterknast Abu Ghraib im besetzten Irak vorgeführt. Deswegen geht das Thema auch Antimilitaristen an. Traumatisierte Soldaten sind latent aggressiv. Und sie traumatisieren Zivilisten, die ihrerseits ihre Aggressionen weitertragen und zu Tätern werden können."(...)
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die letztgenannte fatale dynamik wird auch in einem interview mit der ärztin veronika engl thematisiert:
(...)"Sind Posttraumatische Belastungsstörungen ein typisches Soldatenproblem?
Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten und Zivilisten. Ausschlaggebend ist, daß jemand Gewalt erlebt, entweder gegen sich selbst oder gegen jemanden in der unmittelbaren Umgebung. Als Zivilist erleben Sie eher eng umgrenzte Ereignisse, etwa einen Autounfall. Soldaten dagegen sind in einer dauerhaft traumatisierenden Situation. Man spricht hier von einer multiplen bzw. seriellen Traumatisierung. Dadurchsteigt das Risiko, in der Folge an einerTraumafolgestörung zu erkranken, wenn die Erfahrungen nicht fachgerecht behandelt und verarbeitet werden können.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil betroffener Soldaten?
Den muß man nicht schätzen. Es gibt umfangreiche Forschungen dazu, und man weiß, daß rund 20 Prozent der Soldaten, die in kriegerischen Einsätzen Gewalt erleben, später an PTBS leiden. Das Risiko steigt mit der Einsatzdauer und der Intensität der Gewalt.
Das Weißbuch der Bundeswehr sieht vor, daß ab 2010 bis zu 14000 Soldaten gleichzeitig im Auslandseinsatz stehen …
Man muß davon ausgehen, daß von diesen 14000 Soldaten, soweit sie direkte Bedrohung erfahren, rund 20 Prozent behandlungsbedürftig werden. Wenn die Behandlung unterbleibt, heißt das: Viele Soldaten werden unter irreversiblen Störungen leiden, nicht mehr arbeitsfähig sein, gegen sich selbst und andere gewalttätig – das wären unermeßliche soziale Kosten."(...)
in diese "sozialen kosten" muss dann auch eine art der allgemeinen gesellschaftlichen verrohung miteinbezogen werden, für die derart traumatisierte soldaten quasi als multiplikatoren wirken können - ein drastisches beispiel aus den usa.
(...)"Wie ist der Stand der PTBS-Forschung in Deutschland?
Deutschland war lange ein Nachzügler. Im Ersten Weltkrieg sprach man hierzulande noch von der »Zitterneurose« und begegnete den Soldaten mit ungeheurem Zwang. In der englischen Armee war PTBS schon damals als Krankheitsbild anerkannt. Erst in den letzten 20 bis 25 Jahren hat sich die deutsche Medizin intensiv des Themas angenommen. Den Anstoß gab vor allem die feministische Theorie und Psychotherapie. Die psychotherapeutische Behandlung nach häuslichen Gewalttraumata ist, wie schon gesagt, nicht grundverschieden von der Behandlung bei kriegsgenerierten Störungen.
Hat das eine überhaupt mit dem anderen zu tun?
Allerdings. Der Staat schickt Männer und Frauen in den Krieg, die traumatisiert werden und andere traumatisieren. Soldaten und Zivilisten, die hinterher unter Störungen leiden, richten Aggressionen gegen sich selbst oder, und das betrifft einen bedeutenden Teil der Kriegsopfer, gegen andere Menschen. Gerade Männer neigen viel eher dazu, die Aggressionen, die sie erleiden mußten, nach außen zu wenden.
Soldaten sind also Täter und Opfer zugleich?
Zumindest aus medizinischer Sicht. Der sogenannte »Krieg gegen Terror« ist nichts anderes als Terror durch Krieg. Wir Menschen sind nun mal nicht dafür geschaffen, anderen Gewalt anzutun und Gewalt zu erleben – es macht uns krank. Wer eine PTBS entwickelt, droht selbst zum Täter zu werden – sei es gegen sich selbst oder gegen andere, sei es in einer Terrorgruppe, einer Armee oder, was meistens der Fall ist, er droht zum Täter gegen Frauen oder Kinder zu werden. Dafür fehlt in der Politik leider jegliche Einsicht."
diesen aussagen bleibt wenig hinzuzufügen, mit einer ausnahme: es könnte durchaus sein, dass die "politik" (synonym für das treiben von am eigenen machterhalt interessierten "eliten") durchaus mehr (instrumentalisierende) einsicht in die beschriebene täter-opfer-dialektik besitzt, als es zunächst den anschein hat. traumatisierte menschen jedenfalls machen in den seltensten fällen revolutionen, eher im gegenteil: ihre traumainduzierten ängste und ihre misstrauen haben pathologische effekte auf alle authentische sozialität, machen sie prinzipiell lenk-. kontrollier- und ausrechenbar. und die kollateralschäden stören diese "eliten" wie üblich kein stück.
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in der traumareihe wird es zukünftig übrigens auch noch einen beitrag zur geschichte der kriegstraumata geben.
- andererseits legen die herbstlichen abende neben langen spaziergängen sowie dem lesen dicker bücher auch das schauen von interessanten filmen nahe. und wenn es sich dann noch offensichtlich um die darstellung von verbreiteten varianten der als-ob-persönlichkeit handelt, wird das schon beinahe zum pflichtbesuch. selten haben mich jedenfalls rezensionen so neugierig gemacht - beispiel eins:
(...)"Selbiges gilt für "Anderland", der so viel mehr an beängstigenden Informationen über den Zustand der Welt zu bieten hat, als es die schlichte Form zunächst erahnen lässt. Das unorthodoxe Vorgehen hat eine beinahe paradoxe Wirkung auf den Zuschauer: In den folgenden Tagen begegnen einem zahlreiche Situationen aus diesem Drama."(...)
"(...)Visuell beeindruckende Utopie des Norwegers Jens Lien, der ein kaltes, emotionsloses Weltbild zeichnet, das unserer aktuellen Gesellschaft mehr ähnelt als uns lieb sein kann."(...)
(...)"Er inszeniert eine Welt der Oberflächen, deren Einwohner sich kaum von den Objekten und Möbeln unterscheiden, über die sie reden und mit denen sie sich umgeben."(...)
(...)"In Anderland sind die Anzüge grau, und die Gesichter darüber ebenfalls. Die Häuser haben große Glasfassaden, die Räume sind leer und weit und die Menschen darin wirken verloren, aber sie lächeln alle sehr freundlich – ein bisschen maskenhaft vielleicht. Andreas soll sich hier wohlfühlen: Er bekommt ein Appartement zugeteilt, das aussieht wie ein Motel, einen Job, in dem er Zahlen von einem Papier in den Computer eingeben soll, und zur Dekoration seines Büros ein grünes Zimmergewächs. Aber irgendetwas scheint zu fehlen: Der Alkohol wirkt nicht, die heiße Schokolade schmeckt nicht, nirgendwo hört man Kinderlachen. Sex ist eine monoton-rhythmische Sportgymnastik und statt für Liebe interessieren sich die Frauen für Innenarchitektur. Alle sind zufrieden, aber zum Glücklichsein fehlt ihnen das Empfinden.
Anderland ist eine sterile Businesswelt, die so manchen realen Büroetagen aufs Erschreckendste ähnelt. Was zählt, sind Arbeit, Etikette und gesellschaftliche Zusammenkünfte in Edelrestaurants. Durch die Gewöhnung an den Luxus ist der Genuss abhandengekommen. Die liebes- und beziehungsunfähigen DINKS kompensieren ihre innere Leere mit äußeren Designgegenständen.(...)
Es ist eine beklemmend aktuelle Dystopie, die Jens Lien da geschaffen hat, indem er die Realität nur um Nuancen übersteigert. Seine Welt kommt ohne futuristische Technik aus, ohne Newspeak und ohne ein Staatssystem; sie ist ein Ausschnitt aus der unsrigen."(...)
und die wirkung dieses films wird von vielen rezensenten ähnlich beschrieben:
(...)"Was bleibt, ist das unangenehme Gefühl: Anderland ist schon mitten unter uns."(...)
(das sollte allerdings selbst mit nur rudimentären wahrnehmungsfähigkeiten seit längerer zeit auch ohne kinobesuch zu merken sein.)
Eine Katastrophe - ein Staatsstreich, ein terroristischer Anschlag, ein Wirtschaftskollaps, ein Krieg, eine Flutwelle, ein Hurrikan - katapultiert die gesamte Bevölkerung in einen kollektiven Schockzustand. Die fallenden Bomben, die brutalen Terror-Attacken, die tosenden Stürme dienen dazu, ganze Gesellschaften zu zermürben - genau wie dröhnende Musik und Schläge in Folterkammern Gefangene zermürben. Und so, wie der terrorisierte Gefangene die Namen von Kameraden preisgibt und seine Überzeugungen verleugnet, geben schockierte Gesellschaften ihre Werte und Überzeugungen auf, die sie sonst entschlossen verteidigen würde.«
Naomi Klein
- aber bei ansicht des folgenden films drängten sich mir diverse assoziationen auf:
für den moment nur soviel: ich vermute momentan, das naomi klein - von einer ganz anderen richtung her kommend als bspw. viele in der psychotraumatologie involvierte - vielleicht einen ersten schritt zu einem breiten und öffentlich wirksamen neuen geschichtsverständnis getan hat. zum warum siehe hier und hier. klein scheint letztlich eine bestimmte art der mehr oder weniger bewußten instrumentalisierung (und erzeugung) von (post-)traumatischen zuständen im interesse der machterhaltung seitens gesellschaftlicher "eliten" zum thema gemacht zu haben. mehr hier, wenn ich zum lesen gekommen bin.
(...)"Auf gänzlich anderem Niveau wurde bisher die „Schock-Strategie“ in der Bundesrepublik verhandelt bzw. genauer: die Autorin wurde schlicht mit Unflat beworfen. Weder in der politischen Presse beispielsweise der USA, noch in kanadischen oder englischen Medien, in italienischen, oder auch griechischen, ist die Autorin Naomi Klein mit ihrer 763 Seiten starken Untersuchung zur „Schock-Strategie“ derart diffamiert worden, wie bisher in diesem Land. Das verwundert nicht: Zum einen brechen sich in keinem anderen westeuropäischen Mediensystem sexistische Wahrnehmungsweisen so ungehindert Bahn, wie dies seit Jahrzehnten in bundesdeutschen Printmedien der politischen Presse Tradition hat. Insbesondere gebildete, gesellschaftskritische Frauen ziehen sexistische Aggressionen hier traditionell auf sich.(...)
Zum anderen ist die bundesdeutsche Presse mittlerweile dermaßen gleichgeschaltet – und zwar von innen heraus und nicht durch staatliche Zensur-, wie dies ebenfalls in keinem anderen westlichen Land der Fall zu sein scheint, nicht einmal in den USA, aber auch nicht in Nachbarländern wie Österreich oder Frankreich. Neoliberale Mantren gelten in diesem Land schlicht als Richtschnur und „Wahrheit“ und solche gegen Frauen allemal."(...)
so, im schnelldurchlauf jetzt ein paar links aus den letzten wochen, die mir bei meinen sporadischen besuchen in der virtuellen sphäre besonders aufgefallen sind und starken bezug zu den blogthemen hier haben - mit besonderem dank ans nettblog, welches einige spannende artikel gesammelt hat.
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die welt lieferte vor einiger zeit einen neuen beleg dafür, dass sich der qualitative und elementare unterschied zwischen simulierter und authentischer kommunikation zu unser aller schaden noch keineswegs überall herumgesprochen hat:
(...)Aber nicht nur autistische Menschen können durch das Internet und Games mit anderen kommunizieren. Die britische Organisation ARCI setzt Second Life für missbrauchte Kinder ein. Im Spiel lernen die Kinder, wieder mit sozialen Kontakten umzugehen. "Sie kommen leicht mit Personen ins Gespräch, die sie nicht persönlich kennen. Dies bedeutet, dass wir eine soziale Barriere zu durchbrechen scheinen", erzählt Gwyneth Llewelyn, Mitarbeiterin bei ARCI."(...)
"zu durchbrechen scheinen" - eben. die ausblendung der körperlichen präsenz des jeweiligen gegenübers mag sowohl für autisten als auch traumatisierte kinder angstreduzierend wirken (und über die gründe dafür bzw. die aussage, die sich hinter dieser feststellung verbirgt, empfiehlt sich ausgiebiges nachdenken) - aber letztlich ist sie für ein soziales leben, welches diesen namen auch verdient, unverzichtbar.
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bei telepolis gab es gleich eine ganze serie von artikeln zum themenkomplex neurowissenschaften, (straf-)justiz und dem "freien willen". dazu ergänzend nur nochmal die erinnerung an diesen beitrag.
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in der zeit fand sich ein interessanter hinweis auf mögliche zusammenhänge zwischen essstörungen und alexithymie:
(...)"Die Symptome der Alexithymie finden Therapeuten vermehrt auch bei ihren essgestörten Patientinnen. In jüngeren Untersuchungen haben Wissenschaftler außerdem festgestellt, dass die Erkrankten nicht nur ihre eigenen Gefühle nicht wahrnehmen. Auch die Gefühlsregungen ihrer Mitmenschen können sie nur schwer interpretieren. Neele Lehmanns Vermutung: Die Betroffenen sind nicht in der Lage, das Gesicht des Gegenübers nach Hinweisen auf die Gemütslage abzusuchen."(...)
im sinne der hier im blog vertretenen argumentation ist das plausibel: wenn ein virtuelles, quälendes etwas (aka objektivistischer modus in einer pathologischen monopolposition) die herrschaft in einem menschen übernommen hat, wird der körper zum "feind", der hier mittels versuchter kontrolle über die ernährung in die knie gezwungen werden soll. das ein solches projekt und ein solcher seinszustand nicht ohne schwere wahrnehmungsstörungen (besonders bei den empathischen fähigkeiten) abgehen kann, ist dabei nur logisch.
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und vor dem gerade erwähnten hintergrund ist auch das folgende interview ganz aufschlußreich:
(...)"Die Ergebnisse der empirischen Forschung deuten aber stark darauf hin, dass es im klassischen philosophischen Sinn keine Seele gibt, die ohne den Körper existieren könnte, auch keinen essenziellen Ich-Kern."(...)
ärgerlich finde ich dabei nur den luschigen umgang des interviewten mit den begriffen identität und authentizität: die oben erwähnten ergebnisse deuten eben auch darauf hin, dass es weder identität noch authentizität ohne die notwendige körperliche basis geben kann. und nicht darauf, das beides obsolet wäre. im übrigen empfehle ich auch zu diesem interview nochmal den oben verlinkten beitrag zum objektivistischen modus.
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anläßlich des beruflichen tuns des forensischen gutachters hans-ludwig kröber hatte ich vor langer zeit hier einen ordentlichen wutanfall bekommen - nun wurde kröber vor einigen wochen in der zeit u.a. folgendermaßen portraitiert:
"(...)Würde ist für den Psychiater die Kehrseite der Verantwortung. „Die bürgerliche Gesellschaft ehrt den Verurteilten durch die Strafe als einen der Ihren“, so sieht es Kröber. „Sie zeigt ihm: Du bist Mitspieler, und wenn du foul spielst, wird das geahndet. Du bist ein Mensch, der weiß, was er tut. Du bist kein Tier!
Auch deshalb lässt Kröber in seinen Gutachten fast nur klassische psychiatrische Phänomene wie Schizophrenie, Psychosen, Debilität oder andere schwere seelische Abartigkeiten, die die Handlungsfreiheit des Probanden beeinträchtigen, als Grund für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gelten. Seelische Notlagen, schlimme Kindheit, Vereinsamung oder andere soziale Verwerfungen, die zur Tat beigetragen haben, sieht er wohl und bedauert ihre Tragik, doch führen sie bei ihm kaum zur Schuldminderung und damit zum Strafrabatt für den Angeklagten. Solcherlei Rücksichtnahmen betrachtet Kröber als Gutachter-Kitsch. „Dass alltägliche Lebensbelastungen zumutbar sind, ihre sozialverträgliche Meisterung in die Verantwortung des Einzelnen fällt, selbst dann, wenn er unattraktiv, minderbegabt und arbeitslos ist, wird mancherorts geleugnet – und zwar nur in Gutachten“, schreibt Kröber in einem Aufsatz.
Ab einem gewissen Alter sei der Mensch „für sein Gesicht selbst verantwortlich“, findet der Sachverständige in Übereinstimmung mit Albert Camus. Was für ihn heißt: verantwortlich auch für den vernünftigen Umgang mit destruktiven Erfahrungen, menschlichen Defiziten und persönlichen Beschädigungen, die wie Hindernisse im eigenen Leben stehen. Und mit Schicksalsschlägen, für die er selber gar nichts kann. „Das ist Erwachsensein: Ein Mensch muss bewirtschaften, was er mitbekommen hat, auch wenn es wenig ist oder schlecht“, sagt Kröber. Das habe mit Ehre zu tun oder manchmal – im umgekehrten Fall – eben mit Verbrechen."(...)
mal abgesehen davon, dass kröber anscheinend kein bewußtsein dafür besitzt, dass die erwähnten "seelischen notlagen" im extrem krankheitsbilder und symptome erzeugen können, die von ignoranten psychiaterInnen als "schizophrenie" und "psychose" fehlgedeutet werden - was sich als beleg dafür nehmen lässt, dass an ihm und seinesgleichen die gesamte psychotraumatologische diskussion der letzten jahrzehnte vorbeigelaufen ist - abgesehen davon also ist es in meinen augen eine frechheit und auch empathielosigkeit eines angeblich "helfenden", traumatisierten menschen (gequälte kinder, folteropfer, vergewaltigte frauen etc.) mit begriffen wie "würde" und "ehre" zu kommen bzw. solche begriffe als begründung dafür anzuführen, das erlebte leid letztlich zu negieren. das ist für mich nix weiter als ideologie im angesicht realen menschlichen elends, und ich sehe deshalb keinen grund dafür, mein damaliges und harsches urteil bezgl. kröber zu korrigieren.
ps: das folgende ist in seiner mörderischen konsequenz meiner meinung nach strukturell sehr verwandt der ideologie eines kröber - nicht genau das gleiche, aber strukturell eine ähnliche vorstellung - ein folteropfer mit der diagnose einer "schizophrenen psychose" zu belegen, ist eh schon fragwürdig (aber vielleicht in diesem fall sogar als schützende diagnose gedacht gewesen) - dann aber faktisch überhaupt keine schwere beeinträchtigung zu attestieren, macht das maß mehr als übervoll:
(...)" Im Gefängniskrankenhaus urteilte der zuständige Psychiater Heinrich Wilmer - ohne Rücksprache mit der Hanauer Klinik -, Mustafa Alcali sei überhaupt nicht krank, er habe nur die übliche Angst vor der Abschiebung. Die anderslautende Stellungnahme des Klinikums Hanau sei ein typisches "Gefälligkeitsgutachten". Der Inhaftierte sei "sowohl reise- als auch abschiebefähig".
Am selben Tag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag ab, der mit der im Hanauer Klinikum diagnostizierten schizophrenen Psychose begründet worden war; Folter- und Todesängste, so die dortigen Ärzte, prägten die Träume von Alcali, bestimmten seine wachen Gedanken, und immer wieder würden Wahnvorstellungen von ihm Besitz ergreifen. Die Beamten des Bundesamtes fällten ein anderes Urteil: Der Antragsteller sei hinreichend gesund. Und ganz im Sinne der gängigen Rechtsprechung: Die Krankheit liefere ihn nicht mit der "erforderlichen Wahrscheinlichkeit dem sicheren Tod aus".(...)
und den letzten satz sollten wir alle gut im gedächtnis behalten. so sieht empathielosigkeit und objektivistisches konstruieren aus.
dann gibt es hier heute - völlig ungewohnt und unüblich - einmal eine kaufempfehlung: das strike-bike. und das hat folgenden hintergrund:
(...)"Es begann mit einem unglaublichen Streik. Seit gut zwei Monaten besetzen 135 ArbeiterInnen einer Fahrradfabrik im thüringischen
Nordhausen ihr Werksgelände, halten eine ständige Betriebsversammlung ab, Tag und Nacht und wehren sich so gegen die Werksschließung, die von Investoren aus Deutschland und den USA angeordnet wurde. Der Mut der Belegschaft spricht sich rum - bis ins Altonaer Café Libertad. Hier verkauft eine selbst verwaltete, anarcho-syndikalistische Firma Bio-Kaffee von zapatistischen Bauern aus Mexiko, und hier ist die Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union tätig. Den streikenden Kollegen wird Kaffee zugeschickt, man besucht sie - und tauscht ungeheuerliche Ideen aus: Was, wenn wir ein Management gar nicht bräuchten? Wenn wir die Maschinen wieder anschmeißen und in Eigenregie weiterproduzieren?
Das Ungeheuerliche soll jetzt in die Tat umgesetzt werden - wenn bis zum 2. Oktober mindestens 1.800 Strike-Bikes bestellt werden. Erst diese Anzahl könnte die Produktionskosten decken und der Belegschaft eine neue, selbst verwaltete Perspektive eröffnen. Aus ganz Europa liegen Bestellungen vor."(...)
(...)"Basis-Solidarität, Bestellungen und Aktionen verschiedenster Art gab es z.B. aus Israel, Südafrika, den USA, Kanada, Australien, Ägypten sowie nahezu allen europäischen Ländern. Meist handelt es sich um Sammelbestellungen von sozialen Kollektiven oder Gruppen.(...)
Die Kolleginnen und Kollegen vom Fahrradwerk sind von der Welle der Solidarität sichtlich beeindruckt. Sie sind zurecht stolz auf die öffentlichen Reaktionen und auf die gemeinsame Aktion – die Produktion des „Strike-Bike“ in eigener Regie. Ständig bekommen sie Anrufe und Briefe in denen ihnen gesagt wird, dass ihre Aktion Mut macht und was für einen Vorbildcharakter die Aktion zukünftig für Leute in ähnlichen Situationen haben wird. All dies sorgt dafür, dass alle Beteiligten trotz der anstrengenden Kampagne mit großem Spaß und gutem Gefühl dabei sind. Für alle ist es wunderbar, so viel praktische Solidarität auszuüben und zu erhalten.
Inzwischen ist es sicher, dass die 1800 Räder ohne weiteres verkauft werden. Schon mehr als 1400 Bestellungen aus aller Welt liegen vor, täglich kommen hunderte dazu."(...)
eigentlich habe ich weder lust noch zeit, hier die täglichen produktionen der regierenden antisozialen darzustellen bzw. zu kommentieren. vorgestern jedoch gab es ein paar nachrichten, die das schlicht und einfach notwendig machen:
„Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) prescht vor: Schäuble habe bereits Formulierungsvorschläge für eine umfassende Änderung des Grundgesetzes vorbereitet, berichtet die "Passauer Neuen Presse" unter Berufung auf einen dem Blatt vorliegenden Katalog. Demnach soll durch eine Ergänzung des Artikels zu den Aufgaben der Streitkräfte der Bundeswehreinsatz "in ganz außerordentlichen Extremsituationen" ermöglicht werden.(...)
Außerdem solle eine "Eilkompetenz" für Bundesinnen- und Bundesverteidigungsminister geschaffen werden, um Einsätze der Streitkräfte mit militärischen Mitteln im Notfall allein anordnen zu können, schreibt die Zeitung.(...)“
und in einem der selten gewordenen lesbaren sponkommentare wird weitgehend richtig gefolgert...
(...)“Die Argumentation wird unter Grundgesetz-Experten zunehmend akzeptiert. Ein Kreis konservativer Verfassungsjuristen, auf die sich Schäuble ausdrücklich beruft, entwickelt dazu Theorien, die sehr stark an die Lehren vom "Ausnahmezustand" des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt erinnern. Der Kölner Staatsrechtler Otto Depenheuer etwa sieht im Krieg gegen den Terror die Bürger in einer ähnlichen Pflicht wie die Soldaten: Ein "Bürgeropfer" müsse gebracht werden, eine im Grundgesetz verankerte Pflicht, im Kampf gegen die Soldaten Allahs notfalls sein Leben zu geben - und sei es als Passagier in der Economy-Class eines Ferienfliegers. Depenheuers neues Buch, die "Selbstbehauptung des Rechtsstaates", sagt Schäuble, gefalle ihm sehr.“
...das all das buhei von schäuble und konsorten aller wahrscheinlichkeit eben nicht der frage nach dem umgang mit zu bomben umfunktionierten passagierflugzeugen gilt (ein szenario übrigens, welches vermutlich seltener auftreten wird als bspw. schwere zwischenfälle in irgendeinem akw, die bekanntlich mehr oder weniger in kauf genommen werden), sondern eine ganz andere und grundsätzlichere richtung verfolgt:
„Setzt der Innenminister seine Grundgesetzänderung durch, so wäre die Erlaubnis zum Abschießen von Flugzeugen das Einfallstor für eine umfassende Militarisierung der Innenpolitik. Wenn mitten im Frieden Krieg ist, hat das Verfassungsgericht seine Kraft verloren. Wenn es möglich ist, die Menschenwürde im Kampf gegen den Terrorismus zu überspielen, warum dann nicht gleichfalls im Krieg gegen das organisierte Verbrechen, gegen Staatsfeinde jeder Art, warum eigentlich soll dann das Foltern noch verboten sein?“(...)
leider hat der kommentator vergessen zu erwähnen, dass sich regierungen in ihrem handeln – und zwar ganz pauschal gemeint – in allzu vielen fällen überhaupt nicht vom organisierten verbrechen unterscheiden lassen. das heißt, einen wichtigen unterschied gibt es: diese – mehr oder weniger gewählten - leute drehen ihre dinger meistens im ganz großen stil.
wie Sie sich bei betrachtung des letzten beitrags unten vorstellen können, hatte ich in den letzten wochen weder große lust noch zeit für die üblichen regelmäßigen recherchen nach neuigkeiten hinsichtlich der blogthemen hier - nichtsdestotrotz bin ich bei meinen seltenen besuchen in der virtuellen sphäre immer wieder über einiges gestolpert, was ich mir für eine spätere kommentierung vorgemerkt habe. so fand sich zb. vor einigen wochen ein artikel in der taz, der sich mit konkreten zuständen in der offiziellen psychiatrie in d-land beschäftigte - zustände, die das in der überschrift gemeinte anschaulich deutlich machen. und die sich auch als eine art illustration zu einigen hier aufgeführten unerfreulichen eigenschaften der offiziellen psychiatrie lesen lassen. die thematisierte geschichte scheint mir dabei ein klassisches beispiel dafür zu sein, was passieren kann, wenn selbst psychophysisch beeinträchtige menschen unter den bedingungen einer totalen institution macht über andere erlangen - und dabei strukturell zu erfüllungsgehilfen ökonomischer interessen der betreiber mutieren bzw. diese interessen in ihrem tun quasi unfreiwillig auf den verdinglichenden punkt bringen:
"Halts Maul", pflaumt der Stationsleiter den Patienten an. Als der psychisch kranke Mann nicht reagiert, sprüht er ihm Pflegeschaum - eigentlich zur Reinigung des Genitalbereichs gedacht - in den Mund. Was wie Szenen aus einer Neuverfilmung von "Einer flog übers Kuckucksnest" anmutet, spielte sich bis vor kurzem in einer der größten psychiatrischen Privatkliniken in Europa, dem Klinikum Wahrendorff bei Hannover ab.
Bekannt wurden die Praktiken auf der Station AST 2, einer geschlossenen Akutstation für Menschen ab 55, als Mitarbeiter anderer Bereiche dorthin versetzt wurden - und vor Entsetzen über die Zustände schleunigst wieder weg wollten. Nach ihren Berichten flößte Klaus W.*, seit 2004 Stationsleiter, schlafenden Patienten Flüssigkeit ein. Gesundheitliche Probleme, die bei einer Patientin daraufhin auftraten, kommentierte er lapidar, sie habe sich "verschluckt" und gehe deshalb "kaputt".
Andere zwang er unter Polizeigriff zur Einnahme von Medikamenten. Und auch die Körperpflege war für "lästige" Patienten kein Vergnügen: Sie wurden von Kopf bis Fuß mit Pflegeschaum eingesprüht, der jedoch nicht abgewaschen, sondern nur mit einem trockenen Tuch abgewischt wurde. Untergebene, die sein Verhalten kritisierten, soll er mit Druck und Drohungen zum Schweigen gebracht haben.
Die Leidenszeit auf der AST 2 hat nun ein Ende: Der Stationsleiter wurde vor die Tür gesetzt. Bis dato gibt es keinerlei Hinweise auf strafrechtliche Konsequenzen der Übergriffe.
Doch für negative Publicity sorgen nicht allein die Misshandlungsfälle. Die Klinik ist für stetig schlechter werdende Arbeitsbedingungen und kontinuierliche Attacken gegen gewerkschaftliche Strukturen bekannt. Kritiker sehen die aktuellen Misshandlungen als direkte Folge der Unternehmenspolitik: "Hier werden Vorgesetzte nicht nach Qualifikation ausgesucht, sondern danach, dass sie die Linie der Klinikleitung umsetzen", kommentiert ein Angestellter, der lieber anonym bleibt.
Auch Klaus W. sei für den Posten nicht geeignet gewesen - im Gegenteil: Er habe ein Alkoholproblem, von dem die Klinikleitung bereits vor der Beförderung wusste. "Die suchen sich Leute aus, die Probleme haben und deshalb erpressbar sind", so die Einschätzung weiterer Mitarbeiter, die aus Angst geschwiegen haben. "Bei 24 statt 19 vorgesehenen Patienten, von denen einige fixiert sind, und das bei dauernder Unterbesetzung - man bräuchte eigentlich Rollschuhe, um von einem Patienten zum nächsten zu hetzen", beschreibt Nandor Pouget, von der GGB (Gewerkschaft Gesundheitsberufe) seine Erfahrungen in Wahrendorff.
Auch ihn überraschen die Vorfälle nicht wirklich, da immer mehr Zivis und studentische Aushilfen die Arbeit von Pflegekräften übernehmen. "Da muss dann auch schon mal eine Hauswirtschafterin Sitzwache bei einem hoch psychotischen Patienten halten", sagt Pouget. Dass das ins Auge gehen kann, zeigt nicht nur der Skandal um Klaus W. Erst vor kurzem wurden drei Mitarbeiter von einem aggressiven Patienten angegriffen und verletzt. 2004 wurde eine Angestellte Opfer eines sexuellen Übergriffs - wegen Unterbesetzung musste sie sich allein um einen Patienten auf der geschlossenen Station kümmern."(...)
ich empfehle sowohl die weiteren teile des artikels zur lektüre als auch einmal eine recherche mit den keywords "privatisierung psychiatrie", die eine unmenge an statements, berichten und infos zum thema liefert, von denen die meisten deutlich machen, dass das risiko für solche geschichten wie oben in privatisierten kliniken eher noch stärker ist als in den (ehemals) staatlich betriebenen anstalten - betonung auf das "noch", weil die letzteren natürlich durch weite teile ihrer geschichte hindurch ebenfalls genügend grauenhafte verhältnisse produziert haben. allerdings mit teils anderen motivationen als private betreiber, denen es primär um ihren profit geht: so hat sich die in der sog. "öffentlichen hand" befindliche psychiatrie in extrembeispielen wie dem nationalsozialismus oder auch im sog. "realen sozialismus" als williger handlanger zur durchsetzung großflächiger antisozialer projekte der gesellschaftlichen normierung und bekämpfung alles "abweichenden" entpuppt (ja, auch hier waren bzw. sind im hintergrund ökonomische verhältnisse beteiligt, aber eben nicht einzig verantwortlich). die privatisierung hingegen bringt innerhalb der institutionellen psychiatrie teils neue probleme, teils aber auch alte probleme in aktualisierter form hervor. ganz gut zusammengefasst ist das in einem Offenen Brief der deutschen gesellschaft für soziale psychiatrie:
(...)"Privatisierung vs. Gemeinwohlorientierung
Die psychiatrische Versorgungslandschaft ist in den letzten 15 Jahren einer beständigen Veränderung unterworfen. Hintergrund hierfür sind die im Zuge der ökonomischen Krise stattfinden Sozialreformen einerseits (s.o) und eine zunehmende Privatisierung auf der Ebene der Organsiations- bzw. Rechtsform der Leistungsanbieter andererseits. Die letztgenannte Entwicklung führt in vielen Fällen zu einer Abkehr von der Gemeinwohlorientierung sozialer und Gesundheitsdienstleistungen hin zu einer profitorientierten privatwirtschaftlichen Unternehmensstrategie. Bürgerschaftliches Engagement das sich z.B. in der Übernahme von Verantwortung in gemeinnützigen Vereinsstrukturen (NPO) zeigt (z.B. ehrenamtlicher Vereinsvorstand) und damit eine Einbindung ins Gemeinwesen bedeutet, wird somit tendenziell in Frage gestellt. Eine weitere Gefahr von Privatisierung sehen wir in der Aussonderung besonders schwieriger Menschen, die durch ihren relativ hohen Hilfebedarf und den damit verbundenen Kostenaufwand nicht in die Strategie der Profitoptimierung passen.
Die angestrebte Entwicklung von Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV) der Leistungsanbieter hat u.a. das Ziel qualitativ hochwertige Dienstleistungen in abgestimmter und koordinierter Form Hilfeempfängern in einer bestimmten Versorgungsregion anbieten zu können. Der damit verbundene Prozess ist personal- und arbeitsintensiv, und daher kostenrelevant. Ob privatwirtschaftlich orientierte Leistungsanbieter sich diesen aufwendigen Prozess, in dem sich auch die Verantwortung für alle psychisch erkrankten Menschen in einer Versorgungsregion ausdrückt, im Sinne einer optimalen Kapitalverwertung zumuten werden, bleibt abzuwarten.
Forschung
Forschung im Bereich der Psychiatrie hat in den letzten Jahren eine deutliche Konzentration auf eine biologisch orientierte Ausrichtung erlebt. Dies führt in diesem Bereich zu Fortschritten, die sich z.B. in der Entwicklung der atypischen Psychopharmaka zeigt. Forschung im sozialpsychiatrischen und damit in einem sehr viel umfassenderen Sinne findet nahezu nicht mehr statt. Es besteht derzeit nur noch ein Lehrstuhl für Sozialpsychiatrie bundesweit.
Der Forschungsbereich Sozialpsychiatrie ist aus ökonomischer Sicht uninteressant, da Forschungsergebnisse sich nicht auf der klassischen und verwertbaren Produktebene niederschlagen."(...)
am (wiedereinmal) schlechten beispiel der usa lassen sich die folgen einer ungehemmten privatisierung psychiatrischer institutionen studieren - so ist in einem artikel der schweizer zeitung "der bund" aus dem jahr 2002 u.a. zu lesen:
(...)"Einen Skandal hat Anfang Mai die «New York Times» mit einer detailliert recherchierten Artikelserie aufgedeckt. Der Bundesstaat hatte vor gut 30 Jahren die großen Psychiatriekliniken geschlossen und versucht, die Patienten dezentral zu betreuen. Doch viele landeten auf der Straße, gut 15 000 verschwanden - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - in privat geführten, profitorientierten Heimen. Dort lebten sie, wie die «Times» aufdeckte, ohne professionelle Betreuung oft unter menschenunwürdigen Bedingungen, während sich die Heimleiter bereicherten.
Am schlimmsten sind die Zustände in den Heimen der Stadt New York. So wurden schwer depressive Patienten in Brooklyn wochenlang ohne genügend Verpflegung in ihren Zimmern eingesperrt, bis sie an physischen Mangelerscheinungen zu leiden begannen. Patientinnen prostituierten sich mit Wissen der Heimleitung, die regelmässig Akten und Belege fälschte, um die Zustände zu vertuschen. Von 1995 bis 2001 starben allein in den Heimen von New York City 946 Patienten, viele nahmen sich das Leben.Nur in drei Fällen wurde eine Untersuchung eingeleitet.(...)
auch bei berücksichtigung der vorhandenen unterschiede zwischen den gesundheitssystemen lassen sich bereits bei einem oberflächlichen vergleich der geschichte in wahrendorff mit den zuständen in new york viel zuviele beunruhigende parallelen entdecken. die nach wie vor vorhandene stigmatisierung von insassen psychiatrischer institutionen plus eine gesellschaftliche entwicklung der ungehemmten ökonomisierung und verdinglichung aller lebensbereiche plus die (auch im blog schon thematisierten) trends zur sozialdarwinistisch motivierten selektion plus das konkrete profitinteresse privater betreiber können im zusammenspiel eigentlich nur zustände ergeben, die letztendlich alle positiven entwicklungen innerhalb der psychiatrie seit den 1970er jahren im kern gefährden. wenn es wahr ist, dass sich eine gesellschaft in ihren totalen institutionen am deutlichsten kenntlich macht, so werden uns die zustände sowohl in der psychiatrie als auch in den (privatisierten) gefängnissen ein spiegelbild unserer inneren verfassung liefern, was zum schreiend davonlaufen - nicht nur sein wird, sondern bereits in teilen ist.
wie angedeutet, sollte die kritik an den privatisierungstendenzen in diesem bereich keinesfalls als falsche sehnsucht nach staalicher einmischung verstanden werden. es ist imo dringend notwendig, zwischen tatsächlich öffentlichen (im sinne von sozialen fortschritten) und staatlichen interessen zu unterscheiden - gerade dann, wenn staaten nicht nur unter die räuber gefallen sind, sondern in zeiten des extremistischen kapitalismus selbst zunehmend räuberisch nach außen und innen werden.
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wer sich für die psychiatriegeschichte mit all ihren positiven und leider überwiegenden negativen aspekten interessiert, sei zum schluß noch auf eine buchreihe hingewiesen, die in dieser form im deutschen sprachraum meines wissens nach einzigartig ist: die historikerin gerda engelbracht hat über jahre die inwischen über hundertjährige geschichte der psychiatrie in bremen in vielen facetten beforscht, aufgearbeitet und die ergebnisse jüngst abschließend in dritten buch einer reihe publiziert.
und diese ergebnisse können durchaus als repräsentativ für grundsätzliche entwicklungsphasen der offiziellen psychiatrie in diesem land angesehen werden. wer sich also durch den unstreitig vorhandenen regionalen bezug nicht abschrecken lässt, wird eine fülle von material und informationen kennenlernen, die sich von den "reformanstalten" der jahrhundertwende über verschiedene therapieformen (incl. schockverfahren), die ns-psychiatrie und ihre (nicht stattgefundene) aufarbeitung bis hin zu den reformen seit ende der 1960er jahre ziehen - dargestellt jeweils an persönlichen biografien, psychiatrieinternen debatten bis hin zum wandel der architektur.
die genauen daten zu den büchern lassen sich über diese seite finden.
und wer sich zufällig mal in bremen befindet, kann sich direkt auf dem klinikgelände im ebenfalls in d-land einzigartigen krankenhausmuseum ganz anschaulich mit den themen der bücher befassen. mit dem dort bzw. in den büchern zusammengetragenen material lässt sich letztlich auch die privatisierung in der psychiatrie besser und fundierter einschätzen.