(...)"Selbst über die Feiertage müssen rund 18000 Menschen in Deutschland auf der Straße, in Parks oder in Ruinen übernachten. Die Zahl der Obdachlosen werde sich aufgrund der schärferen Hartz-Regeln und steigender Mietpreise in nächster Zeit weiter erhöhen, warnen Experten.
»Da baut sich gerade eine Welle auf«,sagt Rolf Keichel, Vorstandsmitglied des Fachverbands Evangelische Obdachlosenhilfe. »Wir können uns gar nicht vorstellen, was es heißt, bei Minustemperaturen draußen zu leben.«Eine Nacht in klirrender Kälte bedeutet immer Lebensgefahr. Erst vor wenigen Tagen erfror ein Obdachloser in Wismar, im November ein Mann in Soest, im September ein Dresdner in seinem Nachtlager im Park."(...)
auch diese toten sind in gewisser weise eine antwort (und die hier mehrheitlich immer noch bevorzugte) auf die fragemarkt oder leben?, wobei dingwelt und markt mit fließenden grenzen und wie bösartige siamesische zwillinge daherkommen:
(...)"Kaufen, Tauschen, Handeln, Bewerten, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ökonomisches Diktat. Markt und Mensch sind also keine eherne Zusammengehörigkeit, sondern vielmehr ein Widerspruch. Dort, wo der Markt herrscht, ist der Mensch durchgestrichen und dort, wohin der Mensch sich als solcher rettet, dort ist kein Markt. Es geht unfreundlicher Weise darum, das Geschäft (und alles was dazu gehört) als lebensfeindliche Form menschlicher Kommunikation zu dechiffrieren. Es ist pathologisch, schwer pathologisch. Geschäfte fressen Zeit und Raum auf. Lebenszeit. Lebensraum. Leben.
Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Normierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. Da ist nichts Ewiges an ihr. Praktische Befreiung beginnt, wo die Menschen mit dem Kaufen und Verkaufen bewusst aufhören. Wenn sie sich geben und sich nehmen, was sie brauchen. Wenn sie die Kostenrechung verwerfen und durch profane Zuneigung und Zueignung ersetzen. Wenn Angebot und Nachfrage durch Eingabe und Entnahme ersetzt werden. Wenn der konkurrenzistische Geschäftstrieb von einer kompetenten Kooperation abgelöst wird. Wenn die Trennung von Motiv und Bedingung bei der Transaktion von Gütern überwunden wird.
Wie sagt doch der Erste Gott im Brechtschen Stück „Der gute Mensch von Sezuan“: „Ich gebe zu, ich verstehe nichts von Geschäften, vielleicht muss man sich da erkundigen, was das Übliche ist. Aber überhaupt Geschäfte! Machten die sieben guten Könige Geschäfte? Verkaufte der gerechte Kung Fische? Was haben Geschäfte mit einem rechtschaffenen und würdigen Leben zu tun?“ – Nichts! Absolut Nichts!"
in diesem sinne wünsche ich ein paar ruhige tage für alle leserInnen.
eines der ärgerlichsten, aber auch bezeichnendsten merkmale vieler statements zur weltwirtschaftskrise besteht - selbst beim zugeständnis der tatsache, es hier nicht mit einer der üblichen zyklischen krisen zu tun zu haben - in der unfähigkeit, jenseits der primär ökonomischen symptome auch die anderen monströsen anzeichen dafür wahrzunehmen, dass sich das ganze bisherige politische & ökonomische system der westlichen welt plus seiner überall vorhandenen globalen ableger auf dem weg in den abgrund befindet. und letzteres hat zentral etwas mit dem kapitalismusimmanenten zwang zum ständigen exponentiellen wachstum (wie krebszellen) zu tun, der neben der gleichfalls immanenten und eher personengebundenen bestrebung nach immer mehr quantifizierbarem materiellem "reichtum" incl. ständiger reichtumskonzentration und -umverteilung nach oben der einfluß ist, welcher die aktuelle krisenkaskade bis zum jetzigen moment täglich befeuert.
so haben wir eben nicht nur eine weltwirtschaftskrise, die - und dafür muss ich mich nicht mehr allzuweit aus dem fenster lehnen - in vielen regionen der welt eine dynamik erreichen wird, die historisch ohne beispiel ist. sondern wir hatten bereits sozusagen im vorlauf eine globalehungerkrise, die weiterhin vorhanden ist und sich absehbar verschärfen wird; wir haben - trotz der aussichtlosen versuche der leugnung von diversen seiten - eine ökologische krise, deren schärfste globale variante der anthropogene klimawandel darstellt; ferner haben wir es mit ressourcenkrisen wiepeak oilzu tun. und ob man unter letztere rubrik auch die aufziehende globalewasserkriseführen sollte, ist dann eher definitionssache. jedenfalls wird das wasser in nächster zukunft für noch mehr instabilitäten sorgen als heute das öl - auch damit lehne ich mich nicht weit aus dem fenster:
(...)"Wie steht es im 21. Jahrhundert um die globale Verteilung der Ressource Wasser? Filmemacherin Irena Salina hat drei Jahre lang Wissenschaftler und Umweltbeauftragte in aller Welt zu diesem Thema befragt. Ihre Untersuchung führt sie in südafrikanische Townships, in denen die Trinkwasserversorgung privatisiert ist und die Ärmsten der Armen verschmutztes Flusswasser trinken müssen. Im indischen Bundesstaat Rajasthan schließen sich Dörfer zu Genossenschaften zusammen und fangen Regenwasser auf, um den Wasserhändlern zu trotzen. In Südamerika beobachtet Irena Salina, dass Wasserreserven wiederholt chemisch verseucht werden, und in Kanada, dass große Lebensmittelkonzerne ganze Flüsse austrocknen lassen.
Überall bietet sich ihr das gleiche Bild eines ökologischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und menschlichen Skandals. Aber es zeigt sich auch, dass es an den Orten Hoffnung gibt, an denen sich die Bevölkerung organisiert und um ihr Recht auf Wasser kämpft."(...)
sehen Sie sich die doku an, die nächsten tage bieten dafür genügend zeit:
hiergeht´s direkt weiter zu den anderen teilen des videos.
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was ich oben gerade mit "personengebunden" meinte, macht der folgendeartikeletwas deutlicher:
(...)"Gowers schildert den Lehman-Boss als einen "Mann mit einer fast unerträglich starken Persönlichkeit", der den Gewinn der Bank von 1994 bis 2007 von 113 Millionen auf 4,2 Milliarden Dollar steigerte. Damit schuf Fuld sich einen nahezu unangreifbaren Ruf: "Zu sagen, dass Dick Fuld von einem Persönlichkeitskult umgeben war, wäre eine Untertreibung. Er war ein Paradebeispiel für einen allmächtigen Unternehmenschef", schreibt Gowers. "Für viele Mitarbeiter und für die Außenwelt personifizierte er Lehman, sein Charakter war untrennbar verbunden mit dem der Firma."
Fuld soll selbst seinen engsten Mitarbeitern große Loyalität, aber auch Furcht eingeflößt haben, so dass sie ihm hörig waren "wie einem mittelalterlichen Monarchen" und alles von ihm fern hielten, was er nicht hören wollte. "Seine Bösartigkeit konnte einschüchternd sein. Regelmäßig wies er Kollegen zurecht, die auch nur geringfügig von der Kleiderordnung abwichen."
Fuld sah Lehman laut Gowers wie im "Krieg", die Mitarbeiter waren seine Truppen. Investoren, die auf fallende Lehman-Kurse setzten, drohte er auf einer Konferenz: Wenn er einen von ihnen finde, "will ich ihm das Herz herausreißen und es vor seinen Augen essen, während er noch lebt"(...)
die these, dass sich das system selbst die passenden persönlichkeitstypen bzw. -defekte sozusagen per innerer selektion heranzüchtet, ist hier im blog nicht neu. ebenfalls nicht die erkenntnis, das von einer "fast unerträglich starken persönlichkeit" nur innerhalb der systemlogik die rede sein kann. wer so auftritt wie beschrieben, hat eher elementare probleme - jedenfalls in der authentischen sozialen menschlichen welt. das diese probleme in form wie empathieunfähigkeit, dominanz einer streng objektivistischen instrumentellen intelligenz und ausrichtung an quantitäten und zahlen innerhalb unserer grundlos glorifizierten gesellschaftlich herrschenden strukturen als positiv gewertet werden - das ist genau das symptom, welches das lebensgefährliche wesen dieser strukturen überdeutlich macht. funktionelle und/oder strukturelle soziopathen an der macht - ihre bevorzugte überlebensform.
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was das treiben dieser leute dann alles so für folgen hat, war in den letzten news auch bezgl. der usa immer wieder thema. die in den news nr. 11 zum schluß kurz erwähnten probleme mit der unterstützung von erwerbslosen in vielen us-bundesstaaten lassen sich inzwischen konkretisieren -kollaps mit ansage:
(...)"In 30 der 50 Bundesstaaten steuern die Fonds, die Arbeitslosenhilfen auszahlen, auf die Insolvenz zu. "Das Problem war noch nie so verbreitet, nie waren so viele Staaten gleichzeitig in Geldnot", sagt Heidi Shierholz vom gewerkschaftsnahen Economic Policy Institute. Die Gouverneure haben es versäumt, in den Jahren des Aufschwungs ein Polster aufzubauen, das jetzt den konjunkturellen Sturzflug abfedern könnte. Michigan und Indiana, wo sich die amerikanische Schwerindustrie schon seit Jahren in der Krise befindet, sind bereits pleite. Sie mussten sich Geld in Washington pumpen. Auch South Carolina hat kürzlich einen Kredit beantragt, und in Kalifornien, New York, Ohio und Rhode Island sind die Ersparnisse spätestens Anfang des Jahres aufgebraucht.
Seit Dezember vergangenen Jahres sind in den USA zwei Millionen Jobs verloren gegangen, und Schätzungen zufolge werden im kommenden Jahr weitere vier Millionen verschwinden. Allein im November beantragten 573 000 Amerikaner Arbeitslosenhilfe. So viele waren es seit 1982 nicht mehr. In vielen Bundesstaaten beträgt die Arbeitslosenquote mehr als neun Prozent. Damit hat das Problem eine kritische Masse erreicht, unter der die staatliche Versicherung zusammenbrechen könnte."(...)
wie in den letzten news schon umschrieben: die bereitstellung von aktiven armee-einheiten hat aus sicht der "eliten" schon ihren sinn. erst prügel, dann kugeln statt nahrung. leider gibt es ernsthafte chancen dafür, dass wir - und vor allem die us-bevölkerung - solche szenen 2009 erleben müssen.
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wieder mal ein blick nach asien - einmal wäre da eine möglichkeit, sich jeweils recht aktuell einen brauchbaren überblick zu verschaffen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will - die seite umwälzung.de bietet asienbezogenenews, mittels derer die zunehmenden sozialen konflikte und kämpfe in vielen dortigen staaten zumindest ansatzweise nachzuvollziehen sind. zum anderen hat sich mittlerweile unter den news nr.11 ein längerer kommentarstrang entwickelt, in dem u.a. die chinesischen wanderarbeiterInnen eine rolle spielen - ebenso wie in eineminterview, welches sich vor allem mit der chinesischen it-industrie beschäftigt (und ja, die wahrscheinlichkeit dafür, dass sowohl mein als auch Ihr computer bauteile aus china aufweisen, ist verdammt hoch):
(...)"Welchen Eindruck haben Sie von den Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie Chinas gewonnen?
Einen äußerst schlechten. Wir haben die Situation in den Fabriken des Pearl River Delta untersucht, der Region im Süden Chinas, die das bedeutendste und modernste Wirtschafts- und Produktionszentrum des Landes darstellt.
Es sind vor allem zwei Punkte, die wir mit unserer Studie hervorheben wollen. Viele Leute glauben, es sei gefährlicher, in einer Schuh- oder Textilfabrik zu arbeiten, als elektronische Teile zusammenzubauen. Doch das ist ein Irrglaube. Vor allem in den Fabriken, in denen Leiterplatten für Computer hergestellt werden, sehen wir landesweit die größten Probleme, was die Gesundheit und den Schutz von Arbeitern betrifft. Diese müssen dort ohne adäquate Schutzvorkehrungen in geschlossenen Räumen ohne Belüftung mit gefährlichen und giftigen Chemikalien hantieren, viele von ihnen haben deswegen Hautallergien und ständige Kopfschmerzen.
Der zweite Aspekt, den wir besonders skandalös finden, ist die unterbezahlte Arbeit und die unbezahlten Überstunden, die in den Fabriken der IT-Branche üblich zu sein scheinen. Teilweise erhalten die Arbeiter nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, geschweige denn die ebenfalls gesetzlich geregelten Sonderzulagen für die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen, teilweise müssen die Arbeiter wochenlang ohne einen freien Tag arbeiten.
Die großen multinationalen Konzerne wie HP, Dell oder Fujitsu-Siemens machen mit der Ausbeutung der Arbeiter größte Profite, doch die Arbeiter werden daran nicht beteiligt.(...)
In China wird von immer mehr Arbeiterstreiks und -demonstrationen berichtet. Wehren sich auch die Arbeiter der IT-Industrie gegen die Arbeitsbedingungen?
Landesweit nimmt der Protest von Arbeitern seit Mitte der neunziger Jahre zu. Inoffiziellen Zahlen zufolge findet im Pearl River Delta jeden Tag mindestens ein Streik statt, an dem mehr als 1 000 Arbeiter beteiligt sind. Mittlerweile wird in den Werkshallen der IT-Fabriken derart oft zu spontanen Streiks und Demonstrationen aufgerufen, dass einige Leute von täglichem Widerstand und wilden Streiks in der Region sprechen. Da ist also durchaus eine Kraft vorhanden, die um die Rechte der Arbeiter kämpft und den Druck auf die Regierung erhöht, weitere und bessere Arbeitsgesetze zu erlassen. So ist beispielsweise seit dem 1. Januar ein Gesetz über Arbeitsverträge in Kraft, auch das kann als ein Ergebnis des Drucks gewertet werden, der von den massiven Arbeiterprotesten in den vergangenen Jahren ausging.
Es sind aber nicht nur die Arbeiter im Süden, sondern auch die Arbeiter der staatlichen Betriebe im Norden, Taxifahrer, Hausangestellte oder Transportarbeiter, die auf die Straße gehen. 87 000 Arbeiterproteste wurden allein im Jahr 2005 gezählt.(...)
Die Wanderarbeiter stellen den größten Teil der Arbeiter in den IT-Fabriken im Süden. Sie sind gleichzeitig diejenigen, für die es am schwierigsten ist, ihre Rechte zu verteidigen. Denn ihnen fehlt das Geld, um Monate oder gar Jahre auf eine Entscheidung des Gerichts zu warten, wenn sie ihren Job verlieren. Sie müssen die Stadt verlassen, um sich woanders einen neuen Job zu suchen."(...)
(@mr. lemmy c.: nun, wie sieht´s also aus mit der "freiwilligkeit" und dem "besseren leben"? ich glaube eher, hier liegt ein klassisches beispiel für "vom regen in die traufe" vor.)
bei betrachtung der aktuellen ökonomischen lage in china muss ebenfalls von einer erhöhten wahrscheinlichkeit dafür ausgegangen werden, dass es dort im nächsten jahr umfassend kracht - denn lokal ist das schon permanente realität, und zwar schon seit den sog. "wachstumszeiten".
ich begrüße - und zwar bei allen dreien schon längst überfällig - dasgblog(ebenfalls mit einer vorliebe für lange texte),konsumpfals höchst informatives blog über eben denselbigen, sowiewirtschaftquerschuss, das blog, welches unverzichtbar geworden ist für die primär ökonomischen aspekte der systemkrise. allen hiesigen leserInnen seien die drei wärmstens empfohlen!
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es wird wieder mal höchste zeit für eine aktualisierung des index, das wird vermutlich in den nächsten tagen der fall sein.
beim anblick der täglichen news befallen mich zunehmend kopfschmerzen... wobei: eher nehme ich die sowie das deutlicher werdende bauchgrummeln in kauf, als das ich mich in dengleichmutder allgemeinen trance begebe:
(...)"Der aufreizende Gleichmut, mit dem die »Kapitalverbrechen« des Finanzsystems (Spiegel) zu den Akten genommen werden, ist keine Spezialität von ZDFRTL, er ist typisch. Überall in der Gesellschaft herrscht informierte Apathie und unheimliche Gelassenheit, und der Glühweinverkauf auf Weihnachtsmärkten zeigt eine erfreuliche Tendenz: Es geht aufwärts. Gestern noch zeigte die Öffentlichkeit ihren treuen Alarmisten bei jeder Wortmeldung die Rote Karte; heute, wo die Realität selbst Alarm schlägt, trainiert sie ihre seelische Festigkeit im Erdulden schlimmer Nachrichten. Wir erleben, so gab der Sozialpsychologe Harald Welzer in der FAS mit fasziniertem Schaudern zu Protokoll, eine »Epochenwende«, eine tiefe Zäsur, während gleichzeitig das Leben seinen gewohnten Gang gehe. »Die Autos fahren, Restaurants sind geöffnet, die Welt ist nach wie vor in Farbe.« Alltag und Apokalypse, Normalität und Ausnahmezustand durchdringen sich wechselseitig und bilden das paradoxe Mischgefühl der neuen Epoche. Alles scheint wie immer, doch nichts ist wie sonst."(...)
ganz recht, in diesem teil der welt - in anderen schon lange und längst nicht mehr - scheint alles wie immer - genau dieser schein dürfte zu einem großen teil das produkt jener fiktionen und halluzinationen sein, die franz schandl als inzwischen eigentlich tragenden motor der real immer weiter kollabierenden kapitalistischen ökonomie ausmachte (das schandl-zitat habe ich in den letzten beiträgen bereits zweimal gebracht, darum verzichte ich auf die wiederholung). aber wie schon letztens in einem kommentar gesagt: in wettlauf zwischen realität und fiktionen wird die erstere unzweifelhaft die ziellinie als erste erreichen. die frage ist jetzt nur noch: wann ist es (hier) soweit? und noch wichtiger: wie werden all die mitmenschen auf den dann fälligeneinbruch der realitätreagieren? immerhin wird diese frage dann nur in ausnahmefällen innerhalb der gemütlichen diskurse kulturwissenschaftlicher tagungen beantwortet werden; sondern dann wird sie im alltag, auf den straßen, in banken, geschäften und unternehmen beantwortet werden müssen.
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prognosen, zumindest ökonomischer art, will ja inzwischen kaum noch jemand hören, was nicht zuletzt auch mit dem offenbar werdenden versagen all der mainstreamökonomen zusammenhängt, die der kriseneskalation von beginn an hinterherhecheln. dabei gibt es durchaus auch vorhersagen, die aufgrund ihrer vorhandenen orientierung an der realität ernst genommen werden müssen.leapist dabei ein - meinem eindruck nach eher (links-)liberaler - europäischer think tank, der regelmäßig ein newsletter, dasglobal europe anticipation bulletinGEAB veröffentlicht - in wesentlichen teilen leider nur per abo einsehbar, aber die zusammenfassungen werden als pressemitteilungen herausgegeben. und in der neuesten mitteilung steht nun folgendes:
(...)"LEAP/E2020 geht davon aus, dass diese umfassende weltweite Krise sich im März 2009 noch einmal beschleunigen wird. Wie im September 2008 wird sie einen Gang höher schalten. Wir gehen davon aus, dass mit Ende des ersten Quartals 2009 die Welt erkennen wird, dass das Fundament der Weltwirtschaft dreifach untergraben wird, nämlich durch :
1. den psychologischen Faktor der allgemeinen Erkenntnis über die Nachhaltigkeit der Krise ;
2. die weltweite Explosion der Arbeitslosigkeit ;
3. das Risiko eines Zusammenbruchs des kapitalfinanzierten Rentensystems.
Die Krise erzeugt eine negative Stimmung und die negative Stimmung verschärft die Krise. Wenn die Menschen in Europa, Amerika und Asien erst zur Überzeugung gelangt sein werden, dass die Krise jeglicher nationaler oder internationaler Kontrolle entglitten ist, dass sie alle Weltregionen in Mitleidenschaft zieht (auch wenn einige mehr betroffen sein sollten als andere - vgl. 28. Ausgabe des GEAB), dass sie mit ihren Auswirkungen nun auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft zieht, dass sie unmittelbar die Lebensgrundlage Hunderter von Millionen Menschen in der industrialisierten Welt gefährdet, dann ist eine weitere Beschleunigung nicht mehr vermeidbar. Die nationalen Regierungen und die internationalen Institutionen haben nur noch ein bis drei Monate, um sich auf diese Situation vorzubereiten. Das soziale Konfliktpotential ist enorm. Die Länder, die in Zeiten explodierender Arbeitslosigkeit und insolventer Pensionsfonds keine sozialen Mindeststandards garantieren können, werden, wenn Angst viele Menschen ergreift, der Gefahr sozialer Instabilität am stärksten ausgesetzt sein."(...)
da sich die leute in diesem think tank als ratgeber der europäischen regierungen begreifen, ist die anfängliche focussierung auf die "negative stimmung" durchaus begreiflich, und ich kann mir gut vorstellen, dass in diesen tagen etliche meetings u.ä. innerhalb der apparate stattfinden, die sich nur diesem thema widmen - "wie erzeugen wir um himmels willen wieder eine positive stimmung?" was aber nur dem versuch gleichkommt, die vorhandenen fiktionen zu kräftigen - ein unterfangen, welches fehlschlagen wird bzw. muss, wenn Sie sich nochmal oben die einleitenden worte betrachten.
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was u.a. auch damit zusammenhängt, dass so viele tatsachen gar nicht geschönt werden können - es sei denn, die apparate würden den direkten zugriff auf alle medien versuchen. das aber wäre spätestens im moment eines solchen versuches ein sicheres anzeichen für den kurz bevorstehenden allgemeinen ausnahmezustand. was das für tatsachen sein können? ein kleiner und recht wahlloser überblick:
"Die künftige US-Regierung will mit massiven Investitionen den völligen Absturz der Wirtschaft verhindern. Die Lage sei schlechter als befürchtet, warnt der designierte Vizepräsident Joe Biden. Ein weiteres 700-Milliarden-Paket zur Bekämpfung der Krise sei dringend notwendig."(...)
"18 Städte aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land fordern einen Rettungsschirm für ihre Stadtkassen. Ohne Hilfe drohe den Kommunen eine Finanz-Katastrophe."(...)
(...)" Immer mehr Firmen schicken ihre Beschäftigten deshalb in Kurzarbeit: So bereitet sich der Stahlkonzern ThyssenKrupp darauf vor, seine Produktion wegen der Flaute in der Autoindustrie bis September herunterzufahren. Treffen dürfte es 20.000 der 41.000 Beschäftigten, bestätigte ein Sprecher von ThyssenKrupp Steel in Duisburg. Betriebsratschef Willi Segerath sagte, für die Stahlarbeiter bedeute dies Nettogehaltsverluste von sieben bis zehn Prozent.
Kurzarbeit melden auch der Stuttgarter Autohersteller Daimler sowie die Zulieferer Bosch und Continental an. Der Leverkusener Chemiekonzern Lanxess prüft noch. Auch der Chiphersteller Infineon, dessen sächsische Tochter Qimonda ums Überleben kämpft, schickt seine Beschäftigten ab 1. Januar nach Hause. Insgesamt wurde im November für 165.000 Arbeitnehmer Kurzarbeit beantragt, im Oktober waren es nur 57.000."(...)
und das sind nur drei meldungen aus einer wahren flut in diesen tagen, über die den überblick zu erhalten sich schon lange als fast aussichtsloses unterfangen darstellt. und selbstverständlich kommt es dabei auch immer auf die perspektive an - ich persönlich finde längst nicht alles nur negativ, jedenfalls nicht von solchen standpunkten aus gesehen wie denen, das konstrukt der lohn(zwangs)arbeit als lebenssinn (mit dem impliziten konsum zwecks kompensation) als destruktiv und verrückt genauso abzulehnen wie unsere ganze existierende soziale und ökonomische organisationsform überhaupt. und vor diesem hintergrund erklärt sich ein teil meiner kopfschmerzen auch durch die kenntnisnahme von angeblichen "lösungsversuchen" wie bspw. mehrstrassenbau- nichts kann gleichzeitig die ratlosigkeit und dummheit, aber auch skrupellosigkeit der "eliten" besser unter beweis stellen als dieses stumpfe "mehr desselben" in zeiten von klimawandel und peak oil. bei solch allgemeingefährlichen aktionen bekommen fragen und gedanken wie die vongünther andersdann nochmals ein anderes gewicht.
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das leitet über zum begriff der "sozialen stabilität", der auch im GEAB nicht zufällig eine wesentliche rolle spielt. die dürfte sich dann im nächsten jahr mehr und mehr verflüchtigen, was - begrenzt - an solchen etwas surrealen szenen wie aus island deutlich wird:
anhand der news-beiträge aus den letzten wochen lässt sich dort die entwicklung gut nachvollziehen - mittlerweile finden nicht mehr nur samstags regelmässige demonstrationen statt, sondern täglich. und was da im video zu sehen ist, ist eine aktion gegen die isländische kreditaufsichtsbehörde. außerdem wurde am mittwoch eine filiale der landesbank mit der forderung nach rücktritt der kompletten geschäftsführung besetzt. was passiert daim eissturm?:
(...)"Das Empörende für die Menschen ist, dass keiner seinen Hut nimmt. Davíd Oddsson, der ehemalige Ministerpräsident, der die Privatisierung der Banken einleitete und heute die Landsbanki leitet, denkt nicht daran zu gehen. Und die Banker, die auch die Pensionen der Alten verzockt haben? Die ihre unglaublichen Gehälter damit begründeten, dass sie so viel Verantwortung auf ihren Schultern trügen? Sind alle verschwunden. Vilhjálmur Bjarnason, der konservative Ökonom, der einem ruhig und sachlich die Zusammenhänge der Katastrophe auseinandersetzen kann, kriegt rote Flecken am Hals, als er sagt: "Das Unglaubliche ist, denen ging es nur ums Spielen. Die Banken, unser aller Geld, das Land, alles war für die Spielzeug." Und Gudmundsson wird recht laut, als er sagt, er kriege das mit seinem Rechtsempfinden nicht zusammen, die die"s verbockt haben, sitzen in Südfrankreich und all die vernünftigen Bürger, die nicht mitgemacht haben, sollen auf Jahrzehnte hinaus bezahlen.
Die Behörden sind keine Demonstrationen gewöhnt. Sie sind äußerst nervös und setzen Pfefferspray gegen junge Studenten ein. Die Künstlerin Katrín Ólafsdãttir hat gefilmt, wie ein paar Jugendliche von der Polizei gefesselt und abgeführt werden, die ruhig auf dem Bürgersteig standen. Als Ólafsdãttir zu einer danebenstehenden Journalistin sagt, das sei unerhört, entgegnet die: "Die Polizisten tun nur ihren Job." Ólafsdãttir aus dem Off: "Ihren Job? Die Demonstration war friedlich, warum werden die festgenommen?" Die Dame in schwarz: "Ich habe nichts gesehen." Am nächsten Tag wurden die Demonstranten als Abschaum bezeichnet. Soviel zur Rolle der Medien, die übrigens fast alle den mächtigsten Männern des Landes gehören.
Und, wie geht es nun weiter? Einar Már Gudmundssons Enkelin Kreppa heißt mittlerweile Pauline. Die Demonstranten gehen seit Montag jeden Tag auf die Straße; am Mittwoch gingen erstmals Scheiben zu Bruch. Die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auf 5,4 Prozent gestiegen; prognostiziert werden zwischen 10 und 25 Prozent. Die Inflation schnellte auf 18 Prozent hoch. Was deshalb so schlimm ist, weil viele Isländer Kredite in ausländischer Währung aufgenommen haben, wer also im Oktober 15 Millionen Kronen Schulden hatte, der hat jetzt 22. Kein Wunder, dass 40 Prozent der 20- bis 25-Jährigen überlegen, auszuwandern, "schließlich ist kein Land der Erde je so schnell und krass abgestürzt in Friedenszeiten", sagt der Ökonom Jãn Daníelsson. Nur Vilhjálmur Bjarnason, früher das Orakel, will sich nicht mehr äußern zur Zukunft. Er sagt nur: "Es ticken noch fürchterliche Zeitbomben, aber die will ich nicht nennen. Ich will noch leben an Weihnachten."(...)
ja, zeitbomben. auf denen sitzen wir alle schon unser ganzes leben lang. nur wird das ticken immer lauter.
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und das die "eliten" dieses ticken ebenso vernehmen und sich - was noch wichtiger ist - davon von fall zu fall auch beeindrucken lassen, zeigten vor ein paar tagen meldungen ausfrankreich:
(...)"Im Vergleich zu dem, was gerade in Athen passiert, ging es in Frankreich in den letzten zwei Wochen noch ruhig zu. Aber weil die Stimmung zu kippen drohte, ruderte die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy zurück und verschob kurzerhand eine umstrittene Schulreform.
In Brest warfen demonstrierende Schüler in den letzten Tagen Schaufensterscheiben ein, zerkratzten und zerbeulten Autos, einige schmissen Steine. In Lille zündeten junge Leute Mülltonnen und ein Auto an und zertrümmerten eine Bushaltestelle. In Nantes stürmten sie Schulen und schäumten sie mit Feuerlöschern voll. In einem Pariser Vorort wurde ein Schulleiter durch einen Brandsatz leicht verletzt, wie die Behörden mitteilten.
Überall in Frankreich, in Städten wie Dörfern, ließen Schüler in den vergangenen Wochen den Unterricht ausfallen, besetzten Schulen und zogen mit Transparenten durch die Straßen. Ihr Ziel: eine umstrittene Oberstufenreform verhindern, durch die rund 25.000 Stellen gestrichen werden sollten. Ihre Gegner: Präsident SarKozy und sein Bildungsminister Xavier Darcos.
Erst demonstrierten die Schüler friedlich, dann immer energischer, mittlerweile ziemlich krawallig. Jetzt gaben Sarkozy und sein Minister klein bei und verschoben kurzerhand ihr umstrittenes Vorhaben. "Das Klima ist objektiv ungeeignet, gelassen voranzuschreiten", sagte Darcos.
Damit untertreibt er: Laut Medienberichten fürchtet die Regierung griechische Verhältnisse, die Zeitung Le Monde schreibt vom "griechischen Syndrom".(...)
das hat zwar nur mittelbar etwas mit der allgemeinen krise zu tun, ist aber trotzdem in form des üblichen "wir-müssen-sparen-vor-allem-beim-sozialen" - geplärres der kapitalistischen "eliten" ein teil von ihr. und erst recht ist die benannte furcht der regierung deutlich ein resultat dessen, was bis zum heutigen tag in griechenland passiert.
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bevor wir dorthin einen blick werfen, möchte ich Sie aber noch an die in den letzten news skizzierte lage in den usa erinnern. und ebenfalls andiese nachricht aus dem september, in der es um die bereitstellung aktiver einheiten der us-army für den inlandseinsatz ging. ein republikanischer senatorwarntedieser tage vor bevorstehenden inneren unruhen in den usa, was auch die hektischen aktivitäten zur "rettung" der dortigen autoindustrie letztlich ebenso verständlich macht wie den widerstand von seiten der republikaner dagegen sowie wie die bereitstellung der armee:
(...)“We’re going to have riots. There are already people rioting because they’re losing their jobs when everybody else is being bailed out. The fairness of it becomes more and more evident as we go along. The auto companies may be hurting,” he said, but “there are very few companies that aren’t hurting and they’re going to hurt. We don’t have enough money to bail everyone out.”(...)
der letzte satz ist entscheidend. es brennt inzwischen an viel zu vielen stellen in der us-ökonomie gleichzeitig, und diese erkenntnis dürfte auch den weiter oben zitierten biden zu seiner aussage bewogen haben.
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zur situation in griechenland möchte ich heute in der hauptsache auf zwei umfassende zusammenfassungen verweisen: einmal beicontrainfo, zum anderen sind auch beitelepoliseinblicke jenseits des mainstreams zu gewinnen. bemerkenswert sind dabei für mich nicht nur die zunehmenden besetzungen plus anschließender alternativer nutzung von tv- und radiosendern, sondern auch die besetzungen öffentlicher gebäude wie rathäuser u.ä.
ein beitrag bei indymedia, dem anschein nach direktaus athen, enthält hingegen informationen, die zumindest ich bisher nicht verifizieren konnte, deren brisanz aber vor dem hintergrund der aktuellen situation nicht zu unterschätzen ist. wie gesagt, das folgende muss erst noch von anderen seiten bestätigt werden:
(...)"Ein Soldat hat informiert das Soldaten aus 45 Kasernen in ganz Griechenland öffentlich erklären das sie sich weigern auf der Strasse zu gehen und Waffen gegen menschen mit denen sie gemeinsame Zukunft wünsche haben zu terrorisieren. sie machen öffentlich das in mehre Kasernen Polizei Fahrzeuge gebracht werden um da geschützt zu sein, das es die Vorstufe von Ausnahme zustand ist, manche Kasernen mit Plastik Geschosse beliefert würden mit der ansage bei eigenen Gefahr zu schiessen.
sie sind mehre hundert Soldaten die öffentlich sich weigern und informieren wollen. eine interessante info ist das deutsche und italienische spezialeinheiten nach Griechenland gekommen sind mit den Auftrag die aufstandsbekämpfung zu unterstützen."(...)
und der letzte satz beschreibt eben bei der europäischen zusammenarbeit in sachen repression etwas, was durchaus im bereich des vorstellbaren liegt. eine zunehmende - parteiische - politisierung der armee hingegen dürfte nicht nur für die griechischen "eliten" ein absolutes warnsignal darstellen. und das würde ich als weiteren grund dafür ansehen, die information hinsichtlich der hilfe zur aufstandsbekämpfung ernst zu nehmen.
es ist offensichtlich die zeit der zurückkehrenden gespenster, nicht nur der zottelige marx tummelt sich fröhlich im mainstream und blamiert die kapitalismusgläubige ökonomie, sondern auch in anderen wissenschaftszweigen sieht man sich - natürlich ganz unversehends - mit den als "tot" deklarierten untoten aus dem keller der eigenen fiktiven realitäten konfrontiert. im falle der kulturwissenschaften trägt dieser quicklebendige und mit guten gründen extrem missgelaunte zombie den namenrealität:
"Ohne den Anspruch, Aussagen über die Wirklichkeit zu treffen, geht in den Wissenschaften gar nichts. Dabei ist das, was real genannt wird, stets umstritten. Speziell in den Kulturwissenschaften herrscht eine Lesart vor, der zufolge Realität sozial oder kulturell konstruiert sei. Doch auch bei ihnen geht seit geraumer Zeit wieder das "Gespenst des Realen" um."(...)
zynisch könnte man fragen, ob die wiederkehr dieses gespenstes nicht auch etwas mit den trüben ökonomisch-finanziellen perspektiven der sog. geisteswissenschaften generell zu tun haben könnte - die famose konstruktion beliebiger virtueller welten (für die es dann womöglich wissenschaftliche reputation, diplome und fördermittel gab) ist ein unterfangen, welches als basis untrennbar von der befriedigung gewisser körperlicher grundbedürfnisse abhängt (und nein, die halluzinationen von hungernden beruhen zwar funktionsmässig auf den gleichen mechanismen, haben aber einen anderen strukturellen hintergrund).
aber gut, ich lasse den zynismus rechts liegen - immerhin ist das thema bzw. die tatsache überhaupt der gleich zur sprache kommendenkonferenzetwas, was im besten fall einen höchst überfälligen und notwendigen paradigmenwechsel ankündigen könnte:
"In den Kulturwissenschaften gaben im letzten Jahrzehnt konstruktivistische Ansätze den Ton an: Wir konstruieren die Welt durch Symbole und Repräsentationen. Das heißt aber auch, dass wir das Reale "als solches" von uns fernhalten und ungreifbar machen. Wenn dieses Verfahren versagt, kommt es zum "Einbruch des Realen" in die Bedeutungswelt der Kultur. Vor allem in Horror und Trauma zeigen sich, so die These, Einbruchsstellen des Realen, weil Traumaerfahrungen sich nicht in symbolischen Praktiken bewältigen lassen."(...)
klar - wenn es blutig und schmerzhaft wird, brechen die konstruktionen zusammen (der wunsch nach diesem zusammenbruch könnte bekanntlich auch eine hauptrolle bei den diversen praktiken des selbstverletzenden verhaltens spielen), außer bei jenen abgebrühten zeitgenossen, deren wahrnehmung so defekthaft ist, dass zur kompensation dieser defekte nichts anderes mehr als konstruktionen (aka fiktionen, halluzinationen, als-ob-zustände) zur verfügung stehen. den stammleserInnen hier werden diese gedanken nicht neu sein. ebensowenig wie die oben im letzten satz benannte tatsache, die bspw. von einem konstruktivistisch argumentierenden wie dem verstorbenem paul watzlawickimplizit bestrittenwurde (im verlinkten beitrag der letzte teil unten). ich hatte die fällige kritik damals so ausgedrückt:
"das der begriff der wahrheit tatsächlich zur rechtfertigung von und für destruktive fiktionen benutzt wird und wurde, macht ihn deswegen absolut nicht überflüssig. wie üblich in den bekannten westlichen philosophischen strömungen, wird schlicht ihre eigene - und wichtigste - voraussetzung vergessen: sie stammen alle aus einer kultur mit verbreiteten traumatischen sozialstrukturen, die sie unreflektiert wiederspiegeln. die real nicht begründbare dominanz, die sie allesamt dem "geistigen" (aka objektivistischen) teil des menschen zusprechen, ist bereits teil einer traumainduzierten strukturellen fragmentierung auch und gerade bei denjenigen, die solche konstrukte entwickeln. sie tun das aus ihrer eigenen - bereits geschädigten - wahrnehmung heraus und setzen die ergebnisse dann als generelles und absolutes.
damit verbunden ist regelmäßig und zwangsläufig die verleugnung des körpers, wobei diese nicht platt wie bspw. im christentum (fiktion religiösen typs), sondern subtiler stattfindet - körperliche vorgänge gerade in sozialen beziehungen werden hier grundsätzlich als manipulierbar verstanden, eine konstellation, die nur bei einer bereits vorhandenen opposition (virtuelles) "geistiges ich" vs. körper überhaupt möglich ist) und der in ihm basierten möglichkeiten der authentischen wahrnehmung, auf der jede authentische - d.h. vollständige und auch gesunde - menschliche identität beruht. die durch die traditionellen erziehungspraktiken verhinderte bzw. gestörte entwicklung dieses identitätsgefühls führt zwangsläufig zu kompensationsversuchen in form von fiktionen und konstruktionen - zu als-ob-realitäten bzw. virtuellen simulationen. die von von foerster angeführten beispiele wie die kreuzzüge stellen letztlich materielle umsetzungen von als-ob-realitäten wie "göttern" (und auch "nationen") dar - und die werden nicht grundsätzlich mittels anderer simulationen aus der welt geschafft (was der konstruktivismus vorschlägt, und besonders watzlawick mit seiner "als-ob-therapie", die zb. bei traumatisierten, deren authentische gewalterfahrungen ganz real in neuronalen sub-netzwerken des gehirns und auch im körpergedächtnis gespeichert sind, dazu führt, dass die betroffenen diese erfahrungen verleugnen, als fiktion betrachten sollen), sondern einzig und alleine durch die in * allen menschen grundsätzlich angelegte volle entfaltung bzw. wiedererlangung der authentischen, körperlich basierten wahrnehmung mit all ihren beziehungsoptionen."
(* = hier würde ich mittlerweile dazu tendieren, das wörtchen "fast" zu benutzen.)
deshalb finde ich töne wie rund um diesen kongress dann auch so interessant - es geht weiter mit zitaten aus dem ersten link ganz oben:
(...)"Mit dem Realen hat es in der Moderne eine merkwürdige Bewandtnis. Spontan wird man sagen: Nichts ist gegenwärtiger und unabweisbarer als das Reale. Und doch tun Dichter, Maler, Philosophen und selbst Naturwissenschaftler sich notorisch schwer damit, Auskunft darüber zu geben, wie es 'wirklich ist'.(...)
tja, dazu braucht es lediglich funktionierende selbst- und fremdwahrnehmung, die von ihrem ganzen ansatz her dafür ausgelegt ist, die (menschliche) realität zu erfassen - genauer: zu spüren. generationenalte praktiken der desensibilisierung und der entwertung der selbstwahrnehmung vor allem bei kindern führen dann u.a. zu genau diesem resultat:
"Und doch tun Dichter, Maler, Philosophen und selbst Naturwissenschaftler sich notorisch schwer damit, Auskunft darüber zu geben, wie es 'wirklich ist'.
und verbringen dann ihr restliches leben mit vielfältigsten versuchen, diese wirklichkeit zu fassen zu bekommen. dabei sind die erstgenannten i.d.r. sogar potenziell erfolgreicher, weil sie es sich zumindest teilweise gestatten, ihre inneren schmerzen wahrzunehmen und sie in teils sehr berührende (genau das macht authentische kunst aus) materielle ausdrucksformen zu transformieren.
"Denn was sich sprachlich und bildnerisch zum Ausdruck bringen lässt oder was sich in wissenschaftlichen Versuchsanordnungen zeigt, ist schon nicht mehr das Reale 'als solches', sondern gleichsam gefiltert (und womöglich verfälscht) durch den Eigensinn subjektiver Erfahrung, kultureller Zeichensysteme oder technischer Apparate."
"eigensinn subjektiver erfahrung" ist nun mal eine der blumigsten metaphern, die ich für inneren schmerz je gehört habe. unerfreulich ist dabei aber auch die notorische implizite entwertung subjektiver wahrnehmung, die ich allerdings für unser mensch-sein konstituierend halte. und zum stichwort "technische apparate" (man könnte hier auch die naturwissenschaftlichen techniken insgesamt anführen): im streit mit konstruktivistischen ideologen jeder coleur kommt meistens als letztes argument die berufung auf die moderne physik, gerade teilchen- und quantenphysik, welche die vorstellung einer objektiven realität ein für alle mal erledigt hätten. darauf hatte ich früher mal die folgendeantwortversucht:
"erstens: ich habe keinerlei grundsätzliche schwierigkeiten mit bestimmten vorstellungen, die sich bspw. durch bereiche wie die neurowissenschaften oder auch die moderne physik ergeben - ganz grob und verkürzt meine ich damit, dass wir durch unser gehirn und mittels unserer wahrnehmung in einem gewissen sinne erst das quasi erschaffen (das wort "konstruieren" greift an dieser stelle zu kurz und inpliziert imo auch etwas falsches), was wir als materielle realität um uns herum wahrnehmen - in dem sinne, das bspw. farben, gerüche, geschmack und all die unzähligen wahrnehmungen durch das zusammenspiel von im "außen" vorhandenen atomen und molekülen mit den atomen und molekülen unseres körpers zustandekommen. und das andere sinne bspw. bei tieren wie fledermäusen (ultraschall) für diese auch dafür sorgen, dass sie eine qualitativ andere welt als die menschliche erleben - wobei wir über dieses erleben nur spekulieren können. ich hoffe, das für Sie einigermaßen deutlich ist, was ich hier meine. aber wie gesagt: eine konstruktion im sinne einer rein aktiven bzw. bewußten handlung ist das für mich nicht, weil wir für die gesamte dauer unserer existenz untrennbar in diesen prozeß eingebunden sind und das sozusagen einen grundlegenden und integralen teil unseres seins ausmacht. ebenfalls ist unsere grundlegende und spezifisch menschliche realitätswahrnehmung an unsere körperlichkeit gebunden. und das ist imo zu unterscheiden von der art konstruktivismus, für die primär der objektivistische modus zuständig ist. und meine kritik bezieht sich eben auf diese letztere art.
zweitens: eine folgerung daraus kann ich hoffentlich ziemlich kurz abhandeln - es geht um den konsens der realität, den wir alle permanent und ununterbrochen produzieren. wobei es hier um die äußere realität geht - in der bspw. ein tisch durch seine funktion und handfeste beschaffenheit definiert wird, und in der wir durch die nutzung der sprache - hier eben des wortes "tisch" - dieses wissen bei uns allen aufrufen und uns derart verständigen können - und zwar relativ unabhängig von unseren ganz persönlichen assoziationen und empfindungen, die wir mit einem tisch ansonsten noch verbinden - die können sehr unterschiedlich sein, und vervollständigen sozusagen den grundkonsens "tisch" um eine einzigartige, individuelle note. nur in diesem sinne ließe sich behaupten, dass jede person einen tisch "für sich" wahrnimmt (wie es der radikale konstruktivismus nahelegen würde) - aber das ist eben nur die eine hälfte der realität, wobei sie untrennbar zur - und hier ist dieses wort angemessen - objektiven realität dazugehört. es lässt sich unmöglich sagen, dass die eine hälfte "besser" oder "realer" als die andere wäre - nur das die funktion, welche die objektive realität schafft, eine elementar subjektive ist (genauer nachzulesen in den weiter unten stehenden beiträgen zum thema objektivismus und subjektivität.)
und so wird hoffentlich deutlich, dass die trennung zwischen subjektiven und objektivitäten realitäten ein grundlegender irrtum ist - wenn es den anschein dieser trennung trotzdem gibt, so hat das gründe, die eher in unseren verrückten sozialen verhältnissen zu suchen (und zu finden) sind.
drittens: wenn schon der allgemeine, eher philosophische konstruktivismus derartige verwirrungen anzettelt, so wird das im falle der konstruktivistischen psychologischen ansichten geradezu kriminell: dieses denken konsequent auf das soziale leben angewandt, landet man(n) schurstracks beim solipsismus - in dieser sicht ist und bleibt jede/r von uns auf ewig eingekerkert in einer inneren zelle ohne ausgang, deren wände aus schichten von abbildungen, illusionen und fiktionen bestehen - ohne jede chance, jemals die tatsächliche realität wahrzunehmen. das erinnert nicht ganz zufällig auch an den autismus , wobei hier defektbedingt das meiste bzw. all das von dem verschwunden ist, was wir allgemein als subjektive realität zu bezeichnen pflegen - es bleibt einzig der objektivistische modus mit seinen konstruktionen übrig, die ohne den elementaren subjektiven teil zwar weiterhin funktional(!) subjektiv sind und bleiben, aber eben die typischen mechanistisch-toten eigenschaften der objektivistischen produktionen als totale und einzige realitätswahrnehmung zulassen - einfach, weil die wahrnehmungsfähigkeiten, die die lebendigen qualitäten wahrnehmen könnten, geschädigt oder nicht (mehr) vorhanden sind."
auch mit inzwischen mehrjährigem abstand scheinen mir in den obigen absätzen die wesentlichen kritikpunkte am konstruktivismus weiter treffend zu sein. und vor diesem hintergrund lese ich im aktuellen text:
"So suggeriert der Begriff des Realen einerseits etwas Eigentliches, Wesentliches und Grundlegendes, dessen man andererseits nur in einer entstellten und verminderten Gestalt habhaft werden kann.
'Das Reale' ist massive Präsenz, die aber nicht repräsentiert werden kann und sich in dem Maß entzieht, in dem man sie zu fixieren versucht. Es liegt geradezu in der Definition des Realen, dass es nicht von den Vorstellungen erreicht wird, die man sich von ihm macht."(...)
nochmal: "entstellt und vermindert" erscheint die "gestalt" der realität nur dann, wenn die psychophysischen funktionen der realitätswahrnehmung entstellt und vermindert sind. und für das letztere ist i.d.r. die vielfältige gewalt in unseren sozialstrukturen verantwortlich.
den letzten satz im zitat hingegen unterschreibe ich, aus einem gleich folgenden grund:
"So paradox es klingt: Das Reale stört als exzentrische Größe die innere Stimmigkeit der Sprach- und Erkenntnissysteme, die sich um seine Bestimmung bemühen. Daher rühren auch die Versuche, es sich unter dem Stichwort der sozialen bzw. kulturellen Konstruktion der Realität gleichsam vom Leibe zu halten."
das die "innere stimmigkeit" der sprach- und erkenntnissysteme nur ein mehr oder weniger schöner schein ist, lässt sich grob gesagt dadurch verstehen, in dem man die psychophysische quelle dieser systeme (ein sehr passender begriff) betrachtet: es ist diejenige instanz in uns, die sich als objektivistischer modus begreifen lässt - derjenige teil, der die (schlimmstenfalls völlig empathielose) art der instrumentellen "vernunft" hervorbringt, deren wildes wuchern dafür mitverantwortlich ist, das die westliche "zivilisation" in nicht mehr allzu ferner zukunft komplett gegen die wand fahren wird, falls wir nicht zuvor die fallen unserer bisherigen annahmen über die realität erkennen. die nur aus psychotraumatologischer sicht verständliche glorifizierung dieser tödlichen art der "objektivität" verhindert bis dato auch weitgehend die erkenntnis des grundes hierfür:
"Es liegt geradezu in der Definition des Realen, dass es nicht von den Vorstellungen erreicht wird, die man sich von ihm macht."
und das liegt schlicht und einfach daran, dass die konstruktionen des objektivistischen modus, wenn sie in einem menschen oder auch ganzen gesellschaften dominant werden, als kompensationsversuch von wahrnehmungsdefekten fungieren. wie schon früher ausführlicher erläutert, ist dieser modus zu unserem unglück funktionell weder dafür gedacht noch ausgestattet, die - hm, ganzheitliche subjektive realitätswahrnehmung zu ersetzen. das geht einfach nicht. und das geht unter anderem auch deswegen nicht, weil die volle realitätswahrnehmung bereiche umfasst, die dem werkzeug der objektiv-instrumentellen vernunft nicht zugänglich sind - bspw. intuitionen, ahnungen, das ganze spektrum der unaussprechlichen und teils widersprüchlichen gefühle. ich kann das werkzeug zwar nutzen, um solche inhalte auszudrücken (das machen zb. wie schon erwähnt künstlerInnen), aber dabei kommt es zwangsläufig trotzdem zu einem informationsverlust, bei dem die entscheidende frage jedoch sein dürfte, wie groß er real ist. kann ich in einer fremden erfahrung sozusagen mitschwingen, und zwar auch in dem wissen, dass ich diese erfahrung in ihrer originären form niemals kennen werde? oder muss ich mir komplett etwas konstruieren, was beliebig weit vom eigentlich gemeinten entfernt sein kann? noch anders: wie weit sind meine möglichen vorstellungen über fremde realität entfernt von der tatsächlichen realität? die beantwortung dieser frage ist meiner meinung nach überhaupt kein intellektuelles spielchen, sondern aufgrund ihrer implikationen lebenswichtig.
und das letztere sehe ich auch dann als gültig, wenn ich mir deutlich mache, dass der realität unsere vorstellungen letztlich egal sein können - sie ist einfach, und wird wahrgenommen, fehlwahrgenommen oder auch gar nicht wahrgenommen.
"Gleichwohl ist es niemals zu bannen. Regelmäßig taucht es wieder auf, wenn die Faszinationsphase eines neuen ästhetischen oder wissenschaftlichen Paradigmas abklingt. Und so könnte man das Reale als eine Art Wiedergänger porträtieren, der jeden Tod übersteht - sei es durch den philosophischen Idealismus, der das schöpferische Ich privilegiert; den Symbolismus, der unsere Weltsicht durch die Art unserer Symbolverwendung geprägt sieht; oder den sogenannten linguistic turn des 20. Jahrhunderts, demzufolge sprachliche Zeichen die Welt nicht bloß abbilden, sondern erzeugen.
Wie ein Kobold schaut das Reale um die Ecke, sobald die Verdrängungsenergien der jeweiligen Theorie zu erlahmen beginnen. Und diese koboldhafte Wiederkehr kennzeichnet offenbar auch die aktuelle theoretische Situation."(...)
"wie ein kobold", allerdings ein ziemlich böser, drängen sich bspw. auch traumatische erinnerungen mittels flashback in die wahrnehmung betroffener - sobald "die verdrängungsenergien zu erlahmen beginnen".
und wenn ich das auf die situation der kulturwissenschaftlichen theorie & praxis beziehe: solche momente sind eine chance für einen prozeß der wiederherstellung oder rückerlangung von verlorengegangenem wahrnehmungspotenzial, in letzter konsequenz also für subjektwerdung. und von daher sage ich nochmal mit nachdruck:
(...)"»Das System macht keine Fehler, das System ist der Fehler.« Diese schlichte Tatsache ist in Griechenland weit über die Anarchisten hinaus verinnerlicht bei den Schülern, Studierenden und Arbeitenden, die nicht nur in diesen Tagen gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen kämpfen. Sie alle setzen sich jeweils mit ihren eigenen Methoden zur Wehr – mit Kundgebungen, Schulbesetzungen, Schweigemärschen, Demonstrationen, mit Streiks, Werksbesetzungen, mit Steinen und Brandsätzen, mit Kerzen und Blumen. Und auch wenn in den eigenen Reihen die Auseinandersetzung über die Wahl der »richtigen« Mitteln oft heftig geführt wird, ist man von der in Deutschland bis zum G-8-Gipfel noch geradezu reflexhaft geleisteten Distanzierung von Gegengewalt weit entfernt.(...)
Die Angriffe auf Banken und Polizeiautos werden in den nächsten Tagen wieder auf das eher gewohnte Maß zurückgehen. Die Chance für Veränderungen im Land liegen in der beharrlichen Arbeit, an der Organisierung einer größtmöglichen Anzahl von Ausgebeuteten. Daran arbeiteten – wenn auch getrennt – die Kommunisten, die Linken, aber auch die Libertären und Anarchisten nicht erst seit den tödlichen Schüssen auf Alexis Grigoropoulos. Nur eben meist nicht im Rampenlicht der internationalen Aufmerksamkeit."
es finden weiterhin täglich in vielen städten und dörfern demonstrationen statt, viele universitäten sind besetzt, die letzten zahlen (per indymedia) sprechen auch von ca. 400 besetzten schulen. für den 20.12. wird aus griechenland zu eineminternationalen aktionstag aufgerufen. und die these von einer sozialen revolteerhärtetsich:
(...)"Laut einer in der Zeitung Kathimerini veröffentlichten Umfrage stuft die Mehrzahl der Griechen die Proteste als „Volksaufstand“ ein. Sechs von zehn sagten demnach, es handle sich um ein „Massenphänomen“ und nicht nur um eine protestierende Minderheit. Der konservative Zeitungsverleger Giorgos Kyrtsos meint, die Proteste seien Ausdruck einer weit verbreiteten Unzufriedenheit. „Wir treten jetzt in eine lange Periode der Wirtschaftskrise ein“, sagt er.
„Aber es gibt auch eine sich vertiefende soziale Krise, in Verbindung mit einem schwachen Staat. Wir befinden uns wirklich an einem Kreuzweg.“ Scharf kritisiert er das Verhalten der Regierung angesichts der Unruhen. „Das ist die einzige Regierung, an die ich mich erinnern kann, die es geschafft hat, nicht nur die rebellische Jugend, sondern auch die ordnungsliebende Menge gegen sich aufzubringen. Sie hat niemandem etwas anzubieten.“(...)
*
während hierzulande das weihnachtsgebimmel und -geklingel für verschärfte sedierung sorgt. manchmal ertappe ich mich bei der vorstellung, ob nicht tatsächlich tranquilizer im trinkwasser - aber nein, es ist dann doch wahrscheinlich "nur" die stinknormale soziale trance. die womöglich immer mehr dafür verantwortlich ist, dass uns der ganze laden bisher noch nicht um die ohren fliegt. beim studium diverser wirtschaftsblogs und -foren durch die letzten monate ist mir aufgefallen, dass die dortigen szenarien im abstand von ein paar wochen dann später auch im mainstream verkündet werden. und während dieser jetzt bei der schweren rezession angelangt ist, wird online schon an vielen orten diedepressionals realistisches szenario gehandelt. der unterschied zwischen beidem? nun, ich würde das so überspitzt formulieren: in einer schweren rezession gehen wir in billigklamotten zur tafel, um uns dort mit resten abspeisen zu lassen. in einer depression hingegen finden wir uns womöglich ziemlich zerlumpt vor einer staatlichen suppenküche auf einem öffentlichen platz wieder. schafsmentalität natürlich vorausgesetzt.
*
der existenz von fehlwahrnehmungen und folgender schönrednerei allerorten wird dabei zugebenermaßen auch dadurch gefördert, dass sowohl die meisten zuständigen "experten" als auch erst recht die politik herzerfrischend wenig ahnung von der derzeitigen ökonomischen prozessen zu haben scheint - was soll man dann noch groß der bevölkerung zuwerfen, außer beruhigungspillen? wenn ich es - mit aller vorsicht - richtig begreife, ist noch nicht einmal die hier und da bereits begrabene finanzkrise des herbstes begriffen worden, geschweige denn beendet - einen blick in die konstruktivistische welt der finanzprodukte und undurchsichtiger bilanzen liefert einmal mehr wirtschaftsquerschuss, heute mit einer weiterbildung zur frage, was eigentlichlevel-3-assetssind, und warum sie womöglich auch eine bedeutung für Ihr leben haben.
btw: kann sich eigentlich noch jemand an die zeit so von anfang september bis mitte oktober erinnern, als die lehman bros. den verdienten weg aller kapitalistischen institutionen antraten? ich meine die abermilliarden, die bereits vor den ganzen "rettungsschirmen" woche für woche von diversen zentralbanken rund um den globus in "die märkte" geschüttet worden sind. wer hat dieses geld real, wo ist es geblieben? und wer bezahlt die rechnung? fragen über fragen tun sich auf, und falls es in einigen jahren noch bücher und verlage geben sollte, prognostiziere ich schon mal eine flut von historischen rückblicken, ökonomischen selbstkasteiungen und soziologischen analysen.
*
das wörtchen "falls" oben steht da schon begründet - robert kurz macht sich in der taz gedanken zursystemkrise, und verteilt am ende noch ein paar dezente watschen nach links:
(...)"Weltweit steht die marktwirtschaftlich befriedete politische Linke mit offenem Mund da. Alle pragmatische Realpolitik in der besten aller Welten erweist sich als Lebenslüge. Der Epochenbruch von 2008 dementiert nicht den von 1989, sondern bildet dessen Fortsetzung. Denn das Ende des östlichen Staatskapitalismus gehörte ebenso wie die asiatischen und lateinamerikanischen Krisenschübe der 90er Jahre und der Dotcom-Crash 2001 zu den Vorboten einer allgemeinen Weltmarkt- und Systemkrise.
Der Kapitalismus scheitert an seinen eigenen Kriterien. Politisches business as usual war gestern. Das wird sich spätestens dann herumsprechen, wenn die Krise in den Alltag der postmodernen Ich-AG-Menschen durchbricht."
yep, yep und yep. wir hatten die metapher hier schon vor ein paar wochen: "revolutionäre situation ohne revolutionäre". (danke dafür an g.)
*
und ich kann nur dazu raten, die metapher tatsächlich ernstzunehmen. denn die basis für eine revolution wird letztlich in unendlich vielen kleinen und gar unscheinbaren alltagssitutionen gelegt, die dann am ende eine art akkumulation der wut ergeben. oder auch "nur" das wachsen der erkenntnis, dass "es" so auf keinen fall weitergehen kann. was "es" dabei meinen kann, zeigt der folgendeartikel:
(...)"Das System ist grausam geworden und funktioniert eigentlich nicht gut - das beunruhigt." Overprocessing, Bürokratie, Arbeitsüberlastung, Stress bis zum Burn-out und Demotivation seien die Namen für diesen großen Frust.(...)
innere kündigung ist letztlich nur ein synonym für die aufkündigung der loyalität. erst zum "eigenen" betrieb, dann irgendwann auf die gesamte art der herrschenden ökonomie, dann folgt ein sprung zum staat - und dann irgendwann vielleicht im besten falle das, was im gestrigen beitrag der text aus griechenland so prägnant-poetisch auf den punkt brachte:
"Eine Loslösung von dem Warten auf andere Tage, zu einem Punkt, an dem so viele gleichzeitig dachten: „Das war es, kein Schritt weiter, alles muss sich ändern, und wir werden es verändern.“
yo!
*
bei weissgarnix fand sich vor ein paar tagen ein beitrag mit dem titelDie anal-erotische Finanzkrise, den ich in wesentlichen teilen sehr ärgerlich finde. ein ausführlicher kommentar dazu, sobald ich mehr zeit zum schreiben habe. aber den wollte ich Ihnen schon vorher vorstellen, zumal er wenigstens einen versuch darstellt, die ganze geschichte mal aus einer völlig zu kurz kommenden und unterbelichteten perspektive zu betrachten.
"Trotz des starken Wirtschaftswachstums in Indien haben sich im Jahr 2007 erneut mehr als 16 600 verarmte Bauern das Leben genommen. Die Zeitung "The Hindu" berichtete unter Berufung auf offizielle Statistiken, allein im westindischen Maharashtra hätten aus wirtschaftlicher Not über 4000 Bauern den Freitod gewählt. Die Gesamtzahl der Kleinbauern-Selbstmorde liege etwas unter der im Jahr 2006, als sich landesweit mehr als 17 000 Landwirte das Leben genommen hätten. Der Trend sei aber ungebrochen. Seit dem Jahr 1997 hätten sich 180 000 meist hoch verschuldete Bauern in Indien selbst getötet."(...)
*
edit am 16.12.: zwei weitere nachträge, die ich einfach mal mit rein packe.
der eindruck, dass manche mitmenschen nicht von hier bis zur nächsten ecke denken können, überkommt mich derzeitig öfter bei freudenausbrüchen angesichts des niedrigen öl- bzw. benzinpreises. ja hallo? da öl der treib- und schmierstoff der motoren der globalen kapitalistischen ökonomie darstellt, was bedeutet denn dann die tatsache, dass der preis aufgrund niedriger nachfrage so derart eingebrochen ist? und was bedeutet die immer heftiger verleugnete bis bekämpfte realität vonpeak oildaher für die zukunft dieser art von ökonomie? richtig:Es reicht einfach nicht:
(...)""Ich bin Pessimist", behauptet Altvater von sich selbst. Entsprechend düster fällt die Zukunftsprognose aus, die er im Jahr 2005 in seinem Buch "Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen" aufgestellt hat: Altvater vertritt darin die These, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem bald den Exitus erleiden wird, weil ihm seine wichtigsten Ressourcen ausgehen: Öl und Gas. "Unser Zivilisationsmuster ist dann am Ende", sagt Altvater.
Mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Im deutschsprachigen Raum haben sich bisher allerdings nur wenige Wissenschaftler mit der Frage beschäftigt, welche Folgen es für Wirtschaft und Gesellschaft haben wird, wenn fossile Energieträger in absehbarer Zeit zur Neige gehen.
Einen von ihnen ist Jörg Schindler, Geschäftsführer des Ludwig-Bölkow-Instituts für Systemtechnik in Ottobrunn, das sich mit umweltfreundlichen Energie- und Verkehrssystemen beschäftigt. Über sich selbst sagt Schindler, er sei Optimist, doch das Ergebnis seiner Studie zur Verfügbarkeit von Öl und Gas ist furchterregend: ,"Es könnte Dinge geschehen, die wir nie zuvor erlebt haben und die wir wahrscheinlich nie wieder erleben werden, wenn die Übergangsphase abgeschlossen ist", schreibt Schindler darin.
Sein zentraler Befund lautet: Die weltweite Ölförderung hat im Jahr 2006 ihren Höhepunkt erreicht und wird bereits im nächsten Jahr zurückgehen - und zwar unwiderruflich. Beim Erdgas sieht die Situation nur unwesentlich besser aus. Selbst neue Funde könnten den Rückgang der Öl-Produktion allenfalls bremsen, aber keinesfalls aufhalten.
Denn von den 48 wichtigsten Förderländern haben 33 ihr Fördermaximum bereits hinter sich. Nur ein Beispiel: Das Ölfeld Cantarell vor der mexikanischen Küste zählt zu den größten der Welt, seine Förderleistung bricht jedoch so stark ein, dass Mexiko voraussichtlich in fünf Jahren kein Öl mehr exportieren kann."(...)
die nicht mehr allzu gewagte prognose, die sich daraus zwangsläufig ergibt: die aktuelle krise wird kein ende mehr finden. jedenfalls solange nicht, wie nicht qualitative und grundsätzliche veränderungen nicht nur unserer art der ökonomie, sondern des gesamten lebensstils, mit absoluter priorität auf die agenda gesetzt werden. und gerade daran werden die "eliten" zum größten teil keinerlei interesse haben.
*
und was krise bedeutet, ist in den usaimmer offenerzu beobachten:
(...)"Nahe dem Pentagon am südlichen Ufer des Potomac in einem grossen Einkaufszentrum stehen die Dinge entsprechend; nicht einmal unerhörte Discounts - «70 Prozent!» - animieren die Käufer. «Alle Schnäppchen, deren Preise mit 99 Cents enden, sind nochmals 30 Prozent verbilligt!», lockt die Managerin einer Bekleidungskette, ohne dass sich ihr Laden deshalb mit Kunden füllte.
Schon möglich, dass auch sie im Frühjahr, wenn die Zahl der Pleiten explodieren dürfte, auf der Strasse stehen wird. Nahezu 60'000 Betriebe und Firmen sind 2008 im Schlepptau der Krise in die Insolvenz geschlittert, darunter grosse Banken wie Lehman Brothers und kleine Klitschen, die ihren Inhabern gleichwohl den amerikanischen Traum garantierten. In Detroit hoffen die Autowerker unterdessen auf ein weihnachtliches Wunder, derweil Autohändler Verkäufer und Mechaniker feuern.
So steil sind die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung angestiegen, dass 30 Bundesstaaten das Arbeitslosengeld auszugehen droht, während die Kassen zweier Staaten - Michigan und Indiana - bereits leer sind. Kalifornien steht vor einem Budgetloch von über 40 Milliarden Dollar, andere Staaten haben längst begonnen, Bedienstete zu entlassen und Projekte einzufrieren.(...)
Millionen Amerikaner haben ihre Wohnungen und Häuser bereits verloren, weitere Millionen werden sich 2009 dazugesellen - und Wohnviertel hinterlassen, deren unheimliche Leere sich nicht dem Einsatz einer Neutronenbombe verdankt, sondern dem Untergang des Turbokapitalismus. Mittlerweile wächst die Zahl der Hungernden und zehrt jeder Zehnte bereits von staatlichen Lebensmittelmarken.
«Mehr und mehr arbeitende Arme schliessen sich den Reihen arbeitsloser, verarmter und obdachloser Familien an», berichtete Carolyn Duff, die Vorsitzende der Vereinigung der Krankenschwestern in amerikanischen Schulen, vorige Woche bei einer Anhörung über die Lebensmittelkrise vor dem Landwirtschaftsausschuss des Senats. Das Land, lautete danach das Fazit des demokratischen Senators Patrick Leahy, befinde sich in einer «signifikanten Wirtschaftskrise, und Hunger ist eines der ersten Anzeichen, das wir in dieser reichsten Nation der Erde sehen».(...)
sollte man jetzt zynisch werden und gerade auch im angesicht einer meldung wie weiter oben stehend aus indien sagen, dass es ja mal wenigstens "die richtigen" trifft, nämlich die bewohnerInnen ausgerechnet des landes, welches wie kein zweites den kapitalismus global durchgesetzt hat? oder eher berücksichtigen, dass es auch in den usa größtenteils wieder diejenigen treffen wird, die eh die arschkarte gezogen haben? und hoffen, dass sich auch dort endlich etwas zu rühren anfängt?
die parole in der überschrift habe ich das erste mal auf demonstrationen während der - fast vergessenen - unruhigen und bewegten jahre 1980/81 gehört, genauer nach dem tod vonklaus-jürgen rattayim damaligen westberlin (details sind im verlinkten beitrag zu finden). damals war´s nicht nur in westdeutschland unruhig, sondern ebenso in holland, großbritannien, italien, der schweiz... - hausbesetzungen, anschläge, straßenunruhen, anti-akw-proteste und die startbahn west in frankfurt prägten ebenso wie die revolution in nicaragua und der guerillakrieg in el salvador eine länderübergreifende bewegung, deren stärke in ihrer vielschichtigkeit lag, die aber gleichzeitig viele - v.a. kulturelle - momente einer klassischen jugendbewegung nicht überschreiten konnte.
trotz aller militanz gab es in dieser zeit nichts vergleichbares analog zu den aktuellen griechischen unruhen, und das mag auch daran liegen, dass die gesellschaftlichen verhältnisse heute trotz aller scheinbaren erstarrung wesentlich instabiler geworden sind. die parole jedoch finde ich nach wie vor sehr treffend in ihrer kenntlichmachung des primats der dingwelt und ihrer gleichzeitigen impliziten benennung der ungeheuren heuchelei, die noch stets jeden "krawall" in der (medialen) öffentlichkeit begleitet hat, und so natürlich auch die ereignisse in griechenland.
*
diese heuchelei löst in mir immer noch die gleiche (v)erbitterung aus, die ich als jugendlicher damals gespürt habe - anklagende zeigefinger auf ausgebrannte autos, kaputte schaufensterscheiben und verwüstete bankfilialien auf der einen seite, schweigen, ignoranz, schulterzucken und zustimmende passivität auf der anderen im angesicht von millionenfachen tod und elend durch den hunger, die kriege, die ökologische verwüstung sowie die zerstörung sozialer beziehungen und traumatisierungen planetenweit, die von der "besten aller welten" in gestalt der westlich-industriellen "zivilisation" bis heute ungebremst zur erhaltung des eigenen status quo verursacht werden. der ordentliche normale bürger, der sich wie ein schaf bösartig blökend die abgrundtief verlogenen postulate und bewertungen der "eliten" zu eigen macht und sich aus allem heraushält, was seine eigene friedhofsruhe stören könnte - zb. die verprügelten kinder in der wohnung nebenan -, alles als kriminelles chaos empfindet, was seinen eigenen pervertierten lebensinn bedrohen könnte - zb. kratzer im autolack -, und alles als unverschämte zumutung, was seine als-ob-freiheit des ungehinderten konsums in frage stellt, ist nach wie vor eine erbärmliche und dümmliche karikatur des menschseins, die sich in wahnhafter verkennung der realität dazu noch erdreistet, sich selbst für einen, wenn nicht den gipfelpunkt der schöpfung zu halten und dumpf "polizei" brüllt, wenn sich die realität in handfesten formen in seine simulationen und die erbittert verteidigte trance zu drängen droht. um diese spezies zu betrachten, reicht momentan ein blick in viele online-foren.
*
solche leute, deren funktion in vielerlei hinsicht mit der metapher des nützlichen idioten der herrschenden mafiösen strukturen auf den punkt gebracht werden kann, haben ebenso keinerlei legitimation sich über gegengewalt zu beschweren, wie die "eliten", die für sich ganz selbstverständlich in anspuch nehmen, gewalt je nach bedarf und abgesichert von den von ihnen geschaffenen apparaten, instanzen und gesetzen beliebig einzusetzen. diesem anspruch dienen die mechanismen der demokratiesimulationen ebenso wie die einschüchternde präsenz von militär, polizei, geheimdiensten, justiz und gefängnissen. nein, nicht der eindämmung der vielfältig vorhandenen antisozialen gewalt in den sozialen beziehungen dienen diese einrichtungen - das ist eher eine zweitrangige symptombekämpfung von phänomenen, die in einer grundsätzlich durch gewalt strukturierten gesellschaft zwanghaft ständig produziert (und bis zu bestimmten grenzen in kauf genommen) werden, sondern primär dienen sie einzig und alleine dem machterhalt und der absicherung der vorhandenen hierarchien, die von den herrschenden "eliten" als existenzielles elixier, als der für sie einzig zählende "lebenssinn" innerhalb des nur quantifizieren könnenden objektivistischen modus´ gebraucht werden. da sie die folgen ihrer gewalt zu großen teilen nicht wahrnehmen können, existieren diese folgen für sie in einem umfassenden sinne auch nicht. was dazu führt, dass gewalt ständig nur unter strategischen und taktischen gesichtspunkten gesehen werden kann.
*
aus diesen gründen habe ichneulichdas folgende fazit gezogen:
"und das macht meiner meinung auch sog. gewaltdebatten, jedenfalls in ihrer bisherigen form, ziemlich überflüssig."
das möchte ich im folgenden präzisieren:
wie ebenfalls im letzten beitrag schon geschrieben, respektiere ich gewaltlosigkeit als persönliche maxime und als ausdruck tiefgreifender biographisch-persönlicher erfahrungen absolut (wenn sie denn nicht blind ist gegenüber der systemimmanenten und -produzierten gewalt), sehe jedoch ein grundsätzliches problem darin, wenn aus dieser haltung heraus versucht wird, in gesellschaftliche prozesse einzugreifen. das problem liegt dabei in der wahrnehmungsbedingten und - eigentlich - grundsätzlich sinnvollen annahme, das mein menschliches gegenüber grundsätzlich gleich "tickt" (funktioniert) wie ich selbst.
ohne diese jeden tag unzählige male benutzte hypothese, die eigentlich eine art von grundsätzlichem vertrauensvorschuß darstellt, wäre die soziale menschliche welt, wären beziehungen aller art zwar vielleicht nicht unmöglich, würden sich jedoch tiefgreifend anders und v.a. komplizierter gestalten als eh schon.
diese gerade umschriebene annahme lässt sich als teil unserer aller psychophysischen grundausstattung ansehen, und wenn ich "alle" schreibe, meine ich in diesem fall auch alle, selbst die soziopathischen zeitgenossen, die meiner meinung nach mit der gleichen hypothese operieren. aber genau in letzterem zeigt sich bereits das erwähnte problem.
gewaltlosigkeit als ethisch-moralisch leitende matrix hinter gesellschaftlich-politischem engagement kann nur funktionieren, wenn das angesprochene gegenüber - also im normalfall die herrschende macht - , die in der demonstrativ gewaltfreien position enthaltenen angebote von offenheit, beziehung, verzicht auf verletzung u.a. auch als solche wahrnehmen, sprich sich davon berühren lassen kann. die idee hinter aktionen wie unterschriftensammlungen, petitionen, öffentlichen appellen, kundgebungen und menschenketten etc. geht unausgesprochen eben von dieser der anderen seite unterstellten fähigkeit aus: mitmenschliche kritik ernst zu nehmen, sich davon berühren zu lassen und gegebenenfalls konsequenzen für das eigene handeln zu ziehen.
ich fürchte allerdings, genau wegen dieser unterstellung bleibt die gewaltfreie aktion bis heute so offenkundig wirkungslos (zu ein paar immer wieder angeführten anscheinenden ausnahmen komme ich noch).
denn die ernsthafte frage, die sich stellt: was ist denn, wenn mein gegenüber die stillschweigend unterstellte gleichheit bzw. die benannten fähigkeiten gar nicht oder nur in verzerrten formen aufweist?
was ist denn, wenn mein gegenüber zu denjenigen gehören sollte, die aufgrund unserer verfluchten jahrtausendealten "tradition" von vielfältigster antisozialer gewalt bereits die strukturen und symptome von einer oder mehreren der im blog thematisierten beziehungskrankheiten aufweist, zu deren merkmalen es gehört, die selbst- und fremdwahrnehmung quantitativ und qualitativ in richtung objektivismus zu verschieben? wenn ich es gar mit einem durch die traumatischen gesellschaftlichen verhältnisse erzeugten psychophysischen quasi-mutanten zu tun habe, wie er sich in gestalt der strukturellen soziopathen am deutlichsten manifestiert?
in diesem fall wird die oben beschriebene sinnvolle annahme zu einem hochgefährlichen wahrnehmungsmässigen rohrkrepierer, und zwar gleich doppelt: einmal bleibe ich in einer realitätswidrigen illusion hängen, die im schlimmsten fall zu völlig falschen einschätzungen der realität mit der implikation der eigenen vernichtung führen kann, zum anderen bleibt aber auch das gegenüber in seiner objektivistischen konstruktion hängen, welche funktionsbedingt meine postulierte gewaltlosigkeit nun seinerseits nur als strategische heuchelei wahrnimmt - "der tickt so wie ich auch". eine fatale art der kompletten nicht-kommunikation, in der intentionen und motive beidseitig real nicht nur völlig aneinander vorbeirauschen, sondern auch schlicht aufgrund der beidseitigen unhinterfragten hypothese nicht wahrgenommen werden können. und in dieser konstallation bleibt diejenige seite sieger, die die größeren machtmittel incl. der nötigen skrupellosigkeit für ihren einsatz besitzt.
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der philosophgünther andershat das obige in einem bemerkenswerten interview mit seinem fiktiven selbst in folgenden worten ausgedrückt (der genannte minister friedrich zimmermann war ende der 80ger jahre bundesinnenminister unter kohl und galt als csu-hardliner):
Anders fiktiv: Der (zimmermann) hat (...) die Unterscheidung zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit verwischt. Laut `Welt´ hat er nämlich gesagt: `Auch gewaltloser Widerstand ist Gewalt. Und zwar deshalb, weil er Widerstand ist.´
Anders: Kurz, Widerstand als solcher ist gewalttätig. Eine schöne Gleichung (...)
Anders: (...)Und um noch einmal auf das schändliche Wort von Zimmermann zurückzukommen, auf dieses entrechtende, höhnende, lieblose, undemokratische und unchristliche Wort `gewaltloser Widerstand ist Gewalt, weil Widerstand´ - dieses `Weil´ ist in der Tat das niederträchtigste Weil, das ich je gehört habe. Nicht nur seine diktatorische Mentalität bezeugt Zimmermann durch diese Formel, er prahlt mit ihr geradezu. Statt aus seinem hätte sie glatt aus dem bellenden Mund Hitlers kommen können. Sie ist ein um 50 Jahre verspätetes Echo.
Soweit, glauben Sie, sind wir beinahe?
Das ist keine Sache des Glaubens. Wer wie Zimmermann verkündet, gewaltloser Widerstand sei, weil Widerstand, Gewalt, der versagt jedem Widerspruch sein Recht und macht dadurch jede freie Meinungsäußerung, jede Kritik an Maßnahmen der herrschenden Macht zur strafwürdigen Anmaßung. Und das ist das Ende jeder Freiheit. So würde z.B. jede noch so freundlich angebrachte Warnung vor Kriegsspielzeug verdächtig werden, sie sei eine als `christlich´ oder als `gewaltlos´ getarnte Gewaltaktion gegen die sogenannten `freiheitlichen Werte´. Natürlich gibt es zuweilen - das läßt sich nicht abstreiten - Fälle, in denen Freundlichen, die sich für offiziell nicht Gebotenes oder gar für amtlich Verbotenes direkt einsetzen, gewisse vorübergehende Erfolge beschieden sind. Aber in den Augen der Zimmermänner stehen eben Erfolge eigentlich nur den Machtinhabern zu. Und eigentlich (aber natürlich unausgesprochenerweise) dürfen Erfolge ausschließlich durch Drohung mit Gewalt (die Macht und dadurch Legitimität beweist) durchgesetzt werden. Was die erhobene und zuschlagende Hand des Establishments kann (und deshalb angeblich darf und soll), das darf der streichelnden nicht gestattet sein.
In den Augen der Zimmermänner ist Güte, die einzugreifen sucht (was ihr zuweilen sogar glückt), nichts als ein Trick. Und Sanftheit nichts als getarnte Gewalt. Jedes Schaf gilt ihnen als Wolf im Schafspelz - echte Schafe gibt es aus der Perspektive der Mächtigen nicht, und das bedeutet natürlich auch: Echte Christen sind in den Augen derer, die nur die Gewalt und der auf Gewalt beruhenden Macht Legitimation zuerkennen, eo ipso Heuchler. Daß das von den Zimmermännern niemals zugegeben werden würde, gehört zum Wesen der Zimmermänner. Und das die sich als `gewaltlos´tarnenden Wölfe im Schafspelz von den rechtschaffenen Wölfen (die, weil sie Machteigentümer sind, auch legitim das Gewaltmonopol besitzen), nicht geduldet werden können, das versteht sich von selbst.(...)
(auszüge aus "die zuspitzung 1: vom ende des pazifimus" in "günther anders - gewalt ja oder nein. eine notwendige diskussion" hrsg. manfred bissinger; münchen 1987; knaur; isbn 3-426-03893-5; s. 103, 106 - 107)
"jedes schaf gilt ihnen als wolf im schafspelz" - eine treffende metapher für die weiter oben beschriebene fatale psychophysische hypothese der grundsätzlichen gegenseitigen gleichheit. beispiele für diesen wahrnehmungsfehler lassen sich heute ebenso ohne probleme finden, besonders die immer wieder angeführte "menschliche natur" mit ihrer angeblich immanenten gier, gar mordlust, wurzelt in genau diesem fehler bei denjenigen, die damit ankommen. wie früher schon geschrieben: das ist ihre eigene projektion ihrer eigenen selbstwahrnehmung.
und aus diesem grund sind wir alle in den augen der paranoiden macht auch zwingend und notwendig tatsächlich verdächtig und müssen umfassenden kontroll- und überwachungsmaßnahmen unterworfen werden. und zwar ganz egal, ob und was wir real tun und lassen. schäuble ist ein würdiger nachfolger von zimmermann.
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das buch, aus dem ich gerade zitiert habe, ist eines, welches in der form heute womöglich gar nicht mehr erscheinen dürfte. der anlaß war ein interview des damaligen herausgebers der zeitschrift "natur" mit günther anders, in dem dieser einige aufsehenerregende gedanken zum weiteren weg des anti-atom-widerstands nach dem super-GAU von tschernobyl 1986 formulierte. gedanken, die zu einer breiten öffentlichen diskussion um die gewaltfrage führten, unter beteiligung sowohl der "natur"-leserInnenschaft als auch großer teile des damals noch existierenden milieus der (links-)liberalen intellektuellen der alten brd. darunter bspw. namen wie heinrich albertz, ingeborg drewitz, axel eggebrecht, erich kuby und etliche andere. ihren reaktionen ist im buch ein ganzes kapitel gewidmet, ein paar auszüge:
"Wer öffentlich zur Gewalt aufruft, soll selbst bereit sein, ins Feuer zu gehen. Das wird der von mir sehr ernstgenommene Günther Anders sicher nicht tun. Er trägt nun die Verantwortung dafür, daß sich jeder Terrorist auf ihn berufen kann.
Ich halte seinen Aufruf nicht nur für falsch, sondern für unverantwortlich. Ich werde mich weiter strikt an den Satz halten: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." Das gilt für alle Seiten des mörderischen Konfliktes, in dem wir stehen." (Heinrich Albertz, S. 37)
"Gewalt gegen Sachen wird zu "Terrorismus" erklärt, um den vielfältigen, diffusen Widerstand treffen und kriminalisieren zu können zur Durchsetzung des von der Bevölkerung abgelehnten Atomprogramms. Ganz anders, wenn es um die Interessen der Großindustrie geht. Dann bleibt Gewalt gegen Sachen im Werte von vielen hundert Millionen und sogar Gewalt gegen Menschen unverfolgt oder ein Kavaliersdelikt. Die, die gleich tonnenweise und vorsätzlich Gift in den Rhein und damit in unser Trinkwasser schütten sitzen mit dem Minister am Konferenztisch und feilschen darüber, daß sie in Zukunft doch bitteschön freiwillig auf solche Gewalt verzichten.
Für die Regierenden ist offensichtlich nicht Gewalt gleich Gewalt. Es kommt für sie darauf an, wer in welchem Interesse das staatliche Gewaltmonopol verletzt. Es wird Zeit, daß die da oben ihr Verhältnis zur Gewalt überprüfen. Ihre Beteuerungen der Abscheu vor Gewalt klingen so unglaubhaft." (Hans-Christian Ströbele, S. 80f.)
"Gewalt ist nicht Gewalt. Es kommt darauf an, wer wann wo für welche Gewalt ist. Es ist etwas anderes, ob einer, der keine Gewalt hat (außer der sprachlichen) für Gewalt ist, so wie der ehrenwerte Günther Anders, ob ob einer wie der Staat, der vor Gewalttaten strotzt, Gewalt abzulehnen vorgibt." (Joseph von Westfalen, S. 85)
im kern war die reaktion der "promis" damals eindeutig ablehnend (die zitatauswahl oben ist nicht repräsentativ); etwas anders verhielt sich das bei den leserInnen:
"Es ist in der Geschichte der Menschheit noch nie gelungen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Versuche enden stets im vielfach gesteigerten Chaos und schwerstem Unglück." (Leonore E., Oberursel, S. 113)
"Seit Auschwitz sollte eigentlich allen endgültig klar sein, daß die Gewaltlosigkeit der Machtlosen nicht in der Lage ist, die Mächtigen von der amoralischen Ausübung der Gewalt abzuhalten." (Hans-Werner K., Frankfurt, S. 116)
"Die Alternative zu den nun leider wenigen wirkungsvollen Demonstrationen ist nicht automtatisch Gewalt, sondern eine nur durch menschliche Phantasie begrenzte Palette von Widerstand." (Thomas L., Sulzbach, S. 121)
"... was prinzipiell eher bedeutet, daß ich einem Gegner, der mich mit einem Tötungsgegenstand bedroht, doch zunächst einmal die Waffe aus der Hand schlage, anstatt den Menschen gleich umzuhauen." (Felicia M., Kassel, S. 122)
"Die tägliche kleine Sabotageaktion, angefangen von Kaufboykott bestimmter Produkte, über zubetonierte Abwasserrohre, bis hin zum umgeknickten Stormmast - vielfach, phantasievoll und unkontrollliert eingesetzt, gibt uns eine noch lange nicht ausgeschöpfte Kraft. ... Angst machen den Mächtigen nicht einige Gewaltaktionen, sonden die zunehmenden Sympathien hierfür in wachsenden Bevölkerungskreisen." (K. Lauer, Saarbrücken, S. 123)
"Da sitzen wir nun am Tisch, wir Gewaltlosen, schlagen natur auf und beginnen zu blättern. Wir sind zwar für Widerstand, aber gewaltlos muß er sein. ... Gewalt ist moralisch verwerflich und wird schwer bestraft. Außerdem provoziert man damit die Poizei, die einen dann verprügelt. Gewaltos wollen wir werden und gewaltlos auch dorthin kommen.
Doch dann das Gespräch mit Günther Anders über Notstand und Notwehr. Es macht uns neugierig und wir lesen. Was steht da?! Was spricht er da aus? Aber er spricht es aus! Ganz schön mutig, dafür kann man ins Zuchthaus kommen, neuerdings! - Wir meinen, in uns bewege sich etwas, oberhalb des Magens, und ein Kloß im Hals läßt uns den Kopf anheben, um zu schlucken. Ein seltsames Kribbeln durchströmt den Körper, als strahle ein warmer Hoffnungsschimmer auf die verkrämpfte Backe, und wir stellen fest, daß wir kaum zuvor einen Text so verschlungen haben.
Doch - Nein! - Nein, wie sind doch gegen Gewalt, keine Gewalt gegen Menschen und auch nicht gegen Sachen!. Wie kann man nur so etwas schreiben?!
Wir legen den Text weg, stehen auf und sehen zum Fenster raus: Die Fichten auf dem Hügel sind durchsichtiger denn je. Die Autos vor der Ampel unten machen einen Höllenlärm ... auf einem LKW erkennen wir den Schutt des alten Fachwerkhauses aus der Nachbarstraße ... Eine Frau an der Ampel schlägt ein Kind, weil es nicht bei Fuß bleiben will ...
Auf jeden Fall sind wir gegen Gewalt. Wir müssen nur noch zahlreicher auf die Straße! - Nein, nicht für Politiker oder die Bevölkerung, die uns sowieso nicht hören, sondern um Eindruck zu schinden beim großen Gewalo, Schutzpatron der Gewaltlosen, der hoffentilch bald zu uns kommt und zur Belohung die Atomkraft abschafft und die Raketen und vielleicht auch ein bißchen die Chemie-Industrie und ein paar Autos und ... und ... und ..." (Carl Christian R., Kirn, S. 127f.)
"Welches Verhängnis, wenn Menschen gutgläubig nachgeben, auf Gewalt verzichten, weil sie an die Gewaltlosigkeit glauben! Sie werden dann nur um so radikaler von der Gewalt überwunden!" (Steffen S., Mannheim, S. 130)
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Sie sehen schon, das die erwähnten gesellschaftlichen probleme den geist der 80er jahre atmen - jedoch im prinzip heute noch aktuell, wenn nicht verschärft und ergänzt sind um die entwicklungen seit dem 11.09.2001 und die heutigen umfassenden krisensymptome. das tabu, welches anders damals ankratzte, liest sich auf den kern gebracht folgendermaßen (und die im zentrum seiner argumentation stehende atomara bedrohung würde er wahrscheinlich heute noch mit der bio/gentechnologie, dem klimawandel und auch der wirtschaftskrise ergänzen):
""Keiner von denen - und ich sprech vor allem von Politikern, Generälen, Wissenschaftlern und Journalisten - keiner von denen, die die atomare Massenbedrohung oder den Massenmord vorbereiten, mit diesem drohen oder die Möglichkeit des Massenmordes durch sogenannte friedliche Atomanlagen mindestens in Kauf nehmen - keiner von denen darf mehr oder soll mehr seines Lebens sicher sein. Da sie uns pausenlos programmatisch und professionell in Angst versetzen, sollen nun endlich auch sie in Angst leben müssen. Die uns bedrohen, sollen von uns bedroht werden. Und nicht nur bedroht werden, sondern dadurch, daß wir unsere Drohungen hier und dort wahrmachen, eingeschüchtert, dadurch zu Einsicht gebracht und dadurch zur Umkehr veranlaßt werden. Damit am Ende niemand mehr bedroht sei, nicht wir und auch sie nicht. Ob uns das gelingt, ob wir durch unsere Gegenbedrohung die Gefährdung der Menschheit noch neutralisieren können, das weiß ich nicht. Aber daß wir das ohne unsere Gegendrohung nicht können, das weiß ich." (Charles Meunier* - meines wissens ein kanadischer künstler, anmerkg. mo)
*übersetzung durch günther anders am 28.9.1986, im buch auf s.89
weitere argumentationen aus dem interview von anders mit seinem fiktiven selbst:
"... Das Recht auf Notwehr tödlich Bedrohter und in jeder Sekunde Angreifbarer ist natürlich natürlich! Selbst das Naturrecht ...
Die Absage an Gewaltlosigkeit nennen Sie "Notwehr"?
Schon wieder dieses "Nennen"! Sie ist Notwehr! Und da die Bedrohung total und die mögliche Vernichtung global ist, hat unser Notwehr total und global zu werden. Zum Verteidigungskrieg aller Bedrohten. Und das heißt: aller Menschen heute und morgen." (s.91)
"Wir Atomgegner kämpfen also, wie gesagt, einen Verteidigungskampf gegen so enorme Bedroher, wie es deren nie zuvor gegeben hatte. Also haben wir das Recht, Gegengewalt auszuüben, obwohl hinter dieser keine "amtliche" und "rechtmäßige" Macht, also kein Staat, steht. Aber Notstand legitimiert Notwehr, Moral bricht Legalität. Diese Regel zweihundert Jahre nach Kant eigens zu begründen, erübrigt sich ja wohl." (s. 93)
"Happenings sind nicht genug!
(Befremdet:) Happenings! Dieser Vergleich überschreitet doch wohl ...
Nein. Gar nichts überschreitet er. Und ist auch nicht nur ein Vergleich. Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happinings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel." (s.98)
"Unsere Gewaltausübung darf immer nur als Verzweiflungsmittel, immer nur als Gegengewalt, immer nur als Provisorium eingesetzt werden." (s.102)
"Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts. Diejenigen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben." (s. 104)
na, harter tobak, oder? bevor sich hier einige bemüßigt fühlen sollten, in ihrer strukturellen obrigkeitshörigkeit zur nächsten polizeiwache zu rennen: informieren Sie sich vorsichthalber vorher darüber, wer günther anders war. und realisieren Sie, dass dieses buch bis heute "legal" gehandelt wird.
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es gibt natürlich etliche gute argumente gegen gewalt, und ich glaube, die meisten sind mir durchaus bekannt. am ernstesten davon nehme ich - bei ansicht des blogs wahrscheinlich nachvollziehbar - ihre potenziell traumatischen folgen bzw. die kreisläufe des traumas, die dringend unterbrochen werden müssen. was bedeutet, innerhalb der sozialen beziehungen gewalt klar und deutlich zu ächten!
aber: die sphären von macht und herrschaft bzw. diejenigen, die dort ihre psychophysischen defekte kompensieren und ausagieren, haben sich selbst zeitweise oder auf dauer aus diesen sozialen beziehungen ausgeschlossen und setzen dieselben sowie im weiteren die elementarsten überlebensbedingungen der gesamten spezies durch ihr fortgesetzt destruktives handeln unter permanent zunehmenden lebensgefährlichen druck. und deshalb kann die eben erwähnte maxime von der ächtung für sie nicht gelten! es geht dabei keinesfalls um grundsätzliche vernichtung, sondern um ihre unschädlichmachung - das verhindern ihres weiteren agierens. und da bin ich allerdings der gleichen meinung wie anders: das wird nicht ohne einen sorgfältig kontrollierten und abgewogenen einsatz von gewalt möglich sein.
als alternative sehe ich bisher einzig die option einer wirklich massenhaft getragenen sozialen isolierung der erwähnten elitären schichten. das würde bedeuten, die zusammen- oder eher zuarbeit für das und mit dem system auf allen nur denkbaren gebieten einfach einzustellen -> totale aufkündigung der loyalität. das aber wäre nur erreichbare, wenn sich die soziale trance soweit aufösen lassen würde, dass relevante teile der hiesigen bevölkerung zu einem schier unfassbaren psychophysischen entwicklungssprung in der lage wären bzw. diesen mit der gemeinten auflösung bereits beginnen würden. ob es diese möglichkeit gibt?
ghandi oder martin luther king werden meistens als beispiele für funktionierende gewaltlose widerstandshandlungen aufgeführt. ich würde ja sagen, bei ansicht der heutigen realitäten in den usa ist zu sehen, dass sich zwar einige symptome des rassismus dort abgeschwächt haben (obamas wahl mag dafür ein beispiel sein), jedoch strukturell viele schwarze nach wie vor die absolute arschkarte haben. und zu einer realistischen bewertung ghandis ist eine beschäftigung mit den damaligen speziellen bedingungen in indien ganz hilfreich, die er vorgefunden hat. die sind meiner meinung nach nicht übertragbar auf andere zeiten und räume.
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es gäbe noch viel zum thema zu sagen, aber ich möchte Ihnen einfach zum schluß einentextaus dem heutigen griechenland mit auf den weg geben, der mit seiner - mich sehr berührenden - sprache für sich selbst spricht und dabei deutlich macht, dass die ganze sog. gewaltdebatte am ende wahrscheinlich etwas sekundäres ist. will sagen: die hauptarbeit gerade in einem land wie hier liegt aktuell darin, jetzt die deformierten und angegriffenen sozialen beziehungen zu heilen und diesen prozeß auf immer weitere kreise auszuweiten. und mit diesem unbescheidenem wunsch verabschiede ich mich für heute.
(...)"Morgen bricht ein Tag heran, und nichts wird mehr das Gleiche sein. Was kann befreiender sein als dies, nach so vielen Tagen der Gleichheit? Eine Kugel war nötig, um die brutale Abfolge dieser Identischen Tage zu durchbrechen. Der Mord an einem 15 jährigen Jungen war der Moment, in dem eine Loslösung statt fand, stark genug um die Welt auf den Kopf zu stellen. Eine Loslösung von dem warten auf andere Tage, zu einem Punkt, an dem so viele gleichzeitig dachten: „Das war es, kein Schritt weiter, alles muss sich ändern, und wir werden es verändern.“ Die Rache für den Tod von Alex, wurde zur Rache für jeden einzelnen Tag, gezwungen in dieser Welt aufzuwachen. Und was so schwierig schien, stellte sich als simpel heraus.
Dies ist was passierte, und was wir haben. Wenn uns etwas Angst macht, dann ist es die Rückkehr zur Normalität. In den Zerstörungen und Plünderungen unserer ach so heilen Städte sehen wie nicht nur das offensichtliche Resultat unserer Wut, sondern auch die Möglichkeit zu leben zu beginnen. Uns bleibt nichts anderes mehr zu tun, als uns zu installieren in der Möglichkeit und sie in ein lebendes Experiment umzuwandeln: Angefangen beim alltäglichen Leben, unserer Kreativität, der Macht unsere Wünsche zu materialisieren, der Macht die Wirklichkeit nicht zu betrachten, sondern zu konstruieren*. Dies ist unser lebenswichtiger Raum. Alles andere ist Tod.
Die die verstehen wollen, werden verstehen. Jetzt ist die Zeit, die unsichtbaren Zellen zu durchbrechen, die alle und jeden an ihre kleinen pathetischen Leben ketten. Und dies fordert nicht einzig oder notwendigerweise jemanden auf, eine Polizeistation anzugreiffen oder Einkaufszentren und Banken abzufackeln. Die Zeit sein Sofa zu verlassen, die passive Betrachtung des eigenen Lebens, und auf die Strasse zu gehen, um zu sprechen und zu hören, alles private hinter sich zu lassen, sich zu involvieren in die sozialen Beziehungen; die destabilisierende Kraft einer Atombombe. Und dies ist genau, da die Fixierung eines jeden (bis jetzt) auf seinen Mikrokosmos wie an die Anziehungskraft eines Atoms gebunden ist, die Kraft, welche die (kapitalistische) Welt umkehren wird. Das ist das Dilemma: Mit dem Aufständischen oder alleine. Und dies ist einer der wirklich wenigen Momente, in denen dieses Dilemma so Absolut und so Real sein kann."
(*hier würde ich gerne ersetzen: wahrnehmen und gestalten!)
weil ich weiterhin finde, dass die unruhen in griechenland teils deutlich den charakter einer sozialrevolte aufweisen, die sich trotz einiger dortiger innenpolitischer eigenheiten auch durch die weltwirtschaftskrise speist, bleiben diesbezgl. meldungen vorläufig in dieser reihe. mittlerweile verschwindet das thema gerade wieder aus den titelschlagzeilen und aufmachern des mainstreams, aber natürlich nicht aus der realität. und es deutet einiges darauf hin, dass es jetzt eigentlich erst wirklich beginnt, spannend zu werden. einberichtaus einem weiteren neuen blog zu den unruhen, alexisg., der sich mit der situation in der stadt patras beschäftigt, macht das deutlich:
(...)"Am Donnerstag dem 11.12 um 19 Uhr begann eine Demo, die berühmte Demo, zu der wir den ganzen Tag über aufgerufen haben, eine Demo mit 6000 Leuten (eine Anzahl, die Patra noch nie zuvor gesehen hat) und eine komplett friedliche Demo. Nicht mal eine Nase blutete. Zusammen mit dem Schwarzen Block. Und mit den Polizei-“Robotern“, die uns in geringem Abstand gefolgt sind und den ganzen Weg über provoziert haben. Aber nichts ist passiert.
Deswegen wird über Patra nicht berichtet. Weil Patra bewiesen hat, dass Chaos sich mit der Ordnung anfreunden KANN. Wir haben gestern gewonnen. Jetzt wissen die Bürger Patras, dass wir nicht gegen sie sind. Sie haben uns gesehen, sie haben unsere Gesichter gesehen, sie haben sich der Demo angeschlossen. Und unser Poster für heute, das gerade gedruckt wird, sagt: „Auf diesen Straßen, in dieser Gesellschaft geschieht die Rebellion; es ist keine Utopie.“ Und ruft auf zu Streiks, Schul- und Universitätsbesetzungen, Demos und Gegeninformation.(...)
Wir werden versuchen, jetzt die Arbeiter zu erreichen. Ohne sie gibt es keinen Weg, den Kapitalismus an seiner Wurzel zu verletzen - der Produktion. Ohne die Arbeiter können sie uns töten, und das meine ich ernst."(...)
und dann kommt die unbekannte autorin auf ein element der unruhe zu sprechen, welches ich - aus ganz eigenen erfahrungen - für eines der wichtigsten prozesse in emanzipatorischen kämpfen überhaupt halte: das lernen in und an der realität, das lernen über die bedeutung und veränderung des eigenen seins IN einem kollektiven prozeß:
(...)"Weißt du, „Tu, was du nicht lassen kannst“ - das ist ein Motto, dass jeder a priori akzeptiert. Deswegen gibt es keinen Grund, zu versuchen, nett und höflich zu klingen mit den Ideen, die man vertritt. Jemanden anzubrüllen bedeutet nicht Disrespekt, es zeigt „es ist mir nicht egal, was du machst“ und es funktioniert.
Außerdem lerne ich der Spontaneität zu vertrauen. Das fühlt sich sehr wichtig an, weil es auch das Vertrauen unter Menschen verstärkt.
„Fuck the Police“ ist nicht der einzige Slogan. Es gibt noch viele mehr, jeden Tag werden neue erfunden, alte sind Klassiker wie „Die Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jeder Käfig“ oder „Bullen, Pressen, Neonazis arbeiten zusammen“ oder „Hey Leute, kommt schon, beugt nicht euren Kopf, der einzige Weg ist Widerstand und Kampf“ oder „Hey, ihr, die ihr am Rande steht, schließt euch an“ oder „Geschichte wird geschrieben durch Ungehorsamkeit“ …
Wie du sehen kannst, gibt es noch keine Slogans, die sich auf eine neue Gesellschaft beziehen. Es gibt noch keine Slogans, die von Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus oder irgendeiner Alternative zum Kapitalismus sprechen. Es ist zu zeitig. Es ist noch viel Zeit, also lass uns einen Schritt nach dem nächsten machen. Jetzt erstmal ist es wichtig, zu beweisen, dass Veränderung passieren kann, dass Rebellion mehr als ein Traum sein kann, dass wir zusammen gegen das System kämpfen können, dass wir zusammen diskutieren, singen, spielen und lachen können, egal was unsere Ideologien sind. Wir mögen das System nicht. Und wir haben Ideen… verdammt viele Ideen."(...)
patras ist dazu - auch das erwähnt der obige bericht - diejenige stadt, in der es bisher die deutlichsten beweise für eine allianz in unheilvoller (und nicht nur griechischer) tradition gibt:faschisten hand in hand mit der polizeials verteidiger des verrotteten systems. selbst für all diejenigen, welche die situation dort eher pessimistisch einschätzen, sollte das ein indiz dafür sein, dass es sich hier um eine authentische - und nicht bloß simulierte bzw. inszenierte - rebellion handelt. nazis aller coleur haben ein gutes gespür für alles, was für sie zur echten bedrohung werden kann.
solche töne aus patras wie oben mögen in den desillusionierten ohren allzu vieler wie töne aus einer anderen welt klingen, aber sie stehen nicht alleine -o-töne aus athen:
(...)"Wir können sagen, dass einige Gebiete des Stadtzentrums eine gesicherte Selbstverwaltung besitzen, mit Sicherheit wird dort die Polizei nicht reingehen...
Freunde in aller Welt, wenn ihr eure Solidarität ausdrücken wollt, kämpft weiter in euren Ländern und verstärkt diese Kämpfe. Sie haben wirklich Angst vor uns glaubt uns, ihr könnte es euch nicht vorstellen, hier können wir es deutlich sehen. Die Wiederkehr der Revolte, wie wir sie in Büchern lesen konnten, besteht wirklich, wir könne es euch versichern, wir leben sie. Es ist wunderbar! In einer Nacht verstarb die „Realität“, die „Normalität“.. Bald wird es auch in euren Ländern passieren....
Macht Pläne, seid bereit!"
diese phase der revolte liest sich in den nachrichtenagenturen des mainstreams etwa so:
(...)"In der griechischen Protestbewegung vollzieht sich eine fast eine Woche nach den tödlichen Polizeischüssen auf einen Jugendlichen ein Wandel: Mit täglichen Demonstrationen wollen Studenten und andere Gruppen eine Politikänderung bezüglich Ausgabenkürzungen, den Rücktritt des Innenministers und die Freilassung aller in den gewaltsamen Ausschreitungen seit vergangenen Samstag festgenommenen Personen erreichen. Am Freitag zogen rund 3.000 Demonstranten mit diesen Forderungen durch Athen, die Kundgebung blieb zunächst weitgehend friedlich.(...)
Demonstranten besetzten vorübergehend einen privaten Athener Radiosender und verlasen eine Erklärung. In der nordwestgriechischen Stadt Ioannina wurde eine Verwaltungsgebäude kurzzeitig besetzt, teilten die Behörden mit. Zunächst waren Demonstrationen vor allem Ausdruck der Empörung über den Tod des 15-jährigen Alexandros Grigoropolous am vergangenen Samstag. Es gab aber auch Unruhen in vielen griechischen Städten, bei denen Hunderte von Geschäften und Dutzende von Autos zerstört wurden. Über die Forderung nach Bestrafung der für die tödlichen Schüsse verantwortlichen Polizisten hinaus wurden bald auch zunehmend politische Forderungen erhoben. Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis wies die Forderungen nach Rücktritt und Neuwahl, die auch von der Opposition erhoben wurden, am Freitag zurück. «Was als ein Ausbruch der Empörung über die Tötung von Alexandros begann ist jetzt eine mehr organisierte Form des Protests», sagte Petros Constantinou, einer der Organisatoren und Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei."(...)
wobei natürlich die etablierten parteien und auch gewerkschaften alles dafür tun werden, die revolte in ihrem sinne zu organisieren. denn die im beitrag aus athen erwähnte angst ist auch die ihre, die inzwischen offen ausgesprochen wird:
(...)"Die Proteste sind inzwischen über die griechischen Grenzen hinausgegangen, in Dänemark, Italien und Spanien kam es auch zu Zwischenfällen mit Steinewerfern. Damit wächst die Sorge, die Proteste in Griechenland könnten für Globalisierungsgegner und von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit betroffene Jugendliche in ganz Europa zum Beginn einer Rebellion werden."(...)
"Finanz- und Wirtschaftskrise haben genug sozialen Brennstoff angehäuft, dass jederzeit ein Funken gewaltsame Proteste wie in den vergangenen Tagen in griechischen Städten auslösen könnte.
Am Donnerstag flogen in Dänemark, Italien und Spanien Steine in Schaufensterscheiben und Banken. In Frankreich zogen Demonstranten vor das griechische Konsulat in Bordeaux und steckten Autos in Brand. An Wänden tauchten Graffiti mit der Ankündigung eines Aufstandes auf.
Am Freitag beteiligten sich in Italien Tausende an einem Generalstreik, der allerdings nichts mit dem Tod des griechischen Jugendlichen am vergangenen Samstag zu tun hatte. Und in Athen flogen nach einer zunächst friedlichen Kundgebung wieder Steine und Brandsätze.
So deutet inzwischen einiges darauf hin, dass die Rezession in Europa eine Massenbewegung gegen Sparmassnahmen und andere von Politik und Wirtschaft eingeleitete Gegenmassnahmen auslösen könnte. Das hat es in dieser Form jahrelang nicht mehr gegeben, die Durchschnittsbevölkerung hat die ihr auferlegten Bürden bislang getragen."(...)
und genau das ist das (überaus wünschenswerte und überfällige) szenario, für das mit aller wahrscheinlichkeit all die aufrüstung der inneren repression, überwachung und kontrolle im gesamten westen gedacht ist. millionen von potenziellen "terroristen", die aus der sicht der "eliten" auch nichts anderes sein können, weil für die ihr als "natürlich" empfundener anspruch auf macht und herrschaft tatsächlich ihr elementarstes inneres bedürfnis darstellt. quasi die einzig denkbare lebensform schwer gestörter personen. und jede negierung dieses anspruchs kann nur als tödliche bedrohung, mithin "terror", wahrgenommen werden. dabei ist es letztlich übrigens egal, ob diese negierung militant oder gewaltfrei daherkommt - die bewertung bleibt dieselbe, nur die reaktionen werden jeweils von verschiedenen taktischen und strategischen überlegungen bestimmt. wie in der vergangenheit hier schon oftmals ausgeführt: der objektivistische modus, der sich bei großen teilen der "eliten" in nahezu unverborgener form findet, kann nicht anders reagieren. und das macht meiner meinung auch sog. gewaltdebatten, jedenfalls in ihrer bisherigen form, ziemlich überflüssig. oder anders gesagt: soziopathische persönlichkeiten (die objektivste extremform sozusagen) lassen sich nur durch handfeste grenzen beeindrucken. alles andere können sie nur als "schwäche" wahrnehmen.
*
wir machen einen abstecher in den hohen norden, nach island - auch um dieses land ist es nach den für die dortigen verhältnisse ungeheuerlichen aktionen wie der versuchten stürmung einer polizeiwache sowie der zentralbank vor einigen wochen medial wieder ruhiger geworden. der zwanghaften logik der mainstreammedien entsprechend, die sich kollektive prozesse nur als verkappten ausdruck des handelns von "führungspersonen" ausmalen können, brachte die taz neulich einportraiteines solchen "kopfes" (fällt auch anderen dabei immer die hydra ein?) möglicherweise ist island aber auch von der bevölkerungszahl - mittlere großstadt - tatsächlich klein genug, damit solche personalisierungen zumindest teilweise sinn machen. unabhängig davon enthält der artikel einige interessante informationen:
(...)"Hördur Torfa, 63 Jahre alt, Sänger, Dichter und Regisseur, steht seit Anfang Oktober an der Spitze einer wachsenden Protestbewegung. "Diejenigen, die uns in diese prekäre Lage gebracht haben, wollen uns erzählen, das wird schon wieder alles. Aber wir glauben ihnen nicht mehr", sagt er.(...)
Torfa tritt für politische Erneuerung, für Neuwahlen ein. Die "Clique" soll endlich zurücktreten, fordern er und eine wachsende Zahl anderer Menschen: "Anfang Oktober waren wir nur fünf oder sieben Leute", erzählt er. "Jetzt sind es bis zu 7.000, die am Wochenende zu den Protesten kommen." 7.000 Teilnehmer, das klingt zunächst nicht sonderlich beeindruckend, doch bei der geringen Einwohnerzahl Islands sind es über 2 Prozent der Bevölkerung.(...)
Aufruhr auf den Straßen, fliegende Tomaten und Tränengas aus Polizeikanonen kennen viele Isländer nur aus Filmen. Es sind historische Zeiten. In Island gibt es nicht viele Waffen, das Land hatte nie eine eigene Armee. Schon im Jahr 1000 nach Christus beschlossen die Bewohner, Volksversammlungen einzuberufen und über wichtige Entscheidungen demokratisch abzustimmen, statt sich, wie in anderen Ländern damals und noch viele weitere Jahrhunderte lang üblich, der Tyrannei eines einzelnen Königs oder Häuptlings zu unterwerfen. Dafür genossen die gewählten Politiker auch stets ein recht hohes Ansehen und das Vertrauen der Bevölkerung. Bis vor Kurzem war es völlig normal, sie morgens in der Hauptstadt Reykjavík beim Bäcker zu treffen und eine kurze Unterhaltung zu führen. Inzwischen traut sich Premierminister Geir Haarde ohne Bodyguards nicht mehr aus dem Haus. Die guten alten Zeiten wünschen sich viele zurück."(...)
natürlich eine führungsfigur, die "strikt gegen gewalt" ist (was ich als persönliche und durch biographische erfahrungen erworbene maxime durchaus respektiere). und die "guten alten zeiten" sind nichts weiter als zeiten einer funktionierenden herrschaft. so unverhohlen wird systemstützung betrieben. es wird spannend sein zu verfolgen, was sich nicht nur in island im verlauf der weiteren krisenentwicklung an lern- und veränderungsprozessen tut. wieviele selbstbewusste menschen gibt es in europa? (denn nur die können grundsätzlich positive qualitative soziale veränderungen anstoßen und durchführen - sklaven von macht und herrschaft machen nicht nur keine revolutionen, sondern haben angst davor). und die antwort auf diese frage wird auch eine antwort auf die frage nach einer positiveren qualität des umgangs mit kindern in den europäischen gesellschaften innerhalb der letzten jahrzehnte sein.
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ein update zu der in der letzten folge der krisennews erwähnten fabrikbesetzung in chicago: diebesetzung wurde erfolgreich beendet, erfolgreich jedenfalls aus der perspektive der belegschaft:
(...)"Die Aktion der Belegschaft von Republic in Chicago ist von Erfolg gekrönt: die staatlich extremsubventionierte Bank of America mußte nachgeben, dem Unternehmen wird der Kredit gewährt - zweckgebunden, ausschließlich zur Finanzierung der bestehenden Ansprüche der Belegschaft. Weitere Gelder sind vorhanden für die Gründung einer Stiftung der Belegschaft, die die Weiterexistenz des Unternehmens Republic betreiben soll."(...)
zu diesem ende dürften viele verschiedene dinge beigetragen haben - vermutlich ist neben der neulich schon erwähnten symbolkraft (im verlinkten text ist u.a. kurz erwähnt, dass diese besetzung und überhaupt die us-historie von fabrikbesetzungen unter dortigen gewerkschaftern stark diskutiert wird), auch die für alle öffentlichkeit erkennbar erbärmliche lage und position des kreditgebers, der "bank of america", mitverantwortlich für das schnelle einlenken. eine bank übrigens, die geradedie streichung von bis zu 35.000 jobsankündigte, und sich daher auch nicht in der lage befindet, irgendetwas zu fordern oder aussitzen zu können. nicht zuletzt dürfte die positionierung von obama eine rolle gespielt haben, und das wird er sich wahrscheinlich als glaubwürdigkeitspunkt bei vielen us-linksliberalen verbuchen können. wir werden sehen, ob diese verschüttete tradition in den usa in den nächsten monaten ein revival erfährt - womöglich in der autoindustrie?
wenn die kreditkartenblase platzt... gestern in der mittagspause bei der tankstelle gegenüber eingekauft, und an der kasse ein schild folgenden inhaltes bestaunt:
"Wegen der aktuellen Wirtschaftslage akzeptieren wir ab sofort keine Kreditkarten von (es folgen zwei bekannte und "große" namen) mehr. Wir bitten um Ihr Verständnis"
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das die aktuellen unruhen in griechenland in den letzten tagen den charakter einer sozialen revolte bekommen haben, hängt mit einiger wahrscheinlichkeit - wie im letzten beitrag skizziert - auch damit zusammen, dass tatsächlich die weltwirtschaftskrise derart verschärfend auf etliche "hausgemachte" griechische probleme wirkt, das sich das unbehagen in vielen bevölkerungsschichten in der jetzigen situation luft macht. genauer macht esvassilis vassilikosin einem interview:
(...)"Also nicht nur die Finanzkrise?
„Die zählt mit Sicherheit auch zu den Ursachen, aber davor kommt noch der Immobilienskandal, in den das Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos verwickelt ist. Und die gefälschten Prozesse, mit Richtern, die ihre Entscheidungen entsprechend den politischen Spielen ändern. Und der versuchte Selbstmord des dreisten Generaldirektors des Kultusministeriums, der die EU-Subventionen verwaltet und die Grundstücke in der Nähe der archäologischen Stätten zu Schleuderpreisen verscherbelt hat. Dann das Rentengesetz und der Beschluss der Regierung, 28 Milliarden Euro an Hilfsgeldern für die Banken bereitzustellen und nicht für die Menschen, die Probleme haben, sich Lebensmittel zu kaufen.“
Ist das also das Unterholz, das für den Brand bereit ist?
„Ja, die Griechen hatten seit langem die Neigung, sich zu erheben, aber es fehlte der Auslöser. Als sie ihn fanden, haben alle trockenen Zweige Feuer gefangen.“(...)
indymedia ist derzeitig bezgl. der situation in griechenland und ihrer folgen als informationsquelle sehr zu empfehlen, dazu kommen inzwischen blogs wietears and anger greece, in denen berichte direkt aus dem land u lesen sind. ich bin mir sicher, dass die weitere entwicklung weltweit sehr genau beobachtet wird - u.a. deswegen, weil sie auch in meinen augen tatsächlich eine artwarnsignalfür die herrschenden "eliten" darstellt.
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ähnliches ließe sich auch von einerfabrikbesetzungsagen, die in chicago stattfindet - ich setze mal die ganze erklärung rein:
"Am 5. Dezember haben etwa 250 Arbeiter_innen von "Republic Windows and Doors" in Chicago ihre Fabrik besetzt. Nach der offiziellen Schließung der Fabrik am selben Tag fordern sie ein Gespräch mit der Geschäftsführung und die Zahlung des Lohnes für die 60 Tage, die sie sonst Kündigungsschutz genossen hätten. Dieser Artikel ist eine Übersetzung ihrer Erklärung von bailoutpeople.org
"Wir senden diese Nachricht an alle Arbeiter_innen in Amerika. Wir werden den Kampf weiterführen und wir bitten um Eure unterstützung."
Vincente Rangel, United Electrical Workers Vertreter und Teilnehmer an der Besetzung
Etwa 250 Angestellte der Republic Windows and Doors Fabrik in Chicago, IL haben am Freitag den 5. Dezember, dem letzten vorgesehenen Arbeitstag vor der Schließung, mit einer Besetzung der Fabrik begonnen. Die Arbeiter_innen - Teil der United Electrical Workers Union Bezirk 1110 hatten zuvor nicht die rechtlich notwendige Mitteilung 60 Tage vor Schließung der Fabrik erhalten. Ausserdem sind das Management und die Besitzer der Fabrik nicht zu einem vereinbarten Treffen am 5. Dezember erschienen.
Die Arbeiter_innen haben beschlossen die Fabrik zu besetzen. Sie haben sich entschieden in der Fabrik zu bleiben bis sie zumindest den Lohn für 60 Tage erhalten haben. Die Besitzer sagen, dass sie die Fabrik schließen mussten, weil die Bank of America (BoA) sich weigerte ihren Kredit zu verlängern. Die BoA hat in den letzten drei Monaten Hunderte Milliarden Dollar an Geldern aus den staatlichen Rettungsprogrammen erhalten.
Diese Arbeiter_innen, die größtenteils Immigrant_inn_en mit latin@ Hintergrund sind haben einen mutigen Schritt unternommen, indem sie sich mit ihren Körpern in den Weg gestellt haben als Teil ihres Kampfes um das Recht ihre Familien zu ernähren und mit Respekt und Würde behandelt zu werden wie alle Menschen. Auf eine Art und Weise kämpfen sie für die Rechte aller Arbeiter_innen, die angegriffen werden - seien es Restaurantmitarbeiter_innen, öffentliche Angestellte oder Arbeiter_innen in der Automobilindustrie, die kämpfen um ihre Jobs und Gewerkschaften zu behalten.
Wir müssen sie unterstützen.
An alle - egal unter welchen Umständen - die wütend sind über die Massenentlassungen, Häuserräumungen und die wortwörtlichen Billionen von Dollar, die die Regierung ausgibt um Banken zu retten, während sie nichts gegen die Entlassungen und Räumungen tut, die die arme und arbeitende Bevölkerung betreffen:
Solidarisiert Euch mit diesen Arbeiter_innen in Chicago. Ihr könntet als nächstes dran sein.
Arbeit mit einem Lohn, der zum Leben reicht ist ein Grundrecht!
Ein Aufruf vom "Bail Out the People Movement"
nun, bei arbeitsplätzen in bereichen wie der autoindustrie tue ich mich wirklich schwer, solidarisch für deren erhalt zu sein - auch, wenn die frage immer noch offen ist, was denn eine alternative für die dort (und in anderen fragwürdigen produktionen) beschäftigten sein könnte. weiter wie bisher ist definitiv keine lösung.
ansonsten sind die forderungen natürlich völlig berechtigt und nachvollziehbar, und interessant ist, welcheöffentliche wirkungdiese besetzung mittlerweile in den usa hat:
(...)"Inzwischen hat die Besetzung landesweit Aufmerksamkeit erregt, insbesondere seit sich Obama in einer öffentlichen Erklärung am vergangenen Sonntag hinter ihre Aktion gestellt hatte. Vor seinem Wahlsieg war der künftige US-Präsident Senator von Illinois und residierte in Chicago. Ohne Schnörkel forderte Obama Republic Windows and Doors auf, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten nachzukommen und die ausstehenden Trennungs- und Urlaubsgelder zu zahlen. »Die Arbeiter verlangen nichts anderes als die Zahlungen, die sie verdient haben. Ich denke, daß sie vollkommen recht haben, mit dem was sie tun. Ich glaube, daß die Art, wie sie behandelt werden, symptomatisch für das ist, was derzeit überall in der Wirtschaft unseres Landes passiert«, sagte Obama. Daraufhin ließ die oberste Staatsanwältin des Bundesstaates, Lisa Madigan, umgehend eine Untersuchung gegen das Unternehmen einleiten, dessen Führung sich bis zu diesem Zeitpunkt in Schweigen gehüllt hatte.
Der Zorn der Fabrikbesetzer und ihrer Unterstützer richtet sich hauptsächlich gegen die teuren Rettungspakete für die Banken und Großkonzerne. Sie werfen der Regierung vor, daß das Los der einfachen Arbeiter ihr egal sei. Insgesamt haben die USA von Mai bis Oktober dieses Jahres 1,55 Million Arbeitsplätze verloren, soviel wie während der gesamten Rezession des Jahres 2001 zusammengenommen. Der große Schock kam dann im November, als 533333 US-Bürger arbeitslos wurden, fast doppelt soviel, wie Experten erwartet hatten."(...)
geht es Ihnen auch so, dass die zitierten sätze von obama als erste reaktion eine art grundlegender verblüffung auslösen? die frage ist natürlich: wie ernst meint er das? meint er das ernst? oder ist das eher eine raffinierte beruhigungspille, um entwicklungen im keim zu ersticken, die im folgenden umrissen werden:
(...)"Besorgt berichtete denn auch die New York Times am Montag über die Fabrikbesetzung in Chicago. Diese sei ein Zeichen dafür, daß der Unmut in der Bevölkerung über den Verlust der Arbeitsplätze »überkochen« könnte. Zu ihrer eigenen Überraschung sind die kämpfenden Beschäftigten von Republic Windows and Doors für Hunderttausende ihrer Kollegen landesweit zum Symbol geworden. Der schwarze Bürgerrechtler und ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson besuchte die besetzte Fabrik, brachte gebratene Truthähne und die Zusicherung der Unterstützung seiner lokalen Bürgerrechtsorganisation Rainbow/PUSH Coalition mit. Zugleich gab Jackson seiner Hoffnung Ausdruck, daß »dies endlich der Anfang eines langen Kampfes für die Rechte der Arbeiter ist«. Auch das Mitglied des US-Repräsentantenhauses, der Demokrat Jan Schakowsky aus Illinois, bezeichnete die Aktion als Beginn einer Bewegung, mit weltweiter Resonanz. Der stellvertretende Vorsitzende der lokalen Gewerkschaft, Melvin Maclin, der bei Republic Windows and Doors angestellt war, kann sich über so viel Zuspruch nur verwundert die Augen reiben. »Das hätten wir nie erwartet«, sagte er und fügte hinzu, »Statt dessen waren wir sicher, wir würden dafür ins Gefängnis gehen.«
Inzwischen hat die Firmenleitung erklärt, daß ihre Hausbank, die Bank of America, ihr plötzlich die Kredite gekündigt und das Unternehmen sogar angewiesen habe, den Angestellten keine Trennungsgelder zu zahlen. Da dieser Bankengigant vor wenigen Wochen eine staatliche Hilfe aus dem US-Rettungspaket für die Finanzwirtschaft von 25 Milliarden Dollar bekommen hatte, sind Gewerkschafter im ganzen Land aufgebracht und haben für Dienstag (Ortszeit) in Chicago zu einer Demonstration aufgerufen. Die großen Geldhäuser an der Wall Street lamentieren inzwischen über die »gefährliche Einmischung« des Staates in Geschäftsangelegenheiten."(...)
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aber man muss nicht in us-amerikanische großstädte schauen, um anzeichen für interessante entwicklungen zu sehen - es reicht auch schon ein blick in dienorddeutsche pampa:
(...)"Die Metaller im ländlichen Schleswig-Holstein rebellieren. Am Freitag morgen besetzten die 100 Beschäftigten der Hohenlockstedter Walz- und Umformtechnik (HWU) ihr insolventes Werk im 6000-Einwohner-Ort Hohenlockstedt, stellten Feuertonnen auf und ketteten das Werkstor zu. Sie wollen damit verhindern, zum Jahresende vom Insolvenzverwalter Yvo Dengs vor die Tür gesetzt zu werden. »Es kann nicht angehen, daß Banken und Großkonzerne einen Schutzschirm bekommen, für die Beschäftigten der Automobilzulieferer jedoch die Arbeitslosigkeit in Kauf genommen wird«, erklärte der IG-Metall-Bevollmächtigte Uwe Zabel laut einem Bericht von NDR online."(...)
auch wenn ich mit diesem betrieb ein ähnliches problem wie oben erwähnt habe - als positive entwicklung lässt sich das selbst aktiv werden nicht genug schätzen. ebenso wie diese aktion der besetzenden belegschaft:
(...)"Die Hälfte der HWU-Belegschaft fuhr nach Beginn der Besetzung in die Kleinstadt Wedel vor den Toren Hamburgs. Dort streiken seit Montag die 150 Arbeiter und Angestellten der Medizintechnikfirma Möller-Wedel. Das Traditionsunternehmen war vor zwei Jahren nach dem Verkauf an die Schweizer Firma Haag-Streit aus dem Unternehmerverband Nordmetall ausgestiegen. Die IG Metall Unterelbe will mit einem zunächst auf drei Wochen angelegten Streik die Übernahme aller gültigen Metall-Tarifverträge durch Möller-Wedel erreichen.
Die Arbeiter bei Möller-Wedel zeigen Entschlossenheit. Selbst bei Schneetreiben harrten die Streikposten am Werkstor aus. IG-Metaller Zabel teilte mit, am Dienstag morgen hätten Streikbrecher versucht, »Rangeleien mit den Streikposten anzuzetteln« – doch die »Provokationen« seien »fehlgeschlagen«.(...)
neben allem anderen sind das auch schöne beispiele für nachrichten, die - vermutlich mit ausnahme einiger lokalmedien - in diesen tagen schlicht unterschlagen werden. insofern seien all diejenigen um verständnis gebeten, denen die "eigentlichen" blogthemen hier gerade zu kurz kommen. in meinen augen gibt es allerdings etliche anknüpfungspunkte, auch wenn diese gerade eher unsichtbar erscheinen.