Freitag, 20. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (30)

zur in den letzten news nr.29 bzw. den dortigen kommentaren aufgekommenen diskussion über das verhältnis von teilen der bundesdeutschen linken zu den demonstrationen am 28.3. und zum (nicht-)verhalten im angesicht der krise generell plane ich einen eigenen beitrag. oder besser gesagt, wird das ein unterthema in einem schon länger auf halde liegenden artikel zu spezifisch "deutschen" reaktionen sein - ich halte die linke und auch ihre radikaleren teile in der hinsicht nur für die andere seite der medaille. und war der elitäre gestus einiger fraktionen in der vergangenheit "nur" ärgerlich, so wird er hinsichtlich potenziell eskalierender übler verteilungs- und überlebenskämpfe zukünftig geradezu suizidal. und deswegen sollten die demonstrationen nächste woche auch ein anlaß sein, die längst notwendige kritik an der abstinenz großer teile der linken von der hiesigen sozialen realität breiter zu führen bzw. überhaupt zu beginnen. bis dahin nochmal ein blick in die welt:
  • frankreich I: mobilisierung zum zweiten landesweiten streiktag noch massiver - erste ankündigungen eines unbefristeten generalstreiks ab 1.mai
  • frankreich II: regierungsmitglieder und andere angehörige der "eliten" bekommen kugeln und drohbriefe zugesandt
  • usa I: "aig"-manager als allgemeine sündenböcke
  • usa II: bericht zur aktuellen erwerbslosigkeit und ihren folgen für die betroffenen
  • europa / global: zusammenfassender überblick zur vorbereitung der repressionsapparate
  • global: zum neuen geab
  • global: interview mit walden bello
  • deutschland: linksradikale positionen zu den demonstrationen am 28.3.
  • deutschland: wie die krise psychophysische störungen triggert
  • in aller kürze: erwerbslosigkeit in großbritannien erreicht neue rekorde / weiterer autobombenanschlag in athen / straßenschlacht zwischen studenten und polizei in barcelona / fotoserie: gesichter einer globalen depression / zum billionen-dollar-paket der fed: letzte ausfahrt gelddruckerei
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es war das angekündigte und auch zu erwartende massive erneute zeichen im nachbarland: der gestrige generalstreik hat nochmals mehr menschen mobilisiert als im januar, und mittlerweile dürfte nicht nur den dortigen regierenden, sondern (oberflächlich betrachtet) paradoxerweise auch den großen gewerkschaften klar sein, dass sie bei der mit etlicher wahrscheinlichkeit eintretenden weiteren verschärfung der sozioökonomischen lage ernste
probleme bekommen werden:

(...)"Die Umverteilung von unten nach oben, die europaweit die Krise begleitet, mag an der Spitze der nationalen und europäischen Verwaltungen Konsens sein. Aber an der Basis wachsen die Zweifel daran, dass es sinnvoll ist, den Kapitalismus zu retten. Und erst recht daran, dass dies auf Kosten der Schwachen geschehen sollte.

Die massiven Demonstrationen und Streiks in Frankreich sind keine nationale Politikfolklore. Die FranzösInnen äußern lediglich Forderungen, die auch anderswo in Europa gären. Nach einer anderen Politik. Und nach mehr sozialer Gerechtigkeit.

Für die nationalen und europäischen SpitzenpolitikerInnen liegt in der Suche nach der Antwort auf diese Forderungen die größte Herausforderung der Gegenwart. Doch auch die Gewerkschaften - sowohl die französischen als auch die anderen europäischen, und insbesondere der riesige Apparat des DGB - stehen unter dem Druck und den Erwartungen der Basis. Wenn sie sich nicht just von ihrer ureigensten Klientel überrennen lassen wollen, müssen sie - europaweit - konkrete Forderungen und Alternativen formulieren und in Aktion treten."


ja, das wird für alle großen, der fiktion der "sozialpartnerschaft" verpflichteten und nicht nur dadurch zahnlosen gewerkschaften in europa ein netter spagat werden, bei dem sie am ende aber nur auf die nase fallen können - eine sich radikalisierende basis, die zudem auf die idee kommen könnte, sich mit den allseits anschwellenden heeren der erwerbslosen zu solidarisieren, dürfte zu den natürlich niemals zugegebenen alpträumen der funktionärsapparate zählen. und ich schätze die situation diesbezgl. zumindest in südeuropa anders ein als hier oder auch in großbritannien - in frankreich, aber in maßen auch in spanien und italien (von griechenland ganz zu schweigen) haben sich zumindest bis heute fragmente entsprechender widerstandstraditionen erhalten. entscheidend wird aber auch hier die antwort auf die frage sein, wieweit besonders die rassistischen spaltungslinien in den gesellschaften aktiviert werden - nicht umsonst haben die "eliten" in spanien und besonders italien die ausländerfrage momentan zu einem zentralen thema gemacht.

ansonsten hat sich auch die einschätzung der letzten news bestätigt, dass die relativen erfolge der generalstreiks in den karibischen überseegebieten als zeichen auch im kernland entsprechend
wahrgenommen worden sind:

(...)"Allein, um den wirtschaftsliberalen Winter auszutreiben, dürfte es des munteren Frühlingstreibens noch nicht genug gewesen sein. Richtigerweise verkündete ein auffälliges Transparent, das auf der Pariser Place de la Nation – wo die Pariser Demonstration sich am Abend auflöste, nicht ohne Widersetzlichkeiten und Zusammenstöße mit der Polizei (über 300 Verhaftungen, 49 Strafverfahren werden eingeleitet) – zwischen zwei Bäumen aufgehängt war: „Was wird ein Aktionstag ändern? Das Mindeste, was es braucht, sind 44 Tage (G)Rêve Général(e)“. Bei letzterer Formulierung handelt es sich um ein, seit einiger Zeit weit verbreitetes, Wortspiel mit den Begriffen ‚Rêve' (Traum) und ‚Grève générale' (Generalstreik).

Und die 44 Tage sind eine offene Anspielung auf die jüngsten Ereignisse auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe, wo vom 20. Januar bis zum 4./5. März dieses Jahres ein Generalstreik stattgefunden hatte, angeführt vom Kollektiv LKP (kreolisch für „Zusammen gegen Ausbeutung“). Das Beispiel aus der Karibik wurde in der Demonstration vielfach zitiert und kehrte in Form von Aufklebern und Slogans wieder. Nicht nur der Autor dieser Zeilen, der seinen Einfall für vermeintlich originell hielt, führte ein selbstgebasteltes Schild ‚Nous sommes tous des LKP' (Wir sind alle LKP..) spazieren. Der Gewerkschaftszusammenschluss Union syndicale Solidaires – in dem u.a. die diversen linksalternativen Basisgewerkschaften vom Typus SUD zusammengeschlossen sind – forderte gar „offiziell“ auf zahlreich verbreiteten Aufklebern: „Wie in Guadeloupe: 200 Euro mehr für alle!“ Andernorts führten etwa Studierende Schilder mit sich, die – in Abwandlung vom kreolischen Namen des LKP – in unbeholfenem Franko-Kreolisch ‚Liannay pour Edukation' (Gemeinsam für Bildung) forderten."(...)


es gab gestern an verschiedenen stellen im netz zitate aus dem gewerkschaftslager, dass die option eines unbefristeten generalstreiks ab mai durchaus in der diskussion ist; v.a. im hinblick auf die absehbaren nichtreaktionen der regierung. das bedeutet meiner meinung nach nichts anderes als das eingeständnis, dass sich die großen gewerkschaften zusehends unter dem druck ihrer basis befinden (dazu sind auch die von b. schmid in seinem artikel geschilderten auseinandersetzungen zwischen verschiedenen gewerkschaften bzw. ihrem führungspersonal interessant). eine basis, die in den unmittelbaren konflikten in den betrieben und fabriken offensichtlich dazu tendiert, zunehmend militanter vorzugehen und sich bei verschärfung der situation mehr und mehr nicht mehr mit alleinigen, wenn auch großen, massendemonstrationen an einem tag begnügen dürfte. zur frage, wie es weitergeht, schließt der artikel so:

(...)"Voraussichtlich schon am heutigen Freitag entscheiden die acht Gewerkschaftsdachverbände und –zusammenschlüsse, die die letzten beide Aktionstage am 29. Januar und 19. März 2009 organisiert hatten, über ihr weiteres Vorgehen. Es zeichnet sich anscheinend ab, dass die Linie darauf hinausläuft, „rund um den 1.Mai“ 2009 zu neuen Protesten aufzurufen."

optische impressionen zum gestrigen tag aus verschiedenen französischen städten gibt es
hier. ja, und dann wären da noch - zumindest in den medialen darstellungen - seltsam bezuglosen auseinandersetzungen zwischen polizei und - ja, wem eigentlich? in paris letzte nacht. sollten sich da "die banlieus" gemeldet haben? die situation nicht nur dort bleibt angespannt.

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ein beleg dafür stellt auch die folgende kurze
meldung dar:

"Nach Staatschef Nicolas Sarkozy und mehreren Ministerinnen hat nun auch der französische Premierminister François Fillon einen Drohbrief erhalten. "Ihr verbreitet Angst - nun ist es an euch, Angst zu haben", hieß es laut Justizangaben in dem an Fillon gerichteten Schreiben. Auch ein Journalist des Radiosenders Europe 1 erhielt demnach einen Drohbrief, dem Schreiben war eine Pistolenkugel beigelegt. Vor rund zwei Wochen hatten Sarkozy, die Ministerinnen für Inneres, Justiz und Kultur sowie mehrere Mitglieder der konservativen Regierungspartei UMP ähnliche Schreiben mit Morddrohungen erhalten."(...)

meine persönliche befürchtung schon im vergangenen herbst war ja, dass wir bei einer weiteren eskalation der krise nicht nur die "klassiker" rassismus und antisemitismus verschärft als ausdruck gesellschaftlicher spaltungen auf die füße bekommen, sondern es ebenfalls zu wellen scheinbar ungerichteter bzw. wahlloser negativer(!) aggressionen quer durch alle gesellschaftlichen bereiche kommen wird - bei ansicht vo solchen meldungen wie oben und auch bei den derzeitigen ereignissen in griechenland ergänze ich das jetzt um die vorhersage, dass wir auch ein revival des sog. terrorismus erleben werden - ob als couterinsurgency-strategie oder auch als authentischen ausdruck von wut auf die "eliten", sei erstmal dahingestellt. der boden dafür wird jedenfalls tag für tag bereitet.

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und das sich zumindest die verbale militanz deutlich verschärft, machen auch aktuelle
beispiele aus den usa deutlich - stichwort "aig":

(...)"Er kramt einen Zettel aus seinen Akten. "Alle Manager und ihre Familien", liest er ruhig daraus vor, "sollten hingerichtet werden, mit Klaviersaitendraht um den Hals."

Bei dem Zettel handelt es sich nach Liddys Worten um nur eine von zahllosen Morddrohungen, die er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Tagen bekommen haben. Es folgt ein weiterer Drohbrief: "Ich werde die Namen aller Firmenchefs und ihrer Kinder herausfinden", heißt es darin(...)

Längst gilt AIG als Paradebeispiel für die nimmersatte Finanzer-Kaste, die selbst in der finstersten Krise noch abkassiert. "Nicht so schnell, ihr raffgierigen Schweinehunde", schreit die Schlagzeile der "New York Post" an den Kiosken, wo AIG in einem Art-déco-Wolkenkratzer unweit der Wall Street residiert - ein Wahrzeichen, das AIG jetzt notgedrungen auf den komatösen Immobilienmarkt wirft.(...)

Blogs und Online-Foren quellen über vor zynischen Kommentaren, ebenso Social-Network-Sites wie Facebook und Twitter. Die Nachrichtensender strahlen Heimvideos von Zuschauern aus, die gegen AIG wüten. Die "New York Times" berichtet, sie habe selten so viele böse Zuschriften bekommen wie zu AIG.

Nach den Morddrohungen gegen Mitarbeiter hat AIG zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Bewaffnete Beamte patrouillieren vor der Finanzverwaltung in Connecticut. Einige Angestellte erschienen trotzdem aus Angst erst gar nicht zum Dienst."(...)


das alles ist schwer bedenklich - und das, obwohl ich durchaus kein anhänger der these vom anonymen system bin, bei dem es nicht auf die austauschbaren protagonisten ankäme - es gibt durchaus real verantwortliche und sehr konkrete personen, die ganz konkret getan und gelassen haben, und dazu gehören nicht nur in diesem speziellen fall auch viele derjenigen politiker, die jetzt - wie in den usa - auf die bankster und verwandtes gelichter aus populistischen gründen einprügeln, vorher aber jahrelang eben diese bereitwillig hofiert und bedient haben. das problem ist nur, dass die wut durchaus real und auch berechtigt ist, und es wird für jede emanzipatorische und antikapitalistische bewegung nötig sein, wege und mittel zu finden, um diese wut tatsächlich auf die richtigen ziele zu lenken, ohne dabei ihren eigenen grundlagen zu verraten. wer hier meint, man müsse nur "ruhig und sachlich" das ganze system abwickeln, verkennt schlicht die psychophysischen dynamiken teils extremster destruktivität, die der totalitäre kapitalismus zwangsweise ständig produziert. und die jetzt in der krise endgültig virulent werden.

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gerade in den usa dürfte diese destruktivität zukünftig stark zunehmen - rund um den fetisch arbeit und all die dazugehörigen "werte"systeme organisiert, die von einem großteil der bevölkerung bis dato bereitwillig geschluckt werden, stellt sich die zwangsweise erwerbslosigkeit immer noch für die meisten nicht als chance, sondern als
persönliche katastrophe dar - die letztere wird allerdings regelrecht vom system produziert:

(...)"Da dürfte sich noch einiges ansammeln. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf einem Höchststand, der Run auf die wenigen freien Jobs wird brutaler. In Miami meldeten sich mehrere Hundert Interessenten auf 35 Plätze bei der Feuerwehr. Der Paketdienst UPS erhielt in der Weihnachtszeit eine Rekordzahl von 1,4 Millionen Bewerbern statt der üblichen 500.000 für Aushilfsjobs in Packzentren. In Independence, einer Kleinstadt des schwer getroffenen Bundesstaats Ohio, mussten Feuerwehr und Polizei vorvergangene Woche eine Jobmesse vor Tausenden verzweifelten Arbeitssuchenden schützen. Die Stände drohten überrannt zu werden.

Der Begriff der Great Recession macht inzwischen die Runde in Amerika – eine Anspielung auf die Große Depression der dreißiger Jahre. Nicht mehr das schrumpfende Bruttoinlandsprodukt gilt als Maßstab für die Schwere der Krise, sondern die massive Arbeitsplatzvernichtung. Anders als in einem normalen Abschwung ziehen sich heute ganze Branchen zurück. Der Ökonom Kenneth Rogoff von der Harvard-Universität kann sich vorstellen, dass die US-Autoindustrie innerhalb der nächsten fünf Jahre verschwunden sein wird. »Und der Einzelhandel könnte sich halbieren.« Das bedeutete allein den Verlust von zwölf Millionen Stellen.

Am Tag nach ihrer Entlassung rief Sheri Howe vier Personalberater an. »Die Uhr tickt, ich darf keine Zeit verlieren«, sagt die 37-Jährige, die jahrelang in der Personalabteilung einer großen New Yorker Anwaltskanzlei arbeitete. Im Jahr 2007 hat sie im grünen Vorort Westchester eine kleine Wohnung gekauft, die monatliche Rate an ihre Hypothekenbank liegt bei 1800 Dollar.

Howe hat ihr Gefrierfach mit Sonderangeboten vollgestopft und eine Liste der möglichen »Grausamkeiten« aufgestellt: Kabel-TV kündigen, die Mitgliedschaft im Fitnessstudio ebenso aufgeben wie die Garage für das Auto, ohne das in der Vorstadt nichts geht. Die monatliche Patenschaft für ein Mädchen in Guatemala will sie unter keinen Umständen kündigen. Sie hat aber überlegt, zu ihren Eltern ins ländliche Pennsylvania zu ziehen. Doch wer würde ihre Wohnung nehmen? Im Augenblick kauft man in Amerika keine Wohnungen. Millionen Bürger sitzen in ihrem eigenen, im Boom überteuert eingekauften Heim wie in einer Falle."(...)


bei den jetzt schon längere zeit immer ähnlich lautenden berichten aus den usa frage ich mich nur noch, wann es da wirklich knallt - obama dürfte das etwas aufgeschoben, aber nicht aufgehoben haben.

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und wer die newsreihe hier schon längere zeit verfolgt, wird wissen, dass sich nicht nur in den usa die repressions- bzw. sog. "sicherheits"apparate schon länger mit eben dieser frage ausführlich beschäftigen. ein sehr empfehlenswerter
überblick dazu ist aktuell bei telepolis zu lesen; aber auch in konservativen medien werden die wahrscheinlichen unruhen offen thematisiert:

(...)"In Brüssel geht die Angst um. Immer wieder haben hohe EU-Beamte in den vergangenen Wochen bei internen Diskussionen davor gewarnt, dass im Herbst „soziale Unruhen“ in Europa ausbrechen könnten. Besonders gefährdet: Irland, Großbritannien, Griechenland und einige osteuropäische Staaten. Die EU-Strategen rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit ab Mai hochschnellen wird – dann laufen viele Förderprogramme aus und etlichen Unternehmen fehlt langsam das Geld. „Ich fürchte eine soziale Krise, die vor allem durch Massenarbeitslosigkeit geprägt sein wird“, warnt Europas dienstältester Regierungschef Juncker. Und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso pflichtet bei: „Es wäre ein fundamentaler Fehler zu glauben, die EU müsse nur auf Finanzmarktregulierung achten.“

Auch die Gewerkschaften drängen zur Eile. „Ich fürchte, dass es in einigen Ländern schon bald zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommt, wenn die EU-Staaten bei ihren Ausgaben nicht nachlegen und mehr Geld in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen investieren“, sagt Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Gewerkschaften fordern höhere Ausgaben für Kurzarbeit und Umschulungen.

Und sie machen Druck. Anfang April, erzählt Hoffmann, werden in Rom rund eine Million Demonstranten erwartet, mindestens 200.000 Menschen werden Mitte Mai nach Brüssel kommen. „Sie wollen nicht die Opfer der Krise sein“, sagt Hoffmann.

„Die Leute sind wirklich wütend“, sagte der Franzose Maurice Lévy, Chef von Publicis, eine der weltgrößten Werbeagenturen. Die Politiker hätten die Ängste der Menschen einfach weggewischt, statt ihnen ihre Maßnahmen zu erklären. Und im gleichen Atemzug Milliarden Euro den Banken hingeblättert, deren Manager obendrein Boni kassieren. „Wir stehen vor einem neuen Klassenkampf“, sagt Lévy der „Financial Times“.

Wie auch immer man das nennen mag, was seit Monaten unter und über der Oberfläche brodelt: Es erfasst ganz Europa. Begonnen hat das, was vielleicht im Verlauf des Krisenjahrs 2009 in Massenunruhen müden könnte, Anfang Dezember in Griechenland. Der Tod eines 15-jährigen Autonomen, den die Polizei in Athen erschoss, löste wochenlang gewalttätige Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und Sicherheitskräften aus. Sehr bald war klar, dass es um viel mehr ging als um die Wut über die Tötung eines jungen Mannes: um lang aufgestauten Frust. Über 24 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Über eine als korrupt angesehene politische Klasse. Über die ständig wachsenden Zahl illegaler Einwanderer."(...)


nicht nur die eher unfreiwillig geschilderte rolle der etablierten gewerkschaften als systemstabilisatoren ist hier bemerkenswert, sondern v.a. sind die letzten worte zwar für bestimmte bevölkerungsteile leider zutreffend, können aber auch als ein erbärmlicher versuch gelesen werden, mittels worten die schon oben erwähnten gesellschaftlichen spaltungslinien zu aktivieren. denn gerade auf griechenland bezogen, wo in der revolte auch ebenso viele migranten und "illegale" aktiv sind und waren, stellt das eine demagogische realitätsverdrehung dar.

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letzteres, wenn auch ohne das zusätzliche attribut, muss ich leider ebenfalls dem aktuellen und ansonsten geschätztem
geab attestieren:

(...)"Viele Leser werden sich daran erinnern, dass wir schon ab Dezember 2007, in der 20. Ausgabe des GEAB, vor der Immobilienblase in Mittel – und Osteuropa gewarnt hatten.

Wir halten dieses Thema aber nur unter einem Blickwinkel für von besonderer Bedeutung: Es zeigt, wie Wall Street und die Londoner City versuchen , den Eindruck zu erwecken, die EU sei schwersten Verwerfungen ausgesetzt und der Eurozone drohe eine fast schon tödliche Gefahr. Ständig werden Informationen über die Kreditrisiken in Osteuropa in die Medien eingespeist. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, die Regierungen der Euro-Länder würden die Krise nur zögerlich bekämpfen, ganz im Gegensatz zu den Amerikanern und Briten, die die richtigen massiven Maßnahmen ergriffen hätten. Hier geht es darum, die internationale Aufmerksamkeit von den Problemen des US- und britischen Bankenbereichs abzulenken und ganz nebenbei auch die Position der Euroländer im Vorfeld des G20-Gipfels zu schwächen."(...)


das halte ich zumindest für eine massive verharmlosung der innereuropäischen situation, was zwar für einen ausdrücklich europafixierten thinktank verständlich ist, aber in den konsequenzen der darstellung - nämlich eine faktische frontstellung der eu gegen den "angelsächsischen kapitalismus" schlicht völlig in die irre führt, und dazu das eigenständige destruktive und durchaus imperialistische potenzial der herrschenden europäischen "eliten" völlig negiert. aber auch diese sind keine opfer, sondern täter - selbst dann, wenn am dargestellten vorgehen primär der usa durchaus etwas dran ist. aber das ist eben nicht mehr als das übliche innerkapitalistische konkurrenzgerangel auf staatlicher ebene und schafft selbst bei berücksichtigung eben dieses umstandes die brisante situation in osteuropa nicht aus der welt.

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damit wären wir dann endgültig bei der globalen ökonomischen lage angekommen, zu der der philippinische ökonom
walden bello gerade in bezug auf den trikont das folgende mitzuteilen hat:

(...)taz: Herr Bello, die Weltbank hat dieser Tage kräftig Alarm geschlagen und vor einem Absturz der Weltwirtschaft gewarnt. Wie schätzen sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Süden ein?

Walden Bello: Sie werden massiv sein. Am stärksten werden Volkswirtschaften leiden, die sich vollständig der Globalisierung geöffnet und ihr Wachstum etwa durch exportorientierte Industrialisierung an die Märkte im Ausland geknüpft haben. Weit weniger betroffen sind dagegen Länder mit geringerem Öffnungsgrad, zum Beispiel viele Staaten in Afrika.

Welche Effekte hat die Krise bereits?

Die Agrarexporte von Argentinien und Brasilien befinden sich im freien Fall. In Ostasien sind die Exporte ebenfalls steil abgestürzt. In China haben laut der Regierung 20 Millionen Arbeiter in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Der Wert des koreanischen Won ist um mehr als 30 Prozent gefallen. Die Überweisungen südostasiatischer Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer sinken gewaltig, die arbeitslosen Arbeiter kehren zudem verstärkt nach Indonesien und auf die Philippinen zurück."(...)


das sind zwar grundsätzlich keine neuen befunde, aber in zeiten täglicher nebelkerzen und valiumtabletten seitens der hiesigen "eliten" ist ihre regelmässige wiederholung durchaus nötig. wobei man sich über seine alternativen - stärkere betonung nationaler bzw. regionaler ökonomischer kreisläufe - durchaus streiten kann und muss.

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letzteres beginnt wenigstens ansatzweise auch bei hiesigen linksradikalen, und zunächst anlässlich der anstehenden
demonstrationen:

"ak: Die Demonstrationen am 28. März stehen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für Eure Krise!" Warum diese Demo und warum ein antikapitalistischer Block?

Oli: Wir hoffen, dass die Demonstrationen Auftakt für eine breite, außerparlamentarische Mobilisierung sein werden, die die Abwälzung der Krisenfolgen auf uns alle verhindern kann und die als Akteurin in den kommenden Auseinandersetzungen handlungsfähig sein wird. Dafür benötigt es spektrenübergreifende Bündnisse und vermittelbare Forderungen. Wir sehen uns als Teil dieser Bündnisse, wollen aber auch deutlich machen, dass ein Verarzten des Kapitalismus oder der Ruf nach dem Staat nicht die Lösung sein kann. Aus diesem Grund rufen wir zu einem offenen antikapitalistischen Block auf, der konkrete Forderungen aus sozialen Kämpfen mit Perspektiven radikaler Gesellschaftsveränderung verbinden soll, ohne sich von den anderen DemoteilnehmerInnen abzugrenzen.

Von ver.di und dem DGB müsst ihr euch gar nicht abgrenzen. Die mobilisieren ja erst gar nicht ...

Das stimmt so nicht ganz: Zahlreiche Verwaltungsstellen der IG Metall, von ver.di und der GEW, der Gewerkschaftsjugend sowie die IG Bau beteiligen sich an der Mobilisierung. Und dies, obwohl der Bundesvorstand entschieden hat, zu den Aktionstagen des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) Mitte Mai aufzurufen und sich aus der Vorbereitung der Demonstrationen am 28. März herauszuhalten. Wir sehen es als ein gutes Zeichen an, dass für Teile der Gewerkschaften die Nähe zu sozialen Bewegungen wichtiger ist, als sich kurz vor der Europawahl an den Verhandlungstisch staatlichen Krisenmanagements zu setzen. Wir wollen denen den Rücken stärken, die Gewerkschaftsarbeit auch als gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung begreifen, z.B. indem wir sie bei der Mobilisierung in ihren Betrieben und bei den auf sie zukommenden Kämpfen bestmöglich unterstützen. Es gibt auch schon Überlegungen, wie wir mit unseren Positionen auf den Aktionstagen des EGBs im Mai sichtbar werden können. Das alles ändert allerdings nichts daran, dass es für einen gemeinsamen politischen Prozess auch der grundsätzlichen Bereitschaft von Gewerkschaften und auch der Linkspartei bedarf, soziale Bewegungen nicht nur als Füllmasse für Demonstrationen oder Wahlhelfer zu sehen, sondern als mögliche Bündnispartnerin, mit deren Hilfe gesellschaftliche Machtfragen, etwa wer die Krisenfolgen bezahlen muss, beantwortet werden können. Wir denken, dass ein erfolgreicher 28. März auch zu einer Stärkung der progressiven Kräfte dort führen kann.(...)

Wir wollen Themen wie Klima, Krieg, Prekarisierung, Stadtumstrukturierung, Migration und einige mehr zusammenzubringen und auf der ganzen Demo sichtbar machen. Das heißt auch, dass wir uns mit unseren Transparenten nicht nur auf unseren Block beschränken, sondern auch in anderen Blöcken präsent sein werden, um dort Diskussionen zu initiieren und bestehende Forderungen weiterzuentwickeln: Wir schließen uns dem Ruf nach demokratischer Kontrolle der Banken und Konzerne an, treten dabei aber nicht für Verstaatlichung, sondern für Vergesellschaftung unter Kontrolle der Bevölkerung und der Beschäftigten ein.

Auch wir sind gegen Kurzarbeit und Entlassungen; unsere Antwort ist allerdings eine radikale Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit. Statt Subventionen für Autohersteller fordern wir den sozial-ökologischen Umbau der Automobilproduktion und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung für alle. Weil diese Zeit und Kraft kosten, halten wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen für einen ersten Schritt in die richtige Richtung."(...)


das sind doch mal klare ansagen, über die sich ebenfalls diskutieren lässt - wie auch über die erklärungsansätze zur krise im folgenden mobilisierungsvideo:



und in einem weiteren aktuellen
kommentar zu den demos ist zu lesen:

(...)"Zum x-ten Mal wird auf zwei Seiten erklärt, dass die Zeit reif sei für einen "Systemwandel". Von Abschaffung des kapitalistischen Weltsystems ist nicht die Rede, sondern wieder nur mal von der "zerstörerischen" Wirkung der "Entfesselung des Kapitals". Als wenn der kapitalistische Normalzustand mit seinem unbedingten Zwang, Profite zu erwirtschaften, nichts zu tun hätte mit der heftigsten weltweiten Überakkumulationskrise seit 80 Jahren. Als wenn im kapitalistischen Normalzustand keine Umverteilung von unten nach oben stattfindet und Ausbeutung von Natur und Mensch ein Fremdwort wäre. Wieder wird die vermeintliche Idylle eines geregelten, demokratisierten und nachhaltigen Staatskapitalismus gefordert, der nicht alles zur Ware macht: "Menschen sollen vor Profite" kommen. Wie schön.

Wann, wenn nicht jetzt fordern wir den Bruch mit dem System und den Verantwortlichen?

Weder wird das System des kapitalistischen Verwertungszwangs radikal hinterfragt, noch werden die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wirtschaft benannt. Die Tietmeyers, Eichels, Steinbrücks, Merkels, die Asmussens oder die Issings und Ackermanns. Das sind sie. Sie sind die Verantwortlichen für das Desaster. Sie sind die Verantwortlichen aus Deutschland für die drastische Zunahme von Hunger, Elend und Vertreibung durch die Weltfinanzkrise. Sie müssen verschwinden. Und zwar alle. Wie hieß der Schlachtruf 2002 in Argentinien? "Que se vayan todos"! (Alle sollen abhauen)"


ich denke, dass diese position - die ich weitgehend unterstütze - durchaus platz auf den demonstrationen finden wird.

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denn als gegengewicht zu den krisenfolgen sind solche positionen nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar - und das auch gerade hinsichtlich der explizit
psychosozialen folgen der psychophysischen verelendung, die hier bereits im kapitalistischen normalzustand schon früher immer wieder thema waren - von den angstbedingten krankheiten bis hin zu den suiziden im gefolge der "hartz"-gesetze:

"Psychische Erkrankungen nehmen in Wirtschaftskrisen zu. Sie verursachen derzeit in der gesamten Europäischen Union jährliche Kosten von 136 Milliarden Euro, wie der EU-Gesundheitsexperte Michael Hübel am Dienstag am Rande der internationalen Konferenz »Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz« in Berlin mitteilte. Die Zahl beruhe auf Berechnungen der London School of Economics. Weitere Fachleute betonten, als Folge der aktuellen Rezession sei eine Zunahme der psychischen Leiden zu erwarten. Hübel erklärte, der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer Krise und mehr psychischen Erkrankungen sei statistisch nachweisbar.

Laut Matt Muijen vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO belegen zahlreiche Studien, daß sich das Befinden in Zeiten der Rezession verschlechtere. Muijen äußerte die Befürchtung, daß viele Staaten nun am Gesundheitssystem sparen werden."(...)


auch das ist ein ganz wesentlicher punkt, mit dem sich systemkritische bewegungen auseinandersetzen werden müssen - wie lässt sich die spirale der resignation und ohnmachtsgefühle bei gleichzeitiger tabuisierter aggression früh genug auflösen, bevor sie sich in den einzelnen menschen in form vonsymptomen manifestiert?

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in aller kürze - das krisentelegramm +
zu den neuesten erwerbslosenzahlen in großbritannien - die querschüsse reden wie üblich klartext + weiterer anschlag in griechenland - wobei sich beim gebrauch von autobomben in innenstädten schon etliche fragen stellen + in den nächsten monaten stehen europaweit auch aktionen von schülerInnen & studentInnen an, die ebenfalls einiges in bewegung setzen werden - aktuell sind solche auseinandersetzungen wie in barcelona zu verzeichnen + der heutige lesetipp ist eher ein sehtipp - fotos aus der globalen depression - nehmen Sie sich die zeit, das wirken zu lassen + und als letztes eine art kommentar zur neuesten aktion der us-amerikanischen fed, die jetzt die notenpresse anwirft: "Diese sprunghafte Erhöhung der Geldmenge läßt sich nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen. Sie führt mittelfristig automatisch zu einer Entwertung des Dollars. Dies bedeutet nicht nur binnenwirtschaftliche Inflation, sondern könnte – verbunden mit den unattraktiven Zinsen – zu einer Massenflucht der internationalen Gläubiger aus der US-Währung führen; eine tödliche Gefahr für einen Staat, der mit seinem Handelsbilanzdefizit seit langem auf Pump lebt.

Nun könnte man sagen: Laßt doch die Amis, die uns den ganzen Schlamassel eingebrockt haben, den Bach runtergehen. Funktioniert aber nicht, denn ein Kollaps der US-Ökonomie würde den Zusammenbruch der auf Exporte für den US-Markt fokussierten asiatischen Volkswirtschaften – allen voran China – nach sich ziehen. Wer glaubt, Europa oder gar Deutschland könnten einer derartigen Krise mit autarken Wirtschaftskreisläufen auspendeln, ist entweder dumm oder böswillig. Viel bedrohlicher als derartiges Geschwätz ist allerdings die Erkenntnis, daß eine so fundamentale Weltwirtschaftskrise auch in einen großen Krieg münden könnte. Es wäre nicht das erste Mal."
dem bleibt nichts hinzuzufügen +

Donnerstag, 19. März 2009

notiz: der satz zur zeit...

...kommt momentan von netbitch , und obwohl ich mich wahrscheinlich mit ihr bei vielen themen ordentlich streiten könnte - das folgende bringt die situation einfach, kurz und präzise auf den schmerzenden punkt:

"Sorry, aber die Welt, wie sie ist, geht nicht mehr, und nichts von Wert kommt ohne eine Art von Kampf."

mehr (u.a. neue k-news sowie antworten auf einige kommentare) in den nächsten tagen.

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in eigener sache noch: wer sich über die geschrumpfte blogroll wundern sollte - das liegt daran, dass die autorInnen vom nettblog sowie von alarmschrei bedauerlicherweise mit dem öffentlichen schreiben aufgehört haben.

Montag, 16. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (29)

bei somlu ist schon seit längerer zeit eine diskussion im gange, die sich mal grundsätzlicher mit den (linken) widerstandsoptionen bzw. den diesbezüglichen (un-)möglichkeiten beschäftigt. solche debatten laufen meiner meinung nach noch viel zuwenig, zumal ich geneigt bin, der folgenden feststellung beizupflichten:

(...)"Stattdessen treibt die Linke gegenwärtig auf ein Versagen historischen Ausmaßes zu. Sie überlässt nicht nur die Definition des Kommunismus, sondern auch die von Freiheit und Demokratie gänzlich denjenigen, die sich gerade anschicken, diese endgültig abzuschaffen und ihre jetzige Niederlage damit in einen endgültigen Sieg zu verwandeln, in dem sie den gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus in eine autoritären transformieren, in ein Kommando- und Kontrollregime, dessen einzige Grenze dann nur noch die des Wachstums sein wird. Darum geht es jetzt gar nicht um die Auswüchse des Kapitalismus, es geht um ihn selbst und um seine kommende Verfasstheit als globales und zerstörerisches Herrschaftsprinzip um seiner selbst Willen, ohne irgendeine systemimmanente Rückbindung an natürliche oder kulturelle Überlebensbedingungen der Gattung. Und so wird er Herr der Welt sein, weil er diese zerstören kann."(...)

die benannte grenze des wachstums ist dann auch diejenige, die bereits in verschiedenen dimensionen (u.a. peak oil) in sicht ist und - wie den stammleserInnen hier bekannt sein wird - meiner meinung nach nicht nur bereits zur laufenden krise beigetragen hat, sondern auch jegliche luftschlösser mit dem inhalt "weiter so" schnell, hart und schmerzhaft mit der realität konfrontieren wird. ich habe manchmal den verdacht, dass es sich große teile der linken innerhalb ihrer resignativen haltung und damit auch innerhalb des systems so gemütlich wie möglich gemacht haben und jetzt verstört damit umgehen müssen, dass der ganze laden viel schneller und unerwarteter kollabieren wird als gedacht. damit stehen dann teils mehrfach umgemodelte lebensentwürfe wieder einmal zur disposition, aber diesmal in einer so grundsätzlichen art & weise, dass mögliche selbstbetrügereien keinerlei chance mehr haben werden. aus den bekannten fakten die sich aufzwingende schlußfolgerung zu ziehen, dass die globalen verhältnisse für alle, die das sehen wollen, offen mörderisch sind, ist nun mal untrennbar mit persönlichen konsequenzen verbunden, wenn diese wahrnehmung ernst genommen wird. für den anfang für diesen schritt vielleicht am nötigsten sind antworten auf fragen wie solche, wer von den sich als links bezeichnenden hier eigentlich für sich persönlich was zu verlieren glaubt, wenn eine grundsätzliche umwälzung - im schlechtesten fall aus dem reinen druck der verhältnisse heraus - ansteht. ich glaube - bzw. weiß für mich - dass die möglichen antworten bei einer nüchternen und realistischen betrachtung nicht nur viel kürzer sein werden als gedacht, sondern auch deutlich machen werden, dass dabei eine ordentliche portion selbstsedierung eine rolle spielt.

letztere ist z.zt. ebenfalls bei den sog. "eliten" zu verzeichnen, die in alter manier nicht nur jegliche gesellschaftsbezogene lehren aus ereignissen wie dem jüngsten schulmassaker verweigern, sondern bezgl. der ökonomischen krise auch weiterhin sinnbildlich berge von tranquilizern einwerfen und verteilen, um ihr sinnloses tun - erhaltung des status quo - bis zum nächsten tag zu bringen. anders sind die entsprechenden
meldungen gerade der letzten tage nicht zu verstehen. aber, um einen schon vielfach variierten spruch nochmals abzuwandeln: die "elite" denkt - die krise lenkt. und für den anfang werden alle, die auch nur leichte bauchschmerzen angesichts der globalen entwicklung haben, nicht fehlgehen, wenn sie sich am 28. märz in berlin und frankfurt/m. zusammen mit zehn-, besser hunderttausenden anderen treffen, um endlich einen anfang auf den strassen zu machen - und ein überfälliges zeichen setzen.



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  • osteuropa: rumänien und lettland vor dem staatsbankrott
  • griechenland: auf den straßen wird es wieder unruhig / neue anschläge
  • frankreich I: arbeiter setzen aus protest gegen entlassungen zeitweise manager fest
  • frankreich II: guerillaartige auseinandersetzungen in den banlieus von paris - es wird scharf geschossen
  • frankreich III: generalstreik auf martinique ebenfalls erfolgreich beendet - streikunruhen im indischen ozean
  • spanien: neue massenproteste (auch polizisten demonstrieren)
  • brasilien: arbeiter in der autoindustrie rufen zu einem globalen aktionstag auf
  • in aller kürze: gigantische verschuldung der usa / möglicherweise milliarden menschen global von neuer armut betroffen / robert kurz zur kommenden arbeitslosigkeit in der brd / einige interessante zusammenhänge zwischen deutscher wirtschaft & bundeswehr
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zu den fast schon gewohnten nachrichten der letzten monate gehören diejenigen über anstehende und gerade noch so verhinderte staatsbankrotte, vorzugsweise (aber nicht nur) in osteuropa. bei zwei schon seit längerem genannten kandidaten hat sich die lage jetzt zugespitzt: einmal hat
rumänien kürzlich besuch vom iwf bekommen...

(...)"Arbeitsminister Marian Sarbu mußte bereits im Vorfeld seines Treffens mit der IWF-Delegation einräumen, daß die Kreditvergabe mit »Änderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik« einhergehen könne. Es hoffe allerdings, daß der Fonds eine Angleichung der Löhne und Renten an die Inflationsrate nicht verweigern werde. Die Rumänen haben bereits Ende der 90er Jahre ihre Erfahrungen mit dem IWF gemacht, als dieser dem Land mittels rabiater Strukturanpassungsprogramme eine Roßkur verpaßte, die das europaweit niedrigste Lohnniveau und eine der höchsten Armutsraten zur Folge hatte.

Bis zum 25. März wollen IWF-Inquisitoren mit Regierungsvertretern Gespräche führen, bis sie ihr abschließendes Urteil fällen und den genauen Kreditbedarf Rumäniens benennen. Derzeit wird dieser auf circa 19 Milliarden Euro geschätzt. Das Geld sollen neben dem IWF die Weltbank und die Europäische Union zur Verfügung stellen. Bereits jetzt ist klar, daß Brüssel und der Währungsfonds auf eine strikte Haushaltsdisziplin der rumänischen Regierung bestehen werden."(...)


...dessen sog. maßnahmen bzw. zwangsdiktate in sachen sparen schon eine art globale kollektive erfahrung derart darstellen, dass grundsätzlich immer dort "gespart" wird, wo eigentlich nichts mehr zu holen ist. was letztlich nichts anderes deutlich macht als eine kernfunktion des iwf als globale umverteilungsinstanz von unten nach oben. gleiches blüht in kürze auch
lettland:

(...)"Doch nicht nur die Landwirte klagen. Bei einem Gang durch die Rigaer Innenstadt wird schnell klar, wie angespannt die Lage ist. Viele Geschäfte und Kneipen haben aufgegeben oder werben mit Preisnachlass von bis zu 80 Prozent wegen Räumungsverkauf. "Die Party ist vorbei", hatte Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics kürzlich in einem Interview mit der FAZ verkündet. Dass das Land noch keinen Bankrott anmelden musste, lag allein am Kredit vom Internationalen Währungsfond und einiger EU-Mitglieder, doch die Gefahr sei noch akut, so der seit vergangenem Donnerstag amtierende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis:

"Wenn wir keine weiteren Geldmittel über internationale Kredite erhalten, dann ist in der zweiten Hälfte im Juni das Geld in der Staatskasse alle. Dann kann der Staat keine Gehälter und keine Renten mehr bezahlen, auch nicht die Rechnungen des öffentlichen Bereichs oder nur noch in dem Ausmaß, wie Geld hereinkommt. Das ist dann ein Staatsbankrott."

7,5 Milliarden Euro stehen an internationalen Krediten zur Verfügung, gut eine Milliarde hat Lettland bisher tatsächlich erhalten. Dass weitere Mittel fließen, hängt unter anderem davon ab, wie erfolgreich die neue Regierung mit ihren Sparbemühungen ist. Gekürzt werden soll vor allem im öffentlichen Dienst, durch Stellenstreichungen und 20 Prozent weniger Gehalt. Wegen ähnlicher Vorschläge hatte es Anfang des Jahres gewaltsame Proteste in Riga gegeben."(...)


nicht nur in lettland wird es keinesfalls beim öffentlichen dienst bleiben - überall, wo die iwf-delegationen auftauchen, hinterlassen sie mächtige haufen an sozialem brennstoff. in den meisten fällen ist lediglich noch die frage, wann und wie groß diese feuer im laufe dieses jahres auflodern werden.

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"griechenland" ist in dieser hinsicht fast schon von der bezeichnung eines landes zum menetekel mutiert - seit der sozialrevolte des dezembers ist in einem von außen nicht leicht nachvollziehbarem maße eine wellenartige
verschärfung der militanten konfrontationen zu beobachten:

(...)"Eine Gruppe von 100 vermummten, lief an diesem Mittag durch das Athener Stadtviertel Kolonaki. Die maskierten waren mit Stöcken und Hammern sowie Brecheisen bewaffnet und zerschlugen eine grosse Anzahl von Luxus Autos und luxuriöse, sowie Pelz und Lederwaren Geschäfte. Die ganze Aktion dauerte keine zehn Minuten und Die Polizei konnte nicht im geringsten agieren. Die Maskierten hinterliessen Flugblätter, auf denen sie die Frei lassung eines im Gefängnis sitzenden Anarchisten fordern. Da sich die Anwohner von Kolonaki unsicher fühlen, soll über eine Art permanenten Riot Polizei Schutz diskutiert werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Griechenland extrem auseinander und die Menschen befinden sich in einer wrklichen Existenzkrise. Die Wut auf die Regierung wächst, mitlerweile finden Fast täglich Demonstrationen und Aktionen dieser Art statt."


die - wie in vergangenen news schon thematisiert - bis hin zu
guerillaaktionen geht:

(...)"Die Gruppe plane Anschläge, um Griechenland „zu feindlichem Territorium für die kriminellen Agenten des internationalen Kapitals, wie die Citibank, zu machen“, heißt es in einem achtseitigen Bekennerschreiben, das die satirische Athener Wochenzeitung „Pontiki“ zugespielt bekam und am Donnerstag veröffentlichte.

Polizeiexperten halten das Schreiben für echt. Die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ hatte vergangene Woche einen Sprengstoffanschlag auf eine Citibank-Filiale im Athener Vorort Filothei verübt. Dabei entstand schwerer Sachschaden. Verletzte gab es nicht. Vergangenen Monat konnte die Athener Polizei eine Autobombe der Organisation vor einem Citibank-Verwaltungsgebäude im Vorort Kifissia entschärfen. Die aus 60 Kilo Sprengstoff bestehende Bombe hätte nach Einschätzung von Fachleuten verheerende Zerstörungen angerichtet, ging aber wegen eines technischen Fehlers nicht hoch."(...)


auch zu solchen aktionen hatte ich mich schon geäussert, und ich sehe keinen anlass, von meinen damaligen einschätzungen abzugehen. die wirklich interessanten prozesse dürften weiterhin innerhalb der in rebellion befindlichen bevölkerungsteile ablaufen, und die ergebnisse davon werden erst mittel- bis langfristig sichtbar werden. spannend wäre es aber, einmal die tatsächliche resonanz auf derartige anschläge gerade gegen banken ungefiltert mitzubekommen.

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in frankreich findet am donnerstag der zweite landesweite generalstreik statt, und was sich davor im land so tut, dürfte den dortigen "sicherheits"apparat schon ordentlich ins schwitzen bringen - so ins schwitzen, wie einen
manager von "sony":

(...)"Wütende Arbeiter des Elektronikkonzerns Sony haben in Südfrankreich mit harten Bandagen um höhere Abfindungen gekämpft. Sie nahmen kurzerhand Sony-France-Chef Serge Foucher gefangen und hielten ihn die Nacht zum Freitag in dem Magnetbandwerk in Pontonx-sur-l'Adour fest. Die Aktion zeigte Wirkung: Sony setzte sich wieder an den Verhandlungstisch.

Foucher war am Donnerstagabend nach Pontonx gekommen, um die Beschäftigten des seit 1984 bestehenden Werkes vor der Schließung im April ein letztes Mal zu treffen. Gegen seinen Willen wurden er und sein Personalchef darauf am Verlassen der Fabrik gehindert. Die Arbeiter verbarrikadierten die Eingänge mit Baumstämmen. Erst nachdem Foucher neue Verhandlungen zugesagt hatte, entließen sie ihn am Vormittag aus ihrer Gewalt.(...)

Wir verlangen nicht die Welt, nur dass wir auf dieselbe Weise abgefunden werden wie andere Beschäftigte von Sony France, die gekündigt worden sind", sagte der Vertreter der Gewerkschaft CGT, Patrick Hachaguer."(...)


die öffentlich-mediale berichterstattung war nicht nur reichlich sparsam, sondern auch betont zurückhaltend in der wertung (ab und zu tauchte das wort geiselnahme auf, jedoch ohne die üblichen empörungsgesänge - das dürfte einen typ von aktionen darstellen, den die "eliten" in der derzeitigen situation nachvollziehbar selbst durch entsprechende empörte propaganda nicht bekannter machen wollen. was aber zumindest für frankreich nicht klappen dürfte.

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zum schwitzen dürfte die sicherheitsstrategen in frankreich ebenfalls die mögliche verbindung der allgemeinen bereitschaft zur rebellion mit der militanz in den banlieus bringen, die aktuell deutlich
stadtguerillaartige ausmaße annimmt:

(...)"Bei Krawallen in der Nacht auf Sonntag wurden in Les Mureaux im Departement Yvelines 21 Polizisten leicht verletzt und acht Personen festgenommen. In Montegron feuerten Unbekannte Gewehrschüsse auf ein Polizeikommissariat ab. In dem Kommissariat saß ein Verdächtiger in Beugehaft.

In Les Mureaux waren Polizisten in einen Hinterhalt geraten. Die Beamten waren wegen eines brennenden Autos im Stadtviertel Les Musiciens angerückt. Plötzlich wurden sie von hunderten Jugendlichen mit Steinwürfen und Gewehrschüssen attackiert. Die Ausschreitungen dehnten sich im Laufe der Nacht auf benachbarte Wohnviertel aus."(...)


die wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich bei den scharfen schüssen tatsächlich um aktionen in zusammenhang mit einem anfang märz von der polizei erschossenen jugendlichen handelt. solche aktionen reichen schon in "normalen" zeiten aus, um den brisanten mix aus prekariat und auch islamistischen strömungen in den banlieus zu aktivieren - wenn dazu noch eine ökonomische krise des derzeitigen kalibers dazukommt, in der jede aussicht auf teilhabe am sog. "wohlstand" endgültig den bach runtergeht, ist die tatsache der an verschiedenen orten gefallenen schüsse gegen die sog. staatsmacht ebenfalls nur als beunruhigendes menetekel zu verstehen.

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aber auch die kolonien machen weiter von sich reden - nachdem auf guadeloupe vorläufig ruhe eingekehrt ist, folgte jetzt die nachbarinsel
martinique:

" Ein von gewaltsamen Ausschreitungen begleiteter Streik auf der französischen Karibikinsel Martinique ist nach 38 Tagen beendet worden. Streikführer, Arbeitgeber und Behörden einigten sich auf einen Krisenplan. Er sieht u. a. Lohnerhöhungen und bessere Sozialleistungen vor. Die Arbeitnehmer behielten sich vor, die Streiks fortzusetzen, sollten die Abmachungen nicht eingehalten werden."(...)

ich hatte ja schon vom positiven beispiel geschrieben, welches die vereinbarungen von guadeloupe nicht nur den anderen "überseegebieten", sondern auch möglicherweise dem französischen kernland gegeben haben - und die methode wird wie beim domino fortgeführt, aktuell auf
la reunion im indischen ozean:

(...)"Nach dem Ende des Generalstreiks in Guadeloupe haben die Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten und niedrige Löhne auf das französische Überseegebiet La Reunion übergegriffen. Am Dienstag demonstrierten tausende Menschen auf der Insel im Indischen Ozean. Nach einer Kundgebung in der Hauptstadt Saint-Denis bewarfen Jugendliche die Präfektur mit Steinen, wie ein AFP-Journalist berichtete.

Die Polizei setzte Tränengas ein, worauf sich die Jugendlichen in umliegende Straßen flüchteten und auch auf Autos und Wohnungen Steine und Flaschen schleuderten. Die Behörden hatten am Montag versucht, den Konflikt durch eine Senkung der Benzin- und Gaspreise zu entschärfen. Der Unternehmerverband Medef sagte gleichzeitig Lohnerhöhungen von 50 Euro für Geringverdiener zu. Die Führung der Protestbewegung bezeichnete das aber als unzureichend."(...)


ich prophezeie mal ein ähnliches ende wie in der karibik - die französische regierung steht durchaus mit dem rücken zur wand, weil sie sich unmöglich monatelange brandherde leisten kann. und bisher ging es "nur" um die peripherie - in frankreich selbst hat die eigentliche kraftprobe noch nicht mal begonnen.

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und auch im nachbarland spanien beginnen sich langsam die strassen zu füllen - waren bisher lediglich im letzten herbst vereinzelte (militante) proteste in der autoindustrie und werftenbranche zu vermelden (ebenfalls sollte der anarchosyndikalistisch inspirierte generalstreik von lebrija nicht vergessen werden), gab es jetzt erstmals größere
gewerkschaftsdemonstrationen:

(...)"Die Wirtschaftspolitik der spanischen Regierung sei mit Schuld an der Misere in Spanien und so riefen am Samstag die beiden großen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT) zu Demonstrationen auf. In Barcelona folgten Tausende diesem Aufruf. Die Gewerkschaften sprechen von über 50.000 Menschen, die Polizei will allerdings nur 12.000 gesehen haben. 125 Organisationen hatten die beiden großen Gewerkschaften bei der Massendemonstration unterstützt."(...)

die forderungen bewegen sich aber nach meinem eindruck noch unter bspw. dem irischen niveau. die verzögerte krisenwahrnehmung ist jedenfalls kein rein deutsches phänomen, wobei sie in spanien schon länger eigentlich wesentlich spür- und auch sichtbarer ist, was besonders die berüchtigte immobilienblase betrifft. eine weitere demonstration in madrid gegen bestimmte krisenfolgen ist bemerkenswert:

(...)"Auch in Madrid fand eine Demonstration statt, hier war es die Polizei selbst, die höhere Gehälter forderte. Nicht die erste dieser Art, bereits im Oktober waren die spanischen Polizeibeamten auf die Straße gegangen, um für höhere Löhne zu demonstrieren."

die bewaffneten repressionspparate der staaten stellen für die "eliten" global ein so wichtiges standbein ihrer macht dar, dass dort i.d.r. als letztes gekürzt wird; jedenfalls in den bereichen, die nicht unmittelbar der sicherheit der breiten bevölkerung dienen, sondern der sicherheit vor dieser bevölkerung. in zeiten des realen risikos für nicht nur einen staatsbankrott kann die frage, wie diese hochgerüsteten apparate denn bezahlt werden sollen, irgendwann ziemliches gewicht für alle beteiligten bekommen.

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die krisenfolgen in südamerika waren hier bisher ziemlich unterbelichtet, was sich zukünftig aber ändern soll - und zum beginn dokumentiere ich fast schon typischerweise (weil sich hier global überall die ersten massiven krisenerscheinungen der sog. "realwirtschaft" manifestiert haben und manifestieren) einen
aufruf aus brasilien für einen internationalen aktionstag der arbeiterInnen in der autoindustrie - auszüge der deutschsprachigen übersetzung:

"Wir beobachten zurzeit die weltweite Verschärfung der internationalen Wirtschaftskrise und der Politik der Unternehmer und ihrer Regierungen. Abermilliarden von Dollar bzw. Euro an öffent-lichen Geldern werden den Konzernen überreicht, während man mit uns Arbeiter/Innen nur über Entlassungen und die Notwendigkeit redet, auf unsere Arbeitsrechte zu verzichten und die Senkung unserer Gehälter in Kauf zu nehmen.

Das ist unakzeptabel!!! Wir waren nicht die Auslöser dieser Krise. Wer für die Krise bezahlen muss, sind diejenigen, die jahrelang Gewinne und Dividenden unter sich aufteilten, indem sie die jetzige Krise durch ihr unverantwortliches und betrügerisches Management verursachten.
Im Gegenteil, wir, die Arbeiter/Innen, produzieren unter Bedingungen extremer Ausbeutung und werden durch die Arbeit krank. Gleichzeitig werden unsere Löhne und Arbeitsrechte in Frage gestellt, Betriebe werden geschlossen bzw. verlagert. Und dies alles im Namen der Kos-tensenkung und der angeblichen Sicherung der Arbeitsplätze.

Wir dürfen jetzt nicht erlauben, dass diejenigen, die sich in den letzten Jahren unglaublich be-reichert und diese Krise verursacht haben, sich Milliarden öffentlicher Gelder in die Taschen stecken, während sie gleichzeitig ihre Pläne bekannt geben, in denen wir gezwungen werden sollen, Lohnsenkungen und den Abbau von Errungenschaften zu akzeptieren, die Millio-nen unserer Familien ins Elend stürzen werden.
Die Regierungen und die Konzerne versuchen außerdem, uns gegeneinander auszuspielen.(...)

Die Automobilindustrie kündigt weltweite Umbaumaßnahmen an. In verschiedenen Ländern finden bereits Mobilisierungen, Streiks und Demonstrationen statt. Auf den Globalangriff der Unternehmer müssen wir auch eine gemeinsame globale Antwort erarbeiten.

Es ist nötig, dass wir Initiativen, wie die in den letzten Tagen von den Arbeiter/Innen der GM EUROPA unternommenen Aktionen, zusammenführen und verbreitern. Sie haben einen Tag der Produktionsstilllegung und Demonstrationen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze durchgeführt. Wir in Brasilien bereiten einen Streiktag und Demonstrationen für den 1. April vor.

Wir, MetallarbeiterInnen von São José dos Campos, Arbeiter/Innen von GM BRASILIEN, rufen alle Arbeiter/Innen in der Automobilindustrie auf, einen internationalen Streiktag für den Erhaltung unserer Arbeitsplätze, Löhne und Rechte zu organisieren. Die Reichen müssen für diese Krise bezahlen.(...)

Deswegen rufen wir, Arbeiter/Innen der GM Brasilien, die Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos, die CONLUTAS (Ko-ordinierung der Kämpfe, Brasilien), alle Arbeiter/Innen, Gewerkschaften, Betriebsräte, Aktivis-ten auf, ein internationales Treffen zu veranstalten, auf dem wir gemeinsame Aktionspläne be-raten, um der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu begegnen und unsere Arbeitsplätze, Arbeitsrechte und Arbeitsgehälter verteidigen, ohne zu Geiseln der Erpressungen derer zu werden, die uns immer schon ausgebeutet haben.

Arbeiter/Innen der GM von São José dos Campos - São Paulo
Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos - São Paulo
CONLUTAS - Koordinierung der Kämpfe von Brasilien
ELAC – Encontro Latino Americano e Caribenho de Trabalhadores"


die beispielhafte internationalistische ausrichtung ist das eine, das andere aber hatte ich schon infrüheren news grundsätzlich zur situation der autoindustrie kommentiert - aus vielen gründen in ihrer aktuellen form ein historisches auslaufmodell, und es sind nicht zuletzt die dort beschäftigten, die im weiteren verlauf der krise in naher zukunft damit beginnen müssen, sich dieser realität zu stellen. eine internationale zusammenarbeit kann bei diesem prozeß aber nur hilfreich sein.

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in aller kürze - das krisentelegramm + die wirtschaftsquerschüsse zu den
gigantischen us-schulden - ich frage mich immer mehr, wie da drüben irgendjemand noch ernsthaft glauben kann, im systemimmanenten rahmen aus dieser situation zu entkommen + mehr zu den globalen krisenfolgen - in den letzten news schon thema, macht der artikel nochmals die dimensionen etwas deutlicher + letzteres schafft ebenfalls robert kurz mit einem ausblick auf die mögliche erwerbslosigkeit in der brd: "Jetzt droht eine bislang unvorstellbare Krisendimension. Noch ist sie ein Medienereignis, aber der neue Einbruch auf dem Arbeitsmarkt hat schon begonnen. Ein Höchststand von 8 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen in den kommenden Jahren ist für die BRD nicht mehr völlig ausgeschlossen. Niemand hat dieses Horrorszenario bisher durchrechnen wollen, aber die Folgen sind absehbar." und absolut haarsträubend + speziell mit der herausgehobenen rolle der "commerzbank" beim schulterschluß zwischen wirtschaft und bundeswehr beschäftigt sich ein ganzes blog zum sog. "celler trialog". und das ist auch der heutige lesetipp, weil dort vor dem hintergrund der krise strukturen sichtbar werden, die noch viel zu wenig thema sind +

Mittwoch, 11. März 2009

notiz: anläßlich der aktuellen sog. amokläufe...[3.update am 17.03.09]

...in baden-württemberg und alabama weise ich nochmals auf einen älteren beitrag zum thema hin: ausweitung der kampfzone. mehr dazu vermutlich aus zeitgründen erst in den nächsten tagen.

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edit am 13.03.: dieses update erstelle ich mit einigem widerwillen, was vor allem an der größtenteils unterirdischen öffentlichen "diskussion" liegt - wie eine eins-zu-eins-wiederholung dessen, was schon bei "emsdetten" und "erfurt" zu lesen und zu hören war. prinzipiell sehe ich keinen anlaß, von den im eingangs verlinkten beitrag zur kampfzone geäusserten positionen abzugehen. es gibt aber bei der jüngsten tat zwei aspekte (die dazu momentan als relativ gesicherte fakten gelten können), die ich bisher für unterbelichtet halte. der eine davon ist das thema der psychiatrischen behandlung einer depression bei tim k. - und die möglichen zusammenhänge einer solchen, im regelfall auch medikamentösen, therapie mit einer tat solchen kalibers hatte ich aus anlaß eines früheren "amoks" in den usa schon früher
thematisiert:

(...)"was waren das für verschreibungspflichtige antidepressiva?

wenn es sich nämlich um sog. serotonin-wiederaufnahmehemmer gehandelt hat (heute bei schwereren depressionen durchaus verbreitet angewandte psychopharmaka), wäre es meiner meinung nach wichtig, sich genauer mit den folgenden fakten zu beschäftigen - ich zitiere aus einem telepolis-artikel vom januar 2005:

(...)"Das British Medical Journal berichtet. ihm sei im vergangenen Monat anonym vertrauliches Material zugespielt worden, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen der Patienten-Medikation mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRRI, z. B. Prozac) und erhöhtem Hang zu Aggressionen, Gewalt und Suizid belege. Das Material wurde der US-Behörde für Arzneimittelsicherheit (FDA) zur Prüfung übergeben.

Bei den entsprechenden Dokumenten handele es sich anscheinend um interne Memos, Produktstudien und Bewertungspapiere des Pharmariesen Eli Lilly aus dem Jahr 1988, aus welchen klar hervorgeht, dass der Firma bekannt war, dass die Einnahme von Prozac zu einer signifikanten Zunahme von nervösen "Erregungszuständen" führen könne, was diese bisher stets bestritten hatte. Klinischen Tests zufolge sind bei 38% der damaligen Prozac-Probanden derartige Symptome aufgetreten."(...)

und speziell die folgende passage rumorte in meiner erinnerung, als ich vom jüngsten amokfall hörte:

"Pikanterweise waren eben diese Dokumente während des Wesbecker-Prozesses im Jahre 1994 verschwunden, wo sie als wichtige Beweismittel hatten dienen sollen. Der Journalist Joseph Wesbecker war 1989 mit einer 47er Magnum (kleiner fehler im tp beitrag, es war eine ak47, anmerkg. mo) Amok gelaufen und hatte dabei 8 Menschen erschossen und ein Dutzend verletzt. Eine lange Leidensgeschichte von Depressionen und Angstzuständen fand mit dem Suizid ein Ende. Einen Monat vorher hatte er auf Empfehlung seines Arztes begonnen Prozac zu nehmen.

Das Unternehmen wurde zwar mit 9 zu 3 Geschworenenstimmen freigesprochen; später kam jedoch ans Licht, dass die Firma die Kläger, Angehörige der Opfer, bereits vorher in einem geheimen Deal großzügig abgefunden hatte."(...)


alle notwendigen quellenlinks sind im beitrag zu finden; und ich finde, die damalige frage stellt sich auch hier - wie genau sah die therapie bei tim k. aus? der zuständige psychiater landet in seinem
statement mal wieder beim klassiker "schizophrene psychose". das lässt sich zwar nicht völlig ausschließen, hat jedoch für die zuständige psychiatrie (als disziplin) und auch die gesellschaft den vorteil, dass in einem solchen fall tatsächlich niemand etwas hätte wissen und erst recht nicht tun können (eine solche psychose kann tatsächlich in ihrem verlauf relativ lange unerkannt bleiben, zumindest in einigen fällen). aber genau aus diesem grund finde ich solche erklärungen grundsätzlich etwas verdächtig, wenigstens solange, bis eine genauere untersuchung die medikamenten-frage geklärt hätte. aber gibt es daran von "offizieller" seite aus überhaupt ein wirkliches interesse?

dann: der verdacht des behandelnden psychiaters mutet vor dem hintergrund der allerorten als diagnose gehandelten depression schon seltsam an - depressionen gehören bei den psychiatrischen diagnosen noch zu denjenigen, die sich an sich spätestens im klinischen rahmen ganz gut abklären bzw. verifizieren lassen. und sie sind gleichfalls relativ gut in ihrer ätiologie erforscht, was bekanntlich längst nicht bei allen pathologischen psychophysischen zuständen der fall ist. das sich eine als solche diagnostizierte depression nun entweder in eine schizophrene psychose verwandelt haben oder aber mit der letzteren unerkannt als komorbidität existiert haben sollte, kommt mir vor dem hintergrund meines persönlichen wissen über depressionen doch recht unwahrscheinlich vor. falls sich das anders verhalten sollte, bitte ich um entsprechende korrekturen.

ebenfalls ist zu bedenken, dass ein ausgewachsener depressiver zustand (im klinischen sinne) normalerweise symptomatisch mit einer massiven handlungshemmung und allgemeiner motivationslosigkeit daherkommt - im extremfall kann jede bewegung und gar jeder gedanke so quälend und anstrengend für die betroffenen sein (die meist auch die gesamte außenwelt bzw. deren anforderungen als extrem überfordernd wahrnehmen), dass die typischen reaktionen in einer depression als eindeutig defensiv im sinne von rückzug, sozialer isolation, "verkriechen-wollen" und apathie zu verzeichnen sind. und gerade diesen defensiven reaktionen (die durchaus fatale folgen haben können), soll durch die meisten antidepressiva entgegengewirkt werden. was uns dann direkt zur ausgangsfrage zurückbringt.

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die zweite
auffälligkeit bei dieser tat wird immerhin auch öffentlich als solche benannt:

(...)"Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministers Heribert Rech suchte sich Tim K. vor allem Mädchen und Frauen als Opfer aus. So erschoss der 17-Jährige acht Schülerinnen sowie einen Schüler, ausserdem tötete er drei Lehrerinnen. Weiter habe sieben Schülerinnen durch Schüsse verletzt. Diese seien alle ausser Lebensgefahr.

Rech bezeichnete die überwiegende Zahl von weiblichen Opfern als «auffällig».(...)


das finde ich allerdings auch; und beim aktuellen wiederlesen des "kampfzonen"-beitrags hatte ich den eindruck, dass tim k. mit seinen bisher bekannten eigenschaften "recht stiller männlicher außenseiter, waffenfixiertheit und aller wahrscheinlichkeit etlichen beziehungsstörungen beim umgang mit frauen" fast perfekt ins raster der typischen (schul-)amoktäter passt. in diesem falle würde das aus meiner sicht deutlich auf ein starkes motiv von rache primär an den weiblichen objekten der begierde hindeuten. auch das könnte eigentlich durch eine genauere untersuchung von k.´s (nicht-)beziehungen zu jungen frauen abgeklärt werden, und das wären ebenso wie die frage nach seiner möglichen medikamention eigentlich die bisher sichtbaren primären punkte, die über die tathintergründe aufklären könnten. als drittes wären dazu selbstverständlich die verhältnisse in der familie unter die lupe zu nehmen - ohne einen ordentlichen anteil an innerfamiliären fehlentwicklungen lässt sich eine solche tat eines siebzehnjährigen ebenfalls nicht begreifen. und damit meine ich nicht die anscheinenden "schludrigkeiten" des vaters beim verwahren seiner waffen (interessanterweise kommt niemand auf die idee, dass es sich bei solchen angeblichen versäumnissen u.u. auch um verkappte aufforderungen eher unbewusster art handeln kann).

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das stichwort "familie" leitet dann über zur zweiten "amok"-tat dieser tage in den usa - genauer in
alabama:

(...)"Alles deutet auf eine "Familientragödie" hin, wie man das gemeinhin nennt. McLendon hat seine Mutter erschossen, seine Großeltern und einen Onkel. "Er hat seine ganze Familie ausgelöscht", sagte Robert Preachers, Chefermittler in Coffee County, in dem der Amokschütze lebte.

Der junge Mann, Mitte 20, wohnte offenbar noch bei seiner Mutter. Sie hatte er am Dienstagnachmittag in ihrem Haus in Kinston unweit der Grenze zu Florida erschossen. Ihre Leiche hatte er auf ein Ecksofa gelegt, Decken über sie geworfen und angezündet. Das Haus brannte ab. Auch die vier Hunde seiner Mutter erschoss er. Danach fuhr er in die knapp 20 Kilometer entfernte Kleinstadt Samson im benachbarten Geneva County. Vor dem Haus seiner Großeltern eröffnete er das Feuer. Beide waren sofort tot wie auch ein Onkel McLendons. In einem Nachbarhaus tötete er einen weiteren Verwandten, in einem Haus schräg gegenüber die Frau eines Sheriffs und ihr Baby. Der Polist war später an der Verfolgung des Amokschützen beteiligt, ohne zu wissen, dass seine Familie unter den Opfern ist. McLendon fuhr anschließend durch den kleinen Ort und feuerte auf alles, was sich bewegte, ehe er an einer Tankstelle hielt. Dort erschoss er offenbar wahllos eine Frau und zwei weitere Autofahrer und stieg erneut in seinen Wagen ein.

Unterdessen hatte die Polizei die Verfolgung aufgenommen. Vor einer Metallfabrik hielt McLendon an und schoss auf seine Verfolger mit einem Schnellfeuergewehr. Der örtliche Polizeichef wurde dabei schwer verletzt. Der Täter flüchtete in das Fabrikgebäude und nahm sich dort das Leben."(...)


ich finde ja, dass hier die tat für sich selbst spricht - und vor allem erzählt sie von einem geplanten massaker aus vermutlichen rachemotiven, deren grundlage eindeutig innerhalb der familienverhältnisse zu suchen ist. speziell die mutter des täters wurde von diesem nicht nur "einfach" ermordet, sondern noch dazu ist deutlich sichtbar, dass er alles dafür tat, überhaupt alle zeichen für ihre existenz regelrecht auszulöschen - incl. haus & haustiere. die zielgerichtete fahrt zu den nächsten verwandten - leider wird nicht deutlich, ob das auch die großeltern mütterlicherseits waren - , macht aus meiner sicht ebenfalls klar, dass sich der täter zwar in einem psychophysischen ausnahmezustand befunden haben muss, der aber erst nach der primären tat zu einem echten amok mit dem kennzeichen des wahllosen mordens mutierte. sicher könnte auch hier eines jener klassischen psychiatrischen krankheitsbilder alá "schizophrene psychose" vorhanden gewesen sein, aber selbst in diesem falle wären die familienverhältnisse immer noch einer näheren betrachtung zwingend würdig. zu deutlich ist der vernichtungsdrang speziell gegenüber der mutter.

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wenn man also genauer hinschaut, bleiben solche taten wie die dargestellten durchaus nicht "unerklärliche einbrüche eines quasi metaphysischen bösen", wie das der offizielle diskurs einmal mehr suggeriert, sondern können uns etwas über ver-rückte gesellschaftliche verhältnisse in verschiedenen zusammenhängen erzählen. genau dieser schluß aber soll und darf nicht gezogen werden in "der-besten-aller-welten", weshalb die aktuell laufende offene krise dieses systems auch eine eigentlich wünschenswerte darstellt - der massenmord nicht nur bei solchen taten gehört letztlich zur systemimmanenten normalität.

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edit 2 am 14.03.: jetzt wird´s
abstrus:

(...)"Nun haben sich erstmals die Eltern des Jungen geäußert. Sie teilten über ihren Anwalt mit, dass ihr Sohn nie in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Damit dementierten sie bisherige Behördenangaben und erklärten weiter, Tim K. sei deswegen auch in keiner Klinik behandelt worden.

Dagegen sagte Matthias Michel, der Ärztliche Direktor des Klinikums am Weißenhof, dem Südwestrundfunk: Der 17-Jährige wurde "auf ambulanter Basis" insgesamt fünf Mal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt. Dabei seien mehrere Tests durchgeführt und eine weitere Behandlung in Winnenden empfohlen worden. Dies habe er aber abgelehnt."(...)


das spricht für mich deutlich! dafür, sich wirklich genauer mit den eltern zu beschäftigen - mit diesem inhalt ihrer ersten öffentlichen stellungnahme, die - zumindest habe ich nichts dergleichen gefunden - keinesfalls als erstes auf das leid der opfer ihres sohnes eingeht, sondern sich betont von einem möglichen hintergrund namens psychische krankheit distanziert, machen sie vor allem deutlich, dass ihnen ihr eigenes verdammtes öffentliches image am wichtigsten ist - "nicht so vorrangig, dass unser sohn ein mehrfacher mörder geworden ist - aber ein psycho war er auf keinen fall". ich finde diese schwerpunktsetzung gerade vor dem hintergrund der sehr wahrscheinlichen tatsache, dass diese eltern bis auf weiteres gesellschaftlich in gewissem sinne erledigt sind, absolut aufschlußreich.

ebenfalls so ein
statement:

(...)"Der 17-jährige Tim K. sei ein "ganz normaler, ruhiger Junge" gewesen, sagte Tims Oma Ruth K. in der Bild-Zeitung. "Wir können es immer noch nicht fassen", wird die 82-Jährige zitiert. "Er war doch so ein lieber Kerl." Noch am vergangenen Sonntag sei Tim mit seinen Eltern zu Besuch gewesen. Er sei ruhig gewesen, aber nicht ruhiger als sonst. "Er hat mit der Katze auf dem Boden gelegen und geschmust. Das hat er immer gerne gemacht", sagte der Großvater des Amokläufers, Wilhelm K.."(...)

wenn in zusammenhang mit solch einer tat worte wie "normal, ruhig, lieber kerl" fallen, gehen bei mir alle
alarmleuchten an:

(...)"auffällig sind für mich u.a. die fast schon als klischeé anzusehenden aussagen über das "vertrauenswürdige" und "nette" auftreten des täters (gerne in diesem kontext auch "normal" und "unauffällig") - wie sie z.b. häufiger ebenfalls nach sog. amokläufen oder auch "banalen" mordgeschichten zu hören und zu lesen sind. möglicherweise ist dabei ein kern von wahrheit, der aber imo eher etwas über die wahrnehmungsfähigkeiten derjenigen aussagt, die solche bemerkungen wie zitiert von sich geben. eine vorläufige hypothese dazu könnte vielleicht so aussehen, dass die betreffenden regelmässig ihre informationen über andere menschen primär aus a) äusserlichkeiten und b) "normgerechten verhalten" (gekoppelt mit "autorität", bspw. einer beamteten stellung, besonders wirkungsvoll) ziehen -(...)"

die ständige betonung des attributs "ruhig" im zusammenhang mit tim k. verstehe ich hinsichtlich derjenigen seines umfelds, die dieses wort ernsthaft zur beschreibung benutzen, als ausdruck einer verschwiegenen gleichung im hintergrund:

"ruhig" = hat uns nicht gestört

ich lege mich an dieser stelle fest und behaupte, dass innerhalb solcher familienverhältnisse ein großteil der erklärung für diesen "amok" mit zu suchen ist - die eltern machen mit ihrem versuch, das bild dieser familie selbst vor dem hintergrund eines massenmordes ausgerechnet von dem scheinbaren "makel" einer möglichen psychophysischen störung freizuhalten, mehr über sich deutlich, als ihnen selbst klar sein dürfte. wobei die fragen nach einer möglichen medikamentösen behandlung von tim k. und seinem verhältnis zu frauen weiterhin solange relevant bleiben, bis eine befriedigende klärung vorhanden ist.

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edit am 17.03.: damit es nicht verlorengeht - der mainstream bringt aktuell endlich mal les- und diskutierbares zum vorschein. die
gedanken einer lehrerin bringen wichtige realitätsfragmente zum vorschein...

(...)"A. berichtet halb belustigt, dass die neuen Schüler ihrer fünften Klasse mit dem Kopf in die Toilettenschüssel oder einen Eimer getaucht wurden. "Das musste halt jede aushalten in dem katholischen Mädchengymnasium", grinst sie. "Bei uns war auch so ein Typ", erzählt S. mit lauter fester Stimme, "der war irgendwie anders und immer allein. Der saß immer einsam auf einer Mauer in der Schule. Irgendwann fingen alle an, zum Spaß mit Bällen auf den zu werfen. Da saß dieser Typ ganz allein auf der Mauer und alle haben ihn beworfen und gelacht. Und die Lehrer haben dem nicht geholfen."

"Jeder hat eben so einen kleinen Amokläufer in sich", meint J. "Ja, und das Ganze fängt schon viel früher an", so S. "Das fängt doch in der Schule an. Da kann man sich nicht wehren. Man wird verprügelt und die Lehrer schauen weg. Okay, wenn sich zwei Banden schlagen, dann gehen sie vielleicht dazwischen. Aber wenn ein Einzelner fertiggemacht wird, dann spielen sie immer alles runter." "Klar", bestätigt P., "und dann kommt man nach Hause und keiner ist da, weil die Eltern arbeiten gehen müssen."

"Jeder", so S. wieder, "ist doch heutzutage nur noch mit sich selbst beschäftigt und denkt 'Mein Leben ist scheiße'. Man merkt überhaupt nicht mehr, wie es den anderen geht, weil man sich dauernd was vormacht. Da sitzen lauter Einzelne und keiner weiß, wie es dem anderen wirklich geht."(...)


...die in der zeit auf einen
ganz zentralen aspekt gebracht werden:

(...)"Mörder sind Amokläufer wie Tim K. geworden, weil sie die Empathie, die Fähigkeit zum Mitfühlen mit anderen verloren oder nie gelernt haben. Unverschuldeter Empathieverlust und schuldhafte Gleichgültigkeit zwischen den Generationen ist jedoch ein Merkmal unserer Zeit."(...)

der sogleich in einem lesenswerten
userkommentar präzisiert und auf seine historischen füße gestellt wird. und zum weiter oben bereits benannten aspekt der offensichtlichen "schande" der familie k. bezgl. einer möglichen psychiatrischen behandlung ihres sohnes ist ein weiterer artikel zum "tabuthema psychiatrie" empfehlenswert.

Montag, 9. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (28)

(...)"Die Auswanderung der Wohlhabenden ist ein globaler Trend. Wenn der Sozialismus beziehungsweise das Gemeinwohldenken gescheitert ist, wie man frivolerweise behauptet, bleibt der Asozialismus. Den diskutieren wir zumeist unter dem etwas höflicheren Begriff Individualismus, und zu dem bekennen wir uns meistens gerne. Aber was sind konsequente Individualisten? Es sind Menschen, die ein Experiment darüber veranstalten, wie weit man beim Überflüssigmachen sozialer Beziehungen gehen kann - und sie gelangen dabei zu erstaunlichen Fortschritten. Deswegen beginnt im Augenblick auf der Erde ein soziologisches Experiment, das in eine neue Art Menschheit münden könnte. Die Reichen sind zurzeit noch eine Klasse und keine Spezies, aber sie könnten es werden, wenn man nicht aufpasst.

Es dürfte zurzeit auf der Erde rund zehn Millionen Menschen in der Millionärs- und Multimillionärskategorie geben, dazu schon über tausend Milliardäre. Aus diesen Vermögenseliten bildet sich ein neues abstraktes Übervolk, das dieselben Eigenschaften aufweist, die man vom alten europäischen Adel kannte: Sie denken kosmopolitisch, sie reisen viel, sie leben mehrsprachig, sie sind gut informiert und beschäftigen die besten Berater, sie reden ständig über Beziehungen, Sport, Kunst und Essen. Beim Volksthema Sex bleiben sie diskret."(...)


dieses zitat von
peter sloterdijk lässt sich trefflich mit einigen ähnlichen diagnosen zur gesamtgesellschaftlichen situation abgleichen, die hier schon verschiedentlich thema waren. nur den asozialismus sollten wir von anfang an unter den schon gebräuchlichen bezeichnungen behandeln. in diesem zusammenhang finde ich auch sloterdijks bezugnahme auf den fetisch geschwindigkeit spannend, gehört diese doch letztlich untrennbar zum thema, was schon ein michael ende festgestellt hat. ich halte ja durchweg von "der philosophie" und ihren protagonisten nicht so wirklich viel und finde bei sloterdijk auch viel nebulöses zeug - aber inzwischen scheint sich die realität so deutlich selbst in diesen kreisen bemerkbar zu machen, dass zur abwechslung einmal situationsangemessenes gedacht wird. ich würde das allerdings nicht alleine auf die besitzende klasse beschränken, auch wenn es dort begründet zu einer häufung von schwer geschädigten persönlichkeiten kommt.

*
  • global: wie die wirtschaftskrise den hunger explodieren lässt
  • global: müssen wir die Greatest Depression erleben?
  • usa I: "rally for new york" - 50.000 in new york city gegen haushaltskürzungen / demonstrationen im gesamten bundesstaat new york
  • usa II: krisenboom mit blut- und plasmaspenden sowie medikamententests
  • großbritannien: wildcat-bericht zur aktuellen situation
  • deutschland: gewerkschafterInnen kritisieren vorstände hinsichtlich der gewerkschaftlichen mobilisierung in der krise
  • in aller kürze: fertigsuppenhersteller sind krisenprofiteure / globaler seeschiffhandel und -bau wird voll erwischt / griechenland: neue anschläge / wirtschaftswissenschaften haben in der krise keine ahnung / fotoserie zur obdachlosigkeit in den usa / "wallraff was here" - reportage über obdachlosigkeit in d-land
*

schon jetzt ist absehbar, dass die aktuelle krise mit am verheerendsten dort zuschlagen wird, wo bereits vorher die ausgelagerte kapitalistische dauerkrise als normalität herrschte: in den
elendszonen des planeten.

(...)"Die Finanzkrise hat die Ärmsten der Welt erfasst - weit stärker, als bisher angenommen. Laut dem Global Monitoring Report der Vereinten Nationen könnten in Folge der Krise zwischen 200.000 und 400.000 Kinder sterben. Es fehlten in den ärmsten Regionen der Welt einfach mehr und mehr Nahrungsmittel, so die Autoren der Unesco-Studie, Kevin Watkins und Patrick Montjourides. "Millionen von Kindern werden als Folge der Finanzkrise einen Schaden erleiden, der für lange Zeit nicht rückgängig gemacht werden kann", sagt Montjourides.

Insgesamt rechnen die Forscher damit, dass das Einkommen der 390 Millionen ärmsten Afrikaner um etwa 20 Prozent sinken wird. Das ist ein Vielfaches mehr als die negativsten Voraussagen für die westliche Welt. Die Hauptgründe dafür sind die abstürzenden Rohstoffpreise sowie ein massiver Einbruch bei den Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wie es aussieht, wird die Wirtschaftskrise die weltweite Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern."(...)


von den betroffenen erwachsenen wird gar nicht erst geredet, was ich als unzulässig empfinde - auch, wenn die focussierung auf die kinder als verletzlichste gruppe ebenfalls im hinblick auf mangelernährungsbedingte schäden in ihrer entwicklung und die mittel- bis langfristigen negativen konsequenzen daraus verständlich ist.

(...)"Am härtesten von der Wirtschaftskrise betroffen sind der Unesco-Studie zufolge die Staaten Mosambik, Äthiopien, Mali, Senegal, Ruanda und Bangladesch. Auch die Wachstumsprognosen für andere Länder zeigen nach unten. Glaubt man den Prognosen des IWF, steht den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern ein massiver Abschwung bevor.

Während die Europäische Union über Milliardenhilfen für taumelnde Staaten Osteuropas verhandelt, und die Vereinigten Staaten immer mehr Schulden machen, um ihr Wirtschafts- und Finanzsystem zu stabilisieren, gehen die Nöte der Ärmsten der Welt unter. In den Medien werden lediglich alle Rettungspakete für Banken analysiert, so Wissenschaftler Watkins. Jeden Tag eine neue Schlagzeile mit erschreckend vielen Nullen."(...)


bei aller nötigen besorgnis über die situation hier bzw. in europa darf das verschärfte elend keinesfalls vergessen werden. in den zonen massenmordet dieses system in aller offenheit, und das muss letztlich auch hier bei der nötigen grundsätzlichen umwälzung eine zentrale rolle spielen. ich bin´s jedenfalls leid, durch die immanenten systemzwänge ständig und tag für tag zum mittäter zu mutieren.

*

es scheint zu den charakteristischen merkmalen der jahre seit 1989 zu gehören, dass es nur so sog. historische momente hagelt und sich die superlative schon ordentlich abgenutzt haben. das gilt auch für die aktuelle weltwirtschaftskrise, die sich durchaus anschickt, ihre vorgängerin von 1929 in sachen monströsität in den schatten zu stellen - womöglich werden wir im rückblick von der
Greatest Depression reden müssen:

(...)"Obwohl die meisten Menschen die wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten 14 Monaten als sehr stürmisch empfunden haben, wird sich im Rückblick diese Zeit tatsächlich als Ruhe vor dem ganz großen Sturm herausstellen. Insbesondere in den USA häufen sich wieder die Signale, daß noch weitaus schlimmeres bevorsteht. Bank of America, Citigroup und AIG, der drittgrößte Versicherungskonzern der Welt, liegen im Wachkoma auf der Intensivstation, und nur der Tropf mit immer neuen Regierungshilfen hält sie am Leben. Früher oder später wird Washington jedoch durch die ökonomischen Realitäten gezwungen werden, den Stecker rauszuziehen. Das aber wird nicht nur den Exitus der amerikanischen Finanzgiganten bedeuten, sondern auch all jener, die immer noch von ihnen abhängig sind."(...)

es folgt ein brauchbarer überblick zu einigen kernbereichen der krise in den usa, um dann am schluß mit einem ordentlichen apokalypso den allerletzten tanz einzuläuten:

(...)"Der US-Ökonom und Analytiker Gerald Celente, der wegen seiner bisher auf den Punkt genauen Voraussagen der Hypothekenkrise, der Bankenkrise und des Börsencrashs inzwischen einen Guru-Status errungen hat, geht in seiner jüngsten Analyse davon aus, daß in Kürze restlos der Boden aus den Finanzmärkten fällt und dies den Anfang der »Greatest Depresssion«, der größten Depression der Weltgeschichte, einleiten wird. »Das globale Finanzsystem, das auf einem unendlichen Angebot billigen Geldes, wilder Spekulation, Betrug, Gier und Selbsttäuschung aufgebaut ist, ist unheilbar krank, und es kann durch nichts zu einem Neustart bewegt werden, weder durch Konjunkturpakete noch durch Bankenhilfen.« Die ersten Zeichen der Panik seinen bereits erkennbar, so Celente. Zugleich prophezeit er »drakonische Maßnahmen, die Regierungen ergreifen werden, um den vollkommenen wirtschaftlichen Kollaps und Chaos in der Bevölkerung zu verhindern«.

regelmässige leserInnen der news werden sich unter den "drakonischen maßnahmen" durchaus etwas vorstellen können. ansonsten wird meiner meinung nach mit jedem tag deutlicher und sichtbarer, dass es tatsächlich im systemimmanenten rahmen weder echte lösungen noch auswege gibt. die schlußfolgerungen daraus liegen eigentlich auf der hand - zeit, den rahmen zu zerstören.

*

und letzteres beginnt meistens mit ordentlich bewegung innerhalb des rahmens, und die chronik der massendemonstrationen und -proteste der letzten monate ist seit dem wochenende ergänzt - in new york city haben sich vor ein paar tagen mindestens 50000 menschen (andere quellen nennen 75000) unter starker beteiligung diverser us-gewerkschaften zur
rally for new york versammelt, um gegen die verschärften haushaltskürzungen nicht nur in der stadt, sondern im gesamten bundesstaat new york zu protestieren (im verlinkten beitrag gibt´s übrigens auch ein video zu betrachten:

rally for new york

(...)"Their message for Gov. David Paterson came in the form of booming chants:

"No more cuts! No more cuts!"

Everyday New Yorkers had their own personal messages for the governor as well.

"Governor Paterson, I wish you could have an open heart that we are going to suffer if this budget cut goes through," said China Lankford of Jamaica.

Paterson has proposed closing a $15 billion state budget gap by making cuts across the board, including $2.5 billion in education, $3.2 billion in health care and billions more in cuts to vital programs such as senior services, disability services, housing assistance and crisis intervention programs."(...)


kürzungsbetroffen sind also auch dort vor allem programme, die mit bildung, gesundheit und sozialer grundversorgung zu tun haben - und das in einer stadt, die einige hauptschauplätze der krise direkt in ihren mauern und jeden tag vor augen hat. was wird passieren, wenn diese kürzungen so umgesetzt werden? auf "open hearts" bei den funktionären und verwaltern des kapitalistischen elends zu hoffen, wird jedenfalls nicht reichen.

*

und auf dauer werden die krisenbetroffenen us-bürger auch nicht mit der eigenen und wortwörtlichen
totalen selbstverwertung über die runden kommen - mir sind ja bei ansicht des folgenden gleich diverse grausige assoziationen gekommen, aber in der systemlogik ist das alles bekanntlich durchaus "vernünftig" und "rational":

(...)"Was tun, wenn in Zeiten der Krise das Geld knapp wird? Millionen von Menschen haben in den USA während der vergangenen Monate die Arbeitsstelle verloren, neue Jobs gibt es kaum, und die geringen staatlichen Sozialleistungen reichen oft nicht zum Leben. Die Lösung liegt für manche US-Bürger nahe - hautnah, sozusagen. Denn sie bieten feil, was in ihnen und auf ihnen wächst: Blutplasma, Haare, Sperma. Mit den körpereigenen Rohstoffen lässt sich in Zeiten der Not gutes Geld machen.

Phil Maher vermittelt über seine Webseite bloodbanker.com Blut- und Spermaspender gegen Bezahlung an Interessenten. Das Geschäft sei allein in den letzten drei Monaten um mehr als 50 Prozent gewachsen, sagt der 32-Jährige. "Ich habe hier alleinerziehende Mütter, die niemals daran dachten, ihr Blut zu verkaufen - bis sie ihre Stelle verloren", berichtet er. "Jetzt gehen sie in die Klinik, spenden Blut und bekommen dafür 25 Dollar." Noch profitabler seien Spermaspenden, bei denen Männer bis zu 100 Dollar pro Sitzung kassieren könnten. "Man kann alle zwei bis drei Tage Sperma spenden", sagt der Vermittler. "Wenn man sich da auf ein Jahr verpflichtet, wird es finanziell wirklich interessant."

Es müssen freilich nicht immer Körpersäfte sein. Auch Dana Pendragon aus North Carolina hat Not mit Erfindungsreichtum gepaart - und sich entschlossen, ihr langes rotglänzendes Haar zu verkaufen. "Es reichte mir bis an die Hüften", erinnert sich Pendragon mit leichtem Bedauern. Über den Vermittlungsdienst HairTrader bekam sie 2000 Dollar für ihr Haar, das nun zu Echthaarperücken verarbeitet wird. Sie sah keine andere Wahl, nachdem ihr Auto kaputt gegangen war. "Ich wollte nicht noch mehr Schulden machen", sagt Pendragon. "Andererseits brauchen wir ein Auto. Also habe ich meine Haare abgeschnitten."

Über noch mehr Geld konnte sich Paul Clough freuen, der sich selbst scherzhaft als "menschliche Laborratte" bezeichnet. Clough verdient seinen Unterhalt damit, dass er sich für medizinische und klinische Experimente anbietet. Ungefähr 26.000 Dollar habe er so binnen Jahresfrist verdient. "Ich hatte ungefähr 400 Mal Nadeln in mir stecken", berichtet Clough."(...)


sollen wir das nun als beispiele für die vielzitierte "erneuerungskraft" und den "erfindungsreichtum" des kapitalismus betrachten? oder doch eher als perversen dreck innerhalb eines verrotteten systems, welches bereits in seinen historischen extremformen bewiesen hat, dass lampenschirme, filzstiefel und seife aus menschlichen körperteilen sich nur deswegen nicht als massenprodukte durchsetzen konnten, weil sie zuallererst in der produktion nicht rentabel genug waren? (hat übrigens irgendjemand der blutspendenden mutter erzählt, wie hoch die preise für blutkonserven am markt letztendlich tatsächlich sind?) die systemimmanenten tendenzen zur verdinglichung sind jedenfalls inzwischen nicht nur anhand solcher beispiele so deutlich sichtbar, dass sich die propagandamäuler des systems bei ihren immer schrilleren rechtfertigungsversuchen nur noch blamieren können.

*

ein weiterer länderbericht von wildcat geht einmal mehr auf die lage in
großbritannien ein, und ist auch einmal mehr der aktuelle lesetipp. nicht nur, weil weil eine prognose im hinblick auf den künftigen widerstand im land gewagt wird...

(...)"Falls die Möglichkeiten und Schwierigkeiten irgendeiner Klassenkonfrontation in der näheren Zukunft überhaupt auf diese Weise erfasst werden können, ist es vielleicht möglich, sich noch vorsichtiger einige Faktoren vorzustellen, die zu ihrem Ausbruch beitragen könnten:

* Neue Arbeitslosigkeit in großem Ausmaß, die mit der Einführung des repressivsten Regimes über die Arbeitslosigkeit seit jeher zusammenfallen wird. Die Arbeitsämter sind jetzt schon aufreibende, gewalttätige Orte; was wird das Auftauchen von Tausenden oder Millionen von Arbeiterinnen bedeuten, die solche Erniedrigungen nicht gewöhnt sind?

* Opportunistische Arbeitgeber nutzen die Krise als Gelegenheit, alte Konflikte um die Arbeit und widerspenstige Belegschaften loszuwerden. Natürlich kann das genauso gut auf die schnelle Kapitulation der erpressten Arbeiterinnen rauslaufen, aber könnte sich ein Streik wie der letztes Jahr bei der Post ohne die Illusion, überhaupt etwas verlieren zu können, weiterentwickeln?

* Neue Entlassungen, Kürzung von Löhnen und staatlichen Leitungen, Schließung wichtiger Dienstleistungen in Gebieten, in denen es eine starke kollektive Erinnerung an Kämpfe aus ähnlichen Gründen während oder seit der Deindustrialisierung gibt, z.B. im Nordosten (Bergarbeiterstreik 1984/85) und Liverpool (Streik der Hafenarbeiter 1995-98).

* Ständig wachsende Regulierung und Kontrolle der sozialen Reproduktion (Sammlung biometrischer Daten, Erlässe gegen anti-soziales Verhalten, staatliche Eingriffe in die Eltern-Kind Beziehung usw.). Das alles wird von Öffentlichkeitsarbeitern der Mittelklasse als »Bürgerrechtsthema« dargestellt, aber es hat in Wirklichkeit mehr mit dem Angriff auf halblegale oder illegale Überlebensstrategien der »sozial Ausgeschlossenen« zu tun: »Sozialleistungsbetrug«, informelle Arbeit, Drogenhandel in kleinem Maßstab usw. Die Überwachung dieser Dinge wurde bisher recht erfolgreich genutzt, um die »respektable«, überwiegend arbeitende Klasse und das sogenannte »Subproletariat« zu spalten. Aber wird das weiter funktionieren, wenn viel mehr Menschen plötzlich selbst von diesen »grauen Märkten« oder offiziell »anti-sozialen« Formen sozialer Zusammenarbeit ­abhängig sind?

Was man im Moment sehen kann, stimmt für die unmittelbare Zukunft eher pessimistisch, aber das muss nicht unbedingt auf die Lage in einem Jahr zutreffen. Eine Klassenauseinandersetzung, die aus Sicht des Proletariats im einen Moment wie ein Schlag ins Wasser aussieht, kann wenig später explosiv werden, weil die »objektiven« Bedingungen »subjektiv« auf eine stärker kollektive Art erfahren werden."


...sondern auch, weil in einem update auf die wilden streiks mit ihren nationalistischen tendenzen vor ein paar wochen eingegangen wird:

"Ende Januar brachen die kollektive Wut und ihre Widersprüche in wilden Streiks quer durch die ­Ener­gieindustrie aus. In der Total-Raffinerie in Lindsey streikten Arbeiter gegen die durch eine EU-Verordnung bedingte Entscheidung, dass der sizilianische Sub-Subunternehmer IREM »seine eigenen« italienischen und portugiesischen Arbeiter für Bauarbeiten mitbringen sollte, die vor Ort nicht ausgeschrieben wurden. Diese Unterstützung der Arbeitslosen allein wäre als »politischer« Streik schon »illegal« gewesen, aber es schlossen sich auch noch Arbeiter an elf anderen Standorten mit doppelt-»illegalen« Solidaritätsstreiks an. Die Streiks machten sich Gordon Browns Slogan »Britische Jobs für britische Arbeiter« zu eigen, so dass arbeiterfeindliche Zeitungen sie »unterstützen« und eine Frage der »Nationalität« daraus machten konnten. Die Streikenden betonten, dies sei nicht der Fall, aber wie weit ihre Stimme wahrgenommen wurde, ist unklar, da der Konflikt mit der Zusage, hundert »Briten« einzustellen, beendet wurde. Deshalb wiederholen wir es hier: Was sie sagten, ist wahr. So verheerend diese Parole war, in dem Konflikt geht es ums Unterbieten von Löhnen in einer Einkommenskrise. Tarifverträge sind in Großbritannien nicht gesetzlich verbindlich, so dass europäische Arbeiter, die entsprechend der EU-Verordnung »entsandt« werden, nicht den branchenüblichen Lohn erhalten müssen. Die Streikenden in Lindsey wollten nicht den Ausschluss von Ausländern, sondern den gleichen Schutz für ortsansässige und ausländische Arbeiter und internationale (gewerkschaftliche) Solidarität. Hunderte polnischer Arbeiter schlossen sich einem Solidaritätsstreik im Atomkraftwerk Sellafield an. Arbeitgeber sagen nun, sie wurden durch ­ständige Arbeitsniederlegungen »im Stil der 70er« ­provoziert, Ausländer anzustellen."

von dem solidaritätsstreik der polnischen arbeiter höre ich tatsächlich das erste mal, und mehr als die interpretationen der streiks stimmen mich solche meldungen vorsichtig optimistisch - ohne zu vergessen, dass trotzdem eine offene flanke richtung nationalismus bei diesen aktionen zu konstatieren ist. es wird für die weitere entwicklung nicht nur auf das bewußtsein der arbeiterInnen ankommen, sondern auch auf die positionierung der gewerkschaften in solchen konflikten.

*

letzteres wird auch einen gewaltigen einfluß auf die weitere entwicklung hierzulande haben - und im vorfeld der doppeldemonstrationen am 28. märz entwickelt sich anhand des defensiven und auch spaltenden verhaltens der gewerkschaftsspitzen hierzu gerade eine interne diskussion, die zunehmend öffentlich geführt wird - so bspw. mit der hilfe eines
offenen briefes seitens vieler verärgerter und / oder besorgter gewerkschafterInnen an der basis:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen,

spätestens seit September 2008 ist klar, dass wir es mit einer Wirtschaftskrise zu tun haben, die in ihren Dimensionen nur noch mit der Weltwirschaftskrise in den Folgejahren von 1929 (korrigiert, mo) vergleichbar ist. Damit steht eine Verteilungsauseinandersetzung ins Haus, wie sie unsere GewerkschafterInnengeneration noch nicht erlebt hat.

Schon jetzt haben 100 000 befristet Beschäftigte und ZeitarbeiterInnen ihre Arbeit verloren. Die Prognosen für Wachstum, Untenehmensumsätze und Erwerbslosigkeit verdüstern sich fast im Wochenrhythmus. Vielleicht zeitversetzt zu den USA, spätestens aber nach der Bundestagswahl werden wir mit Firmenzusammenbrüchen, massivem Druck auf die Lohn- und Sozialstandards und mit neuer Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Man muss nicht die Analogie zu 1929 bemühen, um zu erkennen: auch für die Gewerkschaften selbst und die Demokratie erwachsen aus dieser Krise erhebliche Risiken.

Angesichts all dessen sind wir beunruhigt und enttäuscht, dass die Gewerkschaften in den Debatten und Auseinandersetzungen fast nicht wahrnehmbar sind. Immerhin geht es um Kopf und Kragen der Lohnabhängigen und sozial Schwachen.

In dieser Situation ist Abwarten keine Option! Hoffnungen, durch Gespräche und Beteiligungen am allgemeinen Krisenmanagement ließe sich das Schlimmste abwenden, werden trügen, wie sie schon 1929 getrogen haben. Auf wen die Lasten der Krise in den nächsten Monaten und Jahren, wenn es um den Abbau der gigantischen Staatsverschuldung geht, abgewälzt werden, ist eine gesellschaftliche Machtfrage, die danach entschieden wird, was wir auf die Beines stellen, zu welcher Mobilisierung auf Straßen und Plätzen und in den Betrieben wir in der Lage sind."(...)


dem ist wenig hinzuzufügen ausser der hoffnung, dass in den zunehmenden konflikten vor allem ein paar gehätschelte gewerkschaftliche fiktionen auf der strecke bleiben, wie zb. die der sog. "sozialpartnerschaft" oder auch die vom "zivilisierten kapitalismus". dazu muss sich die gewerkschaftliche basis aber zuerst mal mit ihren eigenen vorständen und funktionären in den apparaten befassen, die sowohl nutznießer als auch verkünder dieser fiktionen sind. ganz ernsthaft: viel erfolg dabei!

*

in aller kürze - das krisentelegramm + als profiteure der krise lassen sich durchaus die fertigsuppenhersteller betrachten, denn deren
absatz boomt: (...)"Bei Sonnen Bassermann in Seesen im Harz ist die Produktion voll ausgelastet ­ und das im Dreischichtbetrieb, 24 Stunden am Tag. «Seit etwa Oktober haben wir ein zweistelliges Wachstum bei Eintöpfen verbucht», sagt Nico Kapp, der für das Marketing der Suppen und Eintöpfe verantwortlich ist. Bereits während der vergangenen Wirtschaftsflaute sei das Geschäft mit diesen Produkten deutlich gestiegen, sagt Kapp. «Wir wissen, dass es diesen Zusammenhang gibt.» (...) Besonders gefragt seien derzeit klassische Gerichte mit Fleischeinlage, wie etwa der Linsen- oder Erbseneintopf.

Auch beim Konkurrenten Zamek stehen die Produktionsbänder nicht still. Das Düsseldorfer Unternehmen stellt mit seinen 500 Mitarbeitern Suppen für Discounter, aber auch Einzelhändler wie Rewe oder Edeka her. «Da ist ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar», sagt Unternehmenssprecher Manfred Reibeholz. Beim Lübecker Hersteller Erasco stieg in den vergangenen Monaten der Umsatz mit großen Familiendosen stark. Die Verbraucher suchten verstärkt nach günstigen Angeboten, berichtet eine Sprecherin."(...)
- wird da etwa schon auf vorrat gehortet? aber konserven sind in anbetracht auf die kommenden zeiten durchaus eine sinnvolle anlage +
die (container-)schiffahrt mit all ihren ablegern droht abzusaufen - wird zeit, mal wieder beim baltic dry index vorbeizuschauen + die serie von anschlägen in griechenland reisst nicht ab + zu den vielen offiziellen und inoffiziellen bankrotterklärungen dieser tage gesellen sich mit der eigenen die wirtschaftswissenschaften - (...)"Die Krise der Ökonomie ist entstanden, weil wir viele Verhaltensweisen der Menschen nicht in unsere Modellwelten integriert haben. Den Herdentrieb an den Finanzmärkten zum Beispiel oder Gier und mangelnde Fairness im Wirtschaftsleben. Wir haben mathematisch teilweise sehr ausgeklügelte Modelle, die uns wichtige Erkenntnisse liefern. Aber sie beschreiben nur einen Teil der Realität, viele blenden wichtige Aspekte aus."(...) ach. na sowas. woran könnte das wohl liegen? + eine bedrückende fotoserie über eine zeltstadt von obdachlosen in den usa möchte ich hervorheben + und das ist auch das stichwort für günter wallraff, der sich in bewährter manier den lebensbedingungen von obdachlosen in diesem land genähert hat, und damit einblicke in eine welt ermöglicht, die aller bitteren wahrscheinlichkeit nach in der nächsten zeit bevölkerungsmässig hohen zulauf erfahren wird +

*

in eigener sache noch zum schluß: viele der in den krisennews verarbeiteten meldungen fallen bei eigener recherche an; auf etliches werde ich jedoch erst durch hinweise an anderen virtuellen orten aufmerksam. zwei davon seien im folgenden hervorgehoben: einmal das forum von
chefduzen.de, und zum anderen das erwerbslosenforum. bei den betreffenden usern in beiden foren bedanke ich mich ausdrücklich für die informativen hinweise.

Freitag, 6. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (27)

"Jede Krise offenbart, wie krank eine Gesellschaft ist. Schonungslos, ganz ohne Skrupel entlarvt sie, was alles schiefgelaufen ist. Eigentlich müsste unsere Gesellschaft dieser Krise dankbar sein, bietet sie doch die unbezahlbare Erkenntnis: So geht es nicht weiter. So jedenfalls bitte nicht."

in diesem sinne:
  • deutschland: eine halbe milliarde aus dem "konjunkturpaket" für rüstungsindustrie & bundeswehr - für was genau eigentlich?
  • italien: eine gesellschaft auf dem weg in den faschismus?
  • frankreich / überseekolonien: generalstreik auf guadeloupe erfolgreich beendet; der nächste beginnt im indischen ozean
  • frankreich: gesichter der armut
  • türkei: kurzer situationsbericht - erste massenproteste auch dort zu vermelden
  • europa / global: die rassistischen und nationalistischen spaltungslinien werden deutlich sichtbar
  • in aller kürze: mexiko / skandinavien / ex-"hypo real estate"-vorstand redet sich um kopf und kragen / krise triggert "psychosomatische störungen bei kindern & jugendlichen"
*

die meldung ist schon ein paar tage alt und tauchte auch eher nur am rande auf: 500 millionen euro von den 50 milliarden aus dem "konjunkturpaket 2" sollen an die bundeswehr gehen, die hälfte davon für "infrastrukturmaßnahmen" wie kasernenrenovierungen u.ä.; die andere hälfte jedoch soll an die
waffenindustrie weitergereicht werden:

(...)"Für Aufregung sorgt aber die Tatsache, dass rund 250 Millionen Euro aus dem 50 Milliarden Euro umfassenden Konjunkturpaket für die Beschaffung von Waffen und Kriegsgerät ausgegeben werden sollen. Eine vorläufige Einkaufsliste des Verteidigungsministeriums umfasse 1000 Maschinenpistolen MP 7 der baden-württembergischen Waffenschmiede Heckler & Koch für drei Millionen Euro, 34 "Dingo 2"-Patrouillenfahrzeuge für 24,4 Millionen Euro, zehn bewaffnete Fennek-Spähwagen für 35 Millionen Euro sowie fünf Seafox-Unterwasserdrohnen zur Minenbekämpfung für 34 Millionen Euro."(...)

soweit so schlecht, wenn man wie ich davon ausgeht, dass es kaum eine überflüssigere, schädlichere und kriminellere branche gibt als die rüstungsindustrie. und sowieso klingt die vorgesehene summe im vergleich zu den inzwischen gewohnten billionenwerten ja schon lächerlich. trotzdem empfiehlt sich noch ein zweiter und genauerer blick auf das, was da - abgesehen von den unterwasserdrohnen - angeschafft werden soll. fangen wir mal mit der maschinenpistole
mp 7 an:

(...)"Mit der MP7 sollen Truppenteile ausgestattet werden, die im Regelfall in keine infanteristischen Kampfhandlungen verwickelt werden. Das sind beispielsweise Truppenteile wie die Versorger, Sanitäter, (Luft-)Fahrzeugbesatzungen oder Artilleristen. Entscheidend für die Entwicklung dieser Waffe war die Erkenntnis, dass insbesondere bei einem asymmetrischen Konflikt auch rückwärtige Truppen in Hinterhalte geraten und damit in Nahbereichsgefechte verwickelt werden. Diese Truppenteile benötigen dann aufgrund der weitverbreiteten Nutzung militärischer Schutzwesten zwar die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres, nicht aber dessen vergleichsweise große Reichweite. Für diesen Einsatzfall wurde für die Bundeswehr eine Waffe gefordert, die die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres mit der Kompaktheit und geringen Masse einer Maschinenpistole vereint."(...)

und merken uns erstens, dass hier u.a. typische truppenteile der "etappe" im besonderen hinblick auf "asymmetrische konflikte" mit dieser waffe ausgestattet werden sollen. also durchaus auch truppen, die im klassischen sinne der infrastruktur der versorgung zugeordnet sind (und die in fällen von versorgungsengpässen der bevölkerung ebenfalls aktiv werden dürften). zweitens aber ist es interessant, wer diese waffe sonst noch gebraucht:

(...)*2005 entschied sich das britische Verteidigungsministerium für die MP7 als neue Dienstwaffe der Polizei des Verteidigungsministeriums.
* Die MP7 wurde als Dienstwaffe bei den Vereinten Nationen - Abteilung Sicherheit - eingeführt und ergänzt die Waffen G36K, MP5, Benelli Schrotflinte und die Glock 19.
* Die MP7 wurde bei südkoreanischen SWAT-Einheiten sowie diversen anderen Spezialeinheiten eingeführt.
* Die MP7 hat die Uzis bei der Eingreiftruppe der irischen Polizei ersetzt.
* In Malaysia wird in absehbarer Zeit die MP7 im Polizeidienst zum Einsatz kommen.
* Die MP7 wird seit 2007 bei den norwegischen Streitkräften als Nachfolgemodell der MP5 genutzt.
* Die MP7 wird von der deutschen Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei, der GSG 9 verwendet.
* Bei der Bundeswehr wird die MP7 von den KSK, den Feldjägern und den Medizinischen Verbänden verwendet. Mittelfristig wird bei der Bundeswehr die Uzi komplett durch die MP7 ersetzt werden.(...)


mir fällt dabei auf, dass neben militärischen sondereinheiten besonders militär- und sonstige polizeieinheiten damit ausgestattet sind bzw. werden. also gerade solche "sicherheitskräfte", die bevorzugt in
asymmetrischen konflikten eingesetzt werden (die soziale revolte in griechenland, besonders in ihren ausprägungen vom letzten dezember, lässt sich übrigens durchaus als eine vorstufe eines solchen konfliktes begreifen). beim "patrouillenfahrzeug" dingo 2 erfahren wir dann über einsatzgebiete und -eigenschaften:

(...)"Die Hauptaufgaben des ATF Dingo sind Konvoi- und Patrouillenfahrten auf halbwegs befestigtem Untergrund. Der Dingo ist hauptsächlich für Einsätze zu „Friedenserhaltenden Maßnahmen“ (Peace Support Operation) insbesondere in minengefährdeten Gebieten konzipiert. Hierbei bietet er durch seinen Aufbau einen in dieser Gewichtsklasse hervorragenden Minenschutz, ist aber aufgrund seiner relativ geringen Abmessungen auch noch in eng bebauten urbanen Gebieten einsetzbar."(...)

also wieder ein spezialfahrzeug für einsätze jenseits "klassischer" kriegsszenarien; und "auch noch in eng bebauten urbanen gebieten einsetzbar". für was genau aber?

(...)"Darüber hinaus wurden im Juli 2006 durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 78 Dingo 2 als Trägerplattform für ein neuartiges Bodenüberwachungsradar (BÜR) der Firma EADS bestellt. Das System soll Bewegungen am Boden und im bodennahen Luftraum zuverlässig orten und speziell auf die Erkennung asymmetrischer Bedrohungen ausgelegt sein. Bis Ende 2009 sollen zunächst zwei Systemdemonstratoren geliefert werden und ab 2012 ist die Serienlieferung der 78 BÜR-Systeme an die Heeresaufklärungstruppe geplant."(...)

wieder diese ominösen "asymmetrischen bedrohungen", die "erkannt" werden sollen. das leitet direkt über zum dritten posten der bestellung, und der ist bereits seit dem "g8"-gipfel von heiligendamm 2007
einschlägig bekannt -der spähpanzer fennek:

(...)"Im Zuge der Amtshilfe wurde dieses Fahrzeug auch für Polizeieinsätze in Deutschland angefordert – die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Praxis ist jedoch umstritten."(...)

sicher, erstmal dürfte dieses ganze zeug primär für den mehr als fragwürdigen krieg in afghanistan bestimmt sein - aber wie aus den obigen betrachtungen deutlich geworden sein sollte, ist der großteil der durch das "konjunkturpaket" finanzierten waffensysteme eben auch ohne großen aufwand umstandslos in anderen "asymmetrischen konflikten" einsetzbar. zum beispiel in und um große städte, in denen sich im zuge der krise verarmte bevölkerungsteile nicht mehr der staatlichen ordnung unterwerfen wollen. was ja ganz schnell zu "terrorismus" deklariert werden kann (und auch wird). die vielzitierten steuergelder werden also nicht nur für bankerboni benutzt werden. das gleichnis von den dummen kälbern und dem schlachter ist wörtlich zu nehmen.

*

die haarsträubenden verhältnisse in berlusconis italien mit der inneren militarisierung, den sog. "bürgerwehren" und v.a. einer rassistischen mobilisierung gegen roma waren in vergangenen news schon thema. nun kommt von einer gruppe aus italien ein
bericht, in dem eine jener vergewaltigungen genauer untersucht worden ist, welche die italienische regierung zum anlaß genommen hatte, um das land in richtung eines autoritären sicherheitsstaates mit faschistoiden zügen zu verwandeln. neben erkennbaren unstimmigkeiten der offiziellen version hinsichtlich der täter berichten sie v.a. über die folgen für das öffentliche klima:

(...)"Nach der Vergewaltigung im Caffarella-Park und der anschließenden Medienkampagne, die darauf abzielte, Roma und rumänische StaatsbürgerInnen zu kriminalisieren (ein Verstoß gegen die Gesetze, denen gemäß die Verantwortung für ein Verbrechen nur auf das Individuum fällt und nie auf eine ganze soziale oder ethnische Gruppe ausgedehnt werden darf) wurden Dutzende Angriffe auf Roma, RumänInnen und andere AusländerInnen verübt. Allein am 15. und 16. Februar wurden 18 Überfälle gemeldet. Am Abend des 15. führte in Rom eine rassistische "Patrouille" von rund 20 mit Knüppeln bewaffneten, maskierten Personen mehrere Angriffe auf fünf rumänische Roma durch, von denen sich zwei mit schweren Verletzungen im Krankenhaus befinden: auf einen Rumänen; eine junge Roma-Mutter mit ihrem kleinen Kind; zwei Roma-Jungen. Kurz darauf brach in einer Romasiedlung in Pisa ein Feuer aus und zerstörte zehn Behelfshütten, in denen eine Gruppe Roma lebte.

In Turin wurde ein 18-jähriger aus Peru von einer rassistischen Bande mit Metallstangen verprügelt. Drei Rumänen wurden in Sassari zusammengeschlagen. In Sesto San Giovanni (Mailand) verprügelte eine rassistische "Patrouille" mehrere Roma. In Sacrofano (Rom) schlug eine Bande von acht mit Knüppeln bewaffneten Rassisten drei rumänische Roma zusammen. In Ancona verprügelten rassistische Banden einen 19-jährigen Roma, dann einen 36-jährigen rumänischen Roma. Am 21. Februar warf eine Bande zwei Molotowcocktails in einen von Rumänen betriebenen Laden, wo sie explodierten. Abgesehen davon wurden Vorfälle von Beleidigungen, Bedrohungen und Schlägen aus Städten in ganz Italien gemeldet. In der Zwischenzeit nutzten die Behörden das Klima der Intoleranz, um weitere Roma-Siedlungen zu räumen (über 40 in Rom zwischen dem 15. und 16. Februar) und Verhaftungen von Roma und RumänInnen als Teil ihrer Operation "gegen Kleinkriminalität" durchzuführen.

In Pesaro tauchte ein Flugblatt auf mit der Parole: "Adolf Hitler hat uns gezeigt, dass es kein Verbrechen ist, Zigeuner zu verbrennen. 10, 100, 1000 Patrouillen." In der gleichen Stadt beleidigte das Personal der Caritas (der christlichen "karitativen" Organisation) einen Roma-Jungen mit rassistischen Ausdrücken, und einige Einheimische jagten zwei Roma-Frauen grundlos aus einem Einkaufszentrum."(...)


ein offenes bündnis zwischem rassistischen/faschistischen mob und regierung - und allerorten herrscht in der europäischen politik dazu schweigen. eine sehr beredtes schweigen ist das, wenn Sie mich fragen. eines, was unheilvolle schatten auf die nahe zukunft wirft. später noch mehr zum thema.

*

ein weiteres update zur situation auf den französischen antillen, speziell
guadeloupe:

"Auf der als „Überseebezirk“ (DOM, département d'outre-mer ) zu Frankreich gehörenden Karibikinsel Guadeloupe ist am heutigen Donnerstag früh der Generalstreik an seinem 44. Tag zu Ende gegangen.

Gegen 20 Uhr Ortszeit am Mittwoch Abend (in der Nacht von gestern auf heute nach mitteleuropäischer Zeit) unterzeichneten Elie Domata, der Sprecher des „Kollektivs gegen Ausbeutung“ LKP, und der Präfekt Nicolas Desforges - juristischer Repräsentant des französischen Zentralstaats auf Guadeloupe - eine Vereinbarung.(...)

Das Abkommen sieht die Erhöhung aller niedrigen Löhne (bis zum 1,4 fachen des französischen gesetzlichen Mindestlohns SMIC, welcher rund 1.000 Euro netto beträgt) um 200 Euro vor. Die Kosten für diese Lohnerhöhung um zweihundert Euro teilen sich zu unterschiedlichen Teilen auf die Arbeitgeber - zwischen fünfzig und 100 Euro -, und den Staat sowie die Sozialkassen (durch eine Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Abgaben, sowie durch eine Aufstockung der Löhne in Gestalt einer Art von Kombilohn) auf.

Der größte französische Arbeitgeberverband MEDEF hatte bis zuletzt die Unterschrift unter dieses Abkommen verweigert. Aber das „Kollektiv gegen Ausbeutung“ LKP (Liannay kont pwofitasyon) hat ihn zum Teil umgangen, indem es von Betrieb zu Betrieb zog und erheblichen Druck auf die einzelnen Unternehmen entfalten konnte. Beispielsweise unterzeichnen voraussichtlich alle wichtigen Baufirmen, die beim MEDEF organisiert sind, dennoch das Abkommen. „Der MEDEF vor Ort ist implodiert“, mit diesen Worten zitierten Medien am Donnerstag früh den LKP-Sprecher Elie Domata. Nunmehr rufen die Unterzeichner zur Wiederaufnahme der Arbeit auf, die freilich erst allmählich erfolgen kann, und die „Normalisierung“ wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Unterdessen fordert das LKP die Inselbevölkerung dazu auf, mobilisiert zu bleiben, und kämpft nunmehr für eine ‚extension' des errungenen Abkommens. ( ‚Extension': Ungefähres Äquivalent zur deutschen „Allgemeinverbindlich-Erklärung“ eines Tarifvertrags: Durch Beschluss des zuständigen Ministers wird ein Kollektivvertrag auch für solche Arbeitgeber, die oder deren Verbände es nicht unterzeichnet haben, mit zwingender Geltung ausgestattet.)"(...)


na, das lässt sich doch als zumindest kurzfristig wirksamer und nötiger - gegen die bitterste armut - erfolg betrachten. und so etwas wird, sehr zum mißvergnügen der französischen regierung, nicht nur auf martinique - wo der streik meines wissens noch läuft - und im französischen kernland, sondern auch tausende kilometer entfernt in einer ganz anderen ecke aufmerksam registriert und als handlungsanweisung begriffen:

(...)"Unterdessen fing am heutigen Donnerstag der Generalstreik auf der ebenfalls als „Überseebezirk“ zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion (im Indischen Ozean, zwischen Madagaskar und der Insel Mauritius) an. Es geht um ähnliche Probleme wie auf den französischen Antillen - in der Karibik -, also um den Kampf gegen „das teure Leben“ ( contre la vie chère ). Der Arbeitskampf und gesellschaftliche Konflikt ist als Generalstreik, über dessen Verlängerung periodisch an der Basis abgestimmt wird ( grève général reconductible ), ausgerufen."

schöne umsetzung des spruches "global denken - lokal handeln", wie ich finde. die bisher vernachlässigten kolonieähnlichen anhängsel frankreichs bemühen sich jedenfalls nach kräften, die krise als chance für sich umzusetzen. und sind damit ein positives beispiel weit über frankreich hinaus.

*

wo sich die bevölkerung mitte märz erneut zu einem grève général versammeln wird, und angesichts der sich dort ebenso wie in anderen ländern zuspitzenden situation dürfte der charakter des kommenden streiks eine art blaupause dafür abgeben, was die nächsten monate zu erwarten ist - vorläufig lassen sich bereits die typischen anzeichen für um sich greifende
verarmung wahrnehmen:

"Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise sind die bewaffneten Raubüberfälle in Frankreich angestiegen. Gleichzeitig erleben Suppenküchen einen Ansturm. Doch viele der neuen Armen wollen ihre Not nicht zeigen.(...)

Innenministerin Michèle Alliot-Marie hat sich bereits im Februar mit Vertretern des Einzelhandels und der Polizei getroffen, um sich mit ihnen zu beraten. Einen Zusammenhang mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise lehnt sie jedoch strikt ab.(...)

Doch die Ordnungshüter selber sehen das anders. Hinter vorgehaltener Hand machen sie die finanziellen Probleme, mit denen viele Franzosen jetzt zu kämpfen haben, für den Anstieg der Raubüberfälle verantwortlich. Denn die Krise hat in Frankreich inzwischen eine neue Schicht von Armen hervorgebracht. So sind auf den Märkten der Großstädte seit dem Herbst immer mehr Menschen zu sehen, die heruntergefallenes Obst und Gemüse einsammeln. "Letzte Woche habe ich einer etwa 40-jährigen Frau Nahrungsmittel gegeben, die gut gekleidet war", berichtet Yassim, der auf dem Markt von Barbès in Paris als Verkäufer arbeitet. Die Frau habe ihm erzählt, dass ihr Mann sie verlassen habe und dass sie jetzt nicht mehr wisse, wie sie ihre drei Kinder ernähren solle, da sie nur fünf Stunden pro Woche arbeite. Am Ende sei sie in Tränen ausgebrochen. Denn wie fast alle anderen neuen Armen, die auf den Märkten Abfälle sammeln, schämt sich die Frau dafür.

Viele dieser "glaneurs", wie die Abfallsammler auf Französisch in Erinnerung an die Leute heißen, die im Mittelalter die abgeernteten Felder nach übrig gelassenen Ähren absuchten, wollen ihre Armut nicht zugeben. Sie sammeln lieber die heruntergefallenen Reste ein, anstatt in einer Suppenküche für eine kostenlose Mahlzeit anzustehen. Denn damit, so eine aktuelle Studie, würden sie ihre Not auch anderen eingestehen.

Dennoch erleben die Suppenküchen in Frankreich seit Ausbruch der Krise einen nie gekannten Ansturm. So rechnen die 1986 von dem Komiker Coluche gegründeten Restos du Coeur für die aktuelle Wintersaison mit 780 000 bewirteten Personen. Ein Jahr zuvor waren es noch 700 000. (...)Unter den Neukunden befänden sich viele Selbstständige, aber auch allein stehende Bauern oder allein erziehende Eltern und Frauen mit mehreren Kindern."


die scham - ja, eine der wirksamsten waffen seitens der "eliten", in unseren perversen arbeitsfixierten "wertesystemen" verankert, vermittelt bereits in vielen familien, medial verbreitet und aufbereitet, kann sie ihre destruktive wirkung auf der traumatischen matrix im hintergrund der gesellschaften entfalten. mit dieser scham werden wir uns näher beschäftigen müssen. denn erst wenn die fällt, werden neue entwicklungen möglich werden. die armen in den westlichen ländern produzieren mittels ihres eigenen unsichtbarwerdens viel zu lange den schein mit, der bisher noch für "normalität" sorgt - sichtbare armut in massenhaften dimensionen würde den alltag sehr schnell zum kippen bringen.

*

die situation der
türkei in der krise war bisher hier noch kein thema, was eigentlich bei der ständigen potenziell brisanten innenpolitischen lage ein versäumnis ist - ein land mit leider stabilen nationalistischen tendenzen in großen bevölkerungsteilen, einer islamistischen bewegung, einer ständig zur einmischung bereiten armee sowie einem guerillakrieg in den kurdischen gebieten an den hacken bietet konflikt- und spaltungslinien ungeahnten ausmaßes an, die von der wirtschaftskrise zu einem katastrophalen feuer entfacht werden könnten - aber dafür war es bisher um dieses land erstaunlich ruhig:

(...)"Auch Cevdet Akcay, Chefökonom der Yapi Kredi Bankasi, ist der Meinung, diese Krise treffe die Türkei weniger hart als andere Volkswirtschaften.

Das sind erstaunliche Ansichten, wenn man berücksichtigt, daß die Türkei mit einem doppelten Defizit zu kämpfen hat und in hohem Maße von der Schiffbau-, Automobil- und Textilindustrie abhängt. Diese Branchen gerieten als erste in die Krise. Folgerichtig beklagt die Textilbranche eine Halbierung ihrer Aufträge, stockt der Schiffbau und registrierte die Automobilindustrie samt Zulieferern im Dezember 2008 gegenüber dem Vorjahresmonat einen Produktionsrückgang um 63 Prozent.(...)

Kraftfahrzeuge, Maschinen, Eisen und Stahl stellten mit insgesamt 30,8 Prozent die wichtigsten Ausfuhrgüter. Ein massiver Einbruch des Exports war deshalb unausweichlich. Im Dezember schrumpfte er im Vergleich zum Vorjahresmonat um 21, im Januar sogar um 26 Prozent. Parallel dazu gingen die Importe um 30 Prozent zurück. Als Reaktion darauf sind Kurzarbeit und Massenentlassungen an der Tagesordnung. Nachdem die offizielle Arbeitslosenrate 2007 bis auf 8,8 Prozent gefallen war, werden bereits für den Sommer zwischen 13 und 15 Prozent erwartet.

Angesichts der wirtschaftlichen Großwetterlage braut sich über Istanbul, Izmir und Ankara einiges zusammen. Zur allgemeinen Krise kommen die strukturellen Probleme einer abhängigen Ökonomie. Der Außenhandel ist chronisch defizitär, und dieses Defizit wächst ungebremst. Seit 2005 stieg es jährlich um rund zehn Milliarden von 43,3 auf derzeit 74 Milliarden US-Dollar. Die Brutto-Auslandsverschuldung erhöhte sich 2007 von 168,9 auf 247 Milliarden Dollar. Die Regierung von Tayyip Erdogan bemüht sich derzeit beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem sie bereits mit knapp 20 Milliarden Dollar in der Kreide steht, um einen neuen Kredit. Der Preis für die »Hilfe« des IWF ist die Verpflichtung zur beschleunigten Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Die islamische AKP machte sich als Regierungspartei hierbei zur eifrigen Erfüllungsgehilfin. Nachdem das Privatisierungsvolumen von 1985 bis 2002 acht Milliarden Dollar betragen hatte, belief sich der Ausverkauf öffentlichen Eigentums zwischen 2003 und 2008 auf 41,9 Milliarden."(...)


kurz: wie überall anders auch sind bereits alle zutaten für eine wirklich spürbare krise vorhanden und am wirken, und das hat bei den betroffenen trotz aller regierungsamtlicher schönrednerei erste reaktionen ausgelöst:

(...)"Die türkischen Gewerkschaften lassen sich von solchen Zukunftsversprechen bislang nicht einlullen. Im Gegenteil, am 15. Februar kam es zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer gemeinsamen Demonstration des eher sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaftsbundes Turk-Is mit den weiter links angesiedelten Bünden DISK und KESK. Motto: »Wir werden eure Krise nicht bezahlen! Für einen gemeinsamen Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut.« An der Aktion beteiligten sich 40000 Menschen. Bei einem Mindestlohn von 527 und einem Durchschnittsentgelt von 1670 Neuen Türkischen Lira (246 bzw. 780 Euro) ist die Bereitschaft, sich weiter einzuschränken, verständlicherweise begrenzt."

mit ihrer besonderen situation ist die türkei ein weiterer, potenziell höchst brisanter, krisenschauplatz, der genau beobachtet werden sollte.

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zumal dort ähnliches im hinblick auf kurdische und auch armenische bevölkerungsteile zu befürchten ist, was anderswo von der krise schon überdeutlich sichtbar gemacht wird - der heutige lesetipp beschäftigt sich mit der faschistoiden
suche nach sündenböcken in der krise, die in einigen europäischen staaten bereits tödliche folgen hatte. der artikel ist bis dato die beste zusammenfassung zum thema und verdient breiteste aufmerksamkeit und auch verlinkung. letztlich geht es um die ersten keimzellen kriseninduzierter faschistischer potenzieller massenbewegungen, und da wäre jedes wegschauen und -ducken selbstmörderisch. auch, wenn´s verdammt erschreckend ist, was sich in dieser hinsicht schon tut.

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in aller kürze - das krisentelegramm zum schluß + ein aufschlußreicher überblick zur situation in mexiko -
"la crisis" und die folgen in einem land, das zusehends im "drogenkrieg" destabilisiert wird + Wirtschaftskrise trifft skandinavische Länder mit Wucht infos aus einer region, von der bisher ebenfalls krisenmässig nicht viel zu hören war - aber es ist tatsächlich so, dass buchstäblich kein land der erde unberührt bleibt + ein neues synonym für dreistigkeit lautet georg funke - der ex-chef der zombiebank hre lässt über seinen anwalt u.a. verlauten: "Wir wehren uns gegen eine Vorverurteilung", sagte Kreuzer der Süddeutschen Zeitung. Es sei nicht in Ordnung, Funke zum Sündenbock zu machen. (...) Kreuzer behauptet, die Entwicklung bei den Banken seit dem Ausscheiden der früheren HRE-Vorstände zeige aber, dass diese Manager und andere Bankvorstände eher "Opfer der internationalen Finanzkrise" seien, als deren Verursacher." was die einen an scham zuviel haben, haben die anderen offensichtlich zu wenig. die bankster sind sich offenbar sehr sicher oder leiden an totalen wahrnehmungsstörungen, was die wirkungen ihrer unverschämtheiten in der öffentlichkeit betrifft. allerdings sind sie ja bisher auch noch immer damit durchgekommen - bisher + und wenn man dann direkt nach so einer meldung das folgende zur kenntnis nehmen muss - Durch Krise mehr psychosomatische Störungen - «Wir müssen nicht beunruhigt sein, dass die Kinder zu viel vor dem Computer sitzen, wir müssen uns um Armut kümmern», so der Ärztliche Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Hamburger Universitätsklinikum. Gerade im Zeichen der Krise seien Armut und soziale Herkunft «das Thema der Zukunft». So liege die Zahl der Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen in der untersten sozialen Schicht bei etwa 30 Prozent, in der obersten bei rund 16 Prozent. Die Zahl der psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sei «schon jetzt dramatisch», sagte Schulte-Markwort. Er rechne mit einer Zunahme des Schweregrades der Störungen." - dann weiß man doch sofort wieder, warum das wörtchen schweinesystem durchaus seine berechtigung hat +

Freitag, 27. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (26)

wer bei ansicht der folgenden meldungen immer noch von "freien märkten" und der "überlegenheit" der kapitalistischen ökonomie schwärmen sollte, macht sich zum komplizen eines verbrecherischen systems:
  • langfristige krisenfolgen: die kinder werden nicht nur schulden erben - soziale gewalt und genetische veränderungen
  • ungarn: "wirtschaftskrise wird ethnische konflikte verschärfen" / tödliche angriffe auf roma / roma stellen "selbstverteidigungsgarde" auf
  • großbritannien I: polizei erwartet "summer of rage"
  • großbritannien II: berichte aus london - die bankster machen weiter wie bisher
  • irland: massendemonstration in dublin als auftakt für weiteres
  • usa I: bericht aus kalifornien
  • usa II: wenn die neue behausung ein einkaufswagen ist - video zur situation der erwerbs- und obdachlosen
  • frankreich / karibik: konflikte auf den antillen dauern an
  • krisenkaskade I: anthropogener klimawandel beschleunigt sich
  • krisenkaskade II: interview zu umweltflüchtlingen und realitätsverleugnung
  • krisenkaskade III: französischer energiekonzern "total" hält peak oil für erreicht
  • in aller kürze: japan rauscht in die depression / polen: psychiatrische kliniken richten spezielle stationen für manager ein / deutschland: zum "wahnwitz von lohnkürzungen" in der krise / global: berichte zur erwerbslosigkeit aus china, russland, spanien, südafrika / jean ziegler: "diese krise tötet menschen"
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warum der folgende artikel hier auftaucht, dürfte sich leserInnen, die nicht regelmässig hier zu besuch sind, vielleicht nicht gleich erschließen - dabei ist das thema weder ein neues (joachim bauer hat ein ganzes buch darüber geschrieben, siehe literaturliste), noch sind die implikationen auch und gerade im hinblick auf die krise eigentlich verwunderlich - die krise wird global in allen gesellschaftlichen bereichen bis in die familien und in viele individuen mit ihren persönlichen spaltungen hinein neue konflikte produzieren und bereits bestehende triggern und verschärfen - und das wird sich am brutalsten bei denjenigen auswirken, die am schwächsten sind. dazu zählen vor allem kinder, die das aber keinesfalls alleine betreffen wird - neben der aussicht auf ein unverschuldet völlig verschuldetes leben, welches ihnen die heutigen staaten und bankster aufhalsen, sind parallel noch ganz andere schäden aufgrund sozialer gewalt überhaupt nicht in der diskussion - hier werden womöglich
ganze generationen geschädigt:

(...)"Es sind Narben, die keiner sieht. Sie verstecken sich im Gehirn und stammen von Taten aus der Vergangenheit. Wer als Kind geschlagen, gedemütigt oder vergewaltigt wurde, dessen Leid spiegelt sich auch in seinem Erbgut wider. Misshandlungen verändern die Zellen des Hippocampus, der Schaltstelle unserer Gefühle und Erinnerungen.(...)

Erstmals haben Forscher belegen können, dass furchtbare Erlebnisse aus der Kindheit nicht nur unser Gedächtnis, sondern auch unsere Gene prägen: "Kindesmissbrauch kann die körperliche Antwort auf psychischen Stress verändern und das Selbstmordrisiko erhöhen", schreiben Michael Meaney von der McGill University in Montreal und sein Team im Wissenschaftsmagazin Nature Neuroscience.(...)

"Diese Studie gibt der Frage, wie sich Kindheitserlebnisse auf die lebenslange geistige Gesundheit eines Menschen auswirken, eine wissenschaftliche Grundlage", sagt Osborne Almeida. Der Mediziner forscht am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. "Unsere Umwelt verhält sich entweder im Einklang mit unserem genetischen Material oder setzt es manchmal komplett außer Kraft."(...)

Welche große Rolle die Epigenetik spielen könnte, lässt sich aber schon erkennen. Eine niederländische Studie belegt etwa, dass Großmütter, die zu Kriegszeiten hungern mussten, nicht nur kleinere Töchter zur Welt brachten. Auch die Enkel waren noch untergewichtig, obwohl deren Mütter in der Schwangerschaft genug zu essen hatten. Bestimmte Gene, die eine Rolle bei der Ernährung spielen, waren bei den Großmüttern abgeschaltet und wurden sogar weitervererbt.(...)

Osborne Almeida ist sich sicher, dass die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt die Evolution ergänzen. "Es gibt Hinweise, dass viele Anpassungsmechanismen auch vererbbar sind." Das haben auch Meaney und sein Team bereits im Tierversuch nachweisen können. Ob die Weitergabe abgeschalteter Gene den Kindern von Misshandlungsopfern zum Nachteil wird, lässt sich anhand der Ergebnisse noch nicht sagen."(...)


aber alleine die möglichkeit der in den letzten sätzen benannten weitergabe sollte eine sich sich selbst als "aufgeklärt" begreifende gesellschaft bereits dazu veranlassen, sich so zu organisieren, dass derart fatale schäden gar nicht erst entstehen können. diese ergebnisse eröffnen im übrigen auch eine neue perspektive bei der entstehung
tradierter traumata - sicher spielt auch das vermittelte verhalten der in der täter-opfer-dialektik gefangenen traumatisierten eine rolle, aber das für dieses verhalten eben auch genetische gründe existieren, ist seit den neueren erkenntnissen von gen- und neurobiologischer forschung eben nicht mehr von der hand zu weisen. die sozialpsychologie berichtet uns desweiteren genügend von den folgen desolater soziökonomischer verhältnisse mit allen konsequenzen: alkoholismus und süchte aller art, vernachlässigung, mangelzustände auf diversen ebenen, physische und psychische gewalt - und das bleibt nicht ohne konsequenzen, weder für die direkt betroffenen noch für die jeweiligen gesellschaften. belege dafür sind im blog an anderen stellen bis zum überdruß vorhanden.

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und deshalb sollten berichte wie die folgenden aus ungarn auch immer mit dem obigen im hintergrund betrachtet werden - die krise bringt all das vorhandene
soziale gift konzentriert zum vorschein:

"Das Budapester Meinungsforschungsinstitut "Political Capital" (PC) warnt davor, dass Ressentiments gegen Roma in Ungarn außer Kontrolle geraten könnten. "Ethnische Konflikte werden sich durch die ökonomische Krise weiter verschärfen, was auch gravierende Auswirkungen auf die Politik haben wird", prognostiziert PC-Direktor Krisztian Szabados.

Populistisches Anbieten radikaler Lösungen für komplexe Probleme bringe rechtsextremen Bewegungen starken Zulauf."(...)


das dürfte eine prognose sein, die nicht nur für die osteuropäischen ländern mit einiger sicherheit zu stellen ist. aber in ungarn ist bereits konkret zu beobachten, was das für eine
mörderische realität umschreibt:

(...)"Einen Tag nach dem brutalen Mord an einem 27-jährigen Rom und seinem vierjährigen Sohn herrschten in der Roma-Siedlung der ungarischen Ortschaft Tatárszentgyörgy Fassungslosigkeit, Angst und Empörung. Unbekannte hatten in der Nacht zum Montag das Haus von Róbert Csorba mit Brandsätzen angegriffen. Als die aus dem Schlaf geschreckte Familie aus dem lichterloh brennenden Heim floh, schossen die Täter mit Schrotflinten auf die Roma. Der Familienvater und der kleine Robi, den er in seinen Armen trug, erlitten dabei tödliche Verletzungen. Ein weiteres Kind wurde verwundet, die Mutter und das dritte Kind blieben unverletzt.

Csaba Csorba, der Vater von Róbert, wohnt im 20 Meter entfernt gelegenen Nachbarhaus. "Sie haben sie niedergemetzelt, wie bei einer Treibjagd", sagt er verbittert. Doch die Polizei, die in der Nacht aus der nahegelegenen Kleinstadt Dabas anrückte, wollte von Mord nichts wissen: Es sei ein Brand wegen eines defekten Heizstrahlers gewesen, und die Opfer seien von herabfallenden Dachbalken getötet worden, meinte der Ermittlungsleiter zunächst."(...)


gerade das verhalten der polizei, das mit der floskel "skandalös" durchaus nicht getroffen wird, wird dann zwangsläufig noch schneller dazu führen, dass sich die bedrohten
selbst organisieren:

"Die Gründung einer "Garde" zum Selbstschutz planen ungarische Roma in Westungarn. Wie die Regionalzeitung "Kisalföld" berichtet, soll die Garde dem Ziel der "wirksameren Durchsetzung von Interessen" der Minderheit dienen. Laut László Pádár, dem Leiter des Interessenschutz-Verbandes der Roma im Komitat Györ-Moson-Sopron, diene die Gründung einer eigenen "Garde" als Antwort auf die Kraftdemonstrationen der rechtsextremen "Ungarischen Garde" und deren Märschen durch Orte mit hohem Roma-Anteil.(...)

Dabei werde die Garde der Roma ausschließlich "mit friedlichen Mitteln" auf sich aufmerksam machen.

Padar kritisierte, dass eine Roma-Generation heranwachse, die den Begriff "sicherer Arbeitsplatz" nicht kenne. Dabei würde ein Arbeitsplatz den Roma ihre "Selbstachtung" zurückgeben. Ein sicheres Einkommen würde die aus Armut und Not heraus begangenen Straftaten zurückdrängen. Die Roma sind mit geschätzten 600.000 Angehörigen die größte Volksgruppe in Ungarn."(...)


wobei zur friedlichkeit bekanntlich immer zwei gehören. insgesamt ist die ungarische situation aber ein typisches beispiel für das, was die krise an sozialer verwüstung in ihrem gefolge rund um den globus mit sich bringen wird.

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vor der letzteren fürchtet sich inzwischen auch ganz offiziell die
britische polizei:

(...)"Police are preparing for a "summer of rage" as victims of the economic downturn take to the streets to demonstrate against financial institutions, the Guardian has learned.

Britain's most senior police officer with responsibility for public order raised the spectre of a return of the riots of the 1980s, with people who have lost their jobs, homes or savings becoming "footsoldiers" in a wave of potentially violent mass protests."(...)


interessant ist dabei gar nicht mal so sehr die polizeiliche warnung an sich - ähnliches war bekanntlich schon aus vielen anderen ländern zu vernehmen -, sondern das menschenbild, welches hier durchscheint: den von der krise um job & wohnung gebrachten angehörigen der unter- und mittelklasse wird offensichtlich eigenständiges denken und handeln nicht zugetraut, stattdessen fungieren "linke und rechte extremisten" wie im schauerroman als drahtzieher im hintergrund. vermutlich sagt das aber sowohl etwas über die polizei als auch über die innere verfassung der klassen aus. für genügend
angst und wut ist jedenfalls gesorgt:

(...)"Ash Akhtiar, der Jobvermittler aus einem Vorort von Birmingham, sagt, er wolle, dass jemand für all das bezahle.

David L., der Banker, der aus Angst, den Job zu verlieren, seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, überlegt, ob er ein Gewehr kaufen soll, um seine Familie zu schützen.

Philip Augar, der Finanzexperte, versucht zu erklären, wie sein Land derart von Banken und Krediten abhängig werden konnte.

Und Tony Parsons, der Bestsellerautor, sagt, das Vereinigte Königreich erlebe eine Umwälzung, so gravierend wie der Fall der Berliner Mauer.

Großbritannien ist depressiv gestimmt in diesen Tagen. Die lange erfolgreichste Volkswirtschaft Europas ist so brutal abgestürzt wie kaum ein anderes Land in Europa.

Die Arbeitslosigkeit steigt doppelt so schnell wie im Durchschnitt auf dem Kontinent, zwei Millionen Menschen haben ihre Jobs verloren, Ende des Jahres könnten es drei Millionen sein.(...)

Der britische Sozialstaat, in immer neuen Reformrunden verkleinert, hat für die Entlassenen nur ein Arbeitslosengeld von rund 60 Pfund pro Woche übrig. Auf den Verlust des Jobs folgt oft die zwangsweise Aufgabe der Wohnung oder des Hauses, weil viele sich mit immer neuen Krediten verschuldet haben und die Raten nicht mehr bezahlen können. Alle sieben Minuten verliert derzeit jemand auf der Insel sein Haus.(...)

Er sagt, er habe noch nie so viele Leute aus seinem Umfeld gekannt, die entlassen worden seien, wie gerade jetzt. "Thatcher hatte Straßenaufstände bei drei Millionen Arbeitslosen; Gordon Brown oder David Cameron werden das auch erleben." Und jene, die Geld hätten, so wie er, die würden bald froh sein über die Wachleute vor ihren Häusern. "Wir haben einen Gurkha in unserem Viertel, einen früheren Elitesoldaten, vielleicht wird es hier bald wie in Südafrika."

Parsons stammt selbst aus der Arbeiterklasse, er kennt die Armut, und vielleicht sind seine Zukunftsvisionen deswegen so düster. Das Bild, das er zeichnet, ist das eines Landes, das in der Krise zurückkehrt zu einer schweren sozialen Spaltung, die in England immer schon viel tiefer reichte als in Kontinentaleuropa.

"Wir hatten in diesem Land stets zwei Nationen, die Besitzenden und die Nichtbesitzenden. Die einen leben wie römische Kaiser, und das werden sie auch weiterhin tun. Die anderen haben sich irgendwann daran gewöhnt, dass sie zweimal im Jahr in Urlaub fahren können. Damit wird es jetzt vorbei sein. Ich glaube, wir erleben bald wieder eine Gesellschaft, wie sie Charles Dickens beschrieb, nach Klassen scharf getrennt, nur für das 21. Jahrhundert."

Tony Parsons sagt, es säßen Leute im Gefängnis, die deutlich weniger Leid angerichtet hätten als die Chefs der Banken, die sich neulich im Fernsehen entschuldigten. Das sei ein sehr unbefriedigendes Schauspiel gewesen, sagt er, ohne echte Reue.

"Ich weiß ja, dass es nichts an den Tatsachen ändern würde, wenn wir ihre Köpfe vor der Nationalbank aufspießen. Aber wir sollten es trotzdem tun. Vielleicht würden wir uns nachher besser fühlen."


und um für den letzten wunsch verständnis zu entwickeln, brauchen Sie nur diese
reportage zu lesen, in der ein fazit berechtigterweise so aussieht:

(...)"Wenn sich eine Lehre aus der Krise ziehen lässt, dann die, dass sie grundsätzlich ungerecht ist. Je näher man dem Auge des Sturms kommt, der derzeit um den Globus fegt, desto deutlicher wird: Das Leid der Banker ist weder proportional zu dem Schaden, den sie angerichtet haben, noch zu dem Reingewinn, den sie in guten Zeiten eingestrichen haben."(...)

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unter anderem die zunehmende wahrnehmung dieses sachverhalts dürfte am vergangenen wochenende auch jene über
100.000 in dublin auf die straßen getrieben haben, die sich den in vergangenen news beschriebenen irischen zuständen ausgesetzt sehen. diese demonstration wird laut irischer presse inzwischen breit als auftakt zu weiteren aktionen verstanden, an derem ende dann wieder mal ein weiterer regierungssturz stehen könnte - was aber bekanntlich nichts an der grundsätzlichen situation ändern wird. aber solche massenproteste sind auch immer eine chance für kollektive lernprozesse, und da darf man eine gewisse hoffnung sehen. auch, wenn sich mögliche ergebnisse solcher prozesse erst mittelfristig zeigen werden. die stimmung in dublin war jedenfalls - sehen und hören Sie am besten selbst:



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die länderreportagen von wildcat verlinke ich ja schon aus gewohnheit als lesetipp, weil sie zwar auch nur fragmentarische ausschnitte zeigen können, aber eben besonderen wert auf eine perspektive von unten legen und damit auch teile der realität ins visier bekommen, die anderswo eher untergehen - der aktuelle
bericht aus kalifornien bestätigt das:

"Mitte September 2008, nach der Pleite von Lehmann Brothers, wurden die Auswirkungen der Wirtschaftskrise so extrem, dass es anscheinend jeder merkte. Ich nahm an mehreren Nachmittagen in der Woche den Bus zur Arbeit und fuhr durch die schrumpfende afroamerikanische Community im Western Addition District. Die Angst war spürbar, und oft hörte ich Leute am Handy darüber sprechen, wie jemand entlassen worden war, wie Häuser zwangsversteigert wurden, oder wie jemand einfach bis zur Privatinsolvenz verschuldet war.(...)

Auf dem Heimweg fuhren wir durch Patterson, direkt an der Interstate 5 weiter im Süden. Hier hat sich die Einwohnerzahl kürzlich durch Langstreckenpendler der Bay Area auf fast 20.000 verdoppelt, weil auf der I-5 nicht der übliche Verkehrskollaps stattfindet. Ein junger Latino, der in Modesto im Maklerbüro der Familie arbeitet (und der mit seinem Vater, dem Firmeninhaber, Hauptorganisator der Aktion der mehr als 10.000 Latino-Arbeiter war, die am Ersten Mai 2006 in Modesto die Arbeit niederlegten; beide wurden monatelang von Polizeiwagen verfolgt) sagte uns, dass mehr als achtzig Prozent der brandneuen vier- und fünf-Zimmer-Häuser in den Neubaugebieten direkt an der I-5 leerstehen, fast alle entweder in Zwangsvollstreckung oder unverkauft. Bei Sonnenuntergang fuhren wir dort durch, es war gänzlich dunkel und gruselig; es schien, als ob die Gegend von einer Neutronenbombe getroffen worden wäre - alle Gebäude intakt, aber kein Lebenszeichen.

Junge AnarchistInnen aus Modesto haben uns auf diese Tour mitgenommen. Mehrere von ihnen sind selbst Hausbesetzer und sie kennen Dutzende von Leuten, meist Familien, die nach der Zwangsvollstreckung wieder in ihre Häuser eingezogen sind und immer noch da wohnen. Aber sie meinten, dass man sehr, sehr vorsichtig sein muss. Die Polizisten in Modesto sind brutale Schläger und nehmen die geringste Provokation zum Vorwand, um Leute zu drangsalieren und festzunehmen. Allerdings sind die Nachbarn in den betroffenen Gebieten, die noch legal in ihren Häusern wohnen, ganz froh über die Besetzer, weil sie die Grundstücke in Ordnung halten, also Rasen mähen, den Garten pflegen und saubermachen, so dass der Schein gewahrt bleibt und der Wertverfall und ein Sichtbarwerden der Krise hinausgezögert werden. Einerseits bremst es das Abrutschen der Immobilienwerte ein kleines bisschen, und andererseits hält es Drogenabhängige davon ab, alle Kupferleitungen und Rohre herauszureißen und beim Schrotthändler zu verkaufen. Einige, die noch legal in ihren Häusern wohnen, legen den Besetzern aus Solidarität Elektroleitungen hinüber. In einigen Städte in der Nähe von Modesto wurden es gesetzlich verboten, in einem Haus mit abgestellten Wasserleitungen zu wohnen. Also müssen die Besetzer oft das Wasser illegal wieder anstellen. Aber die meisten Besetzer tun alles, um nicht von der Polizei und anderen Behörden entdeckt zu werden."(...)


lesen Sie´s ganz, weil sich hier auch einiges über den entstehenden widerstand erfahren lässt. und danach empfehle ich ein video zur situation in den usa, das mich erst bleich und dann unglaublich wütend gemacht hat:



sagte da gerade noch jemand, das wäre ja alles nicht mit der großen depression 1929 ff. zu vergleichen? okay, damals gab´s keine umgebauten einkaufswagen für obdachlose. und gerade bei diesen musste ich an den bericht aus kalifornien und die anderen gebiete denken, in denen tausende häuser einfach leerstehen - weil sie von irgendwelchen leuten unter dem schutz irgendwelcher gesetze als eigentum betrachtet werden. ich hoffe sehr, dass sowohl in den usa als auch anderswo die alte gute tradition der hausbesetzungen wieder erwacht.

*

ein update zur situation auf
guadeloupe , wo die französische regierung offenbar versucht, den konflikt auszusitzen:

(...)"Frankreichs Regierung lässt sich indes nicht blicken, der sonst so reaktionsfreudige Präsident nicht, der Premierminister nicht, die zuständige Ministerin nicht, ihr Staatssekretär ist längst wieder weg. Und wenn es allzu arg wird, verkriecht sich die örtliche Staatsgewalt in ihrem Gebäude.

Das Élysée will den Konflikt verdrängen. Vielleicht mit Geld zudecken. Schließlich fürchtet es die Ansteckung mehr als die Auszehrung durch neue Schulden. Schon hat das rote Fieber andere Überseedepartements erreicht. Am Samstag zeigten 15.000 Demonstranten in Paris ihre Solidarität, eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass in der Hauptstadt dieser Tage reichlich demonstriert wird. Da mischt sich Brisantes zusammen. Umfragen zufolge wollen zwei Drittel der Franzosen nicht ausschließen, dass Guadeloupe bald überall ist."(...)


aus sicht der regierung muss guadeloupe als sehr schlechtes beispiel für das kernland gelten, in dem inzwischen wie überall auch die
erwerbslosigkeit steigt - und das hat folgen, wie sie in der schon eben erwähnten umfrage deutlich werden:

(...)"Nach jüngsten Umfragen erwarten sie, dass sich die sozialen Unruhen auswachsen. Sechs von zehn Befragten gaben Mitte Februar an, dass sie einen Konflikt größeren Ausmaßes erwarten (im Januar waren es nur 50 Prozent). 36 Prozent wünschten ihn, berichtete der Figaro."

36 prozent wünschen sich den konflikt - ein system, dass zwangsläufig bei allem produzierten elend auch noch solche wünsche hervorbringt, ist erledigt. es kann sich zwar noch mit waffen, terror und diktatur versuchen zu halten - aber wir haben es hier inzwischen auch eindeutig mit einer globalen legitimationskrise des kapitalismus zu tun, die längst überfällig war. und die gilt es jetzt so schnell und weit wie möglich zuzuspitzen.

*

und zwar schon aus reinem überlebensinteresse, wenn wir unsere aufmerksamkeit mal einen augenblick von der ökonomischen krise wegbewegen und auf die bereits im hintergrund bereitstehenden großen brüder der wirtschaftskrise lenken, die sich bereits ebenfalls bemerkbar machen, aber aufgrund ihrer scheinbar weit entfernten konsequenzen noch mehr unterschätzt und verdrängt werden als eine krise, die für immer mehr menschen direkt spürbar wird. ziemlich untergegangen ist neulich die folgende
meldung:

(...)"»Wenn die Wirtschaftskrise vorbei ist, ist der Klimawandel immer noch da«, sagt Frank Böttcher, Kongress-Organisator und Leiter des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation in Hamburg. Nach seinen Berechnungen könnten die CO2-Emissionen im laufenden Jahr in Folge der Wirtschaftskrise zwar leicht um fünf bis acht Prozent zurückgehen und sich der CO2-Anstieg in der Atmosphäre damit etwas verlangsamen. »Wir gehen aber nicht davon aus, dass die Jahreshöchstwerte unter denen des Vorjahres liegen«, so Böttcher.

Mit dem weiter steigenden Ausstoß von Kohlendioxid »tut die Weltgemeinschaft das Gegenteil von dem, was sie tun müsste«, kritisiert der Direktor des Kieler Leibniz-Institutes für Meereswissenschaften, Mojib Latif. Dabei zeige gerade die globale Finanzkrise, dass die Weltgemeinschaft auch bei der Bekämpfung der Erderwärmung besser zusammenarbeiten könnte. »Wenn wir wollen, ist alles möglich – die Zeit des Zauderns ist vorbei«, mahnt Latif. Als Indiz für die dramatische Lage werten er und andere Wissenschaftler das schnelle Abschmelzen des Meereises in der Arktis. »Die letzten beiden Sommer brachten das Eis derart zum Schmelzen, dass Flächen ohne Eis waren, die so groß sind wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien zusammen«(...)

»Weniger Kohlendioxid wird nicht zu einem Ende der globalen Erwärmung führen«, ist Storch überzeugt. »Wir sollten deshalb die Emissionen verringern und uns gleichzeitig anpassen.« Der Wissenschaftler spricht damit aus, was vielen Ökologen als Tabubruch gilt – die Klimakrise ist auch zu managen. Länder und Kommunen müssten sich beispielsweise rechtzeitig auf den Bau höherer Dämme gegen Überschwemmungen einstellen, dafür sei noch genügend Zeit."(...)


wenn ich mir die entwicklungen so betrachte, komme ich ebenfalls zu dem schluß, dass die dynamik der klimatischen veränderungen (klima ist übrigens nicht mit dem wetter gleichzusetzen, sei an dieser stelle nochmals angemerkt) bereits ein solches tempo erreicht hat und bei unserer grandios weitblickenden (genau: immer bis zu den nächsten wahlen) "politik" mit ihren abwrackprämien und ihren straßenbauprogrammen noch erreichen wird, dass uns nichts anderes als eine anpassung übrig bleiben wird, soweit diese überhaupt möglich ist. und das bedeutet auch, sich mit der frage der
klima- und umweltflüchtlinge zu beschäftigen:

(...)"Selbst wenn wir den konservativen Prognosen folgen und annehmen, dass Mitteleuropa einigermaßen glimpflich davonkommt und die "Tipping Points" nicht überschritten werden - im Süden der Welt wird das anders sein. Das hat Folgen auch für uns. Der Klimawandel wird zumindest in diesen Regionen ohne Zweifel zu sozialen Katastrophen führen, die Auswirkungen bis nach Europa haben werden. Bereits jetzt werden vor den Küsten Südeuropas jedes Jahr Tausende von Flüchtlingsbooten aufgebracht.

Frage: Sind das denn Klimaflüchtlinge?

Welzer: Derzeit dominieren noch die Armutsflüchtlinge. Aber sie zeigen, was auf uns zukommen könnte. Uno-Organisationen prognostizieren in den nächsten Jahren bis zu 150 Millionen Umweltflüchtlinge.

Frage: Solche Prognosen sind spekulativ.

Welzer: Natürlich sind diese Zahlen nicht belastbar, aber sie sind auch nicht an den Haaren herbeigezogen. Der Darfur-Konflikt im Sudan etwa lässt sich tatsächlich als Klimakrieg verstehen. Hier zeigt sich eine starke Umweltkomponente bei einer kriegerischen Auseinandersetzung, die wir früher ethnisch oder ideologisch definiert hätten. Erst die anhaltende Dürre, verbunden mit stark wachsenden Bevölkerungszahlen, führte dazu, dass sich schwelende Konflikte zu einem Dauerkrieg ausgewachsen haben. Je nach Schätzung wurden dort in den letzten Jahren zwischen 200.000 bis 500.000 Menschen ermordet."(...)


harald welzer, dessen art, die krisen wirklich im zusammenhang zu denken und zu begreifen ich sehr schätze, wiederholt im weiteren verlauf noch etwas interessantes über menschliche arten der (nicht-)wahrnehmung:

(...)"Das ist ja das Problem, dass die zuständigen Wissenschaften solche Entwicklungen in den letzten Jahren völlig verpennt haben. Die beschäftigen sich mit Diskursen und Metaproblemen, mit hochkomplexen Foucaultschen Theorien oder mit der Kulturgeschichte des Fahrstuhls. Sie bekommen aber nicht mit, wenn eine ganze Hemisphäre unterzugehen beginnt, so wie 1989 der Ostblock. Damals ist die Gesellschaftstheorie praktisch zum Erliegen gekommen.

Frage: Passiert beim Klimawandel derzeit das Gleiche?

Welzer: Ich denke schon. Man muss die Gesellschaftswissenschaftler regelrecht darauf stoßen, dass die globale Erwärmung auch soziale Folgen haben wird. Dabei geht es nicht nur um die erwähnten Flüchtlingskatastrophen, sondern auch um kulturelle Fragen: Wie zum Beispiel ändert sich die Identität der Schweiz, wenn in den Alpen alle Gletscher weggeschmolzen sind?

Frage: Eigentlich nahe liegende Fragen…

Welzer: Ja, aber offenbar tun sich selbst Fachwissenschaftler schwer damit, radikale gesellschaftliche Umbrüche zu erkennen. Ich vermute, dass dies eine allgemein menschliche Schwäche ist. Unsere Selbstwahrnehmung ist so strukturiert, dass wir nicht wirklich an die Möglichkeit extremer Veränderungen glauben. Abstrakt wissen wir zwar, dass wir vor einem gravierenden Problem stehen, aber dieses Wissen berührt nicht ernsthaft unser Lebensgefühl.

Frage: Warum nicht?

Welzer: Weil es immer noch Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt; weil die U-Bahnen fahren und die Zeitung jeden Morgen im Briefkasten steckt. Die sozialen Routinen bleiben. Und die tatsächlichen Auffälligkeiten denken wir uns weg."(...)


*

bis uns die auffälligkeiten direkt auf die füße fallen, und dann ist das geschrei regelmäßig groß - ähnliches war bei den hohen ölpreisen des vergangenen sommers zu beobachten, die, obwohl teils spekulationsbedingt, doch schon einen kleinen vorgeschmack auf eine weiter anrollende krise, nämlich die der energie und rohstoffe, geliefert hat. zu peak oil habe ich bereits in der vergangenheit aus meiner perspektive das wichtigste gesagt, zuletzt im späten herbst, als eine geradezu sensationelle prognose der internationalen energieagentur zu den ölvorräten in den medialen wirren der finanzkrise schlicht untergegangen ist. das gleiche schicksal hat eine weitere
warnung des französischen energiekonzerns "total" ereilt, die zwar kurz dokumentiert, aber weder breit kommentiert noch diskutiert wurde:

(...)"The world will never be able to produce more than 89m barrels a day of oil, the head of Europe's third-largest energy group has warned, citing high costs in areas such as Canada and political restrictions in countries such as Iran and Iraq.

Christophe de Margerie, chief executive of Total, the French oil and gas company, said he had revised his forecast for 2015 oil production downward by at least 4m barrels a day because of the current economic crisis and the collapse in oil prices."(...)


"total" geht ähnlich wie die iea von einer weit schneller als erwartet eintretenden erschöpfung der großen aktiven ölfelder aus, die durch wirtschaftskrisenbedingte fehlende investitionen zur erschließung der restlichen und teils wesentlich förderaufwendigeren und deshalb teureren quellen wie den sog. ölsanden nicht rechtzeitig genug aufgefangen werden kann. was im endeffekt nichts anderes bedeuten wird als das eintreten einer prognose, die ich hier schon ein paar mal vertreten habe: ein hypothetischer "aufschwung" wird sehr schnell bis sofort zu rasant steigenden ölpreisen führen - die folgen können Sie sich bei unser immer noch ölbasierten ökonomie ausmalen. der kapitalismus sitzt wie eine fette, bösartig quiekende ratte in einer selbstproduzierten falle ohne ausweg.

*

in aller kürze - das krisentelegramm:+
japan rauscht ungebremst in die depression - daten und zahlen via wirtschaftsquerschüsse + aus polen kommt die folgende bizarre meldung: (...)"Die psychiatrischen Anstalten in den Städten Tworki und Lublinec seien gerade dabei, diskret neue Stationen für Manager zu eröffnen, die angesichts der voranschreitenden Wirtschaftskrise einen psychischen Zusammenbruch erlitten haben. Bartosz Loza, Direktor der Klinik in Tworki, versprach seinen vermögenden Patienten in der Zeitung »luxuriöse Bedingungen« in einer eigens gegründeten Abteilung. Die neuen Patienten haben in den letzten Jahren ihre Karriereleitern beständig erklommen und kämen mit der Krisensituation nicht klar, erläuterte der Vorsitzende der polnischen psychiatrischen Vereinigung, Prof. Aleksander Araszkiewicz: »So jemand gibt sein ganzes Geld aus, aber er geht nicht in ein gewöhnliches Krankenhaus, das wäre für ihn eine Ehrverletzung.«(...) - die sich dann doch nur als weitere variante des mottos "einige schweine sind gleicher als die anderen" entpuppt. bedauerlich, dass diese herren auch hier nicht in kontakt mit der realität kommen wollen. ich würde allerdings empfehlen, diese stationen wenigstens unter dem diagnostischen motto F60.2 laufen zu lassen. + deutliche worte zu den anlaufenden lohnkürzungen, bei denen das kapital nicht kapieren will, dass es sich auch damit selbst den ast absägt - aber wahrscheinlich ist der schnelle exitus eh die bessere variante - vorher aber werden viele leiden: "...vor allem aber wird nun deutlich, dass es sämtlichen Konjunkturpaketen nicht gelingen wird, den Nachfrageausfall zu kompensieren, der durch die weltweit sinkenden Löhne und die Arbeitslosigkeit entsteht. Die Rezession dürfte sich zu einer großen Depression entwickeln.(...)" + kurzberichte aus china, russland, spanien und südafrika + und die letzten worte sollen jean ziegler überlassen werden: "Die Banker haben mehr Menschen auf dem Gewissen als mancher afrikanische Warlord." - zwar personalisiert, aber in der sache durchaus treffend. wenn die anderen akteure neben den bankstern nicht vergessen werden.+

Mittwoch, 25. Februar 2009

basis: traumageschichte(n) 5 - tradierte traumata - eine mail

die im folgenden (mit einverständnis) dokumentierte mail stammt von einer frau, die sich seit jahren mit dem existenziellen erbe auseinandersetzen muss, als kind in eine familie hereingeboren worden zu sein, in der die erwachsenen eltern unbegriffen und unaufgearbeitet ihre eigenen schäden aus ns-zeit, weltkrieg und nicht zuletzt auch der "ganz normalen erziehung" an ihr ausagiert haben. als kind erlebte sie innerhalb der familie emotionale vernachlässigung, körperliche gewalt und sexualisierte gewalt.

mit welcher dynamik und mit welchen (gesamtgesellschaftlichen) folgen tradierte traumata wirken, macht der folgende text eindrucksvoll deutlich, der sich auch als vertiefung und ergänzung zum beitrag der traumareihe bezgl. der "sehr deutschen" pseudodiagnose
vegetative dystonie lesen lässt. die erwähnte gesprächspartnerin der frau ist eine fachärztin für psychiatrie & neurologie.


Hallo ....

ich hatte heute nacht schlimme Albträume. wenn du weiter liest, wirst du auch verstehen, warum. Ich möchte dir etwas von dem Gespräch mit Frau M.erzählen, weil es mich so sehr beschäftigt. Kann sein, dass ich es noch nicht so gut ausdrücken kann, weil es noch so sehr in mir wogt.

Vieles darin wird dir vertraut sein, aber vielleicht gibt es auch durch meine Art, Hintergründe verstehen zu wollen und Zusammenhänge herzustellen, doch noch das eine oder andere neue für dich.

Im Gespräch gestern ging es unter anderem um die Generation unserer Eltern, die ihre eigenen, nicht aufgearbeiteten Traumata an uns, ihre Kinder weiter gegeben haben. Meine Geschichte ist zwar individuell, aber sie ist, was die Ursachen dafür und deren Folgen angeht, kein Einzelfall.

Sie sagte, dass unsere Eltern, die als Kinder im 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, von ihren Eltern, deren Väter zum grossen Teil als Soldaten am 1. Weltkrieg teilgenommen haben (manche sogar an beiden Kriegen), gelernt haben, unglaublich viel auszuhalten und die eigenen Gefühle nicht zu spüren. Das wurde unseren Eltern durch ihre Eltern "beigebracht". Die Erziehung unserer Eltern durch ihre Eltern war eine brutale Erziehung.

Für die Eltern unserer Eltern war es überlebenswichtig, nichts zu spüren, sonst wären sie an dem, was sie erlebt haben, verrückt geworden. Weil vieles so schlimm war, dass man damit nicht einfach weiter leben kann. Und die Eltern unserer Eltern haben die im Krieg erlebten Grausamkeiten nicht aufgearbeitet, sondern sie haben die erlebte Gewalt an ihre Kinder - unsere Eltern - weiter gegeben, um sich selbst emotional zu entlasten. Durch die Art ihrer Erziehung, in ihrem eigenen autoritären Verhalten, in den brutalen Strafen, in der emotionalen Vernachlässigung ihrer Kinder haben sie die eigene erlebte Gewalt weiter gegeben.

Auch unsere Eltern haben wie ihre Eltern einen Krieg erlebt - als Kinder, sie wuchsen darin auf. Sie haben von ihren Eltern Gewalt durch die Erziehung erlebt (siehe vorheriger Abschnitt). Und auch sie wurden so erzogen, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel auszuhalten. Zusätzlich zu dieser Erziehung haben sie den 2. Weltkrieg als Kinder erlebt, mit allem Furchtbaren und allen Entbehrungen. Diesen haben sie erlebt mit dem in sie durch die Erziehung eingehämmerten: Du sollst nichts spüren. Du musst aushalten.

Und unsere Eltern haben die durch ihre Eltern erlebten Grausamkeiten nie aufgearbeitet und verarbeitet. Sie haben es genau so gemacht wie ihre Eltern: sie haben die erlebte Gewalt an uns weiter gegeben, um sich emotional selbst zu entlasten (was natürlich eine Pseudoentlastung ist, denn ohne Aufarbeitung kann man diese erlebte Gewalt nicht überwinden).

Unsere Eltern haben dann kräftig am Wirtschaftswunder mitgearbeitet. So mussten sie sich nicht auf ihre eigenen Gefühle konzentrieren, die Verletzungen spüren. So haben sie weggeschoben, was notwendig gewesen wäre: die Auf- und Verarbeitung ihrer Vergangenheit. Unsere Eltern hätten die Chance gehabt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten - auch später noch. Aber die meisten konnten es nicht - und wollten es auch nicht. So haben sie ihren Müll an uns weiter gegeben.

Frau M. sagte, dieser Sadismus, mit dem viele unserer Großeltern ihre Kinder traumatisiert haben - durch die Erziehung beeinflusst von den unverarbeiteten Kriegserlebnissen - sei unvergleichlich. Diesen Sadismus haben auch viele unserer Eltern an uns weiter gegeben / uns zugefügt. Auch heute gibt es noch Traumatisierungen bspw. durch emotionale Vernachlässigung, aber diesen ganz speziellen Sadismus der beiden Kriegsgenerationen gibt es darin so nicht mehr.

Sie sagte: Wenn jemand im Krieg war und das nicht verarbeitet hat, gibt er das als unglaublichen Sadismus weiter. Auch als Kind im Krieg aufgewachsen zu sein und Schlimmes erlebt zu haben, erzeugt Sadismus. Aber wenn jemand selbst als Soldat im Krieg war, bei Gewalttaten zugesehen hat und an Gewalttaten beteiligt war, ist das noch viel schlimmer. Das ist meine Erfahrung hier in der Praxis - die am schlimmsten Traumatisierten sind die Menschen, die solche Eltern haben.

Sie sagte auch: Wenn man das eigene Trauma nicht aufarbeitet und irgendwann verarbeitet, gibt man es weiter.

Nach all dem, was ich gestern im Gespräch erfahren habe, denke ich jetzt:

Unsere Eltern konnten und wollten auch später - in "Friedenszeiten" ihre Gefühle nicht fühlen. Sie haben uns den ganzen Rotz weiter gegeben:

- Die Haltung: Es ist gut, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel aushalten zu können.
Was für eine lebensfeindliche Haltung!!!!!!!!!
- Sie haben an uns die Gewalt weiter gegeben, die sie selbst erlebt haben - als Kinder ihrer autoritären, oft
sehr brutalen Eltern.

Ihre Erziehung bestand darin, dass aus ihnen "brave" Kinder gemacht wurden = Kinder, die keine unbequemen Fragen stellten, Kinder, die aufgefordert waren, taub, blind, stumm und lahm zu sein! In einem solchen Sinne erzogen wuchsen sie im Faschismus auf, erlebten ihn unhinterfragt, waren Teil darin, angepasst, waren "mucksmäuschenstill".

- Als solche fügig gemachten, angepassten, verängstigten Kinder erlebten sie dann auch den Krieg - mit
seinen Gräueltaten und Entbehrungen.

Unsere Eltern haben nichts von ihrer eigenen Vergangenheit aufgearbeitet und verarbeitet - dafür hätten sie all die vielen verleugneten und verdrängten, unglaublich schmerzhaften Gefühle fühlen müssen. So sieht die Bearbeitung eines Traumas aus, anders kann es nicht verarbeitet werden. Schwerstarbeit, ich weiss es!

Unsere Eltern sind diesem schwierigen, schmerzvollen Prozess ausgewichen. Sie haben uns ähnlich erzogen, wie ihre Eltern sie erzogen haben. Sie haben uns ihre eigenen Deformationen weiter gegeben, aufgedrückt. Mit den kämpfen wir jetzt! Diese versuchen wir jetzt aufzulösen! Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, um erlebte Traumata, um erlebte Zerstörung nicht mehr weiter zu leben und nicht mehr weiter zu geben. Was für ein Erbe!!!!!!!!!

Und was mich aufregt: Ich habe meine Mutter SIEBZEHN! Jahre lang aktive Angebote gemacht, sich mit den Gewaltstrukturen in unserer Familie, einschliesslich ihrer eigenen an uns weiter gegebenen Gewalt, auseinander zu setzen. Sie hat sich geweigert! Sie hat alles beschwichtigt und bagatellisiert! Sie hat sich nichts vorzuwerfen! Sie ist über alle Kritik erhaben! Kinder haben ihre Eltern nicht zu kritisieren - Punkt!
Das macht mich fassungslos!

Ich sehe mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Ich bin entsetzt! Ich könnte schreien! Das ist unsere Gesellschaft!!!!!!! Und diese Auf- und Verarbeitungsprozesse dauern so lang! Ich erlebe es ja an mir. Und anders kann sich nichts ändern! Sonst wird es immer nur eine Wiederholung geben - in neuen Gewändern. Ist das nicht wahnsinnig???????

Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die RAF, mit der ich als Jugendliche sympathisierte, weil sie sich gegen all das wehrte, was ich damals gefühlt, aber unbegriffen mit meinen Eltern in Verbindung brachte. Frau M. sagte: Die RAF hat versucht, die Geschichte der deutschen Kontinuität zu brechen - aber mit der gleichen Methodik. Sie haben mit der gleichen Brutalität gehandelt, wie sie sie selbst erfahren haben - als Kinder kriegstraumatisierter, sadistischer Eltern. Sie haben versucht, einen Bruch zu machen - die Ideologie war eine andere, aber das Vorgehen darin war genau so gewalttätig und brutal. Sie hätten ihre eigene Geschichte aufarbeiten müssen, mit der Gefühlsverleugnung und -verdrängung brechen müssen! So haben sie etwas davon weiter gegeben, was sie selbst erleben mussten. Die Geschichte der RAF war kein Bruch, sie war eine Fortsetzung. Nur die Ideologie war eine andere.


*

ich möchte dazu nur zwei anmerkungen machen: erstens glaube ich, dass sowohl die wahrscheinlichkeit als auch die zeitliche dauer für und von heilungsprozessen ganz anders aussehen würde, wenn es eine breite und spürbare gesellschaftlich positive resonanz und auch akzeptanz für die elementare wichtigkeit dieser arbeit gäbe.

und zweitens sehe ich den aspekt hinsichtlich der raf ähnlich, halte diesen jedoch als alleinigen hintergrund für zu eindimensional, weil gerade die ersten aktionen der raf mit bezug auf den vietnamkrieg etwas waren, was sich im historischen rückblick sehr wohl als begründet und allgemein menschlich legitimiert betrachten lässt - ohne den spezifisch deutschen hintergrund der raf, der auch in der
kommandoerklärung zu einem ihrer ersten anschläge auf das us-hauptquartier in stuttgart 1972 zum ausdruck kommt, zu vergessen.

tatsächlich war diese institution eine entscheidende koordinierungsstelle für die bombardements, die sich als verbrechen betrachten lassen. und ist eben deshalb auch für den wunsch, dieses verbrechen wirkungsvoll zu stören, die passende anlaufstelle gewesen - immer vor dem hintergrund, dass weder die regierung noch die bevölkerung der damaligen brd willens gewesen ist, hier wirkungsvoll einzugreifen.

tatsächlich aber sind auch die gezogenen vergleiche mit auschwitz und dresden ausdruck einer nicht begriffenen inneren verwirrung seitens der guerilla, die hier gleich mit ihrem beginn ihren psychohistorischen hintergrund deutlich machte. und in diesem verlauf auch noch täter und opfer gleich setzt. nichtsdestotrotz hatten diese vietnambezogenen aktionen der raf einen charakter, der sich primär durch die damalige aktuelle situation entschlüsseln lässt - auch, wenn sie zumindest in hinsicht auf die inneren motivationen der akteure teilweise auf der matrix von ns-zeit und weltkrieg stattgefunden haben.

dazu sollte man sich dann auch einmal die herkunft vieler der ersten aktivistInnen anschauen, die sich der raf anschlossen: einige kamen aus dem
sozialistischen patientenkollektiv heidelberg und waren als - hm, patientInnen mit verschiedenen psychiatrischen diagnosen durchaus repräsentativ für das gesammelte psychophysische elend, das in der alten brd unter dem deckmäntelchen von wohlstand & ordnung jahrzehntelang unter den teppich biederer bürgerlichkeit gekehrt wurde. einige andere kamen aus solchen heimen, in denen kinder & jugendliche mit extrem repressiven und traumatischen methoden direkt aus der "schwarzen pädagogik" bis weit in die 1970er jahre hinein traktiert wurden. der wunsch nach dem bruch und "zurückschlagen" ist von daher durchaus verständlich.

ich möchte aber hier ausdrücklich keine raf-debatte, jedenfalls im ideologisch-politischen sinne, anstoßen - das thema steht in der überschrift, und die raf und ihre geschichte sind dabei - wie sich an der mail erkennen lässt, nicht nur aus meiner perspektive - zwar ein sehr spektakulärer, aber keinesfalls der einzige punkt.

notiz: zehn minuten konfrontation mit der realität

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