"Die Politiker pumpen Billionen Euro und Dollar in die Wirtschaft, um der globalen Krise Herr zu werden. Alles umsonst, fürchtet Eric Hobsbawm, einer der wichtigsten Historiker der Gegenwart. Er hat Angst, dass der Kapitalismus sich über eine fürchterliche Katastrophe rettet."(...)
und ob diese katastrophe so eintreten wird, hängt nicht zuletzt maßgeblich von den reaktionen relevanter bevölkerungsmehrheiten rund um den globus ab - darum jetzt ein weiterer blick vor die haustür.
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in einemkommentarzu einem der songs in den letzten krisennews hat "argolis" folgendes angemerkt:
"Einige der Songs sind auch ganz nett, nur bei RoboZ - wenn die Rede ist von 'Parasiten', von 'menschlichen Schmarotzern' und das Ressentiment gegen das arbeitslose Einkommen gepflegt wird - wird mir eher übel."
ich greife diese kritik deshalb auf, weil sie direkt zu einigen zentralen punkten der bisherigen "krisenbewältigung" hierzulande führt - der öffentliche diskurs von der "gier einiger weniger schwarzer schafe" ist darin ebenso enthalten wie die dadurch potenziell im raum stehende unheilvolle trennung zwischem (bösen internationalen) "raffenden" und (guten deutschen) "schaffenden" kapital, die damit verbundene these vom "strukturellen antisemitismus" sowie die fragen danach, ob die krise erstens hierzulande in nennenswertem maße bestehende aggressions- und wutpegel steigern und zweitens bis zu ihrem ausbruch triggern kann (diese fragen dürften sich real auch größtenteils hinter der öffentlichen debatte zu den "sozialen unruhen" verbergen).
ich persönlich fand den text größtenteils spontan und emotional erstmal ansprechend, trotz wahrnehmung der erwähnten und sich durchaus aufdrängenden assoziationen. warum? wenn ich diese frage für mich zu beantworten versuche, komme ich zu folgenden schlüssen: erstens benennt er tatsächlich die ständig geleugnete realität einer existierenden klassengesellschaft, in der sich eine immer größer werdende spaltung der materiellen situation zwischen einer im verhältnis tatsächlich sehr kleinen schicht oben und einem größer werdenden unten auftut. zweitens wird die tatsache benannt, dass es tatsächlich konkrete täterInnen innerhalb der strukturen gibt (eine tatsache, die von einer breiten medialen koalition von leuten wie bspw. hans werner sinn bis hin zu teilen der radikalen linken bestritten wird - "es sind die anonymen systemzwänge". ich halte eine derartige argumentation für bestens geeignet, tatsächlich leute in scharen zu einer potenziellen faschistischen massenbewegung zu treiben. erstmal sehe ich einen grundsätzlichen widerspruch zwischen zwei - auch gerne in der linken - gebräuchlichen konstrukten: die "anonymen systemzwänge" (in gestalt der notwendigen profitakkumulation, der eigenen behauptung am markt etc.) beissen sich direkt mit der immer wieder gerne postulierten "(selbst)verantwortungsfähigkeit" "des" menschen, die für viele linke welt- und menschenbilder eine tragende rolle spielt.
wenn man aber diese "verantwortungsfähigkeit" ernstnimmt (ich tue das nur begrenzt, weil ich die nicht von vorneherein als irgendwie gegeben betrachte, sondern als potenzial bzw. option sehe, dessen manifestation direkt von den gesellschaftlichen verhältnissen und der jeweiligen förderung dieser option abhängig ist), so ist das bild des von kapitalistischen zwängen determinierten managers /bankers / unternehmers sehr fragwürdig - was zwingt diese leute schließlich dazu, in ihren positionen zu verharren, wenn sie aufgrund ihrer fähigkeit zum verantwortlichen handeln doch erkennen müssten, dass sie nicht nur andere existenziell gefährden, sondern langfristig auch sich selbst? (eine art tatsächlicher zwang ist nur bei klinischen soziopathen gegeben). sie könnten ja schließlich auch etwas ganz anderes aus ihrem leben machen (dafür gibt es übrigens auch ein paar wenige beispiele).
dann: die "anonymen systemzwänge" mögen ja strukturell durchaus vorhanden sein, aber trotzdem ist zu ihrer materiellen umsetzung in die realität das konkrete tun und lassen ganz konkreter personen notwendig - nicht der "zwang" zur rationalisierung und zur drückung der lohnkosten führt zu massenentlassungen und erwerbslosigkeit, sondern die entsprechenden beschlüsse und die unterschriften unter die kündigungen von wieder ganz konkreten personen. letztere mögen sich zwar auf die "zwänge" berufen, aber sie könnten ebensogut ja auch - zusammen mit der betroffenen belegschaft - nach mitteln und wegen suchen, eine ökonomie zu gestalten, die ohne die dem konkurrenz- und leistungsprinzip immanenten zwänge funktioniert. und auch hier führen die fragen zu den möglichen gründen, warum die sog. "führungspersönlichkeiten" bzw. "leistungsträger" letzteres i.d.r. nicht einmal in erwägung ziehen, direkt zur frage nach ihrer möglichen psychophysischen verfassung.
die genannten systemzwänge sind also nur dann ein relevanter faktor, wenn die handelnden personen aufgrund ihrer persönlichkeitsstruktur tatsächlich ebenfalls so determiniert sind, dass ihnen diese zwänge nicht als solche erscheinen, sondern als quasi "natürliche" und scheinbar alternativlose lebensbedingungen - und das macht es gerade in diesem fall aus meiner sicht noch notwendiger, sich mit den handelnden personen und erst recht mit ihrer isolierung von allen relevanten machtpositionen in politik & ökonomie zu beschäftigen - eine schlußfolgerung, die zwar aus anderen gründen, aber immerhin von anderen teilen der linkengleichfalls gezogenwird:
"Wann, wenn nicht jetzt fordern wir den Bruch mit dem System und den Verantwortlichen?
Weder wird das System des kapitalistischen Verwertungszwangs radikal hinterfragt, noch werden die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wirtschaft benannt. Die Tietmeyers, Eichels, Steinbrücks, Merkels, die Asmussens oder die Issings und Ackermanns. Das sind sie. Sie sind die Verantwortlichen für das Desaster. Sie sind die Verantwortlichen aus Deutschland für die drastische Zunahme von Hunger, Elend und Vertreibung durch die Weltfinanzkrise. Sie müssen verschwinden. Und zwar alle. Wie hieß der Schlachtruf 2002 in Argentinien? "Que se vayan todos"! (Alle sollen abhauen)"
der bruch mit dem system und den verantwortlichen - das eine ist ohne das andere nicht schlüssig, nicht sinnvoll, und auch nicht zu haben.
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und auch wenn man argumentiert, dass die jeweils handelnden personen aus den "eliten" letztlich ja nur austauschbare charaktermasken" darstellen würden, ändert das nichts an der notwendigkeit, ihnen direkt auch ihre persönlichen grenzen - und ihre endlichkeit - aufzuzeigen, notfalls auch in solchen formen, wie sie bspw. in der vergangenheit vongünther andersfür den fall eines "gesellschaftlichen notstands" skizziert worden sind - dazu kann doch auch das szenario aus dem text der "roboZ" zählen, in den entsprechenden wohnvierteln den "eliten" direkt auf den pelz zu rücken (was eh mehr sinn machen würde als die immer wiederkehrenden rituale der zerstörung von infrastruktur in gerade denjenigen vierteln, wo größtenteils die betroffenen der elitären "politik" wohnen - seien es nun banlieus oder auch, etwas anders gelagert, viertel wie kreuzberg und die schanze).
zu begriffen wie "parasiten" und "schmarotzern" habe ich nun durchaus eine deutlicheposition, und sehe es trotzdem analog dem text lieber, wenn denn solche begriffe denen zurückgegeben werden, die man inhaltlich treffend noch am ehesten damit belegen kann - und das sind natürlich nicht die erwerbslosen bzw. "hartzer", sondern das ganze antisoziale pack an der macht. will sagen: es gibt auch für mich grenzen der geduld und der verständnis- bzw. reflexionsbreitschaft und -fähigkeit, hinter der mächtige wut und der wunsch danach steht, dass bestimmte leute für ihre ständigen destruktiven aktionen in massendimensionen endlich auch spürbare und schmerzhafte konsequenzen erleiden sollen. und genau solche wünsche und auch die wut, die ich erstens für verständlich und zweitens auch für legitim halte, werden durch ermahnungen in richtung "unzulässiger" personalisierung von "anonymen systemzwängen" seitens bestimmter linker nicht nur ins leere laufen gelassen (wo sie sich selbstverständlich nicht verflüchtigen, sondern sich schlimmstenfalls gegen die eigene person wenden), sondern es werden damit gleichzeitig auch die nötigen psychophysischen prozesse blockiert, die als voraussetzung für späteres (zielgerichtetes und bewußtes) handeln grundsätzlich notwendig sind.
mit anderen worten: bei der notwendigen berücksichtigung der psychophysischen verfassung breiter bevölkerungskreise in diesem land ist jede art von verbot, antikapitalistische impulse und ressentiments auch in personalisierter form zu empfinden, eine fatale und geradezu suizidale dummheit. die meiner meinung nach auch nicht unmaßgeblich in den 1920ger und 30ger jahren seitens der damaligen linken mit zum aufstieg des faschismus beigetragen hat. wer an strukturell mehr oder weniger psychophysisch geschädigte menschen ansprüche hinsichtlich (selbst-)reflexionsfähigkeiten und einsicht in strukturelle gegebenheiten stellt, die diese vorläufig nicht erfüllen können und dazu noch keinen begriff von der elementaren und existenziellen aggression besitzt, die das leben in sich selbst als "zivilisiert" bezeichnenden kapitalistischen gesellschaften mit ihrer ständigen tabuisierung so ziemlich jeglicher - auch positiver und nötiger - aggression ständig produziert, hat eine der wesentlichen lektionen des faschismus schlicht nicht verstanden. die nazis haben nämlich genau mit diesem potenzial erfolgreich "politik" gemacht.
es gilt dabei auch, die enge innere verwandtschaft zwischen depression und aggression (die erstere begreife ich als verwandelte letztere) zu beachten, die unseren "eliten" durchaus bekannt ist und bisher erfolgreich dazu benutzt wird, um zb. das potenziell revolutionäre potenzial der erwerbslosen mittels ständiger öffentlicher stigmatisierungen und demütigungenbis in den todruhigzustellen. eine linke, die sich - meiner meinung teils aus mittelklassenbedingter harmoniesucht - weigert, die realität des klassenkampfes zu begreifen und sich entsprechend klar und deutlich zu äussern, macht sich an dieser stelle der mittäterschaft schuldig.
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struktureller antisemitismus: selbst, wenn viele der derzeit aufälligen us-banken und auch manager aus dem finanzbereich jüdische namen tragen mögen - wen interessiert das eigentlich wirklich ausser leuten, die zwanghaft nach zusammenhängen suchen, die am kern des problems vorbeigehen? es ist sachlich schlicht und einfach irrelevant. und den leuten, die sich aus zufälligen religiösen hintergründen selbst verschwörungstheorien basteln, muss konsequent sowohl ihre eigene gestörte logik als auch die realität des treibens des meistens als gegenpol glorifizierten "deutschen" kapitals vor augen geführt werden, welches kein stück besser oder anders agiert als die geschmähte "jüdische us-ostküste". für diese notwendigen maßnahmen jedoch sehe ich nicht, dass abstriche bei der gleichfalls nötigen benennung konkreter verantwortlicher gemacht werden müssen - ganz im gegenteil sehe ich eine realitätsgerechte aufklärung als antidot zumindest für diejenigen an, die aufgrund ihrer eigenen psychophysischen dispositionen, aber auch aufgrund der schwer verständlichen komplexität der krise anfälliger als andere für die entsprechenden reduktionistischen (ein wesentliches merkmal des antisemitismus) konstrukte von rechtsaussen sind.
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und das letzte stichwort des "arbeitslosen einkommens": hier bleibt mir nur zu sagen, dass die benennung der tatsache der fundamentalen ungerechtigkeit des zustands, dass wiederum einige wenige von der ausbeutung der arbeitskraft der vielen, die sich selbst am markt zur bloßen existenzsicherung verkaufen müssen, profitieren, aus meiner perspektive erstmal nichts mit der durchaus wünschenswerten entkoppelung von (lohn)arbeit und materieller existenzsicherung zu tun hat. eher sehe ich hier schon die besondere und fragwürdige glorifizierung von schwerer körperlicher arbeit berührt, wie sie in deutschland trotz wesentlich veränderter bedingungen (incl. eines realen bedeutungsverlustes gerade dieser art von arbeit) eine lange und schlechte tradition besitzt.
klaus theweleit hat in seinen "männerphantasien" zu dieser besonderen - und im naziuniversum auf die spitze getriebenen - fetischisierung dieser besonderen art arbeit einige aspekte herausgearbeitet, die aus meiner sicht bis heute relative gültigkeit besitzen: vor dem hintergrund des weiter oben angesprochenen ständig produzierten aggressionspotenzials in dieser gesellschaft, dessen bloße existenz zu erwähnen bereits vielfältig tabuisiert ist, stellt(e) körperliche arbeit einen der wenigen erlaubten und sogar erwünschten wege der psychomotorischen abfuhr der im genannten potenzial gebundenen energien dar (ein anderer ist bis heute die sportliche betätigung).
das hat aus sicht der "eliten" gleich zwei wünschenswerte konsequenzen: einmal stabilsiert diese abfuhr das gesamte gesellschaftliche gefüge, zum anderen aber lässt sie sich selbstverständlich profitabel nutzen. mit dem zunehmenden verschwinden dieser art der arbeit primär durch automatisierung haben sich die "eliten" also aller wahrscheinlichkeit selbst ein ei ins nest gelegt, welches vermutlich zu argen verdauungsstörungen führen wird bzw. schon führt, wenn man diesen aspekt mal in zusammenhang besonders mit dem verhalten erwerbsloser junger männer betrachtet.
neben der identitätskonstruktion mittels (lohn-)arbeit wäre das also der zweite - und mit dem ersten funktional zusammengehörige - punkt, der bei der betrachtung der bedeutung von "arbeit" in deutschland eine wichtige rolle spielt. er erklärt einerseits die zu beobachtende traumatische wirkung von erwerbslosigkeit bei vielen menschen mit, andererseits aber auch die bisher primär zunehmende depression bei den betroffenen, die jedoch unter bestimmten bedingungen in relativ wahllose und destruktive aggression umschlagen kann (wenn übrigens der worst case eines krieges zwecks "rettung" des systems eintreten sollte, so wird er psychophysisch primär aus dieser quelle mit den nötigen aggressionen gespeist werden).
ich kann mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass die verfasser des textes ihre zeilen vor diesem hintergrund geschrieben haben; eher verstehe ich die entsprechenden passagen in dem sinne, wie ich ihn oben eingangs zu diesem abschnitt skizziert habe. ich arbeite unter miesen bedingungen zu einem miesen lohn, während andere direkt davon profitieren und sich ein leben im überfluss (zu allem auch noch allgemein schädlichen überfluss) gestatten? fuck you!
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soweit also anhand des userkommentars einige weitere anmerkungen zum krisenumgang hierzulande. und so wie es aussieht, werden weitere teile in dieser reihe folgen, zumal ich ein paar weitere aus meiner sicht relevante punkte (bspw. den einfluss des fernsehens) noch nicht mal erwähnt habe.
um inmitten der kleinenreihe zum hiesigen umgang mit der krisenicht zu vergessen, worum es eigentlich geht. und dazu gibt´s heute viel krisenhaftes liedgut, von electro über folk und blues bis hip hop...
global: noch mehr fragmente zum wesen und verlauf der krise
krisensongs I: roboZ "schön blöd"
italien /global: die mafia wird zum krisengewinner
krisensongs II: leveraged sell-out "Damn It Feels Good to be Banker -- A Wall Street Musical"
asien: regierungen warnen vor sozialen unruhen in der ganzen region
krisensongs III: angie & hans "nix gibt´s"
frankreich: rund um den ersten mai
krisensongs IV: n.n. "give it to me" bailout rap
türkei: rund um den ersten mai
krisensongs V: rob vegas "finanzkrise"
global: kinder gehören überall zu den ersten krisenopfern
krisensongs VI: mbird "financial meltdown rap"
in aller kürze: acht thesen zur krise / "scheiss-streik" im deutschen pflegegewerbe / eu erwartet "schlimmere rezession als angenommen" in europa / "unternehmer warnen vor linken unruhestiftern"
krisensongs VII: skinnerla "finanzkrisenblues"
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vor längerer zeit habe ich schon mal einenversuchgemacht, überblickartig aus verschiedenen ecken theoretisches & analytisches zur gestalt und dem weiteren verlauf der krise zusammenzutragen. und das soll heute fortgesetzt werden.
beginnen möchte ich dabei mit einemartikelvon tomasz konicz, der bereits vor ein paar wochen bei telepolis erscheinen ist und weiterhin mit zum besten gehört, was ich bisher in diesem jahr an tiefergehenden analyseversuchen zur krise gelesen habe. "kein boden in sicht" ist dabei zugleich überschrift, zustandsbeschreibung, fazit und prognose auf einmal:
(...)"Wir können nun den Charakter der gegenwärtigen Krise bestimmen: Es ist eine in den Widersprüchen der marktwirtschaftlichen Warenproduktion zu verortende Systemkrise, die nun voll ausbricht und zu dem Einbruch der Massennachfrage, und folglich des Handels und der Industrieproduktion führt.
Was bedeutet dies für den Krisenverlauf, für die Tragweite dieses ökonomischen Weltmarktbebens? Der mit voller Wucht einsetzende selbstzerstörerische Prozess hat keine objektive Grenze, sondern kann durch eine positive Rückkopplung immer weiter an Wucht gewinnen. Der Teufelskreis aus sinkender Nachfrage, fallender Industrieproduktion und erneuten Massenentlassungen, die wiederum die Massennachfrage senken, erfährt ein Ende im ökonomischen Kollaps – oder seiner Überwindung auf höherer gesellschaftlicher Organisationsebene.
Eine dunkle Ahnung davon, dass es bei dieser Krise überhaupt keinen "Boden" geben könnte, sondern nur einen immerwährenden Fall, haben auch die intelligenteren Vertreter der globalen Wirtschafts- und Finanzelite."(...)
der alte witz vom berühmten licht am ende des tunnels, welches alle paar wochen gerne als beobachtung aus den schaltzentralen der politischen und ökonomischen "eliten" heraus zwecks weiterer sedierung verkündet wird und sich dann doch nur wieder als (irr-)licht des gegenzugs entpuppt, hat sich in den letzten monaten angesichts der beschriebenen sachlage schon verdammt abgenutzt. auch andere autoren gelangen zu einem ähnlichvernichtenden fazit, in diesem fall aus dem blickwinkel österreich, wobei das verhalten der dortigen kapitalisten sich nicht von anderen orten unterscheidet:
(...)"Eines jedenfalls ist sicher: Es wird schlimmer kommen.
Eine Welle der Massenarbeitslosigkeit baut sich auf. Zugleich hat der Staat enorme Schulden angehäuft. Noch dazu werden die Ausgaben für Sozialleistungen steigen, seine Einnahmen aber drastisch reduziert. Dies umso mehr, als er Vermögen und Profite praktisch nicht mehr besteuert. Bei rückläufigen Masseneinkommen sieht es für seine Kassen demnach äußerst düster aus.
Angesichts dieser Entwicklungen ist die herrschende Klasse in Politik und Wirtschaft zynisch bis naiv. Magna verordnet bereits Lohnverzicht und erfrecht sich, dabei von “Solidarität” zu faseln. Einer seiner Oberbefehlshaber ist sogar so dreist und meint, Magna hätte ja auch die Profite “geteilt” - nun müsse also auch die Belegschaft “Solidarität” beweisen.
Die Lohnabhängigen haben Angst. Das treibt sie teilweise dazu, den Lohnverzicht zu akzeptieren. Dieser Weg ist mit Sicherheit fatal.
Denn diese Krise ist keine, die 2010, 2011 oder 2012 überwunden ist.
Der ganze unvorstellbar ausgedehnte Finanzüberbau der “Realwirtschaft”, der sich seit mehr als 20 Jahren auf dem Rücken der Lohnabhängigen aufgetürmt hat, bricht ein. Bis jetzt auf Raten, bald vielleicht in Gestalt eines Erdrutschs im Finanzsystem. Danach wird nichts mehr sein wie früher.
Staatsbankrotte drohen am Horizont. Unmengen fauler Kredite, derzeit notdürftig durch staatliche Monstergarantien und illusionsgedeckte Finanzspritzen in einer prekären Agonie gehalten, verwesen vor sich hin. Wenn irgendwo ein zentrales Glied der kreditären Ketten reisst, dann ist der Sog in die Tiefe kaum mehr zu stoppen. Das beste Szenario, das der Kapitalismus uns noch zu bieten hat, sind Massenarmut, Apathie und Stagnation.
Es gibt keine Möglichkeit mehr, dieses System so zu reparieren, dass etwas Annehmbares dabei herauskommt."(...)
dem bleibt nichts hinzuzufügen, und das bereits ohne berücksichtigung der krisenkaskade mit peak oil, klimawandel, wasserknappheit und co., in die wir meiner meinung nach mit dieser ökonomischen krise unwiderruflich eingetreten sind. und zu einem speziellen aspekt der letzteren haben diequerschüsseneulich festgestellt:
"Eine der wesentlichen Ursachen der heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise ist die totale Überschuldung aller Bereiche der Gesellschaft. In den USA wird nicht nur die Schere zwischen Gesamtverschuldung und Bruttoinlandsprodukt immer größer, auch das Missverhältnis zwischen Schulden und Einkommen wird immer größer. Fehlende Wertschöpfung und Einkommen wurden durch eine exzessive Kreditausweitung und Spekulation ersetzt!
Die folgenden Charts verdeutlichen auch, dass alle Versuche von Staat und Notenbanken den heutigen Status Quo zu erhalten - letztlich zum Scheitern verurteilt sind! Es wird nur ein unhaltbarer Kreditzyklus mit verzweifelten Aktionen etwas weiter verlängert!"(...)
wobei ich ergänzen würde, dass die allgemeine und globale überschuldung letztlich nur ein symptom einer entwicklung darstellt, auf die besonders im artikel von tomasz konicz genauer eingegangen wird. an der grundsätzlichen krise würde deshalb selbst eine konsequente und globale entschuldungspolitik (von der weder klar ist, wer sie durchführen sollte noch, wer sie überhaupt ernsthaft wünscht) nicht mehr zu ändern vermögen. game over.
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bisher ist mir entgangen, dass die krise immerhin auf viele menschen künstlerisch inspirierend zu wirken scheint, und eine sammlung musikalischer fundstücke möchte ich deshalb den leserInnen nicht vorenthalten - los geht´s mit einem motto, welches momentan eigentlich breit in allen strassen und städten hierzulande plakatiert werden sollte - "schön blöd" von den roboZ schafft es sogar, viele mehr oder weniger gute inhalte rüberzubringen, selbst wenn man die unvermeidbare plakative verkürzung von songtexten berücksichtigt.
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im januar hatte ich in den news nr. 19 einen kurzen hinweis einer uno-organisation kommentiert, dass es hinweise darauf gäbe, dass bei sog. interbankengeschäften seit beginn der offenen krise in größerem umfang auch gelder aus "drogenhandel und anderen illegalen aktivitäten" zwecks überbrückung von liquiditätsengpässen genutzt werden. nun sind die verstrickungen von mafia und co. in die globale ökonomie sowie die strukturell bedingten fließenden grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" geschäften grundsätzlich nix neues, aber es zeichnet sich etwas ab, was zum tieferen nachdenken anregen sollte:Wirtschaftskrise lässt italienische Mafia kalt, und das ist eine untertreibung, wie der bericht deutlich macht (aus dem ich hier deshalb nicht weiter zitiere, weil es sich um eine meldung von "ap" handelt, also jener presseagentur, die sich gerade u.a. gegen blogger auf einem "copyright"-feldzug befindet). aber auch bei einer abgeordneten des italienischen parlaments (und vorsitzenden eines dortigen anti-mafia-ausschusses) lässt sich bspw.lesen:
(...)"Die Mafia ist einer der Gewinner der aktuellen Wirtschaftskrise. Während in der legalen Wirtschaft das Geld knapp ist, verfügt die Organisierte Kriminalität über ausreichend Liquidität. Dies führt nach Erkenntnissen der Antimafia-Ermittler in Italien dazu, dass sich immer mehr, vor allem kleinere Unternehmer Geld aus mafiösen Quellen leihen, um über die Runden zu kommen. Auch beim Bau der Infrastrukturmaßnahmen für die Expo in Mailand steht die Mafia in den Startlöchern, um legale Konkurrenz aus dem Weg zu boxen und Millionen zu verdienen."(...)
es gibt seit letzten herbst bereits so derart viele hinweise auf die organisiert-kriminelle "natur" auch schon vorher als ganz "normal" angesehener "geschäfte" im internationalen rahmen, dass ich gerne die zukünftigen bewertungen von historikern in dieser frage sehen würde. ich denke, wir täuschen uns insgesamt über den tatsächlichen einfluß der (als solches definierten) ok in dieser krise in der hinsicht, dass er unterschätzt wird. wobei sich natürlich darüber diskutieren lässt, ob sich nicht die zentralen institutionen der kapitalistischen ökonomie (u.a. banken und konzerne) insgesamt als "ok" begreifen lassen müssen.
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und die "weiße-kragen"-kriminalität in nadelstreifen ist auch das thema in folgendem kleinen "musical". "Damn It Feels Good to be Banker" - zumindest dieses gefühl sollte sich in naher zukunft grundlegend ändern.
"In Asien wächst die Furcht vor Unruhen in Folge der internationalen Finanzkrise. "Die Armut verschlimmert sich in vielen Ländern, Unternehmen straucheln", sagte Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono zum Auftakt des Jahrestreffens der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) auf der indonesischen Insel Bali. Auch der extrem wichtige Kampf gegen den Klimawandel könnte sich verzögern. "Wenn all dies nicht unter Kontrolle gebracht wird, könnten am Ende in vielen Ländern soziale und politische Unruhen ausbrechen", sagte der Gastgeber vor Vertretern von 67 ADB-Mitgliedsländern, darunter Finanzminister und Zentralbank-Gouverneure."(...)
und das dürfte bei den vielfältigen realitäten in der region, geprägt von verschiedensten formen autoritärer herrschaftssysteme, teils krasser armut sowie religiösen spannungen, durchaus formen annehmen, die niemand sehen möchte.
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deutsches (weihnachts-)liedgut, neu und passend betextet von angie & hans - "nix gibt´s".
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und was tut sich gerade so infrankreich, dessen arbeitender bevölkerung wir u.a. die wortschöpfung "bossnapping" verdanken?
"Die nahezu 300 Demonstrationen, die am 1. Mai in ganz Frankreich stattgefunden haben, waren Ausdruck der Zuspitzung der sozialen Konflikte, aber auch der Kampfbereitschaft der arbeitenden Franzosen."(...)
aha. das heisst konkret?
(...)"Die Losungen auf den Transparenten und die Sprechchöre der Maidemonstrationen machten deutlich, welch großes Echo beispielsweise die Aktionen der Beschäftigten von Continental oder Caterpillar hatten, die aus Sorge um ihre Arbeitsplätze sogar so weit gingen, ein Präfekturbüro zu verwüsten oder führende Manager für Stunden festzuhalten und so Verhandlungen zu erzwingen.
Von solchen spontanen und »gewalttätigen« Aktionen distanzieren sich die Gewerkschaften, wobei sie gleichzeitig Verständnis für die damit zum Ausdruck kommende Verzweiflung der Betroffenen zum Ausdruck bringen. Die Gewerkschaften müssen auf jeden Fall verhindern, dass die Rechtsregierung einen Keil zwischen sie und die kampfbereiten Arbeiter treiben kann. Paris lobt einerseits »die Besonnenheit und das Verantwortungsgefühl« der Gewerkschaftsführer, andererseits verurteilt die Regierung gewalttätige Aktionen als Werk »linksradikaler Agitatoren«. Das zielt vor allem auf die neue Antikapitalistische Partei unter Olivier Besancenot, deren Wirken überall im Land zu beobachten ist, wo Unternehmen geschlossen oder ins Billiglohnausland verlagert werden sollen. Für Mitte Mai hat die Partei einen spektakulären Sternmarsch von Arbeitslosen nach Paris geplant."(...)
und gerade das letztere nenne ich mal eine wirklich interessante aktion, bei der ich vermute, dass die vielfach auch hier im blog angesprochenen "mentalitätsunterschiede" zwischen france und deutschland in der hinsicht erneut deutlich werden, dass sich viele französische erwerbslose nicht so einfach als "selbst schuldig" in die buh-ecke der gesellschaft stecken lassen werden wie hierzulande. und auch das dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass der öffentliche diskurs, der hier noch bei der bloßen möglichkeit sozialer unruhen steckt, dort schoneine stufe weitergediehen ist:
"Ein zweiter "Mai 68" wird aus dem Tag der Arbeit in Frankreich nicht entstehen. Aber die Stimmung im Land ist wegen der Wirtschaftskrise so gespannt, dass der frühere französische Regierungschef Dominique de Villepin doch eine "Revolutionsgefahr" heraufziehen sieht."(...)
aus seiner sicht ist das natürlich eine "gefahr". aber interessant ist das doch schon, dass rund um den planeten inzwischen seitens der "eliten" wöchentlich irgendwo das bild von unruhen und revolution gemalt wird. sind ihnen womöglich ihre eigenen schafsherden zu lethargisch? vermuten sie hinter der immer noch weitgehend vorherrschenden apathie irgendwelche finsteren vorgänge (die paranoia gehört bekanntlich zur elitären grundausstattung)? oder haben sie selbst unbewusst keinen plan und keine lust mehr, und möchten ihr ende mittels einer selbsterfüllenden prophezeiung beschleunigen? fragen über fragen.
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ein hübscher kleiner bailout-rap, könnte ein cover eines nelly-furtado-stücks sein:
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in der türkei hat der erste mai sozusagen aus tradition eine besondere bedeutung für die gesamte linke, war das doch speziell (aber nicht nur) in zeiten der diktatur meist ein blutiger und opferreicher tag. und so stand er in diesem jahr nicht nur im zeichen der krise, sondern primär im zeichen derlandesgeschichte:
"Die Feiern am 1. Mai in der Türkei sind zu einem historischen Moment für die Gewerkschaften des Landes geworden. Zum ersten Mal seit 28 Jahren ist der 1. Mai wieder ein Feiertag. Und zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren konnten sich wieder mehrere tausend Arbeitnehmervertreter am zentralen Taksim-Platz in Istanbul versammeln. Während die Feier friedlich verlief, fanden in der Umgebung heftige Auseinandersezungen zwischen Polizei und Demonstranten statt.
Nach der Erschießung von 36 Demonstranten am 1. Mai 1977 war der Taksim-Platz für Gewerkschafts-Demonstrationen gesperrt worden.
Diesmal gewährten die Behörden rund 5.000 Gewerkschaftern Zugang zu dem Platz, wo sie feierten, der Toten von 1977 gedachten und eine Bestrafung der Verantwortlichen für das damalige Blutbad forderten."(...)
ich würde ja behaupten, dass dieser umgang mit dem ersten mai seitens des staates keinesfalls aus plötzlich entdeckter zuneigung zu den gewerkschaften entstanden ist, sondern eher aus der einsicht, dass sich gerade in diesem jahr die übliche repressive behandlung der mai-demonstrationen zu einem massiven eigentor hätte entwickeln können. eine gewisse strategische und taktische intelligenz (der durchweg instrumentellen art) sollte man den "eliten" also auch dort nicht absprechen.
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rob vegas kurz, knapp und überzeugend mit "finanzkrise" - bisher mein heimlicher favorit in der reihe.
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es ist ja schon in "normalen" kapitalistischen zeiten realität gewesen, dass rund um die welt besonders kinder zu den leidtragenden des wahnsinnigen konkurrenzgerangels zählten - und so ist es auch nicht überraschend, wenn jetzt zum wiederholten male die feststellung verkündet wird, dass in zeiten der krise kinder erst recht diearschkarteaufgedrückt bekommen werden:
(...)«Es sind vor allem die Kinder, die unter den Folgen des weltweiten Abschwungs leiden - in Afrika, in Indien, Pakistan, Bangladesch, China», sagte der Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Jürgen Heraeus, der in Hannover erscheinenden «Neuen Presse» (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Dort lebten viele Menschen von dem, was ihnen Familienmitglieder überweisen, die in Europa, den USA oder den Golfstaaten arbeiten.
Viele dieser Arbeitsplätze fielen jetzt weg, sagte Heraeus. Weltweit würden immer mehr Wanderarbeiter arbeitslos. «Es droht gerade in Asien ein Armutsproblem von dramatischen Dimensionen», sagte Heraeus.(...)
wie im blog in der vergangenheit öfter thematisiert (ebenfalls im obigen verlinkten artikel), existiert aber auch hierzulande eine inzwischen in die millionen gehende zahl von als arm zu bezeichnenden kindern, die erstens durch die krise weiter ansteigen wird, zweitens aber auch die bereits vorhandene armut regelrecht zementieren könnte. und dabei handelt es sich eigentlich um verbrechen, die wieder mal niemals vor einem gericht landen werden - solange sich eine mehrheit weiter mit dem bloßen (nicht-)betrachten dieser zustände zufrieden gibt.
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mbird erklärt uns in einem irgendwie lakonischen rap nochmals zusammengefasst der verlauf der krise in den usa - hier ist der "financial meltdown rap".
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in aller kürze - das krisentelegramm + ein nachtrag von wildcat -acht thesen zur krise, die auf jeden fall für ausreichend diskussionsstoff sorgen sollten + schon was vom aktuellenscheiss-streikim pflegegewerbe gehört? nein? dann wird´s zeit - ich find´s eine angemessene aktion(sform) + ganz frisch kam vorhindasauf den monitor: "Die Rezession wird sich nach Einschätzung der EU-Kommission in Europa stärker auswirken, als bislang erwartet. In ihrer Frühjahrsprognose erwartet die Kommission für die Länder der Europäischen Union und der Eurozone einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um vier Prozent. Das sei doppelt so viel, wie bisher erwartet. Die Arbeitslosigkeit dürfte zugleich deutlich steigen. Europaweit sei in diesem und im kommenden Jahr mit dem Verlust von 8,5 Millionen Stellen zu rechnen" - "der mai ist gekommen, die verluste schlagen aus" *träller* + und das buchstäblich letzte heute vom sog.ethikverband der deutschen wirtschaft(alleine dessen bloße existenz ist natürlich schon ein echter hit): "Der Ethikverband der Deutschen Wirtschaft (EVW) wirft der Politik vor, die Finanzkrise auszunutzen, um mit moralischen Forderungen Ängste innerhalb der Bevölkerung zu schüren. "Auf diese Weise wollen die Parteien Eigeninteressen durchsetzen", sagte EVW-Präsident Ulf Posé." - höhnisches gelächter, tomaten fliegen auf die bühne, schmählicher abgang und vorhang ohne schlussapplaus. die dreistigkeiten der "eliten" wollen einfach kein ende nehmen +
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das blues und fröhlichkeit kein paradox sein müssen, zeigt uns nun zum wirklichen ende "skinnerla" (ich hoffe, ich habe da bezgl. der interpreten nix falsch verstanden) mit dem "finanzkrisenblues".
ich hoffe übrigens, dass die musikalische untermalung der wie üblich und gewohnt sehr unfrohen sonstigen botschaften Sie ebenso etwas aufmuntern konnte wie mich. zum wochenende geht´s dann mit der eingangs erwähnten deutschland-und-die-krise-reihe weiter.
die beiträge dieser kleinen reihe -hier geht´s zum ersten teil- stellen einen versuch dar, das thema besonders aus der perspektive weit verbreiteter psychophysischer strukturen in der hiesigen bevölkerung zu beleuchten. diese in jedem fall zunächst individuell vorhandenen strukturen prägen aufgrund historisch gewachsener und tradierter ähnlichkeiten wie eine größtenteils unsichtbare matrix unser aller verhalten, auch und gerade bei kollektiven reaktionen. und das gilt nochmal besonders und verschärft bei realen oder auch "nur" potenziellen existenziellen bedrohungen diverser art, welche die krise bereits jetzt (und zukünftig noch in größerem maßstab) für viele menschen mit sich bringt. das ist, sehr kurzgefasst, mein "arbeitsansatz" bei diesen beiträgen.
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der fiktive brief des hyperion im ersten beitrag "...lässt sich durchaus nach meinem verständnis als sehr frühe psychohistorische studie lesen.". dabei beziehe ich mich vor allem auf die arbeiten des us-amerikanischen psychohistorikers lloyd deMause, von dem eine zusammenfassung seiner arbeitenhiermit einigen seiner zentralen thesen näher vorgestellt wird.
und die basis dessen, was da von hölderlin mittels der kunstfigur hyperion über die damalige deutsche bevölkerung und ihre eigenarten im sozialverhalten konstatiert wird, lässt sich anhand von deMause bzw. den arbeiten deutscher psychohistoriker wie folgt begreifen:
(...)"Kindesmord und Säuglingssterblichkeit waren gegen Ende des 19.Jahrhunderts in Deutschland und Österreich weit mehr verbreitet als in England, Frankreich, Italien und Skandinavien. Neugeborene wurden nicht als vollwertige Menschen betrachtet, weil man dachte, sie besäßen in den ersten 6 Wochen noch keine Seele und konnten so »in einer Art später Abtreibung getötet werden«. Vielfach bekamen gebärende Mütter in Deutschland »ihre Babies im Abort und behandelten die Geburt wie eine Evakuation«. Geburten, die als »Stuhlgang erfahren wurden, ermöglichten den Frauen ihre Kinder auf eine sehr grobe Art umzubringen, durch Zerschmettern ihrer Schädel wie bei Geflügel oder Kleintieren«.
Andere, die beobachteten, wie Mütter ihre Kinder töteten, bemerkten an diesen keine Gewissensbisse, »voll von Gleichgültigkeit, Kälte und Gefühllosigkeit [und vermittelten] den Eindruck allgemeiner Gefühlsarmut« gegenüber ihren Kindern. Auch wenn der Säugling überleben durfte, konnte er leicht vernachlässigt und zuwenig gefüttert, und somit »direkt in den Himmel geschickt« werden. Die Sterblichkeitsraten von Säuglingen reichten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von 21 Prozent in Preußen bis zu erstaunlichen 58 Prozent in Bayern, wobei sich die Zahlen im Süden teilweise aus der Praxis des Nichtstillens erklären, denn von Hand gefütterte Babies starben dreimal so häufig wie Gestillte. Die besten Zahlen für ganz Deutschland gegen Ende des Jahrhunderts lagen immer noch über 20 Prozent, doppelt so hoch wie in Frankreich und England."(...)
(...)Klöden schreibt, das Motto deutscher Eltern gegen Ende des 19.Jahrhunderts wäre simpel gewesen: »Kinder können nie genug geschlagen werden.«Obwohl wenige deutsche Eltern der Vergangenheit sich für ihr Schlagen heute einer Gefängnisstrafe entziehen könnten, bekamen die
Kinder Ende des 19. Jahrhunderts wenig Schutz von der Gesellschaft, da ihre eigenen Worte und nicht einmal die körperlichen Spuren ihrer
schweren Misshandlung nichts zählten. Endes Erhebung beschreibt typische Gerichtsverfahren, so ein Nachbar Anzeige erstattete, wegen »eines dreijährigen Mädchens, [deren] Körper mit Striemen übersäht war. Lippen, Nase und Zahnfleisch waren offene Wunden. Der Körper zeigte zahlreiche eiternde wunde Stellen. Das Kind wurde auf einen glühend roten eisernen Herd gesetzt - zwei Wunden auf den Pobacken eiterten«, aber das Gericht sprach die Eltern frei."(...)
(auszüge aus lloyd deMause, "das emotionale leben der nationen", siehe literaturliste oder den link oben)
das sind zustände, wie sie sich nicht plötzlich erst in der beschriebenen epoche entwickelt haben, sondern auch vorher (zb. in der zeit von hölderlin) vorhanden waren - und spätestens seit den arbeiten verschiedener, v.a. ursprünglich "klassisch" psychoanalytischer dissidentInnen wie arno gruen und besondersalice miller, fortgeführt und ergänzt durch eigene ansätze von der psychohistorie und vielfältig belegt und gestützt durch die untersuchungen der aktuellen psychotraumatologie könnten eigentlich alle wissen, dass ein derartig destruktiver umgang innerhalb unserer eigenen spezies - gegenüber dem nachwuchs - nicht nur nicht ohne schwere negative konsequenzen für die direkt betroffenen bleibt, sondern auch das potenzial besitzt, ganze gesellschaften in ihrer sozialen basis schwer zu schädigen, wenn nicht sogar mittel ständiger zwanghafter re-inszenierungen der destruktivität auf den pfad der selbstzerstörung zu treiben.
ein ganz fataler mechanismus bei traumatischen prozessen stellt dabei die eigenschaft von traumata dar, sich zu tradieren - d.h., dass traumatisierte menschen, bei denen ohne bewussten umgang mit den trauma ihr ganzes leben von selbigen in vielfältiger art und weise totalitär bestimmt werden kann - in sachen körperlicher verfassung, körperlichem ausdruck, wertesysteme, weltvertrauen, soziales verhalten, beziehungsfähigkeiten, selbst- und fremdwahrnehmung - in einem bestimmten sinne gar nicht anders können, als ihre gesamte soziale umgebung und besonders "eigene" kinder ständig mit traumatischen und auch traumatisierenden strukturen im alltag zu konfrontieren und zu beeinflussen. und das auch, ohne das die kinder selbst als traumatisch zu bezeichnende erlebnisse am eigenen leib erlebt haben müssen. der gleich prozeß kann sich dann, selbst ohne neues traumatisches material, in abgeschwächter und modifizierter form noch in den nächsten generationen manifestieren. weitere informationen zu tradierten traumata im blog bspw.hier, hier, daunddort.
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ich glaube dabei, dass die informationen, die hinter der wahrnehmung der tatsache, dass traumata dazu neigen, sich in gewisser - und vielfältiger - weise fortzupflanzen stecken, noch nicht annähernd in ihrer vollen bedeutung und allen konsequenzen verstanden worden sind. auch ich möchte mir das nicht anmaßen, habe aber aus meiner inzwischen jahrelangen und teils sehr persönlichen beschäftigung damit immer wieder durch vage gefühle und bestimmte aha!-erlebnisse öfter den eindruck, als würde hier eine entscheidende weggabelung unserer weiteren evolutionären entwicklung liegen. will sagen, das es für mich in manchen momenten so erscheint, das es ohne ein breites sowohl individuelles als auch kollektives verständnis des prozesses "trauma" die erwähnte entwicklung nicht (mehr) geben wird. und die spezies insgesamt in einer phase der agonie, gewalttätigkeit, allgemeiner antisozialer atmosphäre und psychophysischer verwahrlosung enden wird (alles typische mögliche symptome eines traumas, zu besichtigen schon in vielen weltregionen). und, das sollte und muss dazu gesagt werden: es wird ein sehr qualvolles ende für die meisten sein, die das möglicherweise miterleben müssen.
deutschland stellt dabei eine art mikroskop dafür dar, was weit verbreitete - und primär durch den über jahrhunderte extrem brutalen und erbärmlichen umgang mit kleinen menschen erzeugte - traumata in massenhaften dimensionen innerhalb einer gesellschaft anrichten können. ich habe im letzten beitrag bereits das, was so allgemein unter dem begriff der "deutschen mentalität" verstanden wird, kurz umrissen. und sowohl die autoritätsängste (wurden und werden bis heute zuerst in den familien verankert) als auch bereitwillige unterwürfigkeit (dito) stellen ebenso wie die brutalität gegen alles anscheinend "schwächere" (wird bis heute von den sog. "eliten" benutzt) tatsächlich zwei zusammengehörige seiten einer medaille dar. je nach betroffenem mensch, der zugehörigen sozialisation sowie dem jeweiligen sozialen umfeld im näheren und weiteren (gesellschaftliche verhältnisse) sinne können traumatische strukturen sich mal im extrem in der einen oder der anderen weise ausdrücken. aber beides gehört funktional untrennbar zusammen.
wie die deutsche, von deMause inspirierte, psychohistorische forschung ausserdem darlegt, gibt es auffällige entwicklungsunterschiede zwischen deutschland und anderen europäischen ländern (zb. frankreich) im umgang mit kindern. und diese sind bruchlos bis 1945 zu konstatieren, erst nach dem ende der nazis lässt sich ansatzweise eine sehr langsame verbesserung wahrnehmen (und relikte der üblichen und "normalen" sog. erziehung bis 45 haben sich in der alten brd, aber wahrscheinlich auch in der ddr, mindestens bis in die 1970er jahre gehalten - stichwortheimkinder.) ebenfalls ist die mehrheitlich - zumindest öffentlich - entsetzte reaktion auf die immer wieder neuen fälle von verschiedener gewalt gegen kinder (siehe auch den index hier im blog, wo viele dieser fälle dokumentiert sind) eine für deutschland historisch recht neue reaktion, zumal die jeweiligen praktiken - kindermorde durch eltern, vernachlässigung, prügel - hier über jahrhunderte im bewusstsein viel zu vieler menschen als "normal" gegolten haben.
natürlich haben dann die historischen traumatischen kollektiverfahrungen durch diktaturen, kriege, flucht, vertreibung und auch all die gescheiterten bzw. teils "verratenen" revolutionen (wozu übrigens "1989" aus meiner sicht nicht zu zählen ist, denn das war eine systemimplosion und keine revolution) dann auf die eh schon vorhandene basis jeweils noch eins draufgesetzt bzw. diese basis immer wieder getriggert. und trotzdem halte ich den eingangs skizzierten unterdurchschnittlichen hiesigen umgang mit kindern für eine entscheidende - zumindest psychophysisch wirksame - quelle des ganzen deutschen desasters.
und eine der vielfältigen ausdrücke davon lässt sich nach meinem verständnis bspw. auch in den folgenden aussagen betrachten, mit denen ich dann wieder den bogen zur aktuellen situation schlagen möchte - stichwort"mentalitätsunterschiede":
(...)"Die Revolution fand vor zweihundert Jahren in Frankreich statt, nicht in Deutschland", sagt Rudolf Heim von der Chemiegewerkschaft IG BCE. "Das sind unterschiedliche Mentalitäten." Dabei ist die Wut auch in Deutschland groß: "Conti stellt die Systemfrage", erklärt Heim. Es gebe eine Betriebsvereinbarung, dass es zu keinen betriebsbedingten Kündigungen in Stöcken kommt. "Damit wird eine rechtsverbindliche Vereinbarung gebrochen." Doch diesen Streit will man geordnet juristisch austragen, obwohl auch die IG BCE weiß, dass "man langfristig vor Gericht die Standorte nicht sichern kann".(...)
Heim fürchtet nicht, dass Conti-Mitarbeiter derweil die Geduld verlieren könnten und einfach ohne ihre Gewerkschaft beschließen, das Werk in Stöcken zu besetzen. "In Frankreich haben wilde Streiks Tradition, doch nicht in Deutschland."
So sieht es auch Gewerkschaftsexperte Hans-Jürgen Arlt: In Frankreich gebe es eine Protestkultur, in Deutschland eine Verhandlungskultur."(...)
so kann man sich eigene autoritätsängste und damit vorhandene konfliktscheu bzw. -unfähigkeit auch schönreden. ich würde ja den begriff einer unterwerfungskultur eher realistisch finden. aber diese realität soll und darf bis datonicht ausgesprochenwerden:
(...)"Heitmeyer: Frankreich besitzt eine ganz andere Protestgeschichte und auch eine gewaltanfällige Protestkultur. Außerdem ist Frankreich eine Klassengesellschaft. Darin entstehen viel eher Protestbewegungen, weil die Menschen sich aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit leichter zusammenfinden.
sueddeutsche.de: Ist es auch eine Mentalitätsfrage?
Heitmeyer: Ja, auch. In Deutschland ist es bisher undenkbar, dass deutsche Arbeiter ihre Manager festhalten und als Geisel nehmen, so wie es jetzt in Frankreich passiert."(...)
starkes stück von heitmeyer, die tatsache der existenz einer klassengesellschaft in deutschland schlicht zu leugnen. und dann noch die nichterklärung mittels der "anderen mentalität". etwas quasinatürliches, vielleicht "genetisch bedingtes", wird damit suggeriert, was bei näherer betrachtung zur durchaus selbstproduzierten sozialen realität wird - selbstproduziert durch all die jahrhunderte voller schläge, grausamkeiten, beschimpfungen, anklagen und erzeugter schuldgefühle.
heribert prantl nähert sich dem ganzen komplex mit einemweiteren aspekt, der das bisherige ergänzt:
(...)"Ist jetzt Freiheit - oder ist noch Ordnung? Dieser fragende Satz aus den Fliegenden Blättern von 1848 ist ein deutscher Schlüsselsatz, er erklärt den deutschen Anti-Chaos-Reflex. Freiheit galt hierzulande lange nicht als Inhalt und Teil der Ordnung, sondern als ein Synonym für Unruhe und Chaos. Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingt noch heute in den politischen Debatten durch, mit denen neue Sicherheitsgesetze begründet werden; die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Sicherheit bringen. Ruhe ist erste Bürgerpflicht, Unruhe eine Pflichtverletzung. Das wurzelt tief im kollektiven Hintergrundbewusstsein."(...)
und der vorletzte satz war schlicht und einfach jahrhundertelang eine maxime des deutschen umgangs mit kindern. und auch vor diesem hintergrund ist ein ganz wichtiger satz zu lesen:
"Die gewalttätigsten Zeiten waren in Deutschland diejenigen, in denen keinerlei Unruhe geduldet wurde."
und an anderer stelle in der gleichen zeitung ist die folgendeselbstbeschreibungzu lesen:
"Wir gelten, das ist unser gerechtfertigter internationaler Ruf, als duldsam, zuverlässig, berechenbar und flippen auch in Krisenzeiten nicht aus."
der zusatz "noch nicht" ist eine option auf die zukunft, bei der weder die genaue art des möglichen "ausflippens" (in der vergangenheit hat das bereits zweimal fast die ganze welt zu einem militärischen eingreifen gezwungen) noch die möglichen ziele benannt sind. ebenfalls finde ich es verdammt fraglich, ob duldsamkeit in irgendeiner form nun eine besonders positive eigenschaft ist (wölfe mögen bekanntlich besonders sanfte schafe...)
und irgendwie ist dieses merkwürdig unformulierte, im vagen gelassene, unaus- oder auch nicht-zuende-geprochene, zwischen den zeilen offen gelassene zumindest in meinen augen typisch für viele der beiträge, die sich in den vergangenen tagen medial mit den berüchtigten "sozialen unruhen" beschäftigten. mir fiel dabei immer wieder ein satz von theweleit aus den "männerphantasien" ein, der sinngemäß in etwa lautete, dass in deutschland alleine die vorstellung eines bürgerkriegs (die höchste zuspitzung sozialer unruhen bzw. der eskalierte klassenkampf) deshalb in einem merkwürdig obszönen geruch stehe, weil man da "an den eigenen eltern rummachen" würde - er hat das vor dem hintergrund seiner spezifischen psychoanalytischen herangehensweise mit einer sexuellen note verknüpft, die ich nicht unbedingt sehe - aber der satz macht trotzdem sinn, wenn man davon ausgeht, dass sich die "eliten" immer wieder gerne, bewusst oder unbewusst, auch als elternfiguren inszenieren. was nur deshalb funktionieren kann, weil sich relevante teile der bevölkerung davon aufgrund ihrer eigenen psychophysischen struktur ansprechen lassen. und den eltern widerspricht man bekanntlich nicht, zumindest nicht in deutschland.
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ich vergesse bei all dem durchaus nicht, dass es spätestens seit den vielgeschmähten 68ern durchaus relevante und breiter wirksame veränderungen im umgang mit kindern hier gegeben hat; ebenfalls müssen heute die diversen gruppen von einwanderern und migrantInnen berücksichtigt werden (wobei ich die herkömmliche türkische kindererziehung nach meinem wissen ähnlich kritisch wie die deutsche bewerten würde), dazu kommen selbstverständlich auch noch ganz andere einflüsse, die über die frage des umgangs mit der krise hier mitentscheiden werden (wie die mögliche strategische und taktische intelligenz unserer antisozialen "eliten" bspw.), aber für mich ist das ausgeführte eben ein ganz entscheidender - und bspw. in den vielen aktuellen vergleichen zwischen deutscher und französischer "protestkultur" auch immer präsenter - historischer hintergrund, der von all jenen menschen, die sich hier emanzipatorische veränderungen wünschen und dafür arbeiten, keineswegs unterschätzt werden darf, was mehrheitlich leider immer noch der fall ist.
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im dritten teil der reihe wird es dann u.a. genauer um die (öffentliche) diskussion der "sozialen unruhen" hierzulande gehen.
und quasi als passenden prolog zum thema hören wir zunächst eine stimme aus schon recht weit entfernter vergangenheit, eine jener stimmen, die meistens unter der rubrik "deutsche klassiker" geführt werden - und ich finde es immer wieder eine schöne ironie der geschichte, wenn von hiesigen nationalisten gerade der verweis auf diese "klassiker" mit stolzgeschwellter brust herausgetönt wird, um die "überlegenheit" des volks der "dichter & denker" (die entsprechende metamorphose dieser sentenz in richter & henker ist nach wie vor höchst angemessen) zu belegen. der folgende auszug aus dem romanhyperionvon hölderlin, entstanden ende des 18. jahrhunderts, eignet sich immer wieder sehr gut, um den oben genannten die erwähnte brust wieder recht schnell zusammenfallen zu lassen. und gleichfalls - das werden die vermutlich zwei weiteren folgebeiträge dieser minireihe zeigen - hat hölderlin da bereits vor langer zeit einige typische atmosphärische und verhaltensmässige folgen von weit verbreiteten traumatischen sozialstrukturen mittels wortgewaltiger sprache eingefangen, die sich insgesamt zu etwas komprimieren lassen, was unter dem in die irre führenden begriff von der "deutschen mentalität" bis heute davon zeugt, dass sich mehr oder weniger große teile der hiesigen bevölkerung immer noch nicht über ihr eigenes sein und dessen bedingungen auch nur einigermaßen im klaren sind.
mit der aktuellen situation in der heutigen krise hat das, was gleich im brief von hyperion an seinen freund bellarmin zu lesen sein wird, in meinen augen deshalb etwas zu tun, weil die spezifisch hiesigen autoritätsängste, die unfähigkeit zum widerstand gegen angemaßte autorität sowie die damit zusammenhängende bereitschaft zur aggression gegen alles als "schwächer" wahrgenommenes - oder auch gegensich selbst- , eine lange und unheilvolle tradition besitzen, deren prägnanteste wegmarken nicht nur all die fehlgeschlagenen bzw. nicht stattgefundenen revolutionen darstellen, sondern ebenfalls all das, was sich in den verschiedenen deutschen diktaturen - mit dem monströsen, aber folgerichtigen "exzess" des nationalsozialismus an der spitze - wie ein giftiges konzentrat gebündelt hat - militarismus, rassismus, antisemitismus, sexismus und der in den weltkriegen jeweils in den offenen wahn kumulierende nationalismus. all das sind natürlich keine rein deutschen spezialitäten, und trotzdem sind die meisten erscheinungsformen der eben genannten herrschaftsverhältnisse in diesem land immer noch eine stufe ekliger, krasser, brutaler und mittels staatlicher duldung und unterstützung besser organisiert (= mörderischer) ausgefallen als anderswo. was ohne entsprechende dispositonen in relevanten teilen der bevölkerung eben nicht möglich gewesen wäre.
und das gilt in modifizierter form bis heute (dazu muss man sich zb. nur den verbreiteten umgang mit erwerbslosen, noch deutlicher den gegenüber "ausländern", betrachten). die in diesem zusammenhang verbreitete rede eines angeblich "deutschen nationalcharakters" oder auch der von der schon erwähnten "deutschen mentalität" besitzt dabei trotz aller sonstigen irreführung (beides sind rein gedankliche konstrukte objektivistischer art) einen realen kern in der art, dass beide begriffe etwas zu erfassen suchen, was sich als tradierte kollektive erfahrungs- und verhaltensmuster beschreiben liesse. dabei geht es aber primär immer um individuelle erfahrungen von solcher verbreitung, dass sie regelmässig als "typisch" und "normal" (fehl-)wahrgenommen werden - letzteres deshalb, weil sie vielleicht typisch für eine bestimmte - nämlich traumatische - gesellschaftliche matrix sein mögen, aber gerade deshalb keinesfalls als "normalität" begriffen werden können und sollten.
und der folgende brief des hölderlin macht deutlich, dass diese matrix bereits seit langer zeit in unseren breiten hier wirksam ist - und auch die aktuellen und noch kommenden reaktionen auf die krise zu einem großen teil mit gestalten wird. der text lässt sich durchaus nach meinem verständnis als sehr frühe psychohistorische studie lesen. und es empfiehlt sich sehr, ihn sacken und wirken zu lassen. in den nächsten tagen kommt dann die zweite folge.
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Hyperion an Bellarmin
So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. Demütig kam ich, wie der heimatlose blinde Oedipus zum Tore von Athen, wo ihn der Götterhain empfing; und schöne Seelen ihm begegneten -
Wie anders ging es mir!
Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes - das, mein Bellarmin! waren meine Tröster.
Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist:
ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen - ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?
Ein jeder treibt das Seine, wirst du sagen, und ich sag es auch. Nur muß er es mit ganzer Seele treiben, muß nicht jede Kraft in sich ersticken, wenn sie nicht gerade sich zu seinem Titel paßt, muß nicht mit dieser kargen Angst, buchstäblich heuchlerisch das, was er heißt, nur sein, mit Ernst, mit Liebe muß er das sein, was er ist, so lebt ein Geist in seinem Tun, und ist er in ein Fach gedrückt, wo gar der Geist nicht leben darf, so stoß ers mit Verachtung weg und lerne pflügen! Deine Deutschen aber bleiben gerne beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müßten solche Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlaßnen Unnatur auf solchem Volke.
Die Tugenden der Alten sei'n nur glänzende Fehler, sagt' einmal, ich weiß nicht, welche böse Zunge; und es sind doch selber ihre Fehler Tugenden, denn da noch lebt' ein kindlicher, ein schöner Geist, und ohne Seele war von allem, was sie taten, nichts getan. Die Tugenden der Deutschen aber sind ein glänzend Übel und nichts weiter; denn Notwerk sind sie nur, aus feiger Angst, mit Sklavenmühe, dem wüsten Herzen abgedrungen, und lassen trostlos jede reine Seele, die von Schönem gern sich nährt, ach! die verwöhnt vom heiligen Zusammenklang in edleren Naturen, den Mißlaut nicht erträgt, der schreiend ist in all der toten Ordnung dieser Menschen.
Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk, und was selbst unter Wilden göttlichrein sich meist erhält, das treiben diese allberechnenden Barbaren, wie man so ein Handwerk treibt, und können es nicht anders, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zweck, da sucht es seinen Nutzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre Gott! es bleibt gesetzt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und selber, wenn des Frühlings holdes Fest, wenn die Versöhnungszeit der Welt die Sorgen alle löst, und Unschuld zaubert in ein schuldig Herz, wenn von der Sonne warmem Strahle berauscht, der Sklave seine Ketten froh vergißt und von der gottbeseelten Luft besänftiget, die Menschenfeinde friedlich, wie die Kinder, sind - wenn selbst die Raupe sich beflügelt und die Biene
schwärmt, so bleibt der Deutsche doch in seinem Fach und kümmert sich nicht viel ums Wetter!
Aber du wirst richten, heilige Natur! Denn, wenn sie nur bescheiden wären, diese Menschen, zum Gesetze nicht sich machten für die Bessern
unter ihnen! wenn sie nur nicht lästerten, was sie nicht sind, und möchten sie doch lästern, wenn sie nur das Göttliche nicht höhnten! -
Oder ist nicht göttlich, was ihr höhnt und seellos nennt? Ist besser, denn euer Geschwätz, die Luft nicht, die ihr trinkt? der Sonne Strahlen, sind sie edler nicht, denn all ihr Klugen? der Erde Quellen und der Morgentau erfrischen euern Hain; könnt ihr auch das? ach! töten könnt ihr, aber nicht lebendig machen, wenn es die Liebe nicht tut, die nicht von euch ist, die ihr nicht erfunden. Ihr sorgt und sinnt, dem Schicksal zu entlaufen und begreift es nicht, wenn eure Kinderkunst nichts hilft; indessen wandelt harmlos droben das Gestirn. Ihr entwürdiget, ihr zerreißt, wo sie euch duldet, die geduldige Natur, doch lebt sie fort, in unendlicher Jugend, und ihren Herbst und ihren Frühling könnt ihr nicht vertreiben, ihren Aether,
den verderbt ihr nicht.
O göttlich muß sie sein, weil ihr zerstören dürft, und dennoch sie nicht altert und trotz euch schön das Schöne bleibt! -
Es ist auch herzzerreißend, wenn man eure Dichter, eure Künstler sieht, und alle, die den Genius noch achten, die das Schöne lieben und es pflegen. Die Guten! Sie leben in der Welt, wie Fremdlinge im eigenen Hause, sie sind so recht, wie der Dulder Ulyß, da er in Bettlersgestalt an seiner Türe saß, indes die unverschämten Freier im Saale lärmten und fragten, wer hat uns den Landläufer gebracht? Voll Lieb und Geist und Hoffnung wachsen seine Musenjünglinge dem deutschen Volk heran; du siehst sie sieben Jahre später, und sie wandeln, wie die Schatten, still und kalt, sind, wie ein Boden, den der Feind mit Salz besäete, daß er nimmer einen Grashalm treibt; und wenn sie sprechen, wehe dem! der sie versteht, der in der stürmenden Titanenkraft, wie in ihren Proteuskünsten den Verzweiflungskampf nur sieht, den ihr gestörter schöner Geist mit den Barbaren kämpft, mit denen er zu tun hat.
Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn doch einmal diesen Gottverlaßnen einer sagte, daß bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbelastet lassen mit den plumpen Händen, daß bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihns, die göttliche Natur nicht achten, daß bei ihnen eigentlich das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist, weil sie den Genius verschmähn, der Kraft und Adel in ein menschlich Tun, und Heiterkeit ins Leiden und Lieb und Brüderschaft den Städten und den Häusern bringt.
Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, und leiden, um des Austernlebens willen, alle Schmach, weil Höhers sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt. O Bellarmin! wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht, wie Lebensluft, ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen und Helden gebiert die Begeisterung. Die Heimat aller Menschen ist bei solchem Volk und gerne mag der Fremde sich verweilen. Wo aber so beleidigt wird die göttliche Natur und ihre Künstler, ach! da ist des Lebens beste Lust hinweg, und jeder andre Stern ist besser, denn die Erde. Wüster immer, öder werden da die Menschen, die doch alle schöngeboren sind; der Knechtsinn wächst, mit ihm der grobe Mut, der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Üppigkeit der Hunger und die Nahrungsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahrs und alle Götter fliehn.
Und wehe dem Fremdling, der aus Liebe wandert, und zu solchem Volke kömmt, und dreifach wehe dem, der, so wie ich, von großem Schmerz
getrieben, ein Bettler meiner Art, zu solchem Volke kömmt! -
Genug! du kennst mich, wirst es gut aufnehmen, Bellarmin! Ich sprach in deinem Namen auch, ich sprach für alle, die in diesem Lande sind
und leiden, wie ich dort gelitten.
(hölderlin: hyperion; zweiter band, zweites buch)
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edit am 1. mai: wie zur bestätigung des obigen lesen sich passagen aus einem gerade veröffentlichtenartikelunter der überschrift "Der neue Mensch" - zwei auszüge:
(...)"Wir alle drücken dem System, das ohne Alternative ist, die Daumen. Wir alle wünschen uns, dass es gewinnt, allerdings modifiziert, unter wachsam befolgten Regeln und Teilnahme engagierter Bürger."(...)
Es geht um Werte wie Bedürfnis-Aufschub, Disziplin, Dienst, Pflicht. Um das, was Max Weber die protestantische Arbeitsethik nannte."(...)
ist das nun
[ ] überlautes pfeifen im walde seitens eines kapitalistischen lohnschreibers
[ ] das bis zum erbrechen widerholte diktat des TINA-prinzips ("there is no alternative") seitens eines kapitalistischen lohnschreibers
[ ] unverschämtes appellieren zum maßhalten im sinne von "wir-sind-ja-alle-irgendwie-mitschuld" seitens eines kapitalistischen lohnschreibers oder auch
[ ] die öffentliche zurschaustellung der eigenen sklavenmentalität seitens eines kapitalistischen lohnschreibers?
mal davon abgesehen, dass ich einen realen kern in dem ganzen dreisten elaborat sehe - denn ohne verschiedenen arten von grundsätzlichem, primär auf kompensierenden konsum zielenden, verzicht (wobei die wahrnehmung dessen, ob etwas als verzicht oder als bereicherung angesehen wird, durchaus aus verschiedenen perspektiven jeweils ganz unterschiedlich aussehen kann) wird´s auch meiner meinung nach keine sinnvollen veränderungen geben können -, sind die aussagen des autors in diesen zeiten von einer derartigen frechheit, das mir fast die spucke wegblieb.
jahrelang haben die kapitalisten zwecks profitakkumulation das lied vom fröhlichen konsum als lebenssinn vorgegeben; jetzt, wo das damit assoziierte system, angelangt an seinen inneren und den äußeren physikalischen grenzen, förmlich zerbröselt, kommt der rückgriff auf - kirchlich untermauerte - "preussische tugenden", zu denen hyperion oben schon das notwendige gesagt hat? ein schlechter witz.
ach ja, falls mir der autor irgendwann mal über den weg laufen sollte, gibt´s für das "wir alle" einen tritt. auch kapitalistische lohnschreiber müssen irgendwann erkennen, dass es grenzen der eigenen erbärmlichkeit gibt.
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und während ein mainstreammedium von "disziplin, dienst und pflicht" deliriert, ist ganz aktuell in dortmund zu besichtigen, wie leute, bei denen diese einfältige dreifaltigkeit ebenfalls hoch im kurs steht, krisenbewältigung in ihrem sinne verstehen:hunderte nazis greifen maikundgebung des dgb an. nicht die erste konfrontation zwischen gewerkschafterInnen und nazis in diesem jahr. und voraussichtlich auch nicht letzte. das sind nun wahrhaft deutsche zustände, und es stellt sich mehr und mehr die frage für die gewerkschaften, wie sie sich zu diesen positionieren wollen.
passend nicht nur zum beitrag übersimulierte weltenund soziopathen, sondern auch zu vielen anderen hier im blog, bringt arte morgen eine artthemenabend zur psychopathie, für die ich weiterhin lieber den passenderen (und unbelasteteren) begriff soziopathie bevorzuge:
"Sie missachten gesellschaftliche Regeln und Erwartungen ohne Schuldgefühl und Reue, kennen kein Gewissen, enttäuschen und verletzen ihre Mitmenschen. Dabei wirken sie auf den ersten Blick äußerst charmant und einnehmend. Die Rede ist von Psychopathen, die ein böses Spiel mit ihrer Umgebung treiben, ohne gleich kriminell oder sadistisch zu sein. Der Themenabend spürt den Grenzen zwischen krank und gesund nach und beschreibt die subtile Bedrohung, die von Psychopathen ausgeht."(...)
und der abend beginnt zunächst mit einemalten bekannten, nämlich demtalentierten mr. ripley - wenn die verfilmung, die ich noch nicht kenne, gleichfalls so überzeugend wie das buch von patricia highsmith sein sollte, ist das ein passender einstieg. wobei ich die ankündigung der nachfolgendendokumentationnoch interessanter finde:
(...)"Filmemacher Ian Walker hat Sam Vaknin begleitet, einen Menschen, der von sich selbst behauptet "größenwahnsinnig, abstoßend, widersprüchlich, skrupellos, unberechenbar und unzuverlässig" zu sein. Im Gegensatz zu den meisten Psychopathen möchte Vaknin seinem Wesen auf die Spur kommen und wissen, warum er sich nur für sich selbst interessiert und bereit ist, sowohl sich als auch andere zu verletzen oder gar zu zerstören.
"Ich bin ein Psychopath", behauptet Sam Vaknin von sich selbst. Aber ein schlechter Mensch ist er in seinen Augen nicht. Es interessiert ihn bloß nichts - außer es geht um ihn selbst. Er hat wie viele Psychopathen mit Charme und großer Manipulationskraft einige Menschenleben aus dem Gleis geworfen. Und er hat die Extreme einer sozial überaus unverträglichen Existenz durchlebt, die erfolgreichen Seiten und die Abgründe des zerstörerischen Wesens am eigenen Körper erfahren sowie seine Mitmenschen erfahren lassen.
Doch im Gegensatz zu vielen seiner Wesensgenossen will Sam Vaknin Sicherheit über seine Diagnose von Wissenschaftlerseite. Wurde er wirklich ohne Gewissen geboren? Der australische Dokumentarfilmer Ian Walker begleitet Sam Vaknin und seine stets leidende, aber immer loyale Ehefrau Lidija bei der Suche nach der Antwort. Die Reise führt tief hinein in das Denken und Fühlen eines Psychopathen."(...)
das dürfte nicht nur ein tipp für alle allgemein an den menschlichen möglichkeiten interessierten sein, sondern speziell für alle, die wissen möchten, wie relevante teile unserer gesellschaftlichen "eliten" so ticken. und wer über aufzeichnungsmöglichkeiten verfügt, sollte diese speziell bei der doku laufen lassen. ich bin jedenfalls sehr gespannt und finde es erfreulich, dass das thema derart endlich mal eine größere öffentlichkeit erfährt.
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edit am 20.04.: der film von ian walker hat zumindest für mich im goßen und ganzen das gehalten, was die ankündigung versprochen hat - die rücksichtlosigkeit (die in solchen fällen gerne mit "aufrichtigkeit" verwechselt wird) und dreistigkeit des sam vaknin wurde an vielen entscheidenden punkten aufschlußreich eingefangen; ebenfalls die elementare lieblosigkeit, mit der vaknin die sog. "beziehung" führt - seine charakterisierung der frau als u.a. "weißes blatt papier" (welches er dann beschreibt), macht seine selbst- und fremdwahrnehmung bzw. besser die defekte in dieser mehr als deutlich. interessant auch seine anfängliche selbststilisierung als narzisst (mit der er im übrigen durch sein buch noch geld verdient), die erst im laufe der im film dokumentierten psychiatrisch-neurologischen untersuchungen widerlegt wird - er ist tatsächlich ein klinischer soziopath, was die erste begutachtende psychologin und v.a. der psychoanalytiker an der zweiten station nicht bestätigen wollten, was vermutlich größtenteils mit an den denk- und diagnosemodellen liegt, die beide angewendet haben. walker hat aber primär durch den einsatz seiner versteckten kamera auch deutlich gemacht, dass eigentlich erst der alltägliche umgang mit soziopathen die ganze destruktive wirkung solcher leute deutlich macht; und dementsprechend überhaupt erst dann der entsprechende diagnostische verdacht aufkommen kann. neu war für mich immerhin die relative sicherheit bei der diagnosestellung, die sich durch den kombinierten einsatz von hirnscans und testverfahren wie dem von robert hare ergibt - das (anscheinend) sehr selbstsichere auftreten, der durchaus vorhandene (wenn auch meist verletzende witz) in kombination mit der als-ob-aufrichtigkeit und der rätselhaften wirkung des soziopathischen "charmes" machen es tatsächlich sehr schwer, hinter dieser maske die extrem kranke und krankmachende persönlichkeitsstruktur zu erkennen. da dürfte dann viel von dem gelten, was im ersten teil des eingangs verlinkten blogbeitrags zu als-ob-persönlichkeiten an zitaten von j.e. mertz zu der von ihm so genannten "psychoallergischen reaktion" zu lesen ist - die zeichen der eigenen wahrnehmung im umgang mit soziopathen bleiben meist so subtil, dass sich das "normale" gegenüber dann eher in irritationen und ausufernder selbstreflexion verliert, was dann für den soziopathen bei seinem treiben erleichternd wirkt.
beklemmend das verzweifelte klammern der ehefrau an ihrem konstruierten bild des "geliebten", welches auch durch die bestätigte diagnose nicht gestoppt werden kann. noch beklemmender aber die darstellung dessen, wie soziopathen anhand körperlicher bewegungsmuster opferpersönlichkeiten identifizieren können.
die bezüge zum öffentlichen leben, v.a. der rolle von soziopathen in der ökonomie, waren zwar vorhanden, wurden aber meiner meinung nach zu beiläufig abgehandelt. dabei ist einer entscheidenden frage nach dem sehen dieser doku eigentlich überhaupt nicht mehr auszuweichen: wie viele solcher leute sind in führungspositionen in politik, wirtschaft und militär unterwegs? wenn man sich das treiben in diesen bereichen so betrachtet, kann die antwort nur niederschmetternd sein.
und auch zu einer alten streifrage hier im blog möchte ich noch was sagen: oberflächlich weist vaknin sicher zunächst überhaupt keine züge auf, die irgendwie als autistisch verstanden werden könnten. wenn man als zentrales und definitorisches merkmal von autismus jedoch weitgehende bis totale störungen der beziehungsfähigkeiten ansieht, ist er in meiner wahrnehmung ein gutes beispiel für strukturellen und simulationsfähigen autismus, wie er eben von mertz beschrieben wird.
die dokumentation wird bei arte zweimal in den nächsten tagen wiederholt: am 24.04. um 9.55 h morgens, und am 27.04. um 03.00 h morgens.
heute ohne lange vorrede, aber mit dem besonderen hinweis auf die neuen erkenntnisse zum tod von ian tomlinson bei den "g20"-protesten in london neulich:
großbritannien I: tod bei protesten war kein herzinfarkt - polizeilicher angriff als ursache immer wahrscheinlicher
großbritannien II: von der besetzung zur blockade - neue entwicklung bei "visteon" in london
frankreich: neue betriebsblockaden und neues "bossnapping"
deutschland: "hier ist die krise"
brasilien: tausende von erwerbs- und obdachlosigkeit bedrohte menschen besetzen land und gebäude in belo horizonte
russland: betriebe gehen zur naturalienzahlung an mitarbeiterInnen über
usa: hausbesetzungen werden zur verbreiteten aktionsform
in aller kürze: us-kreditkartenblase wird virulent / fakes, tricks und bilanzfälschung: wie die aktuellen bank"gewinne" zustandekommen / deutsche rüstungsindustrie boomt / iwf warnt vor depression / nur in der schweiz? absatzboom bei hundefutter unter verdacht
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die desinformationskampagne von polizei und (vielen) mainstreammedien nach dem tod des 47-jährigen ian tomlinson während eines polizeieinsatzes bei den anti-gipfel-protesten in london erweist sich mehr und mehr als ein zusammenbrechender versuch der vertuschung einerpolizeilichen tötung:
"Die Ursache für den Tod eines Mannes am Rande der Demonstrationen gegen den G-20-Gipfel in London war nach jüngsten Erkenntnissen nicht ein Herzinfarkt, sondern eine innere Blutung. Gegen den möglicherweise verantwortlichen Polizisten laufen nun Ermittlungen wegen "fahrlässiger Tötung", wie die zuständige Behörde am Freitag mitteilte. Wie der Anwalt der Familie von Ian Tomlinson mitteilte, ergab eine zweite Obduktion, dass der 47-Jährige an einer Unterleibsblutung starb. Die Ursachen der Blutung müssten noch geklärt werden. Die Polizei hatte Anfang April nach einer ersten Obduktion noch erklärt, der Zeitungsverkäufer sei auf natürliche Weise an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben."(...)
es kursierten bereits ein paar tage nach dem tod zeugenaussagen, in denen nicht nur von polizeilichen schlägen auf die beine, sondern auch in die nierengegend die rede war. aber egal, ob diese blutung entweder durch die umstände des (ebenfalls polizeilich verursachten) sturzes auf den boden oder aber direkt durch einen schlagstock verursacht worden ist - von einem "unfall" kann spätestens jetzt keine rede mehr sein.
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bleiben wir in london: von der dortigen besetzung eines werkes des autozulieferers "visteon" war in den letzten news schon die rede, inzwischen hat sich diebesetzung zur blockadeverwandelt:
"Seit dem 31. März sind in England und Nordirland Fabrikhallen des Autozulieferers Visteon besetzt. Die Firma liefert Autobestandteile an Ford und hat ihren Bankrott erklärt. Den Beschäftigten werden soziale Leitungen verweigert.(...)
Die Besetzung in Enfield wurde am vergangenen Donnerstag beendet. Das Unternehmen ließ eine gerichtliche Verfügung ausstellen, die insbesondere den Vertrauensleuten in der Fabrik Gefängnis und die Enteignung ihrer Häuser androhte, sollte die Besetzung weitergehen. Deshalb wandelten die Arbeiter die Besetzung nun in eine Blockade der Fabrik um. Ähnlich sieht es in Basildon aus, dort wurde bereits nach zwei Tagen die Besetzung aufgegeben und in eine Blockade umgewandelt. Am Ostersonnabend hatten Beschäftigte einen Protestmarsch durch den Ort veranstaltet. In Belfast geht die Besetzung mit ungebrochener Stärke weiter.(...)
Die Unterstützung aus der Bevölkerung für die Besetzungen ist groß. Einer der Besetzer in Enfield erzählte: »Geschäftsleute aus der Umgebung sind vorbeigekommen und haben Lebensmittel gebracht. Einer hat Dixietoiletten hergefahren, völlig kostenlos. Selbst die Polizisten hatten Sympathie für uns. Einer hat gesagt, wenn er könnte, würde er mit uns auf dem Dach stehen.«(...)
eine gerichtliche verfügung, in der den besetzern u.a. mit "enteignung ihrer häuser" gedroht wird? kennt jemand das britische rechtssystem genauer und kann sagen, ob das da etwas "normales" in solchen fällen darstellt? ich finde diese drohung jedenfalls bemerkenswert.
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ansonsten ist es in vielen ländern tatsächlich so wie schon neulich vermerkt, dass besonders die autoindustrie und ihre zulieferer in dieser krisen- und protestphase im focus stehen, was auch ein blick nachfrankreichunterstreicht:
"Es ist Donnerstagabend, rund 300 Toyota-Mitarbeiter blockieren ihre Fabrik in Onnaing im Norden des Landes. Alle Zufahrten werden von Streikposten versperrt, kein Lastwagen kann das Werksgelände verlassen. Um ihrem Ärger Luft zu verschaffen, stecken die Arbeiter Holzkisten in Brand. Auch Autoreifen gehen in den Flammen auf."
die sueddeutsche kann offenbar agenturmeldungen nicht richtig lesen; darum in kürze: in dem toyotawerk arbeiten 2700 menschen, die meisten momentan auf kurzarbeit gesetzt. und bei den protesten geht es um die abwehr von gehaltskürzungen, wobei bemerkenswert ist, dass diese aktionen trotz einer gewerkschaftlichen vereinbarung mit der firmenleitung zur "konfliktbeilegung" stattfinden - und gerade letzteres ist ein weiteres zeichen für die schon öfter angesprochene bereitschaft zur militanz bei vielen französischen arbeiterInnen. ebenso wie die von ihnen geschaffene aktionsform des "bossnapping":
"Ebenfalls in der Gewalt eines wütenden Mobs: fünf Manager der Firma FM Logistic. Erst nach zehn Stunden in der Gewalt von Mitarbeitern werden sie freigelassen. Als die Polizei beginnt, die Namen der an der Geiselnahme beteiligten Arbeiter aufzunehmen, brechen sie die Aktion ab. Es ist bereits der fünfte Fall von "Bossnapping" binnen weniger Wochen."(...)
alles weitere in dem artikel bezieht sich tatsächlich auf das toyota-werk und nicht auf die gerade genannte firma. aber stattdessen schön vom "mob" daherschreiben - viele kommentare zum artikel rücken diesen sprachgebrauch zurecht.
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wie sich die ökonomischen verwerfungen langsam auch hierzulande im alltag von immer mehr menschen bemerkbar machen, beschrieb vor ein paar tagen ein artikel mit der überschrift"Hier ist die Krise", in dem eine kleine rundreise dokumentiert wird:
"Lange Zeit haben die Deutschen nichts von der Jahrhundertkrise gespürt. Doch unaufhaltsam dringt sie in das Leben der Menschen vor - Angst und Verzweiflung greifen um sich. Eine Reise durch ein verunsichertes Land."(...)
zumindest ein kleines stückchen realität gibt´s da zu betrachten, deshalb soll das auch der heutige lesetipp sein. wobei das örtchen alzenau in der reise nicht enthalten war, wo sich gerade - ebenfalls bei einem autozulieferer -eine art präzedenzfallentwickeln könnte:
"Mahle, einer der führenden Zulieferer für die Automobilindustrie, will sein Werk mit 424 Beschäftigten und zwölf Auszubildenden in dem unterfränkischen Städtchen Ende Juni schließen. Doch die gewerkschaftlich gut organisierte Belegschaft will das nicht kampflos hinnehmen. Unter dem Motto »Eine Region steht auf – Mahle Alzenau muß leben« mobilisiert sie an diesem Samstag zur Protestdemonstration. Besonders wütend macht die Metaller, daß der Konzern einen gültigen Standort- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag einfach ignorieren will.(...)
Womöglich geht es dem Konzern ohnehin nicht nur um betriebswirtschaftliche Überlegungen. Ziel könnte auch sein, einen Präzedenzfall zu schaffen. »Wenn es gelingt, ein gutorganisiertes Werk wie Alzenau dichtzumachen, dann könnte die Hemmschwelle, auch anderswo auf Betriebsschließungen zurückzugreifen, erheblich sinken«, befürchtet Gebhardt. Deshalb habe dieser Konflikt für alle Mahle-Belegschaften und die IG Metall insgesamt eine große Bedeutung."(...)
näheres zu dieser auseinandersetzung auf einer eigenenwebsite. und auch hier bin ich wie immer gespalten: die bisherige autoindustrie wird aus grundsätzlichen gründen nicht zu halten sein; die kollektiven erfahrungen der verschiedenen belegschaften in den diversen konflikten jedoch können in der zukunft einmal eine große und positive rolle spielen.
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sehr interessante neuigkeiten aus brasilien, genauer ausbelo horizonte, verbunden mit einem aufruf:
"Am Gründonnerstag, 9. April haben in Belo Horizonte rund 300 Familien ein Areal mit mehreren Häusern besetzt. Die Stadt, mit rund 4 Millionen EinwohnerInnen, registriert offiziell 75.000 leerstehende Wohneinheiten - und 55.000 obdachlose Familien. Dies ist der dritte Versuch einer Massenbesetzung in diesem Jahr in BH - und da die ersten beiden Versuche mit massiven Polizeieinsätzen beendet wurden, rufen die Organisationen, die diese Besetzung unterstützen (die Volksbrigaden (...) und die Landlosenbewegung MST) zur internationalen Solidarität auf."(...)
inzwischen sieht das alles so aus:
"Nach den Ostertagen (der Montag ist in Brasilien kein Feiertag) ist die Zahl der BesetzerInnen des etwa 40 Hektar großen Geländes der Besetzung "Dandara" vom Gründonnerstag regelrecht explodiert: Am Dienstag wurden von Fernsehreportern 981 Hütten und Zelte gezählt - womit niedrig geschätzt etwas über 4.000 Menschen an der Besetzung beteiligt sind. Die rapide Zunahme ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass der erste Polizeiangriff von 150 Schockbataillon Polizisten in der Nacht (gesetzlich verboten) zum Karfreitag, der ohne juristische Grundlage erfolgte, in einer dreistündigen Auseinandersetzung abgewehrt wurde. Seit Dienstag gibt es nun eine einstweilige richterliche Räumungsverfügung, wogegen die Anwälte der BesetzerInnen Einspruch eingelegt haben. Die Polizei hat einstweilen zugesagt, das Ergebnis der Verhandlung dieses Einspruchs abzuwarten - ein Ergebnis sowohl des organisierten Widerstands als auch der organisierten Solidarität, und der breiten Berichterstattung in zahlreichen Medien, bis auf die Produkte des "Globo" Konzerns sogar recht sachlich.(...)
Und während juristisch, politisch und materiell die Unterstützung organisiert wird, werden auch bereits Alternativen gesucht, für den Fall eines erfolgreichen nächsten Polizeiangriffs - denn viele der beteiligten BesetzerInnen sind Menschen, die gerade eben in der aktuellen kapitalistischen Krise erwerbslos wurden und dringend eine Wohnmöglichkeit brauchen."(...)
die verlinkte seite vom labournet sei zur weiteren information empfohlen; und mir scheint, dass nicht nur solche geschichten die tatsache, dass viele weltregionen incl. großen teilen von südamerika in den hiesigen medien schlicht nicht existent sind, einmal mehr grell beleuchten. umso nötiger ist die verbreitung gerade von widerstandsaktionen, nicht nur dafür dank ans labournet.
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ein blick nachrusslandmacht hingegen für mich an einem beispiel sehr deutlich, wo der zusammenbruch bestimmter branchen bzw. betriebe nicht nur wünschenswert, sondern sogar überfällig ist (und das gilt natürlich nicht nur für russland):
"Mitarbeiter des russischen Rüstungsbetriebs Molot können in diesen Tagen ihre Lebensmittelvorräte aufstocken. Da der staatliche Produzent von Maschinengewehren und Panzerabwehrwaffen derzeit knapp bei Kasse ist, hat die Betriebsleitung beschlossen, die Arbeiter in Naturalien auszuzahlen. Nun werden Pakete mit Mehl, Nudeln, Zucker, Fleischkonserven und Speiseöl an die 5000 Beschäftigten ausgegeben. Die schlimmsten sozialen Folgen für deren Familien werden damit zunächst einmal abgefedert - immerhin arbeitet ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in der Stadt Wjatskije Poljany bei Molot."(...)
ein strukturwandel, der diesen namen auch verdienen würde, müsste in einem solchen fall nicht nur die organisierung der produktion, sondern auch und gerade deren inhalt betreffen - und das ist, binsenweisheit, nicht nur in russland eben auch eine frage der gesellschaftlichen machtverhältnisse. aber bezgl. der art der lohnzahlung ist dieser spezielle produzent von destruktivem müll durchaus keine ausnahme:
""Die Bezahlung in Naturalien oder eigenen Erzeugnissen wird wieder in Mode kommen", sagt Konstantin Makjenko, Vizedirektor des Moskauer Zentrums für strategische und technologische Analyse. In der chaotischen Umbruchphase nach dem Ende der Sowjetunion war die Naturalienwirtschaft durchaus üblich. Zahlungsunfähige Betriebe schickten ihre Mitarbeiter mit Paketen von Oberhemden oder Konservendosen nach Hause - und die versuchten dann, die Ware auf improvisierten Märkten loszuwerden.
Nach Jahren des Wachstums und der wirtschaftlichen Stabilität kehren nun die Probleme zurück. Vor allem in einigen Regionen des asiatischen Teils Russlands droht die Situation außer Kontrolle zu geraten. Die verzweifelten Menschen, die bereits seit mehreren Monaten auf ihr Geld warten, versuchen, ihre Arbeitgeber mit Hungerstreiks zum Zahlen zu bewegen. Anfang April harrten im Gebiet Rostow zehn Bergarbeiter der Grube Tschicha zwei Tage ohne Essen unter der Erde aus, um an ihren Lohn zu kommen, den sie schon seit drei Monaten nicht mehr erhalten hatten. Die Aktion erwies sich als erfolgreich. Die zehn Hungerstreikenden erhielten mittlerweile ihren Lohn, die restlichen Arbeiter bekamen immerhin die Zusage, bis zum 1. Mai bezahlt zu werden."(...)
das sind hinsichtlich von lohnausfällen bzw. verzögerten zahlungen dimensionen, die hier im westen (noch) nicht erreicht werden - aber mit fortschreitendem jahresverlauf und zunehmender belastung der (fälschlich) hochgelobten sozialen sicherungssysteme vieler westlicher staaten dürften solche szenarien auch in unseren breiten eine neue erfahrung werden. ebenfalls ist verständlich, wenn auch keinesfalls akzeptabel, warum die russische regierung schon seit monaten den inneren repressionsapparat aufrüstet.
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von der einen abgewrackten "supermacht" zur anderen: in den usa werden nicht nur in kalifornienhäuser besetzt:
(...)"Die Poor Peoples Economic Human Rights Campain ist ein Netz verschiedener regionaler Gruppen in verschiedenen Staedten in den USA. Die Kampagne existiert seit 12 Jahren. Der Grossteil der Arbeit besteht darin, Menschen ohne festen Wohnsitz in der Wohnungssuche zu unterstuetzen indem sie ihnen leerstehende Haeuser vermitteln und ihnen helfen drin zu bleiben. In Philadelphia wurden von der Kampagne ueber 500 Haeuser besetzt und an Menschen vemittelt die diese brauchten.
Doch zurueck nach Minneapolis:
Hier wurden in letzter Zeit 13 Haeuser neu bewohnt. Auch das Haus von Rosemary Williams gilt nun als "besetzt", sie als "illegale Hausbesetzerin". Um auf die Situation aufmerksam zu machen ist dieses Wochenende ein oeffentliches Training des ziviler Ungehorsams geplant. Rosemary und eine Gruppe von Unterstuetzer_innen bereiten sich auf die Konfrontation mit der Polizei vor. Bis dahin wird sie in ihrem Haus wohnen bleiben."(...)
und zwecks weiterer information derlinkzur erwähnten kampagne. meldungen über hausbesetzungen, ja auch den entsprechenden aufruf einer demokratischen politikerin vor ein paar monaten, gab es hier ja schon öfter zu vermerken - aber es ist erfreulich, dass diese aktionsform, die in vielen fällen in anbetracht der bedingungen in den zeltstädten sogar lebensrettend sein kann, sich augenscheinlich weiter verbreitet. und auch dabei ist der lerneffekt für die beteiligten in sachen kollektiven handelns und der relativität aller gesetze nicht zu unterschätzen.
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in aller kürze - das krisentelegramm + lange vorhergesagt, beginnt jetzt tatsächlich dasplatzen der kreditkartenblase: "Immer mehr Amerikaner werden arbeitslos. Nun können sie auch ihre Kreditkartenrechnungen nicht mehr begleichen. American Express und Capital One, in den USA führende Anbieter von Kreditkarten, meldeten am Donnerstag beide steigende Ausfallraten. Bei American Express stieg die Ausfallrate von Krediten im März auf 8,8 Prozent, einen Rekordwert. Im Februar hatte sie noch bei 8,6 Prozent gelegen. Die Ausfälle bei Capital One stiegen von 8 auf 9,3 Prozent." die weiteren erläuterungen und behauptungen im artikel fallen vorsichtig gesagt in die gleichen rubriken wie das folgende + fakes, tricks und "legale" bilanzfälschungen -wie die aktuellen bank"gewinne" zustandekommen - die "eliten" praktizieren wieder einmal angewandten konstruktivismus. wird ihnen bloß nix nützen + darum haben sie für alle fälle auch immer noch die üblichen mittel in der hinterhand -rüstungsindustrie boomt: "Das Rüstungsgeschäft profitiert davon, dass die häufig über Jahrzehnte laufenden Milliardenprogramme kurzfristig nur schwer zu stoppen sind. So wächst auch der US-Verteidigungshaushalt, obwohl es jetzt zu Kürzungen bei einigen Schlüsselprojekten kommt. Zudem sehen Experten in Zeiten von Wirtschaftskrisen eine erhöhte Nachfrage nach Überwachungs- und Sicherheitssystemen, etwa an Landesgrenzen." - es ist bezeichnend, dass derartiges nicht als die perversion erkannt und benannt wird, die es ist + der iwf beginnt, von einerdepressionzu flüstern + und spätestens in einer solchen werden sich allüberall die essgewohnheiten so verändern, wie es jetzt (ausgerechnet) in der schweiz schon beobachtet wird:mehr hundefutter auf den tisch- "Weniger lustig ist die neue Studie der Beratungsfirma Boston Consulting Schweiz. Die Resultate zeigen: In der gegenwärtigen Krise steigt der Absatz bei Tiernahrung. Grund ist nicht etwa die Tierliebe der Schweizer. «Die Menschen steigen selber auf Tierkost um, wegen ihrer knappen Budgets», sagte Elmar Wiederin heute gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Besonders beliebt scheint Hundefutter – hier steigen die Umsätze markant." kombiniert mit den ebenfalls neulich schon erwähnten fertigsuppen, die gerade ebenfalls boomen, dürften solche ernährungsstile dann in mittlerer zukunft die umsätze des medizinischen bereiches sowie des bestattungsgewerbes beleben. enjoy capitalism!+
der aktualisierteindexsei zum wiederholten male besonders allen neuen leserInnen hier zum stöbern empfohlen. und das nicht nur, weil ich mich immer wieder auf ältere beiträge beziehe, sondern auch darum, um den vielleicht nachdrücklichsten eindruck von der thematischen ausrichtung des blogs zu bekommen.
erst neulich hatte ich ein paar neuere überlegungen zu den real existierendensimulierten weltenaus ganz verschiedenen perspektiven zusammengetragen; heute gibt´s eine art fortsetzung, die ich mit einem zitat aus einemstreitgesprächzwischen einem pädagogen und einem psychiater über die "richtige" art des umgangs mit kindern beginne (für den hinweis auf dieses gespräch dank an wednesday):
(...)Bergmann: In der Tat werden immer mehr Kinder schwierig und auffällig. Das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom greift um sich wie eine Epidemie. Wir haben es mit sozialen und damit auch seelischen Verfallserscheinungen in der modernen Kindheit zu tun. Dazu gehört, dass Körperselbstbildstörungen zunehmen, also Essstörungen und Selbstverletzungen bei Mädchen sowie Computersucht bei Jungen.(...)
Winterhoff: Die Frage ist, was hinter den Auffälligkeiten steht. Die Kinder, die ich bis vor zwölf Jahren gesehen habe, wussten, dass es ein Gegenüber und Regeln gibt. Die Kinder, denen ich heute begegne, zeigen eine Respektlosigkeit und stellen sich nicht mehr auf das Gegenüber ein. Stattdessen zwingen sie den Erwachsenen, sich auf sie einzustellen.
Bergmann: Stimmt - aber natürlich nur für einen Teil der Kinder, der näher umrissen werden müsste. Da zeichnet sich eine tiefgreifende Veränderung ab, die von vielen, auch mir, seit längerer Zeit beschrieben wird, aber keineswegs bis ins Letzte verstanden worden ist: Manche Kinder sind freundlich, sympathisch, aber sie flutschen rechts und links an allen Regeln und Vorgaben, an allen Verbindlichkeiten vorbei. In meiner Praxis sind sie ausgesprochen höflich und sagen: Das war ganz toll bei Ihnen, Herr Bergmann. Ich sitze trotzdem bedröppelt hinter meinem Schreibtisch und habe das Gefühl, dass ich das Kind nicht erreicht, nicht berührt habe. Als gäbe es gar keinen Kern des Selbst, mit dem bewusst und unbewusst Kontakt aufgenommen werden könnte. Dies ist ein sehr auffälliger Teil einer gefährlichen Entwicklung. Die Kinder laufen uns aus dem Ruder. Es ist eine fast unheimliche Tendenz."(...)
"Als gäbe es gar keinen Kern des Selbst..." - offensichtlich tut sich der pädagoge an dieser stelle schwer, das, was nicht sein darf, weiter auszuführen bzw. überhaupt weiter zu denken - denn dann würde er auf modelle zurückgreifen müssen, die den stammleserInnen hier vertraut sein dürften, den weitaus meisten tätigen sowohl im pädagogischen als auch im psychiatrischen/psychologischen bereich jedoch nicht. gleichfalls würden ihm solche modelle auch den zusammenhang zwischen seiner hypothese und den vorher erwähnten körperselbstbildstörungen deutlicher machen können, aber das wäre dann wohl too much (zu sehr deutlichen und offenen störungen des körperschemas siehe auchhier, und zwar im unteren teil).
"Manche Kinder sind freundlich, sympathisch, aber sie flutschen rechts und links an allen Regeln und Vorgaben, an allen Verbindlichkeiten vorbei. In meiner Praxis sind sie ausgesprochen höflich und sagen: Das war ganz toll bei Ihnen, Herr Bergmann."
simulationsfähigkeiten in aktion. und es lässt sich mit berechtigung die these aufstellen, dass das eine direkte und sehr unmittelbare folge der konstatierten kernlosigkeit darstellt - wir sehen womöglich denobjektivistischen modus, und zwar die entgleiste variante, in betrieb.
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und das gleiche ist jetzt in einem neuen film unter dem sinnigen titelso glücklich war ich noch niezu betrachten, bei dem es in der insgesamt recht interessanten rezension bei telepolis am ende einen ganz zentralen absatz gibt:
(...)"Seine Hauptfigur Knöpfel ist ein Mensch, der sich selbst nur da findet, wo er in erfundene Rollen schlüpft, und das heißt zugleich, dass er sich längst verloren hat. Denn der Betrug an anderen geht mit dem Selbstbetrug Hand in Hand - und gerade weil es vielleicht ja zutrifft, dass die Welt gern betrogen werden will, wird das Spiel für die, die das gekonnt tun, mitunter derart verführerisch, dass sie Junkies ähneln, Spielsüchtigen - nur dass sie nicht um ihr eigenes Geld spielen, sondern mit dem Geld der Anderen gleich um ihr eigenes Leben."
wobei ich finde, dass die assoziation mit "spielsucht" etwas in die irre führt, weil sie nicht die existenzielle wucht der als-ob-struktur erfasst. nichtsdestotrotz tangiert das nicht meine empfehlung, sich den film anzuschauen; nicht zuletzt auch deshalb, weil vom regisseur alexander adolph ebenfalls die thematisch gleiche dokumentationdie hochstaplerstammt, in der es um - wenn man so will - authentische fallbeispiele von soziopathie bzw. als-ob-persönlichkeiten geht.
der hochstapler knöpfel im spielfilm jedenfalls scheint spontan ungefähr so sympathisch wie die figur des tom ripley von patricia highsmith zu sein, den ich in der vergangenheit als idealtypische (fiktive)als-ob-persönlichkeitbegriffen hatte. und diese benannte sympathie ist nicht nur etwas, was die wirkung von vielen (nicht allen) erfolgreichen soziopathen auf die menschliche mitwelt so unheimlich erscheinen lässt, sondern auch ein merkmal, welches von regisseurInnen und autorInnen vor allem deshalb immer wieder treffend beobachtet und skizziert werden kann, weil es real vorhanden ist.
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was sich in beliebigen kriminalistischenfallbeispielennachvollziehen lässt - als wäre ein tom ripley aus seinem buchumschlag in die reale welt entsprungen:
(...)"Wolf wird sich vielleicht als Holländer oder Brite ausgeben. Niederländisch und Englisch spricht er ohne Akzent, Letzteres sogar mit mehreren Dialekten. Wolf wird ein unscheinbares gebrauchtes Auto vor der Wohnung stehen haben, das er im Internet oder über eine Kleinanzeige gekauft hat.
So vermutet es zumindest die „Soko Wolf“; sie ist hinter dem Entführer her, für dessen Ergreifung es 100.000 Euro Belohnung gibt. Wolf könne eigentlich überall sein, sagen die Polizisten. Und dort, wo er ist, wird er lockere soziale Kontakte knüpfen, gerne mal mit den Nachbarn trinken, „bis er hauchzart lallt, aber nie bis zum Kontrollverlust“. Er wird die Menschen in seiner Umgebung freundlich grüßen, sich anpassen. „In honorigen Kreisen wird er dementsprechend auftreten. Er kann aber auch im Schlabberlook am nächsten Kiosk stehen.“ 56 Jahre ist Wolf alt, 1,85 Meter groß, trägt Brille, hat graue Haare und Geheimratsecken, ist muskulös vom ständigen Hanteltraining - „völlig unauffällig, komplett normal“, sagen Zielfahnder.(...)
Acht Jahre hat der gebürtige Düsseldorfer Wolf als Niederländer David van Dijk scheinbar „komplett normal“ im Frankfurter Westend gelebt. Ab und zu hat er sich den weißen Mercedes 200 E seiner Lebensgefährtin geliehen. Die Frau, so die Polizei, habe keine Ahnung gehabt, mit wem sie zusammenlebte."(...)
wäre interessant zu erfahren, was diese frau nach achtjähriger ehe überhaupt zu "ihrem" mann sagen kann - noch interessanter wäre aber vermutlich eine gründliche beschäftigung mit ihren selbst- und fremdwahrnehmungsfähigkeiten. bei den verschiedenen geschichten von soziopathen solchen kalibers, die mir bisher bei der beschäftigung mit dem thema so bekannt geworden sind, fällt diese fatale unfähigkeit der jeweiligen sozialen umfelder, menschen anders als im grad ihrer kompatibilität mit den herrschenden gesellschaftlichen normen für "normalität" wahrzunehmen, immer wieder sehr unangenehm auf - stecke den schlimmsten kriminellen und komplett empathielosen massenmörder in schlips und kragen, lasse ihn die rudimentärsten gesellschaftlichen umgangsformen beherrschen und eine einigermaßen höfliche sprache, so wird oma schulze von gegenüber unter garantie vom "höflichen netten nachbarn" schwärmen, der immer so zuvorkommend und ordentlich aufgetreten ist. was spätestens dann grund genug sein sollte, sich einmal ausführlicher mit all den oma schulzes und den welten zu beschäftigen, welche von ihnen so bewohnt werden.
(...)"Wolf hat nie einen Beruf gehabt, nie etwas gelernt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Verbrechen. Seit Thomas Wolf 15 Jahre alt ist, beschäftigt er die Polizei. Als Fahrrad- und Ladendieb beginnt er. Wolf kommt in ein Landesjugendheim, haut ab, wird zum Räuber. Auch die erste Gefängnisstrafe bleibt ohne Folgen. Er klaut weiter, fälscht sich einen Führerschein, betrügt, begeht Körperverletzungen.
Sein Leben besteht aus Straftaten, Aufenthalten in Gefängnissen und Ausbrüchen aus Gefängnissen.(...)
„Seine Taten laufen ruhig und gesittet ab“, sagen Ermittler. Schließlich lässt Wolf sein Leben als van Dijk und die Frau, mit der er acht Jahre zusammenlebte, wie einen Koffer zurück und geht ein für ihn hohes Risiko ein.(...)
Polizeipsychologen bezeichnen Wolf als narzisstisch veranlagt. Er sei ein Soziopath. „Er weiß nicht, was eine menschliche Bindung ist. Er hat keine Empfindungen.“ Aber Wolf weiß, wie er sich verhalten muss. Als unauffälliger älterer Herr irgendwo in Westeuropa."
das wörtchen narzisstisch halte ich im obigen zusammenhang übrigens für irreführend, auch wenn soziopathen (mit hoher wahrscheinlichkeit in diesem fall zutreffend) oberflächlich betrachtet wie narzissten wirken können. aber die innere dynamik ist eine grundsätzlich andere, weil eine narzisstische ps in der regel von einem mehr oder weniger schwer gestörten, aber eben auch vorhandenen, authentischen selbst kündet.
wolf hätte vielleicht in seiner kindheit auch beim eingangs erwähnten pädagogen im büro sitzen und diesen zu den gleichen aussagen wie oben veranlassen können - eine kindheit, zu der sich selbst ohne weitere kenntnisse der biographie sagen lässt, dass sie schlicht verheerend gewesen sein muss. denn wenn es keine deutlich abgrenzbaren ereignisse wie bspw. ein unfall mit hirnschädigung gegeben haben sollte, so ist ein mensch mit einer störung solchen kalibers immer ein produkt (in diesem falle trifft das wortwörtlich zu) der eltern und mittelbar der gesellschaft, die solche existenzen produziert.
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wolf lässt sich dabei noch in der rubrik der gesellschaftlich durchschnittlich "erfolgreichen" soziopathen unterbringen, und zwar deshalb, weil sein existenzielles spiel immer wieder trotz kontakt mit dem repressionsapparat "funktioniert", und zwar über recht lange zeiträume - er kann innerhalb der existierenden gesellschaftlichen strukturen funktionieren (= überleben), und in nichts anderem liegt der "erfolg". ein beispiel für jemanden, der bei vermutlich strukturell ähnlicher ausgangslage nicht mal annähernd diese ebene erreicht und bei seiner geschichte gleichzeitig die fiktionale bis offen halluzinierte qualität der als-ob-welten deutlich macht, lässt sich im folgendenprozeßberichtbetrachten - "In einer Scheinwelt Chef gespielt":
(...)"Software für Finanzbuchhaltung, ein Computer und ein Notebook, Tintenpatronen, ein Regal – die Bestellungen, die der Angeklagte deutschlandweit tätigte, wollen nicht recht passen zu einem von Arbeitslosengeld II lebenden 35-Jährigen, der die Sonderschule nach der achten Klasse verlassen hat.
„Er hat sich eine Scheinwelt aufgebaut, in der er als Chef fungiert“, erklärte die Verteidigerin, „er spielt Chef.“ In seiner „leitenden Funktion“ habe er Bestellungen für Produkte wie Steuerberaterprogramme getätigt, „um seine Tätigkeit ausüben zu können“. Ihr Mandant lebe sehr isoliert und habe im Rahmen seiner fiktiven Geschäftstätigkeit unter anderem Formulare bei BMW bestellt, um als Vertragshändler für den Autohersteller tätig werden zu können.
Bei den Bestellungen, die zum Teil eine Höhe von über 3500 Euro erreichten, firmierte der umfassend geständige Mann mit erfundenen Briefköpfen als Unternehmer in Sachen Systemtechnik oder Computersystemen."(...)
das mutet im vergleich mit der - hm, "weltläufigkeit" bei t.wolf wirklich gleich alles ein "paar klassen tiefer" an; ebenfalls wie die anfallenden finanziellen schäden. vermutlich hat der protagonist dieser geschichte aber einfach mehr pech und ungünstige umstände bei der umsetzung seiner fiktionen gehabt:
(...)"Bewährungschancen und Therapieangebote, aber auch mehrjährige Haftstrafen hatte der Mann in seiner Vergangenheit schon mehrfach erhalten. Seine ältesten Einträge im Strafregister reichen bis ins Jahr 1989 zurück. Überwiegend sind es Betrugsdelikte, mit denen der Angeklagte schon im Alter von 16 Jahren begann.(...)
Die von seiner Verteidigerin und auch seinem Bewährungshelfer vertretene Meinung, dass der Mann sich lediglich so verhalte, weil er nicht anders könne, teilte der im Prozess gutachtende Psychiater nicht. Der Angeklagte wirke keineswegs wie ein Sonderschüler, er könne sich gewählt ausdrücken. Während der Begutachtung „war er charmant, weltoffen und sympathisch“, so der Psychiater. Der Mann habe durchaus die Fähigkeit, sich auf Menschen und ihre Gefühle einzustellen und sie zu manipulieren."(...)
und das ist wieder mal so ein psychiatrisches gutachten, bei dem ich ob der schlussfolgerungen kopfschüttelnd davor sitze - wann wird sich bei der etablierten psychiatrie endlich mal die existenz von totalsimulativen persönlichkeiten herumsprechen, die natürlich die fähigkeiten besitzen, "sich auf menschen und ihre gefühle einzustellen", weil sie nicht anders können - nicht anders überleben können? ein schimmer dieser nicht verstandenen einsicht blitzt paradoxerweise im folgenden auf:
(...)"Im Raum stand für das Gericht die Frage einer eventuellen Schuldunfähigkeit aufgrund einer psychischen Störung. Doch diese Möglichkeit verneinte der psychiatrische Gutachter entschieden. Zwar sei bei dem 35-Jährigen eine sogenannte „dissoziale Entwicklung“ von Kindheit an festzustellen sowie eine Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typus, aber beides sei nicht so schwerwiegend, dass sein Leben davon durchgehend eingeschränkt werde."(...)
was der psychiater für eine vorstellung von "so schwerwiegend" hat, dass er bereit wäre, eine durchgehende einschränkung eines lebens daraus abzuleiten, bleibt sein geheimnis. ich will damit keinesfalls die psychophysische struktur bei solchen menschen wie den geschilderten verharmlosen, auch wenn ich die ebene des primär finanziellen betrugs aus meiner persönlichen sicht für nicht so relevant halte wie bspw. die bereitschaft zum mord ohne reue und innere hemmnisse, die bei einer solchen struktur jederzeit in die realität "einbrechen" kann. aber der umgang damit mittels der bisherigen und konventionellen mitteln besonders der justiz ist in solchen fällen durch die bank hoffnungslos unzulänglich und sogar kontraproduktiv, wenn man dazu die reale funktion von gefängnissen als "schulen des verbrechens" und zuchtanstalten für dissoziale persönlichkeiten berücksichtigt. aber gleichfalls gilt natürlich: um diesen umgang qualitativ zu ändern, müsste sich zunächst die orthodoxe psychiatrie von einigen elementaren hartnäckigen illusionen und fiktionen lösen, und das wiederum kann nicht geschehen ohne entsprechende änderungen von gesellschaftlichen welt- und menschenbildern. wozu ganz basal auch die änderung unseres verhältnisses zu kindern sowie zur bedeutung derpränatalen phaseder menschlichen entwicklung gehört.
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solange das aber nicht passiert, werden wir uns von der unter uns vorhandenen soziopathischen minderheit weiter offenbar mit einiger bereitwilligkeit - mindestens - betrügen lassen (meistens noch schlimmeres); mit einiger wahrscheinlichkeit sogar im globalen maßstab:"Könnte ich die Psychopathen nicht im Gefängnis studieren - an der Wall Street würde ich genug von ihnen finden". wobei die notwendige anmerkung zum schluß noch lautet: nicht nur die soziopathen schaffen sich offensichtlich immer wieder im großen und kleinen maßstab das ihnen passende system, sondern der vorgang läuft gleichfalls permanent in der anderen richtung ab - der kapitalismus favorisiert die ihm am meisten kompatiblen persönlichkeitstypen.
(ich sehe mich zur drastischen ausdrucksweise der überschrift mangels alternativen schlicht gezwungen. verhältnisse von solch drastischer erbärmlichkeit wie gleich zu sehen machen eine entsprechend deutliche sprache nötig. ebenfalls wie die nötige triggerwarnung: dieser beitrag enthält dokumentarische szenen von schlägen und folterartigen ausschreitungen).
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es gehört keine große prophezeiungsfähigkeit dazu, davon auszugehen, dass die derzeitige krise szenen wie die folgenden, die auch in relativ "normalen" zeiten schon oft genug zu verzeichnen waren, in gehäufter form hervorbringen wird - wenn die wahrhaft großen antisozialen kriminellen in den schicken anzügen nicht erreichbar sind bzw. das auch seitens der "eliten" nicht gewünscht wird, bleibt als erwünschtes ventil die hinwendung von öffentlichkeit & repressionsapparaten zu eh schon stigmatisierten gruppen übrig, die sich in verschiedenen ländern teils nur noch mittels kleinkriminalität über wasser halten können. bei einigen besonderen minderheiten wie den roma in osteuropa reicht dabei offenbar bereits die bloße identifizierung als eben solche, um in den augen von einigen staatsdienern derelementarsten menschenrechte verlustigzu gehen:
(...)"Zwei bellende Hunde an der Kette, ein brüllender Uniformierter, sechs Kinder, vier stehen an der Wand, zwei sitzen auf dem Boden. Dann ein Knall. Das Bild zeigt einen jungen Rom, der einen anderen, etwas kleineren, mit voller Wucht ins Gesicht schlägt. Eine Stimme im Off gibt Anweisungen. Beide blicken fragend in Richtung Kamera. Ein kurzes Zögern. Wieder die Stimme. Dann ein weiterer Schlag, diesmal ist es der schmächtigere Bursche. Neue Kinder kommen ins Spiel. Es sind Ohrfeigen. Ab und zu lachen Männerstimmen. Dann ein Schnitt. Die Kamera zeigt sechs Kinder von oben in einem Raum. Wieder gibt es Anweisungen. Sie ziehen sich aus. Nackt."(...)
eine gekürzte zusammenfassung liefert das folgende video, und ich zeige das wie auch das spätere aus seattle deshalb, weil ich es als nötig empfinde, dass sich möglichst viele menschen einen nachhaltigen eindruck von dem machen können, was in rechtsfreien räumen wie polizeiwachen und -arrestzellen innerhalb eines kollabierenden systems möglich ist:
das video...
"... zeigt laut dem Bericht Misshandlungen und Demütigungen von Roma-Kindern in der ostslowakischen Stadt Kosice. Die Burschen wurden demnach auf der Polizeistation vorgeführt, weil sie verdächtigt wurden, eine ältere Frau überfallen zu haben.
Polizeipräsident Ján Packa erklärte bei einer Pressekonferenz in Bratislava, die beteiligten Polizisten seien vom Dienst suspendiert worden, es würden Ermittlungen eingeleitet, ihre Vorgesetzten würden abgesetzt. Der Vorfall fand in einem Vorort Kosices, in der Roma-Siedlung Lunik IX statt, wo mehr als 7000 Menschen leben und die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Der Bürgermeister der Siedlung, Ladislav Saòa, sagte dem Standard, die Kinder stammten aus einer armen Familie. Sie hatten den Vorfall aus Angst zunächst nicht melden wollen."(...)
so nötig die entfernung der betreffenden täter im öffentlichen dienst auch ist - an der basis der strukturellen gewalt, die latent immer in die offene gewalt eines solchen kalibers umschlagen kann, ändert das schlicht - nichts. bin ich eigentlich der einzige, den das ganze an methoden der "schwarzen pädagogik" erinnert?
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etwas länger zurück liegt der folgende vorfall aus seattle / usa, den ich mir damals bereits vermerkt hatte:
hier ist ein von der polizei wg. fahrens ohne führerschein (meines wissens im wagen ihrer eltern) festgenommenes 15jähriges mädchen zu sehen, die bei ihrem eintritt in die zelle innerhalb eines wortgefechtes einen ihrer schuhe nach den polizisten schleudert. die dokumentierte reaktion lässt sich jedoch selbst bei den größten geistigen verrenkungen nicht mehr im raster von "irgendwie gerade noch angemessen" unterbringen, sondern ähnelt deutlich - zwei starke männer im schutz der relativen anonymität einer arrestzelle überwältigen auf brutale art ein mädchen - einer art vergewaltigungssituation.
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vielleicht der wirklich einzige nutzbringende vorteil der inzwischen überall präsenten kameras für den großteil der bevölkerung, dass solche angriffe in den staatlichen zonen der realen rechtlosigkeit von fall zu fall durch die selbst geschaffene maschinerie dokumentiert werden. für eine allgemeine befürwortung des überwachungsapparates reicht das jedoch keinesfalls aus.