assoziation: von leaks, lügen, (falschen) verschwörungen und virtuellem widerstand (2)
(zum ersten teil)
*
geleaktes: eine weitere folge der depeschen sehe ich darin, dass in vielen fällen auch bereits gewusstes, aber bisher ignoriertes und verdrängtes, wieder zum vorschein kommt - in der art der zusammenballung mit den weiteren materialien könnte das bei großen teilen der öffentlichkeit zu interessanten reaktionen führen - später mehr.
aber wenn man sich alleine das treiben von "shell" und dem pharmakonzern "pfizer" in einem land wie nigeria betrachtet, sollte das alleine für ausreichend übelkeit sorgen. sicher, der komplex "shell in nigeria" ist lange und alt bekannt, wenn ich auch für mich sagen muss, dass ich das tatsächliche ausmaß der präsenz von shell dort dann doch überraschend finde - es sollte klar sein, dass es sich bei nigeria nicht mehr um einen souveränen staat handelt, sondern um eine staatssimulation unter maßgeblicher kontrolle von shell, wobei letztere mittels der kontrolle von shell in so ziemlich jeden nigerianischen ministerium sichergestellt wird. es ließe sich auch sagen, dass sich shell dann in der folge dort eine kaste von wahren marionetten hält, die nach außen als "regierend" verkauft wird, sich jedoch im großen und ganzen in der rolle von his masters voice wohlfühlt.
bei so einem szenario ist dann nicht weiter überraschend, dass sich eine gleichfalls international tätige kapitalistische vereinigung wie pfizer auf einem derart bereiteten boden wohl fühlt und die eigenen kriminellen aktivitäten dort für sicher hält, incl. der inanspruchnahme der örtlichen korrupten institutionen im falle des falles. wer bei solchen und ähnlichen zuständen gelangweilt abwinkt "das ist ja alles nichts neues", sollte dann doch den eigenen zynismus- und verdrängungsgrad dringend überprüfen. mich macht jedenfalls das meiste, was bisher aus dem us-bestand bekannt ist, noch wütender als eh schon. und nein, ich glaube nicht, dass die probleme der menschen in nigeria mit einem "souveränen staat" wirklich lösbar wären - aber das wäre möglicherweise ein erster schritt hin zu den allernötigsten verbesserungen der dortigen lebensumstände, weil das die entmachtung der kapitalistischen kolonisatoren bedeuten könnte.
*
wl/assange: hinsichtlich der vergewaltigungsvorwürfe muss ich sagen, dass ich mich da zu einer persönlichen wertung aufgrund eines absoluten infooverkills schlicht und einfach nicht in der lage sehe. das netz ist voll von teils sich absolut einanander ausschließenden versionen, behauptungen und (angeblichen) tatsachen - das beispiel der einen betroffenen frau, anna a., reicht dafür schon aus - ich habe berichte gesehen, in denen sie a) als funktionärin der schwedischen christdemokraten, b) mitglied der dortigen piratenpartei, c) feministin, d) anti-abtreibungsaktivistin, e) radikale linke und f) aktiv in der arbeit gegen die castro-regierung auf cuba bezeichnet wird. wahlweise auch noch mit cia-kontakten, wie die geheimrätin weiter unten in den kommentaren zu einem älteren beitrag ausgeführt hat. ebenfalls sind die berichte über die angeblichen abläufe des als vergewaltigung bezeichneten geschehens derart grotesk, dass ich mich schlicht weigere, da noch eine eigene wertung zu wagen. als sicher finde ich im moment nur das folgende: natürlich ist assange als westlich sozialisierter mann keineswegs frei von den üblichen patriarchalen und sexistischen verhaltens- und denkmustern. also ist jede bestrebung, ihn von vorneherein als unbedingt unschuldig anzusehen, unsinnig. zweitens ist das verhalten der schwedischen justiz gelinde gesagt seltsam. drittes ist das ganze timing bei dieser geschichte - wer hat wann wie gehandelt - etwas, was nochmals dringend der genaueren recherche bedarf (so habe ich momentan bspw. nicht die ressourcen zu überprüfen, ob es tatsächlich einen zeitlichen zusammenhang zwischen assanges erster ankündigung des bank-leaks nächstes jahr und der herausgabe der fahndungsorder von "interpol" gab). und viertens steckt darin auch eine wahre bombe, nämlich wiederholt die frage nach dem definitionsrecht von betroffenen frauen. fünftens ist das teils extrem frauenverachtende und sexistische gekreische, wie es teils zb. in den telepolis-foren zu lesen ist, wenn es um diesen aspekt der wikileaksgeschichte geht, schlicht widerlich. und das wäre es selbst dann noch, falls sich anna a. bspw. tatsächlich als agentin herausstellen sollte.
insgesamt wäre etwas zur klärung hilfreich, was zumindest ich nicht einfordern kann und werde: eine persönliche und öffentliche stellungnahme der beiden frauen nämlich. es wäre vielleicht eine aufgabe feministischer frauen / organisationen, da nachzuhaken - ansonsten steht nämlich zu befürchten, dass zukünftig ein gewaltiger flurschaden für viele beteiligte entsteht, wenn es um vergewaltigungen bzw. sexualisierte gewalt auf der ebene von "promis" geht. ich finde diesen ganzen komplex in allen teilen schlicht deprimierend.
*
verschwörungen: in den kommentaren von sansculotte zu den beiträgen weiter unten existiert ja schon eine variante; ähnlich ablehnend hat sich in mehrere beiträgen drüben das opablog geäussert. die argumentation dreht sich zunächst zentral darum, dass das alles ja verdächtig nach der vorbereitung eines angriffs auf den iran aussehen würde. ich habe nun weiter unten in mehreren kommentaren ebenfalls schon etwas dazu gesagt; und muss heute dazu anmerken, dass ich diese hypothese inzwischen für noch größeren unsinn halte als in der letzten woche schon. zu meinen argumenten, die ich nicht wirklich widerlegt finde, kommt zwischenzeitlich noch die tatsache hinzu, dass das thema iran im zusammenhang mit dem leak weitgehend wieder aus den schlagzeilen verschwunden ist - und damit ein für die entsprechende vt zentraler punkt schlicht nicht mehr existiert. und das die veröffentlichung der depeschen aus der botschaft in tel aviv noch bevorsteht, hatte ich ebenfalls schon erwähnt.
das opablog hat in einem beitrag drüben auf einen gewissen oliver jannich verwiesen, seines zeichens ein ultrakapitalist (das wort "libertärer" für solche leute finde ich eine überflüssige und falsche auszeichnung), 9/11-skeptiker und sog. "klimaskeptiker" (das wikileaks damals das sog. "climategate" mit internen e-mails von klimaforschern ins rollen gebracht hat, scheint er inzwischen vergessen zu haben...). ebenfalls in der illustren runde der cia-wikileaks-verschwörungstheoretiker findet sich der notorische peak-oil-leugner und kopp-autor william engdahl. hingegen ist bspw. ein ebenfalls in der szene der 9/11-skeptiker bekannter matthias bröckers sehr begeistert von wl. diese hier bereits sichtbare deutliche spaltung quer durch die fraktionen finde ich einen der interessanteren aspekte des leaks. es ließe sich fortsetzen mit dem berühmt-berüchtigten "alles-schall-und-rauch-blog" (pro wl), der sog. infokrieger-szene (contra), dann den einzelnen positionen in der republikanischen partei in den usa, wo sich bspw. eine sarah palin und ein ron paul (ultra"libertärer") ebenfalls schroff gegenüberstehen. hierzulande wittern einige kommunistische splittergrüppchen ebenfalls eine "imperialistische verschwörung" (gegen wen auch immer), und selbst die szene der sog. antideutschen ist gespalten - während sich einige der dortigen protagonisten anfangs freudig auf die iran-depeschen gestürzt haben, vermuten andere schlicht antiamerikanischen geheimnisverrat. die jeweiligen links finden Sie mit ein paar recherchekenntnissen leicht selbst heraus; ich möchte hier nicht auf die genannten direkt linken.
insgesamt also ein gar lustiges bild, welches sich in gewisser weise auch weltpolitisch wiederspiegelt - die reaktionen des türkischen ("verschwörung") und iranischen ("verschwörung") präsidenten passen da genaus hinein wie die reaktionen von pakistanischen medien und staat, die nicht nur ebenfalls eine verschwörung vermuten, sondern gleich noch ihr eigenes verschwörungsprojekt mittels gefälschter depeschen gegen indien starteten.
statt vieler weiterer worte dazu nur noch diese: klar kann jede "leakende" plattform theoretisch auch für desinformation benutzt werden. in diesem fall jedoch zeichnet sich immer deutlicher ab, dass das leak für so ziemlich alle involvierten seiten unverdauliche brocken enthält (und ähnliches sage ich auch für israel voraus). und genau dieser fakt spricht für mich als deutlichstes gegen jede vt. es müsste schon eine schar von auserlesenen dummköpfen gewesen sein, die die bisher nur ansatzbar sichtbaren und übrigens in ihren langzeitkonsequenzen für viele staaten und gesellschaften schlicht uneinschätzbaren fern- und nebenwirkungen dieser veröffentlichung bewusst einkalkuliert hätte. sollte das trotz aller unwahrscheinlichkeiten so gewesen sein: herzlichen glückwunsch für einen beitrag zur weiteren destabilisierung des weltweiten kapitalismus! orden gibt´s dafür aber später eher nicht.
ansonsten empfehle ich die lektüre vieler bücher von robert anton wilson, besonders seine interviews in "die illuminati-papiere", wo er u.a. empfiehlt, auch und besonders skeptisch gegenüber der eigenen skepsis zu sein. einfach deshalb, weil übertriebene skepsis in eine alptraumhafte welt voll von paranoia und ohne jegliche feste basis führt. das hat schlußendlich viel mit den funktionsweisen des objektivistischen modus zu tun, aber das thema würde jetzt den rahmen sprengen. suchen Sie im blogindex, wenn Sie dazu mehr erfahren möchten.
*
wl/assange: interessant fand ich ja die selbstcharakterisierung des julian a., die sich in einem seiner zitate über sinn und zweck von wikileaks kenntlich macht:
(...) "Mit den neuen Enthüllungen von Wikileaks wird es Assange zufolge für ehrliche Spitzenmanager einfacher, ihre Unternehmen zu führen. Unehrliche Firmen seien von Veröffentlichungen stärker negativ betroffen. "Und genau darum geht es." Er empfahl Unternehmen, so offen und ehrlich wie möglich zu sein und Mitarbeiter gut zu behandeln. "Wikileaks ist dazu da, mehr Freiheit und Ethik in den Kapitalismus zu bringen." (...)
das ist eigentlich eine handfestes sozialdemokratisches unterfangen, lässt sich aber auch von dem wl unterstützenden teil der sog. "anarcho"kapitalisten alá ron paul als bekenntnis gegen staat und für "freie märkte" interpretieren. wo sind eigentlich die explizit marxistischen stimmen, die allen drei oben genannten verständlich nachweisen, dass das nicht klappen kann? und wo ist eine radikale linke, die die depeschen als das nötige material nutzt, welches bei vielen noch vorhandene zweifel an der grundsätzlich perversen, kriminellen und a-sozialen grundhaltung des systems beseitigen kann?
assange wird, allem zum trotz, nun immer mehr zum tatsächlichen popstar, in der folge leibhaftig beim rappen zu sehen:
ein wie ich finde wirklich großartiges video, noch vor "cablegate" produziert, voller boshafter kleiner und großer anspielungen auf aktuelle und vergangene us-politik und vor allem auf die us-medien. dieses video und die darin untergebrachte popkulturelle symbolik - "the matrix" und "soma" sollten zb. bekannt sein - lassen mich zusammen mit dem im ersten teil skizzierten rund um "anonymous" vermuten, dass hier etwas zu sehen ist, was vielleicht später im rückblick einmal als erster authentischer ausdruck von gesellschaftlichem bewusstsein seitens mit popkultur und virtuellen welten aufgewachsenen generationen bezeichnet wird. die große frage: wie virtuell wird das alles bleiben? letztlich wird sich das schicksal von plattformen wie wikileaks und möglichen nachfolgern sowie auch die wirksamkeit der aktuellen und künftiger proteste, noch mehr die möglichen reaktionen auf die durch die dokumente sichtbar gewordenen zustände, allesamt im "real life" manifestieren müssen - das virtuelle ist dabei nur begleitung, illustration, vorbereitung. die von anonymous inszenierten demonstrationen am wochenende in europa und südamerika weisen da aus meiner perspektive schon den richtigen weg.
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geleaktes: wiederum bestätigtes bzw. neu in die erinnerung gerufenes (und für die beteiligten absolut unwillkommen) - einmal zur rolle und verhalten der us-administration beim klimagipfel in kopenhagen, zum anderen zum verhalten des vatikans bei der versuchten aufklärung der tausenden übergriffe gegen kinder und jugendliche in katholischen institutionen in irland.
ich hatte in einem der vorherigen beiträge schon irgendwo geschrieben, dass ich als eine mittel- und langfristige folge des leaks die eh schon vorhandene legitimationskrise von politik, wirtschaft/banken und kirchen nochmals verschärft sehe - wir werden die nächsten monate eine nicht mehr abreissende kette von meldungen wie den obigen erleben, wenn nicht noch seitens der usa eine nicht vorstellbare notbremse in form einer massiven intervention im netz gezogen wird. das aber würde vermutlich nur noch öl ins feuer gießen. jedenfalls wird die schon wahrnehmbare gesellschaftliche polarisierung in den westlichen staaten ebenfalls schärfer werden in dem sinne, dass die informationsstände zwischen denjenigen, die das netz nutzen (können) und der offline bleibenden gemeinde extrem auseinander klaffen werden. ebenfalls vermute ich, das bei der genannten ersteren gruppe ebenfalls das spektrum zwischen resignation/verdrängung im angesicht der fratze des systems und einer zunehmenden radikalisierung andererseits sich ebenfalls schärfer ausprägen wird. und das alles findet ja nicht im luftleeren raum statt, sondern in einer scharfen wirtschafts- und allgemeinen systemkrise. ich sehe "wikileaks" - in diesem fall als synonym für alles damit verbundene - keinesfalls getrennt von entwicklungen wie den massiven schüler- und studentenportesten in großbritannien und italien, den teils massiven streiks und protesten in südeuropa, der enormen und breiten verarmung in den usa... die inhalte vieler depeschen können dort und an vielen anderen konfliktpunkten, zur richtigen zeit und im passenden kontext bekannt gemacht, als krasser verstärker in richtung von bewusstseinszuständen wirken, die einerseits die eigene wut und den zorn endlich die eigenen (und überaus verständlichen) ängste überwinden lassen können, und andererseits den blick soweit klären, dass am ende vielen deutlich wird: dieses system unter quasi kontrolle von weltweit tätigen mafiös agierenden staatlichen institutionen und konzernen ist nicht mehr in irgendeiner form "reformfähig", sondern muss restlos abgewickelt werden. doch, das sehe ich als eine mögliche variante an - und letztlich als vollentwickeltes ziel einer aufklärung, für die wikileaks momentan an erster stelle und im kreuzfeuer steht.
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geleaktes: eine weitere folge der depeschen sehe ich darin, dass in vielen fällen auch bereits gewusstes, aber bisher ignoriertes und verdrängtes, wieder zum vorschein kommt - in der art der zusammenballung mit den weiteren materialien könnte das bei großen teilen der öffentlichkeit zu interessanten reaktionen führen - später mehr.
aber wenn man sich alleine das treiben von "shell" und dem pharmakonzern "pfizer" in einem land wie nigeria betrachtet, sollte das alleine für ausreichend übelkeit sorgen. sicher, der komplex "shell in nigeria" ist lange und alt bekannt, wenn ich auch für mich sagen muss, dass ich das tatsächliche ausmaß der präsenz von shell dort dann doch überraschend finde - es sollte klar sein, dass es sich bei nigeria nicht mehr um einen souveränen staat handelt, sondern um eine staatssimulation unter maßgeblicher kontrolle von shell, wobei letztere mittels der kontrolle von shell in so ziemlich jeden nigerianischen ministerium sichergestellt wird. es ließe sich auch sagen, dass sich shell dann in der folge dort eine kaste von wahren marionetten hält, die nach außen als "regierend" verkauft wird, sich jedoch im großen und ganzen in der rolle von his masters voice wohlfühlt.
bei so einem szenario ist dann nicht weiter überraschend, dass sich eine gleichfalls international tätige kapitalistische vereinigung wie pfizer auf einem derart bereiteten boden wohl fühlt und die eigenen kriminellen aktivitäten dort für sicher hält, incl. der inanspruchnahme der örtlichen korrupten institutionen im falle des falles. wer bei solchen und ähnlichen zuständen gelangweilt abwinkt "das ist ja alles nichts neues", sollte dann doch den eigenen zynismus- und verdrängungsgrad dringend überprüfen. mich macht jedenfalls das meiste, was bisher aus dem us-bestand bekannt ist, noch wütender als eh schon. und nein, ich glaube nicht, dass die probleme der menschen in nigeria mit einem "souveränen staat" wirklich lösbar wären - aber das wäre möglicherweise ein erster schritt hin zu den allernötigsten verbesserungen der dortigen lebensumstände, weil das die entmachtung der kapitalistischen kolonisatoren bedeuten könnte.
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wl/assange: hinsichtlich der vergewaltigungsvorwürfe muss ich sagen, dass ich mich da zu einer persönlichen wertung aufgrund eines absoluten infooverkills schlicht und einfach nicht in der lage sehe. das netz ist voll von teils sich absolut einanander ausschließenden versionen, behauptungen und (angeblichen) tatsachen - das beispiel der einen betroffenen frau, anna a., reicht dafür schon aus - ich habe berichte gesehen, in denen sie a) als funktionärin der schwedischen christdemokraten, b) mitglied der dortigen piratenpartei, c) feministin, d) anti-abtreibungsaktivistin, e) radikale linke und f) aktiv in der arbeit gegen die castro-regierung auf cuba bezeichnet wird. wahlweise auch noch mit cia-kontakten, wie die geheimrätin weiter unten in den kommentaren zu einem älteren beitrag ausgeführt hat. ebenfalls sind die berichte über die angeblichen abläufe des als vergewaltigung bezeichneten geschehens derart grotesk, dass ich mich schlicht weigere, da noch eine eigene wertung zu wagen. als sicher finde ich im moment nur das folgende: natürlich ist assange als westlich sozialisierter mann keineswegs frei von den üblichen patriarchalen und sexistischen verhaltens- und denkmustern. also ist jede bestrebung, ihn von vorneherein als unbedingt unschuldig anzusehen, unsinnig. zweitens ist das verhalten der schwedischen justiz gelinde gesagt seltsam. drittes ist das ganze timing bei dieser geschichte - wer hat wann wie gehandelt - etwas, was nochmals dringend der genaueren recherche bedarf (so habe ich momentan bspw. nicht die ressourcen zu überprüfen, ob es tatsächlich einen zeitlichen zusammenhang zwischen assanges erster ankündigung des bank-leaks nächstes jahr und der herausgabe der fahndungsorder von "interpol" gab). und viertens steckt darin auch eine wahre bombe, nämlich wiederholt die frage nach dem definitionsrecht von betroffenen frauen. fünftens ist das teils extrem frauenverachtende und sexistische gekreische, wie es teils zb. in den telepolis-foren zu lesen ist, wenn es um diesen aspekt der wikileaksgeschichte geht, schlicht widerlich. und das wäre es selbst dann noch, falls sich anna a. bspw. tatsächlich als agentin herausstellen sollte.
insgesamt wäre etwas zur klärung hilfreich, was zumindest ich nicht einfordern kann und werde: eine persönliche und öffentliche stellungnahme der beiden frauen nämlich. es wäre vielleicht eine aufgabe feministischer frauen / organisationen, da nachzuhaken - ansonsten steht nämlich zu befürchten, dass zukünftig ein gewaltiger flurschaden für viele beteiligte entsteht, wenn es um vergewaltigungen bzw. sexualisierte gewalt auf der ebene von "promis" geht. ich finde diesen ganzen komplex in allen teilen schlicht deprimierend.
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verschwörungen: in den kommentaren von sansculotte zu den beiträgen weiter unten existiert ja schon eine variante; ähnlich ablehnend hat sich in mehrere beiträgen drüben das opablog geäussert. die argumentation dreht sich zunächst zentral darum, dass das alles ja verdächtig nach der vorbereitung eines angriffs auf den iran aussehen würde. ich habe nun weiter unten in mehreren kommentaren ebenfalls schon etwas dazu gesagt; und muss heute dazu anmerken, dass ich diese hypothese inzwischen für noch größeren unsinn halte als in der letzten woche schon. zu meinen argumenten, die ich nicht wirklich widerlegt finde, kommt zwischenzeitlich noch die tatsache hinzu, dass das thema iran im zusammenhang mit dem leak weitgehend wieder aus den schlagzeilen verschwunden ist - und damit ein für die entsprechende vt zentraler punkt schlicht nicht mehr existiert. und das die veröffentlichung der depeschen aus der botschaft in tel aviv noch bevorsteht, hatte ich ebenfalls schon erwähnt.
das opablog hat in einem beitrag drüben auf einen gewissen oliver jannich verwiesen, seines zeichens ein ultrakapitalist (das wort "libertärer" für solche leute finde ich eine überflüssige und falsche auszeichnung), 9/11-skeptiker und sog. "klimaskeptiker" (das wikileaks damals das sog. "climategate" mit internen e-mails von klimaforschern ins rollen gebracht hat, scheint er inzwischen vergessen zu haben...). ebenfalls in der illustren runde der cia-wikileaks-verschwörungstheoretiker findet sich der notorische peak-oil-leugner und kopp-autor william engdahl. hingegen ist bspw. ein ebenfalls in der szene der 9/11-skeptiker bekannter matthias bröckers sehr begeistert von wl. diese hier bereits sichtbare deutliche spaltung quer durch die fraktionen finde ich einen der interessanteren aspekte des leaks. es ließe sich fortsetzen mit dem berühmt-berüchtigten "alles-schall-und-rauch-blog" (pro wl), der sog. infokrieger-szene (contra), dann den einzelnen positionen in der republikanischen partei in den usa, wo sich bspw. eine sarah palin und ein ron paul (ultra"libertärer") ebenfalls schroff gegenüberstehen. hierzulande wittern einige kommunistische splittergrüppchen ebenfalls eine "imperialistische verschwörung" (gegen wen auch immer), und selbst die szene der sog. antideutschen ist gespalten - während sich einige der dortigen protagonisten anfangs freudig auf die iran-depeschen gestürzt haben, vermuten andere schlicht antiamerikanischen geheimnisverrat. die jeweiligen links finden Sie mit ein paar recherchekenntnissen leicht selbst heraus; ich möchte hier nicht auf die genannten direkt linken.
insgesamt also ein gar lustiges bild, welches sich in gewisser weise auch weltpolitisch wiederspiegelt - die reaktionen des türkischen ("verschwörung") und iranischen ("verschwörung") präsidenten passen da genaus hinein wie die reaktionen von pakistanischen medien und staat, die nicht nur ebenfalls eine verschwörung vermuten, sondern gleich noch ihr eigenes verschwörungsprojekt mittels gefälschter depeschen gegen indien starteten.
statt vieler weiterer worte dazu nur noch diese: klar kann jede "leakende" plattform theoretisch auch für desinformation benutzt werden. in diesem fall jedoch zeichnet sich immer deutlicher ab, dass das leak für so ziemlich alle involvierten seiten unverdauliche brocken enthält (und ähnliches sage ich auch für israel voraus). und genau dieser fakt spricht für mich als deutlichstes gegen jede vt. es müsste schon eine schar von auserlesenen dummköpfen gewesen sein, die die bisher nur ansatzbar sichtbaren und übrigens in ihren langzeitkonsequenzen für viele staaten und gesellschaften schlicht uneinschätzbaren fern- und nebenwirkungen dieser veröffentlichung bewusst einkalkuliert hätte. sollte das trotz aller unwahrscheinlichkeiten so gewesen sein: herzlichen glückwunsch für einen beitrag zur weiteren destabilisierung des weltweiten kapitalismus! orden gibt´s dafür aber später eher nicht.
ansonsten empfehle ich die lektüre vieler bücher von robert anton wilson, besonders seine interviews in "die illuminati-papiere", wo er u.a. empfiehlt, auch und besonders skeptisch gegenüber der eigenen skepsis zu sein. einfach deshalb, weil übertriebene skepsis in eine alptraumhafte welt voll von paranoia und ohne jegliche feste basis führt. das hat schlußendlich viel mit den funktionsweisen des objektivistischen modus zu tun, aber das thema würde jetzt den rahmen sprengen. suchen Sie im blogindex, wenn Sie dazu mehr erfahren möchten.
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wl/assange: interessant fand ich ja die selbstcharakterisierung des julian a., die sich in einem seiner zitate über sinn und zweck von wikileaks kenntlich macht:
(...) "Mit den neuen Enthüllungen von Wikileaks wird es Assange zufolge für ehrliche Spitzenmanager einfacher, ihre Unternehmen zu führen. Unehrliche Firmen seien von Veröffentlichungen stärker negativ betroffen. "Und genau darum geht es." Er empfahl Unternehmen, so offen und ehrlich wie möglich zu sein und Mitarbeiter gut zu behandeln. "Wikileaks ist dazu da, mehr Freiheit und Ethik in den Kapitalismus zu bringen." (...)
das ist eigentlich eine handfestes sozialdemokratisches unterfangen, lässt sich aber auch von dem wl unterstützenden teil der sog. "anarcho"kapitalisten alá ron paul als bekenntnis gegen staat und für "freie märkte" interpretieren. wo sind eigentlich die explizit marxistischen stimmen, die allen drei oben genannten verständlich nachweisen, dass das nicht klappen kann? und wo ist eine radikale linke, die die depeschen als das nötige material nutzt, welches bei vielen noch vorhandene zweifel an der grundsätzlich perversen, kriminellen und a-sozialen grundhaltung des systems beseitigen kann?
assange wird, allem zum trotz, nun immer mehr zum tatsächlichen popstar, in der folge leibhaftig beim rappen zu sehen:
ein wie ich finde wirklich großartiges video, noch vor "cablegate" produziert, voller boshafter kleiner und großer anspielungen auf aktuelle und vergangene us-politik und vor allem auf die us-medien. dieses video und die darin untergebrachte popkulturelle symbolik - "the matrix" und "soma" sollten zb. bekannt sein - lassen mich zusammen mit dem im ersten teil skizzierten rund um "anonymous" vermuten, dass hier etwas zu sehen ist, was vielleicht später im rückblick einmal als erster authentischer ausdruck von gesellschaftlichem bewusstsein seitens mit popkultur und virtuellen welten aufgewachsenen generationen bezeichnet wird. die große frage: wie virtuell wird das alles bleiben? letztlich wird sich das schicksal von plattformen wie wikileaks und möglichen nachfolgern sowie auch die wirksamkeit der aktuellen und künftiger proteste, noch mehr die möglichen reaktionen auf die durch die dokumente sichtbar gewordenen zustände, allesamt im "real life" manifestieren müssen - das virtuelle ist dabei nur begleitung, illustration, vorbereitung. die von anonymous inszenierten demonstrationen am wochenende in europa und südamerika weisen da aus meiner perspektive schon den richtigen weg.
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geleaktes: wiederum bestätigtes bzw. neu in die erinnerung gerufenes (und für die beteiligten absolut unwillkommen) - einmal zur rolle und verhalten der us-administration beim klimagipfel in kopenhagen, zum anderen zum verhalten des vatikans bei der versuchten aufklärung der tausenden übergriffe gegen kinder und jugendliche in katholischen institutionen in irland.
ich hatte in einem der vorherigen beiträge schon irgendwo geschrieben, dass ich als eine mittel- und langfristige folge des leaks die eh schon vorhandene legitimationskrise von politik, wirtschaft/banken und kirchen nochmals verschärft sehe - wir werden die nächsten monate eine nicht mehr abreissende kette von meldungen wie den obigen erleben, wenn nicht noch seitens der usa eine nicht vorstellbare notbremse in form einer massiven intervention im netz gezogen wird. das aber würde vermutlich nur noch öl ins feuer gießen. jedenfalls wird die schon wahrnehmbare gesellschaftliche polarisierung in den westlichen staaten ebenfalls schärfer werden in dem sinne, dass die informationsstände zwischen denjenigen, die das netz nutzen (können) und der offline bleibenden gemeinde extrem auseinander klaffen werden. ebenfalls vermute ich, das bei der genannten ersteren gruppe ebenfalls das spektrum zwischen resignation/verdrängung im angesicht der fratze des systems und einer zunehmenden radikalisierung andererseits sich ebenfalls schärfer ausprägen wird. und das alles findet ja nicht im luftleeren raum statt, sondern in einer scharfen wirtschafts- und allgemeinen systemkrise. ich sehe "wikileaks" - in diesem fall als synonym für alles damit verbundene - keinesfalls getrennt von entwicklungen wie den massiven schüler- und studentenportesten in großbritannien und italien, den teils massiven streiks und protesten in südeuropa, der enormen und breiten verarmung in den usa... die inhalte vieler depeschen können dort und an vielen anderen konfliktpunkten, zur richtigen zeit und im passenden kontext bekannt gemacht, als krasser verstärker in richtung von bewusstseinszuständen wirken, die einerseits die eigene wut und den zorn endlich die eigenen (und überaus verständlichen) ängste überwinden lassen können, und andererseits den blick soweit klären, dass am ende vielen deutlich wird: dieses system unter quasi kontrolle von weltweit tätigen mafiös agierenden staatlichen institutionen und konzernen ist nicht mehr in irgendeiner form "reformfähig", sondern muss restlos abgewickelt werden. doch, das sehe ich als eine mögliche variante an - und letztlich als vollentwickeltes ziel einer aufklärung, für die wikileaks momentan an erster stelle und im kreuzfeuer steht.
monoma - 13. Dez, 17:41
nachtrag