(...)"Nur wenige Stunden dauerte der Öl-Krisengipfel im saudi-arabischen Dschidda - die Rezitation von Suren des Korans eingeschlossen. Dass innerhalb dieser kurzen Zeit eines der drängendsten Probleme der Weltwirtschaft gelöst werden könnte, war von vornherein eine Illusion.
Am Ende einigten sich die Vertreter der Ölproduzenten und -verbraucher auf eine wohlklingende, aber substanzlose Erklärung. Auch die Ankündigung Saudi-Arabiens und Kuwaits, die Tagesproduktion um ein paar hunderttausend Fass zu erhöhen, wird den Anstieg des Ölpreises nicht nachhaltig stoppen.(...)
Stattdessen stimmten die Erdölminister in Dschidda die Litanei vom angeblich unheilvollen Wirken der Spekulanten an. Die Opec verbreitet diese These wider besseres Wissen: Im Gegensatz zu Gold und Silber ist die massenhafte Lagerung von Öl viel zu teuer. Ein sehr kostspieliges Unterfangen wäre es beispielsweise auch, Öl wochenlang auf Tankschiffen über die Weltmeere zu kutschieren, nur um es aus spekulativen Interessen vom Markt fernzuhalten.
Bezeichnenderweise ist die hektische Suche der Opec nach einem Sündenbock für den rasanten Preisanstieg ebenso von Angst getrieben wie die nervöse Politik der Abnehmerstaaten. Ihnen sitzt die Furcht im Nacken, dass die Ölvorkommen rascher zur Neige gehen könnten als erwartet.
Ölförderer und Konsumenten pflegen ein Verhältnis wie ein Dealer zu seinem Kunden: Der Rauschgiftverkäufer unternimmt alles, damit der Abnehmer seiner Ware weiterhin an der Nadel hängt. Droht die Versorgung an einer Stelle zu unterbrechen, erfasst die Beteiligten Panik."(...)
(...)"Am heutigen Montag kletterte der Preis für ein Barrel WTI-Öl auf über 136 Dollar. Die Hoffnung auf niedrigere Energiepreise nach dem Krisen-Gipfel in Dschidda ist damit zerstreut. Zwar hatten sich die Golf-Staaten auf dem Öl-Gipfel am Wochenende bereit erklärt, mehr Öl zu fördern. Konkrete Schritte zur unmittelbaren Senkung wurden aber nicht vereinbart.(...)
Die deutsche Wirtschaft ist trotz der hohen Energiepreise noch zuversichtlich: BDI-Präsident Jürgen Thumann rechnet in diesem Jahr nach wie vor mit einem stetigen Konjunkturwachstum, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI) am heutigen Montag."(...)
(...)"Die meisten Politiker glauben, dass wir Probleme haben, die wir lösen können, und dabei gleichzeitig den Lebensstil der westlichen Welt aufrechterhalten. Das ist reines Wunschdenken."(...)
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - aber ich bekomme beim wort wachstum mittlerweile spontane reaktionen von ver- und überdruß - "wachstum, wachstum über alles", rief die krebszelle triumphierend, bevor der organismus endgültig kollabierte. in genau der gleichen und leider auch zu erwartenden, logik bewegen sich die dem bekannten pfeifen-im-walde immer ähnlicher werdenden verlautbarungen der politischen & ökonomischen "eliten", wenn es um das thema öl geht. der ausgang des öffentlich zumindest z.t. als eine art "wendepunkt" dargestellten "öl-gipfels" in saudi-arabien - übrigens nebenbei gesagt eines der übelsten religiös-fundamentalistischen regimes des planeten, was den gesamten "demokratischen westen" nicht daran hindert, devote freundlichkeit zu simulieren - stellt ein wahres und kaum verstandenes menetekel dar.
wie im einleitenden ersten kommentar schon gesagt: ergebnisse gab es erwartungsgemäß keine, stattdessen ein erbärmliches allseitiges herumgedruckse um die schlichte tatsache, dass sich die zeit des billigen öls unwiederuflich ihrem ende zuneigt. die als "entlastung" beschworene erhöhung der saudischen förderung war bereits seit längerer zeit sowieso beschlossen, und verpuffte entsprechend in ihrer gedachten wirkung völlig. ansonsten trifft bezgl. der ölfördenden länder und ihrer abnehmer tatsächlich der abschließende vergleich im genannten kommentar am besten zu: dealer und user in gestalt der jeweiligen "eliten" haben weder das interesse noch die fähigkeiten, sich selbst von einem zustand zu verabschieden, der ihnen beiden momentan (noch) den erhalt von macht & profit garantiert.
und wer sich sich bei den ersten beiträgen zum thema schon gefragt hatte, warum ich das in einem blog, welches sich primär mit verschiedenen psychophysischen störungen und ihren gesellschaftlichen auswirkungen beschäftigt, überhaupt aufgreife: im letzten satz oben liegt der grund.
in kürze und sehr grob: davon ausgehend, das die sog. westliche zivilisation (nicht nur sie, aber sie dominiert den planeten) in ihrer basis auf eine jahrtausende alte praxis (zwischen-)menschlicher gewaltausübung mit all den inzwischen bekannten folgen gründet, und sich ebenfalls durch eine alltägliche praxis der bereitstellung von materiellen dingen zur kompensation der benannten folgen vergangener und aktueller gewalt bei ihren untertanen eine historisch bisher unerreichte legitimation erkaufte (eine konsumgesellschaft unseres bisherigen kalibers braucht für ihre existenz primär außen- oder besser dinggeleitete menschen, die in ihrem sein so angegriffen sind, dass die orientierung nicht auf dem eigenen inneren und äußeren authentischen sein liegt, sondern auf ständiger betäubung, ablenkung und identitätskonstruktion durch objektivistische kriterien wie besitz (mehr haben) und hierarchien (macht geliehen bekommen, um sich selbst größer - und sicherer - zu fühlen). wie diese prozesse speziell bezgl. des konsums funktionieren, und was sie für konsequenzen tätigen, hateduardo galeanoin sehr poetischer form vor einiger zeit beschrieben. die durchsetzung des kapitalismus als globale ökonomische form des wirtschaftens ist ohne die aus der bisherigen menschlichen historie folgenden bevorzugt verbreiteten psychophysischen strukturen bei den diese ökonomische form tragenden, tolerierenden und teils bejahenden menschen nicht zu begreifen -übrigens meiner meinung nach das größte manko bei jeder kapitalismuskritik, die sich auf den - zwangsweise - für diesen umstand recht blinden marx bezieht, so zutreffend sie in der funktionsanalyse des abstrakten systems kapitalismus auch sonst sein mag. die vernachlässigung der funktionsgesetze, denen wir als spezies bzw. "unsere" körper kollektiv & individuell unterliegen, und in derem rahmen bspw. auch das spektrum der möglichen reaktionen auf erlebte gewalt bestimmt wird (ohne deren kenntnisse die wesentlichen gesellschaftlichen prozesse bis heute nicht zu verstehen sind), dürfte mit der allererste grund dafür sein, dass bislang keinerlei realistische vision einer anderen und besseren welt von links vorliegt - und experimente wie der "reale sozialismus" übel gescheitert sind.
zurück zum eigentlichen thema: den status der endlichen ressource öl halte ich vor dem obigen hintergrund deswegen für so relevant, weil ohne öl faktisch die industrielle "zivilisation", wie wir sie heute kennen, nicht möglich ist. und wenn dieser schmierstoff der globalen maschinerie zunehmend knapper und teurer wird, muss es zu extremen verwerfungen in allen gesellschaften kommen, die sich dem westlichen "modell" der verdinglichten und konsumorientierten existenz unterworfen haben. die bisherigen öffentlichen reaktionen lassen leider ein düsteres bild bezgl. des umgangs mit den erwähnten verwerfungen entstehen - wie ich es in einem der früheren beiträge schon skizziert hatte, sind bisher hauptsächlich verdrängungsreaktionen verschiedenen ausmaßes zu beobachten:
- einmal die platte variante, deren vertreter sich völlig faktenresistent darauf zurückziehen, dass das öl "noch für jahrhunderte" reichen werde. neben der unzutreffenden behauptung an sich ist vor allem die bereitschaft und der wille bemerkenswert, das öl- bzw. industrielle zeitalter mit all seinen destruktiven implikationen so lange zu verlängern wie möglich - ohne rücksicht auf ökologische & soziale folgen aktuell und in kommenden zeiten. diese - hm, mentalität lässt sich mit guten gründen inzwischen als suizidal bezeichnen.
- öffentlich findet sich aber immer öfter auch das zugeständnis, dass es da vielleicht ein grundsätzliches problem mit der verfügbarkeit des öls geben könnte, aber das sich die folgen - und zwar ohne merkbare konsequenzen für die westliche art des lebens, das ist wichtig! - mittels "technischer innovationen" schnell in den griff bekommen lassen "der fortschritt wird´s schon richten". strukturell ist das zwar eine kompliziertere form der verdrängung, nichtsdestotrotz bleibt sie letzteres. der wille & wunsch zum "einfach so wie bisher weitermachen" wird ergänzt durch den quasireligiösen glauben an die allmächtige macht der technologie, die den fortbestand der kompensationsmaschine sichern soll. irgendwelche grenzen werden auch in dieser variante weder wahrgenommen, geschweige denn akzeptiert.
und unter diesen umständen werden die pessimistischen befürchtungen von dennis meadows als diejenigen erkennbar, denen bis dato der größte realismus zugesprochen werden muss.
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ich habe die letzte zeit darauf verzichtet, hier regelmässige updates zu peak oil zu bringen - die fülle an nachrichten und stellungsnahmen macht das zu einem nicht zu leistenden unterfangen. dazu wäre auch der aspekt zu bedenken, dass sich die diversen aktuellen krisen - öl, lebensmittel, finanz - nur als verzahnte begreifen lassen und sich gegenseitig vielfältig beeinflussen und hochschaukeln. die dynamik dieser prozesse ist inzwischen eine solche, dass es auch bei einer grundsätzlich größeren bewußtheit und bereitschaft zum qualitativen wandel unserer lebensweise schwer vorstellbar erscheint, wie dieser wandel ohne größere destruktive konsequenzen ablaufen könnte. in der jetzigen situation jedoch, mit einer solchen "elite" und mehrheitlich solchen untertanen, die in großem maße dazu unfähig und -willig erscheinen, sich auf andere lebensentwürfe einzulassen - was wie gesagt aus den vorherrschenden psychophysischen dispositionen erklärbar ist - , kann peak oil nur als real werdende dystopie vorstellbar sein.
und das bringt mich dazu, zu sagen: ich habe angst.
eine ganz neue erfahrung mussten dieser tage viele europäische medien verarbeiten: nachdem die neue "rückführungsrichtlinie" im eu-parlament zur effizienteren abschiebung von flüchtlingen und migranten aus europa angenommen worden war, kamen aus venezuelatöne, die den seit jahrhunderten dominanten europäischen "eliten" und ihren medien einen spiegel vorhielten, was ihre eigene - als "normal" und üblich - betrachtete praxis der beliebigen, notfalls auch militärischen, einmischung und direktivenvergabe in allen planetaren regionen betrifft:
(...)""Wir können uns dies nicht mit verschränkten Armen ansehen. Die Annahme der sogenannten Rückführungsrichtlinie ist empörend und deshalb lehnen wir sie ab", erklärte Chavéz bei einem Treffen mit dem neuen Präsidenten Paraguays, Fernando Lugo.(...)
Er äußerte die Hoffnung, dass sich "alle unsere Länder gegen diesen Entschluss aussprechen, für die Würde unserer Völker". Chávez kritisierte, dass in Europa inzwischen die Rechte und die Ultrarechte den Ton angeben. Die Länder, welche diese Richtlinie umsetzen, solle das Öl aus Venezuela nicht mehr erreichen, weitete er seine Drohungen aus, die er bisher gegen den US-Konzern Exxon ausgesprochen hatte. "Mit der Anwendung der Rückführungsrichtlinie wird gegen die Menschenrechte verstoßen", fügte er an. Zudem warnte er davor, dass es auch zu einer "Rückkehr der europäischen Investitionen" in die Länder kommen könne, welche die Maßnahmen umsetzten."(...)
die bisherigen reaktionenauf diese "unbotmäßige einmischung" in die repressive eu-politik "ausgerechnet" aus der sog. "dritten welt" sprechen bände - und verdecken leider auch einerseits, dass chavez mit seiner - sehr berechtigten - meinung über den charakter der eu-"flüchtlingspolitik" nicht alleine da steht, machen andererseits aber auch deutlich, dass die drohung mit dem entzug des schmierstoffes öl durchaus die hiesigen "eliten" zu beeindrucken vermag - gerade vor dem hintergrund der jüngsten entwicklungen rund ums öl.
eine sehr lesenwerte kritik an der eu-abschiebepolitik hat im vorfeld der parlamentarischen verabschiedung jedoch auch der bolivianische präsident evo morales ayma als offenen brief veröffentlicht, der im folgenden auszugsweisedokumentiertwird:
(...)"Heute ist die Europäische Union das Hauptziel der Migranten der Welt. Der Grund ist der gute Ruf der Europäischen Union als Region von Prosperität und öffentlichen Freiheiten. Die Migranten kommen mehrheitlich in die EU, um zu dieser Prosperität beizutragen, nicht um sich ihrer zu bedienen. Sie wirken bei öffentlichen Arbeiten mit, in der Baubranche, im Bereich der Dienstleistungen und in Krankenhäusern. Sie übernehmen meist Tätigkeiten, die Europäer nicht ausüben können oder wollen. Sie tragen zur demographischen Dynamik des europäischen Kontinents bei, zur Aufrechterhaltung des notwendigen Verhältnisses zwischen aktiven und passiven Arbeitskräften, das seine großzügigen sozialen Systeme möglich macht. Sie geben dem Binnenmarkt neue Impulse und stützen den sozialen Zusammenhalt. Die Migranten bieten eine Lösung für die demographischen und finanziellen Probleme der EU.
Uns wiederum bieten die Migranten eine Hilfe zur Entwicklung, die uns die Europäer verweigern – da nur wenige Länder tatsächlich das Minimalziel von 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe aufwenden. Lateinamerika erhielt im Jahr 2006 indes 68 Milliarden US-Dollar Geldüberweisungen von Migranten. Das ist mehr das Doppelte der ausländischen Investitionen in unseren Ländern.
Weltweit erreichen diese Überweisungen von Migranten an ihre Familien 300 Milliarden US-Dollar. Dieser Betrag übersteigt die 104 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe bei weitem. In meinem eigenen Land, Bolivien, entsprechen die Überweisungen mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes, rund 1,1 Milliarden US-Dollar und dem Wert eines Drittels unserer jährlichen Gasexporte.
Die Wirtschaftskraft der Migranten ist trotzdem vor allem für die Europäer von Vorteil und nur marginal für uns in der Dritten Welt. Wir verlieren Millionen unserer qualifizierten Arbeitskräfte, in die unsere Staaten, obwohl sie arm sind, unzählige Ressourcen investiert haben.
Leider verschlimmert die Abschieberichtlinie der EU diese Situation in erschreckender Weise. Auch wenn wir davon ausgehen, daß jeder Staat oder jede Staatengruppe die eigene Migrationspolitik in voller Souveränität definieren kann, können wir nicht akzeptieren, daß unseren Mitbürgern und lateinamerikanischen Brüdern die Grundrechte verweigert werden. Denn die EU-Abschieberichtlinie sieht die Möglichkeit der Einkerkerung der Migranten ohne Papiere bis zu 18 Monate vor. Danach folgt die Ausweisung oder ihre »Entfernung«, wie der exakte Terminus der Direktive lautet. 18 Monate! Ohne Urteil und Gerechtigkeit! Der vorliegende Entwurf der Richtlinie verletzt damit eindeutig die Artikel 2, 3, 5, 6, 7, 8 und 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Darin heißt es unter anderem: »Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen«. Und weiter: »Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.«
Und was das Schlimmste ist: Es wird die Möglichkeit geschaffen, Mütter und Minderjährige, ohne ihre familiäre oder schulische Situation zu berücksichtigen, in Internierungszentren einzusperren. Die Folge sind Depressionen, Hungerstreiks und Selbstmorde. Wie können wir tatenlos akzeptieren, daß Mitbürger und lateinamerikanische Brüder ohne Papiere in Lagern eingepfercht werden? Und das, obwohl sie mehrheitlich seit Jahren dort gearbeitet haben und integriert sind. Auf welcher Seite besteht heute die Pflicht zu humanitärer Einmischung? Was ist mit der »Bewegungsfreiheit«, mit dem Schutz gegen willkürliche Haft?"(...)
den ganzen brief finde ich auch mit seinen historischen bezügen sehr treffend, gelungen und absolut verbreitungswürdig - eine aufgabe, die in diesem falle wiedermal primär das netz übernehmen muss, denn auf den ersten seiten unserer medien sind diese worte. obwohl sie da eigentlich hingehören würden, natürlich nicht zu finden.
ich hätte mir ja denken können, dass der eher spontan entstandene letzte beitragtrauma und musikbei mir selbst einiges in erinnerung gerufen hat rufen wird. ich höre musik sehr stimmungsabhängig, und meine vorlieben für funk, jazz, und die meisten sparten elektronischer musik haben sowohl etwas mit rhytmus zu tun als auch mit den jeweils assoziierten inneren bildern, besonders bei den beiden letzteren stilen. und um solche inneren bilder durchaus unheilvoller art soll es jetzt gehen.
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die bemerkungen im letzten beitrag zu gewissen musikalischen entwicklungen nach den letzten beiden weltkriegen wurden für mich zwischenzeitlich vor dem gedanken als hintergrund immer plausibler, dass sich auch aktuelle musik durchaus selbst als wiederspiegelung aktueller gesellschaftlicher entwicklungen begreifen kann bzw. sogar unter umständen ohne bezug auf diese nicht vollständig begreifen lässt. das mag sich als platitüde lesen, es macht jedoch wie ich finde einen gewaltigen unterschied, ob sich die jeweiligen protagonistInnen über diesen zusammenhang selbst klar sind oder nicht. dann steigen nämlich die chancen dafür - wie bei allen künstlerischen aktivitäten überhaupt -, dass sich auch beim jeweiligen publikum wahrnehmungsprozesse ereignen können, die das potenzial haben, die allgegenwärtigesoziale trancezumindest partiell bewußt zu machen oder gar zeitweise außer kraft zu setzen. und drei musikalische beispiele, die für mich dieses potenzial besitzen, möchte ich im folgenden genauer vorstellen. das es sich dabei allesamt um spielarten elektronisch erzeugter musik handelt, ist für mich absolut kein zufall, ist diese doch bis dato als einzigste in der lage, die komplexe rund um maschinen & virtualität, die schon länger die aktuellen gesellschaftlichen (alp-)träume prägen und beflügeln, akustisch angemessen zu bebildern. was für mich persönlich auch den grund dafür darstellt, dass ich mit gitarrenlastiger musik wie punk - der ja im allgemeinsten sinne als ausdruck von wut & gewalttätigkeit zumindest in der vergangenheit angesehen wurde - nicht viel anfangen kann. solche musik kann schlicht die heutigen entwicklungen der hi-tek-kriege, genmanipulation und mensch-maschinen-phantasien nicht adäquat genug beschreiben.
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als erstes wäre da der dj & produzentcarl craig, der als einer der begründer des detroit-techno gelten kann - eine musik, die typischerweise gleichzeitig i.d.r. basslastig und melancholisch daherkommt und vielen als "klassischer" techno gilt. ebenso begreifen viele diese musik als nicht unabhängig vom ursprungsort verständlich - detroit, einst die us-amerikanische autostadt, ist vom niedergang dieser industrie genauso tiefgreifend gezeichnet zu einem symbol des zusammenbruches alter industrieller strukturen geworden, wie sie einst in ihren blütezeiten (durchaus zweifelhafte) entwicklungen wie das fließband hervorbrachte.
und diese aspekte spielen für leute wie craig bei ihrem schaffen durchaus nicht nur eine nebenrolle, wie er jüngst in eineminterviewnochmal deutlich machte:
(...)"Zum einen vermittelt sich seine Persönlichkeit nicht durch Mysterium, Militanz oder afro-futuristische Erlösungsutopien. Er präsentiert sich mit einer vernünftigen Portion Selbstbewusstsein als Techno-Star und Allround-Musiker.
Zum anderen hält er sich angesichts der Geschichte und des Stadtbilds Detroits nicht lange mit Glorifizierungen auf, sondern geht lieber auf soziale und ökonomische Bedingungen ein, die diesen Ort genau so haben werden lassen.(...)
Die Ruinen der Stadt sind für Craig Mahnmale, etwa eine verlassene Fabrik in der Nähe seines Büros, bei der keine Fensterscheibe mehr heil ist.
"Ich sehe dieses Gebäude jeden Tag. Es stellt für mich die Geschichte von Detroit dar, die Geschichte eines Ortes, der eine blühende Industriestadt war und jetzt eben nicht mehr ist. Solche Ruinen sind Monolithen, aber sie sagen mir in geschichtlicher Hinsicht das Gleiche wie die Trümmer in Rom oder Griechenland: Es geht um das Erinnern einer gewesenen Kultur. Diese Fabrik erzählt von einstiger Größe - und sie ist das Gerippe, das davon übrig blieb."(...)
"Es gibt keine andere Stadt auf der Welt, die wie Detroit ist. Henry Ford hat hier das Fließband erfunden, und dieses Konzept hat Berry Gordy darin beeinflusst, wie er Motown führte. Gordy wollte ohne Unterlass Musik produzieren und sie konstant veröffentlichen, einfach, um immer genug Angebot für die Nachfrage zu haben. Als die Autoproduktion aber zunehmend auf Roboter umstieg, hat das Juan Atkins beeinflusst. Beide waren also im Grunde inspiriert von diesem Ford'schen System. Ich glaube, an einem anderen Ort als Detroit hätte so etwas gar nicht entstehen können: diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen."(...)
ich empfehle, sich dazu unbedingt auch die zugehörigefotostreckezu betrachten.
und der letzte satz von craig oben enthält für mich etwas zentrales: "...diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen." - die idee, industrielle produktionsweisen, die auf die ihnen ausgelieferten menschen (de-)formierend und normierend wirken, in ihrem akustischen ausdruck - das repetitiv-maschinenhafte, was viele beim techno (begründet) so monoton und langweilig, eben wie fließbandarbeit, empfinden -, zu packen, diesen ausdruck zu bearbeiten und gefüllt mit die menschliche emotionalität & körperlichkeit ansprechenden und triggernden tönen zu etwas qualitativ neuem, produktiven zu machen. produktiv in der hinsicht, dass die vormalige mit den zugrundliegenden tönen assoziierte kalte destruktivität zu einem tanzbaren und teils hoch emotionalen geladenen positiven seinszustand verwandelt wird. hören Sie nur einmal einen klassiker von carl craig, "at les":
ich kann mir nicht helfen - ich höre da trauer, unbeeindruckt laufende maschinen, und eine zunehmend unheilvoller und ausweglos werdende atmosphäre - und ich habe das lange vor dem zeitpunkt genauso gehört, an dem ich das erste mal mehr von den hintergründen des detroit-technos erfahren habe. gleichzeitig merke ich den impuls, mich bewegen zu wollen - die transformation des maschinenhaften in menschliche aktion. für mich ein beispiel dafür, wie künstlerische produktionen mit destruktiven gesellschaftlichen realitäten umgehen können.
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wenn Sie ansonsten keinerlei erfahrungen mit elektronischen musiken besitzen und das gerade gehörte vielleicht noch relativ soft empfunden haben, muss ich Sie vorwarnen - die nächsten beiden besprochenen projekte (das trifft es besser als "bands") sind ein etwas anderes kaliber und entziehen sich bis heute eigentlich jeder musikalischen zuordnung, auch wenn sie beide unter dem begriff "industrial" geführt werden, der aber die intentionen der akteure nur sehr ungenau trifft.
als erstes wären da die mir zuerst anfang der 1980er aufgefallenenthrobbing gristle, die unter einem ganz eigenen ansatz arbeiteten:
"Wir sind interessiert an Information, wir sind nicht interessiert an Musik als solcher. Und wir glauben, dass das zentrale Feld der Auseinandersetzung, wenn es ein solches unter Menschen gibt, die Information ist."
um die von ihnen als wichtig erachteten informationen unter die leute zu bringen, war nicht nur ein anderes verständnis von musik, sondern auch neue technische entwicklungen vonnöten:
(...)"Throbbing Gristle nutzten (...) Techniken der musikalischen Avantgarde wie Bandschleifen und extreme Verzerrung; arbeiteten mit elektronischen Geräten (u.a. selbst konstruierten Synthesizern) und erfanden neue Effektgeräte hinzu, die quasi als Vorläufer des Sampling funktionierten.
Sie arbeiteten mit Texten, die beispielsweise den Mord an Sharon Tate und die Grausamkeiten rhodesischer Guerilleros vor einem ruhigen elektronischen Hintergrund detailliert ineinanderwebten („Slug Bait - ICA“); eingespielte Sprachfetzen; die Geschichte eines Mörderpaares (Ian Brady und Myra Hindley), begleitet von monotonen Bassläufen; drastische Publikumsbeleidigungen („Maggot Death - Brighton“) und Soundtracks zu einem Film über eine Vasektomie („After Cease to Exist“). Gerne kokettierten Throbbing Gristle auch mit nationalisozialistischen Elementen, welche sie auch in Videotapes stilisierten. Sie bildeten Fotografien von Konzentrationslagern auf ihren Publikationen ab oder zeigten gebrauchte Zyklon-B-Dosen. Die Gruppe selbst trat später bevorzugt in Militäruniformen auf."(...)
das wort "kokettieren" in diesem zusammenhang finde ich unglücklich, zumal mir aus (print-)interviews mit tg noch in erinnerung ist, dass die erwähnten symboliken eine genau definierte funktion im gesamtkonzept des projektes besaßen. und ein track wie - das online leider anscheinend nicht vorhandene - "zyklon-b zombie", welches auf der vinylsingleversion in einer endlosrille endete, bei der die lagerglocke von auschwitz nicht mehr aufhören will zu klingen, kann nur bei psychophysisch gestörten leuten zu einer positiven empfindung im naziaffinen sinne führen. ich habe selten musik gehört, die derart bedrückend ist (mit einer ausnahme, die gleich folgt).
als repräsentativ darf durchaus das oben erwähnte "slug bait" gelten:
hier gibt es keinerlei positive auflösung mehr, hier werden eher unerträgliche und durchaus als traumatisch zu begreifende realitäten akustisch auf den punkt gebracht. was die zuhörerInnen dazu zwingt, sich entweder zu entziehen - was ein moment sein könnte, der aufklärendes nachdenken über die motivationen des eigenen nicht-ertragen-könnens/wollens befördern kann -, oder aber in der konfrontation mit den tönen das eigene unbehagen konkreter zu erfassen und seine gründen nachzugehen. in beiden fällen wäre die informationsvermittlung im sinne tg´s durchaus als geglückt anzusehen. btw: mir ist schon klar, dass über alles hier vorgestellte noch eine menge mehr und anderes gesagt werden kann bzw. schon ist - aber mir geht es hier primär um den aspekt in der überschrift des beitrages.
*
und im sinne der überschrift kommt für mich bis heute das australische projektSPK, mir bekannt aus der gleichen zeit wie tg, dem hörbar gewordenen trauma am nächsten. was vielleicht auch ein gutes stück mit dem biographischen background der frühen mitglieder zu tun hat:
(...)"Die Band wurde 1978 in Sydney von Graeme Revell, der als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, Neil Hill, einem Patienten dieser Anstalt, und Sinan, der späteren Frau Graeme Revells, gegründet."(...)
auf der frühen lp "leichenschrei" ist das folgende stück enthalten, welches mir vermutlich viele worte sparen hilft - habe ich oben bei tg von bedrückend geschrieben, so ist "agony of plasma" im geeigneten moment imstande, regelrechte panikgefühle zu erzeugen - und derart einen eindruck zu geben von dem spektrum des menschlichen empfindens, von dem zu viele lieber nichts wissen wollen - ohne zu ahnen, das dieses anliegen mit seiner impliziten ignoranz menschlichen leidens gegenüber sie selbst dem unerwünschten immer näher bringt. hören Sie´s besser nicht, wenn Sie gerade in einem labilen zustand sein sollten:
nachdem ich spk vor jahren das letzte mal gehört habe, muss ich jetzt sagen: das ist vielleicht der angemessenste musikalische kommentar zu unseren heutigen zeiten, der denkbar ist.
zwei artikel, die sich mit ein paar mich etwas überraschenden fragen rund um den komplex der überschrift beschäftigen, fand ich auf den seiten desdachau-institutes, dessen veröffentlichungen ich sowieso allen leserInnen hier nahelegen möchte. zum einen wäre da einearbeit, die sich mit dem möglichen zusammenhang von kriegstraumata & avantgardistischer musik beschäftigt:
(...)"Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß sich die Beschreibung der Symptome schwer traumatisierter Menschen ( besonders Kriegs- und Kampftraumata ) der von avantgardistischer Musik nach 1950 auffällig ähnelt: emotionale Erstarrung, Dissoziation des Ichs und Verlust des Zeithorizonts.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg zeigt die Musik eine Distanziertheit, oft auch Emotionslosigkeit ( Strawinsky und der Neoklassizismus ) und ein Bedürfnis nach Ordnung ( Schönbergs Zwölftontechnik, bei gleichzeitigem Verlust des tonalen Bezuges ), Phänomene, die mit den Traumata der Krieges zusammenhängen könnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg treten diese Phänomene in der "Seriellen Musik" mit ihrer gesteigerten Konstruktivität noch intensiver auf. Nach dem Ersten Weltkrieg die Zwölftontechnik, nach dem Zweiten der Serialismus - bemerkenswert, daß ein naheliegender Zusammenhang nie thematisiert wurde, auch nicht von Adorno. Statt dessen macht der Begriff des "musikalischen Materials" unkenntlich, in welcher Weise diese Techniken Ausdruck einer traumatisierten Gesellschaft sind."(...)
ich finde das einen sehr interessanten gedanken, weiß jedoch über die angesprochene musik schlicht zu wenig, um das beurteilen zu können. vielleicht mag sich jemand dazu äußern, der/die mehr musikalische kenntnisse besitzt?
zum anderen wäre da einberichteiner betroffenen über die re-aktivierung erlebter kriegstraumata durch basslastige musik - und wenn Sie sich bisher die möglichen folgen von traumata nicht oder nur unvollständig vorstellen konnten, lesen Sie´s. und lernen einiges über trigger:
(...)"Ich war im August 1942 unweit meiner jetzigen Wohnung geboren worden. Mit dem Beginn der Luftschlacht um Berlin im August 1943 trafen Bomben mein ehemaliges Wohnhaus am Bahnhof, dem eigentlichen Ziel, - und damit mich. Diese und folgende Katastrophen kündigten sich durch die nahenden Fliegerverbände und ihre Luftvibrationen an. Der Luftschlacht – Amerikaner flogen tagsüber, Briten nachts - war ich als Säugling zwei Jahre lang hilflos ausgeliefert. Dröhnen, Jaulen, Vibrationen, Beben, Detonationen, Erschütterungen, Luftturbulenzen, Schreien traumatisierten meinen Organismus umso mehr, als mein Bewusstsein noch keine neuronale „Abwehr“, keine „Filter“, kein „Verstehen“ entwickelt hatte. Meine Neuronen haltbare „Panik-Verbindungen“.
Im Laufe von dreißig Jahren befriedete (linderte) ich unbewusst den Kriegsschaden, indem ich alles mied, was meinen Organismus in Aufruhr versetzen könnte. Kein Rock’n Roll, keine Großveranstaltungen, keinen Stress, keine Lautstärken. Wenn es mir irgendwo zu laut wurde, betäubte ich meine Sinne mit Alkohol: Dröhnung gegen Dröhnen. 1973, während des Oktoberkrieges auf dem Sinai, setzte ich mich sogar dem Geräusch der Tiefflieger aus. Als angenehm empfand ich das Geräusch nicht, aber ich hielt es aus. Vierzig Jahre lang lebte ich gesellig, gut und gern. Ich war musikalisch, rhythmusbegabt und hatte ein absolutes Gehör. Ich tanzte viel, um die alten, unbewussten Fluchtreflexe abzureagieren. Heute ist mir durch die exzessive Verstärkung der Musikbässe das Tanzen als lebenswichtiges Ventil verwehrt. Heute soll der Sound mehr gefühlt als gehört werden.
Während der lebensbedrohenden Krebserkrankung brach durch jene zusätzliche Bedrohung, das unerträgliche Dröhnen verstärkter Musikbässe, dem ich in meiner Wohnung Tag und Nacht hilflos ausgeliefert war, jeglicher Schutzwall zusammen. Mein Organismus unterschied nicht zwischen gestern und heute. Er erinnerte sich unwillkürlich. Er erkannte in den Schallwellen Vibrationen, Beben, Luftturbulenzen wieder, die ihm im Krieg den „Weltuntergang“ angekündigt hatten. Als diese Erscheinungen in einem modernen Kostüm auftraten, reagierte mein Organismus so unmittelbar wie damals der des Säuglings."(...)
klingt zumindest für mich spontan einleuchtend, und erinnert mich auch an einen text von klaus theweleit über jimi hendrix, bei dem es u.a. um die fähigkeit von schallwellen ging, verschiedenste körperzustände zu triggern und zu verändern - im positiven sinne allerdings.
*
in eigener sache noch: derindexist mal wieder aktualisiert.
so, da die paranoia in vielen der letzten beiträge hier und den alltäglichen schnüffelnews aus staat und wirtschaft ständig präsent ist, nehme ich das zum anlaß, diesen lange in der warteschleife hängenden beitrag jetzt einfach fertigzustellen. und dabei werde ich versuchen, den neulichhiergeäusserten vorsatz auch entsprechend umzusetzen:
"...wo u.a. auch deutlich werden soll, dass die paranoia zwangsweise eine getreue begleiterin all derjenigen ist, die ihr als-ob-leben ganz oder teilweise im objektivistischen modus fristen (müssen)."
also, treten wir ein in die (virtuellen) welten der angst und des misstrauens.
siegel beschreibt darin wirklich drastische fälle aus seiner gutachterlichen praxis, die sich hauptsächlich, aber nicht nur, um kokaininduzierte paranoide zustände drehen. was dabei so besonders ist: er versucht als gutachter in einer recht unorthodoxen art & weise, sich in die erlebniswelten seiner "klienten" so weit wie möglich hineinzuversetzen, d.h. er konstruiert sich so weitgehend realitätsgetreu wie möglich simulationen derjenigen umstände und situationen, von denen die betroffenen als bedeutungsvoll berichten und in denen sie in ihre offen paranoiden phasen eingetreten sind. seine teils sarkastische sprache und seine dialoge mit einem befreundeten - und sehr orthodox ausgerichteten - psychoanalytiker über verschiedene fälle machen das buch sehr lesenswert, ebenso die blinden flecke, die in seiner wahrnehmung und auch der des freundes deutlich werden - vom womöglich neuen blick auf das "hippe" kokain und seine folgen bei chronischem gebrauch nicht zu reden.
zunächst aber die erwähnte einführung:
(...)"Im Lexikon werden Sie Paranoia nicht finden. Das Wort ist wohl da, nicht aber das Gefühl. Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und bezeichnete ursprünglich einen gequälten Geist. Aber gequält wovon? Die Definition sagt: von der Einbildung, daß man von jemandem verfolgt wird. Doch wenn du unter Paranoia leidest (also paranoid oder ein Paranoiker bist), dann weißt du, daß all das keineswegs nur Einbildung ist. Die Leute verfolgen und quälen dich wirklich. Wer sind diese Leute? Warum verfolgen sie dich? Was wollen sie von dir? Das Lexikon bietet hier nur wenige Hinweise.
Du bist das Ziel einer weitverzweigten Verschwörung geworden, die wie ein unsichtbares Netz den ganzen Erdball umspannt. Sie steckt in Telefondrähten und Zeitungen, womöglich auch in Lexika. Sie quillt aus Radios und Fernsehgeräten. Sie schleicht sich ein in die Herzen und Köpfe deiner Verwandten und Freunde. Sie greift nach dir. Es kann viele Gründe geben, weshalb man gerade dich ausgewählt hat. Die Leute beneiden dich. Schließlich bist du klüger und besser als die anderen. Sie sind hinter deinem Wissen her, hinter deinem Job, vielleicht auch hinter deinem Ehegatten. Das Lexikon sagt, viele Paranoiker empfänden sich als grandios und allmächtig, aber das Lexikon hat keine Ahnung. Du besitzt tatsächlich außergewöhnliche Fähigkeiten als Wissenschaftler, Erfinder, Liebhaber oder Prophet.
Deshalb bist du ja so anziehend, so anregend, so beneidenswert. Es gibt nichts im Leben, das du nicht erreichen könntest. Du ziehst die Aufmerksamkeit der Präsidentengattin auf dich. Sie verliebt sich in dich. Natürlich kann sie dir unmöglich eine offene Liebeserklärung machen, aber sie zeigt dir heimlich ihre Liebe indirekt auf vielerlei Weise. Ihr Mann erfährt von ihren heimlichen Gefühlen und geht zum Angriff über. Er schickt dir das FBI, den Geheimdienst und schließlich die Mafia auf den Hals. Du wehrst dich mit Strafanzeigen gegen die Regierung und die Telefongesellschaft.
Dein Chef beschwert sich, du seist in deiner Arbeit nicht mehr bei der Sache. Du kündigst und verklagst ihn. Er hat dich nie anständig behandelt, jetzt soll er dafür bezahlen. Fragt dich deine Frau, ob etwas nicht in Ordnung ist, reichst du die Scheidung ein. Der Hund und die Katze sehen dich immer merkwürdiger an. Du kannst ihnen nicht mehr vertrauen. Zu Hause bist du nicht mehr sicher, also ziehst du aus. Du übernachtest in Motels, jede Nacht in einem anderen, damit deine Feinde die Spur verlieren. Du verkriechst dich unter einer Decke, die du mit Stanniolpapier überziehst, um dich vor den sterilisierenden Strahlen zu schützen, mit denen sie dir auf den Leib rücken. Und du wartest. Du hast Zeit, über das ganze Geschehen der Vergangenheit nachzudenken und nach geheimen Bedeutungen zu suchen, die dicht unter der Oberfläche verborgen liegen.
Plötzlich ist alles klar. Du siehst förmlich, wie das Netz sich langsam um dich zuzieht. Und du hörst die Stimmen, die sich gegen dich verschwören. Deine Haut reagiert mit Ausschlägen, dort, wo die Strahlen sie getroffen haben. Schwächere Naturen wären längst vor Angst gestorben. Aber du bist stark. Du weißt, wer deine Feinde sind und wo sie wohnen. Es ist Zeit, zu handeln.
Paranoide Episoden wie die oben geschilderte zeigen gewöhnlich eine schrittweise Entwicklung vom leisen Verdacht und Mißtrauen bis hin zu
massiven Wahnvorstellungen und voll ausgebildeten Halluzrnationen. Am Anfang mag nur das vage Gefühl stehen, daß die normale Welt ein wenig
von ihrer Normalität verloren hat. Langsam und kaum merklich schleicht sich ein Verdacht ein. Halluzinierte Bilder und Geräusche bestätigen diesen Verdacht. Gewöhnlich entwickelt sich dieser Zustand über Monate oder Jahre hinweg. Unter dem Einfluß bestimmter Drogen wie Kokain oder Metamphetamin kann sich der Verlauf auf wenige Stunden verkürzen. Doch ob mit oder ohne Drogen, die Paranoia ist dieselbe.
Wirklich erschreckend ist der Gedanke, daß wir alle die Wurzeln der Paranoia in uns tragen; und dieser Gedanke ist in der Tat geeignet, uns alle in einen vollentwickelten paranoiden Zustand zu versetzen. Der »paranoide Zug«, von dem der Philosoph Arthur Koestler spricht, ist untilgbarer Teil der menschlichen Natur Es wird wohl schon ein jeder einmal das beängstigende Gefühl gehabt haben, da draußen sei etwas, das auf ihn warte und es auf ihn abgesehen habe. Dunkelheit und Einsamkeit begünstigen das Aufkommen dieses Gefühls. Viele haben solche Erlebnisse, wenn sie nachts allein im Haus sind oder im Dunkeln eine unbekannte Straße entlanggehen. Andere mögen gelegentlich das unbestimmte Gefühl haben, ihr Lebensweg werde von Neidern bedroht, die sie beim Namen nennen können oder aber gar nicht kennen. Das Wesen, das wir alle fürchten, der Dämon Paranoia, ist nicht »da draußen«; er lauert im Dunkel unseres eigenen Gehirns.
Tief im Innern des Gehirns, unterhalb des »denkenden« Teils der Großhirnrinde, befinden sich eine Neuronengruppe und hormonproduzierende Strukturen, die wir das limbische System nennen: das neurophysiologische Versteck des Dämon Paranoia. Seit mehr als zweihundert Millionen Jahren begleitet es unsere Evolution. Dieses hufeisenförmige Areal wird gelegentlich auch das »Säugetiergehirn« genannt, weil es bei den Säugern am höchsten entwickelt ist. Ein Glück für uns, denn das limbische System ist maßgeblich an der Aufrechterhaltung wichtiger homöostatischer Prozesse wie der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt. Ohne das limbische System glichen wir den Kaltblütern, etwa den Reptilien, die einen Großteil ihrer Zeit darauf verwenden, zwischen Sonne und Schatten zu wechseln, um ihre Temperatur zu regulieren. Außerdem steuert das limbische System Reaktionen, die von großer Bedeutung für unser Uberleben sind, zum Beispiel die Schutzmechanismen des Kampfes oder der Flucht.
Ein wenig verkürzt könnte man das limbische System durch vier wichtige Überlebensfunktionen definieren: Fressen, Kampf, Flucht und Fortpflanzung. Die Schaltkreise im tiefer gelegenen Teil des limbischen Systems sind ständig damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. Die höher
gelegenen Teile haben etwas mit unseren Emotionen zu tun. Elektrische Erregung in den unteren Bereichen kann in den oberen Regionen Gefühle
auslösen. Spontan geschieht dies bei einem bestimmten Typus psychomotorisch-epileptischer Anfälle, die den Patienten ein unangenehmes Angstgefühl bereiten - ein rohes, primitives Gefühl, das tief aus dem Körper kommt. Vielleicht wird das limbische System deshalb gelegentlich auch das viszerale Gehirn genannt. Es fühlt. Wir können diese Gefühle nicht abschütteln. Dann übernehmen die »denkenden« Areale das Feld. Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich
verfolgt. Das Gehirn ist in die Fänge der Paranoia geraten.
Wenn der Dämon Paranoia Epileptiker befällt, verzerren sich ihre Züge vor Furcht und sie bewegen hastig und ausweichend Kopf und Augen.
Neurophysiologen haben Elektroden ins Gehirn solcher Patienten eingepflanzt und dabei festgestellt, daß in solchen Augenblicken starke elektrische Ströme das gesamte limbische System durchfluten. Dennoch gibt es keinen Beleg für die Annahme, neuropathologische Abnormitäten wie Epilepsie wären die Voraussetzung für paranoides Erleben. Tatsächlich können Neurologen mit elektrischer oder chemischer Stimulation solche Reaktionen auch bei normalen Personen auslösen. Die Forschung sagt uns etwas über die Hirnareale und die neurologischen Mechanismen der Paranoia. Und sie zeigt, daß wir alle dieselbe Grundausstattung geerbt haben. Der Dämon des limbischen Systems war schon unserer Begleiter, lange bevor wir zivilisierte Primaten wurden. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb das Gefühl Paranoia so uralt zu sein scheint. Es besaß enorme Bedeutung für unser Überleben. Als die ersten Menschen aus ihren Höhlen hervorkamen, lauerten allenthalben Gefahren auf sie. Unfälle, Krankheit und Gewalt führten bei den allermeisten zu einem frühen Tod. Die Paranoia wurde zu einem wichtigen Anpassungsmechanismus, der das Überleben sicherte. Und so wurde sie ein Teil von uns.
Hippokrates und andere griechische Ärzte hielten die Paranoia für eine Krankheit von derselben Art wie die Epilepsie. Als Paranoiker bezeichneten sie Menschen, die buchstäblich »daneben« oder nicht mehr bei Verstand waren. Noch heute halten die meisten Psychiater die Paranoia für eine Geisteskrankheit, auch wenn sie lieber von »Störungen« sprechen. Doch solche Charakterisierungen sind irreführend. Paranoid zu sein oder einen paranoiden Zug zu haben bedeutet nicht notwendigerweise, daß man krank ist und einer Behandlung bedarf. Ohne Zweifel gibt es hier ein Kontinuum, das von milden paranoiden Anwandlungen bis hin zu einem heftigen, psychotischen Bruch mit der Realität reicht. Es mag berechtigt sein, paranoide Psychotiker wie Hitler oder Stalin krank oder gestört zu nennen, doch für die vielen nichtpsychotischen Fälle, in denen der alltägliche Streß zu leichteren Formen paranoider Anwandlungen führt - also für die meisten von uns - wäre diese Kennzeichnung ungerecht. Immerhin gibt es wenigstens einen namhaften Vertreter der heutigen Psychiatrie, der mit Vorliebe sagt, Paranoia sei gelegentlich der beste Weg, mit dem Leben fertigzuwerden.
Das Wesen der Paranoia in all ihren Formen ist eine spezielle Denkweise. Und das wichtigste Merkmal paranoiden Denkens ist das Mißtrauen. Tatsächlich benutzen die meisten Menschen den Ausdruck paranoid zur Kennzeichnung eines übertrieben mißtrauischen Menschen. Doch das mißtrauische Denken eines Paranoikers ist mehr als normale Vorsicht oder bloßer Argwohn, wie das Wort paranoid sie impliziert. Die Dinge sind ihm buchstäblich suspekt, das heißt, sie nötigen ihn, hinter die Dinge zu schauen, unter der Oberfläche nachzusehen, alles einer genauen Prüfung zu unterziehen und nach Hinweisen zu suchen, die sein Mißtrauen und seinen Verdacht bestätigen. Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein.
Ein weiteres Merkmal paranoiden Denkens ist die Feindseligkeit. Der Paranoiker ist davon überzeugt, daß Teile seiner Umwelt finstere Absichten gegen ihn hegen. Und so entwickelt er ein defensives, auf ständige Abwehr programmiertes Verhältnis zur Welt. Sein Verhalten ist vielfach von Unwillen, Ärger und Feindseligkeit geprägt; dadurch provoziert er bei anderen jene Feindseligkeit, die nun ihrerseits seine ursprünglichen Befürchtungen bestätigt. In diesem Sinne ist der arme Paranoiker tatsächlich ein Verfolgter Aber es bleibt dabei, der wirkliche Feind ist der Dämon in ihm selbst. Mißtrauen und Feindseligkeit bereiten den Weg für eingebildete Wahrnehmungen. An diesem Punkt kann ein weiteres charakteristisches Merkmal paranoiden Denkens - die Projektion - ins Spiel kommen und dem Paranoiker Dinge vorgaukeln, die eines erstklassigen Zauberkünstlers würdig wären. Die Projektion ist ein unbewußter Abwehrmechanismus, durch den emotional unannehmbare Strebungen oder Spannungen abgewiesen und anderen zugeordnet (oder auf sie projiziert) werden. In der starren Ökonomie der reinen Überlebenstechniken ist dieses Vorgehen durchaus sinnvoll, denn vor einem bedrohlichen äußeren Feind kann man leichter fliehen als vor einem inneren. Die Projektion ist keineswegs immer anomal. Kinder greifen nach diesem Mittel, wenn sie sich in magische Phantasien flüchten, um mit der Welt fertigzuwerden. Und auch uns Erwachsenen ist sie nicht fremd, wenn wir andere für unsere Gefühle oder unser eigenes Versagen verantwortlich machen. Doch der Paranoiker geht einen Schritt weiter; er leugnet seine eigenen Gefühle und projiziert sie auf andere. So kann ein Paranoiker sagen: »Nicht ich hasse sie, vielmehr hassen sie mich und wollen mich zerstören.«(...)
(aus: siegel, ronald k. "der schatten in meinem kopf"; s.11 - 16; eichborn; frankfurt a.m. 1996; isbn 3-8218-1402-0)
soweit mir bekannt ist, wird die "reine" form der paranoia - also "für sich" stehend als paranoide persönlichkeitsstörung - als diagnose heute kaum vergeben; meist tritt sie als zusätzliches attribut, etwa bei der paranoiden schizophrenie, in erscheinung. wenn man sich aber mit den verschiedenen heutigen psychiatrischen diagnosen beschäftigt, wird deutlich, dass ihre wesentlichen zutaten - ängste, misstrauen, und vor allem die konstruktion entsprechend aussehender quasivirtueller welten - bei sehr vielen diagnostischen modellen implizit vorhanden sind. dann ist ebenfalls die erwähnte funktion des limbischen systems hinsichtlich flucht- und/oder kampfsituationen von bedeutung, gerade bezüglich (post-)traumatischer zustände. und am wichtigsten ist vielleicht die feststellung, dass es fließende übergänge zwischen real begründeten ängsten und paranoiden wahngebilden gibt - das ist eine situation, die für alle, die sich heute mit destruktiven gesellschaftlichen entwicklungen beschäftigen, sehr relevant ist - als beispiel sei hier nur der breite und bunte bereich diverser verschwörungstheorien genannt, bei dem sich mehr oder weniger große teile paranoiden denkens und fühlens ohne größere probleme finden lassen. gleichzeitig aber lässt sich ebenfalls hier auch der beleg für die oben erwähnte aussage finden, paranoia "sei bisweilen der beste weg, um mit dem leben fertig zu werden".der "gladio"-komplexbspw. enthält so ziemlich alle zutaten für eine wüste verschwörungstheorie unter beteiligung diverser geheimdienste, faschisten, geheimlogen etc. sowie verschwundenen zeugen, dokumenten, vertuschungsaktionen und intrigen - aber das alles war bzw. ist in einem gewissen sinne immer noch realität.
andererseits ließe sich auch sagen, dass derartige projekte ausdruck hochgradiger paranoia bei ihren protagonisten darstellen - die paranoia steckt hier nicht nur im detail, sondern ist geradezu systembedingt und womöglich in einem gewissen ausmaß auch systemkonstituierend.
mich interessieren nun besonders funktion, auftreten und ausmaß der paranoia hinsichtlich dreier themenkomplexe, die hier im blog immer wieder von bedeutung sind - zunächst zumtraumain all seinen möglichen erscheinungsformen.
das man-made-violence-traumatisierte menschen i.d.r. einen höheren grad von misstrauen und auch ängstlichkeit gegenüber anderen menschen aufweisen all jene, die das glück hatten, bisher von traumatischen erlebnissen verschont zu bleiben, ist ein banaler gedanke. weitergedacht bedeutet das aber auch, dass hier eine größere anfälligkeit für paranoides empfinden zu vermuten ist - die erfahrungen von feindseligkeit seitens der mitmenschlichen umwelt, die in dem oder den traumatischen erlebnissen eingefroren sind, sorgen sowohl für eine übersteigerte wachsamkeit gegenüber dieser umwelt generell, als auch für schnelles triggern der erwähnten flucht- oder kampffunktion, die als überlebensfunktion in uns "eingebaut" ist. wie das dann individuell aussieht, kann sehr verschieden sein - jedoch ist die relative soziale isolation, in der sich traumatierte menschen oftmals wiederfinden, auch ein ergebnis der aus dem oben skizzierten resultierenden verhaltensweisen sowie der reaktionen der umwelt auf die selbigen.
es ist eine der schwächen bei siegels beschreibungen, dass er für diesen aspekt der paranoia - die begleitung bzw. genese aus traumaindizierten störungen - praktisch blind ist, obwohl er an mehreren stellen faktisch genau diese tatsache beschreibt - so zb. dann, wenn er migranten als eine paranoiaanfällige gruppe skizziert, die aufgrund von feindseligkeit der umwelt - genauer wäre es, hier rassistische affekte und aktionen zu benennen - in diesen wahrnehmungsmodus gedrängt wird. ebenfalls führt er mehrere biographische beispiele seiner klienten auf, bei denen eine gewalttätige kindheit im hintergrund deutlich wird - mit diesem wissen werden die späteren paranoiden episoden anders und besser verständlich, als die (zu) sehr auf das gehirn starrende wahrnehmung siegels sowie die schon teils grotesk anmutenden psychoanalytischen konstrukte seines freundes sie erklären können. das buch ist auch ein schönes beispiel für neurologische bzw. psychoanalytische betriebsblindheit, besonders bezgl. der sozialen umstände, in denen die paranoia gedeihen kann.
aber zurück: wenn wir uns jetzt die indizien dafür in erinnerung rufen, die dafür sprechen, kollektive traumata in vielen gesellschaften als eine wichtige und "die normalität" strukturierende matrix im hintergrund als real zu begreifen, wird auch die mehr oder weniger stillschweigende beliebtheit des leninschen satzes "vertrauen ist gut, kontrolle ist besser" verständlich - das ist eigentlich ein satz, der zum verständnis der meisten psychophysischen störungen dienen könnte, bei denen die authentischen beziehungsfähigkeiten so geschädigt sind, dass sich die wahrnehmung hin zu den kompensatorischen und objektivistischen surrogaten bewegt.
das stichwort gerade führt zum zweiten thema, demobjektivistischen modusder menschlichen wahrnehmung. siegels sätze oben
"Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich verfolgt."
sowie
"Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein."
enthalten aus meiner perspektive bereits viel von den im verlinkten beitrag beschriebenen funktionsprinzipien des objektivistischen modus. in kürze:
sinneswahrnehmungen werden von einem - aus welchen gründen auch immer - materiell geschädigten wahrnehmungssystem erfasst und (fehl-)interpretiert, wobei für die fehlinterpretationen dann bereits die kompensatorisch einspringenden objektivierenden-abstrahierenden und vor allem konstruktivistisch tätigen funktionen in uns verantwortlich sind. da wir bei der paranoia von übersteigerten ängsten und misstrauen reden, ergibt sich das beschriebene aller wahrscheinlichkeit immer dann, wenn unklarheiten und ungewißheiten bezgl. bedrohlicher lebensumstände von menschen wahrgenommen werden, die das nötige weltvertrauen bzw. die nötigen positiven beziehungserfahrungen nicht oder nur unvollständig vermittelt bekommen und erfahren haben. das leben bietet bekanntlich ständig mehr oder weniger undurchschaubare momente, die aber mit korrekt funktionierenden wahrnehmungsoptionen und dem nötigen grundvertrauen durchaus toleriert werden können - wenn aber beides nicht oder nur rudimentär vorhanden ist, steigt die wahrscheinlichkeit für paranoide zustände rapide an, bedingt durch unsere neurophysiologische ausstattung und deren funktionsgesetze (soweit sie bisher erkennbar sind).
vor dem hintergrund der these von vergangenen und aktuellen kollektiven traumata verwundert dann auch die beliebtheit von verschwörungstheorien oder gar blanken wahnkonstrukten wie dem antisemitismus der nazis nicht mehr: korrekt funktionierende und ganzheitliche wahrnehmungsfähigkeiten dürften ebenso wie das benannte grundvertrauen immer noch nur bei einer minderheit aller bisher lebenden menschen realität (gewesen) sein - und die suche nach schuldigen und ursachen für die eigenen ängste und begründungen für das eigene misstrauen sind dann am befriedigsten, wenn personalisierte antworten gegeben werden können - konkrete übeltäter, bei denen dann auch noch die erwähnte projektion ins spiel kommt.
und genau aus diesen gründen gehe ich von dem aus, was ich anfangs zitiert hatte: für all jene, die sich dominant und funktionell und strukturell in einem objektivistischen wahrnehmungsmodus befinden, ist eine latente oder auch manifeste paranoia eine treue begleiterin. dieser umstand lässt sich auch als eine weitere motivation dafür begreifen, machtpositionen anzustreben: sie bieten sowohl (scheinbare) sicherheiten als auch die möglichkeiten, weitgehende kontrolle auszuüben, und derart das scheinbar bedrohliche außen in den griff zu bekommen. wie so etwas dann konkret auf den kontrollaspekt bezogen aussehen kann, lässt sich momentan tag für tag in den nachrichten betrachten.
mit authentischer sozialität hat das alles natürlich mal wieder nix zu tun, sondern eher mit einem weiteren aspekt, anhand dessen sich die diagnose einer tiefgreifenden gesellschaftlich-sozialen pathologie stellen lässt.
ein besonders gefährliches problem ergibt sich bei der paranoia aus der figur des verfolgenden verfolgten (als mertz-leserIn werden Sie sich vielleicht an sein modell der kontrolle-gegenkontrolle erinnern). siegel beschreibt diese konstellation in seinen ersten absätzen sehr detailliert, aber in etwas abgewandelter form könnte bspw. auch ein schäuble in dieser kategorie begriffen werden - die paranoid verzerrten ängste werden durch gegenmaßnahmen scheinbar gelindert, die leider nur den effekt haben, in aller regel nun bei anderen massive ängste und auch misstrauen auszulösen, was dann beim paranoiden die eigenen befürchtungen wieder verstärkt und weitere gegenkontrolle provoziert - im extrem ergibt sich ein immer enger werdender loop, der sich dann womöglich erst in extrem gewalttätigen aktionen selbst zeitweise lahmlegt.
zum dritten punkt: wie sieht es mit den - neurophysiologisch bedingten - angstfreiensoziopathenaus? sie agieren ja ebenfalls konstruktivistisch (und zwar als dauerzustand bzw. grundsätzliche seinsweise). aber lässt sich bei denen eine paranoia konstatieren? ich würde eher von einer als-ob-paranoia sprechen - der kontrollmodus ist zwar ständig aktiviert, und ebenso sind die fehlenden empathiefähigkeiten und die dadurch faktisch nicht vorhandene fähigkeit zum vertrauen eine vorbedingung zur paranoiden misstrauen - aber als im herkömmlichen sinne paranoid lassen sie sich vermutlich eher nicht begreifen, und zwar eben aus dem grund der nicht wahrgenommenen angst. vielleicht könnte man es so ausdrücken: sie sind eher ein beleg dafür, dass sich der objektivistische modus tatsächlich in jedem von uns findet, und uns im falle einer paranoiden wahrnehmung unter umständen auch in einen quasi soziopathischen menschen verwandeln könnte. die vielen parallelen zwischen dem paranoiden modus und dem objektivistischen modus lassen sich am einfachsten so interpretieren, das funktionsmäßig beides eng zusammengehört, bzw. die paranoia in ihrem wesen zu großen teilen vom objektivistischen modus geprägt wird. dazu kommt bei den soziopathen ebenfalls die unheilvolle fähigkeit, bei anderen massive ängste und misstrauen auslösen zu können, aber im gegensatz zum "normalen" paranoiker" ohne entsprechende eigene erfahrungen.
und wenn ich mir das so betrachte, komme ich zu dem schluß, dass vermutlich nicht alles, was wie paranoia aussieht, auch im klassischen (psychiatrisch-neurologischen) sinne paranoia ist.
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und an diesem punkt möchte ich Sie in Ihrer möglichen verwirrung erstmal alleine lassen. ich schreibe wieder mal an einem öffentlichen ort, was den unbestreitbaren nachteil hat, dass sich die eigenen gedanken eher komprimiert aufdrängen, und vermutlich werde ich noch die eine oder andere anmerkung bzw. korrektur nachzureichen haben, wenn ich den text noch mehrmals gelesen habe. aber für den moment finde ich, das das obige vorläufig genügend stoff zum nachdenken bietet.
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edit am 16.06.: schon geändert habe ich oben den - jetzt korrekten - begriff des "verfolgenden verfolgten", wo vorher "verfolgenden verfolgers" stand, was nicht nur doppelt gemoppelt war, sondern auch inhaltlich richtiger quatsch.
dann: das problem, das die gruppe der "echten" soziopathen zwar viele eigenschaften des paranoiden modus´ aufweist, jedoch die - laut definition - eigentlich wichtigste, nämlich die gesteigerte angst, nicht wahrnehmen kann, beschäftigt mich gerade immer wieder. und bisher komme ich zu dem ergebnis, dass es sich hier womöglich um ein weiteres beispiel dafür handelt, was passiert, wenn psychiatrische diagnosenmodelle umstandslos und ohne rücksicht auf qualitative neurophysiologische unterschiede als global gültig gesetzt werden. ähnlich wie bei den früher beschriebenen möglichkeiten für pränatale traumata, die es "offiziell" nicht gibt und die mit einiger wahrscheinlichkeit die persönlichkeitsstruktur qualitativ ganz anders prägen als postnatale traumata, kann es hier gut sein, dass sehr unterschiedliche psychophysische störungen ähnliche symptome hervorbringen, die dann unzulässigerweise unter einen hut gepackt werden. ich finde es aber für mich momentan gerade bei diesem thema hier immer noch schwierig zu begreifen, wie etwas, das so aussieht als ob, doch etwas sehr anderes ist. von daher muss ich meine eingangs erwähnte these, das der objektivistische modus immer auch mit der paranoia einhergeht, relativieren - für die strukturellen soziopathen müsste das eher so lauten, das sie auch immer einige symptome der paranoia aufweisen, v.a. diejenigen, die mit starken kontrollambitionen daherkommen.
und zum vorläufigen schluß noch ein wort zum nur nebensächlich erwähnten drogenthema: ich halte - bis auf sehr seltene ausnahmen - drogen nicht ursächlich verantwortlich für irgendwelche psychophysischen störungen. allerdings haben kokain und auch die amphetamine durchaus das zeug dazu, paranoide zustände zu triggern und extrem zu verstärken. und das ist hinsichtlich der beliebtheit dieser stoffe gerade auch in kreisen, die sich selbst als elitäre verstehen, ein durchaus relevanter aspekt.
bei der ansicht der folgenden meldungen musste ich schnell an einen alten comic von gerhard seyfried denken, in dem ein 70s-like gekleideter passant hinter sich eine ganze horde von männern mit hüten, langen mänteln und verdächtigen knöpfen im ohr hinter sich herzieht - schön mit den unterschriften der jeweilgen organe - bka, bfv, bnd, mad, staatsschutz etc. - versehen. ganz am ende kam jemand mit dem vermerk "v.i.b.s." - von irgendwem bezahlter spitzel.
das sich nun die neulichhiererwähnte paranoide verfassung besonders von "führungskräften" in der wirtschaft nicht nur auf verdächtige untergebene und lästige journalisten beschränkt, ist keine besonders fernliegende überlegung. zumal so langsam auch das wirken der "konzernsicherheit" in bereichen bekannt wird, die bisher eine domäne der staatlichen schnüffelei darstellten. wirlesen:
(...)"Der Nestlé-Konzern soll eine als Aktivistin getarnte Agentin beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac eingeschleust haben. Grund: Ein Buch, das sich mit dem "Imperium Nestlé" befasst.(...)
Nestlé teilte mit, angesichts der von globalisierungskritischen Gruppen angekündigten Proteste gegen bestimmte Unternehmen während des G-8-Gipfels in Evian im Jahr 2003 habe der Konzern "in enger Zusammenarbeit mit Securitas" die "geeigneten, strikt legalen Maßnahmen" ergriffen."
auch dazu fällt mir spontan ein alter spruch der 70er ein, "legal - illegal - scheißegal", der eigentlich mal als aufruf zur überwindung der hiesigen untertanenmentalität gedacht war, aber vermutlich schon damals von relevanten teilen der "eliten" als integraler teil ihres selbstverständnisses ausagiert wurde. und in diesem selbstverständnis dürfte auch die etwas ältere geschichtehierals "strikt legal" gelten, zumal die objekte der überwachung eh nicht mit größerer gesellschaftlicher sympathie rechnen können, was auch eine erklärung dafür sein mag, das sich diese nachricht nicht groß verbreitet hat:
(...)"Der Siemens-Konzern hat nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel im Jahr 2003 die Münchner Parteizentrale der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) observieren lassen. Außerdem hätten die Privatfahnder für die Siemens Business Services in Paderborn ein von der DKP Südbayern organisiertes Sommerseminar am Ammersee überwacht, hieß es in dem Vorabbericht.
Bezahlt wurden laut Spiegel Detektivrechnungen über 11.600 und 23.200 Euro über eine schwarze Kasse der Telekommunikationssparte.
Die Beobachtungen hätten vor dem Hintergrund eines schwelenden Arbeitskampfes auf die Person des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden der Festnetzsparte, Leo Mayer, der DKP-Funktionär ist, gezielt. Gleichzeitig sollten die Detektive den Angaben zufolge feststellen, ob auch noch andere Siemens-Mitarbeiter der DKP zuzurechnen sein könnten."(...)
wie soll sowas genannt werden? privatisierter "staatsschutz"? nicht ganz abwegig bei der beobachtung, dass sich die transnationalen konzerne entweder schon selbst als quasistaatliche mächte verstehen, und/oder aber die existierenden staaten als real für ihr interesse zur verfügung stehende institutionen begreifen - beides stellt letztlich eine neue art feudalistischer diktatur dar. die verquickung staatlicher organe mit den "global playern" ist jedenfalls mehr als einenblickwert:
(...)"Doch hinter vorgehaltener Hand sprechen in Sicherheitskreisen viele über die verschwiegenen Abteilungen der Konzerne. Über ihre republikweiten Kontakte untereinander. Über ihre enge Verbindungen zum Staat. Und über ihre personelle Verflechtung mit Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundeswehr.
Seit dem Telekom-Skandal hat das Wort Konzernsicherheit in der Öffentlichkeit einen bösen Klang, steht für Paranoia, Bespitzelung und Datenmissbrauch. War es wirklich nur das "Fehlverhalten Einzelner", wie der Konzern beschwichtigt, oder waren die Telekom-Späher mit anderen Firmen und sogar Behörden vernetzt? Wer dieser Frage nachgeht, entdeckt ein enges Geflecht aus privatwirtschaftlichen und staatlichen Sicherheitsinteressen.
Seit dem Jahr 2005 gibt es diese exklusive Runde, über die in der Branche niemand offen spricht. Von den Treffen profitiert auch das BKA. Es nutzt die weltweit operierenden Konzerne als "Wissensträger" - und verlängerte Arme ins Ausland."(...)
so schreiten sie seit´an seit´. und machen noch mal explizit deutlich, warum in diesem land bis vor kurzem immer nur "die linke" das copyright auf den begriff "terrorismus" zugesprochen bekam - denn terror ist immer nur dann, wenn sich die "elite" entweder persönlich verfolgt fühlt oder aber eigene interessen durchsetzen will mittels der üblichen "politik" der angst:
(...)"Entstanden ist diese spezielle Kooperation von Staat und Wirtschaft als Reaktion auf den Terror der Roten Armee Fraktion Ende der Siebziger Jahre. Wer heute bei Daimler nach der Konzernsicherheit fragt, hört sofort die Namen Schleyer und Herrhausen und dass die Abteilung ihre Arbeit "gut erledigt, wenn wir nicht darüber sprechen." Wie bei vielen Großunternehmen arbeiten bei Daimler in der Sicherheitsabteilung Mitarbeiter "mit entsprechendem Hintergrund". Viele kommen von der Polizei und dem Bundeskriminalamt. Der Abteilungs-Chef, Thomas Menk, war früher beim Verfassungsschutz tätig und spricht manchmal vom "Wirtschaftskrieg", in dem sich sein Unternehmen befinde.
Ob bei Daimler, Siemens, der Bahn oder der Telekom - in Scharen zog es in den vergangenen Jahrzehnten Staatsbeamte aus den einschlägigen Bereichen in die Konzernsicherung der freien Wirtschaft. Für die Beamten ging es um Karrierechancen und ein besseres Gehalt. In der Wirtschaft waren sie gefragt, denn sie galten als loyal, zuverlässig und politisch ungefährlich. Ausbildungsgänge zum Sicherheitsexperten existierten noch nicht. "Sie waren die einzigen, die auf dem Markt waren", heißt es aus Kreisen. Deshalb wimmelt es in den Abteilungen von ehemaligen Polizisten, Militärs und Geheimdienstlern."(...)
eine saubere gesellschaft, die - wenn man die mittel bedenkt, die solche konzerne zur verfügung haben - vielleicht sogar technisch und finanziell wesentlich besser ausgestattet sein könnte als die staatlichen büttel. und auch noch weniger unter kontrolle steht als die letztgenannten. wieder mal feine aussichten also - für paranoiker mit realitätsbezug.
mitlächelsimulationenund ihren möglichen folgen hatte sich eine frühere notiz schon mal beschäftigt. jetzt gibt´s einennachschlag, der die damals kurz dokumentierten folgen nicht nur bestätigt...
(...)" Kürzlich berichtete die "Apotheken Umschau", dass verordnetes Lächeln bei der Arbeit Depressionen, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Krankheiten hervorrufen kann.
Melanie Holz: Das ist richtig, mittlerweile wissen wir das aus vielen Studien. Wenn Freundlichkeit erzwungen, statt empfunden wird, kann das zu Burnout, Depressionen und psychosomatische Krankheiten führen. Das zeigt sich auch im Arbeitsverhalten: Wer von der Emotionsarbeit überfordert ist, leistet weniger."(...)
...sondern auch noch etwas über den elementaren unterschied zwischen authentizität und simulation deutlich macht:
(...)"Sie können wenigstens Strategien lernen, wie man bestimmte Situationen deeskaliert, und wie man die eigenen Grenzen bewusst zieht. Je kürzer die Interaktion, desto einfacher ist es, nur zu schauspielern. Wir unterscheiden bei der Emotionsarbeit grundsätzlich zwischen oberflächlicher und tiefer Darstellung von Gefühlen. Beim surface acting lächelt man, aber es nicht wirklich echt und authentisch, sondern eben aufgesetzt. Aber gerade das ist gesundheitsschädlicher als deep acting! Wenn Sie tatsächlich empfinden, was Sie zeigen sollen und müssen, befinden Sie sich nicht in einem widersprüchlichen Zustand. Es ist viel unbequemer, den ganzen Tag eine Maske zu tragen. Insofern ist das deep acting auch ein Selbstschutz. Deshalb entwickeln Mitarbeiter Strategien, um in die gewünschte Stimmung zu kommen.
Wie geht denn das?
Es gibt im Umgang mit Kunden oder auch Patienten sozusagen Rückkopplungen. Die Menschen merken, ob Freundlichkeit authentisch ist oder nicht, und sie reagieren entsprechend. Studien haben gezeigt, dass man sogar am Telefon den Unterschied hört, ob die Person am anderen Ende der Leitung lächelt oder nicht. Eine andere Studie von Thorsten Henning-Thurau wiederum belegt, dass es weniger auf die Häufigkeit des Lächelns ankommt, als auf die empfundene "Echtheit". Echte Gefühle machen Kunden zufrieden."(...)
ohne die mehr als ärgerliche betonung auf herabgesetzte "leistungsfähigkeit" sowie die bessere verkäuflichkeit authentischer emotionen geht´s anscheinend bei der forschung nicht nur in diesem themenkreis nicht mehr. und dann wäre noch anzumerken, dass die fähigkeiten zur wahrnehmung authentischer kommunikation bekanntlich nicht gerade gesellschaftlich gefördert werden.
*
kurz der hinweis auf eine mehr als fatale psychophysische anpassungsstrategie:
die da sehr kurz umrissenen ergebnisse einer studie sind nicht nur ein weiterer beleg dafür, dass das gerede von den angeblich "natürlichen" hierarchien, die menschen angeblich benötigen würden, in die rubrik selbsterfüllender prophezeiungen gehört (ähnlich der "natürlichen" bösartigkeit "des menschen"). sie stellen auch ein paar tiefgreifende fragen an jede emanzipatorische bewegung, wie ich finde.
*
kürzlichhatte ich im verlaufe eines beitrags einen kommentar aus der süddeutschen bezgl. des wortes wahnwelten aufgegriffen. nun legt der gleiche autor nochmalnach:
(...)"In manchen Vorstandsetagen wird heutzutage ein regelrechter Personenkult gepflegt. Wer Hauptversammlungen besucht, sieht den Chef überlebensgroß auf der Leinwand - hat so einer zu Hause auch einen Spiegel mit Vergrößerung? Dabei fehlt es den Konzernlenkern unserer Tage nicht selten an der natürlichen Autorität, die früher einen Berthold Beitz oder Alfred Herrhausen auszeichnete. Viele von ihnen wirken geklont, haben ähnlich glatte Biografien und sind von Schranzen und Höflingen umgeben, die sich ebenfalls verblüffend ähneln.
Man hat es nach oben geschafft und muss die persönliche Macht unter allen Umständen absichern. Sonst putscht irgendjemand. Gefahren sind allgegenwärtig. Schneller als früher kann einer von ganz oben nach ganz unten abstürzen. Permanent werden Schlachten geschlagen, wird Krieg geführt und die Metaphern sind entsprechend: "Bis zum letzten Blutstropfen" wollte der frühere Post-Chef und Telekom-Kontrolleur Klaus Zumwinkel um Briefe kämpfen.
Der Herrscher definiert, wer jeweils als Verräter zu betrachten ist. In dieser Logik gibt es keine Unschuldigen, nur solche, die des Verrats noch nicht überführt sind. Verrat, Ketzerei und Kritik sind für die Herrscher irgendwie gleich.
Dass Kontrolleure vor Aufsichtsratstreffen in Konzernen ihre Handys abgeben müssen, damit sie nicht heimlich die Dialoge mitschneiden können, zeigt eine Struktur, die aus der Psychiatrie bekannt ist, die Struktur der Paranoia. Überall wittert sie Verschwörungen, Gefahren. Andererseits wird der kontrollierte Kontrolleur sichtbar zum Geheimnisträger, was seine Bedeutung aufwertet.
Das Einzige, was wirklich stört, ist die Öffentlichkeit. Folglich wird sie zum Feind erklärt. Ein Feind, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. In einer Wahnwelt wird das für Logik gehalten - nicht nur bei der Telekom."
nochmals die treffende beobachtung von der grundsätzlichen paranoia, von der die in verschiedenen formen und intensitäten des objektivistischen wahns befallenen "elitären" akteure zwangsweise und grundsätzlich ebenfalls betroffen sind. gleichzeitig aber werden mit dem satz "Dabei fehlt es den Konzernlenkern unserer Tage nicht selten an der natürlichen Autorität, die früher einen Berthold Beitz oder Alfred Herrhausen auszeichnete" sowohl geschichtsklitterung betrieben als auch falsche spuren gelegt.
die heutige generation von managern, technokraten, "leistungsträgern" etc. ist keinesfalls auf einmal vom himmel gefallen, sondern voll und ganz das produkt ihrer historischen vorgänger - und wie diese "natürlichen autoritäten" mehrheitlich so drauf waren, hätte der autor mit ein bißchen recherche selbst verifizieren können - ich verweise nur einmal aufdiesenälteren beitrag:
(...)"das selbst bei einem explizit nichtpsychiatrischen blick sehr schnell einiges auffällige sichtbar wird, lässt sich z.b. bei einem bestseller der 1970er jahre, "ihr da oben - wir da unten" von bernt engelmann und günter wallraff, in hunderttausenfacher auflage verlegt, nachvollziehen. ging es den beiden dort ursprünglich um ein besitz- und persönlichkeitsprofil der damaligen westdeutschen gesellschaftlichen, v.a. wirtschaftlichen "eliten", so ziehen sie ziemlich am ende ihrer recherchen - bei der darstellung des damaligen skandals um den "gerling-konzern" und den bankrott der "herstatt-bank", folgendes fazit:
"Die FAZ verschweigt (in einem dokumentierten kommentar zum erwähnten skandal, anmrk. mo), daß Gerling nur ein - besonders offensichtlich gewordenes - Beispiel für die Möglichkeiten, ja Affinitäten von Machtmißbrauch und Unternehmerwillkür innerhalb der sogenannten `Freien Marktwirtschaft´ darstellt. Die vielen Hunderte und Tausende kleinen und großen Gerlings sollen weiterhin möglichst frei und hemmungslos ihrer Profitleidenschaft unkontrolliert nachgehen. Unterschlagen und verdrängt wird, daß Gerlings Verhalten geradezu symptomatisch ist für Alleinherrscher dieser Größenordnung. Alfried Krupp, der alte Flick, Quandt, Melitta-Bentz, Siemens-Clan, Oetker und wie sie alle heißen, zeigen politisch wie psychopathologisch oft ganz ähnliche Verhaltensmuster."
(engelmann/wallraff "ihr da oben - wir da unten"; rororo, reinbek 1976; s. 293; isbn 3 499 16990 8)
erstmalig 1973 erschienen, ist die damalige zeit der patriarchalischen alleinherrscher über solche bis heute - in form von aktiengesellschaften meist - existierenden markenunternehmen zwar vorbei, an der psychopath(olog)ischen grundstruktur jedoch scheint sich nicht viel geändert zu haben. das buch ist quasi von vorne bis hinten eine beschreibung schwerer psychiatrischer auffälligkeiten, bei denen die betroffenen einzig durch geld und machtposition vor jenen konsequenzen geschützt sind, die ein normalsterblicher in solchen fällen recht schnell vom sozialen umfeld zu erwarten hätte."(...)
was sich geändert haben dürfte, sind einerseits die symptome - auch aufgrund der technischen entwicklung, die zb. für paranoide persönlichkeiten ganz andere möglichkeiten zum ausagieren einräumt - ,andererseits die öffentliche wahrnehmung. das gleiche gilt übrigens auch für die sog. "politiker". ich kenne die sog. "charaktere" wie wehner, strauß oder auch den notorischen helmut schmidt noch aus eigener anschauung - und würde sagen, dass deren treiben letztlich kein grad besser war als das heutige. bzw. die grundlage für das heutige gewesen ist. und ob die rhetorik unterhaltsamer gewesen ist, kann nicht ernsthaft ein kriterium darstellen.
aber vermutlich scheut der sz-autor auch vor den konsequenzen zurück, die die obige perspektive impliziert - auch für ihn selbst und seine rolle.
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ähnlich treiben es schließlich gerade auch viele kommentatoren auf wirtschaftsseiten, die partout nicht verstehen können, warum der ölpreis von rekord zu rekord eilt. einbeispiel:
(...)"Was ist es dann? Es bleiben nur Vermutungen. Die etwaige Hoffnung auf eine anspringende Konjunktur in den USA scheidet auf jeden Fall aus. Schließlich ist die US-Arbeitslosenrate gerade so stark nach oben geschossen wie zuletzt vor mehr als 22 Jahren. Die Hausse auf die üblichen Verdächtigen zurückzuführen, also Spekulanten und Hedgefonds, scheint etwas dünn. Natürlich waren sie in der vergangenen Woche aktiv – aber das sind sie immer.
Weitere Möglichkeiten sind: eine sich gerade zusammenbrauende Krise, die für das Gros der Marktteilnehmer noch gar nicht erkennbar ist, aber entscheidende Akteure in den vermeintlich sicheren Ölmarkt treibt, oder die Schieflage eines großen Hedgefonds, die einige Börsianer schon ahnen. Doch auch Letzteres ist unwahrscheinlich, denn in einem solchen Fall hätten die Kurse in die genau entgegengesetzte Richtung streben müssen."(...)
ein schönes beispiel dafür, wie ökonomen fest in ihren tunnelrealitäten stecken. vielleicht sollte er mal einen blickhierherriskieren:
(...)"Wie Familie Robinson: Müssen wir am Ende der Ölkrise alle Selbstversorger werden? Überlegungen über eine Welt ohne Öl - zwischen Utopie und Apokalypse.(...)
Die Ölproduktion stagniert seit 2005 bei etwa 85 Millionen Barrels pro Tag, dafür steigt aber der Preis. Am letzten Freitag machte er seinen bisher größten Sprung nach oben - um 11 Dollar auf 138 Dollar pro Barrel. Bis auf 200 Dollar oder mehr, schätzen Analysten von Goldman Sachs, könnte der Preis für ein Barrel Rohöl klettern. 40 Prozent des Öls, heißt es im Petroleum Review, "kommt aus Regionen, in denen die Produktion ganz eindeutig abnimmt."
Peak-Oil-Theoretiker sehen darin ein Zeichen für den Beginn des Niedergangs. Und zunehmend nicht nur sie. Vor wenigen Jahren glaubten noch viele, Peak Oil werde erst zwischen 2015 und 2030 eintreten. Immer mehr Analysten schwenken nun um. 2010 ist das nun am häufigsten genannte Datum. Manche sagen, Peak Oil sei jetzt.
Die Tatsache, dass dieser Scheitelpunkt irgendwann eintreffen wird, stellt kaum einer mehr in Frage, auch wenn Politiker und Medien den Ausdruck lieber vermeiden und Vertreter der Theorie gern als irre Apokalyptiker abtun. So wie ihren Begründer, den Shell-Geologen Marion King Hubbert. Der hatte in den fünfziger Jahren vorausgesagt, dass die amerikanische Ölproduktion um 1970 herum ihren Scheitelpunkt erreichen würde, um dann unaufhaltsam zu fallen. Das allgemeine Gelächter einer vom Rohöl besoffenen Welt verstummte, als der Scheitelpunkt in den USA 1970 tatsächlich erreicht wurde.
Doch es sind ja nicht nur die Apokalyptiker, die vor den Folgen warnen. Als Dick Cheney noch Vorsitzender des Energiekonzerns Halliburton war, hielt er im Herbst 1999 eine Rede vor dem Institute of Petroleum. Die "Grundlage der Weltwirtschaft", warnte er, werde bald extrem knapp werden. Die amerikanische Energiebehörde EIA veröffentlichte 2007 einen Report, in dem sie davon ausgeht, dass die Produktion 2006 ihren Höhepunkt erreicht habe. Das Aspen Institute warnte vor dem Ende des "easy oil". Und gerade erklärte der amerikanische Finanzminister Henry M. Paulson, dass es "keine schnellen Lösungen" für die hohen Ölpreise gebe, denn es sei ein Problem von Angebot und Nachfrage. "Die Produktionskapazitäten haben keine neuen Entwicklungen gemacht."
"Die Frage ist jetzt: Wie steil ist der Abhang auf der anderen Seite", sagt der Energiefachmann Matt Simmons, einst Berater von George W. Bush und Autor von "Twilight in the Desert". Und wie wird sie aussehen, eine Welt, in der Öl nicht mehr im Überfluss vorhanden ist?"(...)
darüber machen sich ökonomen, die dem albernen und größenwahnsinnigem glauben vom "ewigen wachstum" anhängen, natürlich keine gedanken. und offensichtlich auch über die folgenden realitäten nicht:
(...)"In diesen Tagen nun demonstrieren Inder, weil die Regierung die Benzinsubventionen gesenkt hat. Hersteller von Waschmitteln bis Computerbildschirmen warnen vor höheren Preisen. In Europa gehen Fischer auf die Straße, weil der Rohölpreis das Ausfahren inzwischen unrentabel macht. Der Preis für eine Tonne Düngemittel hat sich in den letzten Jahren vervielfacht; Fachzeitschriften für Landwirte informieren ihre Leser darüber, wie sie ihre Betriebe umbauen können - aus der Not geboren, nicht, weil man unbedingt ökologisch arbeiten will. In den USA ziehen die Bürger in die Städte, und die ersten Suburbias verelenden schon zu Slums."(...)
es wird in dieser ach-so-aufgeklärten und ach-so-fortschrittlichen westlichen "zivilisation" selbst dann noch vermutlich genügend leute geben, die an ihren dinglichen fetischen und objektivistischen wahngebilden festhalten, wenn um sie herum und vor ihnen der systemzerfall unübersehbare formen angenommen hat. aber mein mitleid mit denen hält sich absolut in grenzen.
übrigens ist nicht nur peak oil ein begriff, den Sie langsam in Ihren wortschatz aufnehmen sollten - es gibt einige anzeichen dafür, dass im gefolge auchPeak Food, Peak Waterauf dem programm stehen.
und mein gefühl zu dem allen ist wirklich richtig mies, weil u.a. diese gesellschaft nicht nur ihre mitverantwortlichkeit aufgrund unseres "lebens"stils leugnet, sondern es natürlich auch vorzuziehen scheint, in jeder nur möglichen hinsicht mit voller kraft gegen die wand zu rasen. und dieses gefühl wird mehr und mehr belastend.
u.a. auch darum zum schluß noch etwas hörenswertes elitebashing.