Freitag, 6. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (27)

"Jede Krise offenbart, wie krank eine Gesellschaft ist. Schonungslos, ganz ohne Skrupel entlarvt sie, was alles schiefgelaufen ist. Eigentlich müsste unsere Gesellschaft dieser Krise dankbar sein, bietet sie doch die unbezahlbare Erkenntnis: So geht es nicht weiter. So jedenfalls bitte nicht."

in diesem sinne:
  • deutschland: eine halbe milliarde aus dem "konjunkturpaket" für rüstungsindustrie & bundeswehr - für was genau eigentlich?
  • italien: eine gesellschaft auf dem weg in den faschismus?
  • frankreich / überseekolonien: generalstreik auf guadeloupe erfolgreich beendet; der nächste beginnt im indischen ozean
  • frankreich: gesichter der armut
  • türkei: kurzer situationsbericht - erste massenproteste auch dort zu vermelden
  • europa / global: die rassistischen und nationalistischen spaltungslinien werden deutlich sichtbar
  • in aller kürze: mexiko / skandinavien / ex-"hypo real estate"-vorstand redet sich um kopf und kragen / krise triggert "psychosomatische störungen bei kindern & jugendlichen"
*

die meldung ist schon ein paar tage alt und tauchte auch eher nur am rande auf: 500 millionen euro von den 50 milliarden aus dem "konjunkturpaket 2" sollen an die bundeswehr gehen, die hälfte davon für "infrastrukturmaßnahmen" wie kasernenrenovierungen u.ä.; die andere hälfte jedoch soll an die
waffenindustrie weitergereicht werden:

(...)"Für Aufregung sorgt aber die Tatsache, dass rund 250 Millionen Euro aus dem 50 Milliarden Euro umfassenden Konjunkturpaket für die Beschaffung von Waffen und Kriegsgerät ausgegeben werden sollen. Eine vorläufige Einkaufsliste des Verteidigungsministeriums umfasse 1000 Maschinenpistolen MP 7 der baden-württembergischen Waffenschmiede Heckler & Koch für drei Millionen Euro, 34 "Dingo 2"-Patrouillenfahrzeuge für 24,4 Millionen Euro, zehn bewaffnete Fennek-Spähwagen für 35 Millionen Euro sowie fünf Seafox-Unterwasserdrohnen zur Minenbekämpfung für 34 Millionen Euro."(...)

soweit so schlecht, wenn man wie ich davon ausgeht, dass es kaum eine überflüssigere, schädlichere und kriminellere branche gibt als die rüstungsindustrie. und sowieso klingt die vorgesehene summe im vergleich zu den inzwischen gewohnten billionenwerten ja schon lächerlich. trotzdem empfiehlt sich noch ein zweiter und genauerer blick auf das, was da - abgesehen von den unterwasserdrohnen - angeschafft werden soll. fangen wir mal mit der maschinenpistole
mp 7 an:

(...)"Mit der MP7 sollen Truppenteile ausgestattet werden, die im Regelfall in keine infanteristischen Kampfhandlungen verwickelt werden. Das sind beispielsweise Truppenteile wie die Versorger, Sanitäter, (Luft-)Fahrzeugbesatzungen oder Artilleristen. Entscheidend für die Entwicklung dieser Waffe war die Erkenntnis, dass insbesondere bei einem asymmetrischen Konflikt auch rückwärtige Truppen in Hinterhalte geraten und damit in Nahbereichsgefechte verwickelt werden. Diese Truppenteile benötigen dann aufgrund der weitverbreiteten Nutzung militärischer Schutzwesten zwar die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres, nicht aber dessen vergleichsweise große Reichweite. Für diesen Einsatzfall wurde für die Bundeswehr eine Waffe gefordert, die die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres mit der Kompaktheit und geringen Masse einer Maschinenpistole vereint."(...)

und merken uns erstens, dass hier u.a. typische truppenteile der "etappe" im besonderen hinblick auf "asymmetrische konflikte" mit dieser waffe ausgestattet werden sollen. also durchaus auch truppen, die im klassischen sinne der infrastruktur der versorgung zugeordnet sind (und die in fällen von versorgungsengpässen der bevölkerung ebenfalls aktiv werden dürften). zweitens aber ist es interessant, wer diese waffe sonst noch gebraucht:

(...)*2005 entschied sich das britische Verteidigungsministerium für die MP7 als neue Dienstwaffe der Polizei des Verteidigungsministeriums.
* Die MP7 wurde als Dienstwaffe bei den Vereinten Nationen - Abteilung Sicherheit - eingeführt und ergänzt die Waffen G36K, MP5, Benelli Schrotflinte und die Glock 19.
* Die MP7 wurde bei südkoreanischen SWAT-Einheiten sowie diversen anderen Spezialeinheiten eingeführt.
* Die MP7 hat die Uzis bei der Eingreiftruppe der irischen Polizei ersetzt.
* In Malaysia wird in absehbarer Zeit die MP7 im Polizeidienst zum Einsatz kommen.
* Die MP7 wird seit 2007 bei den norwegischen Streitkräften als Nachfolgemodell der MP5 genutzt.
* Die MP7 wird von der deutschen Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei, der GSG 9 verwendet.
* Bei der Bundeswehr wird die MP7 von den KSK, den Feldjägern und den Medizinischen Verbänden verwendet. Mittelfristig wird bei der Bundeswehr die Uzi komplett durch die MP7 ersetzt werden.(...)


mir fällt dabei auf, dass neben militärischen sondereinheiten besonders militär- und sonstige polizeieinheiten damit ausgestattet sind bzw. werden. also gerade solche "sicherheitskräfte", die bevorzugt in
asymmetrischen konflikten eingesetzt werden (die soziale revolte in griechenland, besonders in ihren ausprägungen vom letzten dezember, lässt sich übrigens durchaus als eine vorstufe eines solchen konfliktes begreifen). beim "patrouillenfahrzeug" dingo 2 erfahren wir dann über einsatzgebiete und -eigenschaften:

(...)"Die Hauptaufgaben des ATF Dingo sind Konvoi- und Patrouillenfahrten auf halbwegs befestigtem Untergrund. Der Dingo ist hauptsächlich für Einsätze zu „Friedenserhaltenden Maßnahmen“ (Peace Support Operation) insbesondere in minengefährdeten Gebieten konzipiert. Hierbei bietet er durch seinen Aufbau einen in dieser Gewichtsklasse hervorragenden Minenschutz, ist aber aufgrund seiner relativ geringen Abmessungen auch noch in eng bebauten urbanen Gebieten einsetzbar."(...)

also wieder ein spezialfahrzeug für einsätze jenseits "klassischer" kriegsszenarien; und "auch noch in eng bebauten urbanen gebieten einsetzbar". für was genau aber?

(...)"Darüber hinaus wurden im Juli 2006 durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 78 Dingo 2 als Trägerplattform für ein neuartiges Bodenüberwachungsradar (BÜR) der Firma EADS bestellt. Das System soll Bewegungen am Boden und im bodennahen Luftraum zuverlässig orten und speziell auf die Erkennung asymmetrischer Bedrohungen ausgelegt sein. Bis Ende 2009 sollen zunächst zwei Systemdemonstratoren geliefert werden und ab 2012 ist die Serienlieferung der 78 BÜR-Systeme an die Heeresaufklärungstruppe geplant."(...)

wieder diese ominösen "asymmetrischen bedrohungen", die "erkannt" werden sollen. das leitet direkt über zum dritten posten der bestellung, und der ist bereits seit dem "g8"-gipfel von heiligendamm 2007
einschlägig bekannt -der spähpanzer fennek:

(...)"Im Zuge der Amtshilfe wurde dieses Fahrzeug auch für Polizeieinsätze in Deutschland angefordert – die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Praxis ist jedoch umstritten."(...)

sicher, erstmal dürfte dieses ganze zeug primär für den mehr als fragwürdigen krieg in afghanistan bestimmt sein - aber wie aus den obigen betrachtungen deutlich geworden sein sollte, ist der großteil der durch das "konjunkturpaket" finanzierten waffensysteme eben auch ohne großen aufwand umstandslos in anderen "asymmetrischen konflikten" einsetzbar. zum beispiel in und um große städte, in denen sich im zuge der krise verarmte bevölkerungsteile nicht mehr der staatlichen ordnung unterwerfen wollen. was ja ganz schnell zu "terrorismus" deklariert werden kann (und auch wird). die vielzitierten steuergelder werden also nicht nur für bankerboni benutzt werden. das gleichnis von den dummen kälbern und dem schlachter ist wörtlich zu nehmen.

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die haarsträubenden verhältnisse in berlusconis italien mit der inneren militarisierung, den sog. "bürgerwehren" und v.a. einer rassistischen mobilisierung gegen roma waren in vergangenen news schon thema. nun kommt von einer gruppe aus italien ein
bericht, in dem eine jener vergewaltigungen genauer untersucht worden ist, welche die italienische regierung zum anlaß genommen hatte, um das land in richtung eines autoritären sicherheitsstaates mit faschistoiden zügen zu verwandeln. neben erkennbaren unstimmigkeiten der offiziellen version hinsichtlich der täter berichten sie v.a. über die folgen für das öffentliche klima:

(...)"Nach der Vergewaltigung im Caffarella-Park und der anschließenden Medienkampagne, die darauf abzielte, Roma und rumänische StaatsbürgerInnen zu kriminalisieren (ein Verstoß gegen die Gesetze, denen gemäß die Verantwortung für ein Verbrechen nur auf das Individuum fällt und nie auf eine ganze soziale oder ethnische Gruppe ausgedehnt werden darf) wurden Dutzende Angriffe auf Roma, RumänInnen und andere AusländerInnen verübt. Allein am 15. und 16. Februar wurden 18 Überfälle gemeldet. Am Abend des 15. führte in Rom eine rassistische "Patrouille" von rund 20 mit Knüppeln bewaffneten, maskierten Personen mehrere Angriffe auf fünf rumänische Roma durch, von denen sich zwei mit schweren Verletzungen im Krankenhaus befinden: auf einen Rumänen; eine junge Roma-Mutter mit ihrem kleinen Kind; zwei Roma-Jungen. Kurz darauf brach in einer Romasiedlung in Pisa ein Feuer aus und zerstörte zehn Behelfshütten, in denen eine Gruppe Roma lebte.

In Turin wurde ein 18-jähriger aus Peru von einer rassistischen Bande mit Metallstangen verprügelt. Drei Rumänen wurden in Sassari zusammengeschlagen. In Sesto San Giovanni (Mailand) verprügelte eine rassistische "Patrouille" mehrere Roma. In Sacrofano (Rom) schlug eine Bande von acht mit Knüppeln bewaffneten Rassisten drei rumänische Roma zusammen. In Ancona verprügelten rassistische Banden einen 19-jährigen Roma, dann einen 36-jährigen rumänischen Roma. Am 21. Februar warf eine Bande zwei Molotowcocktails in einen von Rumänen betriebenen Laden, wo sie explodierten. Abgesehen davon wurden Vorfälle von Beleidigungen, Bedrohungen und Schlägen aus Städten in ganz Italien gemeldet. In der Zwischenzeit nutzten die Behörden das Klima der Intoleranz, um weitere Roma-Siedlungen zu räumen (über 40 in Rom zwischen dem 15. und 16. Februar) und Verhaftungen von Roma und RumänInnen als Teil ihrer Operation "gegen Kleinkriminalität" durchzuführen.

In Pesaro tauchte ein Flugblatt auf mit der Parole: "Adolf Hitler hat uns gezeigt, dass es kein Verbrechen ist, Zigeuner zu verbrennen. 10, 100, 1000 Patrouillen." In der gleichen Stadt beleidigte das Personal der Caritas (der christlichen "karitativen" Organisation) einen Roma-Jungen mit rassistischen Ausdrücken, und einige Einheimische jagten zwei Roma-Frauen grundlos aus einem Einkaufszentrum."(...)


ein offenes bündnis zwischem rassistischen/faschistischen mob und regierung - und allerorten herrscht in der europäischen politik dazu schweigen. eine sehr beredtes schweigen ist das, wenn Sie mich fragen. eines, was unheilvolle schatten auf die nahe zukunft wirft. später noch mehr zum thema.

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ein weiteres update zur situation auf den französischen antillen, speziell
guadeloupe:

"Auf der als „Überseebezirk“ (DOM, département d'outre-mer ) zu Frankreich gehörenden Karibikinsel Guadeloupe ist am heutigen Donnerstag früh der Generalstreik an seinem 44. Tag zu Ende gegangen.

Gegen 20 Uhr Ortszeit am Mittwoch Abend (in der Nacht von gestern auf heute nach mitteleuropäischer Zeit) unterzeichneten Elie Domata, der Sprecher des „Kollektivs gegen Ausbeutung“ LKP, und der Präfekt Nicolas Desforges - juristischer Repräsentant des französischen Zentralstaats auf Guadeloupe - eine Vereinbarung.(...)

Das Abkommen sieht die Erhöhung aller niedrigen Löhne (bis zum 1,4 fachen des französischen gesetzlichen Mindestlohns SMIC, welcher rund 1.000 Euro netto beträgt) um 200 Euro vor. Die Kosten für diese Lohnerhöhung um zweihundert Euro teilen sich zu unterschiedlichen Teilen auf die Arbeitgeber - zwischen fünfzig und 100 Euro -, und den Staat sowie die Sozialkassen (durch eine Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Abgaben, sowie durch eine Aufstockung der Löhne in Gestalt einer Art von Kombilohn) auf.

Der größte französische Arbeitgeberverband MEDEF hatte bis zuletzt die Unterschrift unter dieses Abkommen verweigert. Aber das „Kollektiv gegen Ausbeutung“ LKP (Liannay kont pwofitasyon) hat ihn zum Teil umgangen, indem es von Betrieb zu Betrieb zog und erheblichen Druck auf die einzelnen Unternehmen entfalten konnte. Beispielsweise unterzeichnen voraussichtlich alle wichtigen Baufirmen, die beim MEDEF organisiert sind, dennoch das Abkommen. „Der MEDEF vor Ort ist implodiert“, mit diesen Worten zitierten Medien am Donnerstag früh den LKP-Sprecher Elie Domata. Nunmehr rufen die Unterzeichner zur Wiederaufnahme der Arbeit auf, die freilich erst allmählich erfolgen kann, und die „Normalisierung“ wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Unterdessen fordert das LKP die Inselbevölkerung dazu auf, mobilisiert zu bleiben, und kämpft nunmehr für eine ‚extension' des errungenen Abkommens. ( ‚Extension': Ungefähres Äquivalent zur deutschen „Allgemeinverbindlich-Erklärung“ eines Tarifvertrags: Durch Beschluss des zuständigen Ministers wird ein Kollektivvertrag auch für solche Arbeitgeber, die oder deren Verbände es nicht unterzeichnet haben, mit zwingender Geltung ausgestattet.)"(...)


na, das lässt sich doch als zumindest kurzfristig wirksamer und nötiger - gegen die bitterste armut - erfolg betrachten. und so etwas wird, sehr zum mißvergnügen der französischen regierung, nicht nur auf martinique - wo der streik meines wissens noch läuft - und im französischen kernland, sondern auch tausende kilometer entfernt in einer ganz anderen ecke aufmerksam registriert und als handlungsanweisung begriffen:

(...)"Unterdessen fing am heutigen Donnerstag der Generalstreik auf der ebenfalls als „Überseebezirk“ zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion (im Indischen Ozean, zwischen Madagaskar und der Insel Mauritius) an. Es geht um ähnliche Probleme wie auf den französischen Antillen - in der Karibik -, also um den Kampf gegen „das teure Leben“ ( contre la vie chère ). Der Arbeitskampf und gesellschaftliche Konflikt ist als Generalstreik, über dessen Verlängerung periodisch an der Basis abgestimmt wird ( grève général reconductible ), ausgerufen."

schöne umsetzung des spruches "global denken - lokal handeln", wie ich finde. die bisher vernachlässigten kolonieähnlichen anhängsel frankreichs bemühen sich jedenfalls nach kräften, die krise als chance für sich umzusetzen. und sind damit ein positives beispiel weit über frankreich hinaus.

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wo sich die bevölkerung mitte märz erneut zu einem grève général versammeln wird, und angesichts der sich dort ebenso wie in anderen ländern zuspitzenden situation dürfte der charakter des kommenden streiks eine art blaupause dafür abgeben, was die nächsten monate zu erwarten ist - vorläufig lassen sich bereits die typischen anzeichen für um sich greifende
verarmung wahrnehmen:

"Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise sind die bewaffneten Raubüberfälle in Frankreich angestiegen. Gleichzeitig erleben Suppenküchen einen Ansturm. Doch viele der neuen Armen wollen ihre Not nicht zeigen.(...)

Innenministerin Michèle Alliot-Marie hat sich bereits im Februar mit Vertretern des Einzelhandels und der Polizei getroffen, um sich mit ihnen zu beraten. Einen Zusammenhang mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise lehnt sie jedoch strikt ab.(...)

Doch die Ordnungshüter selber sehen das anders. Hinter vorgehaltener Hand machen sie die finanziellen Probleme, mit denen viele Franzosen jetzt zu kämpfen haben, für den Anstieg der Raubüberfälle verantwortlich. Denn die Krise hat in Frankreich inzwischen eine neue Schicht von Armen hervorgebracht. So sind auf den Märkten der Großstädte seit dem Herbst immer mehr Menschen zu sehen, die heruntergefallenes Obst und Gemüse einsammeln. "Letzte Woche habe ich einer etwa 40-jährigen Frau Nahrungsmittel gegeben, die gut gekleidet war", berichtet Yassim, der auf dem Markt von Barbès in Paris als Verkäufer arbeitet. Die Frau habe ihm erzählt, dass ihr Mann sie verlassen habe und dass sie jetzt nicht mehr wisse, wie sie ihre drei Kinder ernähren solle, da sie nur fünf Stunden pro Woche arbeite. Am Ende sei sie in Tränen ausgebrochen. Denn wie fast alle anderen neuen Armen, die auf den Märkten Abfälle sammeln, schämt sich die Frau dafür.

Viele dieser "glaneurs", wie die Abfallsammler auf Französisch in Erinnerung an die Leute heißen, die im Mittelalter die abgeernteten Felder nach übrig gelassenen Ähren absuchten, wollen ihre Armut nicht zugeben. Sie sammeln lieber die heruntergefallenen Reste ein, anstatt in einer Suppenküche für eine kostenlose Mahlzeit anzustehen. Denn damit, so eine aktuelle Studie, würden sie ihre Not auch anderen eingestehen.

Dennoch erleben die Suppenküchen in Frankreich seit Ausbruch der Krise einen nie gekannten Ansturm. So rechnen die 1986 von dem Komiker Coluche gegründeten Restos du Coeur für die aktuelle Wintersaison mit 780 000 bewirteten Personen. Ein Jahr zuvor waren es noch 700 000. (...)Unter den Neukunden befänden sich viele Selbstständige, aber auch allein stehende Bauern oder allein erziehende Eltern und Frauen mit mehreren Kindern."


die scham - ja, eine der wirksamsten waffen seitens der "eliten", in unseren perversen arbeitsfixierten "wertesystemen" verankert, vermittelt bereits in vielen familien, medial verbreitet und aufbereitet, kann sie ihre destruktive wirkung auf der traumatischen matrix im hintergrund der gesellschaften entfalten. mit dieser scham werden wir uns näher beschäftigen müssen. denn erst wenn die fällt, werden neue entwicklungen möglich werden. die armen in den westlichen ländern produzieren mittels ihres eigenen unsichtbarwerdens viel zu lange den schein mit, der bisher noch für "normalität" sorgt - sichtbare armut in massenhaften dimensionen würde den alltag sehr schnell zum kippen bringen.

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die situation der
türkei in der krise war bisher hier noch kein thema, was eigentlich bei der ständigen potenziell brisanten innenpolitischen lage ein versäumnis ist - ein land mit leider stabilen nationalistischen tendenzen in großen bevölkerungsteilen, einer islamistischen bewegung, einer ständig zur einmischung bereiten armee sowie einem guerillakrieg in den kurdischen gebieten an den hacken bietet konflikt- und spaltungslinien ungeahnten ausmaßes an, die von der wirtschaftskrise zu einem katastrophalen feuer entfacht werden könnten - aber dafür war es bisher um dieses land erstaunlich ruhig:

(...)"Auch Cevdet Akcay, Chefökonom der Yapi Kredi Bankasi, ist der Meinung, diese Krise treffe die Türkei weniger hart als andere Volkswirtschaften.

Das sind erstaunliche Ansichten, wenn man berücksichtigt, daß die Türkei mit einem doppelten Defizit zu kämpfen hat und in hohem Maße von der Schiffbau-, Automobil- und Textilindustrie abhängt. Diese Branchen gerieten als erste in die Krise. Folgerichtig beklagt die Textilbranche eine Halbierung ihrer Aufträge, stockt der Schiffbau und registrierte die Automobilindustrie samt Zulieferern im Dezember 2008 gegenüber dem Vorjahresmonat einen Produktionsrückgang um 63 Prozent.(...)

Kraftfahrzeuge, Maschinen, Eisen und Stahl stellten mit insgesamt 30,8 Prozent die wichtigsten Ausfuhrgüter. Ein massiver Einbruch des Exports war deshalb unausweichlich. Im Dezember schrumpfte er im Vergleich zum Vorjahresmonat um 21, im Januar sogar um 26 Prozent. Parallel dazu gingen die Importe um 30 Prozent zurück. Als Reaktion darauf sind Kurzarbeit und Massenentlassungen an der Tagesordnung. Nachdem die offizielle Arbeitslosenrate 2007 bis auf 8,8 Prozent gefallen war, werden bereits für den Sommer zwischen 13 und 15 Prozent erwartet.

Angesichts der wirtschaftlichen Großwetterlage braut sich über Istanbul, Izmir und Ankara einiges zusammen. Zur allgemeinen Krise kommen die strukturellen Probleme einer abhängigen Ökonomie. Der Außenhandel ist chronisch defizitär, und dieses Defizit wächst ungebremst. Seit 2005 stieg es jährlich um rund zehn Milliarden von 43,3 auf derzeit 74 Milliarden US-Dollar. Die Brutto-Auslandsverschuldung erhöhte sich 2007 von 168,9 auf 247 Milliarden Dollar. Die Regierung von Tayyip Erdogan bemüht sich derzeit beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem sie bereits mit knapp 20 Milliarden Dollar in der Kreide steht, um einen neuen Kredit. Der Preis für die »Hilfe« des IWF ist die Verpflichtung zur beschleunigten Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Die islamische AKP machte sich als Regierungspartei hierbei zur eifrigen Erfüllungsgehilfin. Nachdem das Privatisierungsvolumen von 1985 bis 2002 acht Milliarden Dollar betragen hatte, belief sich der Ausverkauf öffentlichen Eigentums zwischen 2003 und 2008 auf 41,9 Milliarden."(...)


kurz: wie überall anders auch sind bereits alle zutaten für eine wirklich spürbare krise vorhanden und am wirken, und das hat bei den betroffenen trotz aller regierungsamtlicher schönrednerei erste reaktionen ausgelöst:

(...)"Die türkischen Gewerkschaften lassen sich von solchen Zukunftsversprechen bislang nicht einlullen. Im Gegenteil, am 15. Februar kam es zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer gemeinsamen Demonstration des eher sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaftsbundes Turk-Is mit den weiter links angesiedelten Bünden DISK und KESK. Motto: »Wir werden eure Krise nicht bezahlen! Für einen gemeinsamen Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut.« An der Aktion beteiligten sich 40000 Menschen. Bei einem Mindestlohn von 527 und einem Durchschnittsentgelt von 1670 Neuen Türkischen Lira (246 bzw. 780 Euro) ist die Bereitschaft, sich weiter einzuschränken, verständlicherweise begrenzt."

mit ihrer besonderen situation ist die türkei ein weiterer, potenziell höchst brisanter, krisenschauplatz, der genau beobachtet werden sollte.

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zumal dort ähnliches im hinblick auf kurdische und auch armenische bevölkerungsteile zu befürchten ist, was anderswo von der krise schon überdeutlich sichtbar gemacht wird - der heutige lesetipp beschäftigt sich mit der faschistoiden
suche nach sündenböcken in der krise, die in einigen europäischen staaten bereits tödliche folgen hatte. der artikel ist bis dato die beste zusammenfassung zum thema und verdient breiteste aufmerksamkeit und auch verlinkung. letztlich geht es um die ersten keimzellen kriseninduzierter faschistischer potenzieller massenbewegungen, und da wäre jedes wegschauen und -ducken selbstmörderisch. auch, wenn´s verdammt erschreckend ist, was sich in dieser hinsicht schon tut.

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in aller kürze - das krisentelegramm zum schluß + ein aufschlußreicher überblick zur situation in mexiko -
"la crisis" und die folgen in einem land, das zusehends im "drogenkrieg" destabilisiert wird + Wirtschaftskrise trifft skandinavische Länder mit Wucht infos aus einer region, von der bisher ebenfalls krisenmässig nicht viel zu hören war - aber es ist tatsächlich so, dass buchstäblich kein land der erde unberührt bleibt + ein neues synonym für dreistigkeit lautet georg funke - der ex-chef der zombiebank hre lässt über seinen anwalt u.a. verlauten: "Wir wehren uns gegen eine Vorverurteilung", sagte Kreuzer der Süddeutschen Zeitung. Es sei nicht in Ordnung, Funke zum Sündenbock zu machen. (...) Kreuzer behauptet, die Entwicklung bei den Banken seit dem Ausscheiden der früheren HRE-Vorstände zeige aber, dass diese Manager und andere Bankvorstände eher "Opfer der internationalen Finanzkrise" seien, als deren Verursacher." was die einen an scham zuviel haben, haben die anderen offensichtlich zu wenig. die bankster sind sich offenbar sehr sicher oder leiden an totalen wahrnehmungsstörungen, was die wirkungen ihrer unverschämtheiten in der öffentlichkeit betrifft. allerdings sind sie ja bisher auch noch immer damit durchgekommen - bisher + und wenn man dann direkt nach so einer meldung das folgende zur kenntnis nehmen muss - Durch Krise mehr psychosomatische Störungen - «Wir müssen nicht beunruhigt sein, dass die Kinder zu viel vor dem Computer sitzen, wir müssen uns um Armut kümmern», so der Ärztliche Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Hamburger Universitätsklinikum. Gerade im Zeichen der Krise seien Armut und soziale Herkunft «das Thema der Zukunft». So liege die Zahl der Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen in der untersten sozialen Schicht bei etwa 30 Prozent, in der obersten bei rund 16 Prozent. Die Zahl der psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sei «schon jetzt dramatisch», sagte Schulte-Markwort. Er rechne mit einer Zunahme des Schweregrades der Störungen." - dann weiß man doch sofort wieder, warum das wörtchen schweinesystem durchaus seine berechtigung hat +

Freitag, 27. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (26)

wer bei ansicht der folgenden meldungen immer noch von "freien märkten" und der "überlegenheit" der kapitalistischen ökonomie schwärmen sollte, macht sich zum komplizen eines verbrecherischen systems:
  • langfristige krisenfolgen: die kinder werden nicht nur schulden erben - soziale gewalt und genetische veränderungen
  • ungarn: "wirtschaftskrise wird ethnische konflikte verschärfen" / tödliche angriffe auf roma / roma stellen "selbstverteidigungsgarde" auf
  • großbritannien I: polizei erwartet "summer of rage"
  • großbritannien II: berichte aus london - die bankster machen weiter wie bisher
  • irland: massendemonstration in dublin als auftakt für weiteres
  • usa I: bericht aus kalifornien
  • usa II: wenn die neue behausung ein einkaufswagen ist - video zur situation der erwerbs- und obdachlosen
  • frankreich / karibik: konflikte auf den antillen dauern an
  • krisenkaskade I: anthropogener klimawandel beschleunigt sich
  • krisenkaskade II: interview zu umweltflüchtlingen und realitätsverleugnung
  • krisenkaskade III: französischer energiekonzern "total" hält peak oil für erreicht
  • in aller kürze: japan rauscht in die depression / polen: psychiatrische kliniken richten spezielle stationen für manager ein / deutschland: zum "wahnwitz von lohnkürzungen" in der krise / global: berichte zur erwerbslosigkeit aus china, russland, spanien, südafrika / jean ziegler: "diese krise tötet menschen"
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warum der folgende artikel hier auftaucht, dürfte sich leserInnen, die nicht regelmässig hier zu besuch sind, vielleicht nicht gleich erschließen - dabei ist das thema weder ein neues (joachim bauer hat ein ganzes buch darüber geschrieben, siehe literaturliste), noch sind die implikationen auch und gerade im hinblick auf die krise eigentlich verwunderlich - die krise wird global in allen gesellschaftlichen bereichen bis in die familien und in viele individuen mit ihren persönlichen spaltungen hinein neue konflikte produzieren und bereits bestehende triggern und verschärfen - und das wird sich am brutalsten bei denjenigen auswirken, die am schwächsten sind. dazu zählen vor allem kinder, die das aber keinesfalls alleine betreffen wird - neben der aussicht auf ein unverschuldet völlig verschuldetes leben, welches ihnen die heutigen staaten und bankster aufhalsen, sind parallel noch ganz andere schäden aufgrund sozialer gewalt überhaupt nicht in der diskussion - hier werden womöglich
ganze generationen geschädigt:

(...)"Es sind Narben, die keiner sieht. Sie verstecken sich im Gehirn und stammen von Taten aus der Vergangenheit. Wer als Kind geschlagen, gedemütigt oder vergewaltigt wurde, dessen Leid spiegelt sich auch in seinem Erbgut wider. Misshandlungen verändern die Zellen des Hippocampus, der Schaltstelle unserer Gefühle und Erinnerungen.(...)

Erstmals haben Forscher belegen können, dass furchtbare Erlebnisse aus der Kindheit nicht nur unser Gedächtnis, sondern auch unsere Gene prägen: "Kindesmissbrauch kann die körperliche Antwort auf psychischen Stress verändern und das Selbstmordrisiko erhöhen", schreiben Michael Meaney von der McGill University in Montreal und sein Team im Wissenschaftsmagazin Nature Neuroscience.(...)

"Diese Studie gibt der Frage, wie sich Kindheitserlebnisse auf die lebenslange geistige Gesundheit eines Menschen auswirken, eine wissenschaftliche Grundlage", sagt Osborne Almeida. Der Mediziner forscht am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. "Unsere Umwelt verhält sich entweder im Einklang mit unserem genetischen Material oder setzt es manchmal komplett außer Kraft."(...)

Welche große Rolle die Epigenetik spielen könnte, lässt sich aber schon erkennen. Eine niederländische Studie belegt etwa, dass Großmütter, die zu Kriegszeiten hungern mussten, nicht nur kleinere Töchter zur Welt brachten. Auch die Enkel waren noch untergewichtig, obwohl deren Mütter in der Schwangerschaft genug zu essen hatten. Bestimmte Gene, die eine Rolle bei der Ernährung spielen, waren bei den Großmüttern abgeschaltet und wurden sogar weitervererbt.(...)

Osborne Almeida ist sich sicher, dass die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt die Evolution ergänzen. "Es gibt Hinweise, dass viele Anpassungsmechanismen auch vererbbar sind." Das haben auch Meaney und sein Team bereits im Tierversuch nachweisen können. Ob die Weitergabe abgeschalteter Gene den Kindern von Misshandlungsopfern zum Nachteil wird, lässt sich anhand der Ergebnisse noch nicht sagen."(...)


aber alleine die möglichkeit der in den letzten sätzen benannten weitergabe sollte eine sich sich selbst als "aufgeklärt" begreifende gesellschaft bereits dazu veranlassen, sich so zu organisieren, dass derart fatale schäden gar nicht erst entstehen können. diese ergebnisse eröffnen im übrigen auch eine neue perspektive bei der entstehung
tradierter traumata - sicher spielt auch das vermittelte verhalten der in der täter-opfer-dialektik gefangenen traumatisierten eine rolle, aber das für dieses verhalten eben auch genetische gründe existieren, ist seit den neueren erkenntnissen von gen- und neurobiologischer forschung eben nicht mehr von der hand zu weisen. die sozialpsychologie berichtet uns desweiteren genügend von den folgen desolater soziökonomischer verhältnisse mit allen konsequenzen: alkoholismus und süchte aller art, vernachlässigung, mangelzustände auf diversen ebenen, physische und psychische gewalt - und das bleibt nicht ohne konsequenzen, weder für die direkt betroffenen noch für die jeweiligen gesellschaften. belege dafür sind im blog an anderen stellen bis zum überdruß vorhanden.

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und deshalb sollten berichte wie die folgenden aus ungarn auch immer mit dem obigen im hintergrund betrachtet werden - die krise bringt all das vorhandene
soziale gift konzentriert zum vorschein:

"Das Budapester Meinungsforschungsinstitut "Political Capital" (PC) warnt davor, dass Ressentiments gegen Roma in Ungarn außer Kontrolle geraten könnten. "Ethnische Konflikte werden sich durch die ökonomische Krise weiter verschärfen, was auch gravierende Auswirkungen auf die Politik haben wird", prognostiziert PC-Direktor Krisztian Szabados.

Populistisches Anbieten radikaler Lösungen für komplexe Probleme bringe rechtsextremen Bewegungen starken Zulauf."(...)


das dürfte eine prognose sein, die nicht nur für die osteuropäischen ländern mit einiger sicherheit zu stellen ist. aber in ungarn ist bereits konkret zu beobachten, was das für eine
mörderische realität umschreibt:

(...)"Einen Tag nach dem brutalen Mord an einem 27-jährigen Rom und seinem vierjährigen Sohn herrschten in der Roma-Siedlung der ungarischen Ortschaft Tatárszentgyörgy Fassungslosigkeit, Angst und Empörung. Unbekannte hatten in der Nacht zum Montag das Haus von Róbert Csorba mit Brandsätzen angegriffen. Als die aus dem Schlaf geschreckte Familie aus dem lichterloh brennenden Heim floh, schossen die Täter mit Schrotflinten auf die Roma. Der Familienvater und der kleine Robi, den er in seinen Armen trug, erlitten dabei tödliche Verletzungen. Ein weiteres Kind wurde verwundet, die Mutter und das dritte Kind blieben unverletzt.

Csaba Csorba, der Vater von Róbert, wohnt im 20 Meter entfernt gelegenen Nachbarhaus. "Sie haben sie niedergemetzelt, wie bei einer Treibjagd", sagt er verbittert. Doch die Polizei, die in der Nacht aus der nahegelegenen Kleinstadt Dabas anrückte, wollte von Mord nichts wissen: Es sei ein Brand wegen eines defekten Heizstrahlers gewesen, und die Opfer seien von herabfallenden Dachbalken getötet worden, meinte der Ermittlungsleiter zunächst."(...)


gerade das verhalten der polizei, das mit der floskel "skandalös" durchaus nicht getroffen wird, wird dann zwangsläufig noch schneller dazu führen, dass sich die bedrohten
selbst organisieren:

"Die Gründung einer "Garde" zum Selbstschutz planen ungarische Roma in Westungarn. Wie die Regionalzeitung "Kisalföld" berichtet, soll die Garde dem Ziel der "wirksameren Durchsetzung von Interessen" der Minderheit dienen. Laut László Pádár, dem Leiter des Interessenschutz-Verbandes der Roma im Komitat Györ-Moson-Sopron, diene die Gründung einer eigenen "Garde" als Antwort auf die Kraftdemonstrationen der rechtsextremen "Ungarischen Garde" und deren Märschen durch Orte mit hohem Roma-Anteil.(...)

Dabei werde die Garde der Roma ausschließlich "mit friedlichen Mitteln" auf sich aufmerksam machen.

Padar kritisierte, dass eine Roma-Generation heranwachse, die den Begriff "sicherer Arbeitsplatz" nicht kenne. Dabei würde ein Arbeitsplatz den Roma ihre "Selbstachtung" zurückgeben. Ein sicheres Einkommen würde die aus Armut und Not heraus begangenen Straftaten zurückdrängen. Die Roma sind mit geschätzten 600.000 Angehörigen die größte Volksgruppe in Ungarn."(...)


wobei zur friedlichkeit bekanntlich immer zwei gehören. insgesamt ist die ungarische situation aber ein typisches beispiel für das, was die krise an sozialer verwüstung in ihrem gefolge rund um den globus mit sich bringen wird.

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vor der letzteren fürchtet sich inzwischen auch ganz offiziell die
britische polizei:

(...)"Police are preparing for a "summer of rage" as victims of the economic downturn take to the streets to demonstrate against financial institutions, the Guardian has learned.

Britain's most senior police officer with responsibility for public order raised the spectre of a return of the riots of the 1980s, with people who have lost their jobs, homes or savings becoming "footsoldiers" in a wave of potentially violent mass protests."(...)


interessant ist dabei gar nicht mal so sehr die polizeiliche warnung an sich - ähnliches war bekanntlich schon aus vielen anderen ländern zu vernehmen -, sondern das menschenbild, welches hier durchscheint: den von der krise um job & wohnung gebrachten angehörigen der unter- und mittelklasse wird offensichtlich eigenständiges denken und handeln nicht zugetraut, stattdessen fungieren "linke und rechte extremisten" wie im schauerroman als drahtzieher im hintergrund. vermutlich sagt das aber sowohl etwas über die polizei als auch über die innere verfassung der klassen aus. für genügend
angst und wut ist jedenfalls gesorgt:

(...)"Ash Akhtiar, der Jobvermittler aus einem Vorort von Birmingham, sagt, er wolle, dass jemand für all das bezahle.

David L., der Banker, der aus Angst, den Job zu verlieren, seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, überlegt, ob er ein Gewehr kaufen soll, um seine Familie zu schützen.

Philip Augar, der Finanzexperte, versucht zu erklären, wie sein Land derart von Banken und Krediten abhängig werden konnte.

Und Tony Parsons, der Bestsellerautor, sagt, das Vereinigte Königreich erlebe eine Umwälzung, so gravierend wie der Fall der Berliner Mauer.

Großbritannien ist depressiv gestimmt in diesen Tagen. Die lange erfolgreichste Volkswirtschaft Europas ist so brutal abgestürzt wie kaum ein anderes Land in Europa.

Die Arbeitslosigkeit steigt doppelt so schnell wie im Durchschnitt auf dem Kontinent, zwei Millionen Menschen haben ihre Jobs verloren, Ende des Jahres könnten es drei Millionen sein.(...)

Der britische Sozialstaat, in immer neuen Reformrunden verkleinert, hat für die Entlassenen nur ein Arbeitslosengeld von rund 60 Pfund pro Woche übrig. Auf den Verlust des Jobs folgt oft die zwangsweise Aufgabe der Wohnung oder des Hauses, weil viele sich mit immer neuen Krediten verschuldet haben und die Raten nicht mehr bezahlen können. Alle sieben Minuten verliert derzeit jemand auf der Insel sein Haus.(...)

Er sagt, er habe noch nie so viele Leute aus seinem Umfeld gekannt, die entlassen worden seien, wie gerade jetzt. "Thatcher hatte Straßenaufstände bei drei Millionen Arbeitslosen; Gordon Brown oder David Cameron werden das auch erleben." Und jene, die Geld hätten, so wie er, die würden bald froh sein über die Wachleute vor ihren Häusern. "Wir haben einen Gurkha in unserem Viertel, einen früheren Elitesoldaten, vielleicht wird es hier bald wie in Südafrika."

Parsons stammt selbst aus der Arbeiterklasse, er kennt die Armut, und vielleicht sind seine Zukunftsvisionen deswegen so düster. Das Bild, das er zeichnet, ist das eines Landes, das in der Krise zurückkehrt zu einer schweren sozialen Spaltung, die in England immer schon viel tiefer reichte als in Kontinentaleuropa.

"Wir hatten in diesem Land stets zwei Nationen, die Besitzenden und die Nichtbesitzenden. Die einen leben wie römische Kaiser, und das werden sie auch weiterhin tun. Die anderen haben sich irgendwann daran gewöhnt, dass sie zweimal im Jahr in Urlaub fahren können. Damit wird es jetzt vorbei sein. Ich glaube, wir erleben bald wieder eine Gesellschaft, wie sie Charles Dickens beschrieb, nach Klassen scharf getrennt, nur für das 21. Jahrhundert."

Tony Parsons sagt, es säßen Leute im Gefängnis, die deutlich weniger Leid angerichtet hätten als die Chefs der Banken, die sich neulich im Fernsehen entschuldigten. Das sei ein sehr unbefriedigendes Schauspiel gewesen, sagt er, ohne echte Reue.

"Ich weiß ja, dass es nichts an den Tatsachen ändern würde, wenn wir ihre Köpfe vor der Nationalbank aufspießen. Aber wir sollten es trotzdem tun. Vielleicht würden wir uns nachher besser fühlen."


und um für den letzten wunsch verständnis zu entwickeln, brauchen Sie nur diese
reportage zu lesen, in der ein fazit berechtigterweise so aussieht:

(...)"Wenn sich eine Lehre aus der Krise ziehen lässt, dann die, dass sie grundsätzlich ungerecht ist. Je näher man dem Auge des Sturms kommt, der derzeit um den Globus fegt, desto deutlicher wird: Das Leid der Banker ist weder proportional zu dem Schaden, den sie angerichtet haben, noch zu dem Reingewinn, den sie in guten Zeiten eingestrichen haben."(...)

*

unter anderem die zunehmende wahrnehmung dieses sachverhalts dürfte am vergangenen wochenende auch jene über
100.000 in dublin auf die straßen getrieben haben, die sich den in vergangenen news beschriebenen irischen zuständen ausgesetzt sehen. diese demonstration wird laut irischer presse inzwischen breit als auftakt zu weiteren aktionen verstanden, an derem ende dann wieder mal ein weiterer regierungssturz stehen könnte - was aber bekanntlich nichts an der grundsätzlichen situation ändern wird. aber solche massenproteste sind auch immer eine chance für kollektive lernprozesse, und da darf man eine gewisse hoffnung sehen. auch, wenn sich mögliche ergebnisse solcher prozesse erst mittelfristig zeigen werden. die stimmung in dublin war jedenfalls - sehen und hören Sie am besten selbst:



*

die länderreportagen von wildcat verlinke ich ja schon aus gewohnheit als lesetipp, weil sie zwar auch nur fragmentarische ausschnitte zeigen können, aber eben besonderen wert auf eine perspektive von unten legen und damit auch teile der realität ins visier bekommen, die anderswo eher untergehen - der aktuelle
bericht aus kalifornien bestätigt das:

"Mitte September 2008, nach der Pleite von Lehmann Brothers, wurden die Auswirkungen der Wirtschaftskrise so extrem, dass es anscheinend jeder merkte. Ich nahm an mehreren Nachmittagen in der Woche den Bus zur Arbeit und fuhr durch die schrumpfende afroamerikanische Community im Western Addition District. Die Angst war spürbar, und oft hörte ich Leute am Handy darüber sprechen, wie jemand entlassen worden war, wie Häuser zwangsversteigert wurden, oder wie jemand einfach bis zur Privatinsolvenz verschuldet war.(...)

Auf dem Heimweg fuhren wir durch Patterson, direkt an der Interstate 5 weiter im Süden. Hier hat sich die Einwohnerzahl kürzlich durch Langstreckenpendler der Bay Area auf fast 20.000 verdoppelt, weil auf der I-5 nicht der übliche Verkehrskollaps stattfindet. Ein junger Latino, der in Modesto im Maklerbüro der Familie arbeitet (und der mit seinem Vater, dem Firmeninhaber, Hauptorganisator der Aktion der mehr als 10.000 Latino-Arbeiter war, die am Ersten Mai 2006 in Modesto die Arbeit niederlegten; beide wurden monatelang von Polizeiwagen verfolgt) sagte uns, dass mehr als achtzig Prozent der brandneuen vier- und fünf-Zimmer-Häuser in den Neubaugebieten direkt an der I-5 leerstehen, fast alle entweder in Zwangsvollstreckung oder unverkauft. Bei Sonnenuntergang fuhren wir dort durch, es war gänzlich dunkel und gruselig; es schien, als ob die Gegend von einer Neutronenbombe getroffen worden wäre - alle Gebäude intakt, aber kein Lebenszeichen.

Junge AnarchistInnen aus Modesto haben uns auf diese Tour mitgenommen. Mehrere von ihnen sind selbst Hausbesetzer und sie kennen Dutzende von Leuten, meist Familien, die nach der Zwangsvollstreckung wieder in ihre Häuser eingezogen sind und immer noch da wohnen. Aber sie meinten, dass man sehr, sehr vorsichtig sein muss. Die Polizisten in Modesto sind brutale Schläger und nehmen die geringste Provokation zum Vorwand, um Leute zu drangsalieren und festzunehmen. Allerdings sind die Nachbarn in den betroffenen Gebieten, die noch legal in ihren Häusern wohnen, ganz froh über die Besetzer, weil sie die Grundstücke in Ordnung halten, also Rasen mähen, den Garten pflegen und saubermachen, so dass der Schein gewahrt bleibt und der Wertverfall und ein Sichtbarwerden der Krise hinausgezögert werden. Einerseits bremst es das Abrutschen der Immobilienwerte ein kleines bisschen, und andererseits hält es Drogenabhängige davon ab, alle Kupferleitungen und Rohre herauszureißen und beim Schrotthändler zu verkaufen. Einige, die noch legal in ihren Häusern wohnen, legen den Besetzern aus Solidarität Elektroleitungen hinüber. In einigen Städte in der Nähe von Modesto wurden es gesetzlich verboten, in einem Haus mit abgestellten Wasserleitungen zu wohnen. Also müssen die Besetzer oft das Wasser illegal wieder anstellen. Aber die meisten Besetzer tun alles, um nicht von der Polizei und anderen Behörden entdeckt zu werden."(...)


lesen Sie´s ganz, weil sich hier auch einiges über den entstehenden widerstand erfahren lässt. und danach empfehle ich ein video zur situation in den usa, das mich erst bleich und dann unglaublich wütend gemacht hat:



sagte da gerade noch jemand, das wäre ja alles nicht mit der großen depression 1929 ff. zu vergleichen? okay, damals gab´s keine umgebauten einkaufswagen für obdachlose. und gerade bei diesen musste ich an den bericht aus kalifornien und die anderen gebiete denken, in denen tausende häuser einfach leerstehen - weil sie von irgendwelchen leuten unter dem schutz irgendwelcher gesetze als eigentum betrachtet werden. ich hoffe sehr, dass sowohl in den usa als auch anderswo die alte gute tradition der hausbesetzungen wieder erwacht.

*

ein update zur situation auf
guadeloupe , wo die französische regierung offenbar versucht, den konflikt auszusitzen:

(...)"Frankreichs Regierung lässt sich indes nicht blicken, der sonst so reaktionsfreudige Präsident nicht, der Premierminister nicht, die zuständige Ministerin nicht, ihr Staatssekretär ist längst wieder weg. Und wenn es allzu arg wird, verkriecht sich die örtliche Staatsgewalt in ihrem Gebäude.

Das Élysée will den Konflikt verdrängen. Vielleicht mit Geld zudecken. Schließlich fürchtet es die Ansteckung mehr als die Auszehrung durch neue Schulden. Schon hat das rote Fieber andere Überseedepartements erreicht. Am Samstag zeigten 15.000 Demonstranten in Paris ihre Solidarität, eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass in der Hauptstadt dieser Tage reichlich demonstriert wird. Da mischt sich Brisantes zusammen. Umfragen zufolge wollen zwei Drittel der Franzosen nicht ausschließen, dass Guadeloupe bald überall ist."(...)


aus sicht der regierung muss guadeloupe als sehr schlechtes beispiel für das kernland gelten, in dem inzwischen wie überall auch die
erwerbslosigkeit steigt - und das hat folgen, wie sie in der schon eben erwähnten umfrage deutlich werden:

(...)"Nach jüngsten Umfragen erwarten sie, dass sich die sozialen Unruhen auswachsen. Sechs von zehn Befragten gaben Mitte Februar an, dass sie einen Konflikt größeren Ausmaßes erwarten (im Januar waren es nur 50 Prozent). 36 Prozent wünschten ihn, berichtete der Figaro."

36 prozent wünschen sich den konflikt - ein system, dass zwangsläufig bei allem produzierten elend auch noch solche wünsche hervorbringt, ist erledigt. es kann sich zwar noch mit waffen, terror und diktatur versuchen zu halten - aber wir haben es hier inzwischen auch eindeutig mit einer globalen legitimationskrise des kapitalismus zu tun, die längst überfällig war. und die gilt es jetzt so schnell und weit wie möglich zuzuspitzen.

*

und zwar schon aus reinem überlebensinteresse, wenn wir unsere aufmerksamkeit mal einen augenblick von der ökonomischen krise wegbewegen und auf die bereits im hintergrund bereitstehenden großen brüder der wirtschaftskrise lenken, die sich bereits ebenfalls bemerkbar machen, aber aufgrund ihrer scheinbar weit entfernten konsequenzen noch mehr unterschätzt und verdrängt werden als eine krise, die für immer mehr menschen direkt spürbar wird. ziemlich untergegangen ist neulich die folgende
meldung:

(...)"»Wenn die Wirtschaftskrise vorbei ist, ist der Klimawandel immer noch da«, sagt Frank Böttcher, Kongress-Organisator und Leiter des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation in Hamburg. Nach seinen Berechnungen könnten die CO2-Emissionen im laufenden Jahr in Folge der Wirtschaftskrise zwar leicht um fünf bis acht Prozent zurückgehen und sich der CO2-Anstieg in der Atmosphäre damit etwas verlangsamen. »Wir gehen aber nicht davon aus, dass die Jahreshöchstwerte unter denen des Vorjahres liegen«, so Böttcher.

Mit dem weiter steigenden Ausstoß von Kohlendioxid »tut die Weltgemeinschaft das Gegenteil von dem, was sie tun müsste«, kritisiert der Direktor des Kieler Leibniz-Institutes für Meereswissenschaften, Mojib Latif. Dabei zeige gerade die globale Finanzkrise, dass die Weltgemeinschaft auch bei der Bekämpfung der Erderwärmung besser zusammenarbeiten könnte. »Wenn wir wollen, ist alles möglich – die Zeit des Zauderns ist vorbei«, mahnt Latif. Als Indiz für die dramatische Lage werten er und andere Wissenschaftler das schnelle Abschmelzen des Meereises in der Arktis. »Die letzten beiden Sommer brachten das Eis derart zum Schmelzen, dass Flächen ohne Eis waren, die so groß sind wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien zusammen«(...)

»Weniger Kohlendioxid wird nicht zu einem Ende der globalen Erwärmung führen«, ist Storch überzeugt. »Wir sollten deshalb die Emissionen verringern und uns gleichzeitig anpassen.« Der Wissenschaftler spricht damit aus, was vielen Ökologen als Tabubruch gilt – die Klimakrise ist auch zu managen. Länder und Kommunen müssten sich beispielsweise rechtzeitig auf den Bau höherer Dämme gegen Überschwemmungen einstellen, dafür sei noch genügend Zeit."(...)


wenn ich mir die entwicklungen so betrachte, komme ich ebenfalls zu dem schluß, dass die dynamik der klimatischen veränderungen (klima ist übrigens nicht mit dem wetter gleichzusetzen, sei an dieser stelle nochmals angemerkt) bereits ein solches tempo erreicht hat und bei unserer grandios weitblickenden (genau: immer bis zu den nächsten wahlen) "politik" mit ihren abwrackprämien und ihren straßenbauprogrammen noch erreichen wird, dass uns nichts anderes als eine anpassung übrig bleiben wird, soweit diese überhaupt möglich ist. und das bedeutet auch, sich mit der frage der
klima- und umweltflüchtlinge zu beschäftigen:

(...)"Selbst wenn wir den konservativen Prognosen folgen und annehmen, dass Mitteleuropa einigermaßen glimpflich davonkommt und die "Tipping Points" nicht überschritten werden - im Süden der Welt wird das anders sein. Das hat Folgen auch für uns. Der Klimawandel wird zumindest in diesen Regionen ohne Zweifel zu sozialen Katastrophen führen, die Auswirkungen bis nach Europa haben werden. Bereits jetzt werden vor den Küsten Südeuropas jedes Jahr Tausende von Flüchtlingsbooten aufgebracht.

Frage: Sind das denn Klimaflüchtlinge?

Welzer: Derzeit dominieren noch die Armutsflüchtlinge. Aber sie zeigen, was auf uns zukommen könnte. Uno-Organisationen prognostizieren in den nächsten Jahren bis zu 150 Millionen Umweltflüchtlinge.

Frage: Solche Prognosen sind spekulativ.

Welzer: Natürlich sind diese Zahlen nicht belastbar, aber sie sind auch nicht an den Haaren herbeigezogen. Der Darfur-Konflikt im Sudan etwa lässt sich tatsächlich als Klimakrieg verstehen. Hier zeigt sich eine starke Umweltkomponente bei einer kriegerischen Auseinandersetzung, die wir früher ethnisch oder ideologisch definiert hätten. Erst die anhaltende Dürre, verbunden mit stark wachsenden Bevölkerungszahlen, führte dazu, dass sich schwelende Konflikte zu einem Dauerkrieg ausgewachsen haben. Je nach Schätzung wurden dort in den letzten Jahren zwischen 200.000 bis 500.000 Menschen ermordet."(...)


harald welzer, dessen art, die krisen wirklich im zusammenhang zu denken und zu begreifen ich sehr schätze, wiederholt im weiteren verlauf noch etwas interessantes über menschliche arten der (nicht-)wahrnehmung:

(...)"Das ist ja das Problem, dass die zuständigen Wissenschaften solche Entwicklungen in den letzten Jahren völlig verpennt haben. Die beschäftigen sich mit Diskursen und Metaproblemen, mit hochkomplexen Foucaultschen Theorien oder mit der Kulturgeschichte des Fahrstuhls. Sie bekommen aber nicht mit, wenn eine ganze Hemisphäre unterzugehen beginnt, so wie 1989 der Ostblock. Damals ist die Gesellschaftstheorie praktisch zum Erliegen gekommen.

Frage: Passiert beim Klimawandel derzeit das Gleiche?

Welzer: Ich denke schon. Man muss die Gesellschaftswissenschaftler regelrecht darauf stoßen, dass die globale Erwärmung auch soziale Folgen haben wird. Dabei geht es nicht nur um die erwähnten Flüchtlingskatastrophen, sondern auch um kulturelle Fragen: Wie zum Beispiel ändert sich die Identität der Schweiz, wenn in den Alpen alle Gletscher weggeschmolzen sind?

Frage: Eigentlich nahe liegende Fragen…

Welzer: Ja, aber offenbar tun sich selbst Fachwissenschaftler schwer damit, radikale gesellschaftliche Umbrüche zu erkennen. Ich vermute, dass dies eine allgemein menschliche Schwäche ist. Unsere Selbstwahrnehmung ist so strukturiert, dass wir nicht wirklich an die Möglichkeit extremer Veränderungen glauben. Abstrakt wissen wir zwar, dass wir vor einem gravierenden Problem stehen, aber dieses Wissen berührt nicht ernsthaft unser Lebensgefühl.

Frage: Warum nicht?

Welzer: Weil es immer noch Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt; weil die U-Bahnen fahren und die Zeitung jeden Morgen im Briefkasten steckt. Die sozialen Routinen bleiben. Und die tatsächlichen Auffälligkeiten denken wir uns weg."(...)


*

bis uns die auffälligkeiten direkt auf die füße fallen, und dann ist das geschrei regelmäßig groß - ähnliches war bei den hohen ölpreisen des vergangenen sommers zu beobachten, die, obwohl teils spekulationsbedingt, doch schon einen kleinen vorgeschmack auf eine weiter anrollende krise, nämlich die der energie und rohstoffe, geliefert hat. zu peak oil habe ich bereits in der vergangenheit aus meiner perspektive das wichtigste gesagt, zuletzt im späten herbst, als eine geradezu sensationelle prognose der internationalen energieagentur zu den ölvorräten in den medialen wirren der finanzkrise schlicht untergegangen ist. das gleiche schicksal hat eine weitere
warnung des französischen energiekonzerns "total" ereilt, die zwar kurz dokumentiert, aber weder breit kommentiert noch diskutiert wurde:

(...)"The world will never be able to produce more than 89m barrels a day of oil, the head of Europe's third-largest energy group has warned, citing high costs in areas such as Canada and political restrictions in countries such as Iran and Iraq.

Christophe de Margerie, chief executive of Total, the French oil and gas company, said he had revised his forecast for 2015 oil production downward by at least 4m barrels a day because of the current economic crisis and the collapse in oil prices."(...)


"total" geht ähnlich wie die iea von einer weit schneller als erwartet eintretenden erschöpfung der großen aktiven ölfelder aus, die durch wirtschaftskrisenbedingte fehlende investitionen zur erschließung der restlichen und teils wesentlich förderaufwendigeren und deshalb teureren quellen wie den sog. ölsanden nicht rechtzeitig genug aufgefangen werden kann. was im endeffekt nichts anderes bedeuten wird als das eintreten einer prognose, die ich hier schon ein paar mal vertreten habe: ein hypothetischer "aufschwung" wird sehr schnell bis sofort zu rasant steigenden ölpreisen führen - die folgen können Sie sich bei unser immer noch ölbasierten ökonomie ausmalen. der kapitalismus sitzt wie eine fette, bösartig quiekende ratte in einer selbstproduzierten falle ohne ausweg.

*

in aller kürze - das krisentelegramm:+
japan rauscht ungebremst in die depression - daten und zahlen via wirtschaftsquerschüsse + aus polen kommt die folgende bizarre meldung: (...)"Die psychiatrischen Anstalten in den Städten Tworki und Lublinec seien gerade dabei, diskret neue Stationen für Manager zu eröffnen, die angesichts der voranschreitenden Wirtschaftskrise einen psychischen Zusammenbruch erlitten haben. Bartosz Loza, Direktor der Klinik in Tworki, versprach seinen vermögenden Patienten in der Zeitung »luxuriöse Bedingungen« in einer eigens gegründeten Abteilung. Die neuen Patienten haben in den letzten Jahren ihre Karriereleitern beständig erklommen und kämen mit der Krisensituation nicht klar, erläuterte der Vorsitzende der polnischen psychiatrischen Vereinigung, Prof. Aleksander Araszkiewicz: »So jemand gibt sein ganzes Geld aus, aber er geht nicht in ein gewöhnliches Krankenhaus, das wäre für ihn eine Ehrverletzung.«(...) - die sich dann doch nur als weitere variante des mottos "einige schweine sind gleicher als die anderen" entpuppt. bedauerlich, dass diese herren auch hier nicht in kontakt mit der realität kommen wollen. ich würde allerdings empfehlen, diese stationen wenigstens unter dem diagnostischen motto F60.2 laufen zu lassen. + deutliche worte zu den anlaufenden lohnkürzungen, bei denen das kapital nicht kapieren will, dass es sich auch damit selbst den ast absägt - aber wahrscheinlich ist der schnelle exitus eh die bessere variante - vorher aber werden viele leiden: "...vor allem aber wird nun deutlich, dass es sämtlichen Konjunkturpaketen nicht gelingen wird, den Nachfrageausfall zu kompensieren, der durch die weltweit sinkenden Löhne und die Arbeitslosigkeit entsteht. Die Rezession dürfte sich zu einer großen Depression entwickeln.(...)" + kurzberichte aus china, russland, spanien und südafrika + und die letzten worte sollen jean ziegler überlassen werden: "Die Banker haben mehr Menschen auf dem Gewissen als mancher afrikanische Warlord." - zwar personalisiert, aber in der sache durchaus treffend. wenn die anderen akteure neben den bankstern nicht vergessen werden.+

Mittwoch, 25. Februar 2009

basis: traumageschichte(n) 5 - tradierte traumata - eine mail

die im folgenden (mit einverständnis) dokumentierte mail stammt von einer frau, die sich seit jahren mit dem existenziellen erbe auseinandersetzen muss, als kind in eine familie hereingeboren worden zu sein, in der die erwachsenen eltern unbegriffen und unaufgearbeitet ihre eigenen schäden aus ns-zeit, weltkrieg und nicht zuletzt auch der "ganz normalen erziehung" an ihr ausagiert haben. als kind erlebte sie innerhalb der familie emotionale vernachlässigung, körperliche gewalt und sexualisierte gewalt.

mit welcher dynamik und mit welchen (gesamtgesellschaftlichen) folgen tradierte traumata wirken, macht der folgende text eindrucksvoll deutlich, der sich auch als vertiefung und ergänzung zum beitrag der traumareihe bezgl. der "sehr deutschen" pseudodiagnose
vegetative dystonie lesen lässt. die erwähnte gesprächspartnerin der frau ist eine fachärztin für psychiatrie & neurologie.


Hallo ....

ich hatte heute nacht schlimme Albträume. wenn du weiter liest, wirst du auch verstehen, warum. Ich möchte dir etwas von dem Gespräch mit Frau M.erzählen, weil es mich so sehr beschäftigt. Kann sein, dass ich es noch nicht so gut ausdrücken kann, weil es noch so sehr in mir wogt.

Vieles darin wird dir vertraut sein, aber vielleicht gibt es auch durch meine Art, Hintergründe verstehen zu wollen und Zusammenhänge herzustellen, doch noch das eine oder andere neue für dich.

Im Gespräch gestern ging es unter anderem um die Generation unserer Eltern, die ihre eigenen, nicht aufgearbeiteten Traumata an uns, ihre Kinder weiter gegeben haben. Meine Geschichte ist zwar individuell, aber sie ist, was die Ursachen dafür und deren Folgen angeht, kein Einzelfall.

Sie sagte, dass unsere Eltern, die als Kinder im 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, von ihren Eltern, deren Väter zum grossen Teil als Soldaten am 1. Weltkrieg teilgenommen haben (manche sogar an beiden Kriegen), gelernt haben, unglaublich viel auszuhalten und die eigenen Gefühle nicht zu spüren. Das wurde unseren Eltern durch ihre Eltern "beigebracht". Die Erziehung unserer Eltern durch ihre Eltern war eine brutale Erziehung.

Für die Eltern unserer Eltern war es überlebenswichtig, nichts zu spüren, sonst wären sie an dem, was sie erlebt haben, verrückt geworden. Weil vieles so schlimm war, dass man damit nicht einfach weiter leben kann. Und die Eltern unserer Eltern haben die im Krieg erlebten Grausamkeiten nicht aufgearbeitet, sondern sie haben die erlebte Gewalt an ihre Kinder - unsere Eltern - weiter gegeben, um sich selbst emotional zu entlasten. Durch die Art ihrer Erziehung, in ihrem eigenen autoritären Verhalten, in den brutalen Strafen, in der emotionalen Vernachlässigung ihrer Kinder haben sie die eigene erlebte Gewalt weiter gegeben.

Auch unsere Eltern haben wie ihre Eltern einen Krieg erlebt - als Kinder, sie wuchsen darin auf. Sie haben von ihren Eltern Gewalt durch die Erziehung erlebt (siehe vorheriger Abschnitt). Und auch sie wurden so erzogen, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel auszuhalten. Zusätzlich zu dieser Erziehung haben sie den 2. Weltkrieg als Kinder erlebt, mit allem Furchtbaren und allen Entbehrungen. Diesen haben sie erlebt mit dem in sie durch die Erziehung eingehämmerten: Du sollst nichts spüren. Du musst aushalten.

Und unsere Eltern haben die durch ihre Eltern erlebten Grausamkeiten nie aufgearbeitet und verarbeitet. Sie haben es genau so gemacht wie ihre Eltern: sie haben die erlebte Gewalt an uns weiter gegeben, um sich emotional selbst zu entlasten (was natürlich eine Pseudoentlastung ist, denn ohne Aufarbeitung kann man diese erlebte Gewalt nicht überwinden).

Unsere Eltern haben dann kräftig am Wirtschaftswunder mitgearbeitet. So mussten sie sich nicht auf ihre eigenen Gefühle konzentrieren, die Verletzungen spüren. So haben sie weggeschoben, was notwendig gewesen wäre: die Auf- und Verarbeitung ihrer Vergangenheit. Unsere Eltern hätten die Chance gehabt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten - auch später noch. Aber die meisten konnten es nicht - und wollten es auch nicht. So haben sie ihren Müll an uns weiter gegeben.

Frau M. sagte, dieser Sadismus, mit dem viele unserer Großeltern ihre Kinder traumatisiert haben - durch die Erziehung beeinflusst von den unverarbeiteten Kriegserlebnissen - sei unvergleichlich. Diesen Sadismus haben auch viele unserer Eltern an uns weiter gegeben / uns zugefügt. Auch heute gibt es noch Traumatisierungen bspw. durch emotionale Vernachlässigung, aber diesen ganz speziellen Sadismus der beiden Kriegsgenerationen gibt es darin so nicht mehr.

Sie sagte: Wenn jemand im Krieg war und das nicht verarbeitet hat, gibt er das als unglaublichen Sadismus weiter. Auch als Kind im Krieg aufgewachsen zu sein und Schlimmes erlebt zu haben, erzeugt Sadismus. Aber wenn jemand selbst als Soldat im Krieg war, bei Gewalttaten zugesehen hat und an Gewalttaten beteiligt war, ist das noch viel schlimmer. Das ist meine Erfahrung hier in der Praxis - die am schlimmsten Traumatisierten sind die Menschen, die solche Eltern haben.

Sie sagte auch: Wenn man das eigene Trauma nicht aufarbeitet und irgendwann verarbeitet, gibt man es weiter.

Nach all dem, was ich gestern im Gespräch erfahren habe, denke ich jetzt:

Unsere Eltern konnten und wollten auch später - in "Friedenszeiten" ihre Gefühle nicht fühlen. Sie haben uns den ganzen Rotz weiter gegeben:

- Die Haltung: Es ist gut, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel aushalten zu können.
Was für eine lebensfeindliche Haltung!!!!!!!!!
- Sie haben an uns die Gewalt weiter gegeben, die sie selbst erlebt haben - als Kinder ihrer autoritären, oft
sehr brutalen Eltern.

Ihre Erziehung bestand darin, dass aus ihnen "brave" Kinder gemacht wurden = Kinder, die keine unbequemen Fragen stellten, Kinder, die aufgefordert waren, taub, blind, stumm und lahm zu sein! In einem solchen Sinne erzogen wuchsen sie im Faschismus auf, erlebten ihn unhinterfragt, waren Teil darin, angepasst, waren "mucksmäuschenstill".

- Als solche fügig gemachten, angepassten, verängstigten Kinder erlebten sie dann auch den Krieg - mit
seinen Gräueltaten und Entbehrungen.

Unsere Eltern haben nichts von ihrer eigenen Vergangenheit aufgearbeitet und verarbeitet - dafür hätten sie all die vielen verleugneten und verdrängten, unglaublich schmerzhaften Gefühle fühlen müssen. So sieht die Bearbeitung eines Traumas aus, anders kann es nicht verarbeitet werden. Schwerstarbeit, ich weiss es!

Unsere Eltern sind diesem schwierigen, schmerzvollen Prozess ausgewichen. Sie haben uns ähnlich erzogen, wie ihre Eltern sie erzogen haben. Sie haben uns ihre eigenen Deformationen weiter gegeben, aufgedrückt. Mit den kämpfen wir jetzt! Diese versuchen wir jetzt aufzulösen! Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, um erlebte Traumata, um erlebte Zerstörung nicht mehr weiter zu leben und nicht mehr weiter zu geben. Was für ein Erbe!!!!!!!!!

Und was mich aufregt: Ich habe meine Mutter SIEBZEHN! Jahre lang aktive Angebote gemacht, sich mit den Gewaltstrukturen in unserer Familie, einschliesslich ihrer eigenen an uns weiter gegebenen Gewalt, auseinander zu setzen. Sie hat sich geweigert! Sie hat alles beschwichtigt und bagatellisiert! Sie hat sich nichts vorzuwerfen! Sie ist über alle Kritik erhaben! Kinder haben ihre Eltern nicht zu kritisieren - Punkt!
Das macht mich fassungslos!

Ich sehe mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Ich bin entsetzt! Ich könnte schreien! Das ist unsere Gesellschaft!!!!!!! Und diese Auf- und Verarbeitungsprozesse dauern so lang! Ich erlebe es ja an mir. Und anders kann sich nichts ändern! Sonst wird es immer nur eine Wiederholung geben - in neuen Gewändern. Ist das nicht wahnsinnig???????

Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die RAF, mit der ich als Jugendliche sympathisierte, weil sie sich gegen all das wehrte, was ich damals gefühlt, aber unbegriffen mit meinen Eltern in Verbindung brachte. Frau M. sagte: Die RAF hat versucht, die Geschichte der deutschen Kontinuität zu brechen - aber mit der gleichen Methodik. Sie haben mit der gleichen Brutalität gehandelt, wie sie sie selbst erfahren haben - als Kinder kriegstraumatisierter, sadistischer Eltern. Sie haben versucht, einen Bruch zu machen - die Ideologie war eine andere, aber das Vorgehen darin war genau so gewalttätig und brutal. Sie hätten ihre eigene Geschichte aufarbeiten müssen, mit der Gefühlsverleugnung und -verdrängung brechen müssen! So haben sie etwas davon weiter gegeben, was sie selbst erleben mussten. Die Geschichte der RAF war kein Bruch, sie war eine Fortsetzung. Nur die Ideologie war eine andere.


*

ich möchte dazu nur zwei anmerkungen machen: erstens glaube ich, dass sowohl die wahrscheinlichkeit als auch die zeitliche dauer für und von heilungsprozessen ganz anders aussehen würde, wenn es eine breite und spürbare gesellschaftlich positive resonanz und auch akzeptanz für die elementare wichtigkeit dieser arbeit gäbe.

und zweitens sehe ich den aspekt hinsichtlich der raf ähnlich, halte diesen jedoch als alleinigen hintergrund für zu eindimensional, weil gerade die ersten aktionen der raf mit bezug auf den vietnamkrieg etwas waren, was sich im historischen rückblick sehr wohl als begründet und allgemein menschlich legitimiert betrachten lässt - ohne den spezifisch deutschen hintergrund der raf, der auch in der
kommandoerklärung zu einem ihrer ersten anschläge auf das us-hauptquartier in stuttgart 1972 zum ausdruck kommt, zu vergessen.

tatsächlich war diese institution eine entscheidende koordinierungsstelle für die bombardements, die sich als verbrechen betrachten lassen. und ist eben deshalb auch für den wunsch, dieses verbrechen wirkungsvoll zu stören, die passende anlaufstelle gewesen - immer vor dem hintergrund, dass weder die regierung noch die bevölkerung der damaligen brd willens gewesen ist, hier wirkungsvoll einzugreifen.

tatsächlich aber sind auch die gezogenen vergleiche mit auschwitz und dresden ausdruck einer nicht begriffenen inneren verwirrung seitens der guerilla, die hier gleich mit ihrem beginn ihren psychohistorischen hintergrund deutlich machte. und in diesem verlauf auch noch täter und opfer gleich setzt. nichtsdestotrotz hatten diese vietnambezogenen aktionen der raf einen charakter, der sich primär durch die damalige aktuelle situation entschlüsseln lässt - auch, wenn sie zumindest in hinsicht auf die inneren motivationen der akteure teilweise auf der matrix von ns-zeit und weltkrieg stattgefunden haben.

dazu sollte man sich dann auch einmal die herkunft vieler der ersten aktivistInnen anschauen, die sich der raf anschlossen: einige kamen aus dem
sozialistischen patientenkollektiv heidelberg und waren als - hm, patientInnen mit verschiedenen psychiatrischen diagnosen durchaus repräsentativ für das gesammelte psychophysische elend, das in der alten brd unter dem deckmäntelchen von wohlstand & ordnung jahrzehntelang unter den teppich biederer bürgerlichkeit gekehrt wurde. einige andere kamen aus solchen heimen, in denen kinder & jugendliche mit extrem repressiven und traumatischen methoden direkt aus der "schwarzen pädagogik" bis weit in die 1970er jahre hinein traktiert wurden. der wunsch nach dem bruch und "zurückschlagen" ist von daher durchaus verständlich.

ich möchte aber hier ausdrücklich keine raf-debatte, jedenfalls im ideologisch-politischen sinne, anstoßen - das thema steht in der überschrift, und die raf und ihre geschichte sind dabei - wie sich an der mail erkennen lässt, nicht nur aus meiner perspektive - zwar ein sehr spektakulärer, aber keinesfalls der einzige punkt.

notiz: zehn minuten konfrontation mit der realität

Montag, 23. Februar 2009

zuwachs in der blogroll

und wie üblich möchte ich "die neuen" allen leserInnen nahelegen, die sich zu verschiedenen aspekten der hiesigen themen weiter informieren und auch neue perspektiven kennenlernen möchten. einmal wären da die klaren worte von kritik und kunst - erst kürzlich kennengelernt, und schon geschätzt. ebenso wie die fundierten berichte aus dem gesamten osteuropäischen raum von tomasz konicz, die u.a. auch bei telepolis zu finden sind und dessen blog nicht nur, aber gerade in den jetzigen zeiten eine wichtige informationsquelle darstellt. wer sich in sachen peak oil auf dem laufenden halten möchte, kann das beim ölschock-blog tun, wobei die gesamte seite von ölschock.de sehr informativ ist. and last but not least für die gedanklich rüstigen unter uns das opablog - auch, wenn man sich über die unterzeile im header mächtig streiten kann. aber dafür sind blogs ja auch da.

notiz: krisennews spezial - wie groß ist das zerstörungspotenzial der krise? [update]

in den news nr.25 habe ich vermutlich etliche leserInnen mit der dort dokumentierten leap-prognose - "zerfall der öffentlichen ordnung ab dem vierten quartal 2009" - erschreckt und/oder ins nachdenken gebracht.

falls Sie sich erschreckt haben, möchte ich Sie vorwarnen - aus den usa kommen jetzt berichte, welche die erwähnte prognose nicht nur stützen, sondern eher noch eins drauflegen. vor einigen tagen war die meldung, dass der neue cia-chef blair nicht mehr "den terrorismus", sondern die wirtschaftskrise "als neue zentrale bedrohung der usa" skizziert habe, für kurze zeit in den schlagzeilen. ich habe allerdings nur oberflächliche bis nichtssagende darstellungen seiner begründung für diesen doch nicht unerheblichen wechsel beim staatsfeind nr.1 gefunden. aktuell aber berichtet die zeit gerade über eine weitere
anhörung vor dem auswärtigen ausschuß zum thema. ökonomen und politikwissenschaftler gaben prognosen ab, die die unfaßbare und destruktive wucht der systemkrise vielleicht endgültig deutlich machen können:

(...)»Ist die Wirtschaftskrise Ihrer Meinung nach tatsächlich bedrohlicher als der Terrorismus?« – »Ja«, antworteten fünf einvernommene Ökonomen und Politikwissenschaftler nachdrücklich. Bankrotte Länder, stürzende Regierungen, Arbeitslosenheere, Aufruhr, Handelskämpfe und Kriege dominierten die Prognosen. Kein Land bleibe verschont, doch am schlimmsten treffe es die Ärmsten. Sinkende Rohstoffpreise, schrumpfende Exportchancen und sündhaft teure Kredite – das sei »die Formel für den Niedergang«, erklärte ein Harvard-Professor.(...)

Im Stakkato trugen die Professoren vor: Island ist ruiniert und hoch verschuldet in Moskau, weil westliche Verbündete die Hilfe verweigerten. Russland winkt mit Geld und macht sich trotz sinkender Öl- und Gaspreise und schwindender Devisenreserven seine Nachbarn gefügig; Kirgistan zum Beispiel erhielt soeben eine Geldspritze und schließt im Gegenzug den amerikanischen Stützpunkt für Afghanistanflüge.

Osteuropa befürchtet den Kollaps, weil seine Exportmärkte zusammenbrechen. Libyen rettet europäische Banken. EU und Euro stehen vor einer Zerreißprobe. Griechenland, Portugal, Italien, Spanien und Irland, meinten die Experten, könnten nicht mehr lange im europäischen Feld mithalten, Spaniens Arbeitslosigkeit sei bereits von acht auf 14 Prozent geschnellt und werde bis Ende des Jahres wahrscheinlich auf 18 Prozent steigen. »Das muss eine junge Demokratie erst einmal aushalten können«, so der Harvard-Politologe.

Überdies: In Japan sinkt der Export um 30 und die Industrieproduktion um zehn Prozent, Hightech- und Autobranche entlassen Zehntausende, der Finanzminister musste soeben zurücktreten. In Südkorea ist die Lage ebenso verheerend und eine Besserung nicht in Sicht. Laut der Experten müsse China seine Wachstumsprognose für dieses Jahr von dreizehn auf sechs Prozent reduzieren, alles unter acht Prozent sei schlimm, Millionen von Wanderarbeitern würden keine Anstellung mehr finden. Die Wut auf Amerika als den Verursacher der Krise werde wachsen. In dieser Woche will Außenministerin Clinton versuchen, die Wogen in Asien zu glätten.

Schließlich: Das Erdbeben auf der Wall Street hat Pakistans kleine, aber wichtige Mittelschicht unter sich begraben. In Indien, in Ägypten, in Iran und im Gaza-Streifen wächst das Heer arbeitsloser junger Männer. Weltweit verschwinden gegenwärtig etwa 50 Millionen Jobs. Die Folgen, wurde den Senatoren erläutert, seien offenkundig: Extremismus, Hungeraufstände, Unterdrückung, alte und neue Kriege. In Kongo und Sri Lanka zum Beispiel seien die Kämpfe erneut wieder heftig aufgeflammt. Eine gutes Viertel aller Regierungen rund um den Globus sei bereits in Bedrängnis geraten. Im Angesicht des Volkszorns würden vielerorts Bürgerfreiheiten beschnitten. In Wladiwostok gehe Russlands Polizei schon seit Monaten brutal gegen Demonstranten vor, die gegen höhere Steuern für Importautos protestierten."(...)


das einzige, was sie offensichtlich nicht erwähnt haben: ihr eigenes land befindet sich im ebenfalls im stadium des rapiden sozioökonomischen zerfalls. aber davon abgesehen, habe ich gerade nur einen, ganz unanalytischen gedanken:

HOLY SHIT!

edit: auch mit einigen stunden abstand wird das bild kein stück besser. sicher, das kapitalistische system hat bereits bei seinem ganz normalen funktionieren ständig krisen erzeugt, die in vielen weltregionen zu einer dauerhaften anomie - der zustand, der fälschlicherweise immer mit "anarchie" bezeichnet wird, aber das genaue gegenteil von dieser ist - geführt haben, die in gewisser weise als grundlage für das relativ behagliche leben auf den wohlstandsinseln gesehen werden muss. aus planetarer perspektive ist das ganze system eindeutig dysfunktional.

was aber jetzt gerade passiert, hat nicht nur das potenzial, regionen in der anomie in einen zustand der aufflammenden verwüstung zu befördern, bei dem womöglich noch die letzten kümmerlichen reste an sozialität - sowohl materiell als auch immateriell - unter die räder kommen, sondern es geht auch zunehmend den bisherigen inseln der scheinbaren glückseligkeit an den kragen. und da diese bisher mit ihren weitgehend sedierten bevölkerungen sowohl profiteure als auch stützen des ganzen waren, ist es aus sicht der "eliten" eine existenzielle notwendigkeit, diesen zustand mit allen mitteln zu verteidigen, bevor die auf sand, blut und knochen gebaute illusionäre wohlstandsblase, deren leeren versprechungen immer noch zu viele hier glauben, endgültig platzt und die erwähnte dysfunktionalität so überdeutlich spürbar wird, dass gar nichts mehr anderes übrigbleibt, als bohrende fragen zu stellen und umstürzlerische antworten zu geben. dieser letzte prozess hat nach meinem eindruck in kleinem umfang bereits begonnen, und er wird in den nächsten monaten zunehmen. all die in den letzten news erwähnten mobilmachungen der "sicherheits"apparate sind aus meiner sicht als präventive oder bereits in aktion befindliche reaktionen der "eliten" genau auf diesen und ähnliche prozesse zu sehen.

die leap-leute haben ja den "g20-gipfel" im april als letzten punkt markiert, bei dem elitärerweise noch ein halbwegs geordneter übergang (der bereits dann schon ordentlich rumpeln dürfte) in eine wie fragil auch immer seiende stabilisierung des systems möglich sei. ich halte das aus gründen, die in der vergangenheit öfter thema waren - stichwort krisenkaskade - grundsätzlich für illusorisch, glaube aber kurzfristig tatsächlich an eine art "stimmungsoffensive", die rund um und vom diesen gipfel lanciert werden wird: botschaften "wir machen was" bzw. "wir haben die kontrolle". die meldungen vom jüngsten europäischen vorbereitungsgipfel deuten da sehr drauf hin. es geht weiter nur um zeitgewinn, mit dessen hilfe dann zumindest die rudimentärsten eigenen machtstrukturen abgesichert und ausgebaut werden sollen, um in der phase x - wenn das gigantische ausmaß des debakels wirklich in seiner ganzen größe für relevante menschenmengen nicht nur sicht-, sondern auch spürbar wird, das dann folgende auf den kleinen abgesicherten halligen der "eliten" zu überstehen. ich glaube aus verschiedenen gründen nicht, dass deren horizont weiterreicht.

wer sich übrigens einen teil der im "zeit"-bericht benannten ökonomischen verwerfungen hübsch verpackt in diagrammen und kurven betrachten möchte, kann das
hier tun.

Sonntag, 22. Februar 2009

basis: zum "institutionellen autismus" der wirtschaftswissenschaften aus sicht der postautistischen ökonomie

die derzeitige ökonomische krise ist auch eine krise der bisher dominierenden strömungen der orthodoxen wissenschaftlichen ökonomie, deren prognosefähigkeiten nicht nur grundsätzlich angezweifelt werden müssen, sondern die auch während der laufenden krise mehrheitlich wie das kaninchen vor der schlange erstarrt ist und offensichtlich mit der immer breiter werdenden kluft zwischen ihren modellen und simulationen einerseits sowie der realität andererseits nicht mehr so recht klar kommt.

irgendwann im jahr 2005, als dieses blog schon einige zeit existierte, wurde ich zufällig auf die website des
arbeitskreis postautistische ökonomie aufmerksam, und angesichts dieses begriffs natürlich sofort sehr neugierig. worum geht es denn da?

"Alles begann sehr unspektakulär im Juni 2000 an der Sorbonne in Paris. In einer Petition Autisme-Économie protestierte eine kleine Gruppe von Wirtschaftsstudierenden gegen „autistische Wissenschaft“ im Internet. (etwas unglücklich fomuliert, sie protestierten "im internet gegen...", anmerk. mo) Die unkontrollierte Anwendung der Mathematik und formaler Modelle dürften nicht Selbstzweck sein. Sie forderten Wissenschaft statt Szientismus, Pluralismus statt neoklassischem Monotheismus, empirischen Realismus statt deduktiver Abstraktionen und riefen ihre Professoren auf, die Ökonomik aus ihrem autistischen und sozial unverantwortlichen Zustand zu retten (...). Die Protestierenden forderten eine Économie Post-Autiste (Autisme-Économicie 2001)."


(geschichte des arbeitskreises)

auf der alten webpräsenz des deutschen ablegers des ak (noch zu erreichen über den link rechts in der sidebar) fanden sich in einem grundsatzpapier zur einleitung die markanten sätze:

"Das Menschenbild des Homo Oeconomicus ist autistisch: Die sozialen und kooperativen Wesenszüge des Menschen bestimmen ebenfalls sein Handeln."

das fand ich natürlich schon damals alles äusserst spannend, zumal ich, von einer anderen, eher kritisch psychiatrisch-psychologischen seite her kommend, die beziehungskrankheiten und ihren aus meiner sicht vorhandenen strukturell oder funktionell autistischen kern sowie ihre zusammenhänge mit der gesellschaftsformation, in der sie sich entwickeln, für das blog zum leitthema gewählt hatte. und nicht nur deshalb fand ich sowohl den begriff als auch die dahinterstehenden inhalte der postautistischen kritik bemerkenswert, schienen hier doch menschen aus einem ganz anderen bereich für diesen ähnliche beobachtungen und gedanken gemacht zu haben.

es war dabei zu erwarten und auch notwendig, dass innerhalb der postautistischen strömung zur nutzung des wortes autismus bis heute diskussionen stattfinden, vielleicht inhaltlich denen ähnlich, die ich hier im blog schon an einigen stellen mit offiziell als autistisch diagnostizierten leuten zu meinem verständnis von autismus hatte. bisher wird der begriff bekanntlich sowohl hier als auch bei paecon weiter verwendet, und wie ich finde, aus durchaus berechtigten gründen.

in den inzwischen international agierenden paecon-gruppen kursiert speziell zum thema des vergleichs zwischen klinischem und institutionellem autismus schon seit längerem ein thesenpapier des us-amerikanischen ökonomen
james devine, der das nicht nur hinsichtlich seiner kenntnis der eigenen zunft formulierte, sondern auch als vater eines autistischen sohnes aus ganz eigener erfahrung verständnis von der klinischen seite des autismus besitzt - wobei ich allerdings betonen möchte, der "offiziell" anerkannten. wie ich erst vor kurzem erfreut feststellte, gibt es dieses papier - Psychologischer Autismus, institutioneller Autismus und die Ökonomik - inzwischen auch in deutscher übersetzung. und daraus möchte ich im folgenden ein paar grundlegende dinge zitieren und kommentieren, wobei ich mich dabei auf die punkte konzentrieren möchte, zu denen ich andere ansichten habe - implizit beziehe ich mich dabei vor allem auf diejenigen, die ich im basisbeitrag autismus beschrieben habe.

zunächst zu divines sicht auf den klinischen autismus:

(...)"Als ein in Psychologie interessierter Laie habe ich, beruhend auf Forschung anderer und Gesprächen mit anderen Eltern autistischer oder teilweise autistischer Kinder, ein grundlegendes Verständnis von Autismus erworben. Eine „autistische Erkrankung“ besteht in der Störung sozialer Kommunikation und in Entwicklungsstörungen, die sich in „eingeschränkten, sich wiederholenden und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen und Aktivitäten“ zeigen. In meiner Interpretation sind diese Symptome das Ergebnis eines organischen (neurobiologischen) Problems bei der Sinneswahrnehmung, welches das genaue Gegenteil von Taubheit ist. Anstatt zu wenig zu hören, hört eine autistische Person wahrscheinlich zu viel, da sie unfähig ist Lärm, also Unwichtiges, herauszufiltern. Sie ist nicht in der Lage, die empfangene Information nach Wichtigkeit zu ordnen und sie so verständlich zu machen. Die externen Reize, die von den meisten als normal empfunden werden, scheinen für autistische Personen ein dauerndes Sperrfeuer von Geräuschen zu sein, ähnlich denen, die an der Tafel quietschende Kreide erzeugt. Nicht überraschend, dass sich eine autistische Person die Ohren zuhält, um diesem sinnlosen Missklang zu entgehen. Leider tritt dieses Übermaß an Information bei autistischen Personen nicht nur bei Geräuschen, sondern auch bei allen anderen Sinneswahrnehmungen (Sehen, Schmecken, Riechen, Tasten) und bei internen Empfindungen auf."(...)

ich habe das thema der - aus meiner sicht bei einigen autismus-formen bzw. betroffenen - durchaus vorhandenen reizüberflutung mit der folge des abschottens der jeweils betroffenen wahrnehmungsbereiche hier bisher nur am rande erwähnt; speziell in der wahrscheinlichkeit, dass sich hier auch die diagnostischen schnittstellen zum aufmerksamkeitsdefizit(hyperaktivitäts)syndrom ad(h)s finden lassen. für die individuellen und kollektiven implikationen von autistischen zuständen ist es aus meiner sicht erstmal nachrangig, aus welchem grund sich jemand im autistischen spektrum - und das definiere ich weiter als die offizielle sichtweise - befindet, da es im endeffekt zu ähnlichen konsequenzen führt, ob eine reizüberflutung oder aber eine grundsätzliche störung der (selbst-)wahrnehmungsfähigkeiten überhaupt in der form vorliegt, dass sich diese fähigkeiten aus diversen gründen gar nicht oder nur sehr unvollständig entwickeln konnten. die reizüberflutung mag dabei durchaus ein möglicher ausdruck / eine folge der zuletzt genannten konstellation sein.

(...)"Einige Personen, aber längst nicht alle, kompensieren ihre Verarbeitungsprobleme in einem Bereich mit außerordentlichen Fähigkeiten in einem anderen, wie z.B. der Rainman aus dem gleichnamigen Kinofilm. Es gibt außerdem Abstufungen darin, wie stark eine Person von den neurobiologischen Problemen betroffen ist – und darin, wie viele emotionale und intellektuelle Fähigkeiten sie besitzt, um diesen Einschränkungen entgegen zu wirken. Deswegen sprechen Wissenschaftler von dem „autistischen Spektrum“, das Kontinuum vom extremen Autismus, über den high-functioning autism, das Asperger Syndrom, den Borderline Autismus (AS), bis hin zu der bei Professoren, Buchhaltern und Computerspezialisten so verbreiteten Einzelgängermentalität.

Personen aus dem autistischen Spektrum neigen dazu, sich von der Außenwelt zu isolieren, haben Probleme bei der Kommunikation mit anderen, verharren in sich wiederholenden Bewegungen, beharren auf Gleichheit, Wiederholung und Routine und behandeln andere scheinbar als Objekte."(...)


der begriff "borderline autismus" dürfte hier nicht für die art bzw. das modell von simulationsfähigem autismus stehen, wie es von j. erik mertz entwickelt wurde und für mich eine grundlage bildet, sondern eher als beschreibend im wortwörtlichen sinne für die asperger-variante - in den grenzgebieten zwischen schon autistisch und noch vorhandener psychophysischer gesundheit. so jedenfall verstehe ich den satz. das wort "scheinbar" jedoch würde ich vor dem hintergrund solcher
forschungen streichen - diese wahrnehmungsmässige verwandlung von lebendigem in unbelebtes stellt für mich einen höchst problematischen kern der ganzen geschichte dar.

(...)"Menschen mit Autismus haben es sehr schwer damit, nicht nur innerhalb ihrer eigenen Welt zu leben, unabhängig davon, wie freundlich die soziale Umgebung ist.

Es überrascht deshalb nicht, dass eine autistische Mutter, die ich kenne, ihren zwei autistischen Kindern erklären musste, dass es „da draußen“ etwas gibt, das sich „Gesellschaft“ nennt, mit Normen und Sitten, die sie lernen und befolgen müssen. Menschen aus dem autistischen Spektrum erleben Baroness Thatchers Hypothese, wonach es so etwas wie Gesellschaft nicht gibt, sondern nur Individuen, als selbstverständlich."


ach ja, die thatcher - "There is no such thing as society, only individual men and women and their families" - auch, wenn im originalzitat vor society noch "free" gestanden haben mag, ändert das aus meiner sicht wenig an der tatsächlichen aussage, die sich, wie devine deutlich macht, tatsächlich als ausdruck strukturell autistischer wahrnehmung begreifen lässt. und in der überlieferten form zum kernbestand neoliberaler ideologie gehört. und das "lernen und befolgen müssen" sozialer regeln wird bei simulationsfähigen autistischen menschen wie bspw. temple grandin zu einer art theaterspiel, dazu mehr im oben verlinkten basisbeitrag autismus.

aufgrund des sich hier implizit bereits andeutenden, aber von devine nicht weiter verfolgten problems der simulation bei strukturell autistischen zuständen kommt er aus meiner sicht bei seinen nächsten ausführungen - und wir begeben uns jetzt in das gebiet der ökonomischen wissenschaften - auch zu einem fehlschluss:

"Dass orthodoxe Ökonomen a priori mit der Hypothese von Thatcher einverstanden sind – beispielsweise das verbindliche Einverständnis mit dem methodischen Individualismus – legt den Schluss nahe, dass der Homo oeconomicus (HO) aus dem Textbuch autistisch ist. Zum Beispiel haben autistische Personen, wie der HO, häufig Präferenzen, die kaum von ihrer sozialen Umgebung beeinflusst sind (oder zumindest für frustrierte Eltern oder Partner so scheinen). Aber es gibt entscheidende Unterschiede. Erstens sind Probleme bei der Informationsverarbeitung, anders als bei normalen Personen und beim HO, entscheidend für Autismus, wie bei Herbert Simons bounded rationality. Zweitens haben Menschen mit Autismus, anders als der HO, aber wie normale Menschen auch, ein Bewusstsein, werden von mentalen und emotionalen Konflikten zerrissen und wünschen sich sozialen Kontakt zu anderen Personen, wenn sie dazu in der Lage sind."

und in einer fußnote zum abschnitt heißt es:

"Abgesehen davon, dass dem HO ein Bewusstsein fehlt ist er nicht sozio- oder psychopathisch, denn eine Person mit asozialem Charakter benutzt die Gesellschaft meist für ihre eigennützigen Ziele. Das verdeutlicht, dass es ein Verständnis von Gesellschaft gibt, das weder der HO noch eine autistische Person besitzt."

hier sehe ich gleich mehrere punkte grundlegend anders: erstens ist das konstrukt des HO (ich bleibe mal bei dieser abkürzung) tatsächlich auf eine mechanistische art der instrumentellen rationalität sowie die behauptung eines "natürlichen" und extrem egozentrischen eigennutzens gebaut, wobei letzterer dann im angeblichen zusammenspiel bzw. der konkurrenz mit den eigennützigen anderen für eine optimale leistungsentfaltung sorgen soll. dabei ist jedes verständnis für sinn und notwendigkeit sozialer beziehungen, ja überhaupt die wahrnehmung der eigenen untrennbaren eingewobenheit in die menschliche gesellschaft, extrem reduziert bis nicht vorhanden. das aber beschreibt wesentliche merkmale des klinischen soziopathen, der gerade letzteres aufgrund gestörter und/oder nicht vorhandener entsprechender wahrnehmungsfähigkeiten tatsächlich nicht als realität erkennen kann - aber aufgrund seiner psychophysischen ausstattung kompensatorisch soziales verhalten simulieren, so tun als ob, kann. das lässt sich zweitens durchaus als "problem der informationsverarbeitung" sehen. und drittens besitzt der soziopath tatsächlich eine art von verständnis der gesellschaft, die aber in ihrem wesen auf ein objektivistisches und konstruktivistisches "verständnis", also letztlich auf ein konstrukt bzw. eine simulation hinausläuft. und das hat mit einem authentischen verständnis der gesellschaft bzw. der sozialen beziehungen, die eine gesellschaft eigentlich ausmachen, nichts zu tun. der soziopath simuliert die gesellschaftlichen regeln für sich aus einem anpassungsdruck heraus, um über die runden zu kommen und nicht auffällig zu werden (wenn er denn eine gewisse intelligenz besitzt, die ihm den qualitativen unterschied zwischen ihm und anderen menschen deutlich macht).

die unterschiede zum "klassischen" autismus sehe ich einerseits im grad der fähigkeit zur simulation, die bei soziopathen tatsächlich extrem ausgeprägt sein können. andererseits sind die, wie fragmentarisch auch immer ausgebildeten, wünsche nach sozialität bei autisten ein weiterer, wenn nicht sogar der entscheidende, unterschied, an dem sich die soziopathie vom "offiziellen" autistischen spektrum trennt. von daher ist die abwehr von als autistisch diagnostizierten auf den vergleich mit der soziopathie zwar einerseits verständlich und auch berechtigt, wenn man nur auf der eben skizzierten ebene vergleicht. gehe ich aber - wofür es in meinen augen gute gründe gibt - auf eine andere ebene, so erscheint auch die simulationsfähige, aber komplett beziehungsunfähige soziopathie als ein strukturell autistisches phänomen, wobei der autismus hier eben als synonym für für weitgehende bis totale beziehungsunfähigkeit steht. die sich daneben funktionell wenn nicht aus den gleichen, dann doch aus sehr ähnlichen gründen wie bei "klassischen" autisten entwickeln dürfte - auch, wenn sich der soziopath später ganz anders entwickelt und auch in der gesellschaft ganz andere rollen einnehmen kann. dazu auch:
als-ob-persönlichkeiten - leben als totale simulation.

kurz: das problem der einordnung des konstrukts "homo oeconomicus" als autistisch oder nicht ergibt sich ebenso wie die frage nach der soziopathischen qualität dieses konstrukts nur dann, wenn es weder einen begriff von strukturellem autismus noch einen von den fähigkeiten zur simulation im menschen gibt. mit den beiden begriffen hingegen ist die einordnung nicht nur möglich, sondern sogar zwingend.

"Statt autistisch zu sein, ist der HO eher roboterartig bzw. kybernetisch. Die Anwendung dieses eindimensionalen Menschenbildes in der Theorie passt zu einer Wissenschaft, die auch unter „institutionellem Autismus“ leidet (siehe unten). Jemand mit Autismus behandelt andere Menschen wahrscheinlich, als wenn sie Möbelstücke oder Automaten sind. Anders gesagt, vermisst die dominante Vorstellung von ökonomischen Wissenschaftlern eine „Theorie des Verstands/Geistes“. Das bedeutet, dass die, die den HO als theoretisches Modell verwenden, wie autistische Individuen auch, „nicht verstehen, dass andere Menschen ihre eigenen Pläne, Gedanken und Ansichten haben ... und Schwierigkeiten beim Verstehen von Überzeugungen, Haltungen und Emotionen anderer.“(...)

den ersten satz verstehe ich nicht als widerspruch, wenn ich mir klar mache, dass die für strukturelle autistische zustände kompensatorische instanz in uns allen, der objektivistische modus, durchaus ähnlich wie ein computer arbeitet - und gerade die teils autistischen savants mit ihren einzigartigen fähigkeiten wie fotografischem gedächtnis bzw. der verblüffenden informationsverarbeitung in einem einzigen beschränkten bereich bei gleichzeitig vorhandener weitgehender sozialer behinderung zeigen aus meiner sicht ganz gut funktion und arbeitsweise diese modus wie in einem kleinem fenster an.

aber inzwischen sind wir bei devines betrachtung der institutionellen autistischen tendenzen innerhalb seiner profession angelangt, und das finde ich ebenfalls durchaus aufschlußreich. ich überspringe dabei ein paar seiten, auf denen er weitere vergleiche sowohl zwischen vorherrschenden ökonomischen postulaten / methoden als auch den ökonomen persönlich und dem klinischen autismus vornimmt, weil ich hier grundsätzlich die verhältnisse - mit dem verweis auf das, was ich oben geschrieben habe - ähnlich sehe. in einem nächsten schritt macht devine ebenfalls berechtigt darauf aufmerksam, dass es womöglich - analog den diagnostischen unterscheidungen im klinischen autistischen spektrum - auch nichts schaden kann, die autistischen tendenzen in der ökonomik ebenfalls mit einem solchen raster zu betrachten:

(...)"Wie bei psychologischem Autismus auch, existiert ein Spektrum an Abstufungen. Der extreme Autismus, der zu einer Abschottung von der sozialen Umwelt führt, kann am deutlichsten in der spezifischen, hoch abstrakten und axiomatischen („Bourbakist“) Schule gesehen werden, gegen die die Studierenden protestierten. Weiter in Richtung Mitte des Spektrums findet sich mit der Betrachtung der Welt als ein Objekt der eigenen Lehrtätigkeit oder Machtausübung eine Herangehensweise (wie beim Asperger Syndrom), für die der Internationale Währungsfond (IWF) exemplarisch ist. Der IWF wendet die gleiche vorgefasste Vorstellung eines idealen Marktes (und die gleichen neoliberalen Politikmaßnahmen) auf jedes Land an. Am anderen Ende des Spektrums stehen all die Ökonomen, die für Regierungen, Unternehmen, Stiftungen und auch Gewerkschaften arbeiten. Die Tatsache, dass diese Institutionen der „realen Welt“ bereit sind, für diese Ökonomen zu bezahlen, zeigt, dass die soziale Vernetzung der Ökonomen für ihre Aufgabe ausreicht. Sie mögen zwar abstrakte Mathematik oder Ökonometrie verwenden, aber es wäre verleumderisch ihnen das autistische Etikett anzuhängen.

Dass es Abstufungen im Autismus gibt, heißt aber nicht, dass der wissenschaftliche Betrieb selbst weniger autistisch sei. Die autistische Ökonomik der „Bourbakists“ und ihrer angloamerikanischen Gegenstücke oder des IWF’s und ähnlicher Organisationen stellen den am meisten privilegierten Teil des Berufsstandes dar, dem „junge geschäftstüchtige Ökonomen auf der Karriereleiter“ gerne nacheifern möchten. Deswegen werden die „großen Namen“ der ökonomischen Institutionen, wie der Fachzeitschriften, Universitäten, Berufsorganisationen und Lehrbücher, von autistischen Tendenzen dominiert.(...)"


nun, an den punkt, den iwf als ein institutionelles äquivalent zu einer asperger-person zu betrachten, bin ich bisher nicht gekommen - andererseits hat das durchaus was für sich, wenn ich mir die kernthese des films "the corporation" in erinnerung rufe, in der anhand des besonderen juristischen status von us-konzernen als juristische personen diese sich den vergleich anhand der üblichen diagnostischen kriterien für soziopathen gefallen lassen müssen, und dabei dann auch als solche klassifiziert werden (das das auch eine menge über das zugrundeliegende ökonomische - kapitalistische - und politische, demokratiesimulierende system aussagt, deutet der film leider nur implizit an).

ich kann aber beim obigen spektrum, das divine skizziert, dem letzten teil nicht zustimmen. eine authentische "soziale vernetzung" der betreffenden ökonomen daran festzumachen, dass sie von diversen institutionen für ihre arbeit bezaht werden - hallo? wenn es darüber hinaus auch noch reale soziale persönliche kontakte und beziehungen gibt, ist das was anderes - aber gerade das benannte kriterium ist durchaus kein maßstab für das vorhandensein authentischer sozialität.

ich überspringe jetzt wieder einen weiteren teil, in dem sich divine speziell mit dem einfluss der mathematischen modelle sowie den internen hierarchischen strukturen im wissenschaftsbetrieb und ihren selektierenden mechanismen befasst, und komme zu einem anderen punkt:

(...)"Der institutionelle Autismus der Ökonomik muss in seinem sozialen Kontext betrachtet werden. Der ökonomische Wissenschaftsbetrieb kann nicht ohne seine Abgrenzung zu den anderen Sozialwissenschaften verstanden werden. Während des letzten Jahrhunderts hat sich die ökonomische Wissenschaft über die Abgrenzung zu anderen Wissenschaften definiert. Diese Tatsache hat, im Zusammenspiel mit ihrer selbstzufriedenen Anwendung der mathematischen Kunst, dazu geführt, dass Ökonomen über andere Disziplinen, insbesondere über die Sozialwissenschaften, spötteln (so wie sich die Hutmachergilde über die einfachen Arbeiter lustig machte) – oder sie versuchen die Sozialwissenschaften zu erobern, wie es Becker und seine Schule versucht. In jedem Fall geht der Fluss an Informationen von der Ökonomik zu anderen Fachgebieten und nicht umgekehrt. Dieses elitäre Denken im Stil des Asperger Syndroms führt dazu, dass der Berufsstand eine ganze Reihe an Fragen und Teilen der Gesellschaft von ihrer Analyse ausschließt. Damit werden die empirischen und theoretischen Informationen, die Ökonomen für ihre Arbeit zur Verfügung stehen, eingeschränkt, um Ordnung in die komplexe und konfuse Wirklichkeit zu bringen. Das ermöglicht Ökonomen an ihren geliebten Voraussetzungen, wie unrealistisch sie auch sein mögen, festzuhalten."(...)

das lässt sich auch als klassische komplexitätsreduktion betrachten, wie sie bei individuen sowohl beim normalen als auch pathologischen funktionieren des objektivistischen modus beobachtet werden kann. was nicht weiter verwunderlich ist, ist das doch eine der hauptaufgaben dieses werkzeugs: ordnung schaffen, um in der (scheinbar) geordneten welt überleben zu können.

ich finde ja die andockpunkte vom bereich der ökonomischen wissenschaften hin zu den beziehungskrankheiten und ihren gesellschaftlichen voraussetzungen, wie sie teils von devine, wenn auch unter etwas anderen prämissen, beschrieben werden, eigentlich augenfällig. dazu kommt noch ein aspekt, den ich hier nicht zitiere: es geht um den von ihm konstatierten neid der wissenschaftlichen ökonomie auf die "exakte" physik, die mit ihren jeweils wie in stein gemeisselten ergebnissen und ihrem anspruch an verifizierbarkeit eigentlich für die meisten wissenschaftlichen disziplinen als mehr oder weniger unausgesprochenes leitbild gilt. nun hat aber auch die physik ihre beziehungskranken leichen im keller; eine davon habe ich in der vergangenheit unter dem namen
isaac newton näher beschrieben, dessen leben und weltwahrnehmung in gewisser hinsicht als paradigmatisch für die westliche kultur angesehen werden kann. aus dieser perspektive kann der verfassung nicht nur der ökonomischen wissenschaft nicht nur nicht überraschen, sondern stellt sich als eine art fataler zwangsläufigkeit dar. ich erwähne das deshalb, weil mir der hinweis wichtig erscheint.

eine art fazit von devine:

(...)"Die Neoklassik kann durch das Festhalten an folgenden Prinzipien charakterisiert werden: (1) häufige Anwendung mathematischer Methoden, (2) Utilitarismus und methodologischer Individualismus, (3) Gleichgewicht, (4) Naturalismus und (5) Positivismus.18 Nicht zu vergessen, zeichnet sich das neoklassische Ideal dadurch aus, dass (6) alle menschlichen Handlungen als von Märkten organisierter Tausch gesehen werden, entweder als realer oder als modellhafter.

Im Sinne der vorherigen Diskussion spiegeln alle diese Punkte, zumindest in Teilen, die autistische Geisteshaltung der Ökonomen wider. Die zwei zuerst genannten Punkte wurden bereits diskutiert. Die weiter unten in der Liste stehende Fixierung auf gleichgewichtige Zustände scheint ein Symptom völlig autistischer Denkweisen zu sein, bedenkt man, dass wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der endogene Veränderungen – manchmal sehr drastische, wie beispielsweise große Finanzkrisen – die Normalität darstellen. Damit in Zusammenhang steht Punkt (4), also die Ansicht, dass von Menschen erschaffene Institutionen wie Märkte, genauso wie individuelle Präferenzen und Technologie, zu „Naturkräften“ reduziert werden können. Dabei wird die Komplexität und Künstlichkeit von menschlichen Institutionen abstrahiert oder vergessen. Der Positivismus, also die Überzeugung, dass eine wertfreie Forschung erreichbares Ideal sei, dass der Beobachter von dem System, dessen Teilnehmer er ist, nicht beeinflusst würde und dass ernsthafte philosophische Reflexion unnötig sei, stimmt ebenfalls mit generellen autistischen Verhaltensmustern überein.

Die Betonung von Märkten und Tausch – im Gegensatz zu anderen menschlichen Institutionen wie Tradition, demokratische Kooperation und Hierarchie – sind eindeutig Teil der Welt, in der Ökonomen leben und lernen. Auch wenn die neoklassische Vorstellung von Tausch und Märkten übermäßig vereinfacht, idealisiert, formalisiert, statisch und individualisiert ist (alles Symptome autistischer Verhaltensweisen), gibt uns die Tatsache, dass auch Ökonomen von realweltlichen Problemen berührt werden, einen Hoffnungsschimmer."(...)


naja, was den letzten satz anbelangt, so sehe ich bei betrachtung der aktuellen reaktionen von diversen ökonomen diesen schimmer bisher nicht. sie sind nicht nur von der realität "berührt" worden, eher ist die realität wie ein riesiger meteorit in all ihre luftschlösser eingeschlagen. dabei könnte die ökonomik durchaus ihren beitrag zu einer sozialeren und emanzipativen entwicklung der menschlichen welt leisten - was sieht divine für heilmittel?

(...)"Wie kann nun der ökonomische Wissenschaftsbetrieb von seinem institutionellen Autismus geheilt werden? Es wird wohl keinen überraschen, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Beharrlichkeit autistischer Symptome (wie sie von den französischen Studierenden beschrieben wurden) hat seinen Grund in der Hierarchie und dem Konkurrenzmechanismus, der den Aufstieg regelt. Dieser Autismus wird durch die Verweigerung der gleichberechtigten Kooperation mit anderen sozialen Wissenschaften noch unterstützt bzw. verstärkt. Zusätzlich zu Bemühungen, unnötige Hierarchie und Konkurrenz loszuwerden, können Außenseiter und Abweichler den Berufsstand eventuell in seiner Entwicklung vorantreiben und so den Solipsismus verringern. Diese Anstrengungen werden vielleicht durch den Lauf der Dinge unterstützt, so wie beispielsweise der Schock durch die Große Depression den Berufsstand ein Stück von der Neoklassischen Ökonomik zu Keynes verschoben hat. Auf jeden Fall muss die Bemühung, den Berufsstand in eine aktive Auseinandersetzung mit der Realität einzubinden, im Mittelpunkt stehen.

Aber solche Kritik aus empirischer Sicht reicht nicht aus. Genauso wie eine autistische Person Hilfe braucht, um die Realität zu verstehen, braucht es eine Theorie, um eine andere abzulösen. In den meisten Fällen bedeutet das nichts anderes, als dass wir eine der Neoklassik überlegene Theorie benötigen, die die empirisch ermittelte Realität besser versteht und erklären kann. Diese Theorie wäre sich der Grenzen der sinnvollen Anwendung mathematischer Methoden bewusst, würde die Heterogenität der Wirklichkeit umfassen, würde ein tieferes Verständnis der Psychologie beinhalten, würde die Ökonomik als pfadabhängige Entwicklung begreifen, institutionelle Aspekte untersuchen, den Anspruch auf eine ungerechtfertigte wissenschaftliche Objektivität aufgeben und es vermeiden, alle Aktivität auf den Tausch zu reduzieren. Dazu müsste sie von anderen sozialen Wissenschaften dazulernen."(...)


also mit anderen worten: weitgehende interdisziplinarität, eigene bescheidenheit bezgl. des wissenschaftlichen anspruchs sowie ein ordentlicher schuß wissen um das menschliche psychophysische funktionieren in kombination mit einer internen grundsätzlichen neustrukturierung. und da das forderungen sind, die aus meiner sicht auch an viele andere gesellschaftlich relevante wissenschaften zu stellen wären, würde ich vorschlagen, diese punkte einfach mal als eine der nötigen konsequenzen festzuhalten, die gesellschaftlich als lehre aus der aktuellen systemkrise zu ziehen sind.

Samstag, 21. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (25)

ein fiktiver kurzdialog, irgendwo irgendwann im sommer 1988:

"du, ich glaube, dass es ende nächsten jahres im ostblock krachen wird."

"spinner!"


*
  • europäischer "think tank" leap: beginn des "zerfalls der öffentlichen ordnung in europa im vierten quartal 2009"
  • russland: breite mobilisierung von "sicherheitskräften" in erwartung innerer unruhen
  • frankreich / franz. antillen: hintergrundbericht zur situation in guadeloupe und martinique
  • spanien: erste kleinstadt im "generalstreik gegen die krise"
  • deutschland: die ganz normale armut im ruhrgebiet
  • usa / kalifornien: staatsbankrott formal abgewendet - den preis bezahlt die bevölkerung
  • griechenland: von den straßen in den untergrund? anschlagsserie in den letzten wochen gegen "elitäre" institutionen
  • in aller kürze: lettische regierung tritt ab / erklärung zum anstieg des baltic dry index / horrorschätzung der gesamtverluste europäischer banken / dito für die "hypo real estate" / krisenindikator goldpreis knackt die 1000$
*

den u.a. in regierungsberatender funktion tätigen think tank leap hatte ich in den news nr.12 schon einmal näher vorgestellt; damals mit der prognose, dass ca. ab märz diesen jahres die krise in vielen aspekten nochmals eine spürbare beschleunigung erfahren würde. und wie mir scheint, werden die leap-leute auch da nicht ganz falsch gelegen haben, wenn ich mir die situation so betrachte. vor ein paar tagen nun ist das monatliche bulletin
geab veröffentlicht worden, und in der frei zugänglichen zusammenfassung ist harter tobak zu lesen:

"Seit Februar 2006 vertrat LEAP/E2020 die Auffassung, dass die umfassende weltweite Krise in vier Grundphasen ablaufen würde, nämlich die Anfangsphase, die Beschleunigungsphase, die Aufprallphase und die Dekantierungsphase. Die Ereignisse der letzten zwei Jahre fügten sich hervorragend in dieses Schema. Jedoch müssen wir uns endlich in die Einsicht finden, dass die Regierenden unfähig sind, die wahre Natur der Krise zu verstehen. Denn seit nunmehr mehr als einem Jahr bekämpft die Politik mit ihren Maßnahmen nur die Symptome der Krise, nicht aber die Ursachen Deshalb gehen wir heute davon aus, dass mit dem vierten Quartal 2009 eine fünfte Phase der Krise einsetzen wird, in der die öffentliche Ordnung zerfallen wird.

Nach der Auffassung von LEAP/E2020 werden zwei bedeutende Phänomene diese neue Phase der Krise prägen; die kommenden Ereignisse werden damit in zwei parallelen Entwicklungen ablaufen:

A. Die zwei bedeutenden Phänomene:
1. Das Wegbrechen der globalen Finanzbasis (Dollar + Schulden)
2. Die sich beschleunigende Divergenz der Interessen der großen Staaten und der internationalen Organisationen

B. Die zwei parallelen Entwicklungen:
1. Die rasche Auflösung des gesamten gegenwärtigen internationalen Systems
2. Die Auflösung der Handlungsfähigkeit der mächtigen Staaten und großen internationalen Organisationen

Wir hatten gehofft, dass die Dekantierungsphase den Regierenden dieser Welt ermöglichen würde, die Schlussfolgerungen aus dem Zusammenbruch der Nachkriegsweltordnung zu ziehen. Man kann heute mit größtem Bedauern nur feststellen, dass solcher Optimismus nicht mehr zu rechtfertigen ist. In den USA wie auch in Europa, in China oder in Japan handeln die Regierenden, als ob die Weltordnung nur von einer vorübergehenden Krise erfasst wäre und es genügen würde, noch etwas Treibstoff (Liquidität, also weitere Schulden) und weitere Tinkturen (Leitzinssenkungen, staatlicher Aufkauf von wertlosen Forderungen, Konjunkturförderprogramme zu Gunsten insolventer Industriezweige …) in das System zu gießen, um den Motor wieder zum Anspringen zu bringen. Sie wollen einfach nicht verstehen, dass, wie der Begriff der umfassenden weltweiten Krise, den LEAP/E2020 im Februar 2006 prägte, zu vermitteln versucht, die Weltordnung nicht mehr funktionsfähig ist."(...)


ich hatte ja bei der ersten vorstellung von leap schon meinen eindruck festgehalten, dass sich die inhaltliche oder meinetwegen auch ideologische tendenz dieser institution im weitesten sinne als (links-)liberal fassen lässt, also keineswegs als grundsätzlich systemkritisch. umso bemerkenswerter sind die nüchtern-niederschmetternden feststellungen im aktuellen geab, die im fazit -mit anderen begründungen - auch von marxistischen krisentheoretikern kommen könnten. es ist eine tiefe und umfassende system- und strukturkrise des globalen kapitalistischen systems, die wir hier erleben, und die bisherigen "antworten" der "eliten" sind in ihrer wirkungslosigkeit ganz gut zusammengefasst. und so werden wir mit von tag zu tag größerer wahrscheinlichkeit alle kollektiv den bitteren kelch bis zur neige leeren müssen - zerfall der öffentlichen ordnung. nein, der kapitalismus wird leider nicht mit einem winseln von der weltbühne abtreten, wie es nach 1989/90 häufig seinem mißratenen staatsmonopolistischen abkömmling, dem "realen sozialismus" sowjetischer coleur, schon fast höhnisch nachgesagt wurde. eher wird es ein knall, der die menschliche welt bis in ihre grundfesten erschüttern wird. aber den weltuntergang kann auch dieses system glücklicherweise nicht bewirken, selbst die allerletzte option - krieg - mit einbezogen.

*

für russland hatte ich in früheren news ja schon meine eigenen befürchtungen formuliert, und heute wurde aktuell etwas bekannt, was diese befürchtungen extrem verstärkt - vielleicht wird auch von den dortigen "eliten" der geab gelesen? die machen jetzt jedenfalls ihren "sicherheitsapparat"
massiv mobil:

"Russlands Führung hat aus Furcht vor Unruhen im Zuge der Finanzkrise laut Medienberichten mit einer breiten Mobilmachung von Sicherheitskräften begonnen. Die Zahl der Sicherheitseinheiten für die innere Abwehr nehme immer weiter zu, berichtete die Wirtschaftszeitung "RBK daily" in ihrer Freitag-Ausgabe.

Präsident Dimitri Medwedew hatte am Vortag angeordnet, eine nationale Reserve aus Vertretern verschiedener Staatsdienste zu bilden. Nach Kreml-Angaben gehören dazu unter anderem Angehörige des Militärs, des Zivilschutzes sowie die Truppen des Innenministeriums. Das Blatt sieht darin eine "Militarisierung des Landes für Krisenzeiten".

Die Zahl der für Einsätze im Inneren vorgesehenen Kräfte sei mit 2,5 Millionen inzwischen deutlich höher als die der Soldaten, berichtete "RBK daily". Zur Eindämmung von Straßenprotesten hatte Moskau im Dezember Einheiten der Sonderpolizei OMON nach Wladiwostok in den Fernen Osten Russlands geflogen. Das Nachrichtenmagazin "Russki Reporter" berichtete in dieser Woche von der verstärkten Produktion gepanzerter Wasserwerfer, die bei künftigen Demonstrationen eingesetzt werden sollen."(...)


ich fasse nochmals die sicht- und nachweisbaren globalen tendenzen zusammen, die hier seit letzten herbst in verschiedenen news thema waren: in den usa sind seit dem ersten oktober aktive und in aufruhrbekämpfung spezialisierte einheiten der army in bereitschaft. in europa wurde nach den unruhen in griechenland, island und verschiedenen osteuropäischen ländern in brüssel in aller eile eine informelle zentrale stelle zur prävention und beobachtung von riots in allen eu-ländern geschaffen, dazu kommt jetzt die in den letzten news thematisierte vervielfachung der zahl von soldaten im inlandseinsatz in italien. china hat vor einiger zeit ebenfalls das militär auf absolute loyalität zur regierung eingeschworen und mehr oder weniger der eigenen bevölkerung damit gedroht. nun also schliesst sich russland dieser illustren gesellschaft der bereitschaft zur inneren repression gegen die "eigene" bevölkerung an.

sicher wird es trotz dieser nicht mehr zu übersehenden zeichen dessen, was rund um den globus in den nächsten monaten an staatlicher schwerkriminalität zwecks systemerhalt zu erwarten ist, immer noch genügend leute geben, die die positionen der drei affen bevorzugen. das können die auch gerne tun, bloß möchte ich dann kein gejammer vernehmen, wenn an die verrammelte tür zur eigenen kleinen "heilen" welt von draußen nicht nur nicht höflich angeklopft, sondern gleich die gesamte wand incl. tür weggesprengt werden wird. in borderline states lebt es sich nun mal höchst ungemütlich.

*

zu den eskalierenden auseinandersetzungen in den französischen karibischen kolonien empfehle ich zur vertiefung den heutigen
lesetipp:

"Die administrativ zu Frankreich gehörende Antilleninsel Guadeloupe, auf der seit dem 20. Januar 2009 ein massiv befolgter Generalstreik stattfindet, hat ihren ersten Toten zu beklagen.

Am späten Mittwoch Vormittag nach mitteleuropäischer Zeit (gegen 8 Uhr Ortszeit) wurde der Tod des Gewerkschafters Jacques Bino vermeldet. Der circa 50jährige war gewerkschaftlicher Vertrauensmann (délégué syndical) und ein Aktivist des Netzwerks „ Liyannaj Kont pwofitasyon “, LKP. Dieses Netzwerk (der Name bedeutet „Kollektiv gegen Ausbeutung“, im Hochfranzösischen ergäbe er in etwa „Ensemble contre l'exploitation“) setzt sich aus einem Geflecht von Gewerkschaften, kulturellen Vereinigungen wie etwa karibikfranzösischen Karnevalsgruppen, Stadtteilgruppen und ähnlichen Initiativen zusammen. Es animiert seit nunmehr bald vier Wochen den massenhaft befolgten Generalstreik auf der Insel, der sich u.a. „contre la vie chère“ , also „gegen das teure Leben“ richtet. Der Protest wird so mit einem Ausdruck bezeichnet, der im vergangenen Jahr 2008 in drei Dutzend französischsprachiger - vor allem afrikanischer - Länder zur Benennung von Brotrevolten und sozialen Protesten benutzt wurde. Neben den Schwierigkeiten, unter den völlig überteuerten Lebensverhältnissen in den französischen „Überseebezirken“ (DOM, départements d'outre-mer ) wie Guadeloupe noch halbwegs seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, gehört aber auch der Protest gegen die rassistischen, postkolonialen Gesellschaftsstrukturen auf den Antillen zum Kerninhalt der Bewegung.(...)

Dass die Mehrheitsbevölkerung - die bunt durchmischt ist (noch weniger als irgendwo anders auf der Welt gibt es auf den Antilleninseln keinerlei „abstammungsreine“ Bevölkerung), aber viele frühere schwarze Sklaven zu ihren Vorfahren zählt - nicht mehr kann und nicht mehr will, ist absolut nachzuvollziehen. Infolge der Eskalation, die seit Wochenanfang eingetreten ist, explodiert nunmehr der Zorn. Sechs Angehörige der uniformierten „Ordnungskräfte“ wurden laut offiziellen Angaben in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch durch Schüsse - die aus Pump-guns abgegeben wurden - „leicht verletzt“. Feuer lodern an zahlreichen Orten auf Guadeloupe."(...)


die folgende video-montage bringt, mit einem etwas surrealistischen touch, einige impressionen dieser tage aus guadeloupe:



(versteht übrigens jemand, was da im begleitenden lied gesungen wird?)

*

aus der karibik geht´s nach spanien, wo auch hier die parole "generalstreik" heißt - allerdings bisher beschränkt auf die kleinstadt
lebrija in der nähe von sevilla. aus spanien waren im letzten herbst hier schon mal einige miliatnte demonstrationen von automobil- und werftarbeitern thema, ansonsten ist es meines wissens dort bisher erstaunlich ruhig geblieben, obwohl das land von der krise vielfältig gepackt wurde. analog griechenland gibt es aber dort ebenfalls eine lange und teils immer noch starke anarchistische strömung, in spanien v.a. in form anarcho-syndikalistischer gewerkschaften. und gerade die haben den aktuellen streik - gegen sämtliche anderen politschen und gewerkschaftlichen kräfte - in gang gebracht:

"Mindestens 90 Prozent der Beschäftigten sind im andalusischen Lebrija einem Aufruf zum Generalstreik seitens der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT und eines BürgerInnen-Komitees gefolgt. Kaum ein Geschäft in der 26.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt in der Nähe Sevillas hatte geöffnet. Der konkrete Anlass für den Generalstreik ist die Vetternwirtschaft der regierenden Linkskoalition aus PSOE und IU sowie der mit diesen verbändelten Gewerkschaften UGT und CC.OO bei der Vergabe von Jobs aus staatlichen und kommunalen Hilfsprogrammen. Die Gruppen, die den Generalstreik organisiert haben, haben für diesen allerdings auch ausdrücklich mit dem Hinweis mobilsiert, er sei „der erste Generalstreik gegen die Krise“.

Die einzigen Geschäfte, die in Lebrija am 18. Februar 2009, dem Tag des Generalstreiks, geöffnet hatten, waren eine Tankstelle, zwei Kneipen und acht Gemüsestände auf dem Marktplatz. Ansonsten glich der Ort einer Geisterstadt. Die Belegschaften der Supermärkte Día, Lidl, Eroski und die ArbeiterInnen in den Bäckereien befolgten den Streikaufruf zu hundert Prozent. Ebenso die Beschäftigten auf den Baustellen, in den Dienstleistungsfirmen und Versorgungsbestrieben sowie die fast aller Kneipen und Restaurants. Als einziger Supermarkt hatte Mercadona zunächst geöffnet, schloss dann aber die Pforten, als ein Demonstrationszug von 1.500 EinwohnerInnen sich näherte. Die CNT liegt seit längerer Zeit mit der Supermarkt-Kette in mehreren Städten im Konflikt.

Das Streikkomitee gab gegen Mittag bekannt, dass rund 90% der Bevölkerung der 26.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt „mit einem unverkennbaren Ja“ auf den Streikaufruf reagiert habe."(...)


generalstreik unter schwarzroten fahnen in lebrija

na, das klingt und sieht doch gut aus - wobei nicht vergessen werden sollte, dass sich genau gegen solche menschen, die auf dem foto und auch auf dem video aus guadeloupe zu sehen sind, die weiter oben dokumentierten mobilmachungen der "sicherheitsapparate" richten.

*

das sich hingegen hierzulande immer noch kaum etwas bzw. jemand rührt, mag ich nicht mehr groß kommentieren - wer sich nicht wehrt, muss sich dann eben mit solchen
zuständen abfinden - ein schlaglicht aus nordrhein-westfalen:

"Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) registriert eine Zunahme von Verwahrlosung, Zerfall von Familien, Wut und Gewalt. Folgen der sich ausbreitenden Armut seien das – und Folgen einer gescheiterten Politik.

Die Armut hat nach Ansicht der Arbeiterwohlfahrt in einzelnen Stadtteilen von NRW ein so großes Ausmaß angenommen, dass unsere Demokratie und Gesellschaftsordnung gefährdet sind. 2,1 Millionen Menschen seien in NRW arm; jedes vierte Kind ist von Armut betroffen.(...)

Die gesellschaftszerstörerische Wirkung von Armut erlebt Thomas Rüth vom AWO-Jugendhilfe-Werk täglich in einzelnen Siedlungen von Essen-Katernberg. „Die Schlangen vor unserer Suppenküche werden immer länger”, erzählt Rüth. „Wir erleben zunehmend, dass sich Leute um einen vorderen Platz in der Schlange prügeln; in den Schulen fallen Kinder wie hungrige Wölfe über das Frühstück her – und kommen selbst im Winter ohne Socken in den Unterricht.” Verwahrlosung, Zerfall der Familie, Wut und Gewalt seien zwangsläufig Folgen von Armut.

Armut sei regional äußerst ungleich verteilt: In verschiedenen Bezirken Essens lebten 65 Prozent der Bewohner in Armut. Rüth wirft der Politik vor, sich im Ruhrgebiet mehr um den reichen Süden als um den armen Norden zu kümmern: „Bei uns sind Kindergärten und Schulen deutlich verwahrloster als im Süden – das ist skandalös, man raubt den Kindern ihre Chancen.”(...)


bitte beachten: das beschreibt die jetzige situation noch vor dem vollen durchschlagen der krise. es bedarf mittlerweile wirklich keiner prophetischen fähigkeiten mehr, um zu sagen: wir werden uns demnächst hier alle ganz ganz böse wundern über das, was in diesem land zur "normalität" werden wird.

*

das sich kalifornien schon länger im zustand eines de-facto-bankrotts befindet, kann auch nicht dadurch verschleiert werden, dass der formale bankrott vorläufig
abgewendet werden konnte - auch hier hatte ich vor ein paar wochen schon das gefühl, dass die negative symbolkraft eines solchen ereignisse viel zu groß sein würde, als das nicht wirklich alles versucht werden würde, um die insolvenzerklärung zu vermeiden. aber auch das hat bittere konsequenzen:

(...)"Jetzt wurde der Durchbruch geschafft und das befürchtete 42-Milliarden-Dollar-Haushaltsloch vorerst einmal geschlossen und der Bankrott abgewendet. Für die Kalifornier brechen nun harte Zeiten an, die trotz Konjunkturpaket auch für andere US-Bundesstaaten warten dürften.(...)

Die Steuererhöhungen sollen 12, Milliarden Dollar in die Staatskasse fließen lassen. Die Zustimmung der Republikaner wurde durch Steuersenkungen für Filmproduzenten und für kleine Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen, erkauft. Auch Käufer neuer Häuser werden unterstützt.

14,8 Milliarden sollen durch Kürzungen eingespart werden. Das trifft vor allem Schulen, Colleges und Universitäten. Studiengebühren für staatliche Collges und Universitäten werden weiter steigen. Gekürzt wird auch bei den öffentlichen Verkehrssystemen, der medizinischen Versorgung und den Gerichten."(...)


in erinnerung an die in den letzten news dokumentierte lage des sunshine borderline state frage ich mich nur, wo die da real noch etwas sparen wollen - demnächst lässt sich kalifornien als typisches "dritte-welt-land mit ein paar filmstudios" ausreichend beschreiben.

*

wieder mal neues aus griechenland: neben weiteren protesten, besetzungen und demonstrationen u.a. im dortigen bildungs- und gesundheitswesen sorgt zur zeit eine ganze
serie von anschlägen unter den labels verschiedener gruppen von aufsehen. bitte benutzen Sie den link zur information, dort hat sich jemand die mühe eines entsprechenden pressespiegels gemacht. und selbst, wenn man - wie in einem der kommentare zum link thematisiert - die wahrscheinlichkeit von counter-insurgency-aktionen als hoch ansetzen muss, so sollte das doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es tatsächlich so aussieht, als hätten die massiven unruhen des dezembers tatsächlich als eine folge die neugründung bzw. reaktivierung von stadtguerillagruppen im gepäck. was mir bei der weiter oben dokumentierten inneren aufrüstung in vielen staaten rund um den globus eben grundsätzlich nicht als sehr erstaunliche reaktion erscheint. auch hier lässt die zentrale these des aktuellen geab grüßen.

*

um schluß möchte ich innerhalb dieser reihe eine neue rubrik einführen: in aller kürze finden sich hier zukünftig telegrammmäßige infos und links, die ich nicht ausführlich kommentieren, aber auch nicht hintenrüberfallen lassen möchte. zum teil sind sie auch medial an vielen anderen orten schon ausreichend thema. also, zum schlechten ende gibt´s heute noch zu melden:

+
lettland: nach island das aus für die zweite regierung in der krise +in den vorletzten news war der überraschende anstieg des baltic dry index ein thema, ohne das ich eine befriedigende erklärung finden konnte - hier ist nun ein verständnisansatz:

(...)"Den Anstieg des Baltic Dry Index zuletzt hatten Optimisten als Beleg dafür genommen, dass sich der Welthandel erholen könnte. Das Volumen an Containerverschiffungen in Singapur ist jedoch im Januar um 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken, Schätzungen gehen für 2009 insgesamt von minus 20 bis 30 Prozent aus. Jeder Markt hat zwei Seiten - Angebot und Nachfrage. Der Hupfer im die Seefrachtraten wiedergebenden Index dürfte eher durch knapperes Angebot bewirkt worden sein, als durch steigende Nachfrage. Und das wäre ein weiterer Hinweis darauf, dass die aktuelle Rezession in eine Depression übergeht"(...)

(und so platzt dann auch eine weitere optimismusblase.)+
europäische banken sitzen lt. vertraulicher eu-analyse auf faulen vermögenswerten in höhe von unfassbaren 18,2 BILLIONEN euro - "wer soll das bezahlen, wer hat soviel geld?" *sing* +und das selbe liedchen stimmen wir gleich nochmal an: "hypo real estate" hat kredite und derivate in höhe von einer BILLION euro laufen - das wurde zwar heute eiligst dementiert, aber welcher mensch mit einem fünkchen denkvermögen würde dem herrschenden gesindel aus politik und banken denn inzwischen auch nur noch eine auskunft auf die frage nach der uhrzeit abnehmen? selbst ich als immer noch weitgehender laie in fragen der sog. finanzwelt habe das deutliche gefühl, dass sich die erbitterte hartnäckigkeit, mit der so ziemlich die gesamte deutsche politische klasse diesen bankenzombie unbedingt durchfüttern will, am ehesten dadurch erklären lässt, dass sich im keller der hre ein ganzer haufen stinkender leichen aus bayrischer landes-, aber auch bundespolitik befindet, die bei einem kollaps womöglich auf die straße kippen würden. wir werden es sehen.+am heutigen abend ist übrigens der goldpreis über die schwelle von 1000$ pro unze geklettert, was bei der funktion von gold in krisenzeiten ein sicherer indikator dafür ist, dass es jetzt ökonomisch noch brenzliger wird.+

*

ich wünsche allen leserInnen ein entspanntes und ruhiges wochenende. genießen Sie´s - die wahrscheinlichkeit dafür ist groß, dass es davon nicht mehr allzu viele geben wird.

Mittwoch, 18. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (24) - meet the borderline states

borderline states ist ein ausdruck, der für das folgende in seiner zweideutigkeit wie angegossen passt - einmal ist er im weitesten sinne ein psychiatrischer ausdruck für scheinbar plötzlich auftretende borderline-zustände bei anscheinend relativ gesunden personen, die "nur" von zeit zu zeit dekompensieren, was dann aber bis hin zu psychotischen episoden führen kann. zum anderen ist er auch eine treffliche bezeichnung für die situation, in die momentan mehr und mehr staaten geraten - ein immer schnelleres und bis dato unaufhaltbares rutschen in die borderlinezone, die grenzgebiete der krise, in der alles gewohnte auf einmal eine bedrohliche, unheimliche und auch schrille färbung bekommt - eine zone, in der buchstäblich alles möglich erscheint. die hauptsächlich in den letzten achtundvierzig stunden angefallenen news jedenfalls haben nach meinem empfinden eindeutig einen touch zwischen alptraum und bangend-hoffender erwartung an sich - aber urteilen Sie selbst:
  • frankreich: kurz vor dem offenen aufruhr in den übersee-kolonien
  • frankreich: die stimmung wird schlechter und schlechter
  • frankreich: massive ausweitung der videoüberwachung besonders in den banlieus geplant / 4000 zusätzliche polizisten sollen präsenz im öffentlichen raum zeigen
  • italien: regierung will bürgerwehren legalisieren gegen "ausländische vergewaltiger" / zahl der soldaten im inlandseinsatz soll auf 30.000 aufgestockt werden
  • usa: kalifornien endgültig auf der kippe
  • usa: wie sich wall-street-banker auf den crash vorbereiten - gold & guns
  • usa: wen sich der neue finanzminister zur "bankenrettung" ausgesucht hat - oder von böcken & gärtnern
  • rumänien: bericht zur sozialen situation
*

in den letzten news hatte ich die situation in den karibischen kolonien schon erwähnt, inzwischen hat sich die lage dort scharf
zugespitzt:

(...)"Seit fast vier Wochen wird dort gestreikt, und immer offensichtlicher ist, dass Paris das Problem nicht in den Griff bekommt. Der Generalstreik auf Guadeloupe etwa blockiert die Lebensmittelversorgung, die Läden sind seit Tagen geschlossen, das wichtige Tourismusgeschäft kommt allmählich zum Erliegen. Auf Martinique haben der Club Med in Saint Anne und andere Hotels die Tore versperrt, Reiseveranstalter streichen Flüge.

Dort hat sich eine Bewegung gegründet, die "LKP", eine kreolische Abkürzung für "Kollektiv gegen Ausbeutung". Angeführt von lokalen Gewerkschaftsführern organisieren sie Proteste gegen Billiglöhne und die soziale Misere mit den Mitteln des Volksaufstands. Gestern wurde aus Guadeloupe gemeldet, dass die Streikbewegung wichtige Verkehrswege mit Barrikaden versperrt hat. Schon droht Paris kaum verhohlen mit Gewalt. Der Staat werde "rigoros dafür sorgen, dass der Rechtsstaat respektiert wird", warnte am Wochenende Sarkozys Überseeminister Yves Jégo."(...)


ich schreibe übrigens ganz bewußt von kolonien:

(...)"Die Preise sind höher als in Frankreich, das Einkommen per Einwohner liegt weit unter dem nationalen Durchschnitt, die Kinder haben kaum Schulabschlüsse und landen in der Arbeitslosigkeit, und alle Führungsposten in der Privatwirtschaft und in der Verwaltung sind von Leuten aus Frankreich besetzt", resümierte der aus Guadeloupe stammende Patrick Karam, der im Auftrag der Regierung für Chancengleichheit sorgen soll.

Die Arbeitslosenquote liegt auf allen Inseln über 20 Prozent. Fast 18 Prozent der Bevölkerung in den Überseegebieten erhalten Sozialhilfe. Rund 40 Prozent der Arbeitsplätze in Martinique und Guadeloupe sind bei öffentlichen Einrichtungen, die Wirtschaft fast völlig vom Mutterland abhängig. Die reinen Daten klingen, als bestehe die koloniale Realität fort. "Es gibt auf den Antillen brutale soziale Ungleichheiten, die historisch noch direkt in der Sklaverei gründen", sagt die bekannte Abgeordnete Christiane Taubira aus Französisch-Guayana, die einst als liberale Präsidentschaftskandidatin in Paris antrat. Sie spricht von "sozialer Apartheid".(...)


es ist eine sehr interessante entwicklung, dass die krise tatsächlich wie ein trigger zu wirken scheint - überall, wo auch und gerade bisher eher "versteckte" und gern übersehene antisoziale verhältnisse existieren, kann die krise in mehr oder weniger kurzer zeit eine solche verschärfung der situation bewirken, dass der alltag und die normalität von unterdrückung derart unerträglich und offensichtlich werden, das die betroffenen in angesicht der perspektive totaler verelendung gar nicht mehr anders können, als offensiv zu reagieren. das dürfte allerdings primär für viele regionen im trikont gelten, und vielleicht werden guadeloupe und martinique einmal in historischen rückblicken als
anfang gelten...

(...)"Ein wochenlanger Generalstreik auf der französischen Karibik-Insel Guadeloupe droht sich zu einem Aufruhr zuzuspitzen. In der Nacht auf Dienstag kam es zu schweren Zusammenstößen. Demonstranten errichteten Barrikaden, steckten sie in Brand und bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Nach Behördenangaben wurden 50 Personen festgenommen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Mehrere Streikende seien verletzt worden, darunter Gewerkschaftsführer Alex Lollia, teilte die linksgerichtete Partei NPA mit.(...)

"Wir stehen am Rande des Aufruhrs", sagte der Präsident des Regionalrates von Guadeloupe, Victorin Lurel, am Dienstag dem Sender France Info. "Wir haben eine politische und institutionelle Krise, es droht eine Radikalisierung des Konflikts."(...)

Die Demonstrationen richten sich gegen die hohen Lebenshaltungskosten und zunehmend auch gegen die Machtverteilung. Unter den Arbeitgebern sind viele Nachkommen früherer Sklavenhändler oder Einwanderer aus Festland-Frankreich."(...)


ich kann nur hoffen, dass es in frankreich selbst genügend menschen gibt, denen die kolonialistische und rassistische vergangenheit ihres landes so bewußt ist, dass sie sich die chance klar machen, die im aktuellen geschehen liegt - die der aufarbeitung und auch endgültigen abrechnung mit den eigenen schatten der vergangenheit, die kaum angemessener begonnen werden könnte als in der gemeinsamen aktion gegen die herrschenden "eliten" und verhältnisse. wie gesagt eine hoffnung.

zumal sich auch im "kernland" selbst die verhältnisse und deren widersprüche von woche zu woche zuzuspitzen scheinen - einige
einblicke bietet der folgende artikel:

"Erst die Wirtschaftskrise, nun die politische Krise? "Ruhig Blut" empfiehlt der Chef seinen Ministern, aber seit den Massenstreiks vom 29. Januar geht die Sorge um, das Land könne unregierbar werden. Nicht umsonst hat Präsident Nicolas Sarkozy in den vergangenen Wochen mehrmals auf die Revolutionsgeschichte des Landes verwiesen.

Für die am höchsten lodernden Konflikte - Schulen, Universitäten, Jugend, Massenproteste in den Überseegebieten - hat er bereits "Moderatoren" eingesetzt. Offenbar packen es die Minister nicht mehr aus eigener Kraft. Moderierend sollen doch bitteschön auch die Gewerkschaften wirken. Mit ihnen wird seit Tagen fieberhaft über soziale Trostpflaster verhandelt, am Mittwoch treffen ihre Bosse den Staatspräsidenten - haben aber bereits einen Generalstreik für Mitte März angekündigt.

Bis dahin wird sich noch ordentlich Druck aufbauen. Am Donnerstag dieser Woche landesweiter Streik an den Universitäten, Aktionen der Schüler, und bald darauf geht’s wieder in den Betrieben rund."(...)


die interessantesten informationen aber verbergen sich in den nächsten absätzen:

(...)"Und während bis vor Kurzem noch Schreckstarre statt Aufruhr herrschte, sammelt sich nun der Zorn, und er entlädt sich. Nicht nur auf großen Demonstrationen, sondern auch im hässlichen, scheinbar unpolitischen Klein-Klein der Sozialkonflikte: Unternehmer und Soziologen berichten von zunehmender Sabotage, anonymen Gewaltattacken gegen Vorgesetzte, Bankbeamte, Schaffner, von Drohungen, Rempeleien, vom Mobbing nach oben, nach unten und nach allen Seiten.

Als Anfang November eine TGV-Linie fachgerecht lahmgelegt wurde, war die Furcht im Management der Bahngesellschaft SNCF groß, es habe sich womöglich um Sabotageaktionen der eigenen Mitarbeiter gehandelt. Nun, wer weiß. Seither sitzt ein junger Mann namens Julien Coupat in Haft, dem diese Aktion zur Last gelegt wird; Beweise wurden bisher nicht präsentiert. Wohl aber hat er ein militantes Buch über den "kommenden Aufstand" geschrieben, das reißenden Absatz in Frankreich findet."(...)


das erwähnte "klein-klein der sozialkonflikte" ist etwas, auf dessen rasante eskalation wir uns alle in den kapitalistischen metropolen einstellen müssen. und je nach der vorherrschenden kollektiven psychophysischen verfassung breiterer bevölkerungsteile wird dieses "klein-klein" eher befreiende (in einem emanzipatorischen sinn) oder aber faschistoide züge annehmen - meine prognose für d-land fällt in der hinsicht eindeutig negativ aus. vor dem hintergrund dieser entwicklungen ist es aber logisch, dass die "eliten" auf die ihnen einzige vertraute und "normal" erscheinende weise reagieren, mittels mehr präventiver repression - scheinbar ohne in ihrer unendlichen einfalt zu erahnen, dass das ein garantiertes mittel ist, den druck gerade in den
"sozialen brennpunkten" derart zu erhöhen, dass es dort in kürze zuverlässig knallen wird:

(...)"Frankreichs Innenministerin Michele Alliot-Marie (UMP) will die Videoüberwachungskameras auf den Straßen bis Jahresende verdreifachen und zusätzliche 4.000 Polizeibeamte in Vorstadtzonen einsetzen. Man werde die Anzahl der Videokameras in den Städten von 20.000 auf 60.000 anheben, sagte Alliot-Marie am Montag gegenüber der Pariser Tageszeitung "France-Soir".(...)

der artikel erwähnt des weiteren explizit, dass die kriminalitätsrate zurückgegangen ist - vor diesen maßnahmen. ich zweifle auch nicht die angabe an, dass es sich bei den opfern der straßengewalt hauptsächlich um frauen handelt. es geht nicht darum, diese erbärmlichen zustände zu zementieren, sondern ihnen an der wurzel - ja, radikal - zu begegnen, und zwar mittels stärkung der sozialstruktur und der sozialen fähigkeiten der dortigen menschen. und das kann von fall zu fall sogar aus meiner sicht einen gewissen einsatz an begleitenden und dosierten repressionen nötig machen, um grenzen aufzuzeigen. hier jedoch zeigt der gesamte kontext an, dass es darum nicht geht, sondern das riecht verdammt nach präventiver "behandlung" von potenziellen ausbruchszonen, die im weiteren verlauf dieses jahres zu zonen jenseits aller staatlichen "ordnung" mutieren könnten. und diese art ordnung ist aus elitärer sicht das entscheidende, nichts anderes. die - realen - gewaltopfer in den banlieus betrachte ich für dieses vorhaben als vorgeschoben, also als typische und widerliche instrumentalierung.

*

letzteres ließe sich auch für die aktuellen entwicklungen in
italien konstatieren - bekanntlich war dort am vergangenen freitag ein erster großer streik- und protesttag, und ich halte die zeitliche abfolge, mit der das folgende bekannt wurde, keinesfalls für zufällig:

"Der Regierungschef fällt mit einer neuerlichen Provokation auf: Als Reaktion auf mehrere Vergewaltigungen will er per Dekret Bürgerwehren gestatten und 30.000 Soldaten einsetzen. Italiens schöne Frauen könne er dennoch nicht alle beschützen."(...)

berlusconi hat sich ja schon mehrfach als hochgradig narzißtisch, zynisch und antisozial geoutet, aber damit hat er sich wieder einmal selbst übertroffen. der reihe nach:

- es gab eine häufung von teils extrem brutalen vergewaltigungen, angeblich allesamt von "ausländern" - osteuropäisch, arabisch, afrikanisch - begannen.

- daraufhin fällt der regierung natürlich - und hier sehe ich analogien zu frankreich - nicht als erstes ein, sich mit den realitäten von vergewaltigung und sexualisierter gewalt in der öffentlichkeit und den familien zu befassen, mit ihren grundlagen in den herrschenden frauen- und männerbildern, ihren bedingungen in den sozioökonomischen zuständen, ihrer beeinflussung von reaktionärer katholischer "moral" etc. zu befassen und dort und an anderen stellen das problem ebenfalls an der wurzel anzugehen - nein, natürlich werden auch hier die opfer instrumentalisiert, um gleich zwei fliegen mit einer klappe zu schlagen: feindbilder werden verankert und der "sicherheitsapparat" wird von der leine gelassen.

(...)"Die Regierung plant demnach bereits in der nächsten Ministerratssitzung, eine Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen per Dekret zu verabschieden. Neben der Erlaubnis von Bürgerwehren sei eine finanzielle und personelle Verstärkung der Polizei vorgesehen."

und das hat folgen:

"In der Nacht zum Montag hatte eine Gruppe von 20 Italienern in Rom vier jugendliche Rumänen vor einem Imbiss angegriffen. Die Italiener seien vermummt gewesen und mit Schlagstöcken und Baseball-Schlägern auf die Ausländer losgegangen. Zwei Rumänen seien krankenhausreif geschlagen worden, hieß es. Die Polizei sieht einen Zusammenhang zu der brutalen Vergewaltigung einer 15-Jährigen am Vortag in Rom. In diesem Kontext wird nun nach zwei Männern mit osteuropäischem Akzent gesucht.

Auch in Bologna und Mailand kam es am Wochenende nach ähnlichen Vorfällen zu ausländerfeindlichen Übergriffen. Anfang Februar hatten drei Jugendliche in Nettuno bei Rom einen Inder anzündet, der bis heute mit schweren Verbrennungen auf der Intensivstation liegt."(...)


hatte es am freitag bei den massenprotesten in rom noch solche bilder wie nebenstehend gegeben, so wird das sich darin abzeichnende gemeinsame agieren von "einheimischen" arbeitern und migranten - was aus sicht von berlusconi und seinem regime reale gefahren birgt - nun von den rassistischen schlägertrupps und der aufstachelung des "volkszorns" überdeckt.

arbeiter und migranten gemeinsam im protest in rom

und ich betrachte gerade die "legalisierung" von sog. bürgerwehren als alarmzeichen allerersten ranges, denn es dürfte nur zu klar sein, was für leute sich da sammeln werden. faschistische schlägertrupps unter regierungsfuchtel, angeblich im interesse vergewaltigter frauen unterwegs. berlusconi ist noch viel widerwärtiger, als es bisher den anschein hatte.

und er geht in die vollen:

"Als Reaktion auf die Vergewaltigungen versprach Regierungschef Silvio Berlusconi den Einsatz von 30.000 Soldaten und sagte: "Wir müssten so viele Soldaten haben, wie es in Italien schöne Frauen gibt. Das werden wir nicht schaffen“.

Die Opposition und Frauenorganisationen reagierten empört auf die Aussage: "Diese Äußerungen belegen einmal mehr die fehlende Sensibilität des Premiers, der das Drama der sexuellen Gewalt ignoriert, die Frauen beleidigt und der gleich auch noch den Sinn des Militäreinsatzes infrage stellt", sagte Oppositionschef Walter Veltroni.(...)

Berlusconi verteidigte sich, sein "Scherz" sei als "Kompliment" gemeint gewesen, er verliere eben "in keiner Situation den Sinn für Leichtigkeit und Humor".


boah! (diese art von humor habe ich schon mal zum
thema gemacht.)
die äusserungen der (parlamentarischen) opposition lassen leider nicht erkennen, dass sie den ernst der lage tatsächlich begriffen haben. wie schon in frankreich die zusätzlichen polizisten, so werden in italien die geplanten
zusätzlichen militärs vor allem für den einsatz im zweiten halbjahr 09 disponiert - ausgerechnet die phase dieses krisenjahres, in der die massiv ansteigende erwerbslosigkeit und ihre folgen überall in europa deutlich spürbar sein dürften:

(...)„Die Forderung nach einem Einsatz der Soldaten kommt vor allem aus Städten in Norditalien, vielleicht weil es dort mehr illegale Migranten gibt“, sagte der italienische Verteidigungsminister Ignazio La Russa im Interview mit der Tageszeitung „Il Giornale“ am Sonntag.

Das Heer sei in der Lage, in sechs Monaten mit den Patrouillen zu beginnen. ’’Soldaten in den Städten können eine wichtige Vorbeugungsrolle spielen“, sagte La Russa. Die Ausbildung des Militärs für die Patrouillen in den Städten werden in knapp einem Monat abgeschlossen werden.

Regierungschef Silvio Berlusconi kündigte am Samstag an, dass die Zahl von rund 3.000 Soldaten, die in den Städten eingesetzt werden, sogar um das Zehnfache erhöht werden könnte. „Die Soldaten sollen die Kriminalität bekämpfen“, sagte Berlusconi.

Seine Meinung teilt auch Innenminister Roberto Maroni. „Der Einsatz von rund 3.000 Soldaten in den Städten hat hervorragende Resultate gezeitigt. Jetzt wollen wir die Soldaten für eine noch effizientere Kontrolle der Gebiete rund um die Städte einsetzen“, sagte Maroni."(...)


bin ich der einzige, der bei der fomulierung "rund um die städte" in hinsicht auf mögliche krisenauswirkungen ganz bestimmte assoziationen bekommt?

(...)"Die Opposition warf der Regierung Berlusconi vor, die Städte zu militarisieren. Der Einsatz des Militärs sei eine glatte Verschwendung von Ressourcen und ohne Durchschlagskraft."

und was ist das für eine "opposition", die die fehlende "durchschlagskraft" moniert? insgesamt bietet das alles ein bild, bei dem einem nur noch schlecht wird. es gibt aber noch ein vorhaben, das alle klassischen merkmale populistischer und
faschistischer "politik" erfüllt:

(...)"In diesem Zug soll auch die von 2 Ministern der Berlusconi-Regierung beschlossene Kastrierung von Sexualstraftätern durchgesetzt werden. Einig ist man sich nur noch nicht über das Verfahren: Chemische Kastration oder chirurgische."

das ist populistisch zum einen deshalb, weil mit solchen mitteln die strukturellen brutstätten und das reale vorkommen der tatsächlich existierenden sexualisierten gewalt, die v.a. in familien und sog. "beziehungen" (die ich meist nicht für authentische beziehungen halte) vorhanden ist, weder erreicht noch wirkungsvoll verändert werden kann, aber das bild der "reinen familien & ehen" unbefleckt bleibt. und es ist tatsächlich faschistisch zum anderen deshalb, weil hier mit einem bild eines rein triebgesteuerten tätertypus gearbeitet wird, der erstens real eher die ausnahme darstellt, aber zweitens in der suggestion seitens der regierung auch noch dazu ausländer ist. und vor diesem hintergrund ist leider ein ganzes stück realität an dem fazit, welches die autorInnen bei indy ziehen:

"Italien ist nun ein faschistisches Land mit einer faschistischen Regierung."

und anscheinend hat´s kaum jemand bemerkt - oder es stört niemanden.

*

es fällt mir zugegebenermaßen etwas schwer, nach all dem die kurve nach kalifornien zu kriegen - aber auch dort hat sich die situation, wenn auch vorläufig noch in anderer hinsicht, zugespitzt - der us-bundesstaat ist nur noch einen schmalen grad vom vollständigen
bankrott entfernt:

(...)"Die öffentliche Infrastruktur verrottet seit einem halben Jahrhundert: Autobahnen brechen auseinander, Brücken fallen ein, Staudämme entsprechen nicht den Sicherheitsvorschriften. Das Schulsystem ist notorisch unterversorgt, immer mehr Lehrer kehren den Großstädten wie San Francisco und Los Angeles den Rücken. Ihre Bezahlung ist mies, die Mieten gigantisch und das Lehrniveau auf einem jämmerlichen Zustand, wo schon als Schüler eine gute Note bekommt, wer überhaupt auftaucht. Die Kriminalität auf den Schulhöfen steigt und selbst in besseren Schulen patrouillieren uniformierte Sicherheitskräfte und werden nicht selten von den Lehrern in die Unterrichtsräume gerufen, um statt der Lehrer für Ordnung zu sorgen.

Nirgendwo sonst in den USA ist der Gegensatz zwischen arm und reich so krass und extrem wie in Kalifornien, nirgendwo sonst gerät die Mittelklasse außer Tritt und verlässt zu Hunderttausenden - früher undenkbar - den landschaftlich so reich beschenkten Staat. Die Hauptstadt Sacramento ist ein finsteres Loch, dessen Zentrum verödet: Immer mehr Geschäfte geben auf, Restaurants sind verbarrikadiert, ganze Straßenzüge atmen den fauligen Odem einer verkommenden Drittwelt-Stadt. Obdachlose bestimmen hier wie in anderen Großstädten "downtown". Kein Wunder, dass Schwarzenegger "seiner" Hauptstadt allein die Ehre der Missachtung gönnt: Der frühere Mime wohnt weiter unter den Reichen und Schönen in Hollywood und wird deshalb auch wahrscheinlich nie der Autobahn um Sacramento ansichtig, auf der man übler als dereinst zu DDR-Zeiten um die Hauptstadt rumpelt."(...)


und dieses land ist angeblich unter den zehn größten volkswirtschaften der welt?

(...)"Tatsächlich künden von der Export-Stärke die wirtschaftlichen Zahlen, die von immensen Exporterlösen sprechen, vor allem in High-Tech-Bereich und in der oft unterschätzten Landwirtschaft des Landes, die beispielsweise ganz Deutschland monopolartig mit Mandeln überschwemmt. Millionenweise tragen legale und illegale Einwanderer - zumeist aus Südamerika und auch Asien, oft als Tagelöhner sich verdingend, oft mit Minimallohn - zu diesem Erfolg bei. In zwei Jahren, so die Statistiken Kaliforniens, werden diese Latinos die Mehrheit stellen, so wie bereits jetzt den Oberbürgermeister von Los Angeles. Offizielle Schätzungen sprechen von 2,5 bis drei Millionen illegaler Immigranten allein aus Südamerika.

Im Central Valley oder im San Joaquin Valley, den fruchtbarsten Tälern der gesamten USA, leben rund 30 Prozent der Kinder unter der Armutsgrenze, weisen minderjährige Mädchen die höchste Schwangerschaftsrate der USA auf. Die Gefängnisrate ist in Kalifornien pro Kopf gesehen höher als in China, die völlig überalterten Knäste, darunter die berühmten St. Quentin und Folsom State Prison verschlingen mehr als 10 Mrd. Dollar aus dem Staatsbudget (rund 10 Prozent) und sind in einem hygienischen Zustand, der Washington regelmäßig alarmiert. Kalifornien gibt bald mehr für seine Gefängnisse als für seine Universitäten aus. Die Budget-Steigerungsraten bei den Gefängnissen liegen bei zehn, bei den öffentlichen Universitäten bei nur fünf Prozent. Rund 15 Prozent der Einwohner Kaliforniens hocken im Knast."(...)


ein echter borderline state in einem system, das schon lange einem mausetoten verfaulenden zombie ähnelt, der nur noch nicht gemerkt hat, dass er längst hinüber ist und jetzt mit seinem gestank die luft verpestet. und wie in vergangenen news vielleicht deutlich wurde, mag kalifornien in macher hinsicht extremer als andere us-staaten sein, strukturell jedoch gibt es bei den grundsätzlichen problemen wenig unterschiede. die usa als ganzes sind in einem zustand, der es absolut fraglich werden lässt, ob "die heimstatt des kapitalismus" da überhaupt noch mal rauskommen kann. als friedliches land mit akzeptablen sozialen strukturen und ohne führungs- und imperiumswahn würde ich mir das vor allem für die dortige bevölkerung wünschen.

*

wobei es im hinblick auf den letzten satz gerade auch
ausnahmen gibt:

"During the final months of 2008, as the financial markets imploded, talk on trading desks turned to food and water stockpiles, generators, guns, and high-speed inflatable boats. “The system really was about six hours from failing,” says Gene Lange, a manager at a midtown hedge fund, referring to the week in September when Lehman went bust and AIG had to be bailed out. “When you think about how close we were to the precipice, I don’t think it necessarily makes a guy crazy to prepare for the potential worst-case scenario.”(...)

so beginnt eine reportage über die gewisse sorte smarter typen, die sich inzwischen mit fug und recht als bankster schimpfen lassen müssen. und es ist aufschlußreich, wie diese herren sich auf die möglichen folgen des u.a. von ihnen mit verursachten desasters vorbereiten. besonders interessant aber fand ich das in meinen augen ziemlich treffende fazit am ende des berichtes:

(...)"While it may look like these Wall Streeters are betting on such a collapse, their embrace of survivalism is an outgrowth of their professional habits of mind: Having observed the economy’s shaky high-wire act from their ringside seats, they are trying to manage their risk and “hedge” against a potential fall. “It’s like insurance,” says an investor who has stockpiled MREs and a hand-cranked radio. “And by the time you need it, it’s way too late.” Leave it for others to weep for the collapse of the social order. These guys would prefer to be in a high-speed boat or ex-military vehicle, heading off toward their fully provisioned compounds in pursuit of the ultimate goal: to win the chaos."

und dieses benannte ultimate goal kann ich mir bei diesen mutanten wirklich gut vorstellen. ihr einziger lebens"sinn": überleben.

*

diejenigen, die sich noch nicht von ihren ihr eigenes überleben bisher garantierenden machtpositionen verabschieden wollen, haben in obamas regierung einen ganz
besonderen freund sitzen:

(...)"Der Kern von Geithners Programm für die Banken sieht vor, dass der Staat private Investoren für den Aufkauf der toxischen Wertpapiere findet. Wie das geschehen soll, ließ er offen. Stattdessen sagte er, man sei im Gespräch mit privaten Investoren. Im Klartext: Die Wall Street ist eingeladen, ihre Vorstellungen für einen Rettungsplan auf Kosten der Steuerzahler zu entwerfen.

Das lassen sich die Banker und Fondsmanager nicht zweimal sagen. Am Abend nach Geithners Rede hatte Goldman Sachs zu einem exklusiven Dinner eingeladen. Die Gäste: die 30 Chefs der wichtigsten Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften und Vermögensverwalter.(...)

Dass Geithner sich ratsuchend an die Wall-Street-Insider wendet, liegt nahe. Als Obama Geithner vergangenes Jahr als Finanzminister ins Spiel brachte, reagierte die New Yorker Börse prompt mit einer Erleichterungsrally von 500 Punkten. Die Wall Street sieht den ehemaligen Chef der New Yorker Notenbank als einen der ihren. Als Notenbanker pflegte er engen Umgang mit den Chefs der großen Banken. Regelmäßig lud er die Topmanager zum Essen im Executive Dining Room der New Yorker Fed.

Mit John Thain, dem ehemaligen Vorstandschef von Merrill Lynch, der kürzlich über Bonuszahlungen und eine 1,2 Millionen Dollar teure Bürorenovierung seinen Job verlor, verband ihn sogar ein freundschaftliches Verhältnis. Die beiden telefonierten täglich, erzählte Thain einem Reporter des Magazins Portfolio.

In der New Yorker Finanzgemeinde wird schon darüber spekuliert, dass jetzt Goldman Sachs einen "Rettungsplan" entwerfen könnte. Mit ihm könnten die Banker dann den Finanzminister wissen lassen, zu welchen Bedingungen Hedgefonds, Beteiligungsgesellschaften und Banker bereit wären, bei seinen Plänen mitzumachen."


"change? yes, we can!" mr. obama, so wird das garantiert nix. und da ich ihn eigentlich nicht für so naiv halte, muss ich leider die schlimmere variante in betracht ziehen - die duldung dieses mannes in dieser position mit vollem bewußtsein. jedenfalls brauchen wir zukünftig nicht lange über die tatsächlichen empfänger und profiteure der us-"pakete" für dieses und jenes zu rätseln. ich hingegen rätsele langsam über die geduld der us-bevölkerung.

*

zum schluß dieser news, die mich selbst mit einem wirklich miesen gefühl in bezug auf unser aller zukunft zurücklassen, wieder ein lesetipp - wildcat kommt mit einem zweiten tiefgehenden länderreport heraus, den ich nur empfehlen kann - diesmal zu
rumänien, mit einem schwerpunkt auf die dortigen migrationsbewegungen.

Sonntag, 15. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (23)

zur einleitung gibt´s heute mal etwas aus der "welt", die sich seit letzter woche - ähnlich wie die "faz" - mit einem grundsätzlichen artikel unter dem aufhänger der untauglichkeit der konjunkturprogramme inzwischen auch höchst systemanzweifelnde tendenzen leistet:

(...)"Längst besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Welt den gewaltigsten ökonomischen Erdrutsch seit 80 Jahren erlebt. Und allein sein bisheriger Verlauf lässt darauf schließen, dass die Krise, zumal in ihrer sozial-gesellschaftlichen und politischen Dimension, noch gar nicht richtig begonnen hat.(...)

Der US-Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman sagt: "Wir sollten uns von dieser Vergangenheit verabschieden. Wir können uns eine Zukunft, die aussieht wie die Vergangenheit, nicht leisten." Recht hat er. Nur leider hört niemand auf ihn. Stattdessen versuchen Politiker weltweit nichts anderes, als die Krise mit den Methoden der Vergangenheit zu bewältigen und riskieren damit vielleicht alles."


ein treffender satz - "wir können uns eine zukunft, die aussieht wie die vergangenheit, nicht leisten". auch, wenn ich ihn vermutlich anders verstehe und weiter fasse als ein "welt"-redakteur, so kann er doch gut als motto über den heutigen news stehen, die da wären:
  • italien: massendemonstrationen und -streiks gegen krisenfolgen und regierungspolitik
  • frankreich: neuer generalstreik geplant / laufend proteste gegen bildungspolitik im zeichen der krise / generalstreiks in den französischen überseekolonien
  • deutschland: erste (?) größere gewerkschaftsdemonstration gegen krisenfolgen in hamburg
  • deutschland: innergewerkschaftliche kritik an den positionen der führungsfunktionäre
  • deutschland: aufruf zu den bundesweiten märzdemonstrationen veröffentlicht
  • usa / kalifornien: de-facto-bankrott befreit knastinsassen
  • aus den abgründen des finanzsystems: was sind eigentlich "credit default swaps"?
  • und was sind "abs" und "cdo"?
  • "europa am rande der depression"
*

für den vergangenen freitag hatten etliche große gewerkschaften in italien zu einem protest- und streiktag aufgerufen - und es ist
einiges losgewesen:

(...)"Mit Streiks und Demonstrationen haben hunderttausende Italiener am Freitag gegen die Regierung von Silvio Berlusconi protestiert und ein soziales Netz gegen die Krise verlangt. Unter einem Meer roter Fahnen forderten die Demonstranten "Arbeit für alle".

Allein in Rom reihten sich nach den Angaben der Organisatoren 700.000 Menschen bei drei Demonstrationszügen ein. Italiens stärkste Gewerkschaft CGIL hatte zu den Arbeitsniederlegungen aufgerufen, an denen sich Lehrer, Staatsbeamte und Metallarbeiter beteiligten. Von Gewerkschaftsseite wird der Mitte-Rechts-Regierung in Rom vorgeworfen, nur unzulänglich mit sozialen Maßnahmen auf die schwere Wirtschaftskrise zu antworten. Auch in anderen Städten gab es Großdemonstrationen gegen Berlusconi."(...)


das "meer von roten fahnen" ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, wie das folgende video zeigt - kann hier übrigens jemand italienisch und vielleicht kurz die statements zusammenfassen?



nicht nur die erwähnten branchen bzw. dienste, sondern auch das motto "arbeit für alle" - zu dem es ja nun etliches anzumerken gäbe - machen meiner meinung nach deutlich, dass hier die gewerkschaften tatsächlich ihre "kerne" mobilisiert haben - interessieren würde mich dabei, ob es auch eine art schulterschluß mit den ebenfalls in den letzten monaten protestierenden schülerInnen / studentInnen gibt? und wo ist die in italien immer noch relativ starke radikale linke in diesen konfrontationen? wenn sich alle beteiligten zur abwechslung erstmal unter einem minimalkonsens bezgl. der krise finden könnten, würde ich italien ebenso wie frankreich als erste kandidaten für soziale massenbewegungen ansehen, die tatsächlich einiges an gegenmacht entwickeln könnten - in beiden ländern gibt es dafür jedenfalls ausreichend
gründe:

(...)"In Rom zogen Hunderttausende in zwei riesigen Demonstrationszügen unter roten Fahnen auf die zentrale Piazza San Giovanni im Herzen der Hauptstadt. »Italien erlebt einen sozialen Notstand, auf den die Regierung Berlusconi nur mit unzulänglichen Maßnahmen reagiert hat. Immer mehr Werke werden dichtgemacht, die Arbeitnehmer werden auf Kurzarbeit gestellt, überall wächst die Verzweiflung und die Wut«, sagte FIOM-Sprecher Gianni Rinaldini.

Besonders schwierig sei die Lage der vielen Arbeiter mit unsicheren Arbeitsverhältnissen. Über 600 000 Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen könnten im Laufe dieses Jahres den Job verlieren, warnte die CGIL. Der Generalsekretär der kommunistischen »Rifondazione Comunista«, Paolo Ferrero, appellierte an die CGIL, gemeinsame eine starke Opposition in Italien aufzubauen. »Wir müssen die Rechte der Arbeiter in dieser schweren Krise verteidigen und wollen dabei die CGIL unterstützen«, so Ferrero."


*

währenddessen scheinen große teile der französischen sozialen bewegungen, incl. der gewerkschaften, auf den geschmack der rebellion gekommen zu sein - dazu braucht es bei unseren nachbarn bekanntlich und erfreulicherweise auch nicht viel, und mit einem sarkozy an der spitze gibt´s auch jemanden, der es immer wieder schafft, durch seine narzißtische ader noch weiteres öl ins feuer des allgemeinen unmutes zu gießen - der folgende
bericht gibt einige fundierte einblicke in die aktuelle soziale situation:

"Die französischen Gewerkschaftsverbände rufen, nach der gelungenen Mobilisierung vom 29. Januar, zu einem neuen Streik—und Aktionstag am 19. März auf. Reichlich spät, wie Viele finden. Doch in der Zwischenzeit halten der Arbeitskampf der Hochschullehrer (inzwischen mit Unterstützung der Studierenden), der Generalstreik auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe & La Martinique und andere Ereignisse den sozialen Druck aufrecht. Die Regierung darf sich in den kommenden Wochen warm anziehen.(...)

„Glauben Sie, dass meine Arbeit einfach ist?“ fragte er die Journalisten- die Nachrichtensprecher der beiden größten französischen Fernsehanstalten, Laurence Ferrari von TF1 und David Pujas von France2 - die ihm anderthalb Stunden lang vorher ausgewählte und abgesprochene Fragen stellen durften. 15 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung.

Ob die Übung aber Erfolg hatte, ist eine offene Frage. Laut ersten Umfragen zeigen sich nur rund 35 Prozent der Franzosen von seinem Auftritt überzeugt, über die Hälfte der Befragten erklären das Gegenteil - außer in einer Auftragsstudie für die konservative Tageszeitung Le Figaro, die eine gegenläufige Tendenz belegen soll. Und zudem ergab eine am Montag publizierte Befragung, dass 53 Prozent sich derzeit bereit zeigen, „einer sozialen Bewegung zu folgen“, also beispielsweise in den Streik zu treten."


das ist auch so eine der vermutlich vielen regierungen, die sich am liebsten eine neue bevölkerung wählen würden. aber da das nur in den alpträumen der "eliten" möglich ist, muss sich sarkozy zwischenzeitlich damit beschäftigen, sich mit den folgen seiner absichten
auf den straßen zu konfrontieren:

(...)"Mehr als 40.000 Studenten, Forscher und Professoren haben am Dienstag in Paris und weiteren französischen Städten gegen umstrittene Bildungsreformen der Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy protestiert. Allein in der Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben 17.000 Demonstranten. Gewerkschaften gaben die Teilnehmerzahl der Proteste im ganzen Land mit 100.000 an, die Behörden sprachen von 43.000 Menschen.

Auslöser der Demonstration war eine Änderung des Statuts von Wissenschaftlern, was zu einer Beschneidung der Forschungstätigkeit führen könnte. Viele Studenten und Lehrer schlossen sich den Protesten aus Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik der Regierung an."(...)


es ist einerseits - wie in italien - auch hier zu konstatieren, dass die krise längst in den gesellschaftlichen und ökonomischen kernbereichen angekommen ist und ihre - aus regierungssicht unabänderlichen - folgen dort auch exekutiert werden sollen, was in beiden ländern augenscheinlich in großer breite massiven widerstand mobilisiert. andererseits sehe ich bei diesen und auch anderen protesten das hauptproblem darin, dass die bedeutung der krise als symbol und symptom nicht nur für das bevorstehende ende einer art der ökonomie, sondern auch für das ende des westlichen "way of life", bisher überhaupt nicht - jedenfalls nicht wahrnehmbar - thematisiert wird. so sympathisch und für notwendig ich die meisten streiks und demos bisher empfinde und halte, so bedenklich finde ich doch die tendenzen zur besitzstandswahrung gerade in branchen wie der autoindustrie, aber auch von seiten der öffentlichen dienste. sozioökonomisch erträgliche verhältnisse für alle zu fordern, ja, das ist nötig. aber darüber hinaus auch zu sagen, dass gerade europa und die usa generell und systemisch nicht über ihre, sondern primär über die verhältnisse des planeten gelebt haben - auf kosten und zum schaden der großen mehrheit der weltbevölkerung -, also diese realität und ihre konsequenzen wahrzunehmen, aufzuzeigen, zu thematisieren und vor allem deutlich zu machen, dass die diesbezgl. nötigen strukturellen massiven veränderungen letztlich auch für den großteil der menschen hier von vorteil und im eigenen interesse wären - das ist aus meiner perspektive erst der schritt, mit dem tatsächlich die systemfrage gestellt werden würde. als indiz für den jeweiligen stand der entwicklung eines solchen bewußtseins würde ich die ausbreitung von nationalistischen und rassistischen tendenzen in den europäischen ländern betrachten - wenn es gelingt, die möglichst klein zu halten, wäre das aus meiner sicht ein erstes zeichen dafür, das zumindest ein paar grundbedingungen dafür vorhanden sind, die erwähnten schritt überhaupt als realistische option zu betrachten.

und unter den obigen aspekten finde ich auch die folgenden entwicklungen, ebenfalls im bericht beim labournet enthalten, ziemlich interessant:

(...)"So wird die französische Karibikinsel Guadeloupe seit dem 20. Januar durch einen Generalstreik in Atem gehalten. Gefordert wird u.a. eine wirksame Armutsbekämpfung, die Erhöhung des Mindestlohns und eine Aufwertung aller Tieflöhne um 200 Euro. Am gestrigen Donnerstag (12. Februar) brachen die Gewerkschaften die Verhandlungsrunde mit den Unterhändlern der Regierung ab, „weil diese keine Ahnung haben und ihr Dossier nicht kennen“. Inzwischen hat der Generalstreik auch auf die andere französische Antilleninsel La Martinique, und in Ansätzen fern auch auf einen weiteren französischen „Überseebezirk“ - La Réunion im Indischen Ozean - übergegriffen."(...)

auch dort regt sich die vom eurozentrischen blick gerne vergessene "peripherie" also wahrnehmbar. falls jemand mehr informationen über die dortigen sozioökonomischen verhältnisse hat, wäre vermutlich nicht nur ich über entsprechende anmerkungen erfreut.

*

kommen wir zur eigenen haustür. gibt es inzwischen vielleicht erste
anzeichen für eine langsame lockerung der kollektiven hiesigen apathie?

(...)"Bereits am Donnerstagabend marschierten 1.500 GewerkschafterInnen durch die Hamburger City. "Schließt das Finanzcasino - in Arbeit, Bildung und Zukunft investieren", lautete das Motto des DGB-Marsches. "Finanzcasinos schließen heißt Kapitalismus überwinden", setzte die Gruppierung Jour Fix der Gewerkschaftslinken drauf. "Sachdebatten und Fachvorträge, die wir in den vergangenen Monaten vielfach hatten, können die demokratischen Aktionen, die Willensäußerungen in der Öfentlichkeit nicht ersetzen", sagte DGB-Chef Erhard Pumm vor der Finanzbehörde "Wir gehen auf die Straße, weil wir politischen Druck machen wollen, gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise noch zu verschärfen drohen."

Für die Bezirksleiterin der IG Metall Küste, Jutta Blankau, muss Schluss sein mit dem "neoliberalen Geschwafel". " Wir setzen ein Zeichen gegen soziale Spaltung." Manager von Banken müssten die Grenzen aufgezeigt werden, notfalls durch Verstaatlichung. Ver.di Landeschef Wolfgang Rose stellte sogar die Haltung der Gewerkschaften in der Lohnpolitik in Frage."(...)


die überaus nötige stellungnahme aus der gewerkschaftslinken ist in den kommentaren
hier nachzulesen, und es sind klare und deutliche worte an die funktionäre - auszug:

(...)"Wir unterstützen Sommer und den DGB dabei, daß wegen der Krise niemand entlassen wird, daß die „Aufgaben der Daseinsvorsorge“ nicht privatisiert und die Arbeitslosen, die Alten und die Alleinerziehenden geschützt werden! Sobald der DGB den ersten Schritt tut zur Verwirklichung dieser Ziele und nicht nur redet, sind wir die ersten, die sich einreihen bei den Auseinandersetzungen – trotz aller sonstigen Kritik an der Ideologie von Michael Sommer und anderen Gewerkschaftsführern.

Bei der Schaffung einer neuen Grundlage zwischen Kapital und DGB müssen wir Michael Sommer allerdings allein lassen, auch seiner Forderung nach einer „Marktwirtschaft für Menschen“ (Rede am 22.1.09) können wir allerdings nicht beipflichten. Was heute „Marktwirtschaft für Menschen“ genannt wird hieß früher: Dem Kapitalismus ein „menschliches Antlitz“ zu geben oder ihn zu „zähmen“, noch früher „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ zu sein (1931 Gewerkschaftsführer Tarnow auf SPD-Parteitag). 75 Jahre nach dem Überfall auf die Gewerkschaftshäuser in Deutschland wurde am 2. Mai 2008 im Hamburger Gewerkschaftshaus dieser schändlichen Tat gedacht. Wenn auch heute noch einem Kapitalismus gesucht wird, der den Menschen dient, die Fiktion aufrecht erhalten wird, das Verhältnis zum Kapitalismus auf eine neue Grundlage stellen zu können, so ist es nicht schwer, vorauszusagen, daß auch dieser Versuch wieder scheitern und in einer Niederlage enden wird. Diesmal aber werden keine Schlägertrupps der SA wie am 2. Mai 1933 notwendig sein, weil die Gewerkschaftsführungen dabei sind, selbst die Gewerkschaften zu zerstören, indem sie sich weigern, den Kampf um eine antikapitalistische Gesellschaftsordnung aufzunehmen."(...)


es ist jetzt schon absehbar, dass nicht nur die deutschen gewerkschaften, sondern all jene, die sich mittels der fiktion der "sozialpartnerschaft" um die wahrnehmung des klassenkampfes von oben gedrückt haben, im weiteren verlauf der krise vor echten zerreißproben stehen werden. aber das ist und war auch überfällig.

*

währenddessen zeichnet sich für die außerparlamentarische und radikale linke ab, dass die beiden seit längerem angekündigten demonstrationen in berlin und frankfurt/m. nicht nur ein ernstzunehmender test für die eigenen mobilisierungsfähigkeiten werden, sondern auch zeigen könnten, wieweit sich meine weiter oben bezgl. frankreich und italien formulierten gedanken bezgl. der inhaltlichen ausrichtung des jetzt nötigen widerstands tatsächlich aktuell umsetzen lassen. dieses fazit ziehe ich v.a. aus der betrachtung des jetzt vorliegenden
aufrufes:

(...)"Der Kapitalismus steckt in seiner schlimmsten Krise seit 1929. Sie hat verschiedene Gesichter: die Beschleunigung des Klimawandels, Kriege um den Zugang zu Rohstoffen, Hungerrevolten, Finanzmarkt-Crash und Rezession. Ausgehend von den Industrieländern wird auch der globale Süden hart getroffen, weil noch weniger Mittel für Klimaschutz und Entwicklung bleiben, und weil die globale Konkurrenz um Märkte und Profit noch brutaler zu werden droht. Millionen Menschen verlieren ihre Arbeit, ihre Wohnungen und ihre Lebensperspektiven.


demoplakat 28maerz

Zeit für Systemwechsel - Für eine solidarische Gesellschaft


Die Entfesselung des Kapitals und der erpresserische Druck der Finanzmärkte haben sich als zerstörerisch erwiesen. Ein anderes Weltwirtschaftssystem ist nötig. Eines, das Mensch und Natur dient; das auf den Prinzipien globaler Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischer Kontrolle aufbaut. Dazu gehört, dass Bildung, Gesundheit, Alterssicherung, Kultur und Mobilität, Energie, Wasser und Infrastruktur nicht als Waren behandelt werden, sondern als gesellschaftliche Leistungen, die allen Menschen zur Verfügung stehen müssen."(...)


weder wird die krisenkaskade noch die nötige globale sichtweise und ausdrückliche benennung des trikonts vergessen, und das macht sofort die unterschiede bspw. zur "offiziellen" gewerkschaftlichen perspektive oben deutlich. deshalb ist es immerhin sehr erfreulich, dass im gegensatz zu einigen gewerkschaftsspitzen viele basisverbände mit zu den beiden demonstrationen aufrufen. und sich derart gleich zu beginn einer möglichen breiteren sozialbewegung deutlich positionieren.

*

zum neulich erwähnten kalifornischen quasi-bankrott gibt es noch eine konsequenz nachzutragen, die vermutlich von nicht direkt involvierten kaum jemand auf dem schirm hatte - und wenn sich das so umsetzt wie beschrieben, finde ich einen
grund zum mitfreuen zumindest mit all jenen gefangenen, die wg. vergleichsweiser lappalien - zb. sog. drogen- oder auch kleinen eigentums"delikten" - unter üblen bedingungen eingesperrt sind:

(...)" Kalifornien steht nicht nur vor dem Bankrott und ist mit einem Haushaltsloch von 42 Milliarden Dollar konfrontiert, auch die staatlichen Gefängnisse des Landes sind überfüllt. Weil die Verwahrung der Häftlinge katastrophal ist, gegen die Verfassungsrechte der Inhaftierten verstößt und sie in Zukunft aufgrund der Wirtschaftskrise schlimmer werden dürfte, hat nun ein Bundesgericht in einem vorläufigen Urteil angekündigt, dass Kalifornien ein Drittel aller Häftlinge aus den staatlichen Gefängnissen freilassen müsse. Nach Informationen der LA Times will die kalifornische Regierung dagegen Einspruch erheben.

Vor allem die medizinische und psychologische Versorgung der Inhaftierten sei aufgrund der Überfüllung völlig unzureichend, während die Ausbreitung von Krankheiten gefördert werde. Da es angesichts der Wirtschaftskrise und der Verschuldung des Bundesstaates keine Aussicht auf mehr Geld für die Gefängnisse gebe, sei die einzige Lösung eine massenhafte Entlassung. Die Gefängnisse wurden für eine Belegungskapazität von 85.000 Häftlingen gebaut, jetzt sind dort 158.000 eingesperrt. Weitere 170.000 Menschen sind in nicht-staatlichen Gefängnissen oder anderen Einrichtungen inhaftiert."(...)


das knastsystem der usa, aber auch hier, war ja schon öfter thema. und nicht nur unter den jetzigen skizierten bedingungen ist das quasi die einzig mögliche humane umgangsweise mit den folgen, die die krise innerhalb dieses kernbereiches des systems - seinem repressionsapparat - zeitigt. aus elitärer sicht natürlich eine katastrophe, und vermutlich werden auch etliche "normale" bürgerInnen schlecht schlafen. aber wenn die westlichen gesellschaften, bzw. in diesem fall ein us-bundesstaat, nicht auch noch die allerletzten reste ihrer demokratie- und humanitätssimulation aufs spiel setzen wollen (was vielleicht früher oder später sowieso passieren wird), bleibt ein solcher schritt die logische konsequenz. und wenn eine gesellschaft deshalb gezwungen sein sollte, sich mit den folgen ihrer "aus-den-augen-aus-dem-sinn"-praxis des wegsperrens aller delinquenten zu beschäftigen, finde ich das keinesfalls bedauernswert. knäste sind für nichts und niemanden eine wirkliche lösung.

*

themensprung: im verlauf der krise wurden alle interessierten beobachterInnen u.a. mit diversen esoterischen bezeichnungen von virtuellen und hochabstrakten "finanzprodukten" konfrontiert, die so virtuelle und abstrakt sind, das selbst die damit "professionell" beschäftigten am ende keinen rechten überblick mehr über das hatten, was sie da eigentlich wie sauerbier aller welt aufgeschwatzt haben. und wer könnte schon so aus dem stegreif erklären, was es bspw. mit den sog. "credit default swaps" auf sich hat? ich traue mir das jedenfalls erst nach ansicht des folgenden videos zu, welches sehr anschaulich - und tendenziell ein bißchen like-sendung-mit-der-maus - erklärt, was es mit diesen cds eigentlich so auf sich hat. und vor allem: warum sie auch unter dem namen "finanzielle massenvernichtungswaffen" bekannt sind:



und wo ich gerade dabei bin, möchte ich auf einen in meinen augen sehr aufschlußreichen
artikel hinweisen, der nicht nur sinn und funktion einiger analoger "finanzprodukte" wie "abs" und "cdo" erklärt, sondern generell etwas licht auf das treiben und die zusammenhänge wirft, die sich im schattenreich der "toxischen kredite" sowie der virtualisierten finanzwelt überhaupt in den letzten jahren abgespielt haben:

(...)"Zweifel an der Stimmigkeit seiner Welt kamen Kneißl erst allmählich. Der Aufbau der CDOs wurde fortwährend komplexer, bald gab es die CDO der CDO der CDO der CDO. "Ab der dritten oder vierten Verbriefung einer CDO haben wir nichts mehr gewusst." Dem Kreditfonds hätten Daten auf CD-ROM beigelegen, aber auch die seien nicht sehr ergiebig gewesen. "Wir haben nicht mal das Einkommen der Leute gekannt. Auf der CD stand nur die Bonitätsklasse und das Verhältnis Kreditsumme zu Immobilienwert. Der Rest war nicht gefragt." Immer weniger wussten die Banken, mit wem sie eigentlich Handel trieben. Das hauseigene Risk Office, so die Erfahrung von Kreißl, brachte wenig Licht ins Dunkel. "Da reicht man die CD an einen Junior-Analysten weiter, dem gibt man das Internet und die Yahoo-Finanzen und die Berichte der Rating-Agenturen von vor einem halben Jahr." Kneißl behauptet, der einfache Arbeiter in der internen Prüfung verfüge nicht über wichtige Quellen wie Bloomberg, das Börseninfosystem. Die BayernLB bestreitet dies. Auch die Wirtschaftsprüfer kritisierten die Zustände im Risk Office. Ein einziger Analyst sei für das gesamte "Subprime"-Portfolio von etwa 350 Wertpapieren zuständig. In ihrem Bericht bemängeln sie zu wenig Personal und veraltete Technik. Die BayernLB investierte ins Unbekannte. Eine Bank auf Autopilot."(...)

innenansichten aus einem winzigen teil eines verotteten systems.

*

und um Ihnen und mir jetzt den rest zu geben, besuchen wir zum schluß mal wieder die wirtschaftsquerschüsse, heute mit der erbaulichen botschaft:
europa am rande der depression - und die jüngsten zahlen zum absturz der europäischen ökonomien haben es wahrlich in sich. lesetipp!

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