Montag, 6. April 2009

notiz: krisennews und -gedanken (32)

und den heutigen lesetipp gibt´s gleich zur einleitung, weil der text dabei helfen kann, die versteckten dimensionen der weiter unten folgenden meldungen deutlich zu machen:

(...)"Das derzeitige Wirtschafts- und Finanzsystem wird demnach bei Erreichen der Systemgrenze kollabieren, wie es dies ja folgerichtig auch schon seit einem halben Jahr tut. Ein funktionierendes Bankwesen ist in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren der herstellenden Industrie und der industriellen Landwirtschaft, die auf die Kredite angewiesen sind. Da es in der Politik keinen Plan B zu exponentiellem Wirtschaftswachstum gibt (und dies in Deutschland sogar gesetzlich im Wachstums- und Stabilitätsgesetz verordnet ist), ist es aus Regierungssicht von allergrößter Wichtigkeit, dieses Bankensystem zu retten, wohlwissend, dass dies garnicht möglich ist. Das ist der Grund, weshalb sofort Milliardensummen bereitstehen, um den Banken unter die Arme zu greifen, wohingegen große Vorbehalte bestehen, wenn es darum geht, beispielsweise Autohersteller zu retten. Da der Volkskuchen bei Erreichen des Erdölfördermaximums nicht mehr größer werden kann, bedeutet die Gelddruckerei sämtlicher Regierungen zur Rettung des Bankensystems eine Umverteilung des Reichtums weg von normal arbeitenden Bürgern hin zu den Banken. Die Staatsregierungen als einzige, die Geld drucken dürfen, zwingen somit um des Systemerhalts willen alle Unternehmer und alle Bürger, ihre exponentiell steigenden Schulden bei den Banken zu bezahlen.

Nachdem wir aber verstanden haben, was die Exponentialfunktion darstellt und dass unsere Lebensweise, unsere gesamte Weltanschauung auf unmöglichen Grundlagen beruht, ist es unerheblich, ob das Bankensystem noch gerettet wird oder nicht, ob Renten und Lebensversicherungen mehr oder weniger offensichtlich entwertet werden. Diese Zukunftsinvestitionen waren nie etwas wert, sie gelten lediglich solange exponentiell mehr Energie bereitgestellt werden kann. Der Zeitpunkt, an dem dies nicht mehr möglich ist, liegt hinter uns und wir werden uns andere Maßnahmen überlegen müssen, unser Leben und Überleben im Alter zu sichern."(...)


ich stimme durchaus nicht mit der im weiteren verlauf des beitrags geäusserten meinung überein, dass das problem des systemimmanenten zwangs zum ständigen exponentiellen wachstum schlicht für alle der inzwischen aufgehäuften probleme des kapitalismus verantwortlich ist - hingegen macht der text nachdrücklich klar, dass wir als spezies insgesamt gerade an vielfältige physikalische grenzen stoßen. auch das führt zwangsläufig in die globale systemkrise, die sich u.a. in symptomen ungleich verteilter zunehmender sozialer unruhe ausdrückt - der schwerpunkt der heutigen news:

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  • großbritannien I: widersprüchlichkeiten im todesfall während der "g20"-proteste
  • großbritannien II: erste betriebsbesetzungen haben begonnen
  • italien: massendemonstrationen gegen regierung und ihre krisenpolitik
  • griechenland: rückblick auf generalstreik am donnerstag / weitere anschläge gegen banken und staatliche institutionen
  • frankreich: betriebsbesetzungen und festsetzungen von managern häufen sich
  • russland: weltbank warnt vor sozialen unruhen und verlangt stärkere soziale hilfen von der regierung / stahlarbeiter im hungerstreik, bergarbeiter drohen mit massenprotesten
  • usa: millionen auf lebensmittelmarken angewiesen / zeltstädte breiten sich weiter aus / landesweite massenproteste für mitte april geplant
  • spanien: bericht zur sozioökonomischen situation
  • deutschland & global: rückblick auf den internationalen aktionstag am 28. märz
  • in aller kürze: der erste märz seit beginn der statistik vor 80 jahren, in dem die erwerbslosenzahlen in d-land steigen / die häfen geraten immer schärfer in krisengewässer / innenansichten zur "hsh-nordbank" / joseph stiglitz zum iwf und der weltbank (aus dem jahr 2001)
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die woche der gipfel liegt nun hinter uns, und die "ergebnisse" sind genau die, die zu
erwarten waren - die "g20" versuchen alles, um ihren laden namens globaler kapitalismus, der inzwischen lichterloh in flammen steht, etwas aufzuhübschen - im schaufenster wird die dekoration ausgetauscht - , und derart zeit zu gewinnen. die anachronistische und nachweislich staatsterroristische (remember "gladio") vereinigung zur verteidigung von freedomanddemocracy namens "nato" feiert sich selbst im passenden geburtstagsambiente von zehntausenden polizisten, tränengasschwaden, dem knallen von schockgranaten, absurden demonstrationsverboten und -auflagen sowie dem qualm brennender häuser (zu den letzteren siehe zb. diesen bericht.)

in london war nach dem tod eines 47-jährigen mannes relativ abrupt schluss mit den meisten aktionen, und nach meinem eindruck hatte das primär etwas mit eben jenem tod zu tun, der bei vielen der dortigen aktivistInnen starke betroffenheit auslöste, und nach den offensichtlichen polizeilichen falschmeldungen der ersten stunden ("von demonstranten mit flaschen beworfen, und auch die helfenden einsatzkräfte gleich mit") die notwendigkeit in den vordergrund rückte, die ereignisse soweit wie möglich realistisch zu rekonstruieren. inzwischen sind immer mehr augenzeugenberichte verfügbar, und es zeichnet sich etwas ab, was bei polizeieinsätzen wie zb. im folgenden video dargestellt...



...eben nicht sehr überraschend sein sollte - todesfälle auch schon alleine aufgrund von schock & aufregung sind bei solchem vorgehen
nicht unwahrscheinlich:

"The man who died during last week's G20 protests was "assaulted" by riot police shortly before he suffered a heart attack, according to witness statements received by the Independent Police Complaints Commission.

Investigators are examining a series of corroborative accounts that allege Ian Tomlinson, 47, was a victim of police violence in the moments before he collapsed near the Bank of England in the City of London last Wednesday evening. Three witnesses have told the Observer that Mr Tomlinson was attacked violently as he made his way home from work at a nearby newsagents. One claims he was struck on the head with a baton."(...)


wenn dazu noch schläge mit einem polizeiknüppel kommen, wie sie mehrere zeugen inzwischen für den zeitpunkt kurz vor dem tod von ian tomlinson bestätigen, wird die phrase vom "tragischen unglücksfall" endgültig zur farce. es ist vorhersagbar, dass diese geschichte noch kreise ziehen wird - in london gab es bereits erste demonstrationen vor polizeirevieren mit der forderung einer öffentlichen untersuchung.

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und nicht nur diese entwicklung ist so gut wie kein thema im hiesigen medialen mainstream, sondern auch eine ganze reihe von betriebsbesetzungen findet nach deren lesart quasi gar nicht statt - exemplarisch sei hier auf die besetzung des autozulieferers
visteon in nord-london verwiesen, die seit dem 1. april läuft, zeitgleich mit ähnlichen besetzungen bei gleichen betrieben u.a. in belfast.

betriebsbesetzung in gb

nicht ganz überraschend werden also zunächst die betriebe der autoindustrie zu den ersten kampffeldern, und die besonderen probleme hierbei hatte ich in vergangenen news bezgl. dieser sparte schon thematisiert. positiv jedoch finde ich den aspekt der selbstorganisation einerseits sowie die demonstrierte bereitschaft andererseits, die bisher vorgegebenen regeln nicht länger als absolut bindend hinzunehmen, wenn die eigene ökonomische existenz bedroht wird. beides dürfte für viele beteiligte menschen enorme entwicklungssprünge bedeuten, die mittelfristig auch in ganz neue räume führen können. die erfahrung sowohl von erfolgen wie auch problemen derartigen kollektiven handelns kann letztlich enorme wichtigkeit gewinnen, wenn sich die verhältnisse weiter verschärfen.

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in italien fand am samstag zum wiederholten male eine von den gewerkschaften organisierte
massendemonstration in rom statt, die - wenn ich mir so verschiedene berichte betrachte - auch erfreulich regierungsfeindliche töne aufwies:

"Mehrere Hunderttausende Menschen haben am Samstag in Rom gegen die Mitte-Rechts-Regierung demonstriert. Laut den Organisatoren beteiligten sich sogar 2,7 Millionen Personen an der Kundgebung gegen mangelhafte Maßnahmen der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi gegen die Finanzkrise, zu der der Gewerkschaftsverband CGIL aufgerufen hatte. Arbeiter, Pensionisten, Einwanderer und Studenten aus dem ganzen Land waren mit 40 Zügen und fast 5000 Bussen nach Rom gekommen.

Fünf Demonstrationszüge zogen durch die Innenstadt und strömten zu einer Kundgebung im Circus Maximus. "Es handelt sich um eine der größten Demonstrationen aller Zeiten in Italien", erklärte Gewerkschaftschef Guglielmo Epifani. In seiner Rede vor den Demonstranten, die rote Fahnen schwenkten, forderte Epifani einen runden Tisch im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. "Wir dürfen in dieser Krise niemanden zurück lassen. Wir müssen gegen die Resignation und für die Rechte der Arbeitnehmer kämpfen", sagte der Gewerkschaftführer.(...)


noch gelingt den etablierten gewerkschaften nicht nur in italien eine art moderation der in etlichen ländern immer angespannteren stimmung. noch. vom betreffenden spagat der gewerkschaften hatte ich ebenfalls in einer früheren news schon geschrieben. von den vielen videos zur demo habe ich eines ausgesucht, dass sich speziell aus der sicht einer firmenbelegschaft mit der situation beschäftigt, und hier wäre ich wieder mal über eine übersetzung sehr dankbar.



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auch in griechenland sehen sich die gewerkschaften gezwungen, der öffentlichen stimmung ausdruck zu verleihen - like frankreich war das am vergangenen donnerstag mit abstand von einigen monaten der zweite
generalstreik...

"Ein Generalstreik hat am Donnerstag Griechenland weitgehend lahmgelegt. Zu dem Ausstand hatten die beiden größten Gewerkschaften aus Protest gegen die Politik der konservativen Regierung aufgerufen. Diese hatte vor kurzem ein Einfrieren der Gehälter für Teile des öffentlichen Dienstes angekündigt. Die Gewerkschaften lehnen dies ab und fordern, gut verdienende Unternehmen stärker zur Kasse zu bitten. Außerdem widersetzen sie sich der Lockerung von Arbeitsschutzgesetzen, die die Regierung angeschlagenen Firmen erlaubt hat. Behörden und Schulen blieben am Donnerstag in Griechenland geschlossen, Krankenhäuser arbeiteten nur mit Notdiensten, die Schiffe blieben in den Häfen und auf den Flughäfen des Landes wurde der Flugverkehr für vier Stunden unterbrochen. Das Datum war bewußt gewählt, ging es doch in Athen wie bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel in London um die gleiche Forderung: Nicht die Arbeitenden, sondern das Kapital, Verursacher der Krise, verantwortlich für Krieg, Hunger und Ausbeutung, soll die Krise bezahlen."(...)



...und gleichfalls wie beim zweiten landesweiten streik in frankreich gab es auch das folgende zu beobachten:

"Mehr als 90 Prozent der in Großbetrieben und im öffentlichen Dienst Beschäftigten verweigerten die Arbeit. Besonders erfreulich dabei sei die hohe Teilnahme aus Betrieben, die bisher noch nie gestreikt hätten, erklärte der Chefredakteur der kommunistischen Tageszeitung Rizospastis, Dimitris Koutsoumbas, gegenüber junge Welt."

währendessen gehen die
anschläge gegen allerhand systeminstitutionen weiter, die folgende meldung ein paar tage vor dem streik mag dafür als beispiel stehen:

"Innerhalb von 15 Minuten verübten Unbekannte in dieser Nacht Anschläge mit Gaskartuschen und anderen leicht brennbaren Materialien in mindesten zehn verschiedenen Gegenden von Attika. Betroffen waren Bankfilialen, ein Autosalon, eine Postfiliale, Kraftfahrzeuge der Elektrizitätsgesellschaft DEI, sowie Pkw's, darunter auch Fahrzeuge von Diplomaten."(...)

was nicht nur in griechenland bei einer weiteren eskalation der krise passieren wird, lässt sich mit einer gewissen wahrscheinlichkeit ausmalen.

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und das lässt sich ebenfalls für
frankreich konstatieren:

(...)„Die Radikalisierung der sozialen Konflikte banalisiert sich“ (= normalisiert sich, breitet sich aus) lautet die Überschrift des dazugehörigen Artikels. Die Botschaft, die der Titel verkündet, banalisierte sich ihrerseits in den letzten Tagen: „Unter der Wirkung der Krise radikalisieren sich die sozialen Konflikte“, so übertitelte die christliche Tageszeitung ‚La Croix’ ihre Titelstory vom Donnerstag, die ihre Seiten 1, 2 und 3 füllt. Und die Gratistageszeitung ‚Métro’ machte am selben Tag ihre Eins mit der Schlagzeile auf: „Die sozialen Konflikte legen eine Eskalationsstufe zu.“

Dabei geht es nicht nur um Manager und (örtliche) Direktoren, die eine Weile als unfreiwillige Gäste „ihrer“ Beschäftigten verbringen. Klar, auch die Festsetzaktionen breiteten sich in jüngster Zeit aus. Nachdem etwa der Generaldirektor von Sony-France, Serge Foucher, in der Nacht vom 12. auf den 13. März in seinem Büro eingesperrt war, haben sich solche Aktionen inzwischen vervielfacht. Zuletzt wurden am Dienstag und Mittwoch dieser Woche vier Manager und leitende Angestellte des US-Baumaschinenherstellers Catarpillar im ostfranzösischen Grenoble für 24 Stunden festgehalten.(...)

Aber auch Betriebsbesetzungen kommen, neben Festsetzaktionen, wieder auf. So waren seit dem gestrigen Donnerstag die Lohnabhängigen des weltweit führenden Herstellers von Baukränen, Manitonow Crane (früher Potain), dazu aufgerufen, „ihre“ Werke zu besetzen, ohne allerdings die Produktion zu verhindern.

Zuvor hatten bereits seit vergangener Woche die 400 Beschäftigten der Chipkartenfabrik FCI in Mantes-la-Jolie (eine entlegene Trabantenstadt circa 35 Kilometer westlich von Paris) „ihr“ Werk besetzt. Damals, Ende März, begannen sie bereits ihre fünfte Streikwoche. Obwohl die Aktivität „ihres“ Arbeitgebers sich – trotz Krise – in einer Boomphase befindet, hat die Direktion entschieden, den Standort der Produktion nach Singapur zu verlagern. Die Werksleitung hat unterdessen den Standort schlicht und einfach aufgegeben und sich vollständig zurückgezogen, sie „verschanzt sich am zentralen Firmensitz in Versailles“...(...)


für jede solcher aktionen dürfte das gelten, was ich anfangs schon bezgl. der akteure bei den britischen besetzungen geschrieben hatte. und für nicht zu unterschätzen halte ich auch die mögliche vorbildfunktion auf andere länder und belegschaften.

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wir machen beim kleinen rundblick weiter in
russland:

(...)"Russische Bergarbeiter warnten Präsident Dmitri Medwedew laut verschiedenen Zeitungsberichten in einem Brief vor Massenunruhen, wenn die Politik ihrer Branche nicht unter die Arme greifen sollte.

Sie warfen unter anderem dem Finanzministerium vor, die Steuern für die russische Kohleindustrie nicht wie versprochen gesenkt zu haben.

Im März war es bereits zu Protesten gegen höhere Importsteuern auf Gebrauchtwagen in Wladiwostok gekommen. Zudem traten Stahlarbeiter in der Industriestadt Slatoust im Ural in Hungerstreik, um gegen niedrigere Löhne zu demonstrieren.(...)

In Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada erklärten 26 Prozent der Teilnehmer, sie seien bereit, an Demonstrationen gegen die Verschlechterung ihres Lebensstandards teilzunehmen, deutlich mehr als noch vor einem Jahr. 54 Prozent der Befragten unterstützten die Motive der Demonstranten."(...)


und diese situation wird offenbar von der weltbank als so brisant eingeschätzt, dass aus dieser ecke ungewohnte töne zu vernehmen sind:

"Die soziale Lage hat sich so schnell und so unerwartet verschlechtert, dass es nun wichtig ist, den Fokus der Antikrisenpolitik auf die Bevölkerung zu lenken", sagte Zeljko Bogetic, Chefökonom der Weltbank in Moskau.

Das Institut regt etwa an, soziale Transferzahlungen vorübergehend deutlich zu erhöhen. So könnten für den Verlauf eines Jahres das Arbeitslosengeld um 70 Prozent, die niedrigsten Renten um 20 Prozent und das Kindergeld sogar um 220 Prozent angehoben werden."


land für land ist inzwischen zu beobachten, wie die zutaten für das, was im vorletzten bulletin des "leap" mit dem "beginnenden zusammenbruch der öffentlichen ordnung ab herbst 2009" beschrieben worden ist, mal langsamer, mal schneller zu köcheln anfangen. der countdown läuft definitiv.

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und das gilt auch und besonders für einen brennpunkt des ganzen desasters, nämlich die usa - die
querschüsse liefern einmal mehr die bedrückenden fakten - im vergleich zu den januarzahlen dürfte das ganze allerdings inzwischen noch schlimmer aussehen:

(...)"Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums (United States Department of Agriculture - USDA) erreicht die Anzahl der US-Bürger, welche Lebensmittelmarken beziehen im Januar 2009 ein Allzeithoch! Gewaltige 32,204 Millionen Amerikaner bezogen per Kreditkarte, für je 112,80 Dollar pro Person, im Januar Lebensmittel auf Basis von SNAP. Dies ist ein gewaltiger Anstieg von +420'400 Leistungsbeziehern bzw. von +1,3% zum Vormonat und von +16% bzw. +4,453 Millionen zum Vorjahresmonat mit damals 27,761 Millionen Bedürftigen.(...)

Selbst die 32,204 Millionen Bedürftigen sind nur ein Teil der bitteren Realität, denn um in den "Genuss" der Kreditkarten für Lebensmittelausgaben zu kommen, müssen arbeitsfähige Erwachsene zwischen 16 und 60 Jahren den Nachweis erbringen, dass sie Arbeit suchen und bereit sind bestimmte Arbeiten zu akzeptieren, z. B. an Beschäftigungs- und Ausbildungsprogrammen teilnehmen. Die entmutigten Arbeitnehmer welche aufgegeben haben einen Job zu suchen, fallen wie in der Arbeitslosenstatistik auch bei SNAP durchs Netz. Erwachsene ohne Kinder können generell nur maximal 3 Monate SNAP beziehen. Ebenfalls durch das SNAP-Netz fallen auch die legalen Immigranten, sie sind seit der Sozialhilfereform 1996 ebenso, wie grundsätzlich die Illegalen vom Supplemental Nutrition Assistance Program ausgenommen.
Nahezu 80% der Lebensmittelmarken gehen an Familien mit Kindern, davon 85% an Kinder mit nur einem Elternteil. Ein klarer Beleg für das Armutsrisiko durch Kinder vor allem für Alleinerziehende!"(...)


und ein großer teil der betroffenen dürfte zusätzlich mit der echten bedrohung der obdachlosigkeit zu kämpfen haben - berichte bzw. videos über die wachsenden zeltstädte besonders an den rändern der metropolen waren in früheren news schon zu sehen, hier nun ein relativ neuer bericht über eine zeltstadt nahe los angeles:



und in einem
überblick zur gesamten krisensituation in den usa schreibt tomasz konicz zum thema:

"Derzeit schießen überall in den USA Zeltstädte aus dem Boden, Notunterkünfte, in denen Opfer der aktuellen Weltwirtschaftskrise hausen. »Hoovervilles« werden sie gelegentlich genannt, ein längst vergessen geglaubter Begriff. Als Hoovers-Dörfer wurden in den 30er Jahren all die Elendsquartiere bezeichnet, die sich während der großen Depression im Land ausbreiteten.(...)

Die sozialen Konsequenzen des zusammengebrochenen Immobilienmarktes in den USA sind bereits jetzt verheerend. Allein im vergangenen Jahr wurden 3,2 Millionen Zwangsvollstreckungen eingeleitet. Da bezahlbare Mietwohnungen Mangelware sind, sah sich ein großer Teil der betroffenen Menschen genötigt, in ihren Autos zu leben oder bei Verwandten unterzukommen. Wer das nicht konnte, rutschte sofort in die Obdachlosigkeit und strandete in den Zeltstädten. Die Bewohner dieser provisorischen Lager sind jedoch nur ein kleiner Teil des rasch wachsenden Obdachlosenheeres in den Vereinigten Staaten. Laut Hilfsorganisation Nationale Allianz zur Beendigung der Obdachlosigkeit (National Alliance to End Homelessness) werden in diesem Jahr an die 3,5 Millionen Bürger der USA obdachlos sein – gegenüber 2007 ein Anstieg um 35 Prozent. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche. 39 Prozent der US-Amerikaner ohne ein Dach über dem Kopf sind jünger als 18 Jahre.

Und die Zeltstädte können sich auf weiteres Wachstum einstellen. Neuesten Studien zufolge droht in den kommenden drei Jahren bis zu sechs Millionen Familien die Zwangsvollstreckung ihrer Häuser, sollten keine substantiellen Maßnahmen ergriffen werden."(...)


welche kriterien gelten eigentlich für die definition eines sozialen superGAUs? vielleicht sind mögliche antworten schon in ein paar tagen aus den usa zu vernehmen:

"Diese rasant voranschreitende Verelendung – potenziert durch die billionenschweren Hilfsmaßnahmen für in Schieflage geratene Banken und Versicherungen – läßt die Wut in der Bevölkerung an vielen Stellen bereits überkochen. Unklar ist allerdings, welche Richtung diese zunehmende Radikalisierung nehmen wird. Dabei stehen die Chancen für die Linke nicht schlecht. In den zurückliegenden Jahren ist ein umfassendes Netz alternativer Medien in den USA entstanden, das inzwischen Millionen Menschen erreicht. Während vormals kreuzbrave linksliberale Organe wie die einflußreiche Zeitschrift The Nation inzwischen prominente linke Intellektuelle wie Mike Davies oder Immanuell Wallerstein sozialistische Alternativen zum bestehenden System diskutieren lassen, mobilisiert für den 11. April ein breites Bündnis zur Massendemonstrationen im gesamten Land, um gegen weitere Milliardengeschenke an die US-amerikanische Finanzoligarchie zu protestieren."(...)

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wenn man sich so mit den sozioökonomischen daten und verhältnissen beschäftigt, die ständig aus allen möglichen ländern eintrudeln, so fällt die zunehmende monotonie oder auch der gleichklang der entwicklungen auf - vermutlich gab es einen derartigen verfallsprozeß, der tatsächlich - in einigen fällen noch mit verzögerung - kein einziges land der erde unberührt lassen wird, historisch noch nie zu betrachten. wie bekannt, schätze ich in so einer situation die länderberichte von wildcat sehr, weil sie trends und entwicklunglinien nicht nur von "unten", sondern auch aus anderer perspektive strukturell zu begreifen suchen - in einem weiteren dieser berichte geht´s unter dem irgendwie launigen motto
Backsteine, Blasen und Bankrott nach spanien:

"Ein Albtraum tritt nun an die Stelle jener heiteren Jahre, in denen alle wussten, dass das irgendwie verrückt ist und nicht ewig so gehen kann: Das ganze Land eine gigantische Wachstumsmaschine, wenn auch mit einigen Besorgnis erregenden Nebeneffekten, wie dem, dass ganze Landstriche mit schäbigen Wohnschachteln verschandelt wurden – für die Zweitwohnung am Meer, für die wachsende Bevölkerung, für die anlagesuchenden Ersparnisse aus aller Welt oder für das Waschen von Schwarzgeld. »Damals«, als in Spanien soviel Zement verbraucht wurde, wie in den vier größten europäischen Volkswirtschaften zusammen, als hier ein Drittel aller 500-Euro-Scheine zirkulierte, um die korrupten Seilschaften aus Politikern, Beamten und Bauunternehmen zu schmieren, als die kommunalen Einnahmen aus der Verwandlung von Äckern in Bauland nur so sprudelten."(...)

bleibt für den moment - bis sich auch in spanien erwähnenswertes zu rühren beginnt - nur zu sagen: buenas noches!

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und das ist durchaus nicht hämisch gemeint, wenn ich mir die freundlich geschätzten 50.000 anschaue, die am 28.3. in berlin und frankfurt zusammen am start waren - wo doch in anbetracht der situation eher 500.000, besser gleich fünf millionen, angemessen gewesen wären. aber im wirrwarr aus abwrackprämie, täglichen märchenstunden aus regierung und wirtschaft sowie der weiterhin funktionierenden sedierung mittels
tittytainment , welches in d-land besonders verheerende ausmaße angenommen hat, leben die meisten der mitbürgerInnen immer noch in einer ziemlich virtuellen welt ihre alpträume still für sich aus. bis die realität anfängt, ohrfeigen und schienbeintritte zu verteilen. (btw, um etwaige nachfragen gleich zu benatworten: nein, ich war am 28.3. aus mehreren gründen, primär dabei ein gesundheitlicher, ärgerlicherweise nicht in der lage, auch in berlin aufzutauchen. aber im laufe des jahres wird es noch ausreichend gelegenheit geben, selbst aktiv zu werden.)

zur situation hier ist weiterhin ein krisenspecial geplant, und bevor ich lange worte verliere: bei attac gibt´s einen brauchbaren
überblick zu den aktionen vom 28. märz. dabei fällt auf, dass eigentlich nirgendwo die vorherigen zahlen der beteiligung an demonstrationen getoppt werden konnten. das ist gerade bei einem internationalen aktionstag nicht nur ärgerlich, sondern auch in der hinsicht bedenklich, das darin auch eine aussage über das derzeit verbreitete bewußtsein vieler bevölkerungen stecken könnte - stichwort tellerrand.

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in aller kürze - das krisentelegramm +
ein historischer monat, eine historische zahl - wie gesagt, das erstemal überhaupt seit 80 jahren + norddeutsche krisenspezialitäten - "Der Boom in der Hafenwirtschaft ist vorerst vorbei - in den bremischen Häfen verlieren demnächst wohl bis zu 1.400 ArbeiterInnen ihren Job. Auch in Hamburg, Rostock und Lübeck ist die Lage kritisch. Noch behilft man sich mit Kurzarbeit." noch. + "Das ist ein Wahnsystem" - hier "nur" in bezug auf den quasibankrott der hsh.nordbank und die landesbanken allgemein gemünzt. aber auch darüber hinaus eine treffende aussage + zuletzt etwas erhellendes aus dem jahr 2001 - joseph stiglitz rechnet mit seinen früheren kollegen bei iwf & weltbank ab: Was ihn letztendlich dazu trieb, seinen Job an den Nagel zu hängen, war das Unvermögen der Banken und des US-Schatzamtes, ihren Kurs zu ändern, nachdem sie mit den Krisen konfrontiert wurden - Pleiten und Leiden, verursacht durch ihren monetaristischen Tanz im Vier-Viertel-Takt. Wann immer diese Lösungen auf Basis freier Märkte versagten, verlangte der IWF einfach noch mehr freie Marktwirtschaft.

"Das ist fast wie im Mittelalter," erzählt der Insider. "Wenn der Patient starb, sagten sie: ‚Er beendete eben den Aderlass zu früh, es war immer noch etwas Blut in ihm.'"
in den vergangenen acht jahren hat sich also in diesen institutionen nichts grundlegend geändert +

gift, gene und mafiöse strukturen

auch, wenn ich damit vermutlich eulen nach athen trage und der film hoffentlich schon von vielen wahrgenommen worden ist - ich habe ihn erst gestern zum ersten male gesehen:



und diese dokumentation gehört gerade in zeiten wie diesen sozusagen zum pflichtprogramm für alle, die sich mit den inhalten und funktionsweisen des kapitalismus auch und gerade in seinen "normalen" phasen näher beschäftigen wollen oder müssen. aus einer
rezension:

(...)"Der beeindruckend direkte Film steigt ein mit einem Produkt, dass Monsanto 1974 auf den Markt brachte, dem Unkrautvernichtungsmittel "Roundup". Jahre später produzierte der Konzern dann die "Roundup-Ready-Sojabohne", die genetisch so verändert wurde, dass sie resistent gegen das Totalherbizid ist. Entgegen der Werbung von Monsanto gilt "Roundup" allerdings nicht als "biologisch abbaubar", sondern als hochgiftig und krebsfördernd. Um das Herbizid und die Genpflanzen auf dem Markt zu halten, unterdrückte Monsanto Gutachten, erpresste unabhängige Wissenschaftler, erwirkte ihre Entlassung (zum Beispiel aus der US-Food-and-Drug-Administration und aus Forschungsinstituten weltweit) und hievte umgekehrt Monsanto-Mitarbeiter in die Kontrollbehörden.(...)

Im Film folgt sodann das dioxinhaltige Unkrautvernichtungsmittel "2,4,5-T", das ein Hauptbestandteil von Agent Orange war. Die Amerikaner hatten 80 Millionen Liter davon über Vietnam versprüht, um den Dschungel, in dem der Vietkong hockte, zu entlauben und den Bauern die Reisfelder zu vernichten. Sie mussten daraufhin in die Städte abwandern, was US-Soziologen als "nachgeholte Urbanisierung" begrüßten. Noch 1985 hatte der US-Wissenschaftler Alwin Young auf einem Kongress in Bayreuth erklärt: "Der Dioxin-Einsatz hat niemandem geschadet!" Aber seitdem verklagen neben den Vietnamesen, die verkrüppelte Kinder zur Welt brachten, auch viele krank gewordene US-Vietnam-Veteranen Monsanto.

Um nicht zahlen zu müssen, ließ der Konzern die Untersuchungsberichte manipulieren. Auch den US-Sojaanbauern spielte der Konzern übel mit: Wie einer im Film es ausdrückte, "verbreitet Monsanto Angst und Schrecken unter den Farmern". Da es sich bei den Genpflanzen um patentiertes Saatgut - eine Art Kopierschutz - handelt, dürfen die Bauern nichts von der Ernte zurückbehalten, um es im nächsten Jahr auszusäen. Rüde werden sie von Monsanto deswegen mit Prozessen überzogen. Um ihre Felder zu kontrollieren, hat Monsanto sogar eigens eine "Gen-Polizei" geschaffen.

"Sie wollen alles Saatgut kontrollieren und machen alle Lebensmittel zu ihrem Eigentum", sagt ein Bauer im Film.(...)


und letzteres ist etwas, was es - wie so vieles anderes auch - unbedingt zu verhindern gilt. "monsanto" ist ein klassisches beispiel für die nur noch als schwerkriminell zu bezeichnenden verwüstungsfeldzüge der transnationalen konzerne unter protektion entsprechend korrupter regierungen. mehr zu den machenschaften des konzerns und dem fälligen widerstand
hier und hier.

Sonntag, 29. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (31)

heute aus zeitbedingten gründen nur in einer kurzversion. mehr mit einem schwerpunkt auf die laufenden weltweiten proteste in der nächsten woche.

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bis dahin empfehle ich erstens einen
artikel von nils minkmar...

(...)„Die Leute sind sauer, aber noch lange nicht sauer genug“, schreibt Matt Taibbi, der politische Kolumnist des amerikanischen Rolling Stone: „Es ist vorbei. Kein Imperium übersteht es, dauerhaft lächerlich gemacht zu werden.“ Und er rechnet vor: Der Versicherungskonzern AIG hat in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres 27 Millionen Dollar pro Stunde verloren, 465 000 Dollar in der Minute. Und braucht noch mehr Geld. Und wollte noch vorletzte Woche seinen so empfindlichen Genies weitere Boni zahlen, und Privatflugzeuge und die Maniküre. In Deutschland haben wir bei der Dresdner Bank und der Hypo Real Estate Vergleichbares. Ein Staat, der hier weiter Geld rausrückt, setzt seine Legitimität aufs Spiel. Nichts untergräbt Regierungssysteme so schnell und wirksam wie die Lächerlichkeit.

Darum ist die Krise nun eine Krise der symbolischen Repräsentation und damit eine Machtfrage geworden."(...)


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...zweitens einen
beitrag von tomasz konicz, der aus einer ganz anderen perspektive zu einem ähnlichen fazit gelangt und spezielle schlüsse hinsichtlich des agierens der linken zieht...

(...)"Wollte man das Wesen dieser nun alle Weltregionen erfassenden Krise auf einen kurzen, prägnanten Nenner bringen, so wäre es wohl dieser: Die Produktivkräfte sprengen gerade die Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Es ist dies die klassische revolutionäre Situation, wie sie Marx im Vorwort „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ vor 150 Jahren dargelegt hat: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen. (…) Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“ (MEW 13, S. 9)

Die Tragik unserer Epoche besteht nur darin, dass weit und breit keine revolutionäre Klasse, kein revolutionäres Subjekt auszumachen ist. Der ideologische Sieg des Kapitalismus scheint gerade in seiner Niederlage absolut zu sein, für breiteste Bevölkerungsschichten sind Alternativen zur kapitalistischen Vergesellschaftung schlicht undenkbar. Sollte keine breite, progressive, antikapitalistische Bewegung innerhalb des einsetzenden Krisenprozesses entstehen, droht uns der zivilisatorische Zusammenbruch. Die Aufgabe der revolutionären, antikapitalistischen Linken besteht zuvorderst darin, das öffentliche Bewusstsein über diese höchst gefährliche Situation – die jederzeit in Barbarei umschlagen kann – zu verbreitern und postkapitalistische, jenseits der uferlosen, fetischisierten Kapitalreproduktion angesiedelte gesellschaftliche Alternativen zu diesem autodestruktiven, spätkapitalistischen System zu diskutieren und aufzuzeigen.

Wir müssen – in den konkreten Kämpfen vor Ort – zuerst revolutionäres Bewusstsein schaffen; also das Bewusstsein darüber, dass wir uns in einer revolutionären Situation befinden, dass das kapitalistische System an seine Entwicklungsgrenzen gestoßen ist. Die konkrete Aktion, der Abwehrkampf vor Ort, der Streik, die Betriebsbesetzung, die Straßenblockade, die Demonstration – diese vor uns liegenden Kämpfe müssen bereits als Teil des Ringens um eine postkapitalistische Gesellschaft aufgefasst und propagiert werden. Wir müssten ja an konkreten Kämpfen ansetzen − mit den Menschen streiten, die in dieser Krise unterzugehen drohen, diese konkreten Kämpfe zusammenführen zu ihrem gemeinsamen, objektiven, um des Überlebens der menschlichen Zivilisation willen absolut notwendigen, scheinbar so „abstrakten“ Ziel: der Überwindung dieses über uns zusammenbrechenden kapitalistischen Systems."(...)


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...drittens eine
meldung , die einerseits beispielhaft illustriert, was für situationen konicz im letzten zietierten absatz oben u.a. meint, und andererseits eben auch in der zwiespältigkeit sowohl der ziele als auch der aktionsform "hungerstreik" überhaupt die ganze schwierigkeit dessen deutlich macht, was mit "schaffung eines revolutionären bewusstseins" umschrieben wird (in letzter konsequenz ist das letztlich nichts anderes als eine qualitative änderung der eigenen neuronalen konfiguration - ein anderes fühlen und denken, teils bereits in räumen jenseits des bisher gewohnten und "normalen" angesiedelt):

(...)"Sie sind entschlossen, für ihre Jobs zu kämpfen, sie wollen arbeiten. Dafür treten sie jetzt sogar in den Hungerstreik: Drei Leiharbeiter von VW Nutzfahrzeuge in Hannover haben ein Zelt auf dem Parkplatz vor dem Werkstor 3 des Unternehmens aufgebaut. Ihre Verträge laufen zum 31. März aus und wurden nicht verlängert. "Wir bleiben hier, bis man auf unsere Forderungen eingeht", sagt Oguzhan Batur. Seine beiden Kollegen Tufan Cicek und Isa Güner nicken zustimmend. Die drei Männer drängen sich um einen kleinen Gas-Heizstrahler, doch der eisige Wind, der über den Platz fegt, dringt durch die Ritzen der Planen.

Seit rund zwei Jahren arbeiten die Männer in der Montage des Unternehmens. "Wir haben unsere Kraft investiert, auch am Samstag gearbeitet, Krankheitstage hat sich keiner erlaubt", schildert Batur. Immer mit der Hoffnung, übernommen zu werden. Doch die Verträge von rund 900 Leiharbeitern bei VW Nutzfahrzeuge sollen nicht verlängert werden, hatte Vorstandschef Stephan Schaller am Mittwoch mitgeteilt. Ziel sei es, die Beschäftigung der Stammbelegschaft mit etwa 18.000 Jobs zu sichern. Das Unternehmen erwartet einen drastischen Umsatzrückgang. Weltweit will der Konzern in diesem Jahr alle noch verbliebenen 16.500 Leiharbeiter-Stellen streichen."(...)


"krankheitstage hat sich keiner erlaubt", und die sich u.a. in eben solcher selbstgefährdung ausdrückende bereitwilligkeit, sich selbst von den kapitalisten vernutzen zu lassen, "zahlt sich nun noch nicht mal aus" - so dürfte spekulativ einer der gedankengänge bei den hungerstreikenden sinngemäß lauten. was wäre hier revolutionäres bewusstsein? vielleicht erkenntnisse darüber, dass die leiharbeit nur das i-tüpfelchen auf dem täglichen skandal der kapitalistischen zwangslohnarbeit darstellt, dazu noch die autoindustrie gesamtgesellschaftlich ein auslaufmodell darstellt und noch so bereitwillige verwandlung in arbeitswillige nichts an den benannten fakten und auch nichts daran ändern wird, dass die "arbeitgeber" die leiharbeiter eben nur als kalkulierbare und am leichtesten handhabbare größe in ihren kalkulationen betrachten, die in einer situation wie jetzt eben auch so behandelt werden? vielleicht aber auch ganz praktikable alternativen zur frage, wie diese männer sich selbst und ihre familien zukünftig ernähren können - ohne strukturen, die dazu führen, dass sie selbst, aber auch andere menschen in ganz anderen regionen unter ihrer arbeit bzw. den arbeitsbedingungen und den von ihnen hergestellten produkten zu leiden haben?

der hungerstreik als aktionsform scheint mir jedenfalls mehr als alles andere ein sehr passender ausdruck des eben nicht vorhandenen revolutionären bewusstseins bei den leiharbeitern zu sein - und das zu ändern, dürfte für eine sich als umwälzend begreifende linke tatsächlich in der kommenden zeit - in der mit mehr solcher aktionen zu rechnen ist - eine hauptaufgabe darstellen.

*

und viertens müssen geschichten wie die folgende, welche die inzwischen in den heulenden wahnsinn driftenden systeminternen
widersprüche deutlich machen, breit bekannt gemacht und entsprechend kommentiert werden:

(...)"F. ist arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger. 351 Euro vom Staat und der Zuschuss zur Miete reichen kaum zum Leben. F. setzt sich in der Fußgängerzone auf den Boden, stellt Blechdose und Pappschild auf und hofft, dass Passanten ein paar Münzen übrig haben. Er bettelt.

Im Behördendeutsch handelt es sich bei den Almosen allerdings um "zusätzliche Einkünfte von Leistungsempfängern". Der Mann hatte Pech: Ein Sachbearbeiter vom Sozialamt passierte in der Mittagspause die Stelle, an der Klaus F. bettelte, erkannte den Mann und schaute dann - nicht nur einmal - ganz genau hin.

In einem Brief vom Fachbereich Soziales der Stadt Göttingen konnte F. später lesen: "In den letzten Tagen habe ich Sie mehrfach gesehen, wie Sie vor dem Rewe-Supermarkt (...) gebettelt haben. Zuletzt lagen am 3.1. 2009 in der Mittagszeit circa sechs Euro und heute gegen 13 Uhr etwa 1,40 Euro in einer Blechdose."

Der pflichtgetreue Staatsdiener rechnete die Beträge hoch und kündigte an: "Ich beabsichtige daher, (...) einen Betrag von 120 Euro als Einkommen durch Betteln anzurechnen." Künftig werde Herr K. nur noch 231 Euro Unterstützung aus Hartz IV monatlich erhalten.

Noch nie hat das Sozialthermometer in Deutschland eisigere Temperaturen angezeigt. "Uns ist bundesweit kein ähnlicher Fall bekannt", sagt Martin Grönig vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, "so weit unten waren wir noch nie".(...)

Die Göttinger Vorgehensweise, sagt Manfred Grönig vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, verdeutliche aber einen Trend: "In der Sozialpolitik wird an allen Hebeln gedreht." Dass ein Sachbearbeiter sich überhaupt legitimiert fühle, in solch einer Sache aktiv zu werden und nicht einfach weitergehe zeige, "dass die Koordinaten verrutscht sind".

Die Stadt Göttingen hat Klaus F. inzwischen zu seinen Einkünften befragt und den "vorläufigen Bescheid wegen der vorgesehenen Kürzung der Leistungen korrigiert"; zurückgenommen hat sie ihn nicht."


in ihrer exemplarischen weise zeigt diese geschichte in zeiten gleichzeitiger milliardengeschenke an bankster und manager auf, was all das gerede von "sozialer marktwirtschaft" und dem "bestmöglichen system" tatsächlich für einen platz verdient - nur noch den in der mülltonne.

Sonntag, 22. März 2009

assoziation: von simulierten welten

"Wir blicken auf die Megamaschine der Moderne mit ihren explodierenden, implodierenden und zunehmend konvergierenden Mechanismen (`Globalisierung´), also auf dieses ganz und gar Gemachte, Artefaktische, wie auf ein `Natur´-Ereignis, das mit der unberechenbaren Eigendynamik einer Urgewalt über uns hereinbricht und nur noch durch bedingungslose Unterwerfung einigermaßen `beherrscht´ werden kann. Gleichzeitig verwandelt sich die ganze Welt der authentischen Person und ihrer Beziehungen in ein bewußt Gestaltbares, Machbares, Herstellbares: Wir kompensieren unsere sklavische Unterwerfung unter das Diktat der mechanistisch-toten Anonymität durch heroische Selbstgestaltungen, die in dieser Form gar nicht realisierbar sind. Auch wenn uns unsere Welt zunehmend entgleitet, und zwar in entwürdigender Weise, so versuchen wir doch alles, um wenigstens noch eine `gute Figur zu machen´.

Der spätmoderne Mensch präsentiert sich, auf allen Ebenen der Intellektualität, Weltmächtigkeit und auch im Privaten, als ziemlich lächerliche und realitätsflüchtige Figur. Die mentale Selbstversklavung des spätmodernen Typs in Gestalt der erniedrigenden und hoffnungsfrohen Unterwerfung unter den Terror der anonymen Mechanismen und des autistischen Objektivs kann durch nichts in der Welt kompensiert werden."

(j. erik mertz, borderline - weder tot noch lebendig; s. 311; siehe literaturliste)


*

als einstieg in diesen beitrag, den ich durch einige leseerlebnisse anderswo angeregt schreibe, finde ich das obige zitat - mit dem ich damals auch dieses blog begonnen hatte - sehr passend. das "warum" sollte sich in den folgenden absätzen erschliessen.
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und die beginne ich mit
dieser meldung aus österreich:

"Unerwiderte Liebe hat zu dem Mord mit anschließendem Selbstmord am späten Freitagabend in der Wiener Innenstadt geführt. Bei der Bluttat erschoss in den Räumlichkeiten der Österreichischen Autistenhilfe (ÖAH) in der Eßlinggasse 17 ein 29-jähriges Mitglied einer Autisten-Selbsthilfegruppe eine 24-jährige Studentin und danach sich selbst. Offenbar hatte sie seine Liebe zu ihr nicht erwidert, wie ÖAH-Vizepräsidentin Ruth Renee Kurz am Samstagvormittag schilderte.(...)

Er schoss mit dem Gewehr mehrfach auf die 24-Jährige, die in einem Wiener Studentenheim lebte. Die anderen Gruppenmitglieder brachten sich schwer geschockt in Sicherheit. Dann tötete er sich selbst in einem Nebenraum. Seper: "Es deutet alles darauf hin, dass es sich um eine Beziehungstat gehandelt hat."(...)

Fraglich ist, was den 29-Jährigen zu der Tat getrieben hat. Gerade bei Autisten seien solche Handlungen sehr ungewöhnlich, so Kurz: "Normalerweise ist es so, dass Autisten, wenn sie überhaupt zu Aggressionen neigen, diese eher gegen sich selbst richten. Gerade diese Kinder brauchen besonders viel Liebe, weil sie so übersensibel sind, viel sensibler als wir alle." Der ÖAH-Vizepräsidentin zufolge hat der Täter vor kurzem eine Bezugsperson durch Todesfall verloren, was seine Situation zusätzlich schwierig gemacht haben könnte."(...)


innerliches aufstöhnen war meine erste reaktion bei ansicht dieses artikels, und das bezieht sich vor allem auf den völlig unreflektierten gebrauch einiger worte - da wäre einmal das behauptete tatmotiv in gestalt der "unerwiderten liebe" - dazu hatte ich bezgl. verdinglichender wahrnehmungsmodi in der vergangenheit etwas geschrieben, was ich jetzt nochmal
zitiere:

"ich frage mich immer, wann sich endlich herumsprechen wird, dass menschen andere menschen, die auch als menschen wahrgenommen werden, unmöglich besitzen können /wollen. diese besitzidee könnte ihre basis in einer konstellation "ich vs. mein körper" als selbstwahrnehmung haben - und hat bereits dann, wenn nämlich diese konstellation in der selbstwahrnehmung dominant ist, eine gewisse pathologische qualität (ja, ganz recht, unser westliches normalbewußtsein...). anders: "besitzen" lassen sich nur dinge - oder eben menschen, die durch eine defekte wahrnehmung in dinge verwandelt werden. was mich zu einer etwas überraschenden assoziation bezgl. sogenannter "eifersuchtsmorde" bringt, die angeblich immer durch "übergroße liebe" verursacht werden. vielleicht existieren auch hier zwei qualitativ grundsätzlich verschiedene zustände von eifersucht: einmal eine authentisch-menschliche form, die durch schmerz über zurückweisung und (getriggerte) verlustgefühle (trauer!) auch älterer herkunft gekennzeichnet ist. und zum anderen eine "als-ob-eifersucht", bei der das wort liebe völlig fehl am platze ist, und die sich eben durch die kränkung durch den verlust eines für einen selbst wertvollen objektes auszeichnet. liebe lässt los, wenn auch unter schmerzen - die immer wiederkehrenden morde jedoch lassen ganz und gar nicht los, vernichten das ding lieber, und erkennen damit auch nicht die existenz einer anderen persönlichkeit als eigene qualität an. und das ist von liebe welten entfernt, wie ich finde."

ich sehe keine gründe, das obige grundsätzlich zu revidieren - wer bezgl. solcher eifersuchtsmorde ernsthaft von tatmotiven aus "liebe" redet, muss sich meiner meinung nach dringend mit seinem liebesbegriff auseinandersetzen. und natürlcih beschreibt das letzte zitat eine strukturell autistische position, die sich - versteckt - ebenso als psychophysische ausstattung bei vielen "normalen" und nicht als explizit autistisch diagnostizierten wiederfindet.

der täter im aktuellen fall hat gleich mehrfach auf die angebliche "geliebte" geschossen - mal ehrlich, wer soll diesen sprachgebrauch bei so einem deutlich an den tag tretenden vernichtungsdrang noch ernstnehmen? das gleiche gilt für den ausdruck "beziehungstat", der hier primär der verschleierung der sich aus den genannten fakten ergebenen offenkundigen tatsache dienen soll, dass eben keine (authentische) beziehung vorhanden gewesen sein dürfte.

das bei menschen mit diagnosen aus dem "klassisch" autistischen spektrum mordaktionen eines solchen kalibers "sehr ungewöhnlich" sein sollen, mag bei betrachtung der relationen zu den taten der "nt`s" (autistischer "slang" für die angeblich "neurologisch typischen") der fall sein - mir sind keine diesbezgl. statistiken bekannt, aber es existieren genügend hinweise dafür, dass auch diagnostizierte autisten durchaus in der lage sind, ihre aggressionen in extrem destruktiver manier nach außen zu richten - beispiele
hier und hier.

das es dazu tatbegünstigende umstände wie den benannten todesfall im umfeld des täters geben kann, halte ich für möglich. hingegen ist die behauptete sensibilität wieder etwas, was meiner meinung nach nicht mit pauschal mit der authentischen sensibilität gleichgesetzt werden darf - in den bisherigen blogbeiträgen zum thema autismus sollte deutlich geworden sein, dass es sich um eine schwere psychophysische störung besonders der sozialen (beziehungs-)fähigkeiten handelt, die u.u. kompensatorisch durch allerlei objektivistische simulationen "ersetzt" werden, was speziell für den versteckten strukturellen autismus gilt. das gilt es durchaus zu unterscheiden von der situation, in der sich bspw. schwer autistische kinder befinden, bei denen bezgl. spezieller wahrnehmungen durchaus so etwas wie eine übersensibilität zu verzeichnen ist. ich möchte nur in frage stellen, dass sich diese ausgerechnet auf die wahrnehmung sozialer beziehungen entwickelt. davon abgesehen: ich würde einen 29jährigen nicht mehr unbedingt als "kind" betrachten, selbst wenn diese bezeichnung seitens der zitierten leiterin der öah metaphorisch für den inneren entwicklungsstand des täters gemeint gewesen sein sollte.

als vorläufiges fazit möchte ich festhalten, dass anhand einer solchen tat für mich speziell am punkt der selbst- und fremdwahrnehmung bei sog. "beziehungs"tätern deutlich wird, dass die " klassischen" autisten bzw. ihre existenzweise sehr viel mehr mit den wahrnehmungsmodi scheinbar ganz "normaler" menschen zu tun haben, als uns allen lieb sein kann. und das gilt genauer gesagt nicht nur für solche taten, sondern
auch andere.

*

von anscheinend "privaten" welten, in denen simulierte und konstruktivistische "liebe" solche mörderischen folgen nach sich ziehen kann, springen wir in die öffentlichen - bei kritik und kunst ist mir ein aktueller beitrag mit dem titel
Die simulierte Welt: Von den Lügen der Mächtigen besonders ins auge gefallen - der text beschäftigt sich anlässlich der krise besonders mit der einerseits zu beobachtenden realitätsflucht bzw. -verdrängung seitens der sog. "eliten", die andererseits mit einem von aussen als schon starrsinnig zu betrachtenden festhalten an den systemtragenden simulationen, fakes und als-ob-konstrukten untrennbar zusammenhängt. hartmut finkeldey macht das u.a. an den notorisch verzerrenden statistiken zur erwerbslosigkeit fest:

(...)"Das kommt bei der infamsten wirtschaftspolitischen Lüge, dem infamsten "image", das der Neoliberalsimus in den letzten Jahren kreierte, sinnfällig zum Ausdruck. Ich meine die Lüge vom "Wirtschaftswunder 2.0", die Lüge des "die Reformen wirken, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Kaufkraft steigt" etc. Alle öffentlich zugänglichen Zahlen belegten damals, 2006 und 2007, problemlos, dass weder die Erwerblosigkeit real zurückging, noch die Kaufkraft der Bevölkerung stieg. Dennoch erlebten wir damals monatlich das gleiche Ritual: Es wurden real gar nicht existente "Erfolge am Arbeitsmarkt" verkündet, die GfK konstatierte einen "Anstieg der Konsumlaune" - und dass der Konsum real gar nicht stieg (und nicht steigen konnte, da ja die Kaufkraft fehlte), fand sich dann irgendwann auf Seite 15 unten in einer kleinen Meldung, wenn überhaupt.

Und dieser Vorrang des Virtuellen, diese Schein-Problemlösung (das Arbeitslosenproblem wird per Fake "gelöst") in einer Schein-Welt (die Reformpolitik bewirkt, das es "allen besser geht"), diese gespenstische Simulation ist alles andere als lediglich harmlose Real-Satire. Denn in einer Welt,in der Vollbeschäftigung simuliert wird, es real aber sehr wohl Erwerblose gibt, fallen die realen Erwerblosen eben als Überflüssige aus der Welt. Sie werden gleichsam weggekürzt. Wie schon gesagt: Aus naheliegenden Gründen - denn wenn die Wirklichkeit mit meiner Ideologie nicht übereinstimmt, desto schlimmer für die Wirklichkeit! - verbindet sich mit einer solch gespenstisch herbeisimulierten Welt die Neigung, die wirkliche Welt der Simulation anzupassen, und sei es durch Gewalt. Denn reale Erwerblose in einer fast schon der Vollbeschäftigung zustrebenden Welt darf es ja gar nicht "geben", sie müssen ja selbst schuld sein - und dürfen somit erbamungslos der Scheinwelt angepasst werden. Durch Sanktionen, Schikanen, verweigertes Geld. So stellt sich dann per Gewalt im Idealfall wirklich ("wirklich"!) die Arbeitslosenquote Null her..."(...)


das ist meiner meinung nach ein gut beschriebenes beispiel für den ständigen versuch der ersetzung der realität durch simulierte pseudo- bzw. als-ob-realitäten. ich möchte das nur noch dahingehend ergänzen, dass ich das problem tiefer sehe: wie der verlinkte beitrag schon selbst beschreibt, handelt es sich bei simulationen einer solchen dimension keinesfalls um "gewöhnliche" lügen; und das nicht primär deswegen, weil hier eine große zahl von personen an der systematischen konstruktion solcher als-ob-realitäten beteiligt ist, sondern eher deswegen, weil die virtuellen welten mutmaßlich für eine größere zahl der in "politik" & wirtschaft handelnden protagonisten die ihnen
einzig mögliche existenzweise darstellt - und warum die inneren strukturellen merkmale pathologischer art bei einzelnen menschen durchaus gesamtgesellschaftlich fatale folgen nach sich ziehen können bzw. gleichfalls ausdruck gesellschaftlicher verhältnisse darstellen, habe ich in anderen beiträgen schon öfter versucht, aufzuzeigen.

eine weitere assoziation zum empfehlenswerten k-u-k-beitrag noch:

(...)"Im Bereich des Politischen sind wir, spätestens, seit mithilfe von Massenmedien Legitimation hergestellt werden muss, mit einem Phänomen konfrontiert, das Arendt als "image-making" problematisiert hat. Dieses Image-making, diese Manipulation der Wirklichkeit im Bereich der Politik ist eben gerade kein punktuelles Lügen. Politik findet dann unter offenkundig falschen, erlogenen Voraussetzungen statt. Es handelt sich hier keineswegs um ein Oberflächenphänomen. Denn die Manipulierer sind gezwungen, wie Arendt richtig sah, die Wirklichkeit ihren Manipulationen anzupassen. Und es handelt sich dabei mitnichten nur um gefahrlose Flunkerei (etwa, wenn irgendwo Jubelperser hinbestellt werden, was ja manchmal, jüngst bei Sarkozy, auch eine heitere Note hat).

"Die Täuscher wie die Getäuschten müssen, schon um ihr "Weltbild" intakt zu halten, sich vor allem darum kümmern, daß ihr Propaganda-"Image" von keiner Realität gefährdet wird."(Arendt, Hannah, aaO, p. 359)


das, was da im zitat von hannah arendt beschrieben wird, ist aus meiner sicht nichts anderes als angewandter konstruktivismus, wie er auch als grundlage und technik in dem nicht zufällig in elitären kreisen beliebten sog.
neurolinguistischen programmieren benutzt wird, welches primär zum ziel hat, die eigenen fiktionen (die grenze zu klinisch relevanten wahngebilden ist hier mehr als fließend) als "realität" wahrzunehmen. es wäre eine durchaus interessante sache, mal bei gelegenheit nachzuforschen, wieviele der jetzt von der authentischen realität so in die bredouille gebrachten bankster, manager und die sie hofierenden politiker mittels nlp-methoden "gecoacht" worden sind, die tatsächlich darauf hinauslaufen, "die ganze Welt der authentischen Person und ihrer Beziehungen in ein bewußt Gestaltbares, Machbares, Herstellbares" zu verwandeln, wie mertz es ausdrückt. einige bekannte beispiele sind im verlinkten beitrag zu nlp anfangs schon genannt.

*

in einem ganz anderen zusammenhang beschäftigt sich gleichfalls robert kurz in einem
interview - ebenfalls anläßlich der aktuellen krise - mit der virtualisierung sozialer zusammenhänge, speziell innerhalb linker theorie & praxis - und ich möchte dabei explizit auf den benannten aspekt eingehen (wobei das schon als teil meines zuletzt angekündigten antwortversuchs hinsichtlich der demonstrationen am kommenden wochenende betrachtet werden kann):

(...)"Warum ist die Schande der Krise auch die Schande der postmodernen Linken?

Die Krise ist keine Schande, sondern ein objektiver Prozess, der aus der blinden Dynamik von Konkurrenz und unkontrollierter Produktivkraftentwicklung resultiert. Hinsichtlich der postmodernen Linken kann man insofern von einer Schande sprechen, als sie die Kritik der politischen Ökonomie größtenteils über Bord geworfen hat. Der „Ökonomismus“ der traditionellen Parteimarxisten wurde nur kritisiert, um die negative Objektivität der kapitalistischen Kategorien von „abstrakter Arbeit“ und „Verwertung des Werts“ gleich ganz zu entsorgen. Die Krisendynamik des Kapitalismus wurde völlig verkannt und in „unbegrenzte Möglichkeiten“ umgedeutet. Wie die neoliberalen Eliten glaubte die postmoderne Linke an das „finanzgetriebene Wachstum“ und machte sich zu einem ideologischen Ausdruck des fiktiven Kapitals. Den ökonomische Virtualismus ergänzte der technologische Virtualismus des Internet. Das „second life“ im virtuellen Raum mutierte zur „eigentlichen“ Lebensform, die angebliche „immaterielle Arbeit“ (Antonio Negri) zur Fortsetzung der kapitalistischen Arbeitsontologie.(...)

Der falsche ökonomische und technologische Virtualismus schlug sich philosophisch in einer Erkenntnistheorie nieder, die den fetischistischen „realen Schein“ des Kapitalverhältnisses nicht mehr kritisieren und überwinden wollte, sondern zu dem Glauben verführte, sich in diesen Verhältnissen „selbst verwirklichen“ zu können. Das „eiserne Gehäuse“ (Max Weber) des warenproduzierenden Systems wurde den virtualistischen Illusionen entsprechend in eine jederzeit und für alles offene „Ambivalenz“ und „Kontingenz“ umdefiniert, die beliebig begehbar zu sein schien. Wahrheit, auch die negative Wahrheit der Kritik, sollte keine objektive Grundlage in den Verhältnissen mehr haben, sondern als „produzierbar“ und „verhandelbar“ gelten. Das negative Wesen des Kapitals löste sich für die postmoderne Linke in eine unbestimmbare „Vielfalt“ von Erscheinungen auf, die sich als zusammenhanglose „Vielfalt“ sozialer Bewegungen ohne Fokussierung auf den harten Kern des Kapitals darstellen sollte.

In sozialer Hinsicht war die postmoderne Linke ein Trendsetter der kapitalistischen Individualisierung und Flexibilisierung. Das abstrakte Flexi-Individuum wurde nicht als Krisenform des bürgerlichen Subjekts erkannt, sondern zum Vorschein befreiter Individualität schon innerhalb des Kapitalismus verklärt. Statt als letzte Daseinsform des totalitären Marktes und als drohender „Krieg aller gegen alle“ in der universellen Krisenkonkurrenz erschien die Individualisierung als atomisierte Form der „Selbstverwirklichung“ und der „flexible Mensch“ (Richard Sennet) nicht als hilflos getriebenes Objekt kapitalistischer Zwänge, sondern als „Souverän“ seiner selbst, der neue Spielräume gewinnen und alles aus sich machen könne. Die Nähe des postmodernen Denkens zur neoliberalen Ideologie war trotz aller äußeren Gegensätze immer unverkennbar. Jetzt steht die postmoderne Linke vor den Trümmern ihrer Illusionen und wird mit der harten Realität einer epochalen Krise konfrontiert, die sie von Anfang an nicht wahrhaben wollte und auf die sie deshalb nicht vorbereitet ist."(...)


mal von dem spezifischen hintergrund der kurzschen "wertkritik", die ich hier nicht weiter erläutern kann und will, abgesehen, ist der obige befund für mich durchaus schlüssig - wenn dazu die notwendige benennung der dazugehörigen psychophysischen prozesse (wie traumatisierungen, ihre möglichen folgen und auch die gesellschaftliche verbreitung antisozialer bis soziopathischer pathologien) erfolgt, die ich sowohl als ausdruck wie auch gleichfalls als motor der hier leider wieder mit dem falschen ausdruck "individualisierung" bezeichneten prozesse begreife - es geht um vereinzelung und die zerstörung sozialer zusammenhänge bzw. deren versuchte ersetzung durch konstruktivistische und simulative surrogate, für die seit der verbreitung von computern und internet gewaltige und historisch neue möglichkeiten vorhanden sind (nebenbei: ich bezweifle, dass die dynamik der aktuellen krise ohne computer so möglich wäre).

die benannte postmoderne ist dabei aus meiner persepktive identisch mit der anfangs von mertz erwähnten "spätmoderne", auch wenn dieser die postmoderne in seinem modell bereits als erledigt ansah. und wenn ich hier im blog von der ersteren spreche, so meine ich auch immer die letztere.

es steckt sehr viel im zitat von kurz, auf das ich nur unzureichend eingehen kann - und der satz "Die Nähe des postmodernen Denkens zur neoliberalen Ideologie war trotz aller äußeren Gegensätze immer unverkennbar." ist ein volltreffer in der hinsicht, als das er viele fragmente politischer, ökonomischer, sozialer und gerade auch kultureller entwicklungen, die hier im blog auch schon als explizite probleme begriffen worden sind, in den meiner meinung nach realistischen größeren zusammenhang bringt.

die postmoderne linke hat sich dieses attribut vor allem dadurch "verdient", in dem gerade in ihren sog. popkulturellen und auch gender-politischen fraktionen die dominanz konstruktivistischer ansätze ein ausmaß angenommen hat, welches zwangsläufig in ganz eigene formen der als-ob-welten führen musste - ohne irgendwann noch begreifen zu können, dass all diese welten sowohl untrennbar mit der authentischen sozioökonomischen realität nicht nur verbunden sind, sondern darin ihre grundlagen besitzen; als auch ausdruck von problematischen bis offen pathologischen entwicklungen darstellen - das hatte ich hinsichtlich der debatten zu sex und gender und ihrer betonung von nötigen dekonstruktionen geschlechtlicher identitäten in früheren beitragen bspw.
so ausgedrückt...

"konstruierte identitäten, die bis heute den kern der gesellschaftlichen geschlechterstereotypen bilden, sind beliebig austausch- und natürlich auch dekonstruierbar - aber das eigentliche problem versteckt sich eher dahinter: konstruierte identitäten bilden primär krücken für diejenigen, die aufgrund psychophysischer schäden die (körperlichen) grundlagen ihrer eigenen authentischen identität entweder nicht (mehr) wahrnehmen oder aber deren grundlagen erst gar nicht entwickeln konnten."

...oder auch
so:

"warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar. und das ist eben vielleicht auch am besten in jenen feministischen strömungen zu sehen, die ernsthaft in der "befreiung" von der eigenen körperlichkeit letztlich eine tendenz weiterführen, die ebenso ein nietzsche in seinem konzept vom "übermenschen" bereits entwirft. zufällig ist das weder im einen noch im anderen fall - gerade frauen haben eine vielfältige und leidvolle erfahrung mit angriffen auf die eigene subjektivität und körperlichkeit (bei männern dürfte das imo ebenfalls eine rolle spielen, wobei hier die bereits sowieso weiter fortgeschrittene entfremdung von eigener körperlichkeit und sinnlichkeit eine rolle spielt)."

und hinsichtlich der sog. poplinken, von denen in einer ihrer verfallsformen nur noch ein durchaus positiver, aber "irgendwie kritisch" gemeinter bezug auf sog. "bewusstes konsumieren" übriggeblieben ist (dazu gehören auch durchaus alle fragen des sog. styles), findet sich hier ein passendes zitat einer rezension des buches
"fake for real":

(...)"Das Bedenkliche daran ist, dass in die Simulation politischen Handelns nur allzu gerne eingewilligt wird. Judith Mair und Silke Becker, altersmäßig der als apolitisch gescholtenen Generation Golf zugehörig, ziehen in ihrem Buch "Fake for real. Über die private und politische Taktik des So-tun-als-ob" erleichtert den Schluss, dass die Ära der "Objektivitätsapostel" mit ihren ideologischen Scheuklappen endgültig überwunden sei. Statt großen Posen in der politischen Arena empfehlen die beiden Autorinnen smartes Verhalten in der Warenwelt: "Als aktive Konsumenten sind wir zugleich immer auch konsumierende Aktivisten, die sich aus einem gut bestückten Freizeitparksortiment und Supermarkt das herauspicken, was ihrer ,politischen Gesinnung' nahe kommt."

Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis vieler Menschen in den Dreißigern, die statt von Bebel von Baudrillard gelernt haben, politische Gesinnung nur noch in Anführungszeichen denken zu können. Der Austausch von widerstreitenden Positionen, die Geltungsansprüche von Welterklärungsmodellen wird mit Kusshand den "immergleichen selbsternannten Diskurshoheiten" (Mair/Becker) überlassen. Man selbst wähnt sich in der pfiffigeren Position und verfolgt amüsiert das Politainment der Titanic-Partei und die situationistischen Einflüsse bei Guido Westerwelle.

Die schonungslose Analyse hat man drauf, klar, doch um das Eingeständnis, über die jahrelangen Dekonstruktionsarbeiten irgendwie auch seinen Politikbegriff verloren zu haben, drückt man sich noch herum."(...)


das traf schon damals - vor fast vier jahren - genau den punkt, der bei robert kurz jetzt genauer ausgeführt wird.

umso ärgerlicher finde ich, dass er - sozusagen auf einer weiteren metaebene - das zugrundliegende problem der zentralen verleugnung der tatsache, "das menschen beziehungswesen aus fleisch und blut" (mertz) sind, und die nichtberücksichtigung der konsequenzen aus dieser elementaren basis für alle nur denkbare sozialität ebenfalls weiterführt, und zwar mit folgendem absatz aus dem interview:

(...)"Für eine neue soziale Emanzipationsbewegung geht es nicht mehr darum, ein „objektives Subjekt“ wachzuküssen, sondern ohne ontologische Rückversicherung die Subjektform überhaupt zu kritisieren und als kapitalistische Daseinsform zu dechiffrieren. Die Form „Subjekt“ kann immer nur ein Agent des „automatischen Subjekts“ von Kapitalverwertung sein und darf nicht mit dem Willen zur emanzipatorischen Aktion verwechselt werden, der sich selbst konstituieren muss und keine ontologische Grundlage haben kann. Das ist schwer zu denken, weil gerade die postmoderne Linke die Kritik des Subjekts aufgegeben hat (so ist der späte Foucault zur Beschwörung des partikularisierten Subjekts zurückgekehrt). Diese Kritik ist vor allem deshalb gescheitert, weil sie nicht mit der Kritik der politischen Ökonomie vermittelt war."(...)

ich betrachte das "subjekt" im kapitalismus immer als ein als-ob-subjekt, weil es sich von seinen dominierenden psychophysischen funktionsweisen her betrachtet eher um ein schwer beschädigtes subjekt handelt, welches diese beschädigungen - die sich vor allem im gesamten bereich der sozialen beziehungen manifestieren - kompensatorisch versucht, mittels verdinglichung/objektivierung seiner selbst und auch aller anderen, genauer gesagt alles lebendigen anderen, auszugleichen - es geht also um überlebensversuche, die bei einer postulierung des subjekts als "eigentlich überflüssig" an stärke und verzweiflung nur noch zunehmen werden. die sog. subjektform, die kurz als identisch mit der "kapitalistischen daseinsform" begreift, ist aus meiner perspektive eigentlich keine authentische subjektform mehr, besser gesagt, es ist ihre totale negierung: nämlich der
soziopath (unabhängig davon, unter welchen namen diese extreme manifestation der kapitalistischen normen in körperlicher gestalt nun historisch bisher aufgetreten ist). hier haben wir den meiner meinung nach einzigen tatsächlichen fall, in dem das subjekt aufgrund psychophysischer prozesse tatsächlich zu einer art objekt im totalitären, d.h. allumfassenden sinne, und damit zur kapitalistischen daseinsform, geworden ist.

es bedarf zu einer tatsächlichen emanzipation bei den meisten menschen also eher des zurückdrängens der objektivistischen, konstruktivistischen und simulativen prozesse, was ich gleichbedeutend mit gesundung begreifen würde - und zwar nicht mit einer gesundung im sinne kapitalistischer verwertungs- und leistungsfähigkeit, wie hoffentlich klar sein sollte. wir brauchen gerade mehr authentische subjektivität und auch individualität, um zur authentischen kollektivität zu kommen!

Freitag, 20. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (30)

zur in den letzten news nr.29 bzw. den dortigen kommentaren aufgekommenen diskussion über das verhältnis von teilen der bundesdeutschen linken zu den demonstrationen am 28.3. und zum (nicht-)verhalten im angesicht der krise generell plane ich einen eigenen beitrag. oder besser gesagt, wird das ein unterthema in einem schon länger auf halde liegenden artikel zu spezifisch "deutschen" reaktionen sein - ich halte die linke und auch ihre radikaleren teile in der hinsicht nur für die andere seite der medaille. und war der elitäre gestus einiger fraktionen in der vergangenheit "nur" ärgerlich, so wird er hinsichtlich potenziell eskalierender übler verteilungs- und überlebenskämpfe zukünftig geradezu suizidal. und deswegen sollten die demonstrationen nächste woche auch ein anlaß sein, die längst notwendige kritik an der abstinenz großer teile der linken von der hiesigen sozialen realität breiter zu führen bzw. überhaupt zu beginnen. bis dahin nochmal ein blick in die welt:
  • frankreich I: mobilisierung zum zweiten landesweiten streiktag noch massiver - erste ankündigungen eines unbefristeten generalstreiks ab 1.mai
  • frankreich II: regierungsmitglieder und andere angehörige der "eliten" bekommen kugeln und drohbriefe zugesandt
  • usa I: "aig"-manager als allgemeine sündenböcke
  • usa II: bericht zur aktuellen erwerbslosigkeit und ihren folgen für die betroffenen
  • europa / global: zusammenfassender überblick zur vorbereitung der repressionsapparate
  • global: zum neuen geab
  • global: interview mit walden bello
  • deutschland: linksradikale positionen zu den demonstrationen am 28.3.
  • deutschland: wie die krise psychophysische störungen triggert
  • in aller kürze: erwerbslosigkeit in großbritannien erreicht neue rekorde / weiterer autobombenanschlag in athen / straßenschlacht zwischen studenten und polizei in barcelona / fotoserie: gesichter einer globalen depression / zum billionen-dollar-paket der fed: letzte ausfahrt gelddruckerei
*

es war das angekündigte und auch zu erwartende massive erneute zeichen im nachbarland: der gestrige generalstreik hat nochmals mehr menschen mobilisiert als im januar, und mittlerweile dürfte nicht nur den dortigen regierenden, sondern (oberflächlich betrachtet) paradoxerweise auch den großen gewerkschaften klar sein, dass sie bei der mit etlicher wahrscheinlichkeit eintretenden weiteren verschärfung der sozioökonomischen lage ernste
probleme bekommen werden:

(...)"Die Umverteilung von unten nach oben, die europaweit die Krise begleitet, mag an der Spitze der nationalen und europäischen Verwaltungen Konsens sein. Aber an der Basis wachsen die Zweifel daran, dass es sinnvoll ist, den Kapitalismus zu retten. Und erst recht daran, dass dies auf Kosten der Schwachen geschehen sollte.

Die massiven Demonstrationen und Streiks in Frankreich sind keine nationale Politikfolklore. Die FranzösInnen äußern lediglich Forderungen, die auch anderswo in Europa gären. Nach einer anderen Politik. Und nach mehr sozialer Gerechtigkeit.

Für die nationalen und europäischen SpitzenpolitikerInnen liegt in der Suche nach der Antwort auf diese Forderungen die größte Herausforderung der Gegenwart. Doch auch die Gewerkschaften - sowohl die französischen als auch die anderen europäischen, und insbesondere der riesige Apparat des DGB - stehen unter dem Druck und den Erwartungen der Basis. Wenn sie sich nicht just von ihrer ureigensten Klientel überrennen lassen wollen, müssen sie - europaweit - konkrete Forderungen und Alternativen formulieren und in Aktion treten."


ja, das wird für alle großen, der fiktion der "sozialpartnerschaft" verpflichteten und nicht nur dadurch zahnlosen gewerkschaften in europa ein netter spagat werden, bei dem sie am ende aber nur auf die nase fallen können - eine sich radikalisierende basis, die zudem auf die idee kommen könnte, sich mit den allseits anschwellenden heeren der erwerbslosen zu solidarisieren, dürfte zu den natürlich niemals zugegebenen alpträumen der funktionärsapparate zählen. und ich schätze die situation diesbezgl. zumindest in südeuropa anders ein als hier oder auch in großbritannien - in frankreich, aber in maßen auch in spanien und italien (von griechenland ganz zu schweigen) haben sich zumindest bis heute fragmente entsprechender widerstandstraditionen erhalten. entscheidend wird aber auch hier die antwort auf die frage sein, wieweit besonders die rassistischen spaltungslinien in den gesellschaften aktiviert werden - nicht umsonst haben die "eliten" in spanien und besonders italien die ausländerfrage momentan zu einem zentralen thema gemacht.

ansonsten hat sich auch die einschätzung der letzten news bestätigt, dass die relativen erfolge der generalstreiks in den karibischen überseegebieten als zeichen auch im kernland entsprechend
wahrgenommen worden sind:

(...)"Allein, um den wirtschaftsliberalen Winter auszutreiben, dürfte es des munteren Frühlingstreibens noch nicht genug gewesen sein. Richtigerweise verkündete ein auffälliges Transparent, das auf der Pariser Place de la Nation – wo die Pariser Demonstration sich am Abend auflöste, nicht ohne Widersetzlichkeiten und Zusammenstöße mit der Polizei (über 300 Verhaftungen, 49 Strafverfahren werden eingeleitet) – zwischen zwei Bäumen aufgehängt war: „Was wird ein Aktionstag ändern? Das Mindeste, was es braucht, sind 44 Tage (G)Rêve Général(e)“. Bei letzterer Formulierung handelt es sich um ein, seit einiger Zeit weit verbreitetes, Wortspiel mit den Begriffen ‚Rêve' (Traum) und ‚Grève générale' (Generalstreik).

Und die 44 Tage sind eine offene Anspielung auf die jüngsten Ereignisse auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe, wo vom 20. Januar bis zum 4./5. März dieses Jahres ein Generalstreik stattgefunden hatte, angeführt vom Kollektiv LKP (kreolisch für „Zusammen gegen Ausbeutung“). Das Beispiel aus der Karibik wurde in der Demonstration vielfach zitiert und kehrte in Form von Aufklebern und Slogans wieder. Nicht nur der Autor dieser Zeilen, der seinen Einfall für vermeintlich originell hielt, führte ein selbstgebasteltes Schild ‚Nous sommes tous des LKP' (Wir sind alle LKP..) spazieren. Der Gewerkschaftszusammenschluss Union syndicale Solidaires – in dem u.a. die diversen linksalternativen Basisgewerkschaften vom Typus SUD zusammengeschlossen sind – forderte gar „offiziell“ auf zahlreich verbreiteten Aufklebern: „Wie in Guadeloupe: 200 Euro mehr für alle!“ Andernorts führten etwa Studierende Schilder mit sich, die – in Abwandlung vom kreolischen Namen des LKP – in unbeholfenem Franko-Kreolisch ‚Liannay pour Edukation' (Gemeinsam für Bildung) forderten."(...)


es gab gestern an verschiedenen stellen im netz zitate aus dem gewerkschaftslager, dass die option eines unbefristeten generalstreiks ab mai durchaus in der diskussion ist; v.a. im hinblick auf die absehbaren nichtreaktionen der regierung. das bedeutet meiner meinung nach nichts anderes als das eingeständnis, dass sich die großen gewerkschaften zusehends unter dem druck ihrer basis befinden (dazu sind auch die von b. schmid in seinem artikel geschilderten auseinandersetzungen zwischen verschiedenen gewerkschaften bzw. ihrem führungspersonal interessant). eine basis, die in den unmittelbaren konflikten in den betrieben und fabriken offensichtlich dazu tendiert, zunehmend militanter vorzugehen und sich bei verschärfung der situation mehr und mehr nicht mehr mit alleinigen, wenn auch großen, massendemonstrationen an einem tag begnügen dürfte. zur frage, wie es weitergeht, schließt der artikel so:

(...)"Voraussichtlich schon am heutigen Freitag entscheiden die acht Gewerkschaftsdachverbände und –zusammenschlüsse, die die letzten beide Aktionstage am 29. Januar und 19. März 2009 organisiert hatten, über ihr weiteres Vorgehen. Es zeichnet sich anscheinend ab, dass die Linie darauf hinausläuft, „rund um den 1.Mai“ 2009 zu neuen Protesten aufzurufen."

optische impressionen zum gestrigen tag aus verschiedenen französischen städten gibt es
hier. ja, und dann wären da noch - zumindest in den medialen darstellungen - seltsam bezuglosen auseinandersetzungen zwischen polizei und - ja, wem eigentlich? in paris letzte nacht. sollten sich da "die banlieus" gemeldet haben? die situation nicht nur dort bleibt angespannt.

*

ein beleg dafür stellt auch die folgende kurze
meldung dar:

"Nach Staatschef Nicolas Sarkozy und mehreren Ministerinnen hat nun auch der französische Premierminister François Fillon einen Drohbrief erhalten. "Ihr verbreitet Angst - nun ist es an euch, Angst zu haben", hieß es laut Justizangaben in dem an Fillon gerichteten Schreiben. Auch ein Journalist des Radiosenders Europe 1 erhielt demnach einen Drohbrief, dem Schreiben war eine Pistolenkugel beigelegt. Vor rund zwei Wochen hatten Sarkozy, die Ministerinnen für Inneres, Justiz und Kultur sowie mehrere Mitglieder der konservativen Regierungspartei UMP ähnliche Schreiben mit Morddrohungen erhalten."(...)

meine persönliche befürchtung schon im vergangenen herbst war ja, dass wir bei einer weiteren eskalation der krise nicht nur die "klassiker" rassismus und antisemitismus verschärft als ausdruck gesellschaftlicher spaltungen auf die füße bekommen, sondern es ebenfalls zu wellen scheinbar ungerichteter bzw. wahlloser negativer(!) aggressionen quer durch alle gesellschaftlichen bereiche kommen wird - bei ansicht vo solchen meldungen wie oben und auch bei den derzeitigen ereignissen in griechenland ergänze ich das jetzt um die vorhersage, dass wir auch ein revival des sog. terrorismus erleben werden - ob als couterinsurgency-strategie oder auch als authentischen ausdruck von wut auf die "eliten", sei erstmal dahingestellt. der boden dafür wird jedenfalls tag für tag bereitet.

*

und das sich zumindest die verbale militanz deutlich verschärft, machen auch aktuelle
beispiele aus den usa deutlich - stichwort "aig":

(...)"Er kramt einen Zettel aus seinen Akten. "Alle Manager und ihre Familien", liest er ruhig daraus vor, "sollten hingerichtet werden, mit Klaviersaitendraht um den Hals."

Bei dem Zettel handelt es sich nach Liddys Worten um nur eine von zahllosen Morddrohungen, die er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Tagen bekommen haben. Es folgt ein weiterer Drohbrief: "Ich werde die Namen aller Firmenchefs und ihrer Kinder herausfinden", heißt es darin(...)

Längst gilt AIG als Paradebeispiel für die nimmersatte Finanzer-Kaste, die selbst in der finstersten Krise noch abkassiert. "Nicht so schnell, ihr raffgierigen Schweinehunde", schreit die Schlagzeile der "New York Post" an den Kiosken, wo AIG in einem Art-déco-Wolkenkratzer unweit der Wall Street residiert - ein Wahrzeichen, das AIG jetzt notgedrungen auf den komatösen Immobilienmarkt wirft.(...)

Blogs und Online-Foren quellen über vor zynischen Kommentaren, ebenso Social-Network-Sites wie Facebook und Twitter. Die Nachrichtensender strahlen Heimvideos von Zuschauern aus, die gegen AIG wüten. Die "New York Times" berichtet, sie habe selten so viele böse Zuschriften bekommen wie zu AIG.

Nach den Morddrohungen gegen Mitarbeiter hat AIG zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Bewaffnete Beamte patrouillieren vor der Finanzverwaltung in Connecticut. Einige Angestellte erschienen trotzdem aus Angst erst gar nicht zum Dienst."(...)


das alles ist schwer bedenklich - und das, obwohl ich durchaus kein anhänger der these vom anonymen system bin, bei dem es nicht auf die austauschbaren protagonisten ankäme - es gibt durchaus real verantwortliche und sehr konkrete personen, die ganz konkret getan und gelassen haben, und dazu gehören nicht nur in diesem speziellen fall auch viele derjenigen politiker, die jetzt - wie in den usa - auf die bankster und verwandtes gelichter aus populistischen gründen einprügeln, vorher aber jahrelang eben diese bereitwillig hofiert und bedient haben. das problem ist nur, dass die wut durchaus real und auch berechtigt ist, und es wird für jede emanzipatorische und antikapitalistische bewegung nötig sein, wege und mittel zu finden, um diese wut tatsächlich auf die richtigen ziele zu lenken, ohne dabei ihren eigenen grundlagen zu verraten. wer hier meint, man müsse nur "ruhig und sachlich" das ganze system abwickeln, verkennt schlicht die psychophysischen dynamiken teils extremster destruktivität, die der totalitäre kapitalismus zwangsweise ständig produziert. und die jetzt in der krise endgültig virulent werden.

*

gerade in den usa dürfte diese destruktivität zukünftig stark zunehmen - rund um den fetisch arbeit und all die dazugehörigen "werte"systeme organisiert, die von einem großteil der bevölkerung bis dato bereitwillig geschluckt werden, stellt sich die zwangsweise erwerbslosigkeit immer noch für die meisten nicht als chance, sondern als
persönliche katastrophe dar - die letztere wird allerdings regelrecht vom system produziert:

(...)"Da dürfte sich noch einiges ansammeln. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf einem Höchststand, der Run auf die wenigen freien Jobs wird brutaler. In Miami meldeten sich mehrere Hundert Interessenten auf 35 Plätze bei der Feuerwehr. Der Paketdienst UPS erhielt in der Weihnachtszeit eine Rekordzahl von 1,4 Millionen Bewerbern statt der üblichen 500.000 für Aushilfsjobs in Packzentren. In Independence, einer Kleinstadt des schwer getroffenen Bundesstaats Ohio, mussten Feuerwehr und Polizei vorvergangene Woche eine Jobmesse vor Tausenden verzweifelten Arbeitssuchenden schützen. Die Stände drohten überrannt zu werden.

Der Begriff der Great Recession macht inzwischen die Runde in Amerika – eine Anspielung auf die Große Depression der dreißiger Jahre. Nicht mehr das schrumpfende Bruttoinlandsprodukt gilt als Maßstab für die Schwere der Krise, sondern die massive Arbeitsplatzvernichtung. Anders als in einem normalen Abschwung ziehen sich heute ganze Branchen zurück. Der Ökonom Kenneth Rogoff von der Harvard-Universität kann sich vorstellen, dass die US-Autoindustrie innerhalb der nächsten fünf Jahre verschwunden sein wird. »Und der Einzelhandel könnte sich halbieren.« Das bedeutete allein den Verlust von zwölf Millionen Stellen.

Am Tag nach ihrer Entlassung rief Sheri Howe vier Personalberater an. »Die Uhr tickt, ich darf keine Zeit verlieren«, sagt die 37-Jährige, die jahrelang in der Personalabteilung einer großen New Yorker Anwaltskanzlei arbeitete. Im Jahr 2007 hat sie im grünen Vorort Westchester eine kleine Wohnung gekauft, die monatliche Rate an ihre Hypothekenbank liegt bei 1800 Dollar.

Howe hat ihr Gefrierfach mit Sonderangeboten vollgestopft und eine Liste der möglichen »Grausamkeiten« aufgestellt: Kabel-TV kündigen, die Mitgliedschaft im Fitnessstudio ebenso aufgeben wie die Garage für das Auto, ohne das in der Vorstadt nichts geht. Die monatliche Patenschaft für ein Mädchen in Guatemala will sie unter keinen Umständen kündigen. Sie hat aber überlegt, zu ihren Eltern ins ländliche Pennsylvania zu ziehen. Doch wer würde ihre Wohnung nehmen? Im Augenblick kauft man in Amerika keine Wohnungen. Millionen Bürger sitzen in ihrem eigenen, im Boom überteuert eingekauften Heim wie in einer Falle."(...)


bei den jetzt schon längere zeit immer ähnlich lautenden berichten aus den usa frage ich mich nur noch, wann es da wirklich knallt - obama dürfte das etwas aufgeschoben, aber nicht aufgehoben haben.

*

und wer die newsreihe hier schon längere zeit verfolgt, wird wissen, dass sich nicht nur in den usa die repressions- bzw. sog. "sicherheits"apparate schon länger mit eben dieser frage ausführlich beschäftigen. ein sehr empfehlenswerter
überblick dazu ist aktuell bei telepolis zu lesen; aber auch in konservativen medien werden die wahrscheinlichen unruhen offen thematisiert:

(...)"In Brüssel geht die Angst um. Immer wieder haben hohe EU-Beamte in den vergangenen Wochen bei internen Diskussionen davor gewarnt, dass im Herbst „soziale Unruhen“ in Europa ausbrechen könnten. Besonders gefährdet: Irland, Großbritannien, Griechenland und einige osteuropäische Staaten. Die EU-Strategen rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit ab Mai hochschnellen wird – dann laufen viele Förderprogramme aus und etlichen Unternehmen fehlt langsam das Geld. „Ich fürchte eine soziale Krise, die vor allem durch Massenarbeitslosigkeit geprägt sein wird“, warnt Europas dienstältester Regierungschef Juncker. Und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso pflichtet bei: „Es wäre ein fundamentaler Fehler zu glauben, die EU müsse nur auf Finanzmarktregulierung achten.“

Auch die Gewerkschaften drängen zur Eile. „Ich fürchte, dass es in einigen Ländern schon bald zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommt, wenn die EU-Staaten bei ihren Ausgaben nicht nachlegen und mehr Geld in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen investieren“, sagt Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Gewerkschaften fordern höhere Ausgaben für Kurzarbeit und Umschulungen.

Und sie machen Druck. Anfang April, erzählt Hoffmann, werden in Rom rund eine Million Demonstranten erwartet, mindestens 200.000 Menschen werden Mitte Mai nach Brüssel kommen. „Sie wollen nicht die Opfer der Krise sein“, sagt Hoffmann.

„Die Leute sind wirklich wütend“, sagte der Franzose Maurice Lévy, Chef von Publicis, eine der weltgrößten Werbeagenturen. Die Politiker hätten die Ängste der Menschen einfach weggewischt, statt ihnen ihre Maßnahmen zu erklären. Und im gleichen Atemzug Milliarden Euro den Banken hingeblättert, deren Manager obendrein Boni kassieren. „Wir stehen vor einem neuen Klassenkampf“, sagt Lévy der „Financial Times“.

Wie auch immer man das nennen mag, was seit Monaten unter und über der Oberfläche brodelt: Es erfasst ganz Europa. Begonnen hat das, was vielleicht im Verlauf des Krisenjahrs 2009 in Massenunruhen müden könnte, Anfang Dezember in Griechenland. Der Tod eines 15-jährigen Autonomen, den die Polizei in Athen erschoss, löste wochenlang gewalttätige Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und Sicherheitskräften aus. Sehr bald war klar, dass es um viel mehr ging als um die Wut über die Tötung eines jungen Mannes: um lang aufgestauten Frust. Über 24 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Über eine als korrupt angesehene politische Klasse. Über die ständig wachsenden Zahl illegaler Einwanderer."(...)


nicht nur die eher unfreiwillig geschilderte rolle der etablierten gewerkschaften als systemstabilisatoren ist hier bemerkenswert, sondern v.a. sind die letzten worte zwar für bestimmte bevölkerungsteile leider zutreffend, können aber auch als ein erbärmlicher versuch gelesen werden, mittels worten die schon oben erwähnten gesellschaftlichen spaltungslinien zu aktivieren. denn gerade auf griechenland bezogen, wo in der revolte auch ebenso viele migranten und "illegale" aktiv sind und waren, stellt das eine demagogische realitätsverdrehung dar.

*

letzteres, wenn auch ohne das zusätzliche attribut, muss ich leider ebenfalls dem aktuellen und ansonsten geschätztem
geab attestieren:

(...)"Viele Leser werden sich daran erinnern, dass wir schon ab Dezember 2007, in der 20. Ausgabe des GEAB, vor der Immobilienblase in Mittel – und Osteuropa gewarnt hatten.

Wir halten dieses Thema aber nur unter einem Blickwinkel für von besonderer Bedeutung: Es zeigt, wie Wall Street und die Londoner City versuchen , den Eindruck zu erwecken, die EU sei schwersten Verwerfungen ausgesetzt und der Eurozone drohe eine fast schon tödliche Gefahr. Ständig werden Informationen über die Kreditrisiken in Osteuropa in die Medien eingespeist. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, die Regierungen der Euro-Länder würden die Krise nur zögerlich bekämpfen, ganz im Gegensatz zu den Amerikanern und Briten, die die richtigen massiven Maßnahmen ergriffen hätten. Hier geht es darum, die internationale Aufmerksamkeit von den Problemen des US- und britischen Bankenbereichs abzulenken und ganz nebenbei auch die Position der Euroländer im Vorfeld des G20-Gipfels zu schwächen."(...)


das halte ich zumindest für eine massive verharmlosung der innereuropäischen situation, was zwar für einen ausdrücklich europafixierten thinktank verständlich ist, aber in den konsequenzen der darstellung - nämlich eine faktische frontstellung der eu gegen den "angelsächsischen kapitalismus" schlicht völlig in die irre führt, und dazu das eigenständige destruktive und durchaus imperialistische potenzial der herrschenden europäischen "eliten" völlig negiert. aber auch diese sind keine opfer, sondern täter - selbst dann, wenn am dargestellten vorgehen primär der usa durchaus etwas dran ist. aber das ist eben nicht mehr als das übliche innerkapitalistische konkurrenzgerangel auf staatlicher ebene und schafft selbst bei berücksichtigung eben dieses umstandes die brisante situation in osteuropa nicht aus der welt.

*

damit wären wir dann endgültig bei der globalen ökonomischen lage angekommen, zu der der philippinische ökonom
walden bello gerade in bezug auf den trikont das folgende mitzuteilen hat:

(...)taz: Herr Bello, die Weltbank hat dieser Tage kräftig Alarm geschlagen und vor einem Absturz der Weltwirtschaft gewarnt. Wie schätzen sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Süden ein?

Walden Bello: Sie werden massiv sein. Am stärksten werden Volkswirtschaften leiden, die sich vollständig der Globalisierung geöffnet und ihr Wachstum etwa durch exportorientierte Industrialisierung an die Märkte im Ausland geknüpft haben. Weit weniger betroffen sind dagegen Länder mit geringerem Öffnungsgrad, zum Beispiel viele Staaten in Afrika.

Welche Effekte hat die Krise bereits?

Die Agrarexporte von Argentinien und Brasilien befinden sich im freien Fall. In Ostasien sind die Exporte ebenfalls steil abgestürzt. In China haben laut der Regierung 20 Millionen Arbeiter in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Der Wert des koreanischen Won ist um mehr als 30 Prozent gefallen. Die Überweisungen südostasiatischer Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer sinken gewaltig, die arbeitslosen Arbeiter kehren zudem verstärkt nach Indonesien und auf die Philippinen zurück."(...)


das sind zwar grundsätzlich keine neuen befunde, aber in zeiten täglicher nebelkerzen und valiumtabletten seitens der hiesigen "eliten" ist ihre regelmässige wiederholung durchaus nötig. wobei man sich über seine alternativen - stärkere betonung nationaler bzw. regionaler ökonomischer kreisläufe - durchaus streiten kann und muss.

*

letzteres beginnt wenigstens ansatzweise auch bei hiesigen linksradikalen, und zunächst anlässlich der anstehenden
demonstrationen:

"ak: Die Demonstrationen am 28. März stehen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für Eure Krise!" Warum diese Demo und warum ein antikapitalistischer Block?

Oli: Wir hoffen, dass die Demonstrationen Auftakt für eine breite, außerparlamentarische Mobilisierung sein werden, die die Abwälzung der Krisenfolgen auf uns alle verhindern kann und die als Akteurin in den kommenden Auseinandersetzungen handlungsfähig sein wird. Dafür benötigt es spektrenübergreifende Bündnisse und vermittelbare Forderungen. Wir sehen uns als Teil dieser Bündnisse, wollen aber auch deutlich machen, dass ein Verarzten des Kapitalismus oder der Ruf nach dem Staat nicht die Lösung sein kann. Aus diesem Grund rufen wir zu einem offenen antikapitalistischen Block auf, der konkrete Forderungen aus sozialen Kämpfen mit Perspektiven radikaler Gesellschaftsveränderung verbinden soll, ohne sich von den anderen DemoteilnehmerInnen abzugrenzen.

Von ver.di und dem DGB müsst ihr euch gar nicht abgrenzen. Die mobilisieren ja erst gar nicht ...

Das stimmt so nicht ganz: Zahlreiche Verwaltungsstellen der IG Metall, von ver.di und der GEW, der Gewerkschaftsjugend sowie die IG Bau beteiligen sich an der Mobilisierung. Und dies, obwohl der Bundesvorstand entschieden hat, zu den Aktionstagen des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) Mitte Mai aufzurufen und sich aus der Vorbereitung der Demonstrationen am 28. März herauszuhalten. Wir sehen es als ein gutes Zeichen an, dass für Teile der Gewerkschaften die Nähe zu sozialen Bewegungen wichtiger ist, als sich kurz vor der Europawahl an den Verhandlungstisch staatlichen Krisenmanagements zu setzen. Wir wollen denen den Rücken stärken, die Gewerkschaftsarbeit auch als gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung begreifen, z.B. indem wir sie bei der Mobilisierung in ihren Betrieben und bei den auf sie zukommenden Kämpfen bestmöglich unterstützen. Es gibt auch schon Überlegungen, wie wir mit unseren Positionen auf den Aktionstagen des EGBs im Mai sichtbar werden können. Das alles ändert allerdings nichts daran, dass es für einen gemeinsamen politischen Prozess auch der grundsätzlichen Bereitschaft von Gewerkschaften und auch der Linkspartei bedarf, soziale Bewegungen nicht nur als Füllmasse für Demonstrationen oder Wahlhelfer zu sehen, sondern als mögliche Bündnispartnerin, mit deren Hilfe gesellschaftliche Machtfragen, etwa wer die Krisenfolgen bezahlen muss, beantwortet werden können. Wir denken, dass ein erfolgreicher 28. März auch zu einer Stärkung der progressiven Kräfte dort führen kann.(...)

Wir wollen Themen wie Klima, Krieg, Prekarisierung, Stadtumstrukturierung, Migration und einige mehr zusammenzubringen und auf der ganzen Demo sichtbar machen. Das heißt auch, dass wir uns mit unseren Transparenten nicht nur auf unseren Block beschränken, sondern auch in anderen Blöcken präsent sein werden, um dort Diskussionen zu initiieren und bestehende Forderungen weiterzuentwickeln: Wir schließen uns dem Ruf nach demokratischer Kontrolle der Banken und Konzerne an, treten dabei aber nicht für Verstaatlichung, sondern für Vergesellschaftung unter Kontrolle der Bevölkerung und der Beschäftigten ein.

Auch wir sind gegen Kurzarbeit und Entlassungen; unsere Antwort ist allerdings eine radikale Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit. Statt Subventionen für Autohersteller fordern wir den sozial-ökologischen Umbau der Automobilproduktion und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung für alle. Weil diese Zeit und Kraft kosten, halten wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen für einen ersten Schritt in die richtige Richtung."(...)


das sind doch mal klare ansagen, über die sich ebenfalls diskutieren lässt - wie auch über die erklärungsansätze zur krise im folgenden mobilisierungsvideo:



und in einem weiteren aktuellen
kommentar zu den demos ist zu lesen:

(...)"Zum x-ten Mal wird auf zwei Seiten erklärt, dass die Zeit reif sei für einen "Systemwandel". Von Abschaffung des kapitalistischen Weltsystems ist nicht die Rede, sondern wieder nur mal von der "zerstörerischen" Wirkung der "Entfesselung des Kapitals". Als wenn der kapitalistische Normalzustand mit seinem unbedingten Zwang, Profite zu erwirtschaften, nichts zu tun hätte mit der heftigsten weltweiten Überakkumulationskrise seit 80 Jahren. Als wenn im kapitalistischen Normalzustand keine Umverteilung von unten nach oben stattfindet und Ausbeutung von Natur und Mensch ein Fremdwort wäre. Wieder wird die vermeintliche Idylle eines geregelten, demokratisierten und nachhaltigen Staatskapitalismus gefordert, der nicht alles zur Ware macht: "Menschen sollen vor Profite" kommen. Wie schön.

Wann, wenn nicht jetzt fordern wir den Bruch mit dem System und den Verantwortlichen?

Weder wird das System des kapitalistischen Verwertungszwangs radikal hinterfragt, noch werden die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wirtschaft benannt. Die Tietmeyers, Eichels, Steinbrücks, Merkels, die Asmussens oder die Issings und Ackermanns. Das sind sie. Sie sind die Verantwortlichen für das Desaster. Sie sind die Verantwortlichen aus Deutschland für die drastische Zunahme von Hunger, Elend und Vertreibung durch die Weltfinanzkrise. Sie müssen verschwinden. Und zwar alle. Wie hieß der Schlachtruf 2002 in Argentinien? "Que se vayan todos"! (Alle sollen abhauen)"


ich denke, dass diese position - die ich weitgehend unterstütze - durchaus platz auf den demonstrationen finden wird.

*

denn als gegengewicht zu den krisenfolgen sind solche positionen nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar - und das auch gerade hinsichtlich der explizit
psychosozialen folgen der psychophysischen verelendung, die hier bereits im kapitalistischen normalzustand schon früher immer wieder thema waren - von den angstbedingten krankheiten bis hin zu den suiziden im gefolge der "hartz"-gesetze:

"Psychische Erkrankungen nehmen in Wirtschaftskrisen zu. Sie verursachen derzeit in der gesamten Europäischen Union jährliche Kosten von 136 Milliarden Euro, wie der EU-Gesundheitsexperte Michael Hübel am Dienstag am Rande der internationalen Konferenz »Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz« in Berlin mitteilte. Die Zahl beruhe auf Berechnungen der London School of Economics. Weitere Fachleute betonten, als Folge der aktuellen Rezession sei eine Zunahme der psychischen Leiden zu erwarten. Hübel erklärte, der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer Krise und mehr psychischen Erkrankungen sei statistisch nachweisbar.

Laut Matt Muijen vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO belegen zahlreiche Studien, daß sich das Befinden in Zeiten der Rezession verschlechtere. Muijen äußerte die Befürchtung, daß viele Staaten nun am Gesundheitssystem sparen werden."(...)


auch das ist ein ganz wesentlicher punkt, mit dem sich systemkritische bewegungen auseinandersetzen werden müssen - wie lässt sich die spirale der resignation und ohnmachtsgefühle bei gleichzeitiger tabuisierter aggression früh genug auflösen, bevor sie sich in den einzelnen menschen in form vonsymptomen manifestiert?

*

in aller kürze - das krisentelegramm +
zu den neuesten erwerbslosenzahlen in großbritannien - die querschüsse reden wie üblich klartext + weiterer anschlag in griechenland - wobei sich beim gebrauch von autobomben in innenstädten schon etliche fragen stellen + in den nächsten monaten stehen europaweit auch aktionen von schülerInnen & studentInnen an, die ebenfalls einiges in bewegung setzen werden - aktuell sind solche auseinandersetzungen wie in barcelona zu verzeichnen + der heutige lesetipp ist eher ein sehtipp - fotos aus der globalen depression - nehmen Sie sich die zeit, das wirken zu lassen + und als letztes eine art kommentar zur neuesten aktion der us-amerikanischen fed, die jetzt die notenpresse anwirft: "Diese sprunghafte Erhöhung der Geldmenge läßt sich nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen. Sie führt mittelfristig automatisch zu einer Entwertung des Dollars. Dies bedeutet nicht nur binnenwirtschaftliche Inflation, sondern könnte – verbunden mit den unattraktiven Zinsen – zu einer Massenflucht der internationalen Gläubiger aus der US-Währung führen; eine tödliche Gefahr für einen Staat, der mit seinem Handelsbilanzdefizit seit langem auf Pump lebt.

Nun könnte man sagen: Laßt doch die Amis, die uns den ganzen Schlamassel eingebrockt haben, den Bach runtergehen. Funktioniert aber nicht, denn ein Kollaps der US-Ökonomie würde den Zusammenbruch der auf Exporte für den US-Markt fokussierten asiatischen Volkswirtschaften – allen voran China – nach sich ziehen. Wer glaubt, Europa oder gar Deutschland könnten einer derartigen Krise mit autarken Wirtschaftskreisläufen auspendeln, ist entweder dumm oder böswillig. Viel bedrohlicher als derartiges Geschwätz ist allerdings die Erkenntnis, daß eine so fundamentale Weltwirtschaftskrise auch in einen großen Krieg münden könnte. Es wäre nicht das erste Mal."
dem bleibt nichts hinzuzufügen +

Donnerstag, 19. März 2009

notiz: der satz zur zeit...

...kommt momentan von netbitch , und obwohl ich mich wahrscheinlich mit ihr bei vielen themen ordentlich streiten könnte - das folgende bringt die situation einfach, kurz und präzise auf den schmerzenden punkt:

"Sorry, aber die Welt, wie sie ist, geht nicht mehr, und nichts von Wert kommt ohne eine Art von Kampf."

mehr (u.a. neue k-news sowie antworten auf einige kommentare) in den nächsten tagen.

*

in eigener sache noch: wer sich über die geschrumpfte blogroll wundern sollte - das liegt daran, dass die autorInnen vom nettblog sowie von alarmschrei bedauerlicherweise mit dem öffentlichen schreiben aufgehört haben.

Montag, 16. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (29)

bei somlu ist schon seit längerer zeit eine diskussion im gange, die sich mal grundsätzlicher mit den (linken) widerstandsoptionen bzw. den diesbezüglichen (un-)möglichkeiten beschäftigt. solche debatten laufen meiner meinung nach noch viel zuwenig, zumal ich geneigt bin, der folgenden feststellung beizupflichten:

(...)"Stattdessen treibt die Linke gegenwärtig auf ein Versagen historischen Ausmaßes zu. Sie überlässt nicht nur die Definition des Kommunismus, sondern auch die von Freiheit und Demokratie gänzlich denjenigen, die sich gerade anschicken, diese endgültig abzuschaffen und ihre jetzige Niederlage damit in einen endgültigen Sieg zu verwandeln, in dem sie den gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus in eine autoritären transformieren, in ein Kommando- und Kontrollregime, dessen einzige Grenze dann nur noch die des Wachstums sein wird. Darum geht es jetzt gar nicht um die Auswüchse des Kapitalismus, es geht um ihn selbst und um seine kommende Verfasstheit als globales und zerstörerisches Herrschaftsprinzip um seiner selbst Willen, ohne irgendeine systemimmanente Rückbindung an natürliche oder kulturelle Überlebensbedingungen der Gattung. Und so wird er Herr der Welt sein, weil er diese zerstören kann."(...)

die benannte grenze des wachstums ist dann auch diejenige, die bereits in verschiedenen dimensionen (u.a. peak oil) in sicht ist und - wie den stammleserInnen hier bekannt sein wird - meiner meinung nach nicht nur bereits zur laufenden krise beigetragen hat, sondern auch jegliche luftschlösser mit dem inhalt "weiter so" schnell, hart und schmerzhaft mit der realität konfrontieren wird. ich habe manchmal den verdacht, dass es sich große teile der linken innerhalb ihrer resignativen haltung und damit auch innerhalb des systems so gemütlich wie möglich gemacht haben und jetzt verstört damit umgehen müssen, dass der ganze laden viel schneller und unerwarteter kollabieren wird als gedacht. damit stehen dann teils mehrfach umgemodelte lebensentwürfe wieder einmal zur disposition, aber diesmal in einer so grundsätzlichen art & weise, dass mögliche selbstbetrügereien keinerlei chance mehr haben werden. aus den bekannten fakten die sich aufzwingende schlußfolgerung zu ziehen, dass die globalen verhältnisse für alle, die das sehen wollen, offen mörderisch sind, ist nun mal untrennbar mit persönlichen konsequenzen verbunden, wenn diese wahrnehmung ernst genommen wird. für den anfang für diesen schritt vielleicht am nötigsten sind antworten auf fragen wie solche, wer von den sich als links bezeichnenden hier eigentlich für sich persönlich was zu verlieren glaubt, wenn eine grundsätzliche umwälzung - im schlechtesten fall aus dem reinen druck der verhältnisse heraus - ansteht. ich glaube - bzw. weiß für mich - dass die möglichen antworten bei einer nüchternen und realistischen betrachtung nicht nur viel kürzer sein werden als gedacht, sondern auch deutlich machen werden, dass dabei eine ordentliche portion selbstsedierung eine rolle spielt.

letztere ist z.zt. ebenfalls bei den sog. "eliten" zu verzeichnen, die in alter manier nicht nur jegliche gesellschaftsbezogene lehren aus ereignissen wie dem jüngsten schulmassaker verweigern, sondern bezgl. der ökonomischen krise auch weiterhin sinnbildlich berge von tranquilizern einwerfen und verteilen, um ihr sinnloses tun - erhaltung des status quo - bis zum nächsten tag zu bringen. anders sind die entsprechenden
meldungen gerade der letzten tage nicht zu verstehen. aber, um einen schon vielfach variierten spruch nochmals abzuwandeln: die "elite" denkt - die krise lenkt. und für den anfang werden alle, die auch nur leichte bauchschmerzen angesichts der globalen entwicklung haben, nicht fehlgehen, wenn sie sich am 28. märz in berlin und frankfurt/m. zusammen mit zehn-, besser hunderttausenden anderen treffen, um endlich einen anfang auf den strassen zu machen - und ein überfälliges zeichen setzen.



*
  • osteuropa: rumänien und lettland vor dem staatsbankrott
  • griechenland: auf den straßen wird es wieder unruhig / neue anschläge
  • frankreich I: arbeiter setzen aus protest gegen entlassungen zeitweise manager fest
  • frankreich II: guerillaartige auseinandersetzungen in den banlieus von paris - es wird scharf geschossen
  • frankreich III: generalstreik auf martinique ebenfalls erfolgreich beendet - streikunruhen im indischen ozean
  • spanien: neue massenproteste (auch polizisten demonstrieren)
  • brasilien: arbeiter in der autoindustrie rufen zu einem globalen aktionstag auf
  • in aller kürze: gigantische verschuldung der usa / möglicherweise milliarden menschen global von neuer armut betroffen / robert kurz zur kommenden arbeitslosigkeit in der brd / einige interessante zusammenhänge zwischen deutscher wirtschaft & bundeswehr
*

zu den fast schon gewohnten nachrichten der letzten monate gehören diejenigen über anstehende und gerade noch so verhinderte staatsbankrotte, vorzugsweise (aber nicht nur) in osteuropa. bei zwei schon seit längerem genannten kandidaten hat sich die lage jetzt zugespitzt: einmal hat
rumänien kürzlich besuch vom iwf bekommen...

(...)"Arbeitsminister Marian Sarbu mußte bereits im Vorfeld seines Treffens mit der IWF-Delegation einräumen, daß die Kreditvergabe mit »Änderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik« einhergehen könne. Es hoffe allerdings, daß der Fonds eine Angleichung der Löhne und Renten an die Inflationsrate nicht verweigern werde. Die Rumänen haben bereits Ende der 90er Jahre ihre Erfahrungen mit dem IWF gemacht, als dieser dem Land mittels rabiater Strukturanpassungsprogramme eine Roßkur verpaßte, die das europaweit niedrigste Lohnniveau und eine der höchsten Armutsraten zur Folge hatte.

Bis zum 25. März wollen IWF-Inquisitoren mit Regierungsvertretern Gespräche führen, bis sie ihr abschließendes Urteil fällen und den genauen Kreditbedarf Rumäniens benennen. Derzeit wird dieser auf circa 19 Milliarden Euro geschätzt. Das Geld sollen neben dem IWF die Weltbank und die Europäische Union zur Verfügung stellen. Bereits jetzt ist klar, daß Brüssel und der Währungsfonds auf eine strikte Haushaltsdisziplin der rumänischen Regierung bestehen werden."(...)


...dessen sog. maßnahmen bzw. zwangsdiktate in sachen sparen schon eine art globale kollektive erfahrung derart darstellen, dass grundsätzlich immer dort "gespart" wird, wo eigentlich nichts mehr zu holen ist. was letztlich nichts anderes deutlich macht als eine kernfunktion des iwf als globale umverteilungsinstanz von unten nach oben. gleiches blüht in kürze auch
lettland:

(...)"Doch nicht nur die Landwirte klagen. Bei einem Gang durch die Rigaer Innenstadt wird schnell klar, wie angespannt die Lage ist. Viele Geschäfte und Kneipen haben aufgegeben oder werben mit Preisnachlass von bis zu 80 Prozent wegen Räumungsverkauf. "Die Party ist vorbei", hatte Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics kürzlich in einem Interview mit der FAZ verkündet. Dass das Land noch keinen Bankrott anmelden musste, lag allein am Kredit vom Internationalen Währungsfond und einiger EU-Mitglieder, doch die Gefahr sei noch akut, so der seit vergangenem Donnerstag amtierende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis:

"Wenn wir keine weiteren Geldmittel über internationale Kredite erhalten, dann ist in der zweiten Hälfte im Juni das Geld in der Staatskasse alle. Dann kann der Staat keine Gehälter und keine Renten mehr bezahlen, auch nicht die Rechnungen des öffentlichen Bereichs oder nur noch in dem Ausmaß, wie Geld hereinkommt. Das ist dann ein Staatsbankrott."

7,5 Milliarden Euro stehen an internationalen Krediten zur Verfügung, gut eine Milliarde hat Lettland bisher tatsächlich erhalten. Dass weitere Mittel fließen, hängt unter anderem davon ab, wie erfolgreich die neue Regierung mit ihren Sparbemühungen ist. Gekürzt werden soll vor allem im öffentlichen Dienst, durch Stellenstreichungen und 20 Prozent weniger Gehalt. Wegen ähnlicher Vorschläge hatte es Anfang des Jahres gewaltsame Proteste in Riga gegeben."(...)


nicht nur in lettland wird es keinesfalls beim öffentlichen dienst bleiben - überall, wo die iwf-delegationen auftauchen, hinterlassen sie mächtige haufen an sozialem brennstoff. in den meisten fällen ist lediglich noch die frage, wann und wie groß diese feuer im laufe dieses jahres auflodern werden.

*

"griechenland" ist in dieser hinsicht fast schon von der bezeichnung eines landes zum menetekel mutiert - seit der sozialrevolte des dezembers ist in einem von außen nicht leicht nachvollziehbarem maße eine wellenartige
verschärfung der militanten konfrontationen zu beobachten:

(...)"Eine Gruppe von 100 vermummten, lief an diesem Mittag durch das Athener Stadtviertel Kolonaki. Die maskierten waren mit Stöcken und Hammern sowie Brecheisen bewaffnet und zerschlugen eine grosse Anzahl von Luxus Autos und luxuriöse, sowie Pelz und Lederwaren Geschäfte. Die ganze Aktion dauerte keine zehn Minuten und Die Polizei konnte nicht im geringsten agieren. Die Maskierten hinterliessen Flugblätter, auf denen sie die Frei lassung eines im Gefängnis sitzenden Anarchisten fordern. Da sich die Anwohner von Kolonaki unsicher fühlen, soll über eine Art permanenten Riot Polizei Schutz diskutiert werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Griechenland extrem auseinander und die Menschen befinden sich in einer wrklichen Existenzkrise. Die Wut auf die Regierung wächst, mitlerweile finden Fast täglich Demonstrationen und Aktionen dieser Art statt."


die - wie in vergangenen news schon thematisiert - bis hin zu
guerillaaktionen geht:

(...)"Die Gruppe plane Anschläge, um Griechenland „zu feindlichem Territorium für die kriminellen Agenten des internationalen Kapitals, wie die Citibank, zu machen“, heißt es in einem achtseitigen Bekennerschreiben, das die satirische Athener Wochenzeitung „Pontiki“ zugespielt bekam und am Donnerstag veröffentlichte.

Polizeiexperten halten das Schreiben für echt. Die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ hatte vergangene Woche einen Sprengstoffanschlag auf eine Citibank-Filiale im Athener Vorort Filothei verübt. Dabei entstand schwerer Sachschaden. Verletzte gab es nicht. Vergangenen Monat konnte die Athener Polizei eine Autobombe der Organisation vor einem Citibank-Verwaltungsgebäude im Vorort Kifissia entschärfen. Die aus 60 Kilo Sprengstoff bestehende Bombe hätte nach Einschätzung von Fachleuten verheerende Zerstörungen angerichtet, ging aber wegen eines technischen Fehlers nicht hoch."(...)


auch zu solchen aktionen hatte ich mich schon geäussert, und ich sehe keinen anlass, von meinen damaligen einschätzungen abzugehen. die wirklich interessanten prozesse dürften weiterhin innerhalb der in rebellion befindlichen bevölkerungsteile ablaufen, und die ergebnisse davon werden erst mittel- bis langfristig sichtbar werden. spannend wäre es aber, einmal die tatsächliche resonanz auf derartige anschläge gerade gegen banken ungefiltert mitzubekommen.

*

in frankreich findet am donnerstag der zweite landesweite generalstreik statt, und was sich davor im land so tut, dürfte den dortigen "sicherheits"apparat schon ordentlich ins schwitzen bringen - so ins schwitzen, wie einen
manager von "sony":

(...)"Wütende Arbeiter des Elektronikkonzerns Sony haben in Südfrankreich mit harten Bandagen um höhere Abfindungen gekämpft. Sie nahmen kurzerhand Sony-France-Chef Serge Foucher gefangen und hielten ihn die Nacht zum Freitag in dem Magnetbandwerk in Pontonx-sur-l'Adour fest. Die Aktion zeigte Wirkung: Sony setzte sich wieder an den Verhandlungstisch.

Foucher war am Donnerstagabend nach Pontonx gekommen, um die Beschäftigten des seit 1984 bestehenden Werkes vor der Schließung im April ein letztes Mal zu treffen. Gegen seinen Willen wurden er und sein Personalchef darauf am Verlassen der Fabrik gehindert. Die Arbeiter verbarrikadierten die Eingänge mit Baumstämmen. Erst nachdem Foucher neue Verhandlungen zugesagt hatte, entließen sie ihn am Vormittag aus ihrer Gewalt.(...)

Wir verlangen nicht die Welt, nur dass wir auf dieselbe Weise abgefunden werden wie andere Beschäftigte von Sony France, die gekündigt worden sind", sagte der Vertreter der Gewerkschaft CGT, Patrick Hachaguer."(...)


die öffentlich-mediale berichterstattung war nicht nur reichlich sparsam, sondern auch betont zurückhaltend in der wertung (ab und zu tauchte das wort geiselnahme auf, jedoch ohne die üblichen empörungsgesänge - das dürfte einen typ von aktionen darstellen, den die "eliten" in der derzeitigen situation nachvollziehbar selbst durch entsprechende empörte propaganda nicht bekannter machen wollen. was aber zumindest für frankreich nicht klappen dürfte.

*

zum schwitzen dürfte die sicherheitsstrategen in frankreich ebenfalls die mögliche verbindung der allgemeinen bereitschaft zur rebellion mit der militanz in den banlieus bringen, die aktuell deutlich
stadtguerillaartige ausmaße annimmt:

(...)"Bei Krawallen in der Nacht auf Sonntag wurden in Les Mureaux im Departement Yvelines 21 Polizisten leicht verletzt und acht Personen festgenommen. In Montegron feuerten Unbekannte Gewehrschüsse auf ein Polizeikommissariat ab. In dem Kommissariat saß ein Verdächtiger in Beugehaft.

In Les Mureaux waren Polizisten in einen Hinterhalt geraten. Die Beamten waren wegen eines brennenden Autos im Stadtviertel Les Musiciens angerückt. Plötzlich wurden sie von hunderten Jugendlichen mit Steinwürfen und Gewehrschüssen attackiert. Die Ausschreitungen dehnten sich im Laufe der Nacht auf benachbarte Wohnviertel aus."(...)


die wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich bei den scharfen schüssen tatsächlich um aktionen in zusammenhang mit einem anfang märz von der polizei erschossenen jugendlichen handelt. solche aktionen reichen schon in "normalen" zeiten aus, um den brisanten mix aus prekariat und auch islamistischen strömungen in den banlieus zu aktivieren - wenn dazu noch eine ökonomische krise des derzeitigen kalibers dazukommt, in der jede aussicht auf teilhabe am sog. "wohlstand" endgültig den bach runtergeht, ist die tatsache der an verschiedenen orten gefallenen schüsse gegen die sog. staatsmacht ebenfalls nur als beunruhigendes menetekel zu verstehen.

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aber auch die kolonien machen weiter von sich reden - nachdem auf guadeloupe vorläufig ruhe eingekehrt ist, folgte jetzt die nachbarinsel
martinique:

" Ein von gewaltsamen Ausschreitungen begleiteter Streik auf der französischen Karibikinsel Martinique ist nach 38 Tagen beendet worden. Streikführer, Arbeitgeber und Behörden einigten sich auf einen Krisenplan. Er sieht u. a. Lohnerhöhungen und bessere Sozialleistungen vor. Die Arbeitnehmer behielten sich vor, die Streiks fortzusetzen, sollten die Abmachungen nicht eingehalten werden."(...)

ich hatte ja schon vom positiven beispiel geschrieben, welches die vereinbarungen von guadeloupe nicht nur den anderen "überseegebieten", sondern auch möglicherweise dem französischen kernland gegeben haben - und die methode wird wie beim domino fortgeführt, aktuell auf
la reunion im indischen ozean:

(...)"Nach dem Ende des Generalstreiks in Guadeloupe haben die Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten und niedrige Löhne auf das französische Überseegebiet La Reunion übergegriffen. Am Dienstag demonstrierten tausende Menschen auf der Insel im Indischen Ozean. Nach einer Kundgebung in der Hauptstadt Saint-Denis bewarfen Jugendliche die Präfektur mit Steinen, wie ein AFP-Journalist berichtete.

Die Polizei setzte Tränengas ein, worauf sich die Jugendlichen in umliegende Straßen flüchteten und auch auf Autos und Wohnungen Steine und Flaschen schleuderten. Die Behörden hatten am Montag versucht, den Konflikt durch eine Senkung der Benzin- und Gaspreise zu entschärfen. Der Unternehmerverband Medef sagte gleichzeitig Lohnerhöhungen von 50 Euro für Geringverdiener zu. Die Führung der Protestbewegung bezeichnete das aber als unzureichend."(...)


ich prophezeie mal ein ähnliches ende wie in der karibik - die französische regierung steht durchaus mit dem rücken zur wand, weil sie sich unmöglich monatelange brandherde leisten kann. und bisher ging es "nur" um die peripherie - in frankreich selbst hat die eigentliche kraftprobe noch nicht mal begonnen.

*

und auch im nachbarland spanien beginnen sich langsam die strassen zu füllen - waren bisher lediglich im letzten herbst vereinzelte (militante) proteste in der autoindustrie und werftenbranche zu vermelden (ebenfalls sollte der anarchosyndikalistisch inspirierte generalstreik von lebrija nicht vergessen werden), gab es jetzt erstmals größere
gewerkschaftsdemonstrationen:

(...)"Die Wirtschaftspolitik der spanischen Regierung sei mit Schuld an der Misere in Spanien und so riefen am Samstag die beiden großen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT) zu Demonstrationen auf. In Barcelona folgten Tausende diesem Aufruf. Die Gewerkschaften sprechen von über 50.000 Menschen, die Polizei will allerdings nur 12.000 gesehen haben. 125 Organisationen hatten die beiden großen Gewerkschaften bei der Massendemonstration unterstützt."(...)

die forderungen bewegen sich aber nach meinem eindruck noch unter bspw. dem irischen niveau. die verzögerte krisenwahrnehmung ist jedenfalls kein rein deutsches phänomen, wobei sie in spanien schon länger eigentlich wesentlich spür- und auch sichtbarer ist, was besonders die berüchtigte immobilienblase betrifft. eine weitere demonstration in madrid gegen bestimmte krisenfolgen ist bemerkenswert:

(...)"Auch in Madrid fand eine Demonstration statt, hier war es die Polizei selbst, die höhere Gehälter forderte. Nicht die erste dieser Art, bereits im Oktober waren die spanischen Polizeibeamten auf die Straße gegangen, um für höhere Löhne zu demonstrieren."

die bewaffneten repressionspparate der staaten stellen für die "eliten" global ein so wichtiges standbein ihrer macht dar, dass dort i.d.r. als letztes gekürzt wird; jedenfalls in den bereichen, die nicht unmittelbar der sicherheit der breiten bevölkerung dienen, sondern der sicherheit vor dieser bevölkerung. in zeiten des realen risikos für nicht nur einen staatsbankrott kann die frage, wie diese hochgerüsteten apparate denn bezahlt werden sollen, irgendwann ziemliches gewicht für alle beteiligten bekommen.

*

die krisenfolgen in südamerika waren hier bisher ziemlich unterbelichtet, was sich zukünftig aber ändern soll - und zum beginn dokumentiere ich fast schon typischerweise (weil sich hier global überall die ersten massiven krisenerscheinungen der sog. "realwirtschaft" manifestiert haben und manifestieren) einen
aufruf aus brasilien für einen internationalen aktionstag der arbeiterInnen in der autoindustrie - auszüge der deutschsprachigen übersetzung:

"Wir beobachten zurzeit die weltweite Verschärfung der internationalen Wirtschaftskrise und der Politik der Unternehmer und ihrer Regierungen. Abermilliarden von Dollar bzw. Euro an öffent-lichen Geldern werden den Konzernen überreicht, während man mit uns Arbeiter/Innen nur über Entlassungen und die Notwendigkeit redet, auf unsere Arbeitsrechte zu verzichten und die Senkung unserer Gehälter in Kauf zu nehmen.

Das ist unakzeptabel!!! Wir waren nicht die Auslöser dieser Krise. Wer für die Krise bezahlen muss, sind diejenigen, die jahrelang Gewinne und Dividenden unter sich aufteilten, indem sie die jetzige Krise durch ihr unverantwortliches und betrügerisches Management verursachten.
Im Gegenteil, wir, die Arbeiter/Innen, produzieren unter Bedingungen extremer Ausbeutung und werden durch die Arbeit krank. Gleichzeitig werden unsere Löhne und Arbeitsrechte in Frage gestellt, Betriebe werden geschlossen bzw. verlagert. Und dies alles im Namen der Kos-tensenkung und der angeblichen Sicherung der Arbeitsplätze.

Wir dürfen jetzt nicht erlauben, dass diejenigen, die sich in den letzten Jahren unglaublich be-reichert und diese Krise verursacht haben, sich Milliarden öffentlicher Gelder in die Taschen stecken, während sie gleichzeitig ihre Pläne bekannt geben, in denen wir gezwungen werden sollen, Lohnsenkungen und den Abbau von Errungenschaften zu akzeptieren, die Millio-nen unserer Familien ins Elend stürzen werden.
Die Regierungen und die Konzerne versuchen außerdem, uns gegeneinander auszuspielen.(...)

Die Automobilindustrie kündigt weltweite Umbaumaßnahmen an. In verschiedenen Ländern finden bereits Mobilisierungen, Streiks und Demonstrationen statt. Auf den Globalangriff der Unternehmer müssen wir auch eine gemeinsame globale Antwort erarbeiten.

Es ist nötig, dass wir Initiativen, wie die in den letzten Tagen von den Arbeiter/Innen der GM EUROPA unternommenen Aktionen, zusammenführen und verbreitern. Sie haben einen Tag der Produktionsstilllegung und Demonstrationen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze durchgeführt. Wir in Brasilien bereiten einen Streiktag und Demonstrationen für den 1. April vor.

Wir, MetallarbeiterInnen von São José dos Campos, Arbeiter/Innen von GM BRASILIEN, rufen alle Arbeiter/Innen in der Automobilindustrie auf, einen internationalen Streiktag für den Erhaltung unserer Arbeitsplätze, Löhne und Rechte zu organisieren. Die Reichen müssen für diese Krise bezahlen.(...)

Deswegen rufen wir, Arbeiter/Innen der GM Brasilien, die Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos, die CONLUTAS (Ko-ordinierung der Kämpfe, Brasilien), alle Arbeiter/Innen, Gewerkschaften, Betriebsräte, Aktivis-ten auf, ein internationales Treffen zu veranstalten, auf dem wir gemeinsame Aktionspläne be-raten, um der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu begegnen und unsere Arbeitsplätze, Arbeitsrechte und Arbeitsgehälter verteidigen, ohne zu Geiseln der Erpressungen derer zu werden, die uns immer schon ausgebeutet haben.

Arbeiter/Innen der GM von São José dos Campos - São Paulo
Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos - São Paulo
CONLUTAS - Koordinierung der Kämpfe von Brasilien
ELAC – Encontro Latino Americano e Caribenho de Trabalhadores"


die beispielhafte internationalistische ausrichtung ist das eine, das andere aber hatte ich schon infrüheren news grundsätzlich zur situation der autoindustrie kommentiert - aus vielen gründen in ihrer aktuellen form ein historisches auslaufmodell, und es sind nicht zuletzt die dort beschäftigten, die im weiteren verlauf der krise in naher zukunft damit beginnen müssen, sich dieser realität zu stellen. eine internationale zusammenarbeit kann bei diesem prozeß aber nur hilfreich sein.

*

in aller kürze - das krisentelegramm + die wirtschaftsquerschüsse zu den
gigantischen us-schulden - ich frage mich immer mehr, wie da drüben irgendjemand noch ernsthaft glauben kann, im systemimmanenten rahmen aus dieser situation zu entkommen + mehr zu den globalen krisenfolgen - in den letzten news schon thema, macht der artikel nochmals die dimensionen etwas deutlicher + letzteres schafft ebenfalls robert kurz mit einem ausblick auf die mögliche erwerbslosigkeit in der brd: "Jetzt droht eine bislang unvorstellbare Krisendimension. Noch ist sie ein Medienereignis, aber der neue Einbruch auf dem Arbeitsmarkt hat schon begonnen. Ein Höchststand von 8 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen in den kommenden Jahren ist für die BRD nicht mehr völlig ausgeschlossen. Niemand hat dieses Horrorszenario bisher durchrechnen wollen, aber die Folgen sind absehbar." und absolut haarsträubend + speziell mit der herausgehobenen rolle der "commerzbank" beim schulterschluß zwischen wirtschaft und bundeswehr beschäftigt sich ein ganzes blog zum sog. "celler trialog". und das ist auch der heutige lesetipp, weil dort vor dem hintergrund der krise strukturen sichtbar werden, die noch viel zu wenig thema sind +

Mittwoch, 11. März 2009

notiz: anläßlich der aktuellen sog. amokläufe...[3.update am 17.03.09]

...in baden-württemberg und alabama weise ich nochmals auf einen älteren beitrag zum thema hin: ausweitung der kampfzone. mehr dazu vermutlich aus zeitgründen erst in den nächsten tagen.

*

edit am 13.03.: dieses update erstelle ich mit einigem widerwillen, was vor allem an der größtenteils unterirdischen öffentlichen "diskussion" liegt - wie eine eins-zu-eins-wiederholung dessen, was schon bei "emsdetten" und "erfurt" zu lesen und zu hören war. prinzipiell sehe ich keinen anlaß, von den im eingangs verlinkten beitrag zur kampfzone geäusserten positionen abzugehen. es gibt aber bei der jüngsten tat zwei aspekte (die dazu momentan als relativ gesicherte fakten gelten können), die ich bisher für unterbelichtet halte. der eine davon ist das thema der psychiatrischen behandlung einer depression bei tim k. - und die möglichen zusammenhänge einer solchen, im regelfall auch medikamentösen, therapie mit einer tat solchen kalibers hatte ich aus anlaß eines früheren "amoks" in den usa schon früher
thematisiert:

(...)"was waren das für verschreibungspflichtige antidepressiva?

wenn es sich nämlich um sog. serotonin-wiederaufnahmehemmer gehandelt hat (heute bei schwereren depressionen durchaus verbreitet angewandte psychopharmaka), wäre es meiner meinung nach wichtig, sich genauer mit den folgenden fakten zu beschäftigen - ich zitiere aus einem telepolis-artikel vom januar 2005:

(...)"Das British Medical Journal berichtet. ihm sei im vergangenen Monat anonym vertrauliches Material zugespielt worden, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen der Patienten-Medikation mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRRI, z. B. Prozac) und erhöhtem Hang zu Aggressionen, Gewalt und Suizid belege. Das Material wurde der US-Behörde für Arzneimittelsicherheit (FDA) zur Prüfung übergeben.

Bei den entsprechenden Dokumenten handele es sich anscheinend um interne Memos, Produktstudien und Bewertungspapiere des Pharmariesen Eli Lilly aus dem Jahr 1988, aus welchen klar hervorgeht, dass der Firma bekannt war, dass die Einnahme von Prozac zu einer signifikanten Zunahme von nervösen "Erregungszuständen" führen könne, was diese bisher stets bestritten hatte. Klinischen Tests zufolge sind bei 38% der damaligen Prozac-Probanden derartige Symptome aufgetreten."(...)

und speziell die folgende passage rumorte in meiner erinnerung, als ich vom jüngsten amokfall hörte:

"Pikanterweise waren eben diese Dokumente während des Wesbecker-Prozesses im Jahre 1994 verschwunden, wo sie als wichtige Beweismittel hatten dienen sollen. Der Journalist Joseph Wesbecker war 1989 mit einer 47er Magnum (kleiner fehler im tp beitrag, es war eine ak47, anmerkg. mo) Amok gelaufen und hatte dabei 8 Menschen erschossen und ein Dutzend verletzt. Eine lange Leidensgeschichte von Depressionen und Angstzuständen fand mit dem Suizid ein Ende. Einen Monat vorher hatte er auf Empfehlung seines Arztes begonnen Prozac zu nehmen.

Das Unternehmen wurde zwar mit 9 zu 3 Geschworenenstimmen freigesprochen; später kam jedoch ans Licht, dass die Firma die Kläger, Angehörige der Opfer, bereits vorher in einem geheimen Deal großzügig abgefunden hatte."(...)


alle notwendigen quellenlinks sind im beitrag zu finden; und ich finde, die damalige frage stellt sich auch hier - wie genau sah die therapie bei tim k. aus? der zuständige psychiater landet in seinem
statement mal wieder beim klassiker "schizophrene psychose". das lässt sich zwar nicht völlig ausschließen, hat jedoch für die zuständige psychiatrie (als disziplin) und auch die gesellschaft den vorteil, dass in einem solchen fall tatsächlich niemand etwas hätte wissen und erst recht nicht tun können (eine solche psychose kann tatsächlich in ihrem verlauf relativ lange unerkannt bleiben, zumindest in einigen fällen). aber genau aus diesem grund finde ich solche erklärungen grundsätzlich etwas verdächtig, wenigstens solange, bis eine genauere untersuchung die medikamenten-frage geklärt hätte. aber gibt es daran von "offizieller" seite aus überhaupt ein wirkliches interesse?

dann: der verdacht des behandelnden psychiaters mutet vor dem hintergrund der allerorten als diagnose gehandelten depression schon seltsam an - depressionen gehören bei den psychiatrischen diagnosen noch zu denjenigen, die sich an sich spätestens im klinischen rahmen ganz gut abklären bzw. verifizieren lassen. und sie sind gleichfalls relativ gut in ihrer ätiologie erforscht, was bekanntlich längst nicht bei allen pathologischen psychophysischen zuständen der fall ist. das sich eine als solche diagnostizierte depression nun entweder in eine schizophrene psychose verwandelt haben oder aber mit der letzteren unerkannt als komorbidität existiert haben sollte, kommt mir vor dem hintergrund meines persönlichen wissen über depressionen doch recht unwahrscheinlich vor. falls sich das anders verhalten sollte, bitte ich um entsprechende korrekturen.

ebenfalls ist zu bedenken, dass ein ausgewachsener depressiver zustand (im klinischen sinne) normalerweise symptomatisch mit einer massiven handlungshemmung und allgemeiner motivationslosigkeit daherkommt - im extremfall kann jede bewegung und gar jeder gedanke so quälend und anstrengend für die betroffenen sein (die meist auch die gesamte außenwelt bzw. deren anforderungen als extrem überfordernd wahrnehmen), dass die typischen reaktionen in einer depression als eindeutig defensiv im sinne von rückzug, sozialer isolation, "verkriechen-wollen" und apathie zu verzeichnen sind. und gerade diesen defensiven reaktionen (die durchaus fatale folgen haben können), soll durch die meisten antidepressiva entgegengewirkt werden. was uns dann direkt zur ausgangsfrage zurückbringt.

*

die zweite
auffälligkeit bei dieser tat wird immerhin auch öffentlich als solche benannt:

(...)"Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministers Heribert Rech suchte sich Tim K. vor allem Mädchen und Frauen als Opfer aus. So erschoss der 17-Jährige acht Schülerinnen sowie einen Schüler, ausserdem tötete er drei Lehrerinnen. Weiter habe sieben Schülerinnen durch Schüsse verletzt. Diese seien alle ausser Lebensgefahr.

Rech bezeichnete die überwiegende Zahl von weiblichen Opfern als «auffällig».(...)


das finde ich allerdings auch; und beim aktuellen wiederlesen des "kampfzonen"-beitrags hatte ich den eindruck, dass tim k. mit seinen bisher bekannten eigenschaften "recht stiller männlicher außenseiter, waffenfixiertheit und aller wahrscheinlichkeit etlichen beziehungsstörungen beim umgang mit frauen" fast perfekt ins raster der typischen (schul-)amoktäter passt. in diesem falle würde das aus meiner sicht deutlich auf ein starkes motiv von rache primär an den weiblichen objekten der begierde hindeuten. auch das könnte eigentlich durch eine genauere untersuchung von k.´s (nicht-)beziehungen zu jungen frauen abgeklärt werden, und das wären ebenso wie die frage nach seiner möglichen medikamention eigentlich die bisher sichtbaren primären punkte, die über die tathintergründe aufklären könnten. als drittes wären dazu selbstverständlich die verhältnisse in der familie unter die lupe zu nehmen - ohne einen ordentlichen anteil an innerfamiliären fehlentwicklungen lässt sich eine solche tat eines siebzehnjährigen ebenfalls nicht begreifen. und damit meine ich nicht die anscheinenden "schludrigkeiten" des vaters beim verwahren seiner waffen (interessanterweise kommt niemand auf die idee, dass es sich bei solchen angeblichen versäumnissen u.u. auch um verkappte aufforderungen eher unbewusster art handeln kann).

*

das stichwort "familie" leitet dann über zur zweiten "amok"-tat dieser tage in den usa - genauer in
alabama:

(...)"Alles deutet auf eine "Familientragödie" hin, wie man das gemeinhin nennt. McLendon hat seine Mutter erschossen, seine Großeltern und einen Onkel. "Er hat seine ganze Familie ausgelöscht", sagte Robert Preachers, Chefermittler in Coffee County, in dem der Amokschütze lebte.

Der junge Mann, Mitte 20, wohnte offenbar noch bei seiner Mutter. Sie hatte er am Dienstagnachmittag in ihrem Haus in Kinston unweit der Grenze zu Florida erschossen. Ihre Leiche hatte er auf ein Ecksofa gelegt, Decken über sie geworfen und angezündet. Das Haus brannte ab. Auch die vier Hunde seiner Mutter erschoss er. Danach fuhr er in die knapp 20 Kilometer entfernte Kleinstadt Samson im benachbarten Geneva County. Vor dem Haus seiner Großeltern eröffnete er das Feuer. Beide waren sofort tot wie auch ein Onkel McLendons. In einem Nachbarhaus tötete er einen weiteren Verwandten, in einem Haus schräg gegenüber die Frau eines Sheriffs und ihr Baby. Der Polist war später an der Verfolgung des Amokschützen beteiligt, ohne zu wissen, dass seine Familie unter den Opfern ist. McLendon fuhr anschließend durch den kleinen Ort und feuerte auf alles, was sich bewegte, ehe er an einer Tankstelle hielt. Dort erschoss er offenbar wahllos eine Frau und zwei weitere Autofahrer und stieg erneut in seinen Wagen ein.

Unterdessen hatte die Polizei die Verfolgung aufgenommen. Vor einer Metallfabrik hielt McLendon an und schoss auf seine Verfolger mit einem Schnellfeuergewehr. Der örtliche Polizeichef wurde dabei schwer verletzt. Der Täter flüchtete in das Fabrikgebäude und nahm sich dort das Leben."(...)


ich finde ja, dass hier die tat für sich selbst spricht - und vor allem erzählt sie von einem geplanten massaker aus vermutlichen rachemotiven, deren grundlage eindeutig innerhalb der familienverhältnisse zu suchen ist. speziell die mutter des täters wurde von diesem nicht nur "einfach" ermordet, sondern noch dazu ist deutlich sichtbar, dass er alles dafür tat, überhaupt alle zeichen für ihre existenz regelrecht auszulöschen - incl. haus & haustiere. die zielgerichtete fahrt zu den nächsten verwandten - leider wird nicht deutlich, ob das auch die großeltern mütterlicherseits waren - , macht aus meiner sicht ebenfalls klar, dass sich der täter zwar in einem psychophysischen ausnahmezustand befunden haben muss, der aber erst nach der primären tat zu einem echten amok mit dem kennzeichen des wahllosen mordens mutierte. sicher könnte auch hier eines jener klassischen psychiatrischen krankheitsbilder alá "schizophrene psychose" vorhanden gewesen sein, aber selbst in diesem falle wären die familienverhältnisse immer noch einer näheren betrachtung zwingend würdig. zu deutlich ist der vernichtungsdrang speziell gegenüber der mutter.

*

wenn man also genauer hinschaut, bleiben solche taten wie die dargestellten durchaus nicht "unerklärliche einbrüche eines quasi metaphysischen bösen", wie das der offizielle diskurs einmal mehr suggeriert, sondern können uns etwas über ver-rückte gesellschaftliche verhältnisse in verschiedenen zusammenhängen erzählen. genau dieser schluß aber soll und darf nicht gezogen werden in "der-besten-aller-welten", weshalb die aktuell laufende offene krise dieses systems auch eine eigentlich wünschenswerte darstellt - der massenmord nicht nur bei solchen taten gehört letztlich zur systemimmanenten normalität.

*

edit 2 am 14.03.: jetzt wird´s
abstrus:

(...)"Nun haben sich erstmals die Eltern des Jungen geäußert. Sie teilten über ihren Anwalt mit, dass ihr Sohn nie in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Damit dementierten sie bisherige Behördenangaben und erklärten weiter, Tim K. sei deswegen auch in keiner Klinik behandelt worden.

Dagegen sagte Matthias Michel, der Ärztliche Direktor des Klinikums am Weißenhof, dem Südwestrundfunk: Der 17-Jährige wurde "auf ambulanter Basis" insgesamt fünf Mal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt. Dabei seien mehrere Tests durchgeführt und eine weitere Behandlung in Winnenden empfohlen worden. Dies habe er aber abgelehnt."(...)


das spricht für mich deutlich! dafür, sich wirklich genauer mit den eltern zu beschäftigen - mit diesem inhalt ihrer ersten öffentlichen stellungnahme, die - zumindest habe ich nichts dergleichen gefunden - keinesfalls als erstes auf das leid der opfer ihres sohnes eingeht, sondern sich betont von einem möglichen hintergrund namens psychische krankheit distanziert, machen sie vor allem deutlich, dass ihnen ihr eigenes verdammtes öffentliches image am wichtigsten ist - "nicht so vorrangig, dass unser sohn ein mehrfacher mörder geworden ist - aber ein psycho war er auf keinen fall". ich finde diese schwerpunktsetzung gerade vor dem hintergrund der sehr wahrscheinlichen tatsache, dass diese eltern bis auf weiteres gesellschaftlich in gewissem sinne erledigt sind, absolut aufschlußreich.

ebenfalls so ein
statement:

(...)"Der 17-jährige Tim K. sei ein "ganz normaler, ruhiger Junge" gewesen, sagte Tims Oma Ruth K. in der Bild-Zeitung. "Wir können es immer noch nicht fassen", wird die 82-Jährige zitiert. "Er war doch so ein lieber Kerl." Noch am vergangenen Sonntag sei Tim mit seinen Eltern zu Besuch gewesen. Er sei ruhig gewesen, aber nicht ruhiger als sonst. "Er hat mit der Katze auf dem Boden gelegen und geschmust. Das hat er immer gerne gemacht", sagte der Großvater des Amokläufers, Wilhelm K.."(...)

wenn in zusammenhang mit solch einer tat worte wie "normal, ruhig, lieber kerl" fallen, gehen bei mir alle
alarmleuchten an:

(...)"auffällig sind für mich u.a. die fast schon als klischeé anzusehenden aussagen über das "vertrauenswürdige" und "nette" auftreten des täters (gerne in diesem kontext auch "normal" und "unauffällig") - wie sie z.b. häufiger ebenfalls nach sog. amokläufen oder auch "banalen" mordgeschichten zu hören und zu lesen sind. möglicherweise ist dabei ein kern von wahrheit, der aber imo eher etwas über die wahrnehmungsfähigkeiten derjenigen aussagt, die solche bemerkungen wie zitiert von sich geben. eine vorläufige hypothese dazu könnte vielleicht so aussehen, dass die betreffenden regelmässig ihre informationen über andere menschen primär aus a) äusserlichkeiten und b) "normgerechten verhalten" (gekoppelt mit "autorität", bspw. einer beamteten stellung, besonders wirkungsvoll) ziehen -(...)"

die ständige betonung des attributs "ruhig" im zusammenhang mit tim k. verstehe ich hinsichtlich derjenigen seines umfelds, die dieses wort ernsthaft zur beschreibung benutzen, als ausdruck einer verschwiegenen gleichung im hintergrund:

"ruhig" = hat uns nicht gestört

ich lege mich an dieser stelle fest und behaupte, dass innerhalb solcher familienverhältnisse ein großteil der erklärung für diesen "amok" mit zu suchen ist - die eltern machen mit ihrem versuch, das bild dieser familie selbst vor dem hintergrund eines massenmordes ausgerechnet von dem scheinbaren "makel" einer möglichen psychophysischen störung freizuhalten, mehr über sich deutlich, als ihnen selbst klar sein dürfte. wobei die fragen nach einer möglichen medikamentösen behandlung von tim k. und seinem verhältnis zu frauen weiterhin solange relevant bleiben, bis eine befriedigende klärung vorhanden ist.

*

edit am 17.03.: damit es nicht verlorengeht - der mainstream bringt aktuell endlich mal les- und diskutierbares zum vorschein. die
gedanken einer lehrerin bringen wichtige realitätsfragmente zum vorschein...

(...)"A. berichtet halb belustigt, dass die neuen Schüler ihrer fünften Klasse mit dem Kopf in die Toilettenschüssel oder einen Eimer getaucht wurden. "Das musste halt jede aushalten in dem katholischen Mädchengymnasium", grinst sie. "Bei uns war auch so ein Typ", erzählt S. mit lauter fester Stimme, "der war irgendwie anders und immer allein. Der saß immer einsam auf einer Mauer in der Schule. Irgendwann fingen alle an, zum Spaß mit Bällen auf den zu werfen. Da saß dieser Typ ganz allein auf der Mauer und alle haben ihn beworfen und gelacht. Und die Lehrer haben dem nicht geholfen."

"Jeder hat eben so einen kleinen Amokläufer in sich", meint J. "Ja, und das Ganze fängt schon viel früher an", so S. "Das fängt doch in der Schule an. Da kann man sich nicht wehren. Man wird verprügelt und die Lehrer schauen weg. Okay, wenn sich zwei Banden schlagen, dann gehen sie vielleicht dazwischen. Aber wenn ein Einzelner fertiggemacht wird, dann spielen sie immer alles runter." "Klar", bestätigt P., "und dann kommt man nach Hause und keiner ist da, weil die Eltern arbeiten gehen müssen."

"Jeder", so S. wieder, "ist doch heutzutage nur noch mit sich selbst beschäftigt und denkt 'Mein Leben ist scheiße'. Man merkt überhaupt nicht mehr, wie es den anderen geht, weil man sich dauernd was vormacht. Da sitzen lauter Einzelne und keiner weiß, wie es dem anderen wirklich geht."(...)


...die in der zeit auf einen
ganz zentralen aspekt gebracht werden:

(...)"Mörder sind Amokläufer wie Tim K. geworden, weil sie die Empathie, die Fähigkeit zum Mitfühlen mit anderen verloren oder nie gelernt haben. Unverschuldeter Empathieverlust und schuldhafte Gleichgültigkeit zwischen den Generationen ist jedoch ein Merkmal unserer Zeit."(...)

der sogleich in einem lesenswerten
userkommentar präzisiert und auf seine historischen füße gestellt wird. und zum weiter oben bereits benannten aspekt der offensichtlichen "schande" der familie k. bezgl. einer möglichen psychiatrischen behandlung ihres sohnes ist ein weiterer artikel zum "tabuthema psychiatrie" empfehlenswert.

Montag, 9. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (28)

(...)"Die Auswanderung der Wohlhabenden ist ein globaler Trend. Wenn der Sozialismus beziehungsweise das Gemeinwohldenken gescheitert ist, wie man frivolerweise behauptet, bleibt der Asozialismus. Den diskutieren wir zumeist unter dem etwas höflicheren Begriff Individualismus, und zu dem bekennen wir uns meistens gerne. Aber was sind konsequente Individualisten? Es sind Menschen, die ein Experiment darüber veranstalten, wie weit man beim Überflüssigmachen sozialer Beziehungen gehen kann - und sie gelangen dabei zu erstaunlichen Fortschritten. Deswegen beginnt im Augenblick auf der Erde ein soziologisches Experiment, das in eine neue Art Menschheit münden könnte. Die Reichen sind zurzeit noch eine Klasse und keine Spezies, aber sie könnten es werden, wenn man nicht aufpasst.

Es dürfte zurzeit auf der Erde rund zehn Millionen Menschen in der Millionärs- und Multimillionärskategorie geben, dazu schon über tausend Milliardäre. Aus diesen Vermögenseliten bildet sich ein neues abstraktes Übervolk, das dieselben Eigenschaften aufweist, die man vom alten europäischen Adel kannte: Sie denken kosmopolitisch, sie reisen viel, sie leben mehrsprachig, sie sind gut informiert und beschäftigen die besten Berater, sie reden ständig über Beziehungen, Sport, Kunst und Essen. Beim Volksthema Sex bleiben sie diskret."(...)


dieses zitat von
peter sloterdijk lässt sich trefflich mit einigen ähnlichen diagnosen zur gesamtgesellschaftlichen situation abgleichen, die hier schon verschiedentlich thema waren. nur den asozialismus sollten wir von anfang an unter den schon gebräuchlichen bezeichnungen behandeln. in diesem zusammenhang finde ich auch sloterdijks bezugnahme auf den fetisch geschwindigkeit spannend, gehört diese doch letztlich untrennbar zum thema, was schon ein michael ende festgestellt hat. ich halte ja durchweg von "der philosophie" und ihren protagonisten nicht so wirklich viel und finde bei sloterdijk auch viel nebulöses zeug - aber inzwischen scheint sich die realität so deutlich selbst in diesen kreisen bemerkbar zu machen, dass zur abwechslung einmal situationsangemessenes gedacht wird. ich würde das allerdings nicht alleine auf die besitzende klasse beschränken, auch wenn es dort begründet zu einer häufung von schwer geschädigten persönlichkeiten kommt.

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  • global: wie die wirtschaftskrise den hunger explodieren lässt
  • global: müssen wir die Greatest Depression erleben?
  • usa I: "rally for new york" - 50.000 in new york city gegen haushaltskürzungen / demonstrationen im gesamten bundesstaat new york
  • usa II: krisenboom mit blut- und plasmaspenden sowie medikamententests
  • großbritannien: wildcat-bericht zur aktuellen situation
  • deutschland: gewerkschafterInnen kritisieren vorstände hinsichtlich der gewerkschaftlichen mobilisierung in der krise
  • in aller kürze: fertigsuppenhersteller sind krisenprofiteure / globaler seeschiffhandel und -bau wird voll erwischt / griechenland: neue anschläge / wirtschaftswissenschaften haben in der krise keine ahnung / fotoserie zur obdachlosigkeit in den usa / "wallraff was here" - reportage über obdachlosigkeit in d-land
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schon jetzt ist absehbar, dass die aktuelle krise mit am verheerendsten dort zuschlagen wird, wo bereits vorher die ausgelagerte kapitalistische dauerkrise als normalität herrschte: in den
elendszonen des planeten.

(...)"Die Finanzkrise hat die Ärmsten der Welt erfasst - weit stärker, als bisher angenommen. Laut dem Global Monitoring Report der Vereinten Nationen könnten in Folge der Krise zwischen 200.000 und 400.000 Kinder sterben. Es fehlten in den ärmsten Regionen der Welt einfach mehr und mehr Nahrungsmittel, so die Autoren der Unesco-Studie, Kevin Watkins und Patrick Montjourides. "Millionen von Kindern werden als Folge der Finanzkrise einen Schaden erleiden, der für lange Zeit nicht rückgängig gemacht werden kann", sagt Montjourides.

Insgesamt rechnen die Forscher damit, dass das Einkommen der 390 Millionen ärmsten Afrikaner um etwa 20 Prozent sinken wird. Das ist ein Vielfaches mehr als die negativsten Voraussagen für die westliche Welt. Die Hauptgründe dafür sind die abstürzenden Rohstoffpreise sowie ein massiver Einbruch bei den Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wie es aussieht, wird die Wirtschaftskrise die weltweite Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern."(...)


von den betroffenen erwachsenen wird gar nicht erst geredet, was ich als unzulässig empfinde - auch, wenn die focussierung auf die kinder als verletzlichste gruppe ebenfalls im hinblick auf mangelernährungsbedingte schäden in ihrer entwicklung und die mittel- bis langfristigen negativen konsequenzen daraus verständlich ist.

(...)"Am härtesten von der Wirtschaftskrise betroffen sind der Unesco-Studie zufolge die Staaten Mosambik, Äthiopien, Mali, Senegal, Ruanda und Bangladesch. Auch die Wachstumsprognosen für andere Länder zeigen nach unten. Glaubt man den Prognosen des IWF, steht den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern ein massiver Abschwung bevor.

Während die Europäische Union über Milliardenhilfen für taumelnde Staaten Osteuropas verhandelt, und die Vereinigten Staaten immer mehr Schulden machen, um ihr Wirtschafts- und Finanzsystem zu stabilisieren, gehen die Nöte der Ärmsten der Welt unter. In den Medien werden lediglich alle Rettungspakete für Banken analysiert, so Wissenschaftler Watkins. Jeden Tag eine neue Schlagzeile mit erschreckend vielen Nullen."(...)


bei aller nötigen besorgnis über die situation hier bzw. in europa darf das verschärfte elend keinesfalls vergessen werden. in den zonen massenmordet dieses system in aller offenheit, und das muss letztlich auch hier bei der nötigen grundsätzlichen umwälzung eine zentrale rolle spielen. ich bin´s jedenfalls leid, durch die immanenten systemzwänge ständig und tag für tag zum mittäter zu mutieren.

*

es scheint zu den charakteristischen merkmalen der jahre seit 1989 zu gehören, dass es nur so sog. historische momente hagelt und sich die superlative schon ordentlich abgenutzt haben. das gilt auch für die aktuelle weltwirtschaftskrise, die sich durchaus anschickt, ihre vorgängerin von 1929 in sachen monströsität in den schatten zu stellen - womöglich werden wir im rückblick von der
Greatest Depression reden müssen:

(...)"Obwohl die meisten Menschen die wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten 14 Monaten als sehr stürmisch empfunden haben, wird sich im Rückblick diese Zeit tatsächlich als Ruhe vor dem ganz großen Sturm herausstellen. Insbesondere in den USA häufen sich wieder die Signale, daß noch weitaus schlimmeres bevorsteht. Bank of America, Citigroup und AIG, der drittgrößte Versicherungskonzern der Welt, liegen im Wachkoma auf der Intensivstation, und nur der Tropf mit immer neuen Regierungshilfen hält sie am Leben. Früher oder später wird Washington jedoch durch die ökonomischen Realitäten gezwungen werden, den Stecker rauszuziehen. Das aber wird nicht nur den Exitus der amerikanischen Finanzgiganten bedeuten, sondern auch all jener, die immer noch von ihnen abhängig sind."(...)

es folgt ein brauchbarer überblick zu einigen kernbereichen der krise in den usa, um dann am schluß mit einem ordentlichen apokalypso den allerletzten tanz einzuläuten:

(...)"Der US-Ökonom und Analytiker Gerald Celente, der wegen seiner bisher auf den Punkt genauen Voraussagen der Hypothekenkrise, der Bankenkrise und des Börsencrashs inzwischen einen Guru-Status errungen hat, geht in seiner jüngsten Analyse davon aus, daß in Kürze restlos der Boden aus den Finanzmärkten fällt und dies den Anfang der »Greatest Depresssion«, der größten Depression der Weltgeschichte, einleiten wird. »Das globale Finanzsystem, das auf einem unendlichen Angebot billigen Geldes, wilder Spekulation, Betrug, Gier und Selbsttäuschung aufgebaut ist, ist unheilbar krank, und es kann durch nichts zu einem Neustart bewegt werden, weder durch Konjunkturpakete noch durch Bankenhilfen.« Die ersten Zeichen der Panik seinen bereits erkennbar, so Celente. Zugleich prophezeit er »drakonische Maßnahmen, die Regierungen ergreifen werden, um den vollkommenen wirtschaftlichen Kollaps und Chaos in der Bevölkerung zu verhindern«.

regelmässige leserInnen der news werden sich unter den "drakonischen maßnahmen" durchaus etwas vorstellen können. ansonsten wird meiner meinung nach mit jedem tag deutlicher und sichtbarer, dass es tatsächlich im systemimmanenten rahmen weder echte lösungen noch auswege gibt. die schlußfolgerungen daraus liegen eigentlich auf der hand - zeit, den rahmen zu zerstören.

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und letzteres beginnt meistens mit ordentlich bewegung innerhalb des rahmens, und die chronik der massendemonstrationen und -proteste der letzten monate ist seit dem wochenende ergänzt - in new york city haben sich vor ein paar tagen mindestens 50000 menschen (andere quellen nennen 75000) unter starker beteiligung diverser us-gewerkschaften zur
rally for new york versammelt, um gegen die verschärften haushaltskürzungen nicht nur in der stadt, sondern im gesamten bundesstaat new york zu protestieren (im verlinkten beitrag gibt´s übrigens auch ein video zu betrachten:

rally for new york

(...)"Their message for Gov. David Paterson came in the form of booming chants:

"No more cuts! No more cuts!"

Everyday New Yorkers had their own personal messages for the governor as well.

"Governor Paterson, I wish you could have an open heart that we are going to suffer if this budget cut goes through," said China Lankford of Jamaica.

Paterson has proposed closing a $15 billion state budget gap by making cuts across the board, including $2.5 billion in education, $3.2 billion in health care and billions more in cuts to vital programs such as senior services, disability services, housing assistance and crisis intervention programs."(...)


kürzungsbetroffen sind also auch dort vor allem programme, die mit bildung, gesundheit und sozialer grundversorgung zu tun haben - und das in einer stadt, die einige hauptschauplätze der krise direkt in ihren mauern und jeden tag vor augen hat. was wird passieren, wenn diese kürzungen so umgesetzt werden? auf "open hearts" bei den funktionären und verwaltern des kapitalistischen elends zu hoffen, wird jedenfalls nicht reichen.

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und auf dauer werden die krisenbetroffenen us-bürger auch nicht mit der eigenen und wortwörtlichen
totalen selbstverwertung über die runden kommen - mir sind ja bei ansicht des folgenden gleich diverse grausige assoziationen gekommen, aber in der systemlogik ist das alles bekanntlich durchaus "vernünftig" und "rational":

(...)"Was tun, wenn in Zeiten der Krise das Geld knapp wird? Millionen von Menschen haben in den USA während der vergangenen Monate die Arbeitsstelle verloren, neue Jobs gibt es kaum, und die geringen staatlichen Sozialleistungen reichen oft nicht zum Leben. Die Lösung liegt für manche US-Bürger nahe - hautnah, sozusagen. Denn sie bieten feil, was in ihnen und auf ihnen wächst: Blutplasma, Haare, Sperma. Mit den körpereigenen Rohstoffen lässt sich in Zeiten der Not gutes Geld machen.

Phil Maher vermittelt über seine Webseite bloodbanker.com Blut- und Spermaspender gegen Bezahlung an Interessenten. Das Geschäft sei allein in den letzten drei Monaten um mehr als 50 Prozent gewachsen, sagt der 32-Jährige. "Ich habe hier alleinerziehende Mütter, die niemals daran dachten, ihr Blut zu verkaufen - bis sie ihre Stelle verloren", berichtet er. "Jetzt gehen sie in die Klinik, spenden Blut und bekommen dafür 25 Dollar." Noch profitabler seien Spermaspenden, bei denen Männer bis zu 100 Dollar pro Sitzung kassieren könnten. "Man kann alle zwei bis drei Tage Sperma spenden", sagt der Vermittler. "Wenn man sich da auf ein Jahr verpflichtet, wird es finanziell wirklich interessant."

Es müssen freilich nicht immer Körpersäfte sein. Auch Dana Pendragon aus North Carolina hat Not mit Erfindungsreichtum gepaart - und sich entschlossen, ihr langes rotglänzendes Haar zu verkaufen. "Es reichte mir bis an die Hüften", erinnert sich Pendragon mit leichtem Bedauern. Über den Vermittlungsdienst HairTrader bekam sie 2000 Dollar für ihr Haar, das nun zu Echthaarperücken verarbeitet wird. Sie sah keine andere Wahl, nachdem ihr Auto kaputt gegangen war. "Ich wollte nicht noch mehr Schulden machen", sagt Pendragon. "Andererseits brauchen wir ein Auto. Also habe ich meine Haare abgeschnitten."

Über noch mehr Geld konnte sich Paul Clough freuen, der sich selbst scherzhaft als "menschliche Laborratte" bezeichnet. Clough verdient seinen Unterhalt damit, dass er sich für medizinische und klinische Experimente anbietet. Ungefähr 26.000 Dollar habe er so binnen Jahresfrist verdient. "Ich hatte ungefähr 400 Mal Nadeln in mir stecken", berichtet Clough."(...)


sollen wir das nun als beispiele für die vielzitierte "erneuerungskraft" und den "erfindungsreichtum" des kapitalismus betrachten? oder doch eher als perversen dreck innerhalb eines verrotteten systems, welches bereits in seinen historischen extremformen bewiesen hat, dass lampenschirme, filzstiefel und seife aus menschlichen körperteilen sich nur deswegen nicht als massenprodukte durchsetzen konnten, weil sie zuallererst in der produktion nicht rentabel genug waren? (hat übrigens irgendjemand der blutspendenden mutter erzählt, wie hoch die preise für blutkonserven am markt letztendlich tatsächlich sind?) die systemimmanenten tendenzen zur verdinglichung sind jedenfalls inzwischen nicht nur anhand solcher beispiele so deutlich sichtbar, dass sich die propagandamäuler des systems bei ihren immer schrilleren rechtfertigungsversuchen nur noch blamieren können.

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ein weiterer länderbericht von wildcat geht einmal mehr auf die lage in
großbritannien ein, und ist auch einmal mehr der aktuelle lesetipp. nicht nur, weil weil eine prognose im hinblick auf den künftigen widerstand im land gewagt wird...

(...)"Falls die Möglichkeiten und Schwierigkeiten irgendeiner Klassenkonfrontation in der näheren Zukunft überhaupt auf diese Weise erfasst werden können, ist es vielleicht möglich, sich noch vorsichtiger einige Faktoren vorzustellen, die zu ihrem Ausbruch beitragen könnten:

* Neue Arbeitslosigkeit in großem Ausmaß, die mit der Einführung des repressivsten Regimes über die Arbeitslosigkeit seit jeher zusammenfallen wird. Die Arbeitsämter sind jetzt schon aufreibende, gewalttätige Orte; was wird das Auftauchen von Tausenden oder Millionen von Arbeiterinnen bedeuten, die solche Erniedrigungen nicht gewöhnt sind?

* Opportunistische Arbeitgeber nutzen die Krise als Gelegenheit, alte Konflikte um die Arbeit und widerspenstige Belegschaften loszuwerden. Natürlich kann das genauso gut auf die schnelle Kapitulation der erpressten Arbeiterinnen rauslaufen, aber könnte sich ein Streik wie der letztes Jahr bei der Post ohne die Illusion, überhaupt etwas verlieren zu können, weiterentwickeln?

* Neue Entlassungen, Kürzung von Löhnen und staatlichen Leitungen, Schließung wichtiger Dienstleistungen in Gebieten, in denen es eine starke kollektive Erinnerung an Kämpfe aus ähnlichen Gründen während oder seit der Deindustrialisierung gibt, z.B. im Nordosten (Bergarbeiterstreik 1984/85) und Liverpool (Streik der Hafenarbeiter 1995-98).

* Ständig wachsende Regulierung und Kontrolle der sozialen Reproduktion (Sammlung biometrischer Daten, Erlässe gegen anti-soziales Verhalten, staatliche Eingriffe in die Eltern-Kind Beziehung usw.). Das alles wird von Öffentlichkeitsarbeitern der Mittelklasse als »Bürgerrechtsthema« dargestellt, aber es hat in Wirklichkeit mehr mit dem Angriff auf halblegale oder illegale Überlebensstrategien der »sozial Ausgeschlossenen« zu tun: »Sozialleistungsbetrug«, informelle Arbeit, Drogenhandel in kleinem Maßstab usw. Die Überwachung dieser Dinge wurde bisher recht erfolgreich genutzt, um die »respektable«, überwiegend arbeitende Klasse und das sogenannte »Subproletariat« zu spalten. Aber wird das weiter funktionieren, wenn viel mehr Menschen plötzlich selbst von diesen »grauen Märkten« oder offiziell »anti-sozialen« Formen sozialer Zusammenarbeit ­abhängig sind?

Was man im Moment sehen kann, stimmt für die unmittelbare Zukunft eher pessimistisch, aber das muss nicht unbedingt auf die Lage in einem Jahr zutreffen. Eine Klassenauseinandersetzung, die aus Sicht des Proletariats im einen Moment wie ein Schlag ins Wasser aussieht, kann wenig später explosiv werden, weil die »objektiven« Bedingungen »subjektiv« auf eine stärker kollektive Art erfahren werden."


...sondern auch, weil in einem update auf die wilden streiks mit ihren nationalistischen tendenzen vor ein paar wochen eingegangen wird:

"Ende Januar brachen die kollektive Wut und ihre Widersprüche in wilden Streiks quer durch die ­Ener­gieindustrie aus. In der Total-Raffinerie in Lindsey streikten Arbeiter gegen die durch eine EU-Verordnung bedingte Entscheidung, dass der sizilianische Sub-Subunternehmer IREM »seine eigenen« italienischen und portugiesischen Arbeiter für Bauarbeiten mitbringen sollte, die vor Ort nicht ausgeschrieben wurden. Diese Unterstützung der Arbeitslosen allein wäre als »politischer« Streik schon »illegal« gewesen, aber es schlossen sich auch noch Arbeiter an elf anderen Standorten mit doppelt-»illegalen« Solidaritätsstreiks an. Die Streiks machten sich Gordon Browns Slogan »Britische Jobs für britische Arbeiter« zu eigen, so dass arbeiterfeindliche Zeitungen sie »unterstützen« und eine Frage der »Nationalität« daraus machten konnten. Die Streikenden betonten, dies sei nicht der Fall, aber wie weit ihre Stimme wahrgenommen wurde, ist unklar, da der Konflikt mit der Zusage, hundert »Briten« einzustellen, beendet wurde. Deshalb wiederholen wir es hier: Was sie sagten, ist wahr. So verheerend diese Parole war, in dem Konflikt geht es ums Unterbieten von Löhnen in einer Einkommenskrise. Tarifverträge sind in Großbritannien nicht gesetzlich verbindlich, so dass europäische Arbeiter, die entsprechend der EU-Verordnung »entsandt« werden, nicht den branchenüblichen Lohn erhalten müssen. Die Streikenden in Lindsey wollten nicht den Ausschluss von Ausländern, sondern den gleichen Schutz für ortsansässige und ausländische Arbeiter und internationale (gewerkschaftliche) Solidarität. Hunderte polnischer Arbeiter schlossen sich einem Solidaritätsstreik im Atomkraftwerk Sellafield an. Arbeitgeber sagen nun, sie wurden durch ­ständige Arbeitsniederlegungen »im Stil der 70er« ­provoziert, Ausländer anzustellen."

von dem solidaritätsstreik der polnischen arbeiter höre ich tatsächlich das erste mal, und mehr als die interpretationen der streiks stimmen mich solche meldungen vorsichtig optimistisch - ohne zu vergessen, dass trotzdem eine offene flanke richtung nationalismus bei diesen aktionen zu konstatieren ist. es wird für die weitere entwicklung nicht nur auf das bewußtsein der arbeiterInnen ankommen, sondern auch auf die positionierung der gewerkschaften in solchen konflikten.

*

letzteres wird auch einen gewaltigen einfluß auf die weitere entwicklung hierzulande haben - und im vorfeld der doppeldemonstrationen am 28. märz entwickelt sich anhand des defensiven und auch spaltenden verhaltens der gewerkschaftsspitzen hierzu gerade eine interne diskussion, die zunehmend öffentlich geführt wird - so bspw. mit der hilfe eines
offenen briefes seitens vieler verärgerter und / oder besorgter gewerkschafterInnen an der basis:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen,

spätestens seit September 2008 ist klar, dass wir es mit einer Wirtschaftskrise zu tun haben, die in ihren Dimensionen nur noch mit der Weltwirschaftskrise in den Folgejahren von 1929 (korrigiert, mo) vergleichbar ist. Damit steht eine Verteilungsauseinandersetzung ins Haus, wie sie unsere GewerkschafterInnengeneration noch nicht erlebt hat.

Schon jetzt haben 100 000 befristet Beschäftigte und ZeitarbeiterInnen ihre Arbeit verloren. Die Prognosen für Wachstum, Untenehmensumsätze und Erwerbslosigkeit verdüstern sich fast im Wochenrhythmus. Vielleicht zeitversetzt zu den USA, spätestens aber nach der Bundestagswahl werden wir mit Firmenzusammenbrüchen, massivem Druck auf die Lohn- und Sozialstandards und mit neuer Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Man muss nicht die Analogie zu 1929 bemühen, um zu erkennen: auch für die Gewerkschaften selbst und die Demokratie erwachsen aus dieser Krise erhebliche Risiken.

Angesichts all dessen sind wir beunruhigt und enttäuscht, dass die Gewerkschaften in den Debatten und Auseinandersetzungen fast nicht wahrnehmbar sind. Immerhin geht es um Kopf und Kragen der Lohnabhängigen und sozial Schwachen.

In dieser Situation ist Abwarten keine Option! Hoffnungen, durch Gespräche und Beteiligungen am allgemeinen Krisenmanagement ließe sich das Schlimmste abwenden, werden trügen, wie sie schon 1929 getrogen haben. Auf wen die Lasten der Krise in den nächsten Monaten und Jahren, wenn es um den Abbau der gigantischen Staatsverschuldung geht, abgewälzt werden, ist eine gesellschaftliche Machtfrage, die danach entschieden wird, was wir auf die Beines stellen, zu welcher Mobilisierung auf Straßen und Plätzen und in den Betrieben wir in der Lage sind."(...)


dem ist wenig hinzuzufügen ausser der hoffnung, dass in den zunehmenden konflikten vor allem ein paar gehätschelte gewerkschaftliche fiktionen auf der strecke bleiben, wie zb. die der sog. "sozialpartnerschaft" oder auch die vom "zivilisierten kapitalismus". dazu muss sich die gewerkschaftliche basis aber zuerst mal mit ihren eigenen vorständen und funktionären in den apparaten befassen, die sowohl nutznießer als auch verkünder dieser fiktionen sind. ganz ernsthaft: viel erfolg dabei!

*

in aller kürze - das krisentelegramm + als profiteure der krise lassen sich durchaus die fertigsuppenhersteller betrachten, denn deren
absatz boomt: (...)"Bei Sonnen Bassermann in Seesen im Harz ist die Produktion voll ausgelastet ­ und das im Dreischichtbetrieb, 24 Stunden am Tag. «Seit etwa Oktober haben wir ein zweistelliges Wachstum bei Eintöpfen verbucht», sagt Nico Kapp, der für das Marketing der Suppen und Eintöpfe verantwortlich ist. Bereits während der vergangenen Wirtschaftsflaute sei das Geschäft mit diesen Produkten deutlich gestiegen, sagt Kapp. «Wir wissen, dass es diesen Zusammenhang gibt.» (...) Besonders gefragt seien derzeit klassische Gerichte mit Fleischeinlage, wie etwa der Linsen- oder Erbseneintopf.

Auch beim Konkurrenten Zamek stehen die Produktionsbänder nicht still. Das Düsseldorfer Unternehmen stellt mit seinen 500 Mitarbeitern Suppen für Discounter, aber auch Einzelhändler wie Rewe oder Edeka her. «Da ist ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar», sagt Unternehmenssprecher Manfred Reibeholz. Beim Lübecker Hersteller Erasco stieg in den vergangenen Monaten der Umsatz mit großen Familiendosen stark. Die Verbraucher suchten verstärkt nach günstigen Angeboten, berichtet eine Sprecherin."(...)
- wird da etwa schon auf vorrat gehortet? aber konserven sind in anbetracht auf die kommenden zeiten durchaus eine sinnvolle anlage +
die (container-)schiffahrt mit all ihren ablegern droht abzusaufen - wird zeit, mal wieder beim baltic dry index vorbeizuschauen + die serie von anschlägen in griechenland reisst nicht ab + zu den vielen offiziellen und inoffiziellen bankrotterklärungen dieser tage gesellen sich mit der eigenen die wirtschaftswissenschaften - (...)"Die Krise der Ökonomie ist entstanden, weil wir viele Verhaltensweisen der Menschen nicht in unsere Modellwelten integriert haben. Den Herdentrieb an den Finanzmärkten zum Beispiel oder Gier und mangelnde Fairness im Wirtschaftsleben. Wir haben mathematisch teilweise sehr ausgeklügelte Modelle, die uns wichtige Erkenntnisse liefern. Aber sie beschreiben nur einen Teil der Realität, viele blenden wichtige Aspekte aus."(...) ach. na sowas. woran könnte das wohl liegen? + eine bedrückende fotoserie über eine zeltstadt von obdachlosen in den usa möchte ich hervorheben + und das ist auch das stichwort für günter wallraff, der sich in bewährter manier den lebensbedingungen von obdachlosen in diesem land genähert hat, und damit einblicke in eine welt ermöglicht, die aller bitteren wahrscheinlichkeit nach in der nächsten zeit bevölkerungsmässig hohen zulauf erfahren wird +

*

in eigener sache noch zum schluß: viele der in den krisennews verarbeiteten meldungen fallen bei eigener recherche an; auf etliches werde ich jedoch erst durch hinweise an anderen virtuellen orten aufmerksam. zwei davon seien im folgenden hervorgehoben: einmal das forum von
chefduzen.de, und zum anderen das erwerbslosenforum. bei den betreffenden usern in beiden foren bedanke ich mich ausdrücklich für die informativen hinweise.

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Der Spiegel-Artikel im...
Den Spiegel-Artikel gibt's übrigens hier im Netz: http://www.spiegel.de/spie gel/spiegelspecial/d-45964 806.html
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Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

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