basis: borderline 2 - nachträge und ergänzungen
war ja klar, das zu diesem thema noch einiges zu sagen bleibt - was sich auch nach meinen nachträgen zum gestrigen beitrag nicht ändern wird.
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im weitesten sinne zum komplex svv gehört folgende meldung:
"Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich unter Stressbedingungen typischerweise selbst Verletzungen zu und berichten dabei von reduzierten Schmerzen bis hin zu völliger Schmerzlosigkeit. Diesem Phänomen gingen Forscher um Dr. Wolfgang Greffrath (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und Dr. Christian Schmahl (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim) auf den Grund: Sie fanden heraus, dass die Schmerzentstehung und -weiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert und auch dass die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn zunächst normal reagieren. "Es muss sich also um einen völlig neuartigen neurobiologischen Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch eine aktive Leistung des Gehirns handeln", folgern die Forscher.
(...)
Somit bestätigt diese Studie frühere Befunde einer reduzierten Schmerzwahrnehmung bei Patientinnen mit BPS. Eine generelle Beeinträchtigung der sensorisch-diskriminativen Schmerzverarbeitung konnte jedoch erstmals vollständig ausgeschlossen werden. Die Wissenschaftler folgern, dass das periphere System der Schmerzwahrnehmung sowie die frühe Verarbeitung schmerzhafter Reize im Gehirn bei Patientinnen mit BPS vollständig intakt sein müssen und es sich um einen aktiven Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch das Gehirn handelt. "Der Schmerz wird als Ereignis zwar wahrgenommen, aber nicht als schmerzhaft empfunden, das heißt er wird subjektiv anders bewertet", sagte Greffrath."
auf die schlüsse, die daraus gezogen werden, bin ich sehr gespannt.
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thema piercing/tatto: mir ist schon früher dazu eingefallen, dass noch in den 1970er jahren tätowierungen - zumindest in dem mittelstandsbürgerlichen milieu, in dem ich aufgewachsen bin - eindeutig suspekt bis negativ kodiert waren. nämlich a) mit knast und unterwelt, b) mit seefahrer- und hafenmilieu, fließend übergehend zum bild des blutrünstigen tätowierten piraten. als ausnahme kamen noch musikerInnen hinzu. das waren auch unter "uns" jugendlichen damals die verbreiteten assoziationen, und ich kann mich an niemanden erinnern, der/die tätowiert gewesen ist - das hätte sofort einen subtilen, aber deutlichen sozialen druck für die person bedeutet. und piercing war natürlich völlig unbekannt und auch undenkbar.
nun lässt sich eine derartig unreflektierte spontane abwehr durchaus als spießig und reaktionär ansehen, wobei in den bildern zu den milieus, mit denen tattos verbunden wurden, auch ein realer kern drinsteckt. und in der rückschau finde ich es immer bemerkenswerter, wie sich innerhalb von ca. 25 - 30 jahren ein zuvor eindeutig stigmatisierten randgruppen zugeordneter style faktisch zu einem teil des heutigen normalen mainstreams entwickeln konnte. an etwas vergleichbares wie das sich erst in den 1990ern durchsetzende piercing (dessen quelle auch in der s/m-szene liegt), kann ich mich mit einer ausnahme nicht erinnern: und diese ausnahme bilden die durch backen und ohren gezogenen sicherheitsnadeln der frühen punks. ich war zu beginn der 80er jahre kurzzeitig einmal sympathisierend mit den punks, und habe dabei diverse leute kennengelernt, die ich von heute aus als eindeutig gestört ansehen muss - es waren damals bereits die ersten punkgenerationen dabei, richtung sucht - v.a. heroin - abzugleiten.
und wenn ich mir die oben beschriebenen wahrnehmungen so anschaue, beschleicht mich irgendwie ein mulmiges gefühl - ich frage mich, was die verbreitung von mehr oder wenigen rituellen elementen aus knast- und s/m-welten eigentlich tatsächlich bedeutet. womit ich nicht nicht sagen will, dass alle heutigen piercing/tatto-trägerInnen irgendwie als besonders gestört anzusehen seien. nicht gestörter als der rest der gesellschaft jedenfalls.
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ergänzung zum abschnitt über die pränatalen geschehnisse: es muss natürlich nicht unbedingt die erwähnte ablehnung der mutter als grund für pränatale schäden vorhanden sein. ebenso können belastende ereignisse jeglicher art und besonders gewalt gegen die schwangere für ähnliche entwicklungen sorgen.
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und wem die im letzten abschnitt erwähnten thesen von mertz zu den möglichen zusammenhängen zwischen politischer macht und borderline zu weit hergeholt erscheinen (auch vor dem hintergrund der tatsache, dass seine thesen in der "offiziellen" bl-debatte hartnäckig - und zum schaden aller, wie ich finde - ignoriert werden), sei auf folgende passage aus dem vorwort zum handbuch der borderline-störungen (siehe literaturliste) verwiesen - geschrieben von kernberg, dulz und sachsse, denen wohl kaum jemand einen outsider-status unterstellen kann:
"Borderlinestörungen sind Bestandteil gesellschaftlichen Verhaltens, sind ein Zeitthema. Das Thema Borderline geht alle an, schon alleine wegen der daraus resultierenden gesellschaftlichen und individuellen Schädigungen durch Drogendelinquenz, Körperverletzungen, Suizidhandlungen, innerfamiliäre Gewalt und Inzest, um nur einige Aspekte zu benennen, die über das persönliche Leid betroffener Patienten hinausgehen. Wir gehen davon aus, daß
nun, das dezent-elegante wörtchen "akzentuiert" kann dabei ruhig als "verschlechtert bzw. massiv zum schlechteren hin beeinflussend" gelesen werden. aber die eloquent formulierenden herren haben natürlich auch einiges an ruf und reputation zu verlieren. inhaltlich jedoch liegen sie vermutlich sehr nah an der realität (wenn dazu noch leute mit narzisstischer ps bzw. narzisstischen tendenzen sowie pure psychopathen berücksichtigt werden), und vor diesem hintergrund erscheinen äusserungen wie die hier zitierte des generalstaatsanwalts von berlin noch einmal eine ganze ecke dümmer und zerstörerischer als sowieso schon.
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und zum vorläufigen schluss noch zwei sätze aus den beiden zeitungsartikeln, über die ich gestern noch lange nachgdacht habe:
"Und eine wachsende Zahl von Eltern ist nicht mehr in der Lage, ihren Kindern die Liebe und Anerkennung zu geben, die ein Mensch zum unbeschadeten Aufwachsen braucht." (zeit)
"Deshalb würden immer mehr Kinder misshandelt oder missbraucht." (taz)
ich frage mich schlicht und einfach - gerade vor dem hintergrund der in der letzten zeit hier näher vorgestellten ansätze von lloyd deMause -, ob diese wahrnehmungen eigentlich zutreffend sind, oder ob sie nicht eher darauf hindeuten, dass bereits seit jahrhunderten bestehende verhältnisse jetzt einfach anders bzw. überhaupt erstmalig breiter wahrgenommen werden. und letzteres wäre - paradoxerweise - überhaupt erst die grundlage für eine sehr, sehr langsam eintretende verbesserung der allgemeinen situation für kinder. verständlich, was ich meine? klar - und das ist hier im blog auch teilweise dokumentiert - existiert heute gewalt gegen kinder in teils unglaublichen formen. aber da das historisch nach psychohistorischer forschung jahrhunderte völlig "normal" war und niemanden interessiert hat, könnte der effekt heute, wo wir das zumindest immerhin in vielen fällen schon realistisch als gewalt wahrnehmen, eben vor einer fiktionalen und so niemals existierenden "besseren" vergangenheit tatsächlich so ausfallen, dass eine verschärfung der situation wahrgenommen wird. obwohl sich die realität langsam diesbezgl. bessert, zumindest in gesellschaftlichen teilbereichen.
soweit erstmal.
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edit am 29.11.: auch die frankfurter allgemeine hat vor zwei tagen einen artikel zum thema borderline gebracht, den ich zur information und unkommentiert hier verlinke.
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im weitesten sinne zum komplex svv gehört folgende meldung:
"Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich unter Stressbedingungen typischerweise selbst Verletzungen zu und berichten dabei von reduzierten Schmerzen bis hin zu völliger Schmerzlosigkeit. Diesem Phänomen gingen Forscher um Dr. Wolfgang Greffrath (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und Dr. Christian Schmahl (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim) auf den Grund: Sie fanden heraus, dass die Schmerzentstehung und -weiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert und auch dass die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn zunächst normal reagieren. "Es muss sich also um einen völlig neuartigen neurobiologischen Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch eine aktive Leistung des Gehirns handeln", folgern die Forscher.
(...)
Somit bestätigt diese Studie frühere Befunde einer reduzierten Schmerzwahrnehmung bei Patientinnen mit BPS. Eine generelle Beeinträchtigung der sensorisch-diskriminativen Schmerzverarbeitung konnte jedoch erstmals vollständig ausgeschlossen werden. Die Wissenschaftler folgern, dass das periphere System der Schmerzwahrnehmung sowie die frühe Verarbeitung schmerzhafter Reize im Gehirn bei Patientinnen mit BPS vollständig intakt sein müssen und es sich um einen aktiven Mechanismus der Schmerzunterdrückung durch das Gehirn handelt. "Der Schmerz wird als Ereignis zwar wahrgenommen, aber nicht als schmerzhaft empfunden, das heißt er wird subjektiv anders bewertet", sagte Greffrath."
auf die schlüsse, die daraus gezogen werden, bin ich sehr gespannt.
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thema piercing/tatto: mir ist schon früher dazu eingefallen, dass noch in den 1970er jahren tätowierungen - zumindest in dem mittelstandsbürgerlichen milieu, in dem ich aufgewachsen bin - eindeutig suspekt bis negativ kodiert waren. nämlich a) mit knast und unterwelt, b) mit seefahrer- und hafenmilieu, fließend übergehend zum bild des blutrünstigen tätowierten piraten. als ausnahme kamen noch musikerInnen hinzu. das waren auch unter "uns" jugendlichen damals die verbreiteten assoziationen, und ich kann mich an niemanden erinnern, der/die tätowiert gewesen ist - das hätte sofort einen subtilen, aber deutlichen sozialen druck für die person bedeutet. und piercing war natürlich völlig unbekannt und auch undenkbar.
nun lässt sich eine derartig unreflektierte spontane abwehr durchaus als spießig und reaktionär ansehen, wobei in den bildern zu den milieus, mit denen tattos verbunden wurden, auch ein realer kern drinsteckt. und in der rückschau finde ich es immer bemerkenswerter, wie sich innerhalb von ca. 25 - 30 jahren ein zuvor eindeutig stigmatisierten randgruppen zugeordneter style faktisch zu einem teil des heutigen normalen mainstreams entwickeln konnte. an etwas vergleichbares wie das sich erst in den 1990ern durchsetzende piercing (dessen quelle auch in der s/m-szene liegt), kann ich mich mit einer ausnahme nicht erinnern: und diese ausnahme bilden die durch backen und ohren gezogenen sicherheitsnadeln der frühen punks. ich war zu beginn der 80er jahre kurzzeitig einmal sympathisierend mit den punks, und habe dabei diverse leute kennengelernt, die ich von heute aus als eindeutig gestört ansehen muss - es waren damals bereits die ersten punkgenerationen dabei, richtung sucht - v.a. heroin - abzugleiten.
und wenn ich mir die oben beschriebenen wahrnehmungen so anschaue, beschleicht mich irgendwie ein mulmiges gefühl - ich frage mich, was die verbreitung von mehr oder wenigen rituellen elementen aus knast- und s/m-welten eigentlich tatsächlich bedeutet. womit ich nicht nicht sagen will, dass alle heutigen piercing/tatto-trägerInnen irgendwie als besonders gestört anzusehen seien. nicht gestörter als der rest der gesellschaft jedenfalls.
*
ergänzung zum abschnitt über die pränatalen geschehnisse: es muss natürlich nicht unbedingt die erwähnte ablehnung der mutter als grund für pränatale schäden vorhanden sein. ebenso können belastende ereignisse jeglicher art und besonders gewalt gegen die schwangere für ähnliche entwicklungen sorgen.
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und wem die im letzten abschnitt erwähnten thesen von mertz zu den möglichen zusammenhängen zwischen politischer macht und borderline zu weit hergeholt erscheinen (auch vor dem hintergrund der tatsache, dass seine thesen in der "offiziellen" bl-debatte hartnäckig - und zum schaden aller, wie ich finde - ignoriert werden), sei auf folgende passage aus dem vorwort zum handbuch der borderline-störungen (siehe literaturliste) verwiesen - geschrieben von kernberg, dulz und sachsse, denen wohl kaum jemand einen outsider-status unterstellen kann:
"Borderlinestörungen sind Bestandteil gesellschaftlichen Verhaltens, sind ein Zeitthema. Das Thema Borderline geht alle an, schon alleine wegen der daraus resultierenden gesellschaftlichen und individuellen Schädigungen durch Drogendelinquenz, Körperverletzungen, Suizidhandlungen, innerfamiliäre Gewalt und Inzest, um nur einige Aspekte zu benennen, die über das persönliche Leid betroffener Patienten hinausgehen. Wir gehen davon aus, daß
- Borderline-Störungen durch gesellschaftliche Entwicklungen akzentuiert oder auch gebessert werden.
- gesellschaftliche Entwicklungen durch Borderline-Persönlichkeiten in leitenden politischen oder wirtschaftlichen Positionen akzentuiert werden (...)"
nun, das dezent-elegante wörtchen "akzentuiert" kann dabei ruhig als "verschlechtert bzw. massiv zum schlechteren hin beeinflussend" gelesen werden. aber die eloquent formulierenden herren haben natürlich auch einiges an ruf und reputation zu verlieren. inhaltlich jedoch liegen sie vermutlich sehr nah an der realität (wenn dazu noch leute mit narzisstischer ps bzw. narzisstischen tendenzen sowie pure psychopathen berücksichtigt werden), und vor diesem hintergrund erscheinen äusserungen wie die hier zitierte des generalstaatsanwalts von berlin noch einmal eine ganze ecke dümmer und zerstörerischer als sowieso schon.
*
und zum vorläufigen schluss noch zwei sätze aus den beiden zeitungsartikeln, über die ich gestern noch lange nachgdacht habe:
"Und eine wachsende Zahl von Eltern ist nicht mehr in der Lage, ihren Kindern die Liebe und Anerkennung zu geben, die ein Mensch zum unbeschadeten Aufwachsen braucht." (zeit)
"Deshalb würden immer mehr Kinder misshandelt oder missbraucht." (taz)
ich frage mich schlicht und einfach - gerade vor dem hintergrund der in der letzten zeit hier näher vorgestellten ansätze von lloyd deMause -, ob diese wahrnehmungen eigentlich zutreffend sind, oder ob sie nicht eher darauf hindeuten, dass bereits seit jahrhunderten bestehende verhältnisse jetzt einfach anders bzw. überhaupt erstmalig breiter wahrgenommen werden. und letzteres wäre - paradoxerweise - überhaupt erst die grundlage für eine sehr, sehr langsam eintretende verbesserung der allgemeinen situation für kinder. verständlich, was ich meine? klar - und das ist hier im blog auch teilweise dokumentiert - existiert heute gewalt gegen kinder in teils unglaublichen formen. aber da das historisch nach psychohistorischer forschung jahrhunderte völlig "normal" war und niemanden interessiert hat, könnte der effekt heute, wo wir das zumindest immerhin in vielen fällen schon realistisch als gewalt wahrnehmen, eben vor einer fiktionalen und so niemals existierenden "besseren" vergangenheit tatsächlich so ausfallen, dass eine verschärfung der situation wahrgenommen wird. obwohl sich die realität langsam diesbezgl. bessert, zumindest in gesellschaftlichen teilbereichen.
soweit erstmal.
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edit am 29.11.: auch die frankfurter allgemeine hat vor zwei tagen einen artikel zum thema borderline gebracht, den ich zur information und unkommentiert hier verlinke.
monoma - 25. Nov, 12:32
Gruß aus dem Atelier ;-)
> mich irgendwie ein mulmiges gefühl - ich frage mich, was die verbreitung von mehr
> oder wenigen rituellen elementen aus knast- und s/m-welten eigentlich tatsächlich
> bedeutet. womit ich nicht nicht sagen will, dass alle heutigen piercing/tatto-trägerInnen
> irgendwie als besonders gestört anzusehen seien. nicht gestörter als der rest der
> gesellschaft jedenfalls.
Ich weiß nicht so recht. Ich glaube, daß jedes Element, daß sich vermarkten lässt, Eingang in die bürgerliche Welt (als Gegensatz zu sog. Unterwelt oder sog. Subkultur) findet, egal aus welcher gräßlichen Ecke es kommt, und wenn es nicht zu alltagsuntauglich ist.
Beispiele, die sich, ich hoffe das bleibt auch so, nicht in die bürgerliche Mode durchgesetzt haben: das Korsett ist heute nur noch vereinzelt als Fetisch anzutreffen, es ist eindeutig ein Folterinstrument, mit welchem Rippen gebrochen und innere Organe verletzt werden können, abgesehen davon, daß es die Bauchatmung verhindert - ich kann mir schwer vorstellen, daß es irgendwann wieder Eingang findet in die bürgerliche Mode (vielleicht auch nur, weil es einfach zu unpraktisch ist); ebenso wenig wie die bis vor kurzem übliche "Tradition", chinesischen Mädchen die Fußknochen zu zertrümmern, um sie anschliessend mittels Schnürung am Wachsen zu hindern, nicht zu reden von Beschneidung an Mädchen; ornamentalen Narbenschmuck kennt man von "primitiven" Völkern, und was es sonst an Verstümmelungen gibt, die der Verschönerung bzw. der Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen dienen oder dienen sollten.
In Japan hat sich die Art der Tätowierung, wie sie die dortigen Gangstersyndikate spazieren trugen, ebenfalls aus der Gosse in die bürgerliche Welt durchgesetzt. Die kleinen Jungs wollen gefährlich aussehen. Vielleicht machte es sie auch irgendwie "stark". Dazu fällt mir eine Bekannte ein, sie hat sich vor Jahren ein Intim-Percing verpassen lassen. Sie fand das alles andere als seltsam, wollte niemanden schocken (mich hat sie geschockt, weil ich dachte, das muss irre wehgetan haben, angeblich aber gar nicht) und vertraute das nur ganz wenigen Leuten an; sie wollte was Besonderes haben, was sie von den "Spießern" unterschied, und ihr ein Gefühl großen Mutes und Einzigartigkeit gab. Zumindest beschrieb sie ihren Zustand so.
In einer inzwischen eingegangenen Lifestyle-Zeitung las ich damals über Branding und andere Praktiken, die sich bisher auch nicht durchgesetzt haben; sie sind wohl (noch?) zu abgehoben.
Das Hundehalsbandl, das der gemeine Punk einst trug, erinnert zwar auch an S/M/Fetisch, war aber in meinen Kreisen eine teils politische, teils anti-bürgerliche Botschaft; die S/M-Szene nun wieder ist neben der traditionellen Gothik-Szene (die rechtsradikalen Einflüsse neueren Datums sind dann auch wieder ein Thema für sich) ja vielleicht eine der unpolitischsten Szenen überhaupt.
Vielleicht fehlen normale Riten, und es geht um Ersatzhandlungen, und man braucht ständig neue; ich meine das bitter ernst. Welche Riten lernen Kinder kennen und wenden sie als Erwachsene weiter an, um in der Hierarchie bleiben zu können oder aufsteigen zu dürfen? Rauchen, Saufen, verbale und körperliche Gewalt, Geld "machen", eine seltsam anmutende Besitzanhäufung, etc. Und welche sollten wir statt dessen einführen?
Mir fällt dazu nur noch ein: ein "normales", ein gutes, menschliches, ein nicht-hierarchisches Leben als Subjekt anstatt als /Kunde/Ware/Nummer/Objekt/, im gegenseitigen Respekt und in Freiheit, das kann ich mir schon nicht mehr vorstellen - wie soll das gehen: weil ich fürchte, daß wir schon viel zu kaputt sind und die Ausnahmen im Umfeld den Schmerz und Ekel des Lebens in dieser Gesellschaft kaum wettmachen können, und weil ich (stellvertretend für vielleicht alle Menschen) das: gegenseitiger Respekt, Freiheit bestenfalls in sehr kurzen Lebensphasen oder in reichlich später Lebenszeit erfahre, und das: die ungebrochene Erfahrung, die Hoffnung unzerstört, wäre die Voraussetzung, eine Utopie Wirklichkeit werden zu lassen.
Lieben Gruß,
W.
ich glaube,
lieben gruß zurück
mo
Der Schockwellenreiter
Mein mulmige Gefühl kommt daher, daß ich den Eindruck habe, daß die Phantasie eines Schriftstellers von der Wirklichkeit übertroffen wird.
W.
Korsetts aus matriarchaler Sicht:
http://morgaine.twoday.net/stories/1123907/