Dienstag, 10. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (22)

bei ansicht der im letzten beitrag dokumentierten liste der regierungs"berater" aus banken und konzernen ist natürlich gerade am beispiel des finanzministeriums schön zu sehen, wer da wirklich u.a. genau diejenigen gesetze und regelungen gestaltet hat, die jetzt ihren teil zur aktuellen situation beigetragen haben. so ziemlich alle namen dort sind inzwischen mehrfach extrem unangenehm aufgefallen; nicht zuletzt deswegen, weil sich die dort genannten schon seit längerer zeit selbst als "systemisch unverzichtbar" deklarieren und aus diesem grund mittels der gleichen staats- und demokratiesimulation, in der ihre gesetze stecken, jetzt auch den großteil der hiesigen bevökerung um milliarden erleichtern. ich hatte früher mal von den "neidischen mafiosi" im angesicht der wirklich großen dinger ihrer "legalen" brüder im ungeist geschrieben; mittlerweile dürften aus den tränen des neides ganze sturzbäche und weinkrämpfe geworden sein. zumindest bei denen, die noch nicht in der "legalität" mitspielen dürfen. und nun zu weiteren formen und folgen dieser hoch organisierten kriminalität - die news:
  • welthandel I: "baltic dry index" hat sich auf niedrigem niveau stabilisiert
  • welthandel II: aber warum? zu krisenauswirkungen im globalen transportsektor
  • argentinien 2002: wie fühlt sich eigentlich ein staatsbankrott an?
  • irland: kürzen, streichen, "opfer bringen" - die krise wird schmerzhaft
  • usa: die krise ist schmerzhaft - obdachlosigkeit in new york
  • panne oder inszenierung? zwei wirtschaftskommentatoren reden klartext zur "hypo real estate"
  • meldungen von großen und kleinen unruhen: china, polen, italien
  • prognose für deutschland aus bürgerlicher sicht: aufruhr zu erwarten?
  • italienischer gewerkschafter zu den wilden streiks in großbritannien und ihren nationalistischen tendenzen
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zu denjenigen dingen, von deren existenz ich erst durch die krise erfahren habe, gehört auch der in mehreren krisennews des letzten herbstes erwähnte
baltic dry index, der v.a. deswegen zum thema wurde, weil er sich aufgrund seiner relativen unabhängigkeit von spekulativen prozessen als frühindikator für den welthandel eignet:

(...)"Ein Zusammenhang besteht von Frachtraten mit Rohstoffpreisen und der Nachfrage nach Metallen, Treibstoffen und Nahrungsmitteln. Da der BDI die Verschiffungskosten von Rohstoffen, der Vorstufe der Produktion ermittelt, mißt er präzise das Volumen des Welthandels auf der Anfangsstufe.(...)

Je größer die Anzahl der zu verschiffenden Güter ist, desto größer ist die Nachfrage und desto höher der Verschiffungspreis. Eine Aufwärtsbewegung des BDI signalisiert einen Anstieg des globalen Handels, eine Abwärtsbewegung das Gegenteil."(...)


vom herbst bis dezember letzten jahres befand sich der bdi auf einer bisher einmaligen sturzfahrt:

(...)"Auf den tiefsten Stand seit 1986 sank der Index am 5. Dezember 2008 mit einem Schlussstand von 663 Punkten. Seit dem Allzeithöchststand vom 20. Mai 2008 entspricht das einem Rückgang um 94,4 Prozent. Das ist der größte Sturz in der Geschichte des Baltic Dry Index."

seitdem hat er sich, wie es so schön heißt, "erholt":

"Am 27. Januar 2009 überwand der Index mit 1004 Punkten erstmals seit 27. Oktober 2008 wieder die Marke von 1000 Punkten."

und steht am heutigen tag bei aktuell 1974 punkten. woher nun kam der erwähnte sturz, und was sagt das aktuelle steigen aus?

(...)"International wurden 2007 Güter im Wert von 14 Billionen US-Dollar gehandelt (Waren-Exporte). Davon waren nach Angaben der Welthandelsorganisation (WTO) 90 Prozent durch Akkreditive (englisch: „letters of credit“) oder sonstige Zahlungsgarantien abgesichert. Im gleichen Jahr wurden weltweit Neubauaufträge für mehr als 10.000 Schiffseinheiten mit einem Wert von 233 Milliarden US-Dollar erteilt. Die Auftragszahlen bedeuten für den Seetransport einen historischen Rekord.

Die Finanzkrise hat zu einem Zusammenbruch der Handelsfinanzierung geführt, da die Banken untereinander kaum noch Zahlungsverpflichtungen eingehen. Überkapazitäten aufgrund fehlender Nachfrage und Konjunktursorgen bereiten der Schifffahrt Probleme. Zahlreiche Bestellungen neuer Schiffe mussten wegen Finanzierungsproblemen verschoben oder storniert werden, Reeder legten Frachter still oder schlossen ganze Betriebsteile."(...)


der anstieg des bdi zur zeit ist vor allem deswegen erstaunlich, weil sich die oben skizzierte situation keinesfalls verbessert hat,
im gegenteil:

(...)"Die weltweite Aufblähung des Finanz- und spekulativen Kapitals begünstigte die Produktionssteigerung im internationalen Schiffbau in einem Maß, das jeglichen Bezug zum tatsächlichen Transportsektor verloren hat. Da die real existierenden Werften seit 2005 mit Aufträgen auf Jahre hinweg völlig ausgebucht waren, wurden Verträge über Hunderte große Containerschiffe mit sogenannten Greenfield-Werften (Werften auf der grünen Wiese) abgeschlossen, die es noch gar nicht gab (und die es nun nie geben wird).(...)

Noch im Januar 2008 kostete die Beförderung eines Containers von China nach Europa rund 2500 US-Dollar. Anfang 2009 ist dieser Preis auf ein Zehntel, auf 250 US-Dollar gesunken. Oder, bezogen auf eine konkrete Ware: Vor einem Jahr lagen die Kosten für den Transport einer Flasche australischen Weins nach Europa bei rund 20 Cent. Anfang 2009 liegen sie bei weniger als zehn Cent. Diese – durch gewaltige Überkapazitäten bewirkten – Dumping-Transportpreise werden die Tendenz zu ständig absurderen Arbeitsteilungen und zu einer fortgesetzt erhöhten Beförderungsintensität – zu immer mehr Transportkilometern, die in einer Ware stecken – steigern.(...)

In den vergangenen Jahren haben die Reedereien im festen Glauben an ein göttlich vorgegebenes kontinuierliches Wachstum 1350 weitere Containerschiffe bestellt. Allein 2009 werden 470 neue Frachter mit einer Kapazität von 1,8 Millionen Standardcontainern die Werften verlassen – das ist ein Plus von 15 Prozent der gesamten Weltflotte in einem Jahr, in dem die realen Transporte in einer ähnlichen Dimension rückläufig sein dürften. Die Folge ist ein Absturz der Charterraten. Rund die Hälfte der Container werden von den großen Reedereien mit gemieteten Schiffen transportiert. Die Leihgebühren haben sich im Zeitraum März 2008 bis Januar 2009 auf weniger als die Hälfte reduziert. Die Frachtraten für Massengüter sanken sogar um mehr als 90 Prozent."(...)


das im letzten satz beschriebene ist genau das, was sich im sturz des bdi wiedergespiegelt hat. aber nochmal zur zentralen frage: woher entsteht die jetzige aufwärtstendenz, die hier und da schon als erstes und frühes zeichen eines baldigen "aufschwungs" interpretiert wird? als ich das erste mal von steigen des bdi erfuhr, kam mir spontan der gedanke, dass sich hier vielleicht die frühen auswirkungen der weltweit aufgelegten "konjunkturprogramme" manifestieren könnten, die in bestimmten, von diesen programmen jeweils besonders profitierenden branchen zu einer art aktivität auf vorschuß geführt haben. desweiteren könnte eine - wie auch immer - durchgesetzte entspannung hinsichtlich der sog. akkreditive den handel aus der ernstesten gefahr vorläufig gerettet haben - vielleicht erinnern sich manche leserInnen daran, dass im herbst tatsächlich auf bestimmten seeschifffahrtsrouten bereits tote hose war, und die gefahr von lieferengpässen bei bestimmten gütern durchaus genau so real war wie der anfang oktober in mehreren staaten stattgefundene "stille" bank run.

was sich nun aber genau im anstieg des bdi spiegelt, ist mir im kern durchaus unklar, zumal viele andere relevante krisenindikatoren weiterhin genau in die andere richtung tendieren. die börsen lasse ich dabei mal aussen vor, weil sich das geschehen dort meiner meinung nach schon länger von der realen ökonomischen situation verabschiedet hat. ich kann mich auch nicht so ganz mit erklärungsansätzen wie in einem
kommentar bei denwirtschaftsquerschüssen anfreunden:

"Die Stahlproduktion der letzten Wochen und Monate befindet sich auf den Weltmeeren, mangels Abnehmer. Die Schiffchen befahren mit Ihren Ladungen die Weltmeere mit der wagen Hoffnung auf Besserung. Vielleicht ist das der Grund warum der Baltic Dry Index "steigt". Habe ich vorhin am Telefon geflüstert bekommen. Und die Liquidität ist nur noch für 3 Monate austeichend was Thyssen-Krupp betrifft. Könnte mir gut vorstellen, dass das für andere Stahlproduzenten auch gilt."(...)

das liegt nicht nur an der nicht verifizierbaren quelle, sondern auch daran, dass stahl kein unverarbeiteter rohstoff ist. ähnliche gerüchte geistern momentan nebenbei gesagt auch bezgl. millionen barrel an rohöl herum, die sich in tankern befinden, die schon seit längerer zeit still auf den meeren liegen sollen - aus spekulativen gründen. das könnte ich mir irgendwie sogar vorstellen, sehe aber nicht die relevanz für den bdi. ich wäre sehr neugierig auf erklärungsansätze neben dem, dass sich hier tatsächlich eine kurzfristige "erholung" andeutet - was ich von einer solchen halte und warum, war oft genug thema in dieser reihe.

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wobei gewissheit darin besteht, dass sich so einen aufschwung gerade am innigsten die "eliten" weltweit wünschen, hat die krise doch ein stadium erreicht, in dem ganz grundsätzliche fragen plötzlich nicht mehr in rubriken alá "spinnerei", "utopisch" oder "weltfremd" sortiert werden, sondern auch aus ecken zu vernehmen sind, aus denen so etwas als allerletztes zu nerwarten gewesen wäre - jüngstes beispiel der im vorletzten beitrag zitierte artikel der faz.

aber sie haben auch durchaus etwas zu verlieren, und das betrifft nicht nur materiellen reichtum, sondern auch machtpositionen. wie so etwas in zugespitzen ökonomischen momenten - und ein staatsbankrott lässt sich durchaus so einordnen - aussehen kann, hat der argentinische schriftsteller ariel magnus neulich in der taz genauer beschrieben -
lesetipp!:

(...)"Es ist schwer einzusehen, dass nicht mal der letzte Garant weiter zahlungsfähig ist. Als ob man das Fahrrad an einer Laterne gesichert hätte und bei der Rückkehr entdeckt, dass nicht nur das Fahrrad, sondern auch die Laterne weg ist. Wenn nicht nur das Angebundene, sondern das, woran es festgemacht wurde, selbst von Wind verweht wird, was bleibt dann noch stehen?

Als die Krise kam, gab der Finanzminister bekannt: Wer in Dollars anlegte, wird Dollars wiederkriegen. Das konnte nur eines heißen: Vergiss es! In der Tat wurden alle Dollars auf den Konten automatisch auf Pesos umgestellt. Dadurch verloren sich zwei Drittel ihres Wertes. Als ob von heute auf morgen - bloß ein Gedankenspiel, bitte keine Panik! - alle Euros auf den Privatkonten in Mark zurückgestellt würden. Mit dem Unterschied, dass man jetzt für jede Mark nicht wieder einen Euro, sondern nur 30 Cent bekäme.

Wie damals für uns die deutschen Haushaltsgeräte oder die US-amerikanischen Medikamente werden hier nun der venezolanische Sprit, das argentinische Fleisch und das chinesische Allesmögliche dreimal so teuer. Dreist, oder?

Und das war nicht das Schlimmste. Denn selbst wenn jemand die Reste seines Vermögens aus der Bank retten wollte, stand ihm sein Geld nicht zur Verfügung."(...)


und das sorgte dann für verdammt schlechte laune:

(...)"Auf einmal nahm Geld seine wahre Gestalt an: Es war all das, was wir versäumt hatten, vorher zu machen. Nicht Zeit war Geld, sondern Geld war Zeit, und zwar verlorene.

Die Mittelschicht entdeckte sich als politische Gruppe. Man sang das inzwischen klassische "¡Que se vayan todos!" ("Alle sollen weg!") gegen Politiker aller Parteien, während man durch die sommerlichen Straßen demonstrierte, machte alle Lichter zu einer gewissen Uhrzeit aus und klopfte eifrig auf die eigenen Küchentöpfe. Dies führte zu weiteren Gewinnen in Sachen Wortschatz: "apagón" (Stromausfall) wurde zu einem Kampfwort, während "cacerolazo" (Topfschlagen) für immer auf dem Soundtrack der Revolution der Kontoinhaber bleiben wird. Die "Alles, nur nicht mein Sparkonto"-Partei organisierte später auch Tausch-Flohmärkte mitten in der Stadt und "asambleas" (Volksversammlungen) in den Barrios. Auf einmal herrschte so etwas wie ein gemeinschaftliches Gefühl im Land, als hätten wir endlich wieder eine Weltmeisterschaft gewonnen. Und als wäre uns im Nachhinein die Trophäe unrechtmäßig geraubt worden.

Außer den Politikern galt die Wut natürlich auch den Banken, staatlichen wie privaten. Ihre Fassaden wurden mit allem Möglichen verschmutzt, von Eiern und Spucke bis Farbe und Kot.

Berühmt wurde ein Mann, der mit Sonnenschirm und Liegestuhl, Sandalen und Badehose seine Ferien vor seiner Bank verbringen wollte, nachdem das Geld für die wirkliche Reise ferner als der Strand selbst lag. Lehre Nr. 1 in einer Finanzkrise: Man lasse sich den Humor nicht nehmen."(...)


der mann spricht aus erfahrung. weitere lehren?

(...)" Lehre Nr. 2: Auch die massivsten Begriffe verlieren während einer Finanzkrise an Speck - ob sie nun Staat heißen, Sparkasse, absolut oder sicher. Die Proteste verloren allerdings nicht an Kraft. Sogar McDonalds-Filialen wurden attackiert, als ahnte man schon damals, woher die Krise wirklich kam (also von Landsleuten, die gute Geschäfte mit Auslandskapital machten).

Ende Dezember 2001 kam es dann zu massiven Plünderungen und Straßenkämpfen mit der Polizei, die zu vielen Toten führten. Der Präsident musste fliehen, im etymologischen Sinne: Er nahm einen Helikopter direkt vom Dach des Regierungssitzes, um den wütenden Massen auf der Straße aus dem Weg zu gehen. In den letzten Tagen dieses Schicksalsjahres hatte das Land mehrere Regierungschefs nacheinander, deren erster Verwaltungsakt ihre eigene Kündigung war.

Und während Neujahr hatten wir überhaupt keinen Präsidenten. Kurios: Niemand hat ihn vermisst.

Lehre Nr. 3 könnte deswegen heißen: Bloß nicht die Ruhe da unten bewahren, wenn man da oben was umrühren will."(...)


da muss ich einfach mal wieder sagen: strike! (und mal im ernst, würden Sie wirklich auch nur eine der fratzen vermissen, die hier unter dem label "regierung" ständig äusserst zweifelhafte sachen verbraten?)

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ich hoffe ja sehr, dass es auch in irland menschen gibt, die sich den argentinischen umgang mit dem eigenen systemzerfall sehr genau betrachtet haben, und sich vielleicht die drei lehren zu herzen nehmen im kommenden
heulen und zähneklappern:

(...)"Der Weg aus der »schwersten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren«, so Ministerpräsident Brian Cowen, wird die Iren teuer zu stehen kommen. Mit einem radikalen Sparprogramm versucht die konservative Regierung, den Staatsbankrott abzuwenden und in den nächsten fünf Jahren 16,5 Milliarden Euro (etwa zehn Prozent des BIP von 2008) einzusparen. In einem ersten Schritt werden nun für dieses Jahr die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zur Kasse gebeten, die ab sofort erstmals in die staatlichen Pensionsfonds einzahlen müssen. Mit weiteren Maßnahmen – wie Kürzungen beim Kindergeld, Einsparungen in der Verwaltung und der Verschiebung von vereinbarten Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst – sollen allein in diesem Jahr zwei Milliarden Euro eingespart werden. Die Gewerkschaften versagten dem Sparpaket in letzter Sekunde ihren Segen.(...)

Die dramatische Verschlechterung ist ein Resultat der verheerenden Rezession, die Irland 2009 ein Schrumpfen der Wirtschaft um bis zu fünf Prozent bringen wird. Jeden Tag verlieren 330 Menschen ihre Arbeit, die Regierung erwartet eine Arbeitslosenrate von zwölf Prozent. Firmen gehen Pleite oder verlassen die Insel (wie der Computerriese Dell, der nach Polen abgewandert ist), ausländische Investitionen bleiben aus. Der »keltische Tiger« ist K.o..

Die Folge dramatisch sinkender Steuereinnahmen und wachsender Ausgaben sind ein Budgetdefizit, das in diesem Jahr auf bis zu 15 Prozent geschätzt wird. In dieser Situation musste die Regierung nun nach langer Realitätsverweigerung die Notbremse ziehen: »Dieses Jahr werden wir 55 Milliarden Euro ausgeben und bestenfalls 37 Milliarden einnehmen. Für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in diesem Land müssen wir 4500 Euro Schulden aufnehmen. Wir müssen ein Drittel unserer Ausgaben durch geborgtes Geld begleichen«, warnte Ministerpräsident Cowen. »So kann es nicht weitergehen.«

Für viele Jahre werden sich die Iren damit auf deutlich niedrigere Lebensstandards einstellen müssen."(...)


was vielleicht viele leute in anderen eu-ländern sogar mit befriedigung vernehmen werden - bis es ihnen dann selbst an den kragen geht. um keine mißverständnisse aufkommen zu lassen: ich bin sehr dafür, "lebensstandard" neu und anders zu definieren als die vulgärkapitalistische bisherige variante. aber bei den anstehenden streichungsorgien nicht nur in irland werden ohne jeden zweifel diejenigen am härtesten über die tische gezogen werden, die jetzt eh schon per definition als loser gelten. und das wird in letzter konsequenz auch tote produzieren.

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und obdachlosigkeit ist nicht selten ein stadium auf dem weg dorthin; und dazu ein problem, das speziell in den usa ausmaße angenommen hat, die verstörend sind - war hier immer wieder thema, wird auch leider eines bleiben - heute eine art blitzlicht auf die
obdachlosigkeit in new york:

(...)"Rund hundert Menschen stürmten den Ballsaal im Grand Hyatt in Manhattan, sie trugen Schilder, auf denen stand, "Bürgermeister Bloomberg, rede mit allen New Yorkern“. "Anstatt sich um die Armen, um die Obdachlosen zu kümmern, interessiert sich Bloomberg nur für die Banker, die doch für die Rezession verantwortlich sind“, meinte einer der Protestler.

Die Demonstranten, die rasch von der Polizei aus dem Saal gedrängt wurden, gehören zu Bürgerinitiativen, die sich um Obdachlose kümmern. Denn diese sind ein wachsendes Problem. Ihre Zahl ist in einem der kältesten Winter des Jahrhunderts auf Rekordhöhen geklettert. Aber die Stadt hat ihren 600-Millionen-Dollar-Etat um 2,5 Prozent gekürzt."(...)

Obdachlos zu werden, kann in New York schnell gehen. Einer, den es erwischt hat, ist Harald Gardner, ein Taxifahrer aus Poughkeepsie, ein Städtchen im Norden der Bronx. Er hatte einen Unfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Er verlor sein Haus und mietete den Wohnwagen eines Bekannten in einem Trailerpark. Der kostete jedoch 350 Dollar im Monat und Gardner bekam nur 300 Dollar Sozialhilfe — und bis er sie bekam, dauerte es mehr als sechs Wochen. Nach ein paar Monaten musste er auch aus dem Wohnwagen ausziehen. Heute lebt er in einem Obdachlosenheim. "Mit 300 Dollar schaffe ich es nie wieder, auf die Füße zu kommen”, sagt er. “Davon kann ich kaum das Essen bezahlen.”

Gardner ist kein Einzelfall. In New York City gibt es mehr Obdachlose als jemals in den letzten 25 Jahren: Im Februar waren 9427 Familien mit 15049 Kindern in Obdachlosenheimen untergebracht, 35.275 Menschen insgesamt, und deutlich mehr als Ende 2008. "Die Zahl der Familien in Obdachlosenheimen ist seit der Krise um 15 Prozent gestiegen“, meint Gordon Campbell, Präsident von United Way of New York City, ein Verein, der arme New Yorker unterstützt. Dazu kommen noch mindestens 3000 Menschen, die draußen oder in der U-Bahn schlafen."(...)


von 35000 menschen 15000 kinder - nicht, das erwachsene das unbedingt besser wegstecken könnten, aber kinder in so einer situation? die "beste aller welten" zeigt sich mal wieder jenseits ihrer unzähligen fakes und masken ganz real. und ganz widerlich.

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wir machen einen räumlichen und gedanklichen sprung - das folgende video ist zwar schon an diversen stellen im netz zu bewundern, aber selbst, wenn es hier nur ein(e) leserIn noch nicht gesehen haben sollte, wäre die weitere veröffentlichung schon gerechtfertigt. ich bin mir immer noch nicht schlüssig, ob ich das eher für eine geschickte inszenierung halten soll, oder aber tatsächlich "nur" eine panne vorliegt - sehen Sie sich´s selbst an und erfahren Sie nebenbei ein paar fundamentale wahrheiten (ausdrücklich nicht: angemessene lösungen) zur "hypo real estate" - zumindest von einem der beiden ;-)



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aber wieder ernsthaft: unter anderem genau die zustände, die auch im video thema sind, führen auf verschlungenen wegen in vielen ländern und planetaren regionen zu ereignissen, die als innere unruhen schon häufig thema der news waren. und beim folgenden handelt es sich um meldungen, die ich eher zufällig entdeckt habe, was zur frage führt, wieviel ähnliches wir gerade nicht erfahren. es handelt sich übrigens bei allen drei beispielen um länder, die diesbezgl. auch "offiziell" als kandidaten für solche krisenfolgen gelten -
china dabei an erster stelle:

(...)"Am Beginn stand das Verbot eines Drachentanzes, wie er zu den traditionellen Feiern des neuen chinesischen Jahres gehört. Die Sicherheitsgründe, die ins Treffen geführt wurden: Die Drachentänzer würden Feuerwerkskörper an ihren Kostümen tragen und gleichzeitig Alkohol konsumieren. Es folgte am Sonntag ein Protesttanz in der Verwaltungsmetropole der südwestchinesischen Provinz Guizhou und Zusammenstöße mit der Polizei, die diesen unterbinden wollte. Zwischen 2000 und 10.000 Menschen waren beteiligt, mindestens drei Polizisten und zehn Zivilpersonen wurden verletzt.

Dieser Vorfall zeigt die Spannungen in den ländlichen Regionen Chinas, auch wenn es meist um ernstere Anlässe geht: Mangelnde Entschädigung für Landkonfiskationen, Korruption und Umweltverschmutzung gehören zu den häufigsten. 2007, im letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, stieg die Zahl solcher Proteste auf 80.000 gegenüber 60.000 im Jahr davor."(...)


proteste= streiks, demonstrationen, betriebsbesetzungen und riots diverser ausmaße. jeden tag mehrfach an diversen orten. ich glaube, wir können uns keine rechte vorstellung machen von dem, was passieren wird, wenn die chinesischen millionen tatsächlich in großen aufruhr geraten.

zu polen ist es medial insgesamt gesehen erstaunlich ruhig; eher sind die (süd-)östlichen nachbarn ständiges thema. aber mit dieser ruhe dürfte es nach diesen
indizien bald vorbei sein:

(...)"Die Wachstumsprognose von knapp fünf musste mittlerweile auf 1,7 Prozent gesenkt werden, erklärte Premier Tusk. Um die lahmende Konjunktur anzukurbeln, setzt man in Polen nicht nur auf Ausgabenprogramme, sondern entwickelte ein straffes Sparpaket – fast 20 Milliarden Zloty weniger sind im Haushalt 2009 vorgesehen. Kritik am Sparkurs kommt aus dem nationalkonservativen Lager. Präsident Lech Kaczynski glaubt, dass die rigide Ausgabenpolitik den Abschwung noch verstärke.

Einen Vorgeschmack darauf, was dem Land dann blühen könnte, haben über tausend Stahlarbeiter gegeben. Im Rzeszow protestierten sie Ende der Woche gegen drohende Entlassungswellen. Reifen brannten, Absperrgitter wurden umgerissen. Nur der Einsatz der Polizei konnte Schlimmeres verhindern."


der dortige sicherheitsapparat weiß schon, warum er nach den unruhen im baltikum eine kooperation mit den dortigen staaten eingegangen ist. nebenbei: ist Ihnen auch aufgefallen, wie inhaltlich gleichgeschaltet in diesen tagen die wirtschaftsnachrichten aus fast jedem land der welt klingen? überall der gleiche und üble tenor.

eine kleine geschichte aus
italien noch:

"In Italien ist es bei Protesten von rund 100 Fiat-Mitarbeitern gegen Entlassungen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Sieben Demonstranten wurden zur Feststellung ihrer Identität vorübergehend festgenommen, wie die Polizei am Donnerstag mitteilte. Die Arbeiter des Fiat-Werks in Pomigliano bei Neapel hatten versucht, die wichtigste Nord-Süd-Autobahn Italiens zu blockieren. Demonstranten klagten, sie sie von der Polizei geschlagen worden."(...)

hatte ich schon mal gesagt, dass sich solche und ähnliche meldungen zukünftig häufen werden. ja? dann habe ich das jetzt halt wiederholt. hier waren es "nur" hundert - dabei wird es nicht bleiben.

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für dieses land hier gibt es nun - in buchform - eine weitere prognose unter dem titel "brennpunkt deutschland - warum unser land vor einer zeit der revolten steht". in einem
interview zu ihren thesen sagen die autorInnen unter anderem:

"LifeGen.de: Ihr Buch, das Sie nach dem Bestseller „Die Joghurt-Lüge“ geschrieben haben, trägt den Untertitel „Warum unser Land vor einer Zeit der Revolten steht“. Glauben Sie wirklich, dass es dazu kommt?

Vollborn: Vieles spricht heute dafür, dass wir in Deutschland französische Verhältnisse haben werden. Ich befürchte, dass Milliardenpakete für Banken und Kindergelderhöhungen von 10 Euro pro Monat wenig dazu beitragen, Vertrauen zu schaffen. Auch das Urteil gegen ex-Postchef Zumwinkel löst ungute Gefühle aus, zumal der Bundesgerichtshof im Dezember 2008 klar dargelegt hatte, wie Steuerhinterziehungen über eine Million Euro zu bestrafen sind: mit Gefägnis. Gilt das Urteil des BGH für Herrn Zumwinkel nicht? Bedauerlicher Weise braut sich neben den bevorstehenden und im Rahmen der Gesetze zu erwartenden Massenproteste auch weniger friedfertiges Potenzial auf. Die linksextreme Szene hat die seit zehn Jahren andauernde Militanzdebatte beendet und sich nun für den Einsatz von Gewalt ausgesprochen, zumindest sind Teile dieser Szene dafür. Am anderen Rand des extremen Spektrums plädieren rechte Parteien wie die NPD ganz offen für die „Abwicklung“ des demokratischen Systems der Bundesrepublik. Und die Mitte der Gesellschaft wendet sich von der Politik ab, weil sie sich verlassen und verraten fühlt – das sind die Zutaten, die als Mix mit dem anhaltenden soziale Abbau im Lande zu Unruhen führen können.

LifeGen.de:Aber im Lande ist es doch friedlich.

Vollborn: Glauben Sie das weiter, denn es gibt Ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Die Sicherheitsbehörden wissen das anders, die Politik befürchtet es, doch man hält den Ball flach."(...)


neben solchen eher realistischen einschätzungen wie zu den nachweißlich geschönten offiziellen erwerbslosenzahlen ist der blick auf "extremisten" in unterschiedsloser aufzählung etwas, was micht dazu veranlasst, die autorInnen als eine art "besorgte staatsbürgerInnen" zu betrachten, was ich keinesfalls als kompliment meine. ich glaube aber, dass ihre recherchen bei den sog. "sicherheitsorganen" und deren einschätzungen teils ganz aufschlußreich sind, und weise speziell auf die aussagen zur neofaschistischen szene hin. denn deren entwicklung ist genau zu beobachten.

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was mich inhaltlich nochmals zu den streiks der letzten woche in großbritannien bringt, die mit inhalten und untertönen daherkamen, aufgrund derer sich nicht nur nationalisten in england die hände gerieben haben dürften. eine gewerkschaftliche
stellungnahme aus italien (wo übrigens am freitag auch eine art generalstreik stattfinden soll) finde ich inhaltlich bedenkenswert:

(...)„Das ist ein schwerer Schlag. Das zeigt wie sich ein Arbeitskampf in eine Auseinandersetzung unter Arbeitern verwandeln kann.“ Der Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini versucht nicht die Pille zu versüßen. Im englischen Hafen von Lincolnshire spielt sich eine Tragödie ab.

Haben wir es mit Sozialdumping zu tun?

„Was im Moment in Großbritannien passiert, ist ein Zeichen dafür, dass diese Krise destruktive Dynamiken in Gang setzt und der Protest der englischen Arbeiter ist das Gegenstück zu den protektionistischen Logiken, die überall aus dem Boden schießen. Das erste, was deutlich wird, ist die Verzweifelung der Arbeiter. Gewiss gibt es die Gefahr von Dumping. Einerseits hast Du ein Unternehmen aus Syrakus mit geringem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, andererseits hast Du die Arbeitslosigkeit in einem der Länder, die am heftigsten für die Krise bezahlen. Großbritannien hat unter Jahrzehnten der Deindustrialisierung zu leiden. Die industrielle Produktion wurde seit Thatcher durch die Finanzbranche und den Immobiliensektor ersetzt. Das erklärt die Rebellion der Arbeiter, die im industriellen Bereich tätig sind. Ja, wir stecken voll im Dumping. Ich würde gern genauer wissen, ob sich das bestätigt hat, was mir die englischen Gewerkschafter gesagt haben: Sie behaupten, dass der ((Subunternehmer-))Vertrag, den die italienische Firma ((IREM)) im Ausschreibungsverfahren gewonnen hat, nicht nur ein Lohndumping provoziert, sondern auch eine Klausel vorsieht, die die Einstellung lokaler Arbeitskräfte ausschließen und damit eine elementare Norm verletzen würde, die eine Anwendung der Arbeitsverträge aus den Ursprungsländern verbietet. In wenigen Worten: Wer ausländische Arbeiter nach Großbritannien bringt, muss dieselben Lohn- und Vertragsbedingungen garantieren, wie sie von der englischen Gesetzgebung vorgesehen sind.“

Was einen betroffen macht, ist die Unzulänglichkeit, ja fast die Inexistenz der Gewerkschaften angesichts der Globalisierungsprozesse.

„Es fehlt eine Organisation und damit ein Handeln auf globaler Ebene. Dieses Problem betrifft über die Gewerkschaften (die nur in der Lage sind, Land für Land zu agieren, wenn es gut läuft) hinaus auch die Linken, die keine Vorstellung eines anderen Auswegs aus der Krise anzubieten haben, das heißt eine solidarische und nicht protektionistische Idee. Über den englischen Fall müssen wir auf der nächsten Versammlung des Internationalen Metallarbeiterbundes diskutieren, die am 18. und 19.Februar stattfinden wird. Bei dieser Sitzung steht bereits ein Treffen mit den US-Gewerkschaften auf der Tagesordnung, das für uns nach dem geplanten Abkommen zwischen FIAT und Chrysler von grundlegender Bedeutung ist. Wir brauchen eine gemeinsame Aktion. Wir müssen Strategien und eine gemeinsame Praxis entwickeln. Zu meinen, dass man alles durch einen allgemein gehaltenen Appell an die Solidarität lösen könne, wäre eine Dummheit. Das hat in der Geschichte der Arbeiterbewegung noch nie funktioniert. Nötig sind eine Antwort und ein Vorschlag auf globaler Ebene.“


dem letzteren möchte ich zustimmen. wenn ich mir allerdings bisher die hiesigen gewerkschaften so anschaue...hm.

kontext 52: die liste der lobbyisten in der regierung...

...war mir bisher in der form, wie sie gleich per wikipedia zu sehen ist, noch nicht bekannt - und ich finde sie eine der interessantesten listen, die mir je unter die augen gekommen ist. die paranoidesten und abgelutschtesten antworten auf solche fragen wie die, wer in diesem land denn eigentlich die wirkliche macht in den händen hat, werden durch die pure realität schlicht in den schatten gestellt.

das thema kam vor etwas über zwei jahren mal durch einen "monitor"-bericht kurz in die öffentlichkeit, fristet seitdem aber eher ein nischendasein in der öffentlichen diskussion, in der medialen produzierten "öffentlichkeit" sowieso. bemerkenswerterweise verdanken wir die gleich folgenden informationen einer kleinen anfrage der fdp-fraktion im bundestag (nur ein kurzer total-blackout oder regung der letzten reste von "freien demokratischen" regungen?) jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass sich die grundsätzlichen zustände in den letzten beiden jahren geändert haben - für hinweise und korrekturen diesbzgl. wäre ich dankbar.

hier also nun die "kleine anfrage" und die regierungsseitigen antworten darauf - oder auch:
wer hier wirklich das sagen hat.

(...)"Mit der Beantwortung der FDP-Anfrage durch die Bundesregierung am 13. November 2006 [9] liegen seitdem konkrete Angaben über die Dimension vor. Auf die Frage:

1. Wie viele Mitarbeiter, die von Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften ganz oder teilweise bezahlt werden, sind in den letzten vier Jahren in den Bundesministerien oder in den obersten Bundesbehörden beschäftigt gewesen bzw. aktuell beschäftigt?

heißt es dort:

„In den Bundesministerien und im Bundeskanzleramt sind für einen befristeten Zeitraum insgesamt 100 externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ganz oder teilweise von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften bezahlt wurden, in den letzten vier Jahren im Geschäftsbetrieb tätig gewesen bzw. sind aktuell eingesetzt. [...]“

Die Frage

2. In welchen Bundesministerien oder obersten Bundesbehörden waren oder sind Mitarbeiter, die von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften ganz oder teilweise bezahlt werden, beschäftigt? Um welche Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften handelt es sich jeweils?

wird mit folgender Auflistung beantwortet, bei der das Verteidigungsministerium wegen „der Kürze der Zeit“ nicht aufgeführt ist:

* Bundeskanzleramt: KfW-Bankengruppe sowie AOK-Bundesverband bzw. BKK-Bundesverband

* Auswärtiges Amt: Wintershall AG, E.on AG, EADS, Deutsche BP, Lufthansa AG, Daimler Chrysler AG,
Siemens AG und BDI

* Bundesministerium für Arbeit und Soziales: IG Metall und Deutsche Bank AG

* Bundesministerium für Bildung und Forschung: Deutsche Bank AG

* Bundesministerium der Finanzen: Kreditanstalt für Wiederaufbau, Deutsche Börse AG, Zentraler
Kreditausschuss/Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (Mitgliedsinstitut HSH Nordbank),
Zentraler Kreditausschuss/Bundesverband Deutscher Banken (Mitgliedsinstitut Dresdner Bank),
Bundesverband Investmentund Asset Management, Deutsche Bank AG und BASF AG

* Bundesministerium für Gesundheit: Werbe- und Vertriebsgesellschaft Deutsche Apotheker und Deutsche
Bank AG

* Bundesministerium des Innern: Deutsche Bank AG

* Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Bayer AG und BASF AG

* Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Fraport AG, Flughafen Köln/Bonn GmbH,
Deutsche Flugsicherung GmbH, Deutscher Aero Club e. V., Kreditanstalt für Wiederaufbau,
HauptverbandderDeutschenBauindustrie, Bundesverband Öffentlicher Banken e. V. und Industrial
Investment Council GmbH

* Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.
V., Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, EFET Deutschland – Verband Deutscher
Gas- und Stromhändler e. V., Verband der chemischen Industrie e. V., Verband Forschender
Arzneimittelhersteller e. V., Verband kommunaler Unternehmen e. V., EuroNormGmbH, TÜVSüd AG,
Lanxess AG, Daimler Chrysler AG, Deutsche Telekom AG, Vivento, MorganStanley, LAUBAG, BASF AG,
Bayer AG, Wuppertaler Stadtwerke AG, Lichtblick/bne, Thyssengas, Wingas GmbH, IBM Deutschland

* Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Alstom GmbH (Salzgitter)
und ABB AG (Mannheim)


und wenn ich mir anschaue, wo alleine die deutsche bank überall per "externen mitarbeitern" vertreten ist/war - arbeit/soziales; bildung/forschung; finanzen; innenministerium... und gleichzeitig daran denke, dass nicht nur die deutsche, sondern auch die anderen aufgeführten banken mit den gleichfalls agierenden konzernen quasi ein - nicht widerspruchsfreies - kapitalistisches machtkonglomerat durch diverse gegenseitige beteiligungen, persönliche verbindungen etc. darstellen, fällt mir prompt wieder die
empfehlung von omgus nach dem ende von ns und wk2 ein:

"Es wird empfohlen, daß:

1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3, die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden."(...)


für unser heute sollte daneben noch gelten: es darf keinesfalls alleine bei der "deutschen bank" bleiben.

Sonntag, 8. Februar 2009

assoziation: "es gibt systemkrise, baby!"

von der krisenkaskade hatte ich bereits öfter geschrieben; so bin (nicht nur) ich bekanntlich zb. der meinung, dass selbst dann, wenn die derzeit praktizierte ökonomie aktuell auf welchen wegen auch immer nochmals unter enormen aufwand in eine richtung des wachstums gezwungen werden sollte, die nächsten strukturellen krisen unmittelbar eintreten würden - und als erstes würde peak oil bzw. die folgen des peaks dafür sorgen, dass ein sog. aufschwung sehr sehr schnell wieder aufgrund rasant steigender energiepreise zum rohrkrepierer wird. aber das ist nur ein punkt, den ich v.a. deswegen immer wieder erwähne, weil er mir ansonsten überall zu kurz kommt. mittlerweile kommt die diagnose einer ausgewachsenen systemkrise jedoch aus immer mehr ecken, und es werden weitere - reale und halluzinierte - gründe genannt, mit denen sich eine nähere beschäftigung lohnt - ein paar beispiele jetzt.

interessanterweise ist der autor des ersten textes ein selbsterklärter anhänger der sog. "österreichischen schule", also jener spielart der sog. wirtschaftswissenschaften, die unter ihrem guru von hayek das ideologische konstrukt verbrochen hat, was heute unter neoliberalismus allgemein selbst bis in bürgerliche kreise hinein für eine mischung aus aufstöhnen und hohngelächter sorgt. es ist aber durchaus spannend, die aktuelle
sicht der dinge aus dieser ecke zu verfolgen:

(...)"Zum einen ist es keine Rezession; es ist eine Krise. Es gibt zwischen den beiden keinen genauen Unterschied, aber eine Krise hält man für noch ernster... und man geht NICHT davon aus, dass sie durch normale Regierungsmaßnahmen lösbar ist. Normalerweise begegnet man einem Konjunkturabschwung mit günstigeren Zinssätzen und höheren Regierungsausgaben. Diese beiden Zwillingswaffen der gesteigerten Verbraucherkredite und der höheren Defizite sprengen den Asteroiden normalerweise in seine Einzelteile, noch ehe er die Erde erreichen kann.

Aber ich habe schon mehrfach die Meinung geäußert, dass es diesmal anders ist. Wir haben es mit einer echten, strukturellen Krise zu tun... die durch zu hohe Schulden hervorgerufen wurde. Wenn die Menschen in eine solche Situation kommen, dann können sie nicht weiter Geld ausgeben - selbst wenn ihnen jemand mehr Kredite zu günstigeren Bedingungen anbietet."(...)


in diesem kleinen absatz, ja eigentlich in nur wenigen worten steckt nach meinem verständnis die gesamte neoliberale "antwort" auf die frage, wer oder was eigentlich schuld an der situation ist. "die menschen" haben "zu hohe schulden" gemacht, sprich "über ihre verhältnisse" gelebt. aha. he, Sie da draußen - ja, auch Sie stützeempfänger - "wir" müssen jetzt alle den gürtel enger schnallen, weil Sie über ihre verhältnisse gelebt haben! wie, Sie behaupten, dass Sie ständig genau dazu aufgefordert worden wären und das bspw. die werbung nichts anderes suggerieren würde als "kaufen Sie noch mehr mist, weil Sie sonst kein ganzer mensch sind"? und was, Sie haben trotz arbeit irgendwie immer weniger geld in der tasche? und die staatlichen hilfen sind almosen, von denen höchstens ein hund einigermaßen gut leben könne? hörnsemal, wir müssen jetzt auf etliche prozente unserer renditen verzichten, und da kommen Sie mit solchem gejammer? wo ist unsere polizei?!? wird zeit, euch undankbarem pack euren platz zu zeigen...

in dieser sicht der dinge fungiert als "eigentlicher" auslöser bzw. grund der krise die entscheidung der damaligen us-regierung unter clinton, möglichst vielen bürgerInnen der usa eine eigene wohnung zu ermöglichen; auch und gerade solchen, die sich das unter anderen - also den "normalen" - umständen niemals hätten "leisten" können. aber anstatt diesen durchaus lobenswerten vorsatz auch richtig durchzuführen - was nichts anderes bedeutet hätte, als wohnen als menschenrecht auch gegen die herrschenden besitzverhältnisse und mechanismen des wohnungs- und immobilienmarktes durchzusetzen, also als durchaus revolutionäre strukturelle veränderung weg vom "wohnraum-als-ware" -, statt solcher aktion also, die real weder gewünscht noch beabsichtigt gewesen ist, versuchte die administration, ihr vorhaben systemimmanent umzusetzen. und benutzte dazu eben dann die üblichen instrumente, zu denen primär billige bzw. staatlich geförderte kredite gehörten. was sich daraus dann aufgrund der systemimmanenten funktionsgesetze entwickelte, hat lange zeit niemand in den usa interessiert, solange die sache scheinbar gut ging bzw. ihr absehbares ende mittels weltweiter verlagerung der risikokredite in die länge gezogen werden konnte. das ist jetzt eine extrem geraffte kurzform, die aus neoliberaler perspektive implizit folgende auf den punkt gebrachte aussagen enthält:

- wer sich kein "eigenes" haus bzw. wohnen generell nicht leisten kann, muss halt im wahrsten sinne des wortes draußen bleiben. also im wohnwagen, zelt oder auf der strasse. und lebt dann immerhin nicht "über seine verhältnisse"
- die erwähnten versuche der us-regierung waren ein "unzulässiger eingriff" in das "freie spiel der marktkräfte", bei denen unter anderen umständen niemals "kreditunwürdige" kredite bekommen hätten.
- die involvierten banken waren geradezu "staatlich gezwungen" (= wider besseren wissens), solche kredite herauszugeben und später damit zu handeln.
- die staaten sind generell zu sehr damit beschäftigt, unproduktive minderleister - zu letzteren zählen auch schwächelnde branchen und firmen - aus steuergeldern zu subventionieren, und deshalb auch so hoch verschuldet.
- die löhne und sozialleistungen sind immer noch zu hoch und erwecken deshalb ungesunde konsumbegehrlichkeiten bei der masse, die am ende mit zu hoher privatverschuldung beitragen.
- deshalb sind auch alle versuche der konsumankurbelung mittels "konjukturpaketen" verabscheuungswürdig

was empfielt also im angesicht dieser gar erschröcklichen verhältnisse der (us-)neoliberale - ganz recht, "der markt" soll es richten, allerdings unter administrativer lenkung zu beginn:

(...)"Es gibt ungefähr 6 Billionen Dollar in Schulden, die beseitigt werden müssen, ehe die Wirtschaft wieder wachsen kann. Die Liqudierung würde es bringen - schnell und schmerzhaft. Die Leute würden bekommen, was sie verdient haben. Das auf dem Dollar basierende System würde zusammenbrechen. Alle würden ihre Lektion lernen und hinterher besser dastehen."(...)

immerhin zählt er zu "den leuten, die dann das bekommen würden, was sie verdient haben", nach meinem verständnis auch die ganze schar kapitalistischer brüder im ungeiste, die jene teile der finanz- und wirtschaftswelt repräsentieren, die inzwischen faktisch - wie die banken und auch die autoindustrie - im koma in den staatlichen intensivstationen am tropf hängen. die mehrheit jener "leute" aber - damit sind Sie und ich gemeint, die wir gemeinsam schändlich "über unsere verhältnisse" gelebt haben (das haben wir hier im westen zwar mehrheitlich tatsächlich, aber auf eine ganz andere art & weise, als sich die neoliberalen das vorstellen).

insgesamt sind das alles fragmente einer art krisentheorie, die dann durchaus plausibel erscheint, wenn man sich die ohren verkleistert, die augen fest zuhält und die eigene wahrnehmung primär auf die objektivistische schiene polt. oder anders: wenn man sich in einen zustand der dissoziierenden antisozialität begibt.

*

um diesem höchst ungesunden zustand entgegenzuwirken, hilft eine
konträre sicht der dinge, hier aus dem umfeld der zeitschrift krisis:

(...)"Im Unterschied zum Platzen der New Economy-Blase ist auffällig, dass dieser Kriseneinbruch nicht nur eine Branche, sondern nahezu alle Branchen erfasst. Dass die Krise zunächst als Immobilien- und Spekulationskrise aufgetreten ist, sollte nicht dazu verleiten, in den Finanzmarktoperationen die wahren Ursachen der Krise zu sehen. Denn wo und wie eine Krise erscheint, muss nicht zwangsläufig darauf hindeuten, wo sie entstanden ist und welchen Charakter sie hat. Bereits 1857 bemerkte Marx solche Kurzschlüsse in der zeitgenössischen Debatte und formulierte dazu in einem Leitartikel im New York Daily Tribune derart treffend, dass es als Kommentar zur aktuellen Diskussion gelesen werden könnte:

„Wenn Spekulation gegen Ende einer bestimmten Handelsperiode als unmittelbarer Vorläufer des Zusammenbruchs (crash) auftritt, sollte man nicht vergessen, daß die Spekulation selbst in den vorausgehenden Phasen der Periode erzeugt worden ist und daher selbst ein Resultat und eine Erscheinung (accident) und nicht den letzten Grund und das Wesen (the final cause and the substance) darstellt. Die politischen Ökonomen, die vorgeben, die regelmäßigen Zuckungen (spasms) von Industrie und Handel durch Spekulation zu erklären, ähneln der jetzt ausgestorbenen Schule von Naturphilosophen, die das Fieber als den wahren Grund aller Krankheiten ansehen.”(...)


und das lässt sich als direkte antwort auf die oben vorgestellte variante neoliberaler krisentheorie verstehen - "die spekulationen" können nach meinem verständnis auch als synonym für jene prozesse des handels mit den sog. "faulen krediten" in all seinen bisher bekannten formen gelten, mit dessen hilfe sich die banken gerade selbst in den finanziellen hades befördert haben (das sie sich mithilfe von phantastilliarden an steuergeldern immer noch an dessen eingang festklammern, ändert nichts an der grundsätzlichen situation - alle banken weltweit sind faktisch insolvent, und zwar sogar in "normalen" zeiten. das hat etwas mit dem grundsätzlichen "funktionieren" unseres geldsystems zu tun, wie es zb. im film
money as dept dargestellt wird. diese tatsache, die ständig durch unsere eigenen fiktionen bezg. des geldes verdeckt wird, kommt momentan nur einmal deutlich sichtbar an die oberfläche).

also, die kredite für die häuslebauer in den usa sind aus dieser perspektive nicht der kern des problems. aber was dann?

"Der jetzige Kriseneinbruch setzt sich in seinem Umfang von dem, was wir aus den letzten Jahrzehnten gewohnt sind, deutlich ab. Nicht nur, weil alle Branchen betroffen sind, sondern auch dadurch, dass im Unterschied zur Asien-, Mexiko- oder Argentinienkrise sich die Krise nicht nur auf einen Staat oder eine Weltregion beschränkt.(...)

Es handelt sich also um einen weltweiten Krisenprozess und es liegt die Frage nahe, ob es sich hier vielleicht um das Ende einer sogenannten „Langen Welle“ handeln könnte. Gemäß der Theorie der Langen Wellen wird die kapitalistische Wirtschaft etwa alle 50 Jahre von stetig wiederkehrenden großkonjunkturellen Zyklen erfasst. Es könnte hier argumentiert werden, dass auf den letzten Zyklus nach dem Kriseneinbruch ein weiterer folgen würde.

Auf den ersten Blick entbehrt diese Überlegung durchaus nicht einer gewissen Plausibilität. Wenn es der Kapitalismus bislang immer wieder geschafft hat, hinter jeden großen Krisenprozess einen Neustart zu setzen – warum sollte es dieses Mal nicht funktionieren? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es so einfach nicht ist. Zunächst deshalb, weil diesem Gedanken eine falsche Geschichtsphilosophie zugrunde liegt. Nur, weil sich die Kapitalverwertung bislang nach jeder Krise erholen konnte, heißt das nicht automatisch, dass ihm das auch in diesem Fall gelingen wird."(...)


ein
kondratjew-zyklus also, der sich seinem ende zuneigt - wer jetzt einwirft, dass diese zyklen von der orthodoxen und etablierten wirtschaftswissenschaft nicht ernstgenommen werden, sollte sich den aktuellen zustand dieser disziplin nochmals vor augen führen. ich akzeptiere diese these vorläufig und frage, was denn jetzt an wahrhaft neuen produktiven innovationen kommen sollte, die gemäß theorie die nächste "lange welle" einleiten müsste. sehen Sie da was in reichweite? ich nicht. dazu kommt noch ein aspekt, der in den mainstreamdebatten bis dato auch keine rolle spielt, der aber womöglich ein ganz entscheidendes puzzlestückchen zum verständnis der krisenursachen darstellt - gleich im nächsten absatz:

(...)Nun ist der Kapitalismus bereits seit Mitte der 70er Jahre mit der Situation konfrontiert ist, dass der ihm eigentümliche Rationalisierungswetbewerb technische und organisatorische Veränderungen im Produktionsprozess hervorgebracht hat, die in einem so hohen Maße Arbeitskraft durch Maschinerie ersetzen konnten, dass immer mehr Arbeit überflüssig wurde.

Seitdem warten nun die ExpertInnen gespannt darauf, welche Technologie wohl den nächsten prosperierenden Zyklus, die nächste Welle kapitalistischer Akkumulation einleiten und tragen könnte. Die New Economy war lange Zeit ein heißer Tipp, doch seit die 2000/2001 eingebrochen ist, ist das keine ernsthaft diskutierte Alternative mehr. Und dass das „finanzmarktgetriebene Akkumlationsregime“ auf Sand gebaut war, haben spätestens die Ereignisse seit dem Spätsommer 2008 gezeigt. Die Vermehrung von Finanztiteln an den Finanzmärkten ist nun mal keine Kapitalverwertung. Diese setzt nämlich immer die Verausgabung von Arbeit voraus, um Wert und Mehrwert zu produzieren. Nachdem die Finanzblase geplatzt ist, stellt sich also nach wie vor die alte Frage: wo soll er herkommen, der neue Aufschwung? Seit dreißig Jahren schon wird das Wirtschaftswachstum mittlerweile simuliert: durch staatliche Verschuldung, ungedeckte Geldschöpfung und Finanzmarktblasen.(...)


das finde ich vor dem hintergrund meiner inhaltlich auf unsere sozialstrukturen gemünzten these der um sich greifenden ersetzung von authentischem menschlichen sozialen verhalten durch simulierte und antrainierte als-ob-zustände plus der parallel wahrnehmbaren dafür notwendigen psychophysischen umstrukturierungen (als deren ausdruck ich u.a. viele beziehungskrankheiten begreife) einen höchst interessanten satz: "seit dreißig jahren schon wird das wirtschaftswachstum mittlerweile simuliert..." - wenn sich diese einschätzung näher begründen lässt, stellt sich sofort die frage, ob es da nicht etliche zusammenhänge gibt? was treiben eigentlich all die soziopathen, die großmeister der simulation, in den elitären führungsebenen? im hinterkopf notiert; und weiter im text:

(...)"Wenn wir es also mit mehr zu tun haben als mit einem vorübergehenden Kriseneinbruch – lässt sich das Geschehen dann als Hegemonieverschiebung sinnvoll beschreiben? Oft zu lesen ist etwa von einer relativen Abnahme der Macht der USA, in deren Folge aus dem klassischen Imperialismus ein Empire geworden sei. So richtig diese Beobachtung sein mag, so oberflächlich bleibt sie auch. Denn es ist ja keineswegs ausgemacht, das dieser relative Hegemonieverlust die Ursache der zu beobachtenden Prozesse ist – und nicht vielleicht ihre Folge."

das lasse ich mal so stehen mit der bemerkung, dass ich ebenfalls zur im letzten satz geäusserten variante neige.

"Das wird deutlicher, wenn wir uns vor Augen führen, das auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Veränderungen ausgemacht werden. Jede Form gesellschaftlicher Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit scheint verloren gegangen zu sein, selbst Unternehmen könnten nicht mehr langfristig planen und sind von stetig undurchschaubarer werdenden Marktlagen abhängig und die herrschenden Institutionen verlieren mehr und mehr die Fähigkeit zur Integration. Doch auch diese Feststellung bleibt auf einer sehr oberflächlichen Ebene. Denn woher rühren nun diese allumfassenden Desintegrationstendenzen? Am Ende gar aus einer Systemkrise?"

möchten Sie das publikum fragen oder doch lieber den telefon-joker nutzen? jenseits dessen bekomme ich hingegen beim wort "desintegrationstendenzen" assoziationen, die hier im blog vielfach thema waren und sind - werfen Sie einfach mal ein blick auf den
index; da ist jede menge an zuständen, situationen und ereignissen versammelt, die ich insgesamt durchaus als ausdruck einer gigantischen desintegrationstendenz bezeichnen könnte. was aus einer marxistischen perspektive wie der dargestellten hauptsächlich an folgendem liegt:

"Tatsächlich sieht es sehr danach aus. Wenn es stimmt, was Karl Marx sagte, und „die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Wertform der Ware die ökonomische Zellenform“ der kapitalistischen Gesellschaft darstellt – müsste dann nicht ihre Krise auch weite Teile der kapitalistischen Institutionen, Lebenspraxen und Ideologien umfassen? Sollte es dem Kapitalismus tatsächlich seit dem Ende des Fordismus nicht mehr gelingen, in ausreichendem Maße Arbeit einzusaugen, dann hätte dies eine Krise der Wertvergesellschaftung zur Folge. Die gesellschaftliche Synthesis über Arbeit, Wert und Kapital würde sich immer weniger in der Lage erweisen, einen kohärenten sozialen Gesamtzusammenhang herzustellen. Nun ist aber die Gesellschaft, in der „das Verhältnis der Menschen zueinander als Warenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältnis ist“, die Voraussetzung menschlicher Vorstellungen von Gleichheit und Freiheit, die Basis der abstrakten Vergesellschaftung über Recht und Staat und überhaupt die Grundlage für gesellschaftliche Vorstellungen und Ideologien."

nun, ich finde ja, dass das doch eher abstrakte - in dem sinne von nicht unmittelbar fühlbar - postulat vom "verhältnis der menschen als warenbesitzer" präsenter gemacht werden kann, wenn wir uns bspw. einmal die aus- und vor allem unausgesprochenen fragmente der aktuellen sprache anschauen, in denen viele zeitgenossInnen heute nicht nur über ihre "beziehungen" reden und denken, sondern auch über sich selbst:

- "ich investiere zuviel in diese beziehung"
- "ich erwarte einen gerechten ausgleich zwischen geben und nehmen"
- "ich bin nichts wert"
- "mein körper ist mein eigentum"
- "was nutzt mir das? (bzw. der / die)?"
- und speziell zur sexualität hatte ich in einem früheren beitrag mal die wirkung der marktgesetze
so formuliert:
"äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der
fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als
investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden"


das mag zwar alles platt klingen und auch "irgendwie" schon bekannt sein, aber die konsequenz zu ziehen, dass eine derartige sprache auch etwas über die jeweils vorhandene neuronale konfiguration bzw. die psychophysischen zustände der solcherart sprechenden aussagt, und sich diese zustände wiederum in einem dialektischen wechselspiel zwischen individuum und gesellschaft entwickelt haben müssen, bei dem sich die bekannten sozialisationsinstanzen die klinke in die hand geben bei der bewußten und v.a. unbewußten "wertevermittlung", und sich diese "werte", die ja allgemein verbindliche sein sollen, in letzter hinsicht und im kern nicht von der beschränkten gefühls- und denkwelt eines, sagen wir mal durchtriebenen gebrauchtwagenhändlers unterscheiden - diese konsequenz also mögen nur die wenigsten ziehen, weil sich damit sofort fragen von solcher grundsätzlichkeit hinsichtlich der eigenen existenz und auch des eigenen sozialen umfeldes stellen, die metaphorisch gesprochen das potenzial einer ordentlichen portion nitroglyzerin besitzen und den ernsthaft fragenden sofort in eine völlig unbekannte zone jenseits aller gewohnten sozialität befördern können. was im allgemeinen unglaubliche ängste mit sich bringt. und auch diese erpresserische konstellation, mit der (wir) solche fragen im allgemeinen unterdrücken, ist eine komponente des klebstoffes, der den ganzen laden hier bis dato (noch) zusammenhält - noch:

"Eine Systemkrise in diesem Sinn ließe sich daher durchaus als „fundamentale Krise“ beschreiben: nicht nur im Bereich der Ökonomie, sondern weit darüber hinaus wären gesellschaftliche Institutionen und Vorstellungen von ihr betroffen. Den Ausweg aus dieser Krise würde dann auch nicht eine sorgfältig geplante Form von Politik darstellen, mit der sich das Ganze dann ein wenig effizienter und ein wenig sozialer organisieren ließe. Stattdessen steht die Menschheit vor der Wahl zwischen Emanzipation und Barbarei.

In diesem Sinne birgt die Systemkrise auch durchaus die Gefahr, zu einer noch tiefgreifenderen Menschheitskrise zu mutieren. Denn nicht nur, dass der Kapitalismus die natürlichen Lebensgrundlagen zu unterhöhlen droht und aufgrund des ihm innewohnenden Wachstumszwangs davon auch nicht ablassen können wird; die immer durchgeknalltere Formen annehmende ideologische Krisenverarbeitung hält noch weitere Spannungspotentiale bereit, bei denen sich mit gutem Grund fragen lässt, wie die Menschheit da wieder rauskommen will.

Aber malen wir das Szenario nicht in zu düsteren Farben. Denn der aktuelle Krisenprozess ist gewissermaßen hausgemacht. Er ist weder vom Himmel gefallen noch von unbesiegbaren Naturkräften ausgegangen. Er hat seine Ursache vielmehr in der simplen Tatsache, wie Menschen ihr Leben und damit ihre Produktion organisieren – und was das mit ihnen macht. Das bedeutet aber auch, dass es es die Möglichkeit zur Veränderung gibt. Die jedoch kann nur darin bestehen, neue Formen sozialen Miteinanders zu finden, die nicht auf der Logik von Ware, Geld und Staat beruhen."


die folgen des zwangs zum - exponentiellen - wachstum sollten deutlich sein; beispiele einer "ideologischen krisenverarbeitung", hier einer nationalistischen, lassen sich in den in den letzten news erwähnten streiks in großbritannien betrachten. und so augenöffnend ich in mancher hinsicht solche texte mit schwerpunkt ökonomiekritik auch finde, die beliebigkeit und unkonkretheit hinsichtlich "neuen formen sozialen miteinanders, die nicht auf der logik von ware, geld und staat" beruhen, liegt zu einem großen teil aus meiner perspektive darin begründet, dass die fragen danach, wie, auf welchen wegen und mittels welcher prozesse sich einerseits denn die benannten logiken ganz konkret und real in die menschliche struktur, d.h. unsere körper und die darauf basierende psyche, ihren verheerenden weg bahnen, und wie sie sich andererseits in "normalen" und pathologischen formen des fühlens und denkens in jedem menschen kenntlich machen, bisher überwiegend nicht gestellt werden - und genau aus diesem grund habe ich in verschiedenen debatten hier und an anderen orten auch das fazit gezogen, dass ich mir keine emanzipativen prozesse mehr vorstellen kann, die nicht auch ganz zentral auf dem heutigen wissen zu unserem psychophysischen funktionieren beruhen. das betrachte ich weiterhin als schwerstes manko, nicht nur der politischen linken.

*

die in obigen text drohend skizzierte - und sehr realistische - möglichkeit einer menschheitskrise wird mittlerweile auch an solchen orten wie dem feuilleton der frankfurter allgemeine als option ernstgenommen, und das sogar in sehr
drastischen worten, die für solche eine zeitung eher ungewöhnlich sind. und vor allem taucht hier als wahrnehmung wiederum das auf, was der "krisis"-autor ganz treffend mit dem begriff der desintegretationstendenzen zu fassen versuchte:

(...)"Bald ist das richtige Politikinstrument – irgendwo muss es doch liegen – gefunden, dann wird, Lieblingsvokabel des Politsprechs, die „Stellschraube“ angezogen, und wir setzen die Fahrt fort wie zuvor, bitte entschuldigen und verkennen Sie die Tatsache unseres anhaltenden Absturzes.(...)

Alle (...) schauen zu, geduldig und nett, wie wir postmodernen Menschen heute sind. Es ist viel zu ruhig.

Es ist längst Zeit, das Staunen über die irrwitzige Geschichte von den mehrfach gebündelten Schrottpapieren und den kriminellen Systemen, die ihre Verbreitung zum Geschäft gemacht haben, diesen Dealern mit gepanschten Finanzspritzen, zu überwinden und das ganze Ausmaß der sich gerade voll entfaltenden Weltkrise ins Auge zu fassen. Das monatelange öffentliche Kümmern um die Banken hat wenig gebracht und führt dazu, die akute Gefahr kommender sozialer Krisen zu vernachlässigen. Wir haben bald ganz andere Probleme, abstrakt war letztes Jahr: In Island führten Proteste der chronisch friedlichen Bevölkerung, die langen schlechten Zeiten entgegensieht, zum Sturz der Regierung, der auch nur ,abwiegeln‘ und ,weiter so‘ einfiel.

Die angesehene Zeitschrift „Foreign Policy“ hat nun die Liste der „nächsten Islands“ veröffentlicht, Staaten, bei denen sich totale Überschuldung, politisches und wirtschaftliches Missmanagement und ein kompletter Glaubwürdigkeitsverlust der Regierenden krisenhaft zuspitzen. Nicaragua ist dabei, alle anderen aber liegen in und bei Europa: Großbritannien, Griechenland, Lettland und die Ukraine. Deren wachsendes Elend wird nicht stumm bleiben. Abgesehen von Streiks, Demonstrationen, Unruhen und Plünderungen können wir rassistische Ausschreitungen gegen Migranten und Minderheiten, politische Instabilität, höhere Kriminalität und generell eine um sich greifende Gewaltbereitschaft und Radikalisierung erwarten. Diese Krise beschert uns zerfallende Gesellschaften in unserer Nachbarschaft: Wo noch die Republik war, herrscht bald die Mafia. Krise ist keine Frage von Blasen und Buchungen, da geht es um durchgeheulte Nächte. Anderswo, unter den chinesischen Wanderarbeitern und bei den Illegalen, die aus Afrika nach Europa wollen, wird die Krise Leben kosten."(...)


noch mehr leben als im kapitalistischen normalbetrieb schon, muss ergänzt werden. und ob der zerfall nur auf die nachbarschaft beschränkt bleibt? ansonsten gäbe es auch zu anderen stellen des textes etliches anzumerken, aber ich finde ihn nicht nur wegen seines umfeldes bemerkenswert, sonder vor allem wg. seiner expliziten botschaften erstaunlich - neben dem neulich thematisierten "zeit"-artikel ist das nun eine weitere breitseite für ein "bürgerliches" publikum, von dem gefordert wird, sich mit dem gedanken an eine gesellschaftliche umwälzung zu beschäftigen:

(...)"Es ist derzeit völlig offen, ob die Textur der Gesellschaft diese Krise übersteht. Denn das Versagen der Banken war ja in der herrschenden Ideologie, die sich als Wissenschaft tarnte, gar nicht vorgesehen: Weniger Steuern und mehr Freiheiten für die Tüchtigen, dann geht es allen gut. Doch wir sehen: Nirgendwo gibt es so viele tüchtige und berühmte Millionäre wie in Kalifornien. Hollywood und Silicon Valley ziehen Talente aus der ganzen Welt an, und doch kann es sein, dass dieser reiche, dynamische Staat bald seine Lehrer nicht mehr bezahlen kann. Da ist mehr faul als nur ein Stapel Papiere. Wie lebt der Kalifornier, zu dessen Betriebssystem das große Versprechen auf ewige Verbesserung gehört, mit einer dauerhaft verbauten und überschuldeten Zukunft?

Die deutsche Gesellschaft hat auf die Krise erst mal recht liebevoll reagiert: Jemand ist süchtig geworden, hat alles Geld verbraucht und verlangt nun nach mehr. Also räumt man die Schränke aus, um ihm über die nächsten Tage zu helfen. So haben wir, obwohl der Haushalt fast ausgeglichen war, Schulden gemacht und Bürgschaften abgegeben, wie in den „Kindern vom Bahnhof Zoo“ die Freunde den Junkies Rotwein und Hustensaft gemixt haben – um die Schmerzen zu lindern.

Aber so kann es nicht weitergehen. Die Republik kann nicht länger koabhängig sein und muss auf die systemische Krise mit einem Systemwandel reagieren.(...)

Um die Gesellschaft vor Unruhen und kalten Bürgerkriegen zu bewahren, muss ein großer Dialog begonnen werden. Das alte System wird sich nicht fangen, für die Ramschpapiere gibt es keinen Markt, und es wird auch keinen mehr geben. Mit gouvernementalem Herumfuchteln in Klüngelrunden, um irgendwelche Stellschrauben zu befingern, ist nichts mehr zu gewinnen. In solch einer Lage kann es einen Fortschritt nur geben, wenn man sich von ideologisch begründeten Prinzipien verabschiedet und all das stärkt, was Gemeinsinn stiftet."(...)


ich nehme dem autor dabei durchaus ab, dass er mit der konservativen floskel "gemeinsinn" durchaus kein revival der volksgemeinschaft im sinn hat. fragt sich allerdings nur, wie verbreitet dieses verständnis ist?

*

um schluß dieser völlig persönlichen auswahl an theoretischen und/oder beschreibenden stellungnahmen zur krise sei noch auf einen text hingewiesen, der vor kurzer zeit bei telepolis veröffentlicht wurde und von krisenthesen des soziologen immanuel wallersteins handelt -
In dreißig Jahren wird es keinen Kapitalismus mehr geben. na, das ist doch mal ne ansage! solange ich allerdings keine genaueren texte von wallerstein selbst speziell zu diesem punkt (und bei diesem thema auch lieber in deutscher sprache) zur verfügung habe, möchte ich diese these hier erstmal nicht weiter kommentieren.

Donnerstag, 5. Februar 2009

notiz: und sonst? der kleine medienüberblick - armut & hirnentwicklung; desaster in hauptschulen; kriegstraumata aus afghanistan; tierquälerei und bahnschnüffelei

ich hätte auch von news neben und jenseits der krise schreiben können, finde aber, dass das aus diversen gründen auch anders gesehen werden kann - schließlich ist die aktuelle krisenkaskade etwas durchaus hausgemachtes und besser als symptom für grundsätzlich strukturelle systemfehler zu verstehen, die jetzt nicht nur in vielerlei hinsicht gemeinsam kumulieren, sondern in vielen ihrer wirkungen und rückkoppelungen erst in etlicher zeit voll einschlagen werden. und sowieso ließe sich bei unseren gesellschaftlichen verhältnissen mit einigem recht sagen "krise is immer", zumindest in gerade den bereichen, in denen sich all die aufhalten, die aus verschiedensten gründen draußen sind und teils schon immer waren. "draußen" meint in diesem fall: die teile der realität, die von systemimmanter wahrnehmung entweder schlicht geleugnet, ignoriert, und/oder mit simulationen zugekleistert werden. im folgenden nun ein paar berichte von draußen.

*

das kinder in ihrer gesamten entwicklung von ökonomischer armut schwer geschädigt werden können, war hier in einem älteren
beitrag schon mal kurz thema; nun gibt´s auch eine längere version:

"Fast 2,5 Millionen Kinder gelten bei uns als "armutsgefährdet". Das ist nicht einfach nur schade oder bemitleidenswert, sondern Grund zu großer Sorge, wie auch Hirnforscher bestätigen. Denn der äußere Mangel kann schon bei Babys zu inneren Reifungsverzögerungen führen, die sie ein Leben lang nicht mehr los werden.(...)

Seit etlichen Jahren wird dieses Forschungsfeld beackert. Martha Farah und Daniel Hackman, Psychologen der University of Pennsylvania in Philadelphia, haben jetzt alles zusammengetragen und ziehen eine erschreckende Bilanz. Vor allem in zwei wichtigen Hirnbereichen lassen sich Entwicklungsstörungen festmachen, die mit einem niedrigen Sozialstatus einhergehen: In Arealen der linken Hirnhälfte nämlich, die mit dem Sprachvermögen zusammenhängen, und dazu auch im Stirnhirn, dem "präfrontalen Kortex", der entscheidend dazu beiträgt, wie wir uns tagtäglich verhalten. Dort werden Handlungsalternativen abgeschätzt. Dort wird der Gefühlsstrom aus dem Inneren des Gehirns kontrolliert und reguliert. Dort wird auch anhand sozialer Erfahrungen beurteilt, was "man" so tut in einer bestimmten Situation und was eher nicht. Was also soll aus einem werden, wenn die verinnerlichten Maßstäbe entweder nicht stimmen oder aber nicht angelegt werden können?

Schon früh lassen sich Veränderungen entdecken. Bei gerade mal sechs Monate alten Babys fanden niederländische Forscher der Erasmus-Universität Rotterdam deutliche Einflüsse eines niedrigen Sozialstatus auf das Temperament der Kinder. Die stärkste Beziehung fanden die Rotterdamer bei der Ängstlichkeit der Kinder - je ärmer, desto zaghafter. Und je ärmer die Umgebung war, in der sie aufwuchsen, desto zappeliger waren die Babys. Auch wenn diese frische Studie noch manche Frage offen lässt und mit ähnlichen Untersuchungen verglichen werden muss, gibt es doch klare Tendenzen, die sich in der Entwicklung von über 7000 Kleinkindern verschiedener ethnischer Herkunft abzeichnen. Schon in den Köpfen von Kindern, die erst wenige Monate alt sind, lässt sich wenigstens statistisch ablesen, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie stammen.(...)


im weiteren verlauf macht der artikel das vielleicht zentrale dilemma deutlich, welches durch die neurowissenschaften zwar nicht ausgelöst, aber in gewissem sinne getriggert wurde: wie determinierend für die betroffenen sind solche durch die sozioökonomischen verhältnisse verursachten entwicklungsstörungen? darauf gibt es - und kann es meiner meinung nach zum jetzigen zeitpunkt auch (noch) nicht - keine deutliche antwort. aber von den durchaus möglichen geschichten mal abgesehen, in denen menschen selbst trotz solch schlechter "startbedingungen" es schaffen, ein authentisches leben zu führen (wozu eben nicht unbedingt der "erfolg" im herrschenden sinne gehört, sondern eher eine in sich ruhende zufriedenheit) - eine mehrzahl dieser kinder wird bis dato irgendwann früher oder später in der rubrik "problemfall" landen, ohne je überhaupt die chance gehabt zu haben, sich irgendetwas anderes aussuchen zu können. und zu den dann fälligen konsequenzen stellt der artikel ganz treffend fest:

(...)"Passt das in unseren "Sozialstaat"? Auch mitten in einer Wirtschaftskrise sind wir noch lange nicht arm genug, um solche Armut zulassen zu dürfen. Und mit nüchternem Blick auf die so oder so gemeinsame Zukunft könnten wir sie uns nicht einmal leisten, wenn uns verkrachte Einzelschicksale gänzlich ungerührt ließen."

leider ist die im letzten satz angesprochene kollektive blindheit immer noch der verbreitete obligatorische wahrnehmungsstatus. für den wir alle vielfältig bezahlen (ja, die ökonomistisch verseuchte sprache ist auch so ein ärgernis. aber mir fiel kein anderer passender ausdruck ein).

*

"problemfälle" jedenfalls landen oft genug in den späteren phasen ihres von anfang an gesellschaftlich behinderten lebens in den entsprechend dafür vorgesehenen institutionen, von der psychiatrie bis zum knast. vorher gehen sie - vielleicht sogar nur, um den gesellschaftlichen normalitätssimulationen zu genügen? - wie alle anderen auch in die schule. und zwar in eine, die nicht nur der im folgenden interview zitierte lehrer als eine art gesellschaftliche
entsorgungsanstalt empfindet:

(...)"sueddeutsche.de: Glaubt man der aktuellen Berichterstattung über die Hauptschule, müssten Sie an einem Ort des Schreckens arbeiten. Mögen Sie Ihren Beruf?

Hartmut Groß*: Ja, meistens mag ich ihn. Ich bin seit mehr als 30 Jahren Lehrer und habe mir in dieser Zeit nur selten gewünscht, ich hätte einen anderen Job. Doch die Unterrichtsbedingungen werden immer schwieriger. Die Politik übt großen Druck auf uns aus, die Schüler werden von vorneherein als Verlierer abgestempelt und die Zusammenarbeit mit den Eltern ist oft katastrophal. In unseren Klassen sitzen viele Gestrandete, Demotivierte und auch Verhaltensgestörte. Doch nachdem ich ihre Eltern kennengelernt habe, hatte ich oft mehr Verständnis für die Kinder.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie damit?

Groß*: Ich habe mir schon oft gedacht: "Dafür, wie XY aufwächst, schlägt er sich sogar sehr gut." Wir haben zum Beispiel viele Schüler, die am Ende des Monats einfach nichts mehr zu essen bekommen, weil kein Geld mehr da ist. Dann haben wir Kinder mit psychisch kranken Eltern, oder solche, die geschlagen und missbraucht werden. Das sind traurige Extremfälle, die aber an der Hauptschule häufiger vorkommen als an anderen Schulformen. Dazu kommen dann die "normalen" Erziehungsfehler, die Eltern begehen und wir ausbaden müssen.

sueddeutsche.de: Was sind das für Fehler?

Groß*: Wir bemerken eine grundsätzliche Vernachlässigung. Auf Klassenfahrten etwa spüren wir deutlich, dass es die Kinder überhaupt nicht gewöhnt sind, den ganzen Tag einen erwachsener Ansprechpartner zu haben. Sie finden es toll, dass plötzlich jemand für sie da ist und werden richtig anhänglich. Wir sind dann Familienersatz, der am liebsten noch beim Einschlafen dabei sein soll. Außerdem stellen wir fest, dass die Schüler von zu Hause keinerlei Anregungen bekommen. Da wird nicht gelesen oder mal gemeinsam etwas unternommen."(...)


das thema vernachlässigung musste ich hier leider schon öfter aufgreifen, hier nur ein
beispiel. und mir scheint das erstens ein unheilvoller trend zu werden, bei dem man sich zusätzlich fragen muss, ob nicht auch seitens der wirtschaft & "ihres" staates eine faktische, wenn auch spezifische art der vernachlässigung gegenüber all den "abgehängten" und "überflüssigen" der "leistungsgesellschaft konstatiert werden muss; und zweitens würde ich das im gegensatz zum lehrer nicht unbedingt als "normale erziehungsfehler" betrachten - für diese art der eingefrorenen gewalt aus kälte und ignoranz sind psychophysische strukturen nötig, die aus meiner perspektive die grenze zu klinisch relevanten störungen deutlich überschreiten. aber die anerkennung ernsthafter pathologien würde natürlich nicht nur die entsprechenden statistiken in die höhe treiben, sondern auch den gesamtzustand des systems noch deutlicher werden lassen als jetzt schon. davon abgesehen, sind die beschriebenen verhältnisse ein weiterer skandal unter den inzwischen unzähligen und nicht mehr überschaubaren, die sich zu jenem einzigen großen gesamtskandal addieren, der deckungsgleich mit dem herrschenden system ist.

*

bleiben wir noch ein etwas bei den "problemfällen" und verfolgen mögliche lebenswege weiter, so landen wir auch bei der variante, dass sie - immer noch mehr männer als frauen - im zuge der ihnen aufoktroyierten perspektivlosigkeit zb. beim militär landen, was ihnen einerseits eine gewisse ökonomische sicherheit verschafft, andererseits für entsprechend disponierte persönlichkeiten möglichkeiten zum ausagieren - und zwar zu einem staatlich geduldeten, wenn nicht gewünschten - ausagieren ihrer ganz eigenen täter-opfer dialektik bietet. was konkret heißen würde: als kind ein opfer, später in uniform ein (mit-)täter - und dann eventuell
wieder ein opfer:

(...)"Marco Hölzken, 32 Jahre alt, Oberfeldwebel und Ausbilder im Fernmelderegiment, wird in Berlin stationär wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung behandelt. Vor nicht allzu langer Zeit reichte eine Spezialabteilung im Hamburger Bundeswehrkrankenhaus aus, um alle psychisch Kranken der deutschen Streitkräfte zu versorgen. Jetzt werden auch in Berlin traumatisierte Soldaten therapiert, mehrere andere Bundeswehrkrankenhäuser in Koblenz und Ulm bauen psychiatrische Stationen zur Traumabehandlung auf. 


Denn Soldaten, die nicht nur am Körper, sondern auch an der Seele verletzt aus einem Krieg zurückkehren, gehören wieder zu Deutschland. Mit den gefährlicheren Einsätzen werden es immer mehr.(...)

Als er nach der Weihnachtspause im Januar 2005 wieder seinen Dienst zu Hause antritt, hält er den Stress nicht mehr aus. Viele seiner Kollegen sind im Einsatz, und er ist für 30 Leute allein zuständig. “Ich wollte einfach meine Ruhe.” Er schreit seine Leute an, weist sie zurecht wegen Nichtigkeiten. Er versucht, die Bilder mit Bier zum Verschwinden zu bringen, aber der Rausch macht alles noch schlimmer. Zu Hause weint er viel, ist depressiv und schickt seine Freundin weg, wenn sie ihm helfen will."(...)


es scheint hinsichtlich der medialen berichterstattung zum thema
kriegstraumata und bundeswehr regelrechte wellen u geben; und die jüngste wurde durch einen weiteren film zur thematik angestoßen, "willkommen zuhause, der am montagabend zur hauptsendezeit in der ard lief und die erlebnisse eines afghanistan-"veteranen" mit ptbs nachzeichnete. ja, dieses land nimmt real an kriegen teil, und deutsche soldaten befinden sich in kampfeinsätzen. und so ist es eine zwingende konsequenz, die die passive inkaufnahme dieser realität für diese gesellschaft eben auch eine konfrontation mit ähnlichen folgen bedeutet, wie sie bspw. die usa schon seit langem kennen. und die fragen, die sich in der hinsicht stellen, sind in einem kommentar bei der "taz" so gut auf den punkt gebracht, das ich mir viel arbeit sparen kann:

"Die Schlagzeile könnte auch lauten: Jetzt auch deutsche Soldaten kriegstraumatisiert!

Es ist schon seltsam,
1) dass Kriegstraumata hierzulande ein Tabuthema sind, wo doch vor nicht allzu langer Zeit fast die ganze Bevölkerung traumatisiert war - und manche Menschen es noch heute sind. (vermutlich gerade deswegen, anmerk. mo)

2) dass unser Verteidigungsminister auf die Verdreifachung der (offziell bekannten) Fälle von PTBS nur stotternd reagieren kann: "Im Vergleich zu anderen Ländern sieht es bei uns noch ganz vernünftig aus." Vernünftig? Die Wortwahl lässt seine Einstellung zu psychischen Erkrankungen gut erkennen.

3) dass es erst einen TV-Spielfilm geben muss, damit die Medien das Thema überhaupt aufgreifen.

4) dass damit aber der Blick noch nicht über den Tellerrand reicht: Natürlich ist es dramatisch, dass deutsche Soldaten diesen Belastungen ausgesetzt werden. Und sie müssen Hilfe von höchster Stelle bekommen.

Aber wieviele Millionen Menschen sind täglich der Todesangst ausgesetzt und leiden unter Traumata? Wie entwickeln sich Gesellschaften, in denen jeder einzelne traumatisiert ist? Welche Zukunftschancen haben Kinder, die nie Frieden kennen lernen?

Die deutschen Medien sollten das Verhältnis wahren und im Zusammenhang mit dem Thema Trauma auch anderen wichtigen Fragen nachgehen. Es ist doch wirklich eine gute Gelegenheit."


das einzige, was ich nicht so unterschreiben würde: warum müssen deutsche soldaten, warum muss überhaupt irgendwo irgendjemand solchen "belastungen" ausgesetzt werden? für welche und wessen interessen? ich sehe eigentlich nur einen krieg als überhaupt gerechtfertigt an; und das ist einer, der vom gegner bereits geführt wird, und zwar seit langer zeit, weltweit und mit allen mitteln - indirekt übrigens auch mit den "mitteln", die weiter oben im beitrag thema sind. und den betrachte ich als echten verteidigungskrieg.

*

eines der hauptsächlichen mittel, ziele und zwecke jenes eben erwähnten krieges, dessen fronten auch in mehr oder weniger großem maße in uns allen verlaufen, stellt dabei die verdinglichung alles lebendigen dar - und wo auf menschen keine rücksicht genommen wird, werden erst recht auch pflanzen und
tiere als objekte betrachtet, mit denen beliebig umgesprungen werden kann:

(...)"Es schläft sich herrlich auf Daunenkissen und unter der Daunendecke. Und eine Daunenjacke sorgt für mollige Wärme, wenn es kalt ist. Doch dieser Komfort hat einen Preis, über den die Branche nicht so gerne redet: Millionenfache Tierquälerei. 80 Prozent der auf dem Markt befindlichen Enten- und Gänsedaunen stammen nämlich nicht von toten Vögeln. Sie werden im Abstand von jeweils mehreren Wochen lebenden Tieren herausgerissen. Nicht nur in China, sondern trotz gesetzlichen Verbots auch innerhalb der EU. Beispielsweise in Ungarn und Polen. Auf Höfen, die für ihre Tierhaltung EU-Subventionen bekommen.(...)

"Ich zeige ihnen jetzt, wie man die Flügel zusammenhält, damit die Vögel nicht wegfliegen", erklärte die Chefin des mobilen Daunenpflückteams, das regelmäßig die Höfe der Gegend bereist. Sie hielt dasschreiende Tier hoch, dem sie die Beine zusammengebunden hatte, und zeigte dann, wie man die Daunen erst an den Seiten, dann am Bauch und an den Beinen, dann am Hals und zuletzt am Rücken abpflückt. Bei zahlreichen Vögeln reißt die Prozedur bis zu 10 cm lange und mehrere Zentimeter breite Wunden, die die ArbeiterInnen an Ort und Stelle mit Nadel und Faden zunähen - ohne Betäubung natürlich. 300 Vögel pflückt eine gute Arbeiterin am Tag."(...)


ich habe zu tierquälereien eine klare position, und erst recht dann, wenn sie noch dazu als angeblich "ökonomisch sinnvoll" hingestellt werden. trotzdem finde ich die öffentlichen reaktionen nicht nur positiv, sondern auch bedauerlich und bezeichnend:

(...)"Nach der Ausstrahlung der TV-Reportage brach ein regelrechter Proteststurm los, gefolgt von Boykottaufrufen von Tierschutzorganisationen aus ganz Skandinavien. Die Anbieter von Daunenware reagierten binnen weniger Stunden. Von Ikea bis hin zum Dänischen Bettenlager und Fjällräven versprachen die Unternehmen, Daunenprodukte mit Federn lebender Vögel vom Markt zu nehmen und in Zukunft nur noch solche zu verkaufen, die nachweislich von toten Tieren stammen."(...)

und zwar einfach in der hinsicht, dass bei offensichtlichen menschenquälereien sowohl proteste als auch reaktionen der täter selten so eine schnelligkeit und dimension erreichen wie in solchen fällen. und ich fürchte, dass das nicht nur daran liegt, dass tiere generell als unschuldig wahrgenommen werden, sondern sich auch ein großes stück mißtrauen und selbstabwertung von menschlicher seite aus dahinter verbirgt. und das zieht für mich zu oft die motivationen von tierschützerInnen ins zwielicht.

*

und das stichwort "mißtrauen" leitet über zum letzten thema, der schnüffelpraxis bei der deutschen bahn. es fehlt in der öffentlichen diskussion darum einfach ein aspekt, der
hier genauer umrissen wird:

"Die aktuelle Schnüffel-Affäre bei der Deutschen Bahn AG (DB) hat auch eine politische Dimension jenseits der Korruptionsbekämpfung. „Wurden auch wir ausgeschnüffelt?“, fragen Mitglieder der Gewerkschaft TRANSNET, die die privatisierungskritische Initiative Bahn von unten unterstützen.

So kamen engagierte Eisenbahner bei einem aktuellen Erfahrungsaustausch am Wochenende zu der Schlussfolgerung, dass in den letzten Jahren eine politisch motivierte Beschnüffelung und Überwachung von Telefonaten und dienstlicher E-Mail-Korrespondenz im Konzern Deutsche Bahn stattgefunden haben muss. Anhaltspunkte hierfür ergaben sich für die Betroffenen etwa aus Gesprächen mit Vorgesetzten und EDV-Spezialisten bei der Bahn. Gegner eines Börsengangs und der Expansionsstrategie des Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn wie auch Kritiker von Personalabbau- und Umstrukturierungsmaßnahmen würden im Konzern systematisch beargwöhnt und gälten für das Management als „unzuverlässig“. Entsprechende „dezente Hinweise“ erhielt nach eigenen Angaben auch der Betriebsratsvorsitzende und Bahn von unten-Mitbegründer Alfred Lange."(...)


ich würde mich keinesfalls wundern, wenn sich hier die eigentliche motivation seitens der konzernführung befinden würde - es würde jedenfalls sehr gut erklären, warum auch bahnpersonal gescannt wurde, welches nun mit korruptionsrelevanten bereichen überhaupt nichts zu tun haben kann. und das wäre dann aus meiner sicht der eigentliche hammer bei der ganzen geschichte, der dazu voll in das erbärmliche bild passen würde, welches wir tag für tag von diesem system ertragen müssen. ich bin sehr gespannt, ob und wie dieser verdacht ein öffentliches thema wird.

Mittwoch, 4. Februar 2009

notiz: "schaeffler" - noch eine *deutsche* kapitalistische erfolgsgeschichte [2.update am 05.02.]

"hinter jedem großen vermögen steckt ein verbrechen"
(honoré de balzac)

"Kriegsgeschäfte der deutschen Unternehmerfamilie Schaeffler aus den frühen 1940er Jahren sorgen für Debatten im südlichen Polen. Die Gründer der Firma, die sich derzeit um staatliche Milliardenbürgschaften bemüht, begannen ihre unternehmerischen Aktivitäten entgegen offiziellen Angaben nicht erst 1946. Vielmehr nutzten sie für ihren Nachkriegs-Start Know-How und Gerät einer ehemals jüdischen Fabrik in Kietrz nahe der polnisch-tschechischen Grenze, die sie sich bald nach Kriegsbeginn angeeignet hatten. Der kurzerhand in "Schaeffler AG" umbenannte Betrieb stellte bis 1944 Textilien und Panzerteile für die Wehrmacht her; Maschinen und Fachpersonal wurden Anfang 1945 in den Westen verbracht und ermöglichten der Schaeffler-Firmengruppe ihren schnellen Aufstieg. Hinweise von Historikern führen zu Geschäftsbeziehungen der Unternehmensgründer mit der Abteilung Menschenverwertung im Vernichtungslager Auschwitz."(...)

edit am 05.02.: die ergänzung "noch" in der überschrift hat alleine den grund, dass ich keinesfalls den eindruck erwecken will, derartige geschichten seien etwa in der hiesigen wirtschaft eine ausnahme (wobei ich davon ausgehe, dass das den allermeisten der leserInnen eh schon klar gewesen ist).

aber es gibt ja auch zb. jüngere leute, denen die - zumindest mir - vertrauten informationen über die historie der weitaus meisten deutschen unternehmen keinesfalls als allgemeingut vorkommen werden, darum hier noch ein paar beispiele von bekannten markennamen, die uns gerade aktuell tag für tag unagenehm auffallen. und da können wir gleich bei schaeffler weitermachen, die sich bekanntlich aktuell u.a. mit dem "schlucken" der hannoveraner continental ag schwer verhob und darob nach staatlicher hilfe bettelt - was die geschichte der continental anbelangt, ist das jedenfalls auch so ein fall von "gleich und gleich gesellt sich gern", wie bspw. ein längst vergessener
artikel aus dem jahre 1999 deutlich macht:

(...)"Historische Quellen belegen laut einem Bericht der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", dass Mitarbeiter aus dem Conti-Werk die Häftlinge im Lager eingewiesen und angelernt hätten. Die Conti sei faktisch Arbeitgeberin gewesen. Die 10. Kammer des Arbeitsgerichtes gehe sogar davon aus, dass die Conti mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt ohne staatlichen Zwang einen "privatrechtlichen Dienstverschaffungsvertrag abgeschlossen hatte, um KZ-Häftlinge zu mieten". Die Vereinbarung habe den Einsatz der Häftlinge und das Entgelt für die "Vermietung" geregelt. Aus Sicht des NS-Regimes habe die Vereinbarung sogar das Ziel gehabt, die KZ-Häftlinge durch Arbeit zu vernichten."

zu den allgemeinen verflechtungen zwischen wirtschaft und ns-regime gibt es auch online genügend recherchierbares material, darum jetzt nur noch ein beispiel, bei dem es vor allem um zwei namen geht, die momentan täglich eine rolle spielen - die dresdner und die deutsche bank.


die geldgeschäfte der ss


diese im jahr zweitausend erschienene arbeit des autors peter-ferdinand koch ist inzwischen vergriffen und nur noch antiquarisch zu erhalten, und sehr viele rezensionen gibt´s dazu zumindest online auch nicht. dabei ist das eigentlich gerade in diesen zeiten ein interessanter
lesestoff:

(...)"Wie die Geier stürzten sich deutsche Wirtschaftsbosse und solche, die es noch werden wollten, auf jüdisches Vermögen: die Kaufhauskonzerne Horten, Neckermann, Quelle und Hertie sind alle das Ergebnis von "Arisierungen", also Zwangsenteignungen von ehemals jüdischen Betrieben, deren Besitzer unter Androhung von Gewalt gezwungen wurden, für einen lächerlichen Betrag an "arische" Kaufleute zu verkaufen. Immer mittendrin: Die Deutsche und die Dresdner Bank, zwei den Nazis herzlichst zugetane Geldinstitute, die auch für Heinrich Himmler (ein ehemaliger Hühnerzüchter) und dessen SS tätig waren.(...)

Koch schildert auch die Schäbigkeit im Kleinen, die miese Rachsucht, Denunziationslust und Raffke-Mentalität: Da wurde der SS mitgeteilt, dass letzte Woche noch ein jüdischer Kunde am Geldschalter gesichtet worden sei (den man, so die Bank devot, wohl vergessen habe zu deportieren). Oder: die Dresdner Bank hatte nach der Übernahme eines jüdischen Geldhauses dem ehemaligen Inhaber eine - geringe - Pension gezahlt. Als der Mann, über 70jährig, schließlich deportiert wird, befiehlt eine Hausanweisung, ihm die Kündigung seiner Pension nachzuschicken - da aber mit einer Nichtzustellbarkeit dieser Benachrichtung zu rechnen ist, sei die Bescheinigung über die Benachrichtigung zu den Akten zu nehmen.

Die SS organisierte ihre Wirtschaftsbetriebe in einer Holding, in der Verluste ausgeglichen werden sollten. Weil die meisten Betriebe aber von Amateuren geführt wurden, gab's durchweg zu viele Verluste. Richtig profitabel wurden Unternehmungen nur für die Privatwirtschaft, die mit der SS zusammenarbeiteten, schon weil die billig Zwangsarbeiter auslieh. So war die "Hunsa GmbH" zuständig für die "Förderung der Forschung auf dem Gebiet des Nahrungsmittelwesens", finanziert von der Dresdner Bank und unterstützt vom Pudding-Mischer August Oetker ("Ich bin ein Nationalsozialist des Herzens"), dessen Firma sich damals vornahm, "die Zukunft Großdeutschlands für immer zu sichern". Damals bosselten Oetker und Konsorten noch nicht an Tiefkühlpizza oder Speiseeis, sie buken Brot aus Stroh und rührten Suppen aus Insekten an, deren Nährgehalt sie an den KZ-Häftlingen der SS testen durften.

Neben der Dresdner war vor allem die Deutsche Bank eine Stütze des Regimes. Im Januar 1938 hatte die Zentrale ein Papier an alle Filialen verschickt, in dem um Aufstellung gebeten wurde, welche Juden noch Konten bei der Deutschen Bank führten und welche "jüdischen Betriebe" für "Arisierungen", also Zwangsenteignung, in Frage kämen."(...)


das ist nur ein ganz kleiner ausschnitt der historie einer branche, die - und zwar global - noch bis heute bereitwillig jede schweinerei finanziell mitunterstützt - kriege, organisiertes verbrechen, diktaturen - , sofern da etwas bei rausspringt. und die aktuell mit ihrer angeblichen "unverzichtbarkeit" ganze bevölkerungen in erpresserischer manier plündert.

es ist ratsam und hilfreich, diese geschichte all der banken und firmen, die sich da unter den "rettungsschirmen" versammeln, keineswegs zu vergessen - denn sie zeigt auf, das diese produkte des kapitalismus nicht nur im nationalsozialismus und auch nicht nur in d-land weder skrupel noch grenzen kennen, wenn es darum geht, ihren real einzigen sinn & zweck - die akkumulation von profit - den menschlichen gesellschaften aufzuzwingen. im ns ganz offen und drastisch, heutzutage bemäntelt mit allerlei simulationen. ihr antisoziales wesen jedoch bleibt im wahrsten sinne des wortes zeitlos.

*

edit 2: einen kommentierten kurzen gesamtüberblick speziell zur rolle der "deutschen bank" im ns gibt es
hier - auszüge aus dem bericht der us-amerikanischen ermittlungsstelle omgus, die nach dem krieg folgende empfehlung gab:

"Es wird empfohlen, daß:

1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3, die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden."(...)


wie wir wissen, blieb es bei dieser empfehlung.

Dienstag, 3. Februar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (21)

kognitive dissonanz - ja, der begriff trifft es wohl am besten, wenn ich meine derzeitige innere verfassung auf den punkt bringen sollte. das stündlich absurder werdende mißverhältnis zwischen dem scheinbar normalen alltagsleben einerseits und den bereits persönlich wahrnehmbaren krisenfolgen sowie vor allem den immer weiter eskalierenden medial vermittelten entwicklungen andererseits führt zu einem eigenartigen gemisch aus lähmung und aktionsdrang, die sich beide bisher weitgehend neutralisieren. so bleibt mir für den moment nur zu sagen: here are the crazy news.
  • usa: kalifornien in dieser woche vor dem bankrott?
  • usa: kongreßabgeordnete fordert zwangsgeräumte faktisch zur hausbesetzung auf
  • großbritannien: wilde streiks unter dem motto "britische arbeitsplätze für britische arbeiter"
  • deutschland: sächsische "tafel" sieht "wachsenden hass gegen erwerbslose"
  • rußland: neue straßenproteste
  • china: weitere verschärfung der wirtschaftskrise - regierung verpflichtet militär öffentlich zur loyalität
*

die katastrophale finanzielle lage von kalifornien und ahlreichen weiteren us-bundesstaaten ist schon länger bekannt, und so ist es denn doch zumindest für mich etwas überraschend zu erfahren, dass die dortige bundesregierung offenbar zuschauen will oder muss (?), bis einzelne staaten unmittelbar vor dem
sturz in den bankrott stehen, bevor auch hier eine art rettungsschirm aus washington kommt:

(...)"Gut fünf Jahre später droht nun die ganz große Kiste in die Luft zu gehen: der Staat Kalifornien selbst. Die achtgrößte Volkswirtschaft steht vor der Pleite. Seit dem Wochenende hat sie aufgehört, ihre Rechnungen zu bezahlen, die Behörden halten für 30 Tage Steuererstattungen an Unternehmen und Bürger zurück. Zuvor wurden schon 2000 Bauvorhaben an Straßen, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen gestoppt."(...)

und ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass dieser bankrott nicht mit allen möglichen mitteln vorläufig verhindert werden soll, weil ich die öffentliche und massenpsychologische wirkung nicht nur in den usa auf ein solches ereignis ähnlich einschätze wie der zitierte ökonom am ende des nächsten zitates - es wäre tatsächlich eine art fanal:

(...)""Dies ist die Woche, in der entweder etwas passiert - oder Kalifornien über die Klippe fällt", warnt Dan Walters, Kolumnist der Hauptstadtzeitung "Sacramento Bee". Mit markigen Worten hat auch Schwarzenegger seit Wochen Abgeordnete und Landsleute beschworen: "Kalifornien befindet sich im Notstand", ein "finanzielles Armageddon" drohe.

Der Gouverneur übertreibt nicht. "Das wäre der größte Kollaps eines Staates seit dem Zweiten Weltkrieg", sagt Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff. "Es wäre ein episches Ereignis, das die Märkte schockieren und die Rezession auf ein neues Level heben würde."(...)


selbst wenn man us-spezifisches parteipolitisches gezänk und die üblichen elitären machtkämpfe hinter den kulissen berücksichtigt und deshalb dazu neigen sollte zu sagen, dass hier womöglich aus verschiedenen interessen heraus die lage dramatisiert wird - ich fürchte, dass es für die dortige bevölkerung und speziell diejenigen, die eh schon die arschkarte haben, bereits dramatisch genug ist:

(...)Der "Golden State" hat über 40 Mrd. $ weniger in der Kasse, als bis Juni 2010 nötig sind. Seit Wochen gibt es Marathondebatten und Sondersitzungen, doch bislang konnte man sich nur auf Kürzungen in Höhe von 6 Mrd. $ einigen. Die Regierung muss handeln, überall, gnadenlos: Sie setzt Zahlungen an Lieferanten und Dienstleister aus, kürzt bei Universitäten und Schulen, kappt Zuschüsse an Alte, Blinde und Invaliden. Staatsangestellte bekommen Gehaltskürzungen und zwei Tage pro Monat Zwangsurlaub."(...)

und so wie geschildert sieht ein staatsbankrott nicht nur in kalifornien aus. in der realität produziert das weiteres elend und am ende auch irgendwann tote.

(...)"Längst hat sich die Krise durch das Land gefressen. Ein prominentes Beispiel: die Stadt Vallejo, 40 Meilen von San Francisco entfernt, 120.000 Einwohner. Sie hat bereits im Mai 2008 Insolvenz angemeldet.

Osby Davis, das Stadtoberhaupt, ist ein Mann mit zynischen Visionen geworden. "2015", sagt er, "soll alles wieder gut sein." Dann werde es wieder eine lebendige und sichere Innenstadt geben, dann werden erfolgreiche Unternehmen hier sein und Menschen seine Stadt besuchten, statt nur schnell durchzufahren. Davis hält inne, dann fügt er leise hinzu: "Die Leute sagen, dass ich so reden muss, weil ich hier der Bürgermeister bin." Der 63-Jährige sieht aus wie ein gealterter Barack Obama. Aber Überzeugungskraft und Entschlossenheit sind ihm völlig abhandengekommen. "Wir hatten in einem Jahr 4000 Zwangsversteigerungen."(...)


*

das letzte stichwort leitet auch gleich über zum nächsten thema: als antwort auf die steigende obdachlosigkeit in folge der zwangsversteigerungen und -räumungen ist jetzt einer us-kongreßabgeordneten, marcy kaptur aus ohio, der kragen geplatzt - und sie fordert die betroffenen zu einer
lösung auf, die tatsächlich die vernünftigste darstellt - wenn auch keinesfalls im kapitalismus und seinen heiliggesprochenen eigentumsverhältnissen gern gesehen:

(...)"If you're poor and the bank is coming for your home, Congresswoman Marcy Kaptur has a plan for you.

Just squat, she says.

Yes, this Ohio Democrat is actually encouraging her financially distressed constituents whose homes have been foreclosed upon, to simply stay put.(...)

"So I say to the American people, you be squatters in your own homes," said Congresswoman Kaptur before the House of Representatives. "Don't you leave."

She's called on all of her foreclosed-upon constituents to stay in their homes and refuse to leave without "an attorney and a fight," said CNN."(...)


der erwähnte bericht ist im folgenden video zu sehen:



es wird sehr spannend sein zu verfolgen, wie und ob sich eine solche aufforderung einer staatlichen repräsentantin, sich bewußt gegen den willen der banken und auch gegen die gesetze zur durchsetzung dieses willens zu stellen, weiter in den usa auswirken wird. ich könnte mir durchaus vorstellen, dass bei der inzwischen breit gekippten stimmung gegen die bankster und speziell unter obama solche aktionen zumindest zeitweise geduldet werden, alleine schon deshalb, um den aus regierungssicht vielfältigen gefahrenherd der massenhaften obdachlosigkeit - siehe auch die
krisennews spezial zu den usa - nicht weiter wachsen zu lassen.

*

die usa stehen ja nun, und damit zu einer wesentlich unerfreulicheren variante von möglichen reaktionen auf die krise, seit ein paar tagen in der öffentlichen diskussion unter dem verdacht der reanimierung des protektionismus - und "buy american" ist dabei eine aufforderung, die sich inhaltlich noch vielfältig steigern lässt, wie gerade in großbritannien zu beobachten ist - erstmals in dieser krise kommt es zu
wilden streiks, aber mit forderungen, die mehr als problematisch sind:

(...)"Mehr als 3.000 Arbeiter streiken seit dem Wochenende in elf britischen Ölraffinerien und Kraftwerken in ganz Großbritannien. Sie protestieren dagegen, dass für den Bau einer Entschwefelungsanlage in North Killingholme in der englischen Grafschaft Lincolnshire keine britischen Arbeiter eingestellt werden. Um das 200 Millionen Pfund teure Bauprojekt des französischen Total-Konzerns hatten sich fünf britische und zwei ausländische Firmen beworben. Den Zuschlag erhielt die italienische Firma Irem, und diese will die 400 Jobs an Arbeiter aus Italien und Portugal vergeben, weil sie billiger sind.

Die Proteste in North Killingham begannen bereits am Mittwoch. Der Betriebsratsvorsitzende Kenny Ward sagte den streikenden Arbeitern, sie müssen "gegen raffgierige Arbeitgeber" zusammenstehen. "Ich bin ein Opfer, ihr seid Opfer, Tausende in unserem Land sind Opfer dieser Diskriminierung, diesem Betrug am britischen Arbeiter."

Am Freitag kam es zu spontanen Solidaritätsstreiks in Nordirland, Wales und Schottland. Am Montag entscheiden die Arbeiter der Atomanlage Sellafield, ob sie sich ebenfalls beteiligen.

Die Streikenden haben sich ihren Kampfslogan vom britischen Premierminister Gordon Brown ausgeliehen. Der hatte auf seiner ersten Parteitagsrede nach seinem Amtsantritt 2007 die Parole ausgegeben: "Britische Jobs für britische Arbeiter."(...)


oder anders: er hat den nationalistischen tiger geritten, und sein "bedauern" darüber nehme ich ihm und generell leuten seines kalibers keineswegs ab - die wissen, was sie mit solchen parolen anrichten! und auch die gewerkschaften betreten sehr dünnes eis, wenn sie sich auf solche forderungen beziehen:

(...)" Gewerkschaftssprecher Bobby Buirds sagte: "Wir argumentieren nicht gegen ausländische Arbeiter, sondern gegen ausländische Firmen, die britische Arbeiter diskriminieren. Das ist ein Kampf um Arbeit. Es ist ein Kampf für das Recht auf Arbeit in unserem eigenen Land. Das ist nicht rassistisch."

Doch die Auseinandersetzungen nehmen immer mehr ausländerfeindliche Züge an. Die rechtsextreme British National Party (BNP) hat eine Delegation nach North Killingholme entsandt, um unter den Streikenden für Unterstützung zu werben. Die BNP hofft angesichts der Rezession, von der Großbritannien stärker als andere Industrienationen betroffen ist, auf einen Durchbruch bei der Europawahl im Sommer. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2 Millionen, die Wirtschaft wird in diesem Jahr um 2,8 Prozent schrumpfen, fast jeder zweite britische Arbeiter bangt um seinen Job."(...)


auch in sellafield wird mittlerweile gestreikt, und von den erwähnten vertragsarbeitern ist
folgendes zu vernehmen:

(...)"Laut einem Vertreter der Baufirma IREM herrscht unter den portugiesischen und italienischen Bauarbeitern "ein Klima der Angst". Einige seien bereits wieder abgereist. Eine Zeitung zitiert einen der Vertragsarbeiter mit dem Satz: "Immer wenn wir in die Stadt müssen, ist es ein richtiges Spießrutenlaufen."(...)

solche "krisenlösungen" wären dabei ganz im sinne des elitären "teile-und-herrsche"-spiels, und die mobilisierung nationalistischer und rassistischer affekte wäre gleichfalls eine nötige grundlage für die ganz große "lösung", die den "eliten" immer als letzte option bleibt - krieg.

(...)"Bisher kam es an 15 verschiedenen Orten zu Protestaktionen, an denen sich mehrere tausend Menschen beteiligten. Auf kopierten Blättern fordern einige von ihnen, dass einheimische Arbeiter bevorzugt behandelt werden sollten. Manche schwenken die englische Nationalfahne. "Nehmt zuerst Briten!" ist eine verbreitete Parole, noch häufigster aber ein Zitat von Gordon Brown: "Britische Arbeitsplätze für britische Arbeiter!"(...)

das die reste der organisierten britischen linken durch diese entwicklung in arge verwirrung gestürzt werden, ist zwar nachvollziehbar, aber keinesfalls hilfreich:

(...)"Dieser diffuse Charakter der Bewegung sorgt in der britischen Linken für völlige Verwirrung. Während einige ankündigen, die Streiks zu unterstützen, verurteilen sie andere als rassistisch. Die Initiative Campaign against Immigration Controls (CAIC) fordert von der Gewerkschaft Unite sogar, die Streiks zu beenden."(...)

welch ein unterschied zu frankreich, wo während des generalstreiks letzte woche nicht nur die gewerkschaften sich auch der forderungen der erwerbslosen annahmen, sondern auch die "legalen" und "illegalen" migranten mit ihren forderungen teil der massenproteste waren - trotz aller auch in frankreich vorhandenen rassistischen ressentiments. aber für großbritannien hatte ich eine solche entwicklung ja befürchtet - wieder ein fall, wo ich es hasse, recht zu bekommen.

*

und
das hatte ich im vergangenen jahr, irgendwann zu herbstbeginn und mit bezug auf die verhältnisse hierzulande, geschrieben:

"es muss also etwas mit der eigenen motivation, den verbreiteten inneren strukturen und auch mit der eigenen wahrnehmung zu tun haben, wenn hier bisher weiter "alltag" gespielt wird. ein wichtiger punkt ist dabei sicherlich die schon neulich aufgegriffene soziale trance, zu der die propagierung von "privatheit" (in der form als synonym von vereinzelung) sicher viel beiträgt. will sagen: uns fällt jetzt die allgemeine schädigung der beziehungsfähigkeiten (und damit auch schädigung der fähigkeiten zum kollektiven handeln) voll auf die füße. und als eine folge davon werden wir im zuge der weiteren eskalation der krise mit zunehmend destruktiver werdenden ängsten und aggressionen rechnen müssen"

und die werden jetzt nicht nur auf der insel, sondern auch hier immer
deutlicher:

"Arme Familien geraten nach Ansicht von Hilfsorganisationen wegen der Wirtschaftskrise zunehmend unter Druck. Mit der Krise entwickelten sich in Teilen der Gesellschaft «nicht zu übersehende Hassgefühle» gegen Hartz IV-Empfänger, sagte die Landesvorsitzende des Vereins sächsischer Tafeln, Edith Franke, am Freitag in Dresden. Dies sei eine gefährliche Entwicklung. Grund sei auch eine verzerrte Darstellung in der Öffentlichkeit.

Franke sagte, Leidtragende seien vor allem Kinder. Für sie sei es verheerend, wenn ihre Eltern pauschal als arbeitsunwillig und unfähig abgestempelt würden. Dabei wolle die weit überwiegende Zahl von Hilfeempfängern arbeiten, finde aber keinen Job."(...)


nun sind gerade die "tafeln" keinesfalls als speerspitze emanzipatorischer veränderungen anzusehen; und ebenfalls ist die aussage zu allgemein gehalten. trotzdem würde ich das sehr ernstnehmen, denn ich denke schon, dass hier erstens aus eigenen erfahrungen heraus berichtet wird, und zweitens sind die benannten hassgefühle - die bekanntlich unter tätiger und aktiver mitwirkung dieser und der letzten regierung mitproduziert wurden und werden - keinesfalls etwas neues, können aber in der krise massenhaft trigger zur aktivierung und verbreitung finden. und das ist brandgefährlich und macht es nötig, den bereits existierenden nazistrukturen so entschieden entgegenzutreten, dass sie weder zeit noch raum dazu finden, um diesen hass in ihrem sinne zu kanalisieren.

*

auch in russland haben faschisten diverser coleur seit längerem zulauf, aber nicht nur deshalb betrachte ich das land als einen weiteren problemfall in dem sinne, dass es im zuge der kriseneskalation auch dort zu diversen blutigen varianten von "lösungsversuchen" kommen könnte - noch sind die
proteste zwar relativ klein, aber in der vielfalt der bereits teilnehmenden gesellschaftlichen spektren ein vorgeschmack auf kommendes:

(...)"In Dutzenden russischer Städten sind am Wochenende mehrere tausend Menschen gegen die Wirtschaftspolitik des Kreml auf die Straße gegangen. Alleine im fernöstlichen Wladiwostok forderten 2.000 Menschen die Rücknahme der erhöhten Importzölle für ausländische Wagen - und gleichzeitig den Rücktritt von Präsident Medwedjew und Ministerpräsident Putin. In der Hafenstadt stammen 90 Prozent der Pkws aus Japan oder Korea. Organisiert worden war die Kundgebung von dem Club der Autoliebhaber und der Kommunistischen Partei. Gleichzeitig demonstrierten bei einer anderen Kundgebung 3.000 Wladiwostoker für die Regierung Putin.(...)

In Moskau hatten Menschenrechtler, Liberale, die "Union der sowjetischen Offiziere", Autoliebhaber, Kommunisten, die liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowski, Autonome, Anarchisten, die "National-Bolschewisten" und die "Bürgerfront" des ehemaligen Schachweltmeisters Garri Kasparow in über zwanzig getrennten Veranstaltungen gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung protestiert. Gleichzeitig hatten sich auf Moskaus größter Demonstration 8.000 Teilnehmer für die Politik von Medwedjew und Putin ausgesprochen. 41 Personen wurden, so ein Pressesprecher der Miliz, festgenommen, unter ihnen auch der Chef der verbotenen "National-Bolschewistischen Partei", Eduard Limonow."(...)


spezifisch russisch - oder besser: spezifisch für das system unter putin - sind dabei die regierungsfreundlichen gegendemonstrationen, bei denen ich gerne wissen würde, welche motivationen die teilnehmerInnen dort treibt. es ist allerdings für mich auch ein völlig offene frage, was in russland bei einer verschärfung der lage passieren könnte - von einem offen autoritären staat mit militärdiktatorischen zügen bis hin zu einem auseinanderbrechen/kollabieren der gesellschaftlichen strukturen kann ich mir vieles an unerfreulichen entwicklungen vorstellen. ich wäre auch sehr an berichten von menschen interessiert, die mit der situation dort besser vertraut sind.

(...)"Für Mitte Februar sind die nächsten Aktionen der Opposition geplant. Nimmt die Unzufriedenheit mit den Folgen der Wirtschaftskrise weiter zu, könnte die Protestbewegung der Regierungskritiker bereits im Frühjahr weiter anwachsen."(...)

wie werden es erleben - dürfen oder müssen.

*

zum schluß der heutigen news noch ein blick nach
china, wo der ökonomische crash inzwischen ebenfalls in enormer rasanz dimensionen angenommen hat, dass den dortigen - fälschlicherweise als "kommunisten" bezeichneten - herrschenden offenbar nichts anderes übrigbleibt, als mit für chinesische verhältnisse erstaunlich offenen karten zu spielen:

(...)"Die Finanzkrise und der Einbruch der Exportwirtschaft in China trifft vor allem eine Schicht besonders hart: die Wanderarbeiter. Rund 20 Millionen haben bereits ihre Arbeitsplätze verloren - das seien gut 15 Prozent der insgesamt rund 130 Millionen Wanderarbeiter, erklärte Chen Xiwen, ein ranghoher Beamter für ländliche Entwicklung, in Peking.(...)

Bis Ende des Jahres sei damit zu rechnen, dass 25 Millionen Menschen auf dem Land keine Arbeit hätten, sagte Chen. Das übersteigt die Bevölkerungszahl Australiens.

Manche Analysten gehen sogar von bis zu 40 Millionen Arbeitslosen aus."(...)


und regelrecht bemerkenswert finde ich den sehr demonstrativen einsatz von "zuckerbrot" -parallel mit vielfältigen versuchen, die soziale situation der wanderarbeiter zu verbessern...

(...)"Zugleich kündigte er ein gelasseneres Vorgehen der Behörden bei Unruhen und Demonstrationen an. Zuletzt waren vor allem Fabrikarbeiter im Süden aus Wut über ihre Entlassung auf die Straßen gegangen, dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei."(...)

...
und drohender peitsche:

(...)"Wie tief die Angst geht, zeigt auch, dass die Regierung bereits die Armee zum unbedingten Gehorsam gegenüber der Partei verpflichtet hat und dies auch in den staatlichen Medien berichtet wurde. Zwar wird erklärt, dass die Polizei nicht gleich eingeschaltet werden soll, wenn soziale Unruhen entstehen, aber offenbar rechnet man doch bereits mit gewalttätigen Ausschreitungen, zu deren Niederschlagung auch das Militär nötig sein könnte."

no comment.

notiz: das sind zustände, da kriegste zustände! berichte aus deutschen arbeitswelten

da scheine ich ja mal in meiner tv-abstinenz vorgestern wieder einen jener raren momente verpasst zu haben, bei denen sich das geflimmere lohnt - sowohl der tatort als auch die nachfolgende und meistens unsägliche "anne will" beschäftigten sich mit dem thema der arbeitsbedingungen bei hiesigen discountern. aus dem blog zur talkshow nun ein paar beiträge aus bis zur stunde über fünf sechshundert kommentaren, die absolut für sich selbst sprechen:

117. # murmel
31. Januar 2009 23:18 Uhr

"Hier mal einen kleinen Einblick in den Arbeitstag von mir und meinen Kollegen im Discounter.”2 Frauen haben freiwillig gekündigt,weil sie den Druck nicht mehr aushalten konnten,ein Kollege hat sich runterstufen lassen vom Filialleiter zum stellv.Filialleiter (weniger Stunden)und ein Kollege ist so nervlich kaputt das er jetzt beim Arzt war und am Montag zum Nervenarzt überwiesen wurde,ganz zu schweigen von den Kolleginnen die sich einen neuen Job gesucht haben und das alles in eineinhalb Jahre.Also…
Es gibt halbe Tage und ganze Tage.Die Pläne/es werden Wochenpläne geschrieben)sollen bis Mittwoch stehen,aber wir können froh sein wenn wir dann am freitag mal erfahren wie wir nächste Woche arbeiten können.Wenn wir ganze Tage haben fangen wir um 7 Uhr an und der Tag endet wenn wir glück haben um 20 .30 Uhr.Normal ist eher 20.45 bis 22°°Uhr.Geschrieben werden 10 Stunden.Nichtmal die Pausen können wir machen weil bei 1:1 Besetzung immer wieder geklingelt wird,weil die Kasse voll ist oder ein Kunde etwas nicht findet und die Kassiererin nicht von der Kasse weg kann.Ich habe noch nie in den 7 Jahren erlebt das ich eine halbe Stunde Pause machen konnte,von der Stunde Mittag ganz zu schweigen,im Gegenteil.Wenn es eine Kollegin wagen sollte 1 Stund Mittag zu machen wird sie doof angemacht,oder es wird zwischenzeitlich schon mal gefragt wie lange sie noch braucht,da man keine Zeit hat zum Pause machen.Wenn ich um 8 .15 Morgens anfangen soll und nicht um 8°°Uhr an der Kasse sitze,wird es weitergetragen zum BVL und es gibt Ärger.Es wird auch nahegelegt um 7°° Uhr anzufangen und den Kollegen zu unterstützen der Obst und Brot packt.Wir können auch in den sogenannten Pause nicht aus dem Betrieb raus um etwas zu erledigen ,da man nur 1.1 besetzt ist,und würde es jemand wagen,könnte derjenige sich wohl einen neuen Arbeitsplatz suchen.Was mir mal gesagt wurde,,Wenn ich jemanden raushben will,dauert das keinen Monat!!(Aussage unseres BVL Vorgängers).Dann werden verstärkt ,,Testkäufe mit unfähren Mittel gefahren,oder es wird etwas am Lehrgut gedreht oder,oder…..Meinem Kollegen wurde jetzt das Messer auf die Brust gesetzt.Wenn er sich innerhalb eines Monats nicht um 180 Grad dreht und in seiner Freizeit den Laden auf Vorderman bringt,seine Mitarbeiter nicht dazu anhält eher zu kommen und länger zu bleiben(natürlich ohne Bezahlung),kann er sich einen neuen Job suchen.5-15 Stunden die Woche sollten so extra drin sein,denn das Essen kommt durch Arbeit auf den Tisch und nicht durch Freizeit.Das ist Erpressung und schürt Existenzängste!!!Ich könnte noch ein ganzes Buch darüber schreiben was alles ist und was war.So,nun kann ich mir schon denken wie einige Reaktionen sind,,Warum sucht die sich nicht etwas neues.Ganz einfach ich bin über 40 und habe 3 Kinder und mich kann man nichtmehr so leicht kündigen,da müssen sie sich schon etwas einfallen lassen,da ich mir nichts zu schulden kommen lasse.Ich weiß zwar nicht wie lange ich diesem Druck noch gewachsen bin,aber noch gebe ich nicht auf."

136. # Oskar Franz
1. Februar 2009 10:47 Uhr

(...)"Mal kurz den Tagesarbeitsablauf einer Putzfrau, die ich gut kenne: Arbeitsbeginn 14 Uhr (zu zweit ein ganze Schule bis 16 Uhr saubermachen), dann zur nächsten Baustelle Kindergarten, auch zu zweit, bis 19 Uhr muss dieser sauber sein, dann von 19 Uhr bis 24 Uhr verschiedene Arztpraxen säubern. Keine Pause und die Überstünden werden auch nicht bezahlt, da Objektlohn. Um 23Uhr fährt der letzte Bus, also nach Hause laufen. Gegen 1 Uhr zu Hause, todmüde ins Bett. So was macht kein Akademiker für 5,14 Euro Stundenlohn brutto, denn der Mindestlohn für Gebäudereiniger wurde längst durch den Objektlohn ausgehebelt !"

192. # Stefan
1. Februar 2009 17:14 Uhr

(...)"Das diese hier thematisierten Zumutungen und Brutalitäten des Dienstleistungsgewerbes allerdings auf dem Bereich der Discounter beschränkt sein soll, ist mir völlig unverständlich.
Meine eigenen Arbeitnehmererfahrungen mit einem bekannten Versandhaus („Es gibt sie noch, die guten Dinge“) und deren Filialwesen sind deckungsgleich mit den inkriminierten Praktiken einiger Discounter: Die Abwesenheit jeglicher gewerkschaftlicher „Vertretung“, physische und psychische Vernutzung des Verkaufspersonals, willkürliche Kündigungen zwecks Ersetzung billiger und flexibler Aushilfskräfte mit Zeit- oder gar keinen Verträgen, Bespitzelung, Mobbing und Psychoterror von Seiten der Geschäftsführung mit tatkräftiger Unterstützung ausgewählter und besonders willfähriger Mitarbeiter usw.etc.pp…, gegen Mitarbeiter die sich für Mindeststandards einsetzten.

Das dieser saubere Laden sein Marketing und Imagegeschwurbel gerade mit öffentlicher „Verachtung gegenüber der höheren Wirtschaftlichkeit” gegenüber industrieller Massenproduktion und einen ökologisch/wertkonservativen Menschenbild sehr erfolgreich an den Mann bringt, ist nur ein kleiner zynischer Witz am Rande.
Discounter wie Schlecker, Lidl oder Aldi verschonen einen wenigstens mit dieser abgeschmackten und moralischen Selbstbeweihräucherung.

3 Jahre „Arbeitnehmertätigkeit“, davon gut insgesamt 10 Monate krankgeschrieben, 2 Kündigungschutzprozesse durch mehrere Instanzen und erhebliche gesundheitliche Folgerescheinungen, die mir fast für immer die Lampen ausgemacht hätten, wäre ich nicht ausgestiegen. Und das ging vielen ehemaligen Mitarbeitern so.
Niederschmetternd und desperativ waren aber die Erfahrungen mit „dem kleinen Faschismus“ in diesem Land, der totalen Entsolidarisierung und Vereinzelung der Kollegen, Ihre grenzenlose auf Angst gebaute Unterwürfigkeit, die in der Bespitzelung von Kollegen und dem Verfassen von „Verhaltensprotokollen“ gipfelte."(...)

208. # wolkenstern
1. Februar 2009 18:47 Uhr

"hallo,
bin seit über 10 jahren filialleiterin bei verschiedenen discounter-es ist auf keinen fall besser geworden.mit aller meinen minimalen möglichkeiten versuche ich mein personal zu schützen und begebe mich jedesmal auf sehr dünnes eis;solche filialleiter sind eben nicht erwünscht!wie im internet nachzulesen ist hat die edeka group min.13% steigerung zum vorjahr und wir müssen um jede stunde kämpfen.die stundenkräfte sind fein raus bei ihrer bezahlung aber vollzeitkräfte und azubis werden unmenschlich ausgenutzt da diese nur ihr grundgehalt erhalten und überstunden eine selbstverständlichkeit sind ja ein MUß-wer es nicht mitmacht fliegt halt.wir haben 2009 und ich kann nicht verstehen warum hier der gesetzgeber immer noch nicht handelt.anständige arbeitszeitgesetze ohne lücken und betrugs möglichkeit! klar geht arbeit vor arbeitslosigkeit aber es geht auch gesundheit vor krankheit und mich würde mal sehr intressieren wieviel langzeitkranke,chronisch u.s.w. wir momentan aus dem discount bereich haben!"

223. # Uwe
1. Februar 2009 20:03 Uhr

Ehemaliger Aldi Marktleiter
Folgendes hat sich bei mir zugetragen.
Eine Angestellte im 7 Berufsjahr wurde zu teuer.
Ich bekam vom Bezirksleiter die Anweisung “die muss weg ist zu teuer“
Ich habe nichts unternommen (Diebstahl unterschieben u.a)
Dann wurde ich aus meinem Urlaub zu Feierabend in die Filiale bestellt.
Der Bezirksleiter setzte mich und die Angestellte in den Aufenthaltsraum.
Der BZ-Leiter plusterte sich in seiner Manneskraft auf und warf der Angestellten Diebstahl vor. Sie stritt ab .Er wurde lauter und drohte!! Der BZ-Leiter erhöhte die Drohungen bis die Angestellte endlich nach gab und unter Tränen ihre Eigenkündigung schrieb.
Dann gingen alle nach Hause .Ich wusste nicht wie mir geschah.
Die Angestellte ging vor Gericht.
Ich musste aussagen.
Vor meiner Aussage wurde mir nahe gelegt das ich Alleinverdiener bin 3 Kinder und Gebaut habe. Ich würde doch wissen wer mein Arbeitgeber ist.
Ich der Zwangslage und unter Angst meine Existenz zu verlieren habe ich doch die Wahrheit gesagt.
Danach wurde ich so lange gemobbt bis ich selbst gekündigt habe.
Ein ex Aldi Marktleiter"

225. # Indianer
1. Februar 2009 20:15 Uhr

"Bin gelernte Fleischereifachverkäuferin und seit 23 Jahren im Verkauf tätig.Ob als Verkäuferin, stellvertretende Marktleiterin, an der Fleischtheke oder als Abteilungsleiterin Fleischtheke.Habe erst in einem Unternehmen Tariflohn bekommen,wenn du zu teuer wirst versucht man dich loszuwerden,mir ist es so ergangen und habe nach 9 Jahren in der Firma aufgehört. Beim Versuch einen neuen Job zu bokommen gab es nur absagen oder ich hätte von anfang an nur 7-8 Euro bekommen. Ich habe festgestellt wenn du Tariflohn haben möchtest stellt dich keiner ein.Jetzt arbeite ich auch wieder, natürlich weit unter Tarif.Ich frage mich wo das noch alles hinführen soll!"

256. # Cubanze
1. Februar 2009 21:31 Uhr

"Das ist doch nicht nur bei den Discountern so - Beispiel Baubranche: Ein Bekannter von mir arbeitet in einem deutschen Bauunternehmen : Bei Krankschreibungen werden den Mitarbeitern vorher geleistete Überstunden abgezogen, d.h. Sie bekommen zwar Lohnfortzahlung, aber nicht das Entgelt für die vorher geleisteten Überstunden. Beim Auslandseinsatz erhalten die Mitarbeiter extrem niedrige Auslöse, die Firma bestätigt das nicht mal, so dass die Kollegen nicht einmal die Möglichkeit haben, die Differenz bei der Einkommenssteuererklärung geltend zu machen.
Ich gebe zu, naiverweise hab ich gefragt: Wieso macht ihr das mit? Das ist doch bestimmt nicht legal? - Bittere Antwort: Uns wird gesagt: Kannst ja klagen, aber dann bist den Arbeitsplatz nicht nur bei uns los….
Wenn ich mir vorstell, dass mein URgroßvater auf die Straße gegangen ist, um solche Verhältnisse zu verändern…."

273. # Rico
1. Februar 2009 22:04 Uhr

"Nicht nur im Discount-Bereich gibt es diese Missstände!
Ich selbst habe einige Zeit in einer in Göttingen ansässigen Bäckerei-Kette gearbeitet. Gang und Gäbe ist es dort z.B., dass man 4! befristete Arbeisverträge bekommt - befristet auf 6 Monate.
Betriebsräte gibt es keine - es wurde zwar einmal eine Betriebsratswahl angedacht, allerdings waren die Kolleginnen nicht mehr sehr lange in der Firma.
Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall wurden einfach mal um 30% gekürzt. Nachdem diese Geschichte in die Öffentlichkeit geriet, hieß es von der Firmenleitung: Das wären 3 oder 4 Einzelfälle, die als erzieherische Maßnahme gedacht war - also für Arbeiter, die blau machen. Ich persönlich war bis dato nie krank gewesen, hatte einen Wegeunfall und die rechte Hand in Gips - trotzdem wurde auch bei mir die Lohnfortzahlung um 30% gekürzt."

281. # Spatz
1. Februar 2009 22:14 Uhr

"Ich denke schon, dass der Tatort realistische Zustände schildert. Ich selbst arbeite in einem kleinen Unternehmen, in dem festangestellte Mitarbeiter keinerlei Überstunden bezahlt bekommen, und Minijobber haben bei Krankheit einfach das Nachsehen - kein Geld - also sieht man zu, dass man auch krank mit Grippe arbeiten geht! Eigentlich sind konkrete Zeiten für die einzelnen Tätigkeiten vorgesehen, aber wenn man eine Arbeit schneller - und trotzdem sehr gut - erledigt als vorgesehen, bekommt man eben noch etwas zu tun - früher wurde es zeitlich honoriert und man durfte früher gehen… Wenn man allerdings mal ein paar Minuten später auf Arbeit erscheint, hat man das hinten dranzuhängen! Und das, obwohl man in den seltensten Fällen ganz pünktlich geht!Ich nenne das Ausbeutung, und ihr??? Aber man hat ja keine Chance - wer aufmuckt, kann sich wahrscheinlich gleich nach nem neuen Job umsehen…
Das Schizophrene daran ist, dass vor den Mitarbeitern der Chef dann noch ganz laut von dem Penthouse erzählt, das er sich kaufen will - wir schuften für seinen Traum, ist doch klasse, oder?!
Übrigens: das Unternehmen ist in seiner Branche MARKTFÜHRER…"

286. # Armin Günther
1. Februar 2009 22:17 Uhr

"Wer meint , Schikane und Androhung körperlicher Gewalt wäre auf Billigdiscounter beschränkt, der irrt gewaltig. Ich bin seit 25 Jahren in der IT Branche tätig und habe in den letzten Jahren mehrfach gleiche Erfahrungen gemacht. Aktuell bin ich bei einem deutschen Handy Anbieter (can do ) beschäftigt. In dem Bereich, in dem ich tätig bin werden die Mitarbeiter massiv eingeschüchtert und ihnen im Falle eines Fehlers in der Software Prügel angedroht. Die Vorgesetzten kennen diese Verhältnisse und finden diese offenbar in Ordnung. Man fragt sich, welche Ergebnisse sich Manager von einem solchen Arbeitsklima erwarten."

291. # Veit Ywolop
1. Februar 2009 22:22 Uhr

(...)"In Vertretung eines Freundes möchte ich Folgendes berichten: Bei Amazon in Leipzig herrschen harte Arbeitsbedingungen. Mein Freund ist Picker bei Amazon, d.h. er sammelt aus den Lagerregalen die Waren von Bestellungen zusammen. An einem Tag kommen da 20 km Wegstrecke (zu Fuß!) zusammen. Was ein Picker zusammen sammeln muss, zeigt ihm ein Computer an, der auch gleichzeitig alle Arbeitsaktivitäten registriert. Es gibt nur kurze Pausen - wenig Zeit für Essen, Toilette, Ruhe. Aufgrund der Größe der Lagerhalle gehen von der Pausenzeit schon mind. 5 Minuten für den Weg aus der Halle heraus drauf. Wer zwei Minuten zu früh in die Pause geht (der Computer weiß alles!), wird abgemahnt. Rennen ist verboten. Beim Treppensteigen muss das Geländer festgehalten werden. Arbeitssicherheit! Mein Freund hat sich mit der Situation arrangiert. Wer sich an die Regeln halte, komme gut durch, auch wenn es hart ist. Eine Arbeitsnehmer/innenvertretung gibt es nicht - darf es auch nicht geben."

294. # markus
1. Februar 2009 22:22 Uhr

"Dieser Umgangston und vor allem der Umgang mit Mitarbeitern auf Basis der Angst ist ja nun beileibe nicht exklusiv im Diskounterbereich anzutreffen. Seit Jahren wird im Pressebereich ebenso mit den Leuten umgegangen. Honorare gedrückt und Anstellungsverträge außerhalb des Tarifbereichs geschlossen, dafür verlassen die Verlage ihren Verlegerverband. Nicht die Verlagsspitze, sondern ganze Verlagsteile wie Lokalredaktionen, die in kleine GmbH aufgesplittet sind, die außerhalb des Verbandes sind und daher nicht tarifgebunden. Die ach so armen Verlage müssen ja sparen, und mit Drohungen werden da die Mitarbeiter klein gehalten. Zumal diese kleinen GmbH auch keine Möglichkeiten mehr haben, einen Betriebsrat zu bilden. Da stellt sich nun die schwierige Frage: wer kontrolliert die Medien? Die Plattformen, die Zustände in anderen Bereichen anprangern und es selbst großenteils noch viel schlimmer treiben?"

298. gabrielle
1. Februar 2009 22:24 Uhr

"Das ist nicht nur Gang und gebe im Einzelhandel!
Ich habe vor eine monat in Mönchengladbach als Hilfskraft im Krankennhaus
mit 50 Jahren als Halbtags Kraft Vertrag auf 30!!! Std Woche gearbeitet.
nun wurde mir nahegelegt da aufzuhören,wenn es mir nicht passt,wennn…
Das Linke dadran war nämlich ,ich musste die Woche ca 50 Std arbeiten,
und konnte mich nicht dagegen wehren !!!
Ich bin fetrig mit den nerven , denn sowas darf es einfach nicht geben !!"

301. Matthias Baumann
1. Februar 2009 22:27 Uhr

(...)"Die Discounter sind sicher ein Wirtschaftszweig, in denen solche Zustände Alltag sind und besonders schlimm. Allerdings haben wir das in allen Wirtschaftszweigen (wenn auch in unterschiedlicher Ausprägungen). Das Jugendhilfswerk Freiburg e.V. ist ein Beispiel für die exakt gleichen Zustände im Bereich der Sozialarbeit. Der Geschäftsführer entlässt rigoros jeden, der Kritik übt. Es gibt einen Betriebsrat, der von ihm dieses Jahr aufgelöst werden wird. Die Fluktuation in der Mitarbeiterschaft ist riesig. Ich selbst habe dem Geschäftsführer in einer Sitzung widersprochen (ich war damals studentische Hilfskraft). Zwei Jahr später habe ich mich nach Abschluss des Studiums beim Jugendhilfswerk beworben. Im Vorstellungsgespräch wurde ich darauf hingewiesen, dass ich dem Geschäftsführer einmal widersprochen hätte, und dass man von mir in einem Arbeitsverhältnis ein untadeliges Verhalten erwarten würde. Seltsamerweise verschwand meine Bewerbung nach Kündigung eines kritischen Mitarbeiters der Freien Schule des Jugendhilfswerks eine Woche später, und konnte auf meine Anfrage (bis heute) nicht wiedergefunden werden. Ähnliche Geschichten könnte ich aus den Führungsebenen der SMT (Zeiss) in Aalen erzählen."

307. Christina
1. Februar 2009 22:31 Uhr

"Leider ist diese Klima der Angst nicht nur im Einzelhandel oder bei Discountern zu beobachten.
Der Inhaber eines im Saarland beheimateten Dienstleistungsunternehmens sagt seit über zehn Jahren immer wieder seinen über 400 Angestellten, dass er, sobald ein Betriebsrat ins Leben gerufen werden soll, er das gesamte Unternehmen dicht machen werde und alle gekündigt werden. Es gibt keinen Beriebsrat.
Eswird immer wiederUrlaub verweigert, dieser darf nicht über den 31.03. mitgenommen werden, Überstunden sollen nicht geschrieben werde, diese werde sowieso nicht abgegolten. Wer nicht mitmacht, der sollte sich besser was anderes suchen.
Wie gesagt, das alles nicht in dem geschilderten Discouter-Umfeld, sondern in einem Unternehmen mit hochbezahlten Spezialisten, denen auch fundamentalste Gesetze nicht zugesprochen werden."(...)

312. # Achim
1. Februar 2009 22:35 Uhr

"Mein Betrieb macht es sich zum Sport, Mitarbeitervertretung zu verhindern, Mitarbeiter einzuschüchtern. Mein Supervisor hat mir kürzlich untersagt, einen Verbesserungsvorschlag ohne seine Zustimmung einzureichen. Von meiner Teamleiterin bekommen wir zu hören: Stellt Euch darauf ein, daß Samstag gearbeitet wird. Bei einem wirklich schweren grippalen Infekt im letzten Jahr rief mich der Supervisor an und fragte mich, ob ich mir nicht überlegen wolle, früher als vom Arzt befürwortet zur Arbeit zu erscheinen. Ich bin dann aus Angst und weiter Antibiotika schluckend krank zur Arbeit gegangen."

337. # kasy
1. Februar 2009 22:50 Uhr

"Aus mehr als 20 Jahren Einzelhandel kann ich jede Szene des Tatorts nur bestätigen und unterstreichen - Originalantwort bei einer Führungsschulung auf die Frage wie denn langjährige Mitarbeiter (die dem Unternehmen zu teuer werden) “gekündigt”werden soll - “mein Gott - da findet man dann eben mal ein unbezahltes Päckchen Kaffee im Spind” Bezahlt wurden 168Std - erwartet 190Std und am Monatsende waren es meistens weit über 230Std / als Führungskraft - eingetragen wurden pro Tag natürlich nur 10 Std und
die angeblichen Frühstücks/Mittag und Kaffeepausen - Umsatz soviel als möglich mit so wenig als möglich Personal - die Geschäftsleitung hat stets betont nur durch die gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat wäre ein “reibungsloser Ablauf” gewährleistet - was das für den Mitarbeiter der Hilfe gesucht hat bedeutet kann man sich denken - nach über 20 Jahren konnte und wollte ich nicht mehr - nach einem Berufswechsel
gehts mir heute wieder gesundheitlich sehr gut - und ich bin froh,dass ich den Absprung geschafft habe -Übrigens: Ich war in KEINEM Discounter beschäftigt!!"

347. # Birgit
1. Februar 2009 22:58 Uhr

"Über acht Jahre habe ich bei Obi genau die Szenarien erlebt,die im Tatort geschildert wurden.Detektive,die Privatgespräche protokollieren,unzählige Überstunden und Sonntagsarbeit ohne Bezahlung(von den Mitarbeitern verlangt,um sich den Arbeitsplatz zu erhalten),Testkäufe,fingierte Abmahnungen und Kündigungsgründe,um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden,klare Androhung von Repressalien,falls sich jemand gewerkschaftlich engagieren sollte,u.s.w.Die Vorgänge in der Tatort-Billy-Filiale waren eine perfekte Darstellung meines damaligen Arbeitslebens,bis ins kleinste Detail. Aus Angst vor Kündigung habe ich all dies ertragen Als dann doch eines Tages die Kündigung kam,vor der ich immer Angst hatte,war ich zu meiner eigenen Verblüffung überglücklich. Seitens der Marktleitung versuchte man dann durch massive Drohungen,mich zum Verzicht auf jegliche Kündigungsfrist und Entschädigung zu bringen und einen entsprechenden Vertrag unterzeichnen zu lassen.Ich habe mich nicht einschüchtern lassen und vorm Arbeitsgericht Recht bekommen. Heute arbeite ich glücklich mit viel Freude in einem Familienbetrieb mit einem Chef,der seine Mitarbeiter korrekt und freundlich behandelt."(...)

433. Franziska
2. Februar 2009 07:41 Uhr

"Habe über 30 Jahre bei einem “global player” gearbeitet, dem ganz und gar nicht der Geruch des Ausbeuters anhaftet.
– Um ½ 7 Uhr die Zeituhr gestochen (wegen der Zeit verschobenen Wirtschaftsverbindungen zu China und Japan)
– Frühstück- und Mittagspause natürlich vor dem PC verbracht (wegen der Echtzeit-Wirtschaftsverbindungen im Inland; “man” sagt ja keinem Kunden am Telefon, er möge in einer halben Stunde anrufen, man habe gerade Pause)
– Nach Ende der regulären Arbeitszeit um 15.15 Uhr natürlich weiter bis ½ 7 Uhr am PC gearbeitet (wegen der Zeit verschobenen Wirtschaftsverbindungen zu USA und Kanada).

Summa summarum pro 5-Tage-Woche: 60 Stunden “Dienst”, davon 40 Stunden bezahlte Regelzeit, 10 Stunden auf Gleitzeitkonto (maximal 100 Stunden, die – wann denn bitte? – abzufeiern sind; Rest verfällt,), 10 Stunden unbezahlte Überstunden (”über die Vergütung reden wir dann mal später”). Die Stunden für die Firma an den Wochenenden vor dem privaten PC zu Hause waren natürlich Privatvergnügen.

Ich habe noch das Bild des Konzernchefs vor Augen, hinter dem eine verhuschte und graumäusige Sekretärin in gebührendem Abstand einen schweren Reisetrolley voller Akten zog, während er mit wehendem Mantel in bester Laune andere Industriekapitäne begrüßte. Der Mann kommt übrigens aus dem hier immer wieder so hoch gelobten und ach so sozialen Schweden."(...)

483. # Wolfgang Kunze
2. Februar 2009 10:50 Uhr

"Dieses findet nicht nur bei den Discountern statt, sondern auch in der Pflege speziell in der Seniorenpflege.
Da werden auch massiv die Daumenschrauben angezogen, das Dienstpläne nicht relvant sind , man weiß nicht wie man am nächsten Tag arbeiten muß. PDL (Pflegedienstleitung) keine Menschlichkeit gegenüber Bewohner und Mitarbeiter hat.
Dauereinsatz am Wochenende keine Ruhephasen. Es wird auch gerne mit Zeitarbeitsfirmen gearbeitet.
Mir persönlich ist es passiert das ich fristlos entlassen wurde, ohne Grund von Angaben. Bin schon 18 Jahre im Seniorenheim beschäftig."(...)


weitere berichte sind vorhanden aus der hotelbranche, dem öffentlichen dienst, der metallindustrie, non-food-einzelhandel... lesen Sie´s selbst, das hier soll nur eine art auszugsweiser dokumentation sein. ebenfalls sind die gedanken interessant, die sich viele schreiberInnen dort generell machen, und erfreulicherweise auch gedanken sehr grundsätzlicher art. nebenbei: es mag erstmal keine weitere bedeutung haben, aber ich habe noch nie so oft wie in diesen tagen in vielen "großen" online-medien-foren das wort "revolution" gelesen. ein vorhaben, welches aber gerade hier auf ein hindernis stößt, das sich im folgenden - und letzten - beispiel aus dem aw-blog fast perfekt manifestiert:

4. # Nora
30. Januar 2009 15:56 Uhr

"In diesen wirtschaftlich schlechten Zeiten werden wir sicher andere Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen.Konkurrenz überall und Firmenpleiten lassen jeden der einen Arbeitsplatz hat,bescheidener werden.
Ich glaube, wir haben keine andere Wahl als dieses so hinzunehmen
.Wenn ich an die Staatsverschuldung denke,wird mir “Angst” und “Bange”. Wie will Deutschland je DIESE Schulden wieder losweren.? Nur wenn alle , in den” oberen “wie in den” unteren” Etagen der Firmen mitmachen, kommen wir wieder aus dieser schweren Zeit heraus."


"nora" dürfte in verschiedener hinsicht als perfekte repräsentantin eines großen teils der hiesigen bevölkerung gelten - willig, die lügen der "eliten" für bare münze zu nehmen; demütig die zuteilung ihres platzes in der hierarchie erwartend; und zum krönenden gipfel voller identifikation mit "deutschland" und sehnsucht nach der volksgemeinschaft. ein echtes schaf, aber der potenziell bösartigen sorte.

lassen wir die "noras" damit durchkommen?

(ps. als ergänzung sei auch noch auf den folgenden älteren beitrag verwiesen:
wo die angst regiert

Samstag, 31. Januar 2009

notiz: krisennews spezial - erster klartext im mainstream als indiz dafür, dass es jetzt endgültig ernst wird? [update]

die online-"zeit" kommt aktuell gerade mit einem aufmacher unter der überschrift Jetzt mal ehrlich raus, und der text hat es durchaus in sich bzw. bestätigt etliches an vermutungen und befürchtungen, die bei vielen menschen schon lange "in der luft" liegen. das beginnt bereits mit dem eingeständnis der eigenen rolle der sog. "vierten gewalt" - unabhängige, gar investigative berichterstattung von mainstreammedien? wer diese simulation immer noch mit der realität verwechseln sollte, wird hier auf den boden der letzteren zurückgeholt:

(...)"An jenem Mittwochabend luden die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister die Chefs der wichtigsten Zeitungen ins Kanzleramt, um ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Die lautete: Wir wissen zwar nicht genau, was in zwei oder drei Wochen ist, aber würden doch sehr herzlich um Ihr Vertrauen bitten und vor allem darum, dass Sie keine schlechte Stimmung machen, denn dazu ist die Lage zu ernst."(...)

in offenen diktaturen sind es befehlsartige richtlinien aus den jeweiligen propagandaministerien; in der demokratiesimulation werden "bitten" formuliert, bei denen die unendlich subtileren methoden der möglichen einflußnahme mit aller wahrscheinlichkeit unausgesprochen, aber deutlich im raum stehen, während die gemeinten nur zu gut wissen, was ihnen blühen kann, falls sie die "bitten" ignorieren sollten. aber vorher greift noch die pressespezifische version von "wir-sitzen-doch-alle-in-einem-boot" in form der kette regierung/systemtragende parteien - mehr oder weniger kapitalkräftige verleger - lohnabhängige redaktionen, bei denen sich vor allem letztere in der regel bemühen, die these vom materiellen sein, welches das bewußtsein bestimmt, nach kräften zu verifizieren. anderes ist und war eigentlich auch nie zu erwarten, aber trotzdem ist es begrüßenswert, wenn die simulation einmal von seiten der simulierenden auch als solche kenntlich gemacht wird.

nun stellt sich natürlich die frage, warum so ein text gerade jetzt? ist das folgende der einzige grund?

(...)"Die vertrauliche Äußerung eines Spitzenmannes der SPD bringt es auf den Punkt. Die Stimmung, meint er, ist besser als die Lage. Er sagt es mit Sorge, weil er fürchtet, die Leute seien zu wenig vorbereitet auf das, was bevorsteht."(...)

seit wann "sorgen" sich angehörige der politischen "elite" ernsthaft um "die leute"? nach aller historischen erfahrung doch immer nur dann, wenn entweder wahlen bevorstehen oder aber in den seltenen fällen, in denen spezifische geschichtliche konstellationen dafür sorgen, dass die jeweiligen "eliten" selbst um ihre hälse und pfründe fürchten.

und "das, was bevorsteht", meint nach meiner meinung genau eine solche konstellation. und der zeitpunkt ihres eintretens hierzulande wird im artikel sogar genau benannt, er steht faktisch vor der tür:

(...)"Spätestens im März wird Deutschland voll von der Wirtschaftskrise erfasst, dann werden sich die Firmenpleiten häufen und die Arbeitslosenzahlen steigen. Die Leute ahnen das, ihnen schwant, dass die Regierung keinen rechten Plan hat, so wenig übrigens wie die Zeitungen.

Die Wahrheit drückt sich durch. Darum wird das Land nicht mehr aus der Krise kommen, indem viele nicht alles wissen, sondern eher dadurch, dass alle alles wissen, was man wissen kann. Es ist an der Zeit, alle Karten, auch die gezinkten, auf den Tisch zu legen. Was ist die Natur der Krise, was wissen die Politiker, die Banker und die Experten, was sind die Motive ihres Handelns?"(...)


auf die letzten fragen geben die autoren in neun punkten ihre antworten, die immerhin einen größeren anteil von realität aufweisen als das weitaus meiste, was bisher zu vernehmen war - man muss gar nicht mal zwischen den zeilen lesen, um zum fazit zu kommen, dass die ganze situation momentan eine eigendynamik entwickelt hat, die nicht mehr unter kontrolle ist - und das ist durchaus kein widerspruch zur beobachtung, dass es auch vereinzelte krisengewinnler gibt. was aber immer noch nicht offen gesagt wird: das wir es hier mit einer ausgewachsenen globalen systemkrise des kapitalismus - die in seiner immanenten struktur begründet liegt - zu tun haben, nicht mehr mit einer zyklischen krise im kapitalismus. eine ahnung zumindest scheinen die autoren auch davon zu haben:

(...)"Die sonstigen Krisen dieser Welt werden keine Pause machen, bis die Weltwirtschaft wieder im Lot ist. Im Gegenteil. Sinkende Rohstoffpreise, der schrumpfende Handel und steigende Staatsschulden werden allerorten die Widersprüche verschärfen. Wenn im Kongo ein Warlord verhaftet wird, in Island die Regierung zerbricht oder in Griechenland Aufstände ausbrechen, so hat all das mit der Wirtschaftskrise zu tun. Was jahrelang mit Geld zugedeckt werden konnte, bricht nun auf.(...)

So erzeugt die wirtschaftliche Depression politische Umwälzungen und Konflikte in hoher Zahl und Intensität. Die Menschheit geht durch eine heiße Phase."(...)


was aber trotzdem nur die halbe wahrheit ist - in vergangenen krisennews hier oft genug angesprochen, lässt sich das derzeitige geschehen auch als ausdruck des ankommens an den absoluten grenzen des exponentiellen wachstums verstehen, welches für das heutige system unverzichtbar ist - die ökologischen folgen v.a. hinsichtlich des klimas und daraus folgende migrationskrisen, der ressourcenverbrauch und absehbare peak bei vielen rohsotffen wie öl und - noch bedeutender und fataler - trinkwasser, die massive psychosoziale verelendung aufgrund traumatisierender sozialer verhältnisse und anderes mehr sorgen für einen wahrhaft furchterregenden mix, der just in diesen zeiten beginnt, endgültig überzukochen. "Die Wahrheit drückt sich durch" - wir werden in den nächsten tagen und wochen beobachten können, ob das erstens nur ein vereinzelter ausrutscher gewesen ist, und was das eventuell zweitens seitens der "eliten" für neue handlungsstrategien bedeuten könnte. wobei zum letzteren immer im hinterkopf präsent sein sollte, dass diese leute primär ihr eigenes überleben sichern wollen.

das ganze lässt sich natürlich auch als versuch betrachten, mittels "neuer" aufrichtigkeit so etwas wie vertrauen in der herde zu erzeugen - ich verstehe den artikel jedoch persönlich v.a. als zeichen dafür, spätestens jetzt die sicherheitsgurte anzulegen und den helm aufzusetzen - die finale crashfahrt hat begonnen.

*

edit: das eingangs erwähnte treffen von regierung und presse soll laut "zeit" am achten oktober stattgefunden haben, und mir ist gerade erst aufgegangen, dass das neben dem schon oben beschriebenen grundsätzlichen aspekt auch eine weitere bestätigung für das ist, was ich hier geschrieben habe -
im oktober war tatsächlich ein bank run im gange. vom datum her passt es genau.

elitäre sprechblasen auf geniale art & weise restlos kenntlich gemacht

da ich mich mal wieder mitten in der nacht ziemlich wach fühle und momentan ein blick auf die einschlägigen newsseiten regelmäßig für eine unangenehme mischung aus wut und ratlosigkeit sorgt, hatte ich gerade das dringende bedürfnis nach einem grundsätzlichen stimmungswechsel. und das brachte mir nach kurzer zeit einen der besten humoristen des 20. jahrhunderts ins gedächtnis - vicco v. bülow alias loriot, als dessen markantestes kennzeichen bei seiner arbeit immer noch das dominiert, was beim vergleich die heutige mediale humorindustrie ebenfalls in ihrem wesen bloßstellt: auch wenn er jemanden in unnachahmlicher weise als unendlichen dummkopf herausgearbeitet hat, so war das doch in keinem sketch, an den ich mich erinnern kann, irgendwie verletzend. und das finde ich schlicht und einfach immer noch das erstaunlichste, neben der ganz eigenen qualität des humors natürlich.

letzterer kommt hier im blog schlicht zu kurz, aber bei den themen hier habe ich auch meistens mit ganz anderen gefühlen zu tun, bei denen mir oft genug jedes lachen vergeht. vermutlich aber gerade deswegen haben mir die folgenden jahrzehntealten beiträge zunächst ein breites grinsen aufs gesicht gezaubert, dem ein befreiendes lachen folgte. und wie hieß noch die halbvergessene parole damals?

"ein lachen wird es sein, das sie besiegt!"

nun denn, hier die perlen in form einiger der brillantesten politischen und ökonomischen äusserungen, die jemals zu hören waren.









Donnerstag, 29. Januar 2009

notiz: krisennews und -gedanken (20)

heute unter anderem mit folgenden themen:
  • griechenland: militante proteste von staatsbeamten und bauern
  • generalstreik in frankreich: hohe beteiligung quer durch die bevölkerung; eine million menschen bei ca. 200 demonstrationen auf der straße
  • großbritannien: bericht und einschätzung zur sozialen situation
  • hiesige großbanken und ihre parteispenden
  • warnung vor humanitärer katastrophe als krisenfolge in sog. "entwicklungsländern"
*

griechenland ist momentan in den allermeisten medien nur noch im zusammenhang mit einem möglichen staatsbankrott ein thema, und das ist zwar bedauerlich, aber auch bezeichnend - vor allem deswegen, weil es interessant wäre zu sehen, wie der hiesige mainstream sich beim versuch verrenken würde,
solche ereignisse im üblichen raster von "krawallsüchtigen linksextremen jugendlichen" unterzubringen:

"Im Zentrum Athens haben sich am Mittwoch Staatsbeamte und Polizisten geprügelt. Rund 800 Staatsbedienstete - in ihrer Mehrheit Gewerkschaftsvertreter aus allen Landesteilen - protestierten gegen Probleme mit der Pensionskasse und versuchten ins Wirtschaftsministerium einzudringen. Dort wollten sie mit Spruchchören ihren Forderungen Nachdruck verleihen. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein. Dabei kam es zu Rangeleien und Prügeleien, wie das Fernsehen zeigte."(...)

(ich kann das betretene schweigen in vielen redaktionen beim eintreffen dieser meldung förmlich hören...) ebenfalls unerwünscht dürften auch berichte darüber sein, welche weiteren berufs- und bevölkerungsgruppen dort mittlerweile in aufruhr sind:

(...)"Die seit über einer Woche andauernden Straßenblockaden griechischer Bauern, die mehr staatliche Hilfen fordern, bröckeln indes allmählich. In der Nacht zum Mittwoch gaben sie die Brücken über dem Kanal von Korinth wieder frei. Damit ist eine der wichtigsten Straßenverbindungen Griechenlands zwischen der Halbinsel Peloponnes und dem übrigen Land wiederhergestellt. Auch die Blockade des Grenzübergangs zur Türkei bei Kipoi-Ipsala wurde beendet, berichtete das griechische Radio weiter.

Dagegen blieb die Lage im Norden des Landes trotz Abzugs hunderter Traktoren von einer Blockade bei Larissa gespannt. Bauern blockierten weiterhin mit Traktoren und schwerem Gerät zwei wichtige Grenzübergänge zu Bulgarien.(...)

Angesichts sinkender EU-Subventionen und fallender Weltmarktpreise fordern die Bauern aber mehr Hilfe vom Staat. Sie betonen, sie hätten in den vergangenen zehn Jahren 24 Prozent ihres Einkommens verloren."(...)


das es zu den jeweiligen forderungen auch durchaus kritisches anzumerken gibt, werde ich später nochmal aufgreifen.

*

im gegensatz zum oben erwähnten schweigen bezgl. griechenland kann der heutige generalstreik in frankreich nicht einfach unter den tisch fallen gelassen werden, und ein erster rundblick durch die medienlandschaft fördert teils
überraschendes zutage:

(...)"Hier in Bordeaux beispielsweise war der Aufmarschplatz, von dem die Demonstration um 10.30 Uhr aufgebrochen war, um 13:00 immer noch rappeldickevoll, und es trafen noch mehr Streikbelegschaften aus der Region Gironde ein. Docker, Postler, Lehrer.

Gut gelaunt lärmende Schüler mit selbst gemalten Plakaten beispielsweise und Banker mit Schlips. Arbeiter im Blaumann tragen Transparente, die offenbar schon viele Jahre im Dienst sind; das Krankenhauspersonal trägt weiß. Es treten protestierende Statistiker auf, sowie die Psychologengewerkschaft. Ein älterer Herr mit Hut hat ein Schild gemalt: "Sarkozy, treten Sie zurück!" – der Schriftzug ist akkurat, so wie der gesamte Habitus des Mannes. Ah, da kommen die Drucker. Dort sind die Beamten der Handelskammer.(...)

Kann sein, dass das drohende Auseinanderfallen der Gesellschaft in einer Krise wie der gegenwärtigen nicht zuletzt, vielleicht sogar besonders durch den gemeinsamen Protest aufgehalten wird.

Zuweilen krachen Knallkörper, wenn dann auch noch bengalisches Feuer brennt, erzeugen die knallroten Flammen und dichten Rauchschwaden durchaus so etwas wie Revolutionsatmosphäre. Im Hintergrund ertönt die "Internationale".(...)


so die "zeit" in einem ersten bericht, und der sympathisierende unterton ist unüberhörbar - und die these vom gemeinsamen protest als eine art kitt von fragmentierenden gesellschaften ist ja schon beinahe etwas subversives. soweit gehen andere medien nicht, aber es gibt durchaus ähnliche
ungewohnte töne:

(...)"Mehr als eine Million Angestellte aus dem Staatsdienst und der Privatwirtschaft beteiligten sich am «Schwarzen Donnerstag» am ersten Generalstreik seit Sarkozys Amtsantritt und legten das öffentliche Leben größtenteils lahm. Als «Tag der Wut» gegen Sarkozy interpretierte die linksgerichtete Zeitung «Libération» den Protest der Massen. Zumindest für einen Tag bildete sich eine geschlossene Front aller linken Oppositionsparteien und der acht wichtigsten Gewerkschaften im «Kampf für Beschäftigung und Kaufkraft».

«Für Beschäftigung, Kaufkraft, Gerechtigkeit»: Die Gewerkschaften wollen mit ihrem Muskelspiel einen generellen Kurswechsel der Regierung in der Finanz- und Wirtschaftskrise erzwingen. «Alle gemeinsam gegen die Macht», ruft ein CGT-Gewerkschafter in die Mikrofone. «Yes, we can.» Auch die radikale Gewerkschaft SUD sieht in dem Protesttag «nur eine Etappe». In der Krise müsse man den «Klassenkampf intensivieren», sagt SUD-Chef Christian Mahieux."


warum eigentlich "schwarzer" donnerstag? eher scheint es ein sehr bunter und lauter gewesen zu sein. und schon wieder müssten sich bei den hiesigen verfassungssschützern die nackenhaare aufstellen: "alle gemeinsam gegen die macht", "klassenkampf intensivieren" - wenn sich bürgerliche medien hierzulande genötigt sehen, solche parolen wiederzugeben, ist das eigentlich als deutlichster beleg dafür zu sehen, dass unsere nachbarbevölkerung heute wieder mal was eindrucksvolles in sachen solidarischer vertretung der eigenen interessen auf die beine gestellt hat. einen ersten und ganz kleinen atmosphärischen eindruck liefert das folgende video, ich würde ja auf paris als ort der szene tippen:



"wo man singt, da lass dich nieder..." - nun macht ein tag generalstreik, auch wenn er so massiv wie heute ist, noch keinen frühling der revolte und erst recht keinen sommer einer nötigen revolution von historisch noch nicht dagewesener art. aber als mögliches auftaktzeichen für in diese richtung gehende prozesse ist das vermutlich nicht nur von den französischen "eliten" ganz richtig verstanden worden:

"Die Regierung betrachtet die Entwicklung mit Sorge. «Uns beunruhigt nicht der Protesttag, sondern was danach passiert», erklärte ein Präsidentenberater dem regierungsnahen Blatt «Le Figaro». Um die Konflikte zu begrenzen, stoppte Sarkozy umstrittene Maßnahmen wie die Schulreform oder die Aufweichung des Wettbewerbsrechts für die Medien. Damit hat der Druck der Straße Sarkozy schon auf Gebieten zum Rückzug gezwungen, wo die Opposition im Parlament machtlos zuschauen musste."(...)

und es wird versucht, zu kanalisieren:

(...)"Die Regierung hofft, dass die gemäßigten Gewerkschaften wie die CFDT den Groll der Basis unter Kontrolle halten. «Wir müssen dafür sorgen, dass sich Unmut ausdrücken kann», sagt CFDT-Chef Francois Chérèque. «Sarkozy hat eine von den Sozialpartnern organisierte Streikbewegung lieber als Anarchie», erklärt ein Präsidentenberater. «Wir müssen raus aus der Konfliktkultur, bei der man blockieren muss, um etwas zu erreichen.» Sarkozys Partei UMP fordert Strafen bei «Missbrauch des Streikrechts».(...)

sprich: der elitäre alptraum von griechischen oder isländischen verhältnissen soll unbedingt vermieden werden. muss ich noch hinzufügen, dass ich mir dringend erhoffe, dass die französische bevölkerung sich genau in diese richtung einer selbstorganisation orientiert? die entscheidende frage wird aber nicht nur dort sein, was in dem moment passieren wird, wenn sich eine kritische masse von menschen vor allem über zwei dinge klar wird: 1. wir sind kollektiv von staat & wirtschaft ausgeplündert worden 2. unsere bisherigen lebensentwürfe sind im zuge dieser ausplünderung reif für die mülltonne. dann wird´s so richtig interessant. vor allem, wenn sich erst aus anderen kontinenten die betroffenen melden sollten und deutlich machen, dass das gesamte westlich dominierte modell von gesellschaft & ökonomie in der form einfach nicht mehr weiterzubetreiben ist. dann wird nämlich die hier noch allseits verpönte frage nach dem verzicht zugunsten derjenigen akut, die noch mehr als in europas metropolen unter dem durchdrehenden system leiden und tatsächlich tödlich bedroht sind. und dann erst folgt die wirkliche nagelprobe.

die "taz" liefert weitere
stimmen:

(...)""Sarkozy macht alles kaputt", klagt die 40-jährige Psychologin aus Paris. Und beginnt eine atemlose Aufzählung all dessen, was sich in den wenigen Monaten der präsidialen Amtszeit verschlechtert hat: die Schulen, die Krankenhäuser, die Fernsehsender, die Rentenversorgung, das Arbeitsrecht. Sandrine geht inmitten der zentralen Pariser Demonstration. Es ist eiskalt. Aber der Himmel ist blau. Und die Sonne scheint. Rundum auf der Bastille strahlen die DemonstrantInnen. Lange bevor sich die unüberschaubar große Menschenmenge in Bewegung setzt, haben sie das sichere Gefühl, dass dieser Tag die Dinge in Frankreich ändern wird.

"Wir sind mehr als eine Million Menschen auf den Straßen Frankreichs", hat schon vor Mittag der Chef der größten Gewerkschaft CGT angekündigt. Sein Kollege François Chérèque von der Spitze der Gewerkschaft CFTD hält die Demonstrationen für die "größten Streikdemonstrationen seit 20 Jahren".(...)

Es ist ein generelles Unwohlsein, das so viele Menschen in den Streik und viele von ihnen auch auf die Straße treibt.

Bei dem zentralen Demonstrationszug in Paris empören sie sich über den Kaufkraftverlust unter ihrem "Kaufkraftpräsidenten". Und über das "autoritäre Umgehen mit Andersdenkenden". Sauer sind sie auf die massiven Streichungen von Stellen in den Schulen, Universitäten und Krankenhäusern. Und darauf, dass "für die Großen, für die Banken und die Automobilhersteller Milliarden da sind".(...)


und in einem
kommentar wird das folgende - und warnende - fazit gezogen:

(...)"Die aktuelle Krise hat die seit vielen Jahren größten französischen Demonstrationen von Beschäftigten verstärkt. Doch die Forderungen an diesem Tag, an dem Sarkozy erstmals in seiner Amtszeit in die Enge getrieben ist, gehen weit über die Krisenaktualität hinaus. Sie stellen Sarkozys Wirtschafts- und Sozialpolitik grundsätzlich in Frage.

Deswegen sollten die übrigen europäischen Regierungen die neue Sozialbewegung nicht unterschätzen. Denn indem sie den Abbau des Gesundheits- und Rentenschutzes, die Aushöhlung des Arbeitsrechts und die Schwächung des öffentlichen Dienstes anprangern, klagen die Streikenden in Frankreich auch die offizielle Politik der EU an.

Französinnen und Franzosen haben in der Geschichte vielfach besonders sensibel auf soziale Einschnitte reagiert. Das ist auch dieses Mal so, wo Sarkozy eine Politik betreibt, die dem deutschen Modell "Agenda 2010" folgt. Insofern ist die massive Mobilisierung gegen den Sozialkahlschlag in Frankreich nicht nur eine innenpolitische Warnung an Nicolas Sarkozy."


strike! und zumindest für das deutliche zeichen ein dickes "merci!" in die nachbarschaft.

*

wem nun angesichts der französischen lust am widerspruch mal wieder tränen des neides beim anblick der sedierten schafsherde hierzulande in die augen getreten sind, könnte sich auf eine zugebenermaßen billige und auch zynische art & weise mit einem blick auf einen anderen großen nachbarstaat trösten, der inzwischen gleich griechenland ebenfalls als heißer kandidat für einen totalbankrott gehandelt wird - großbritannien bzw. die dortige bevölkerung ist nicht nur in ähnlicher lethargie be- und gefangen wie viele hiesige mitmenschen, sondern hat es daneben auch im punkt staatlicher paranoider kontrolltendenzen fast geschafft, einen schäuble daneben wie ein weichei aussehen zu lassen - und das will nun wirklich was heißen.

die zeitschrift wildcat, seit jahren schon in positiv klassenkämpferischer arbeit und analyse unterwegs, hat nun gerade mit einer reihe von berichten begonnen, in denen die krisenfolgen von "unten" dargestellt werden, und der erste bericht kommt aus
großbritannien und ist wirklich spannend zu lesen - auszug aus dem nachwort von anfang januar:

(...)"Seit der Niederschrift der obigen Antworten Ende 2008 gab es keine größeren Anzeichen für durchsetzungsfähigere Klassenkämpfe, aber vielleicht ist das gar nicht so seltsam. Schon damals waren das hauptsächlich Langzeitentwicklungen, die gerade ihre hässliche Seite zu zeigen begannen. Die dramatischsten Entwicklungen waren keine glücklichen (es sei denn, man glaubt an die Gleichung Verelendung = automatisch Antagonismus) und kamen nicht überraschend. Wie schon in den bürgerlichen Medien breit berichtet wurde, hat sich die Welle der Insolvenzen und präventiven Entlassungen von den Banken zu den Einzelhandelsketten verbreitet und zu dem, was an Produktion noch übrig war (solche »nationalen Champions« wie die Hoflieferanten für Tafelporzellan). Ein Großteil der Medienberichterstattung und Regierungspropaganda schreibt diese Firmenpleiten und Arbeitsplatzverluste immer noch unaufrichtigerweise direkt der angeblichen plötzlichen Konsumverweigerung durch die Verbraucher zu: Verweise auf die fremdfinanzierte Fremdfinanzierung, über die selbst das »Eigentum« an kleinen Geschäften organisiert ist und die nicht weiter verlängert werden kann, und auf Zusammenbrüche von Zuliefererketten (z.B. der Bankrott der Woolworth-Kette, der den ehemaligen Virgin-Einzelhändler Zavvi mit runterriss, weil Woolworth deren Hauptgroßhandelslieferant war) beschränken sich auf die Wirtschaftsseiten, und die Debatte über die »Kreditkrise« verläuft fast vollständig auf der Ebene von Krediten an Konsumenten und Hypothekengläubiger. Einen allgemeinen Überblick darüber zu bekommen, wie weit diese verzerrte Sichtweise akzeptiert wird, ist sehr schwer. (Ein winziges Beispiel: Ich arbeite bei einer kleinen Agentur für Presseausschnitte (nur ein paar hundert ArbeiterInnen), deren Eigentumsverhältnisse über privates Beteiligungskapital organisiert sind und die ab und zu »Mitarbeiterforen« abhält, auf denen sie die Geschäftsergebnisse verkünden und vorher eingereichte Fragen beantworten. Meine Frage zu den Chancen der Refinanzierung von Schulden aus dem kürzlich stattgefundenen privaten Firmenaufkauf wurde wegen der Vertraulichkeit privaten Kapitals zurückgewiesen, danach lösten sie das Forum auf. Inzwischen machen sich ArbeiterInnen einige Sorgen um die Überlebenschancen der Firma, aber fast immer auf der Ebene der Auftragseingänge durch Kunden und nicht der Anfälligkeit für Finanzvorgänge woanders.) Eines scheint allerdings sicher: Die Arbeitsplatzverluste haben noch nicht einmal richtig angefangen, und so führen die Medienberichte über vorübergehende Erscheinungen wie die Verkaufszahlen zu Weihnachten in die Irre."(...)

was deutlich wird - und was mir hierzulande ähnlich vorkommt - ist v.a. eine atmosphäre von angst und entsolidarisierung, und die könnte bei weiterer eskalation durchaus zum treibstoff für faschistoide mobilisierungen werden. auch gb ist in dieser hinsicht genau zu beobachten.

*


über die neuesten meldunge zu firmenpleiten, entlassungen, kurzarbeit und erwerbslosigkeit schreibe ich heute nichts - es sind einerseits zu viele, andererseits ist da eine in relation ähnliche entwicklung der zahlen zu beobachten, wie sie schon bei den diversen "rettungs"versuchen und -paketen für die banken zu beobachten war und ist - eine scheinbar exponentielle explosion von zuerst hunderten von millionen bis hin zu billionen. und auch bei den entlassungen sind wir schon in den zehntausenden, bei den kurzarbeitern und den (neuen) erwerbslosen schon in den hunderttausenden, und global werden inzwischen
zweistellige millionenzahlen von neuen erwerbslosen für möglich gehalten, und wie bei einem solchen desaster dann die arbeitsbedingungen derjenigen aussehen werden, die noch lohnzwangsarbeiten "dürfen", wollen Sie und ich womöglich gar nicht so genau wissen. aber es hilft ja alles nichts, auch wenn einen die dreistigkeit der protagonisten immer wieder mit offenem mund zurück lässt, ist es einfach bitter nötig, sich bspw. über die elitären interessensgeflechte und ihre folgen klarzuwerden:

"Trotz Finanzkrise haben die deutschen Parteien im vergangenen Jahr die meisten Großspenden aus der Bankenbranche erhalten.(...)

Allein die Deutsche Bank überwies im letzten Quartal insgesamt 500.000 Euro an CDU, SPD und FDP: Jeweils 200.000 Euro gingen an die CDU und die FDP, 100.000 Euro gingen an die SPD. Zu den Förderern gehörten auch die Commerzbank, der Finanz- und Versicherungskonzern Allianz sowie die Privatbanken Sal. Oppenheim und Berenberg.(...)

Mit Abstand die meisten Großspenden aus der Wirtschaft und von Privatleuten bekamen die Unionsparteien. Nach den Bundestags-Zahlen erhielten CDU und CSU insgesamt mehr als 3,5 Millionen Euro. Es folgen die FDP mit mehr als 930.000 Euro, die SPD mit mehr als 650.000 Euro und die Grünen mit 60.000 Euro. Die ebenfalls im Bundestag vertretene Linke bekam demnach keine Großspenden."(...)


diese im vergleich geradezu lächerlichen summen bezahlen wahrscheinlich die bankpförtner aus ihrer eigenen tasche, aber im ernst: schaut man sich an, wer warum gewählt wird und wer in wessen interesse was für handlungen durchführt, so bleibt nur das fazit, dass die beschimpfung der hiesigen bevölkerung als schafe erstens für diese tiere eigentlich beleidigend und zweitens eine extreme untertreibung ist. aber so ist das halt: wer sich ein leben jenseits von shoppen, stylen, dummschwätzen und medialer dauerverblödung weder vorstellen kann noch überhaupt die vorstellung wünschenswert findet, wird dann eben vor aller augen geplündert und darf sich darob dann berechtigt mit hohn und spott überschütten lassen. wie in einer der letzten news schon geschrieben: es gibt einfach eine grenze, wo ich trotz allem verständnis für die spezifisch deutschen probleme in sachen entwicklung von authentischen, empathischen und selbstbewußten persönlichkeiten einfach sehr, sehr ungeduldig werde und auch ein gutes stück mitverantwortlichkeit sehe. was denken die leute eigentlich, was sie noch zu verlieren haben? ihre imaginären renten, ihre öden reihenhaussiedlungen oder den anblick einer intelligenzbeleidigung wie dieter bohlen auf dem bildschirm?

(ps: wer das obige jetzt arrogant findet und fragt, wie ich mir so etwas herausnehmen kann, bekommt die folgende antwort: weil ich es mir aufgrund meiner biographie einfach erlaube. ich finde das system hier nicht erst seit gestern zum kotzen, und habe deshalb auch schon etliches an unbequemen konsequenzen gezogen, über die ich aber hier nicht reden werde.)

*

und wer noch nicht mal für authentische eigene interessen einstehen kann und will, ja diese noch nicht mal wahrnehmen kann, wird zwangsläufig erst recht mit den schultern zucken, wenn es um krisenfolgen in regionen geht, die bereits im kapitalistischen normalbetrieb nicht selten
tödlich getroffen sind:

(...)"Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat vor einer "humanitären Katastrophe" in der Dritten Welt durch die globale Wirtschaftskrise gewarnt. "Es besteht die Gefahr, dass sich die Krise in einem Kontinent wie Afrika in eine humanitäre Katastrophe mit Tausenden von Hungernden und Toten entwickelt"(...)

Durch die Verkoppelung von Ernährungs- und Finanzkrise müssten jetzt bereits weltweit wieder mehr als eine Milliarde Menschen hungern."(...)


so weit, so schlecht, so richtig. aber dann folgt wieder einer jener unzähligen schlechten witze dieser tage:

"Wieczorek-Zeul versicherte, Deutschland werde bei der Entwicklungshilfe "nicht nachlassen". Dazu sollen auch 100 Millionen Euro dienen, die im zweiten Konjunkturpaket zusätzlich an Entwicklungshilfe enthalten sind. Das Geld soll in einen neuen Infrastrukturfonds der Weltbank fließen. Insgesamt sind im laufenden Etat des Entwicklungsministeriums Ausgaben von 5,8 Milliarden Euro eingeplant."(...)

die summen, die jeweils für irgendwen oder irgendetwas ausgegeben werden, sind nicht zuletzt auch immer ausdruck von prioritäten und wertigkeiten. und vor diesem hintergrund kann jeglicher vergleich von den summen, die sowohl den banken hinterher geschmissen werden als auch für "die armen" gedacht sind (und nicht nur in d-land), hinsichtlich der verantwortlichen "eliten" nur in einem fazit enden, ja nur mit einem wort:

mörderbande.

Mittwoch, 28. Januar 2009

notiz: meet the shministim!



im letzten beitrag zum nichtendenwollenden israelisch-palästinensischen konflikt hatte ich ein älteres fazit mit eigenen gedanken zu möglichen auswegen wiederholt, in dem u.a. das folgende enthalten ist:

"parallel zu diesen maßnahmen müsste dann in allen beteiligten gesellschaften besonderes gewicht auf die entwicklung ziviler strukturen / entmilitarisierung gelegt werden"(...)

und jenseits der üblichen, lautstarken und vor allem bei den beteiligten außerhalb der kriegszone auch von äußerst zweifelhaften motivationen begleiteten öffentlichen positionierung zugunsten von einer der beiden seiten spielen ansätze gesellschaftlicher initiativen in israel und palästina, die im genannten zivilen und antimilitaristischen sinne aktiv sind, bisher weder vor ort und erst recht nicht im rest der welt irgendeine besondere rolle in der öffentlichen diskussion. und umso mehr freut es mich, mit meinen leserInnen die zumindest mir ganz neuen informationen zur existenz der
shministim teilen zu können:

(...)""Die gegenwärtige Gewalt ist ein Ergebnis jahrzehntelanger Besatzung sowie einer Blockade des Gaza seit dem Rückzug aus diesen Gebieten", erklärte Maya Yekhieli-Wind vor ihrer Inhaftierung angesichts des aktuellen Krieges in Gaza. "Die sinnlose Besatzung von Millionen führt nur zu einer Radikalisierung ihrer Positionen, zu Hass und der Eskalation der Gewalt. Gewalt ist ein Kreislauf, der sich selbst nährt. Dieser Kreislauf wird nicht enden, bis jemand aufsteht und sich ohne Kompromisse weigert, daran teilzunehmen. Das ist es, was ich heute tue."(...)

Raz Bar-David Varon und Maya Yekhieli-Wind gehören einer Gruppe von 60 Abiturientinnen und Abiturienten an, die sich im Sommer 2008 als Shministim zusammengeschlossen haben. Gemeinsam hatten sie, Frauen und Männer, gegenüber dem israelischen Verteidigungsminister erklärt, dass sie sich gegen die "Besatzungs- und Unterdrückungspolitik der israelischen Regierung" wenden. "Wir werden uns deshalb weigern, an den Aktionen teilzunehmen, die vom israelischen Militär in unserem Namen durchgeführt werden." Bislang wurden acht von ihnen zumeist mehrfach inhaftiert."(...)


die motivationen der zuletzt genannten acht lassen sich
hier in deutscher sprache nachlesen; raz bar-david varon und maya yekhieli-wind sind aktuell zum wiederholten male inhaftiert. und in einem kriegführenden staat verlangt die demonstrative verweigerung nochmals wesentlich mehr mut, als ich ihn bspw. bei meiner eigenen, schon einige jahrzehnte zurückliegenden, totalen kriegsdienstverweigerung (= auch ablehnung des "zivilen" ersatzdienstes als bemäntelung der "wehrpflicht"erfüllung) brauchte, der "nur" eine bewährungsstrafe folgte. aber bis heute fühle ich mich solidarisch mit allen, die grundsätzlich das angemaßte "recht" der jeweiligen staaten in frage stellen, ihr eigenes leben in destruktiven bewaffneten auseinandersetzungen zu opfern - und zwar in der regel meist für zweifelhafte und fremde interessen.

und gerade in israel braucht so eine entscheidung mut, denn dieser staat existiert real ständig mit einer mehr oder weniger großen bedrohung von außen, die die notwendigkeit für eine bewaffnete verteidigung noch eher nachvollziehbar macht als anderswo, und das dürfte für große teile der israelischen bevölkerung auch aus eigenem erleben außer frage stehen. umso eindrucksvoller ist die entscheidung der jungen männer und frauen der shministim für mich, trotz dieser lage einen grundsätzlichen schritt zu versuchen, um endlich räume jenseits der schier unlösbar erscheinenden traumatischen täter-opfer-dialektik zu öffnen. und wenn man sich genauer ihre motivationen anschaut, wird sowohl ihre vielfältigkeit als auch die entschiedenheit deutlich:

"Ich glaube, dass es richtig ist, der Gesellschaft, der ich angehöre, zu dienen. Und genau das ist der Grund, warum ich mich weigere, mich an den Kriegsverbrechen zu beteiligen, die mein Land begeht."

omer goldman

"Es ging mir wie vielen anderen Israelis. Auch ich konnte die israelische Armee nicht wegen ihrer unmoralischen Aktionen kritisieren oder sie damit konfrontieren. Ich stelle fest, dass diese Schwierigkeit daher rührt, dass ich mich mit den SoldatInnen meines Alters verbunden fühle, die auch meine Freunde sein könnten. Heute bringt mich genau diese Erkenntnis dazu, dass ich die Ableistung des Militärdienstes verweigere. Ich kann nicht die Menschlichkeit der Israelis anerkennen und Palästinenserinnen und Palästinenser davon ausschließen. Gerade wegen meines tiefen Gefühls der Verpflichtung und Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, in der ich aufwuchs, weigere ich mich, am Kreislauf des Blutvergießens teilzunehmen."

maya yekhieli-wind


auf der
website der gruppe lassen sich sowohl die aktuellsten infos als auch möglichkeiten zur unterstützung nachlesen.

(und ich bedanke mich noch bei
che für den hinweis.)

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