(...)"aspekte: Sie gehören zu denen, die immer wieder rausgegangen sind, zeitweise auch mit einer niederländischen Spezialeinheit. In Ihrem Buch schildern Sie ein besonders schockierendes Erlebnis. Sie wurden Augenzeuge, wie eine ISAF-Truppe geklärt hat, wo sich vermintes Gelände befindet. Die ISAF-Soldaten haben dabei Kinder benutzt. Die Soldaten haben ihnen Äpfel gezeigt - und diese dann auf ungeklärtes Gelände geworfen. Dies, um zu sehen, was passiert. Ob die hungrigen Kinder den Äpfeln hinterherlaufen, oder nicht. Sie schreiben in Ihrem Buch, wenn es keinen Knall gab, konnte das Areal als 'minenfrei' in die Karte eingezeichnet werden. Auch wenn an diesem Tag, an dem Sie dabei waren, nichts passiert ist: Man fragt sich doch, wie zynisch diese Truppen vorgehen, die den Menschen in Afghanistan Freiheit und Menschenrechte bringen sollen?
Wohlgethan: Ich muss betonen, dass dies keine Angehörigen der Bundeswehr waren, sondern Soldaten anderer ISAF-Nationen. Und natürlich hört sich das mit Sicherheit brutal an. Ich glaube, dass die Leute, die auf solche Gedanken überhaupt kommen, schon in der Vergangenheit Kameraden gesehen haben, die zu Schaden gekommen sind durch Minen. Für die ist ganz klar: Das möchte man nicht noch einmal haben. Sie denken zuerst an ihren Buddy, ihr Team, die Kameraden - die wollen am Ende in einem Stück nach Hause."
letztere sätze sind - vielleicht mit viel gutem willen - in anbetracht der grundsätzlich dehumanisierenden wirkungen von kriegen nachvollziehbar (ebenso nach betrachten der obigen bilder aus afghanistan), jedoch zieht der (ex?-)soldat hier nicht die naheliegende konsequenz, kriege als überwiegend als "normal" angesehene form von "konfliktlösungen" grundsätzlich als ausdruck von längst ins pathologische abgeglittenen antisozialen verhältnissen zu ächten (was selbst für "gerechte" und in einem gewissen sinne auch notwendige kriege wie den gegen nazi-deutschland gilt), sondern er verschanzt sich innerhalb der üblichen logik und muss dann zwangsläufig bei einer position enden, die sich in einem satz vielleicht so formulieren ließe:
"stirb du heute - ich aber erst morgen."
und in der gleichen logik muss er dann auch zu folgenden schlüssen kommen:
"aspekte: Aber wenn die Soldaten der ISAF so ticken, also in diesem Fall das Risiko in Kauf nehmen, dass ein Kind getötet werden könnte - was sollen die Afghanen dann von dieser Truppe halten?
Wohlgethan: Natürlich, wenn man das in Deutschland hört, dann sagt man 'Das kann doch nicht wahr sein!' Das ist richtig. Aber genauso muss man auch sagen: 'Dann gebt den Leuten, dann gebt den Soldatinnen und Soldaten mehr Material, mehr Ausrüstung, mehr ausgebildetes Personal, um die Lage dort zu klären!' Es ist ja immer wieder das Gleiche: Ich kann die Leute nicht einfach irgendwo hin schicken, ohne die entsprechende Ausrüstung und ohne entsprechende Ausbildung. Das kann ich nicht machen."(...)
die frage, was "die leute" da überhaupt zu suchen haben, stellt sich ihm offensichtlich (noch?) nicht - armeen jedenfalls, die im auftrag der korrupten und demokratiesimulierenden regimes des "freien westens" unterwegs sind, werden grundsätzlich kein interesse daran haben dürfen, die unbestitten desolaten verhältnisse in afghanistan (und in anderen regionen) tatsächlich im interesse der dort jeweils lebenden menschen zum positiven hin zu verändern. daran ändern auch irgendwelche pr-inszenierungen von krankenhaus- und schulneubauten wenig bis gar nix.
wie immer man wohlgetans berichte im einzelnen wertet - unterendstation-kabulist u.a. ein blog erreichbar - die obige geschichte hat jedenfalls bereits eine typische reaktion der militärischen bürokratiehervorgebracht:
(...)"Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, die Aspekte würden geprüft."
"die aspekte würden geprüft" - hungrige kinder, die mittels geworfenen äpfeln in potenzielle lebensgefahr gebracht werden, gehören also zu aspekten. auch an dieser stelle sind die verlautbarungen aus der hierarchie der macht wie so oft bezeichnend. was sonst noch zu diesen aspekten gehört, lässt sich zusammenfassendhiernachlesen:
(...)"Über weite Strecken ist das Buch im Landserstil geschrieben – es geht um Männer, die weinen müssen, wenn sie beim Zapfenstreich Lilly Marleen hören. Dazwischen finden sich aber Informationen von erheblicher Brisanz: So haben Wohlgethan und andere deutschen Elitesoldaten im Jahr 2002 mit Wissen ihrer Vorgesetzten außerhalb des vorgeschriebenen Mandatsgebietes operiert und damit gegen Vorgaben des Bundestages verstoßen. Dies sei »mindestens ein Dutzend Mal« vorgefallen. Weitere Vorstöße außerhalb des Mandatsgebiets habe er an der Seite der niederländischen »Korps Commandotroepen« (KCT) durchgeführt. Im August 2002 nahm Wohlgethan südlich von Kabul an einem Einsatz teil, bei dem zwölf Afghanen unter ungeklärten Umständen erschossen wurden. Zudem berichtet der Ex-Stabsunteroffizier, wie er in Afghanistan für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr aktiv wurde. Dabei seien er sowie deutsche Fernspähsoldaten gegen angebliche Waffenhändler und -labors vorgegangen. MAD-Operationen im Ausland sind aber erst seit 2004 gesetzlich erlaubt."(...)
aber auch das ist nun keinesfalls mehr überraschend - dass sich selbsterklärte "eliten" und ihr fußvolk keinesfalls an irgendwelche gesetze gebunden fühlen, lässt sich inzwischen so ziemlich jeden tag wahrnehmen. ebenfalls, dass diese haltung bisher ohne große konsequenzen existieren kann.
"Die Bundeswehr hat offenbar gegen den Bundestagsbeschluss für den Afghanistan-Einsatz verstoßen. Dem niederländischen Radio liegen Beweise vor, dass Soldaten 2002 außerhalb des Isaf-Mandatsgebietes operierten. Gestern hatte ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat gleichlautende Anschuldigungen erhoben."(...)
...ist dashierbeschriebene definitiv nicht - und es gehört kein großer mut zur prophezeiung "demnächst auch über Ihrer stadt":
(...)" In Straßburg, das in früheren Jahren in der Silvesternacht regelmäßig Schauplatz von Krawallen war, wurden die sozialen Brennpunkte am Rande der Stadt aus der Luft von einem unbemannten Aufklärungsflugzeug überwacht. Am Neujahrsmorgen meldete die Präfektur 13 abgebrannte Autos, 30 weniger als im Jahr zuvor."
mittels des heiligen fetischs "auto" wird so nebenbei also die einführung luftbasierter überwachung gerechtfertigt - das verheisst für die zukunft nochviel spaßim luftraum über unseren köpfen - wenn denn erst mal genügend leute auf die idee gekommen sind, dass eine liveübertragung aus nachbars garten u.u. viel spannender ist als das aktuelle fernsehprogramm. wie so etwas dann aussehen könnte? bitte sehr - der chaos computer club mit einer bastler-demonstration:
edit am 14.01.:jetzt geht´s los! - dieser ruf aus der fussballwelt ist hier durchaus passend:
(...)"So soll eine sogenannte Drohne angeschafft werden. Eine ziemlich spektakuläre Maßnahme, wenn es um Fußball geht: Drohnen, mit Videokamera versehene unbemannte Aufklärungsflugzeuge, werden normalerweise vom Militär genutzt, beispielsweise zur Feindbeobachtung. Bei der Bundeswehr kamen diese Drohnen im Kosovo-Krieg zum Einsatz."(...)
damit folgt die innere aufrüstung einem altbekannten muster: zunächst werden eigentlich fast immer die neuen technologien der repression an und gegen gruppen eingesetzt, von denen sich die bevölkerungsmehrheit mehr oder weniger leicht abgrenzen kann bzw. vielleicht sogar bedroht fühlt - und hooligans sind nun mal im allgemeinen keine besonders sympathischen menschen. was aber nichts daran ändern wird, dass diese zielgruppe nur das einfallstor ist - und zwar nicht nur für eine schleichende gewöhnung an die luftüberwachung.
eine ähnliche strategie lässt sich gerade auch in großbritannien beobachten: hier geht es umimplantierte rfid-chips, bei denen zunächst knastinsassen als versuchsobjekte herhalten sollen.
(,,,)"Doch warum sollte eine Landespolizei, wenn sie erst einmal entsprechende Technik zur Verfügung hat, sich auf die Überwachung von einigen Fußballspielen im Jahr beschränken? Thomas Große, der Pressesprecher des sächsischen Innenministeriums, bestätigt gegenüber ZEIT online, dass die Drohne „bei jeglichen Ausschreitungen im Freistaat Sachsen“ eingesetzt werden soll. Sein Stellvertreter Lothar Hofner ergänzt: „Sie dient der Strafverfolgung allgemein.“
Was diese Worte für die Zukunft bedeuten können, ist in Paragraf 38 des sächsischen Polizeigesetzes nachzulesen. Sinngemäß steht dort, dass die Behörden bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen Foto- und Videomaterial sammeln dürfen, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass dort Straftaten begangen werden oder „sonstige erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ drohen.(...)
Wer nur ein paar Minuten mit den Satellitenbildern von Google Earth oder Microsoft Virtual Earth gespielt hat, kann sich ausmalen, welch mächtiges Werkzeug die Einsatzkräfte mit der Drohne in die Hand bekämen: Man multipliziere die Detailschärfe solcher Bilder um ein Vielfaches – nämlich so, dass sich die Gesichter einzelner Personen mühelos erkennen lassen – und stelle sich vor, dass hier nicht statische Fotos betrachtet werden, sondern ein Video des aktuellen Geschehens. Mit einem Wippen des kleinen Fingers kann der Beobachter weiterfliegen, einzelne Gruppen anvisieren oder die Ereignisse in der Totalen betrachten, ohne sich selbst zu bewegen. Die so Beobachteten bemerken von all dem nichts."(...)
ich sagte es ja glaube ich schon früher bei verschiedenen gelegenheiten: lesen Sie mehr science fiction, besonders die klassiker dick, ballard, brunner und lem. mittlerweile lassen sich ganze listen von treffern erstellen, die die genannten (und einige mehr) hinsichtlich der verwirklichung ihrer teils jahrzehntealten dystopischen visionen erzielt haben.
...hatte ich am heutigen datumdas hiergeschrieben - und bis auf weiteres bleibt dem aus meiner sicht auch nix hinzuzufügen. außer natürlich der aktualisierung aller guten wünsche. kommen Sie gut rein.
"Nichts wird in Zeiten allgemeiner Egomanie so verhöhnt wie der Altruismus. Menschen, die sich nicht auf der Siegerstraße befinden, sollen aus unserem Blickfeld verschwinden. Da jeder sich selbst gehört, ist auch jeder für sich selbst verantwortlich. Ich bin meiner mir mich. Nicht Solidarität oder zumindest Betroffenheit ist angesagt, sondern in erster Linie Gleichgültigkeit oder im schlimmsten Fall sogar offene Aggression: "Eure Armut kotzt uns an!" Solidarität war zumindest in Ansätzen etwas, das auf ein Jenseits der zwänglerischen Identität (Ich bin ich) verwies. Sie besagte, dass ich für die anderen da bin, und sie für mich da sind."(...)
(eine kleine kritik an bestimmten begriffen des textes von schandl - wie bspw. "egomanie" - hatte ich damals angefügt, aber darum soll´s hier gerade nicht gehen).
nun ist gestern der sechste band einer laufenden studie (mit dem titel der überschrift) des bielefelder soziologen wilhelm heitmeyer veröffentlicht worden, von dem sich einige kernaussagensozusammenfassen lassen:
"Die sozialen Beziehungen geraten nach der Studie immer mehr unter Druck. Fast die Hälfte der Befragten stimmt der Aussage zu, dass die meisten Langzeitarbeitslosen nicht wirklich daran interessiert seien, eine Arbeit zu finden. Etwa die gleiche Anzahl gab an, es gebe "Dinge, die wichtiger sind als Beziehungen zu anderen". Etwa ein Drittel stimmt der Aussage zu, die Gesellschaft könne sich wenig nützliche Menschen und menschliche Fehler nicht mehr leisten. Rund 40 Prozent sind der Ansicht, es werde zuviel Rücksicht auf Versager genommen. 25 Prozent finden, dass "moralisches Verhalten ein Luxus ist, den wir uns nicht mehr leisten können."
in einemradiointerviewist speziell zu den obigen ergebnissen näheres zu lesen:
(...)"Kassel: Kann man aus den Antworten, die Sie in diesem Zusammenhang und in ähnlichen bekommen haben, tatsächlich schließen, dass wir immer zunehmend in einer konkurrenzbasierten Gesellschaft leben, also dass dieses Leistungsprinzip, das ja, obwohl es einen Linksruck gibt und das viele Leute im Kopf vielleicht ablehnen, dass dieses Leistungsprinzip im Alltag immer wichtiger wird?
Heitmeyer: Das kann man durchaus feststellen, denn wir ermitteln, dass auf der einen Seite ja die Angst bei Arbeitslosigkeit und damit parallel auch zum Teil die konkurrenzbasierte Fremdenfeindlichkeit abnimmt, und das ist kein Zufall, sondern das ist ein kausaler Zusammenhang. Auf der anderen Seite steigt aber das, was wir Flexibilitätszwang nennen, also auch die nahen sozialen Beziehungen zum Teil unter Nutzenkalkülen sehr viel stärker zu beachten, das heißt, ob es mir nützlich ist eigentlich, überhaupt noch soziale Beziehungen zu pflegen, das heißt, dass wirtschaftliche Kalküle, die im Rahmen der Wirtschaft durchaus angemessen sind, dann aber einsickern auch in soziale Lebenszusammenhänge. Und das, glaube ich, ist schon beunruhigend, denn wir können gleichzeitig dann auch Zusammenhänge feststellen mit den Menschen, die man dann nach Nutzenkalkülen beurteilen kann, also zugewanderte Fremde mit zum Teil niedrigen Qualifikationen oder Langzeitarbeitslose oder Obdachlose oder Behinderte. Und das signalisiert uns doch ein erhebliches Problemfeld."(...)
wo es in diesem land einen "linksruck" gibt, bleibt das geheimnis des interviewers - und wenn heitmeyer beklagt, dass die "im rahmen der wirtschaft durchaus angemessenen" objektivistischen kalküle nun auch in soziale lebenszusammenhänge einsickern, dann outet er sich damit zumindest indirekt als einer derjenigen, die die grundsätzlich totalitäre und übergriffige tendenz des extremistischen kapitalismus nicht verstehen. aber immerhin - oder besser: leider - wird damit in den grundzügen etwas verifiziert, wasfrüherhier so zu lesen war:
(...) "...stets stehen diese entwicklungen im kontext der verdinglichung und durchkapitalisierung, die von elitärer seite aus als einziges modell für den gesamten planeten versucht wird durchzusetzen. der angriff auf unsere ganz spezifisch menschlichen beziehungsfähigkeiten ist dabei inzwischen unübersehbar, und der "erfolg" dieses angriffs ist u.a. in den steigenden zahlen der sog. psychischen krankheiten abzulesen. und dieser angriff zielt ebenfalls ganz unübersehbar auf den eigentlichen kern dessen, was uns überhaupt erst zu menschen macht: die fähigkeiten zur solidarität, empathie/mitgefühl, altruismus - die menschliche liebesfähigkeit in all ihren ausprägungen.
und wenn dieser angriff durchkommt, wird er der tödlichste überhaupt aller denkbaren angriffe sein. er zielt auf die absolute basis aller sozialität."(...)
ergänzend würde ich heute anfügen, dass die fatalen entwicklungen zwar von den "eliten" forciert und institutionell umgesetzt werden - sie benötigen aber bei der mehrheit aller menschen einen entsprechenden resonanzraum, meistens in form (versteckter) psychophysischer bedürfnisse - und das ist in meinen augen das entscheidende.
und ebenfalls sind die beschriebenen entwicklungen keinesfalls auf d-land alleine beschränkt. wie jedoch ein blick in die geschichte zeigt, neigen ausgrenzung und paranoide verfolgung hierzulande dazu, besondersmonströse dimensionenanzunehmen.
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was ich persönlich sehr interessant finden würde zu wissen: wieviele der befragten weisen wohl symptome der verschiedenen beziehungskrankheiten auf? aber womöglich würde das auch keine größeren konsequenzen mit sich bringen, wenn selbst eine offizielle psychiatrisch-psychotherapeutische institution z.b. hinsichtlich deralexithymiefolgendesveröffentlicht:
"In vielen Berufen sind Alexithymie-Eigenschaften in unserer Industriegesellschaft eine durchaus erwünschte Eigenschaft. Daraus wird ersichtlich, dass es sich bei der Alexithymie nicht um eine Krankheit handelt."
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edit am 15.12.: wednesday machte im kommentar auf einenartikelaufmerksam, der inhaltlich perfekt passt:
(...)"Doch Levy prophezeit rasanten Fortschritt. Anteilnahme, Humor, Verständnis und Liebe - für ihn ist das einzig eine Frage der Technik. Mitgefühl beispielsweise sei "letztlich eine Lernaufgabe" und daher "in Robotern relativ leicht zu implementieren". Die Maschine müsse den Partner schlicht beobachten, dann intelligente Annahmen über dessen Gedanken machen und entsprechend reagieren."(...)
alpträume eines fachidioten. was er da als "lernaufgabe" beschreibt, ist tatsächlich nichts anderes als eine beschreibung der funktion des objektivistischen modus im menschen: (primär kognitive) beobachtung -> logische schlüsse mittels instrumenteller intelligenz -> simulation von emotionen. der arbeitsmodus eines soziopathen, einer als-ob-persönlichkeit. das wort "beziehung" in diesem kontext zu benutzen, ist entweder reine propaganda oder tatsächliche unkenntnis vom wesen authentischer menschlicher beziehungen.
für die weiter oben zitierten leute allerdings, die meinen, es "gäbe wichtigere dinge als beziehungen", könnten solche maschinen tatsächlich eine gewisse anziehungskraft besitzen. eine echte marktlücke, die einmal mehr beweist, dass der kapitalismus aus buchstäblicher scheiße noch gold machen kann. um das als positives merkmal zu betrachten, muss man allerdings selbst bereits schwer psychophysisch geschädigt sein.
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edit am 27.12.: eine untersuchung, die sich wie eine ergänzung zur studie von heitmeyer und co. lesen lässt:
(...)"Wer in deutschen Unternehmen Karriere machen will, muss sich offenbar einer systematischen Erziehung zur Unmoral und Rücksichtslosigkeit unterziehen. Viele Führungskräfte sind der Ansicht, dass man daran nichts ändern kann. Manche scheinen sich gar in der Opferrolle zu sehen wie die Antwort eines Befragten zeigt: "Das Schlimmste ist der Zwang, an Maßnahmen mitwirken zu müssen, die eindeutig unmoralisch sind und allein dem Vorteil und Karrierestreben der Vorgesetzten dienen."(...)
wobei sich fast schon automatisch die frage stellt, ob sich für die befragten nicht der erwähnte vorteil zugunsten des konkurrenten als ärgerlichste sache darstellt...
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edit am 28.12.: das fest der liebe 2007 - eine unvollständigebilanz:
"In Bayern tötet eine Mutter ihre beiden Söhne, in Hessen versucht ein Vater, seine Tochter anzuzünden. Das diesjährige Weihnachtsfest wurde von Gewalttaten und Familientragödien getrübt."(...)
"Im sächsischen Kirchberg ist ein Zweijähriger vermutlich verhungert und verdurstet. Die 23 Jahre alte Mutter wurde Polizeiangaben zufolge festgenommen. In Bayern versuchte ebenfalls am zweiten Weihnachtstag ein 24-Jähriger, ein Kleinkind totzutreten."(...)
tote kinder, psychisch kranke, eifersuchtsdramen (die immer auch etwas mit besitzdenken zu tun haben), ein ermordeter obdachloser und auch der von zwei jugendlichen fast totgeprügelte alte mann in münchen (incl. des bei dieser geschichte in der pseudoverarbeitung auftretenden öffentlichen rassismus)...so drücken sich die deutschen zustände ganz real und absolut unlustig aus. und so sieht es aus, wenn "wichtigere dinge als beziehungen" zum allgemeinen leit(d)bild erhoben werden.
es gibt in diesem abgründigen land inzwischen jeden tag mehr und mehr krankes zeug, verbraten von angeblichen "eliten", welches die laune von stinksauer über angewidert zu inzwischen fast völliger verachtung derjenigen subjekte wachsen lässt, die hier meinen, ihre pathologien ungeniert ausleben zu dürfen. es ist mittlerweile schlicht und einfach unerträglich geworden. punkt.
(...)"Am Donnerstag wird der Bundestag über Sex sprechen – genauer gesagt über die Sexualität von jungen Menschen. Um was geht es genau?
Es geht darum, dass vernünftige und ausgewogene Regeln im Sexualstrafrecht zu Lasten von Jugendlichen verschoben werden sollen.
Wie?
Das will ich an zwei Beispielen klar machen. Nach der jetzigen Rechtslage ist es so: Wenn es unter Ausnutzung einer Zwangslage oder gegen Entgelt zu einem Sexualkontakt kommt, dann ist nach jetzigem Recht eine Strafbarkeit gegeben, wenn der Täter erwachsen ist, also über 18, und das Opfer unter 16. Der Sinn ist, dass es zwischen Täter und Opfer ein Machtgefälle gibt, einen Altersunterschied, einen sozialen Druck – ein Erwachsener bedrängt einen unter 16-Jährigen.
Klingt nach einer sinnvollen Regelung.
Ja, das ist ja die Gesetzeslage jetzt – aber die neue Lage wird so sein: Die Bundesregierung senkt das Täteralter von 18 auf 14 und das Opferalter wird von 16 auf 18 erhöht. Was heißt das? Wenn jetzt eine 15-Jährige zu einem 17-Jährigen sagt: "Ich lade dich ins Kino ein, wenn du nachher mit mir Petting machst", dann ist das schon eine Straftat. Dazu kommt: Bisher war bei dieser Regelung der Versuch nicht strafbar. Die Bundesregierung wird aber jetzt an diesem Donnerstag den Versuch zu einer Straftat erklären. Das heißt bei unserem Beispiel: Die 15-Jährige lädt den 17-Jährigen unter der Vorraussetzung ins Kino ein, dass er danach mit ihr auf ihr Zimmer geht. Selbst wenn der junge Mann sagt: "Ich hab´ keine Lust", dann ist die 15-Jährige trotzdem strafbar.
Das hört sich sehr theoretisch an – als junger Mensch werde ich doch nicht gleich zur Polizei rennen.
Moment, das ist doch nicht unsere Debatte. Stellen Sie sich mal vor, irgendwelche Eltern oder Erzieher erfahren davon – und erstatten Strafanzeige, aus irgendwelchen Gründen!
Uns geht es darum: Welches Signal sendet der Bundestag gegenüber jungen Menschen und ihrer Sexualität aus?
Welches denn?
Puritanismus und Prüderie der 50er Jahre. Das ist der Rückfall in eine Zeit, die ich nur aus meiner Jugendzeit kenne.(...)
Die Große Koalition…
… die Große Koalition will in sexuellen Dingen in bestimmten Bereichen dirigierend eingreifen. Das Bundesjustizministerium sagt, es sei nur redlich bemüht, Kinder vor Prostitution zu schützen – aber das ist doch überhaupt keine Frage! Kinder sind jetzt schon vor Prostitution geschützt. Es gibt nur ein Problem: Was sind Kinder? Nach deutschem Recht sind Kinder alle bis 14 Jahre. Danach sind es Jugendliche. Ab 18 sind es Heranwachsende. Nach internationalem Recht sind Kinder, also der Begriff „Kind“, alle unter 18 Jahre. Die Bundesregierung zerstört dieses sinnvoll aufgebaute Verhältnis im deutschen Sexualstrafrecht: Unter 14 – alles tabu. Zwischen 14 und 16 – sehr hoher Schutz. Zwischen 16 und 18 – ein etwas niedrigerer Schutz. Ab 18 – Freiheit. Diese feine Austarierung, die aus dem liberalen Sexualstrafrecht der 70er Jahre stammt, wird jetzt in einem Roll-Back zunichte gemacht.
Nochmal konkret: Wenn ich 17 bin und einen guten gleichaltrigen Freund habe, der mit seiner Freundin auf der Wiese einfach nur knutscht, dann darf ich die nicht fotografieren?
Genau. Sie dürfen dann kein Foto herstellen, weil das Minderjährige bei sexuellen Handlungen sind. Und wenn sich das Pärchen selber fotografiert, dürfen sie die Bilder gerade noch behalten – aber zum Beispiel nicht an jemand anderen schicken. Das hat mit dem Schutz der Kinder vor Prostitution überhaupt nichts mehr zu tun.
Das klingt verrückt.
Das klingt nach mehr Staat – nach der Einmischung des Staates in private Dinge von Menschen. Insbesondere in die aufkeimende Sexualität junger Menschen. Das ist ein moralisches Roll-Back in Zeiten, die man längst hinter sich glaubte.(...)
Und das wird am Donnerstag beschlossen?
Das werden die durchziehen, ja."(...)
so, wie sie es seit eh und je gewohnt sind, jeden noch so menschen- und lebensfeindlichen dreck durchzuziehen. wohlgemerkt: es geht hier keinesfalls um den realen und notwendigen schutz von kindern vor sexualisierter gewalt in all ihren formen, sondern um etwas, das sich auf gleicher ebene mit den totalitären verbotstendenzen im gesamten sog. "freien westen" (eine bezeichnung, die inzwischen nur noch die intelligenz beleidigt) befindet, die sich schon seit längerer zeit an allen ecken und enden beobachten lassen. aber wie heißt es so treffend: der krug geht so lange zum brunnen, bis er bricht.
*
edit am 14.12.: die abstimmung über die gesetzesverschärfung wurde zwischenzeitlichverschoben- wobei über die gründe dafür durchaus spekuliert werden darf. an den gerade beginnenden öffentlichen diskussionen über dieses projekt wird das jedenfalls eher nicht gelegen haben. und auch nicht am umstand, dass hier faktisch eine umsetzung von eu-recht stattfinden soll.
den tod des kleinen mädchens neulich möchte ich nicht weiter kommentieren; zu solchen schreckensnachrichten ist im blog in der vergangenheit einiges zu lesen, was für mich auch beim neuen "fall" weiterhin gültigkeit hat. im folgenden aber zum thema an sich einige texte der letzten wochen, die mir aufgefallen sind.
(...)"Celestine erträgt Handwerkermärkte nur schwer. Als die zwölfjährige Berlinerin vor ein paar Monaten in einem Bauhaus war, sah sie in den langen Regalen ein silberfarbenes Klebeband liegen - und musste das Gebäude sofort verlassen. Das Klebeband erinnerte sie an ihr Martyrium, das sie einst mit knapper Not überlebt hat. Weil sie so laut war, hatten ihre Eltern ihr wochenlang, vielleicht länger, mit einem solchen Tape den Mund zugeklebt. Es blieb nur ein kleines Loch, damit sie noch atmen konnte. Soll man sagen: immerhin?"(...)
ich verweise auf diesen artikel, weil darin - wieder einmal - eine fatale dynamik deutlich wird:
(...)"Silke R. erzählt, ihr Vater, ein Justizvollzugsbeamter, habe sie in ihrer Kindheit immer geschlagen, wenn sie schlechte Noten nach Hause gebracht habe: "Am liebsten hat er es dann immer mit der Hundepeitsche getan."
Auch Michael R. sagt, sein Vater habe ihn als Kind dauernd geprügelt. Als er 13 Jahre alt war, sei sein Papa gestorben. "Ich habe das als Wohltat empfunden, dass er gestorben ist."(...)
die trostlose wiederkehr des immer gleichen - es wird re-inszeniert, bis die knochen krachen und sich die seele seufzend in den dunkelsten winkel verzieht. was könnte das hier für eine welt sein, ohne diesen kreislauf des terrors!
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sehr kurz jetzt einige blogperlen, thematisch um ähnliches kreisend: auf alarmschrei viele gute gedanken zumerbarmen für die niedlichen, wildwuchs steuert kluges zum thema desposens (aka tun-als-ob) bei, und beim pantoffelpunk gibt es einen beklemmenden eigenenerfahrungsbericht. lesen Sie´s.
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edit am 04.12.: auf die schnelle noch ein paar linknachträge, die teils indirekt viel mit dem grundthema dieser notiz zu tun haben. in der gestrigen taz fanden sich im interview mit dem autor einen neuen biographie zu stalin u.a. folgende passagen:
taz: Herr Montefiore, Sie schildern zu Beginn Ihres Buches die immerwährenden Prügel, die Stalins Eltern ihrem Sohn verabreichten. Welche Bedeutung für die Persönlichkeit Stalins messen Sie dem bei?
Simon Sebag Montefiore: Häusliche Gewalt als erklärenden psychologischen Faktor einzuführen scheint etwas billig. Wie viele Menschen wurden als Kind geprügelt oder hatten einen Vater als Alkoholiker, ohne später zu Tyrannen und Mördern zu werden? Solche Erklärungen sind ähnlich gestrickt wie die These, wir hätten es bei Stalin (oder bei Hitler) schlicht mit Verrückten zu tun. Beide waren sehr effektive Politiker, die das Leben von Millionen Menschen zerstört haben. Sie sind verantwortlich. Man kann sie nicht durch den Hinweis auf Wahnsinn entlasten."
nun, ich würde montefiore korrigieren wollen: häusliche - innerfamiliäre - gewalt als erklärende struktur für das antisoziale handeln von leuten vom schlage eines stalin heranzuführen, ist nicht nur nicht "billig", sondern zum verständnis schlicht unverzichtbar. ebenso handelt es sich nicht um etwas - quasi immaterielles implizierendes - "psychologisches", sondern um die ganz materiellen - u.a. in bestimmten hirnregionen - veränderungen, die solche gewalt produziert.
zweitens: nicht alle opfer werden täter, aber so ziemlich alle täter waren auch opfer. alternativ können diverse selbstdestruktive lebensmuster beobachtet werden, oder im günstigsten fall und ganz primär durch die kraft von authentischen beziehungen ein echter heilungsprozeß. wer nicht das glück hat bzw. hatte, aus einer destruktiven und malignen sozialen matrix durch wenigstens eine derartige beziehung ganz andere erfahrungen machen zu können, kann sich bei entsprechenden milieus und in der entsprechenden historischen situation durchaus als tyrann in den geschichtsbüchern verewigen. auch wenn dieser weg glücklicherweise nur von wenigen beschritten wird, zumindest im massenwirksamen maßstab: jeder ist einer zuviel.
drittens schließen sich verrückt-heit und effektivität - die auch etwas mit objektivistischer intelligenz zu tun hat - keinesfalls aus. und gerade bei einer derartigen konstellation greift der hinweis auf die persönliche verantwortung überhaupt nicht, da dieses konstrukt die psychophysischen besonderheiten von antisozialen menschen eines solchen kalibers schlicht nicht kennt. etwas mehr zu diesem thema in den beiträgen zusaddam hussein undadolf hitler.
im übrigen finde ich, dass sich montefiore durchaus mit seinem ersten satz der nächsten antwort selbst widerspricht:
"Welche Bedeutung haben die Gewalterfahrungen, die der junge Stalin als Bandit in Georgien machte?
Die "Kultur der Gewalt" ist ein wichtiger Erklärungsfaktor. Die Gegend, in der Stalin aufwuchs, war durchtränkt von körperlicher Gewalttätigkeit, von der Allgegenwart unterschiedlicher Formen von Terror. Ich würde allerdings nicht speziell von einer georgischen, sondern von einer kaukasischen Kultur der Gewalttätigkeit sprechen. Nicht nur deklassierte Gangster bedienten sich gewaltsamer Mittel wie der Erpressung, des Raubes, der Banküberfälle und der Entführung, sondern ebenso Angehörige der Oberschicht: der Typus des Aristokraten als Outlaw. Man übertreibt in diesem Zusammenhang oft die Rolle von Juden in den Reihen der Bolschewiki. Die Zahl und Bedeutung kaukasischer Revolutionäre war hingegen sehr groß - das wäre ein wirklich interessanter Untersuchungsgegenstand."(...)
und die benannte "kultur der gewalt" in der betreffenden region ist - ebenso wie anderswo - nicht zu verstehen ohne die existenz einer ebenso gleichen unkultur der gewalt im umgang mit kindern. nichtsdestotrotz finde ich diesen aspekt von stalins geschichte durchaus interessant und aufschlußreich.
*
in der zeit gibt´s seit ein paar wochen eine kleine reihe zumich und du besonders aus der sicht der hirnforschung. populärwissenschaftlich zwar, aber trotzdem lesenswert u.a. wegen solcher sätze, deren bedeutung immer noch zuwenig begriffen wird:
(...)Sicher ist: Ohne Liebe gibt es kein Überleben. Kleinkinder verkümmern oder sterben gar, wenn sie Nahrung, aber keine Liebe bekommen. Selbst von ihren Müttern getrennte Affenbabys hungern lieber, statt auf Geborgenheit zu verzichten, und ziehen eine künstliche Amme mit Kuschelfell einer Drahtfigur mit Muttermilch vor. Das Sehnen nach dem Du bleibt nach der Kindheit bestehen, ein Leben lang. Vor allem aber die ersten Lebensjahre haben Einfluss darauf, wie sehr später das Bedürfnis nach Nähe ausgeprägt ist. Je nachdem wie liebevoll, hilfreich und prompt Eltern auf ihr Kind reagieren, lernt es, sich an einen anderen Menschen zu binden, Angst vor Zurückweisung zu haben oder zu viel Nähe zu fürchten."(...)
und zum ende schließt sich der kreis: momentan sind wieder lange passagen aus deMauses "das emotionale leben der nationen"online zu lesen. tipp! und da vor allem das kapitelDie Ursprünge des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust in deutscher Kindeserziehung. speziell dieses kapitel ist für eine längere kommentierung schon vorgemerkt. wenn Sie z.b. wissen möchten, woher die landesspezifische unfähigkeit zu revolutionen und die deutsche autoritätshörigkeit letztlich ihre wahrscheinliche basis haben - hier finden Sie plausible erklärungsansätze.
so, da ich einerseits auch diese woche wg. zuviel verschiedener arbeit nicht dazu kommen werde, die im letzten beitrag erwähnten texte zu schreiben, und andererseits zur bereits vorliegenden frage einer leserin im gästebuch hinsichtlich meiner meinung zu gemeinsamkeiten/unterschieden zwischen asperger-autismus und soziopathie nun noch eine ähnliche frage bezgl. asperger und alexithymie dazugekommen ist, möchte ich zur überbrückung einige alte beiträge empfehlen, aus denen meine eigene position zumindest teilweise schon herauszulesen ist - ein sicheres wissen zu diesen fragen lässt sich meiner kenntnis beim aktuellen forschungsstand eh nicht behaupten. allerdings lassen sich durchaus einige pfade im nebel ausmachen. hier also die links zu den beiträgen mit den inhaltenalexithymie; (asperger-)autismus; soziopathie
aus verschiedenen gründen müssen die angekündigten beiträge zu möglichen ähnlichkeiten und unterschieden zwischen asperger-autismus und soziopathie sowie zum thema "das (menschliche) böse" noch einmal verschoben werden. tut mir in diesem fall besonders leid, weil es sich einmal um die frage einer leserin; zum anderen um einen weiteren diskussionsbeitrag für diesen thread bei citronengras handelt, und ich direkte fragen und diskussionen meistens besonders inspirierend finde. allerdings brauche ich dafür auch die nötige zeit und ruhe, und beides ist momentan nur sehr selten gegeben. ich hoffe, ich kann mir nächste woche entsprechenden platz freischaufeln.
* * *
in der zwischenzeit haben sich wieder einmal etliche links zu blogrelevanten artikeln angesammelt, von denen ich im folgenden eine kleine auswahl vorstellen will.
mit dem wort hikikomori (ich bin mir gerade nicht sicher, ob mit zwei oder einem "k" geschrieben - im web finden sich beide schreibweisen) wurden regelmäßige leserInnen hier bereits im letzten jahr vertraut. nun scheinen sich mehr und mehr indizien dafür zu häufen, dass hikikomori auch im westen angekommen ist:
(...)"Nun ist eine Tendenz zu verstärkter "Nesthockerei" in der Gegenwartsgesellschaft nicht eben neu und auch schon vielfach beschrieben worden. Das von Elke Herms-Bohnhoff verfasste Buch Hotel Mama mit dem Untertitel Warum erwachsene Kinder heute nicht mehr ausziehen ist seit seinem Erscheinen im Jahr 1991 ein Bestseller, dessen Titel oft und gerne zitiert wird. Vom "Cocooning" hat die "Trendforscherin" Faith Popcorn (...) schon vor Jahren gesprochen, vom (wachsenden) Drang, sich in ein abgegrenztes eigenes "Gehäuse" einzuspinnen, vom "Cosy home" ist ebenfalls häufig die Rede. In Japan indessen hat man für ein Verhalten wie das des oben geschilderten Studenten P. W. einen eigenen Namen geprägt. Man spricht vom Hikkikomori-Syndrom.
Das japanische Wort Hikkikomori bedeutet wörtlich etwa so viel wie "sich einschließen" oder "eingegrenzt sein".(...)
in dem interessanten überblick eines professionellen, bei dem ich in diesem fall vermute, dass er weiß, wovon er redet, sind verschiedene punkte besonders interessant: einmal der hinweis darauf, dass der namensprägende japanische psychologe seinerzeit die zahl der betroffenen bewusst zu hoch angesetzt hat, um die mediale aufmerksamkeit zu erregen - was sowohl bezgl. wissenschaftlicher methodik als auch hinsichtlich der funktionsweise der massenmedien wieder mal tief blicken lässt. zum anderen aber dieser hinweis:
(...)"Zielenzinger selbst vermutet eine Nähe des Hikkikomori-Syndrom zur im Westen verbreiteten Postraumatischen Belastungsstörung (PTBS); allerdings sind derartige Hypothesen recht spekulativ und nicht durch harte Fakten abgesichert."(...)
nun bleibt in gesamten bereich der beziehungskrankheiten (und zu denen lässt sich hikikomori sicher zählen) bisher zwangsläufig vieles hypothetisch und spekulativ, was sich aus diversen gründen auch kurzfritig nicht ändern wird - aber wenn ich mir beide diagnostischen modelle so betrachte, fällt zumindest eine gemeinsamkeit sofort ins auge, die ich schon länger für fatal unbeachtet halte:
die abwendung von und das misstrauen in die existierenden menschlichen sozialen strukturen.
bei (post-)traumatischen störungen ist diese reaktion, besonders bei vorhergehender man-made-violence, eigentlich nachvollziehbar - aber wie sieht es bei den beschriebenen hikikomori-betroffenen aus, bei denen derartige erlebnisse zumindest nicht erwähnt werden? ist es vielleicht tatsächlich so, dass alleine die allgegenwärtige (mediale) präsenz zwischenmenschlicher gewalt fähig ist, zumindest teilweise die symptome einer ptbs zu erzeugen? der rückzug und der freiwillige verzicht auf den kern aller menschlichen sozialität stellen in der hinsicht gleichzeitig eine gesunde - wenn diese sozialität verbreitet als völlig unakzeptabel und bedrohlich empfunden wird - als auch eine pathologische - weil letztlich die ganz wesentliche basis für ein menschliches leben, welches diesem namen auch gerecht werden würde, sabotiert wird - reaktion dar, die sich einreiht in die vielzahl ähnlicher beunruhigender entwicklungen, die hier schon thema waren. auf ein kurzes fazit gebracht: auch "hikikomori" zeigt nur ein weiteres mal eine tatsache auf, deren ständige verdrängung für uns alle letztlich schmerzhaft tödlich sein wird:
nämlich das unsere derzeitigen gesellschaftlichen strukturen in ihrer überwältigenden mehrheit dem menschlichen leben letztlich destruktiv gegenüberstehen. und da gesellschaften nun mal meiner meinung nach die innersten strukturen ihrer mitglieder widerspiegeln, stellen sich unmittelbar fragen an jede/n einzelne/n von uns: schätzen wir unser leben? und vor allem: sind wir liebesfähig gegenüber dem lebendigen, welches uns in vielen formen begegnet? also auch uns gegenüber, was keinesfalls egoismus meint, sondern etwas sehr anderes.
das in allen möglichen diskursen, die sich "politisch" schimpfen, genau solche fragen praktisch ständig ausgespart werden, macht ihre erbärmliche reduziertheit und vor allem wirkungslosigkeit letztlich sowohl überdeutlich als auch verständlich.
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das verhalten der "hikikomoris" lässt sich allerdings ganz gut nachvollziehen beim anblick des folgenden ausschnitts aus der gegenwärtigen realität:
(...)"Jeder vierte Bürger in der Europäischen Union wird im Laufe seines Lebens depressiv, schizophren, zwanghaft, panisch oder sonst irgendwie psychisch krank. Allein in Deutschland sind die Fehlzeiten durch solche Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren um nahezu 70 Prozent gestiegen.(...)
Allerdings hat der Druck auf die Beschäftigten angesichts des globalen Wettbewerbs und der gestiegenen Gewinnerwartungen zugenommen. So müssen die Beschäftigten in kürzerer Zeit mehr leisten, in der Sprache der Unternehmensberater heißt dies Produktivitätsfortschritt durch Leistungsverdichtung. Dies halten Jüngere und Starke aus, immer mehr Menschen aber reagieren auf den Stress mit psychischen Erkrankungen. Schließlich haben viele Angst davor, ihren Job zu verlieren. So spüren immer mehr Arbeitnehmer den scharfen Wettbewerb, und selbst bei Banken und Versicherungen, die über Jahrzehnte hinweg von stabilen Arbeitsverhältnissen geprägt waren, geht die Angst um."(...)
und anstatt die änderung der pathologischen sozio-ökonomischen struktur zu thematisieren und durchzusetzen, werden die folgen dieser struktur
"individualisiert" und die betroffenen - bestenfalls - wieder fitgemacht für´s rattenrennen - wer da dann lieber im eigenen zimmer bleibt, ist in seinen motivationen zumindest nachzuvollziehen. interessant auch, wie "klassisch" im ersten beschriebenen beispiel die borderline-diagnose eingesetzt wird: sie erspart in dem fall die auseinandersetzung mit dem pathogenen sozialen umfeld und lässt aufgrund der eigenart des aktuellen bl-modells (welches u.a. von einer "genetisch bedingten vulnerabilität" ausgeht) noch nicht einmal das postulieren einer wechselbeziehung zwischen individuum und gesellschaft zu, sondern macht das problem zu einem "persönlichen schicksalsschlag". was auch deutlich macht, das aktuelle psychiatrische modelle eben nicht beliebig sind: ein burn-out-syndrom als diagnose bspw. macht zumindest ansatzweise deutlich, dass der bösartige wind der störung eben nicht nur aus dem "eigenen", verkorksten inneren weht. aber über die routinemässige dissoziierende wahrnehmung auch in der aktuellen psychiatrie & psychologie habe ich hier schon genug worte verloren.
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naomi kleins schock-strategie habe ich immer noch nicht gelesen, aber dafür ein interview mit ihr gefunden, was meine damals geäusserte spekulation hinsichtlich ihrer unausgesprochenen thematisierung von traumatisierung als mittel der machteliten doch unterstüzt - ein auszug:
(...)Der Plan war, die Iraker derart zu traumatisieren, dass sie problemlos alles hinnehmen würden. Richard Armitage, der ehemalige Vize-Außenminister der USA, sagte, offensichtlich haben wir die Iraker nicht genug schockiert.
Nicht genug?
Nicht genug. Er sagte: Anders als Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg war der Irak nicht ausreichend traumatisiert. Meine Erklärung ist: 30 Jahre Saddam Hussein waren schockierend genug. Schock braucht das Überraschungsmoment. Aber Schock ist normal im Irak."(...)
darüber denke ich nun schon länger nach, und komme zu folgendem zwischenergebnis: aus einer bestimmten perspektive würde ich ihr zustimmen, denke aber, dass sie die autoritären, diktatorischen und traumatischen strukturen sowohl der deutschen als auch der japanischen gesellschaft vor dem zweiten weltkrieg vergisst - diese strukturen waren zumindest aus meiner sicht eindeutig vorhanden, wurden aber ganz offensichtlich nicht von relevanten teilen der damaligen bevölkerungen beider länder so empfunden, die sich mehr oder weniger bereitwillig den verbrecherischen "eliten" unterwarfen und zur verfügung stellten. als vorschlag für den moment vielleicht dieser ansatz: ohne traumatisierung - zb. gewohnheitsmässige "schocks" für deutsche und japanische kinder durch die repressiven erziehungsmethoden - hätten die späteren antisozialen herrscher nicht das erwähnte unterwerfungskonforme reservoir von verheizbaren menschen vorgefunden, ohne das es beide damaligen staatssysteme nicht gegeben hätte. sicherheit - in bezug auf den ganz banalen alltag als auch die vorhandenen gesellschaftlichen strukturen -, und wenn´s auch eine halluzinierte, mit einem hohen preis verbundene ist, ist als ungeheuer drängendes bedürfnis bei aktuell und chronisch traumatisierten menschen immer wieder festzustellen. und wird mit aller wahrscheinlichkeit eben von unseren skrupellosen "eliten" ebenso regelmäßig ausgenutzt und instrumentalisiert.
und in dieser hinsicht war das unglaublich hierarchisch durchstrukturierte "dritte reich" offensichtlich etwas, was für viele menschen diese art "sicherheit" geboten hat - und als die im bombenhagel und dem heulen der stalinorgeln in trümmer fiel, wurden diese chronisch traumatisierten - ich benutze hier ausdrücklich einen erweiterten trauma-begriff, der auch die täter-opfer-dialektik berücksichtigt - nun erneut, und diesmal im sinne einer klassischen ptbs, traumatisiert - und dieses modell richtet den focus nun mal auf die opferseite.
nun waren und sind meines wissens auch die praktiken des umgangs mit kindern im irak nicht viel besser als diejenigen im damaligen deutschland oder japan, aber mir ist nicht bekannt, das sich die diktatur von saddam hussein auf eine ähnlich starke innere zustimmung vieler untertanen stützen konnte wie die beiden anderen, sondern eher mit purer repression incl. terror durchgesetzt wurde (und der üblichen materiellen bestechung). was bedeuten würde, dass es einen qualitativen unterschied hinsichtlich des umgangs mit traumatischen strukturen in den betroffenen gesellschaften geben muss. und das finde ich interessant genug, um darüber weiter nachzudenken.
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das wort kriminell benutze ich hier hauptsächlich nicht in der juristischen bedeutung, sondern als synonym für ganz offenes antisoziales handeln, welches oft genug von der justiz weder bemerkt noch verfolgt wird - das ist alleine abhängig vom jeweils regierenden elitären machtsystem. und wenn Sie das wieder mal zu übertrieben finden, lesen Sie das hier:
(...)"Allein in Sizilien warten 5000 Mafiosi auf ihren Einsatz, allzeit bereite, junge aufstrebende Männer, die davon träumen, ehrfürchtige Blicke zu spüren –und das Gewicht einer Rolex Daytona am Arm. „Wir können hundert Jahre lang so weitermachen“, heißt es unter jenen sizilianischen Staatsanwälten, die es noch wagen, die Wahrheit auszusprechen: Dass jeder noch so erfolgreiche Schlag gegen die Mafia folgenlos bleiben wird –solange er rein polizeilicher Natur ist und die Verbindungen zwischen Mafia und Politik unangetastet lässt. Dieses Problem zu benennen, erfordert um so mehr Mut, als der Justizminister höchstpersönlich dafür sorgt, dass Staatsanwälte abberufen werden, sobald sie gegen italienische Politiker ermitteln."(...)
es mag ja sowohl in italien als auch anderswo integre beschäftigte der jeweiligen justiz geben, die sich tatsächlich einer - problematischen - abstrakten gerechtigkeit verpflichtet fühlen. karrierefördernd ist das allerdings in keinem fall, sondern unter dem aspekt ist eher das prinzip der drei affen empfehlenswert. und wie stark dieses prinzip weltweit verbreitet ist, lässt sich zb. hier nachlesen.
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was fällt mir zum abschluß von all den unerfreulichkeiten und zumutungen noch ein?
auch, wenn ich die fixierung auf die narzisstische ps (bzw. narzisstische störungen) nicht ganz überzeugend finde, denke ich doch, dass das ein spannender abend werden könnte:
(...)"Warum streben Menschen nach Macht? Was bewirkt Macht bei denen, die sie ausüben? Narzisstisch gestörte Menschen streben nach Macht, weil sie damit ihr mangelhaftes Selbstwertgefühl kompensieren wollen.
Umgekehrt nährt die Möglichkeit, Macht auszuüben, Größen- und Allmachtsphantasien. Auch die kollektive Identität großer Gruppen ist oft durch ein Gemisch aus Machtphantasien, Ohnmachtsvorstellungen, Grandiositätsideen und narzisstischen Kränkungen geprägt. An aktuellen politischen Beispielen wird gezeigt, wie kollektive Traumata und die damit verbundenen narzisstischen Kränkungen in kollektiven Demonstrationen der Macht ausagiert werden."(...)
das ganze findet am freitag um 20.00 im ärztehaus hamburg in der humboldtstr. 56 statt und kostet - leider - 10 € eintritt.