notizen
wenn ich über nachrichten wie diese näher nachdenke, dann ist das ergebnis einerseits, dass ich mehr und mehr dazu tendiere anzunehmen, dass sich die sog. "eliten" weltweit mehr oder weniger einem zustand des offenen psychotischen agierens nähern - in politik- und geschichtswissenschaften werden solche ereignisse dann unter namen wie "diktatur", "totalitarismus" oder "autoritäre formierung" abgeheftet, meist unter mehr oder weniger gelungenen versuchen, die damit real verbundenen leiden, schmerzen und zerstörungen in abstraktionen bzw. objektivistischen konstruktionen verschwinden zu lassen. andererseits ist eine untrennbare reaktion ebenfalls auch ein emotionaler aufruhr, der von fassungslosigkeit bis hin zur wut reicht - ich wäre sehr an weiteren reaktionen von anderen auf das folgende interessiert:
(...)"Japanische Lehrer sollen in Zukunft aufmüpfige Schüler in die Ecke stellen und mit leichten Schlägen auf den Kopf bestrafen - das schlug eine Expertenkommission Ministerpräsident Shinzo Abe vor. Die "Prügelstrafe light" fand Abes ausdrückliche Zustimmung, um wachsender Gewalt und Disziplinlosigkeit an den Schulen zu begegnen.
Auf keinen Fall gehe es aber darum, die Schüler wie früher mit dem Stock zu züchtigen oder brutal zu verprügeln, sagte ein Sprecher Abes. Neben den Disziplinarmaßnahmen ist auch eine Ausweitung der Unterrichtszeit geplant. Etwa zehn Prozent länger sollen die Schüler lernen, denn aus Sicht der Regierung haben ihre Leistungen nachgelassen. Letzten Monat hatte das Parlament zudem ein Gesetz verabschiedet, das mehr Patriotismus in Japans Schulen tragen soll."(...)
das wort zurichtung, und zwar für das (im kern total sinnlose) ökonomische "rat race", trifft es hier schon ganz genau. zur sinnkonstruktion gibt´s dann wieder mal das altbewährte emotionale stützkorsett namens "patriotismus" für in ihrer authentischen identität geschädigte menschen.
zu einigen weiteren zuständen in japan mehr hier und hier.
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edit: und dann kommt mir prompt dieser artikel vor die augen, dessen inhalt durchaus als eine art alternativprogramm zu den japanischen maßnahmen - bei ähnlicher problemlage - gelesen werden kann (und auch, wenn mir kandinsky unten im kommentar zuvorgekommen ist, lasse ich die schon geschriebene ergänzung jetzt einfach so stehen):
(...)"An Privatschulen wie dem Wellington College wurden bereits "Glücklichkeitsstunden" oder Unterricht in well-being eingeführt, nachdem die Regierung empfohlen hatte, es sei auch wichtig für die Kinder, emotionale Intelligenz zu entwickeln und ihre Gefühle kennen zu lernen, die auch das Verhalten prägen. Geistige Leistungsfähigkeit und soziales Verhalten finden auf der Grundlage der emotionalen Intelligenz statt, glaubt man nicht ganz zu Unrecht, weswegen das britische Kultusministerium bereits 2005 den Umgang mit Gefühlen als Thema des Unterrichts in Schulen vorgeschlagen hat. In diesem Jahr sollen die ersten Versuche an Schulen bewerten werden, um zu entscheiden, ob man "happiness classes" als Pflichtstunden an allen Schulen einführt.
Britische Schulen haben bereits jetzt die Verpflichtung, sich um das geistige, emotionale und soziale Wohl der Schüler zu kümmern. So sollen bereits alle Grundschulen Sitzungen machen, auf denen die Schüler über ihre Gefühle sprechen. Dabei sollen die Lehrer Anleitungen geben, wie man Freundschaften schließt, Streitereien schlichtet oder mit Ärger umgehrt. Sekundärschulen sollen emotionale Bildung (emotional literacy) in diesem Jahr mit den Themen Selbstbewusstsein, Mitgefühl, Kontrolle von Gefühlen, Selbstmotivation und soziale Interaktion einführen."(...)
hmhmhm. ich bin stark zwiegespalten. grundsätzlich finde ich die ignoranz und nichtthematisierung von ganzen und wesentlichen bereichen des menschlichens lebens - richtig: gefühle, "psyche", körper - innerhalb des bisherigens schulsystems nicht nur in de. einen bezeichenden ausdruck für die allgemeine gesellschaftliche dissoziation. und würde deshalb auch grundsätzlich konzepte wie oben stark begrüßen (alleine schon, wenn ich mich an meine eigene schulzeit erinnere - zurichtung zu einem ökonomie-kompatiblen wesen bei gleichzeitigem einseitigem training der objektivistischen fähigkeiten unter ignoranz aller "nur" angeblich subjektiven (lies: von geringem wert) reaktionen und empfindungen.)
mit der einführung solcher maßnahmen wird dann übrigens spätestens jetzt auch staatlicherseits unausgesprochen zugegeben, dass die heutigen gesellschaftlichen verhältnisse auf so derart viele menschen destruktive wirkungen haben, dass ganz elementare soziale fähigkeiten nachhaltig in massenhaften dimensionen ge- und zerstört sind, und von derart betroffenen als eltern dann eben auch nicht mehr weitergegeben können.
andererseits: wenn ich das ganze dann zusammen mit entwicklungen in großbritannien betrachte, wie sie bspw. im verlauf dieses beitrags oder auch hier erkennbar werden, und dazu berücksichtige, dass dieses land wie der gesamte sog. "freie westen" unter dem diktat einer zunehmend mörderischer werdenden allgemeinen verdinglichung und der ökonomistischen logik steht, kann ich mir die frage nicht verkneifen, ob wir vor diesem hintergrund ernsthaft davon ausgehen können, dass sich die herrschenden "eliten" selbst ein derartiges ei ins nest legen.
will sagen: kein herrschaftssystem - wirklich keins - hatte und kann interesse an selbstbewußten und psychophysisch gesunden menschen haben - es würde sich selbst den nötigen boden unter den füßen wegziehen. von daher befürchte ich spontan eher, dass es sich bei den dargestellten absichten tatsächlich eher um eine breit angelegte konditionierung von kindern handelt, die in den herrschenden verhältnissen formal funktionsfähig gemacht werden sollen - denn auch noch der raubgierigste kapitalismus ist für die ungestörte abwicklung der geschäfte wenigstens auf simulationen von sozialem verhalten angewiesen.
wenn es sich anders verhalten würde und bspw. tatsächlich empathie(un)fähigkeiten im täglichen leben thematisiert werden würde, wäre ich der letzte, der daran herumnörgeln würde - es wäre dann im gegenteil eine art von sozialem großversuch, der in ganz vielen bereichen gewaltige - und zur abwechslung einmal tendenziell positive - konsequenzen haben könnte. aber erstmal finde ich es berechtigt, sehr mißtrauisch zu bleiben.
was seit bekanntwerden der geschichte des getöteten kindes immer wieder vermutet worden war (und ebenso regelmäßig von den involvierten "führungspersonen" der bremischen politik abgestritten wurde), ist jetzt durch eine aussage eines ehemals leitenden beamten vor dem entsprechenden untersuchungsausschuß bekräftigt worden - das gesamte statement ist hier zu finden, ich möchte nur ein paar kernaussagen wiedergeben - "AfSD" ist übrigens das kürzel für "amt für soziale dienste":
(...)"Ich wollte ihre Aufmerksamkeit auf institutionelle, atmosphärische und fachliche Rahmenbedingungen lenken, innerhalb derer das Fehlverhalten möglich war und zugelassen wurde. Für die Arbeit im AfSD wäre auch ohne den tragischen Tod des kleinen Kevin eine Zäsur dringlich angezeigt gewesen, damit notwendige fachliche Weichenstellungen vorgenommen würden. Der Maßnahmenkatalog der neuen Senatorin zu beabsichtigten Veränderungen im AfSD macht unübersehbar deutlich, welche Mängel es gab und gibt, die erst jetzt mit der Aufarbeitung des Kevin-Falles offen angesprochen werden.(...)
Ich möchte mit ihrer Erlaubnis mit einem Selbstzitat beginnen. 1999 habe ich in einer Entgegnung zum Gesamtkonzept für die ambulanten Dienste in einem internen Papier formuliert:
`Die Praxis der Jugendhilfe gerät in Gefahr, dass die von ihr erbrachten und zu erbringenden Leistungen künftig nur noch unter monetären Gesichtspunkten betrachtet werden. (…) Zu warnen ist davor, dass sozial benachteiligende Lebenslagen der Adressaten aus dem Blickfeld geraten und die Sicht öffentlicher Verantwortung und Aufgabenwahrnehmung verschwindet.´
Der Fall Kevin ist ein krasses und tragisches Beispiel dafür, dass die Warnungen ihre Berechtigung hatten. Die Kritik an dem Konzept wurde auch in ausführlichen Fachartikeln mit den Überschriften „Zur Tyrannei des Wegschauens“ und „Neue Steuerung und Systemik – eine verhängnisvolle Affäre“ publiziert. Eine offene Diskussion darüber hat die Amtsleitung nicht zugelassen, sondern als `Energievergeudung` diffamiert.
In den Jahren der Umsetzung dieses Konzeptes ist im AfSD ein Kostendruck-Regime errichtet worden. Eine kleine Gruppe von Leitungskräften, die nicht alle nach fachlicher Eignung und Erfahrung ausgewählt wurden, hat - durch die Weitergabe des Drucks an die Mitarbeiter - daran mitgewirkt, dass es bei einem Teil der Fachkräfte zu einer Deformation des fachlichen Selbstbewusstseins gekommen ist."(...)
dieses "kostendruck-regime" ist ganz maßgeblich durch vorschläge einer sog. unternehmungsberatung initiiert worden, also einer der verkörperungen jenes wahnzustandes, in dem nichts anderes mehr wahrgenommen werden kann als (pseudo-)"sachzwänge", "leistungsfähigkeiten" und "kosten-nutzen-rechnungen" - der mensch reduziert zu einem antisozialen und quasi-autistischen homo oeconomicus.
(...)"Das Fazit meiner Analyse ist, dass bei den Veränderungen im AfSD betriebswirtschaftliche Denk- und Handlungsmuster eine die Fachlichkeit überlagernde Eigendynamik entfaltet haben, die zu Lasten gründlicher fachlicher Abwägungen in der Alltagspraxis des Amtes ging. Das AfSD hat sich zu einem Exerzierfeld zur Einführung des neoliberal ausgerichteten „Neuen Steuerungsmodells“ entwickelt. Der Amtsleitung fungierte als Sparkommissar und sah sich beauftragt, die Sanierung des Bremischen Haushaltes zu unterstützen. Sie hat diesen Auftrag in unerträglich autoritärer und auch m.E. den gesetzlichen Aufträgen widersprechender Weise umgesetzt."(...)
das ist erstaunlich deutlich, und lässt mich wiederum mein vorläufiges fazit, welches ich damals gezogen hatte, präzisieren: das handeln des direkt verantwortlichen täters, also des vaters, erhält durch die immer deutlicher werdenden behördeninternen abläufe seinen realistischen kontext zurück. will sagen: es gab einen (im objektivistischen modus befindlichen und selbst nach den herrschenden psychiatrischen kriterien als gestört anzusehenden) täter, dessen handeln aber mindestens bei einer funktionierenden sozialen matrix (zu der in diesem fall auch behördliche sozialarbeit gehört hätte, die sich eben nicht primär im zustand der unterwerfung unter konstruierte "sparnotwendigkeiten" befindet) früher auffällig geworden wäre, wenn nicht gar verhindert hätte werden können. nun wird der täter derzeit psychiatrisch begutachtet - aber lassen sich nicht strukturelle verwandschaften zwischen ihm, den untätigen verantwortlichen behördenmitarbeitern sowie der handelnden in politik und "beratung" finden, die sich auf den gemeinsamen nenner "verdinglichende wahrnehmung von menschen" bringen lassen? es bleibt bis auf weiteres ein wunschtraum, dass die letzteren ebenfalls einmal bezgl. ihrer allgemeinen wahrnehmungs(un)fähigkeiten genauso begutachtet werden, wie es im falle des vaters von kevin für normal erachtet wird.
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ein weiterer nachtrag: ich hatte ja damals bereits die befürchtung, dass die ganze geschichte auch von seiten der nazis als propaganda in ihrer typischen verzerrt-emotionalen art und weise benutzt werden könnte - und genau das ist mittlerweile passiert, wenn auch glücklicherweise vorläufig im kleinen rahmen. wobei das problem darin liegt, dass die nazis mit einiger wahrscheinlichkeit mehr stillschweigende zustimmung von der sich immer als "schweigende mehrheit" definierenden gruppe der opportunistischen recht-und-ordnungsfixierten bevölkerungsgruppe bekommen, als es aus dem anblick der kläglichen kundgebung heraus zunächst zu schließen wäre:
(...)"Am Ende mahnten sie allein und im Regen. Keine 25 Personen folgten am Samstagvormittag dem Aufruf des rechtsradikalen "Bündnis Keine Gewalt" zu einer "Mahnwache" gegen die Therapierung von "Kindermördern" vor dem Osterholzer Friedhof. Hintergund der von NPD-Kreisen sowie der Hooligan-Truppe "Backstreet Skinheads" organisierten Kundgebung ist die Verwahrung des Ziehvaters des getöteten Jungen Kevin in der Psychiatrie des Zentralkrankenhauses (ZKH) Ost."(...)
das sich die möchtegern-nachfolger von massenmördern unter dem namen "bündnis keine gewalt" versammeln, passt dabei perfekt in diese zeit.
zum wiederholten male gesammelte unerträglichkeiten. wann es hier mit der trauma-reihe weitergeht, kann ich übrigens gerade nicht genau sagen - ich peile übernächste woche an.
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china, so ist es sinngemäß immer wieder aus den reihen besonders der sog. ökonomischen elite vieler westlicher länder zu hören, china sei in verschiedener hinsicht ein vorbild - gerade was die umsetzung kapitalistischer prinzipien unter verzicht auf praktisch das meiste betrifft, was ein selbstbestimmtes menschliches leben in einer funktionierenden sozialen matrix ausmacht. und wenn eine "politik", so wie sie im folgenden artikel dargestellt ist, immer wieder implizit als beispielhaft hingestellt wird, gibt es allen grund, für die innere entwicklung nicht nur dieses landes hier einiges zu befürchten:
(...)"Chinas Behörden und Unternehmen greifen immer häufiger zu Mafiamethoden, um Kritiker und Journalisten mundtot zu machen. Im Juni 2006 wurde der Bauer Fu Xiancai, der über Korruptionsfälle am Drei-Schluchten-Staudamm berichtet hatte, offenbar im Auftrag der lokalen Polizei zusammengeschlagen. Er überlebte knapp und ist seitdem vom Hals ab gelähmt. Auch Umweltaktivisten und Journalisten, die über schmutzige Industrien berichten wollten, wurden Opfer von Misshandlungen."(...)
"mafiamethoden" trifft es auf den punkt - unvermeidbar überall da, wo das prinzip der verdinglichung als siamesischer zwilling mit der kapitalistischen ökonomie auftritt. also letztlich immer, weil sich dieses paar nicht einfach durch eine operation trennen lässt.
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was auch das nächste zitat belegt:
(...)"Der inzwischen über Sexskandale und wegen persönlicher Begünstigung zu Fall gekommene David Blunkett ordnete während seiner Amtszeit an, die Armee im Strafgefängnis Lincoln einmarschieren zu lassen und revoltierende Gefangene mit Maschinengewehren zusammenzuschießen. »Menschenleben interessieren mich nicht«, kreischte er den damals für Gefängnisse zuständigen höchsten Beamten Martin Narey an, der sich weigerte, den Befehl auszuführen."(...)
so geschehen in einer der traditionellen "stützen" der freien welt - und man beachte, dass der kerl nicht wg. seiner mörderischen absichten geflogen ist.
im übrigen ist das, was in diesem artikel sonst noch so zu lesen ist, bestens geeignet, nun die chinesischen machthaber ihrerseits vor neid erblassen zu lassen.
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die dabei mit hoher wahrscheinlichkeit ebenso wie der zitierte britische ex-funktionsträger unter maßgeblicher beteiligung von psychophysischen defekten wie schweren empathiestörungen ihre antisozialen "politiken" ausbrüten. dazu gibt´s gerade bei telepolis die vorstellung einer studie, welche zu ergebnissen kommt, die keinesfalls wirklich überraschen können:
(...)"Nach einer Studie der Psychologen Adam Galinsky von der Northwestern University, Joe Magee von der Wagner Graduate School of Public Service an der NYU und Ena Inesi und Deborah Gruenfeld von der Stanford University scheint es so zu sein, dass Machtausübung systematisch verhindert, die Perspektive eines Mitmenschen einnehmen und die Gefühle von diesem erkennen zu können (A. Galinsky et al.: Power and Perspectives Not Taken, in: Volime 17 - Number 12/2006). Macht ist, wie die Psychologen sagen , gerade das Gegenteil von Einfühlungsvermögen, nämlich die Fähigkeit, andere Menschen mit Belohnungen und Strafen beeinflussen zu können. Wer andere besser verstehen kann, übernimmt deren Perspektiven und wird auch dadurch beeinflusst, Mächtige sind rigider und halten an ihrer Identität stärker fest. Dafür leisten sie sich mehr Vorurteile und denken weniger komplex. Wer Macht hat, übt eine entsprechend große Kontrolle über Ressourcen aus und ist daher weniger abhängig als andere Menschen. Zudem seien Mächtige vor allem auf ihre Ziele orientiert und daher nicht auf eine korrekte Deutung der Befindlichkeit und Interessen der Mitmenschen ausgerichtet."(...)
wiedermal eine - wie ich allerdings finde - nicht ganz vollständige darstellung der funktionsweise von personen, die sich überwiegend oder gar ständig im objektivistischen modus befinden. ich frage mich, wie lange wir noch warten wollen, um aus den sich verdichtenden informationen über den zustand derjenigen, die sich als "machtmenschen" bezeichnen lassen, konsequenzen zu ziehen?
neulich abends in einem café machte mich ein freund auf einen artikel der zeitschrift "neon" aufmerksam, der bei mir zunächst großes unglauben, später dann wachsende bestürzung auslöste. worum es geht? darum:
(...)"Seit den 90er-Jahren nehmen Zusammenstöße zwischen Menschen und Elefanten beunruhigend zu. Die "New York Times"widmete dem Phänomen sogar einen mehrseitigen Artikel. Diese Konflikte sind so alltäglich geworden, dass Elefantenforscher sie seit zehn Jahren in einer eigenen statistischen Kategorie H.E.C. (Human-Elephant-Conflict) erfassen. Beispiele aus jüngster Zeit:
Im nordindischen Bundesstaat Jharkand töteten Elefanten zwischen 2000 und 2004 insgesamt 300 Menschen. Im Bundesstaat Assam (mit ca. 5000 Elefanten) verdrängen sich Menschen und Elefanten gegenseitig aus Waldgebieten; seit 1994 starben dabei 605 Menschen durch Elefanten und umgekehrt 265 Elefanten durch aufgebrachte Dorfbewohner. In Nepal terrorisierte ein Elefantenbulle im Oktober mehrere Dörfer und tötete 12 Menschen. Eine indische Tageszeitung warnte sogar bereits, sich Tempel-Elefanten zu nähern, obwohl Elefanten den Hindus als heilige Tiere gelten.
In Afrika gibt es H.E.C.-Meldungen aus Sambia, Tansania, Uganda, Kenia. In Natal (Südafrika) wurden Elefantenherden Opfer der Rückgabe ehemals "weißen" Farmlandes an schwarze Einwohner: Die Tiere mussten umgesiedelt werden. Aus mehreren Reservaten meldeten Ranger, dass Elefantengruppen Safaribesucher und Rhinozerosse angriffen. Auch untereinander werden sie aggressiver. Im Addo-Nationalpark (Südafrika) sind bereits 90 Prozent aller getöteten Elefantenbullen Opfer anderer Bullen; normalerweise sind es höchstens 6 Prozent."(...)

nun werden tiere erstens generell nicht grundlos aggressiv, und zweitens geht es im falle der elefanten (die neben den walen nicht zufällig einen recht großen beliebheitsstatus haben, gelten sie doch - unter normalen, d.h. artgemäßen lebensbedingungen - als liebenswerte, soziale und intelligente tiere) darum, dass in dem oben bezeichneten konflikt sowie ebenso in den herden intern dazu absolut untypische verhaltensweisen sichtbar werden - nach einem weiteren bericht schließen sich junge elefantenbullen zu aggressiven gruppen zusammen, die ihre zeit hauptsächlich mit zerstörerischem verhalten füllen - bis hin zur vergewaltigung von rhinozerossen. ebenso wird von sehr gezielten angriffen auf dörfer berichtet. das erinnert Sie an etwas? korrekt:
(...)"Die aus Uganda stammende Tier-Ethnologin und Wildlife-Beraterin Eva Abe zieht eine klare Parallele zwischen besonders auffälligen jungen Elefantenbullen und menschlichen Kindersoldaten in afrikanischen Bürgerkriegsgebieten. "Wir haben mehr als 200 Flüchtlingscamps in Nord-Uganda. Es gibt dort kaum Erwachsene. Es sind Camps voller Kinder, ohne Eltern und Großeltern, ohne Schulen, ohne Infrastruktur. In diesen Camps werden Kindersoldaten rekrutiert. Sie haben nichts anderes."
es gibt dabei ein paar mehr als nur oberflächliche ähnlichkeiten zwischen menschen und elefanten, die dann auch dieses verhalten beleuchten können:
"Für den Fang eines jungen Elefanten muss in der Regel dessen Mutter getötet werden. Allein diese Erfahrung kann ein Elefantenjunges lebenslang traumatisieren. Wie Menschen haben auch Elefanten eine lange Kindheitsphase, mindestens acht Jahre, in der sie eng an der Seite ihrer Mutter bleiben, mitbetreut von Tanten, Großmutter, älteren Schwestern. In dieser umsorgten Kindheit werden differenzierte soziale Kompetenzen ausgeformt. Experten berichten, dass sie sogar Tränen weinen, wenn sie traurig sind. Auch rabaukenhafte Jungbullen werden durch das enge Familiensystem diszipliniert. Versuche scheinen zu zeigen, dass Elefanten sich ihres "Ichs" bewusst sein können,(...). Das wurde bisher nur bei Schimpansen und (eingeschränkt) bei Delfinen beobachtet.
Der Verlust älterer Herdenmitglieder durch Jagd oder Vertreibung hat automatisch Auswirkungen auf die jüngeren. Sie sind wie verwahrloste, vernachlässigte Kinder und können ihre Nachkommen selbst nicht herdengerecht sozialisieren. Neurologen fanden in Elefantengehirnen nicht nur einen großen Hippocampus (Sitz ihres guten Gedächtnisses), sondern auch ausgeprägte Strukturen eines limbischen Systems, das Emotionen entwickeln kann - sofern eine intensive soziale Interaktion in der Herde stattfindet. Ist sie gestört oder zu kurz, bleiben Reaktionen und Bindungen des Tieres grob und instabil."(...)
(die andeutung auf ein vorhandenes selbstbewußstsein bezieht sich auf den sog. spiegeltest.)
für den moment nur drei gedanken dazu: erstens lassen sich tatsächlich viele ähnlichkeiten mit prozessen menschlicher traumatisierungen sowie den teils gewalttätigen versuchen der "verarbeitung" / re-inszenierung entdecken. zweitens reagieren die tiere hier - auch das ist eine ähnlichkeit - auf zerstörungen ihres sozialgefüges in einer art und weise, die gegenüber ihrem sonstigen verhalten deutlich als ver-rückt zu bezeichnen ist (und da elefanten nicht nur metaphorisch über ein sehr gutes gedächtnis verfügen, erinnern sie sich auch daran, wer ihre feinde sind und ihnen leid zugefügt hat).
drittens aber: ich habe es neulich schon zum thema tiertransporte geschrieben, dass sich auch in der miesen, verachtenden und gleichgültigen behandlung von tieren - in freier wildbahn und erst recht in gefangenschaft - genau der gleiche verdinglichende wahrnehmungsmodus bemerkbar macht, der auch die soziale basis der menschlichen gesellschaft bedroht. und es ist nicht nur eine bittere pointe, sondern bereits ein symptom für den besorgniserregenden zustand unserer sozialstrukturen, dass viele menschen eher für tierschutz - gegen den ich keinesfalls etwas habe, im gegenteil - zu mobilisieren sind als für aktivitäten, die ein sozusagen artgerechtes leben für menschen ermöglichen würden. ich sehe es schon vor mir, dass wir erst bis zu dem punkt kommen mussten, an dem traumatisierte elefanten als türöffner für eine breite öffentliche aufmerksamkeit gegenüber der realität und den folgen von traumata dienen müssen. und das ist - und zwar in jeder hinsicht - schlicht erbärmlich.
ps: ich finde, das elefanten wunderschöne tiere sind.
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von ge- und verstörten tieren nun zurück zu ge- und verstörten menschen: das thema magersucht (anorexia nervosa) macht an der spitze der essstörungen derzeit mal wieder schlagzeilen - die überschrift dieses artikels lautet "Mein Körper, mein Feind" - und die ist allerdings in meinen augen völlig zutreffend. egal, aus welchen gründen jemand eine magersucht entwickelt - der aspekt der kontrolle des eigenen körpers, die sich darin bereits manifestierende spaltung zwischen körper und einem virtuellen "ich" und die rücksichtslosigkeit, mit der dieses reduzierte "ich" seine fiktionen selbst um den preis der eigenen vernichtung real werden lassen will, ist jeweils deutlich zu beobachten und weist auf vieles von dem hin, was ich bisher in etlichen beiträgen hinsichtlich der eigenarten von möglichen störungen der menschlichen psychophysis versucht habe, aufzuzeigen. es ist definitiv kein primär individuelles problem.
mehr auch hier und hier.
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zum abschluß wieder einmal eine geschichte von lügen, betrug und fakes, wie sie in der kapitalistischen ökonomie alltäglich ist - besonders interessant ist dieses mal die branche, von der die rede ist:
(...)"Ich war über dreißig Jahre korrupt, habe Menschen bestochen und die Manipulation von Daten gedeckt.
Da sind Sie nicht der Einzige.
Klar. Aber es geht hier um kranke Menschen beziehungsweise um Menschen, die durch diese Präparate erst richtig krank werden oder sich umbringen oder andere gefährden.
Wie meinen Sie das?
Es ist kein Geheimnis, dass Arzneimittelstudien, die schlecht ausgehen, oft nicht veröffentlich werden. Sie werden auch nicht den Behörden vorgelegt, die etwa über die Zulassung eines Medikaments entscheiden. Sie verschwinden einfach in den Schubladen der Firmen.
Fluoxetin kann nicht nur Angst, Nervosität und Schlaflosigkeit herbeiführen, es besteht auch das Risiko von aggressivem Verhalten und konkreten Suizidgedanken, weil depressive Patienten durch den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer aktiviert werden. Wussten Sie das schon damals?
Ja, solche negative Effekte waren bekannt.
Und die alarmierenden Daten wurden unterdrückt?
Ja. Sie wurden jedenfalls nicht weiter verfolgt, um die Zulassung nicht zu gefährden."(...)
fluoxetin ist - das werden vermutlich viele leserInnen hier wissen - der wirkstoff des bekannten "prozac", welches für die hersteller durchaus als "ökonomischer erfolg" (für ihre eigene börse und die ihrer aktionäre zumindest, die gesamtgesellschaftliche bilanz dürfte etwas anders aussehen) gewertet werden kann. zumindest bei solchen zahlen:
"In den USA wird die Zahl der Prozac-Konsumenten auf 20 Millionen geschätzt. Es wurde dort nach der Einführung 1987 als Wundermittel gefeiert und galt wegen seiner antriebssteigernden Wirkung als Yuppie-Droge."
zweifelhafte schmiermittel für eine noch zweifelhaftere gesellschaftsform mit den usa an der spitze, die inzwischen jeden tag unzählige male ihre eigene bankrotterklärung unterzeichnet. die frage ist nicht mehr, ob diese elende farce irgendwann ein ende hat - denn das wird sie haben, und zwar unabwendbar. die frage ist, wann und unter welchen umständen dieses überfällige ende eintreten wird - genauer: ob genügend soziale substanz übrigbleiben wird, um ein leben, welches diesen namen auch verdienen würde, zu realisieren.
für die antwort sind wir heutigen zuständig.
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edit am 13.01.07: zum letzten thema oben, und da besonders zur feststellung des interviewers hinsichtlich korruption und manipulation - "Da sind Sie nicht der Einzige" - , passt ebenfalls ein artikel, in dem bezgl. einer der verantwortlichen personen der treffende satz "Ein Feind des Planeten" zu lesen ist. es geht um den energiekonzern "exxon", der nachweislich seit jahren mittels manipulationen von daten und studien sowie einem ganzen arsenal sog. "pr"-maßnahmen (zu dieser professionellen fake-maschinerie mehr hier) einfluß auf öffentliche und wissenschaftliche diskussionen zu den ursachen der klimaerwärmung genommen hat. das geht bis zur beeinflussung von schulkindern:
(...)"Exxon nimmt nicht nur Einfluss auf die wissenschaftliche Debatte. Auch die Lehrerschaft in den USA scheint fest in der Hand der Ölfirma zu sein. Als die Produzenten von "An Inconvenient Truth", einem weltweit äußerst erfolgreichen Film des ehemaligen demokratischen Vizepräsidenten Al Gore über die globale Erwärmung, Schulen in Amerika 55.000 Kopien des Films umsonst zur Verfügung stellen wollte, lehnte die "National Science Teachers Association" (NSTA) ab. Die offizielle Begründung: Der Film sei tendenziös. In einem Nebensatz ließ sie mehr durchblicken: Man wolle sein Fundraising nicht gefährden. Einer der größten Sponsoren der NSTA ist Exxon. Während "An Inconvenient Truth" in Norwegen und Schweden inzwischen zum festen Lehrplan gehört, bekommen US-Schüler von Exxon produzierte Filme gezeigt. Die sind für die NSTA offenbar objektiv genug."(...)
ich würde übrigens dringend dazu raten, nicht dem kurzschluss zu verfallen, die im artikel ebenfalls genannten und offensichtlich ein kleines fitzelchen mehr realitätswahrnehmung aufweisenden anderen konzerne ob ihres verhaltens generell zu entlasten. mit allergrößter sicherheit dürfte hier kühle kalkulation hinsichtlich der folgen für das eigene image eine gewichtige rolle gespielt haben. und dazu kommt noch, dass das betreffende thema nur eines von vielen ist, in dem sich solche konzerne nicht anders als jeder gewöhnliche mafiaclan verhalten.
eine folgerung aus solchen und anderen geschichten, die ich schon früher gezogen habe: diese "unternehmen" - und das sie primär schützende system mitsamt allen beteiligten institutionen - haben jeden anspruch auf respektierung oder gar loyalität verloren. und wer sie schützt, verteidigt oder rechtfertigt, macht sich unausweichlich selbst zum mittäter. das gilt übrigens prinzipiell auch für die "nur" passive duldung dieses treibens.
ich werde mich in den kommenden wochen hier auf den gerade begonnenen schwerpunkt konzentrieren und alles andere in der hinsicht etwas vernachlässigen, als das ich mir interessant und nachdenkenswert erscheinende materialien ohne große eigene kommentare nur kurz erwähne - anders ist das derzeit nicht nur zeitlich für mich nicht hinzubekommen. "nicht nur zeitlich" bedeutet, dass ich die arbeit an den themen dieses blogs immer wieder auch stark belastend empfinde, und dementsprechend dosieren möchte.
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drei texte, die ich nicht nur als belastend empfunden habe, sondern die mich auch mal wieder extrem wütend gemacht haben, im folgenden. das nettblog machte mich auf dieses aufmerksam:
(...) "Jens Söring hat den größten Teil seines Lebens in Amerika verbracht. Die meiste Zeit davon in Gefängnissen. Er war elf Monate im Wallens Ridge State Prison, das er "die Hölle auf Erden" nennt.
Es ist eines der berüchtigten Hochsicherheitsgefängnisse, ein Supermax Prison, von denen sie immer mehr bauen, obwohl immer mehr Studien nachweisen, dass eine derartige Bestrafung die Menschen nicht besser macht, dass sie die Rückfallquoten für Straftaten nur nach oben treibt.
Es sind Orte, an denen man 23 Stunden am Tag in Einzelhaft verbringt und eine Stunde in einem Einzelkäfig an der frischen Luft. Jahrelange, totale Isolation." (...)
ich möchte ausdrücklich die frage stellen, was die us-amerikanische und auch unsere gesellschaft eigentlich tatsächlich dabei zu gewinnen glaubt, wenn sie auch als schuldig erklärte unter solchen bedingungen einsperrt (was ja bei dieser geschichte offensichtlich noch nicht mal der fall ist). für den schutzaspekt der realen und potenziellen opfer "draußen" sind solche bedingungen schlicht nicht nötig, und der wäre bei einem tatsächlichen bemühen um psychophysische veränderungen - soweit diese möglich ist - auch und gerade bei gewalttätern sehr wahrscheinlich in der mehrzahl aller fälle besser gewährleistet. die aufkommende branche der privatisierten knäste ist jedenfalls eine einzige katastrophale und schlicht perverse fehlentwicklung - in jeder hinsicht.
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der - nicht nur dort, aber dort besonders - in der kapital- und profitorientierten logik (= verdinglichung von allem lebendigen) der sog. "freien marktwirtschaft" zutage tretende krankhaft entgleiste objektivistische wahrnehmungsmodus richtet allüberall nur leid und zerstörung an:
"Über 360 Millionen Tiere werden jedes Jahr quer durch Europa gefahren. Von den Transporten betroffen sind vor allem Rinder, Kälber und Schweine, aber auch Pferde, Esel, Hühner und Enten.Transportmittel sind Lkw, Bahn, Schiff und Flugzeug. Bei den Transporten stehen die Tiere unter enormem Stress und verlieren an Gewicht. Regelmäßig kommt es zu Verletzungen und Verstößen gegen die Regelungen der Europäischen Union." (...)
und wie beliebige sachen und dinge werden nicht nur tiere behandelt - auch menschen, und vor allem kinder, sind bekanntlich regelmäßig von dieser pathologischen wahrnehmungspraktik betroffen. zustände, bei denen das wort "skandalös" schlicht völlig unzureichend ist, sondern die eher zum himmel schreien, werden in einer lesenswerten reportage zu den straßenkindern in rumänien deutlich - und deutlich wird auch der zusammenhang mit themen wie trauma und borderline:
(...) "Roxana und Melinda ziehen ihre Lacktüten aus den Hosentaschen. Roxana ist siebzehn, sie hat vor ein paar Monaten ein Kind geboren. Es wäre fast gestorben, jetzt ist es irgendwo in einem Heim. Melinda hat sich in der Nacht mit Glasscherben den ganzen linken Unterarm aufritzt, vom Ellenbogen bis fast zum Handgelenk, Schnitt neben Schnitt. Sie war wütend, sie hat verschiedene Scherben ausprobiert, sie wollte sehen, welche besser schneidet, sagt sie. Sie ist 27 und sehr dünn, sie sieht aus wie eine alte Frau, sie hustet wie eine Tuberkulosekranke. Ionela, die Vierzehnjährige, wacht auf, sie lallt unverständlich. Ihre dunkelbraunen Haare sind frisch gewaschen, ihre Kleider sauber. Nachts war sie wieder bei dem Alten in der Wohnung, sagen die anderen, hinterher hat sie Lack genommen bis zum Umfallen. Ionela weiß nicht mehr, wie viele Freier es waren." (...)
nur eines dazu: solche zustände werden von denen, die ständig die umwelt mit ihrer propaganda von "die marktwirtschaft wird´s schon richten", "es lebe das freie unternehmertum" und ähnlichem grotesk von aller menschlichkeit reduziertem zeug verpesten, in aller regel achselzuckend hingenommen - "na und? pech gehabt. survival of the fittest".
und das, liebe leser und leserinnen, ist nicht nur tiefster verrat an allen mitmenschen und mitgeschöpfen - nein, das ist genau die heute aktuell dominierende pathologische und entfremdete art des menschlichen seins, aus der bis dato regelmäßig die schwersten verbrechen, die übelste kriminalität und der bösartigste terrorismus entstammen. und mit diesem zustand gibt es - schon alleine aus gründen der ganz elementaren selbsterhaltung - keinerlei kompromisse zu schließen, es gibt nichts zu verhandeln. es kann nur eines geben: sein vollständiges verschwinden. und für die konstrukteure, profiteure und propagandisten dieses zustandes wird sich irgendwann die frage stellen, ob sie mit diesem system untergehen wollen - oder aber das mögliche menschliche potenzial entwickeln, um qualitativ einen sprung zu schaffen, der letztlich für die meisten - nicht für alle! - von ihnen das leben entschieden sinnhafter machen würde.
...aus einem "großen deutschen nachrichtenmagazin":
(...)"Ehrlich gesagt", sagt Aust, "das ist so ein bisschen wie früher der Satz ,Geh doch nach drüben'. Neoliberal? Ich weiß gar nicht, was das eigentlich heißt. Realistisch zu sein, zwei und zwei zusammenzählen zu können? Was ist daran neoliberal?" Simpel gesagt: Wenn man den Schwachen ordentlich Druck macht und den Mächtigen devot den Bauch krault." (...)
treffender als im letzten satz wurde selten beschrieben, was heute so unter "realismus" firmiert - eine mörderische mischung aus objektivismus und opportunismus.
tja, da bin ich dann doch schneller wieder hier, als ich dachte - aber aus guten gründen, wie ich finde. es gibt ein paar mediale produktionen, die durchaus erwähnenswert sind - weil sie zum nachdenken anregen.
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passend zum jahresende gibt es unter dem titel Ein Jahr voller Schandtaten einen taz-kommentar, der alleine deshalb auffällig ist, weil er der allgegenwärtigen tendenz zur zynischen schönfärberei und gleichgültigen verdrängung deutlich entgegenläuft - deshalb hier (fast) in voller länge, mit einigen anmerkungen:
(...) 1. Im Dezember publizierten die Vereinten Nationen einen Bericht, laut dem 2 Prozent der Menschen vermögender sind als die Hälfte der Menschheit!
Das Missverhältnis ist zwar keineswegs neu, aber die Tendenz geht rasant in Richtung größerer Ungleichheit. Im globalen Maßstab wie auch in Deutschland. Man muss kein Ökonom sein, um zu erkennen, dass etwas Gravierendes nicht stimmt, wenn "Gürtel enger schnallen" bewirkt, dass punktuell das Fett überquillt."
was bedeutet die aussage im ersten satz konkret?
zunächst einmal haben die ominösen "zwei prozent" durchaus gesichter, namen und adresse: die absolute spitze dieser absoluten minderheit dürfte sich zu einem großen teil im sog. forbes-ranking wiederfinden, jener alljährlichen liste der vierhundert reichsten us-amerikaner:
"Auf der Forbes-Liste der 400 reichsten US-Bürger haben sich in diesem Jahr erstmals nur Dollar-Milliardäre platziert – zusammen besitzen sie 1,25 Billionen." (...)
(und das ausgerechnet ein asperger-autist dieses ranking anführt, darf und sollte vielleicht als mehr denn eine ironische fußnote betrachtet werden.)
für deutschland ist ein derartiges ranking aufgrund der notorischen öffentlichkeitsscheu der hiesigen geldelite schwerer zu erstellen - nichtsdestotrotz ist auch hier einiges bekannt.
diese klüngel und clans haben also zusammen und teils auch einzeln jeweils ein vermögen zur verfügung, dessen dimensionen die verfügbaren haushaltsmittel sehr vieler staaten (die sich übrigens in fast allen fällen bereitwillig für die durchsetzung der interessen der elitären minderheit selbst mittels offener gewalt zur verfügung stellen) locker in den schatten stellt - und ein vermögen, welches sich quasi minütlich in noch in unbekannten größen vermehrt - zu welchen und auf wessen kosten?
"So lebt fast die Hälfte der sechs Milliarden Menschen auf der Erde von weniger als 2 $ pro Tag und 1, 2 Milliarden von weniger als 1 $ pro Tag.
Dazu hat sich der Abstand zwischen den reichsten 20 % der Weltbevölkerung und den ärmsten 20 % in den vergangenen 40 Jahren verdoppelt. Das Vermögen der drei reichsten Milliardäre der Welt übertrifft das Bruttonationalprodukt der 48 ärmsten Entwicklungsländer und deren 600 Millionen Einwohner."
um es ganz konkret zu machen: von dieser extremen schere buchstäblich enthauptet werden erstens kinder, hier bevorzugt mädchen; zweitens frauen. für die - jeweils meist auf schätzungen beruhenden und vermutlich die gesamte jämmerliche realität nicht insgesamt abbildenden - statistischen zahlen recherchieren Sie zb. bei unicef. für deutschland schauen Sie auf den link zur kinderarmut in der liste rechts
die als "indirekte" bezeichneten folgen müssen nach "entwickelten" und unentwickelten regionen aufgeteilt werden und sind kaum zu in ihrer gesamtheit und verwobenheit zu beschreiben - armut lässt sich plausibel in zusammenhang bringen mit:
psychosozialer verelendung, innerfamiliärer gewalt, drogenabusus, armutsinduzierter kriminalität (und folgender drehung der staatlichen repressionsschraube, was dann auch ein ausuferndes knastsystem nach sich zieht, über dessen zustände in diesem land hier in den letzten tagen einiges zu lesen war ), umweltzerstörung, bildung von banden- und mafiastrukturen (die, so wie es ausschaut, von den "eliten" funktionalisiert und genutzt werden - antisoziale mitglieder der unterklassen werden als "rekruten" instrumentalisiert), gesteigertes risiko von (bürger-)kriegen (incl. florierender rüstungsindustrie), fluchtbewegungen planetaren ausmaßes (die tausenden toten zb. an den eu-außengrenzen im süden gehören ebenfalls zu den armutsfolgen), verstärkte und grausamer werdende konkurrenzverhältnisse bei armutsbedrohung (in unseren breiten ist zb. mobbing ein symptom dieser entwicklung) usw. usw.
und nein, man muß wirklich kein ökonom sein (das scheint sogar bei der realitätswahrnehmung eher ein hindernis darzustellen), um solche zustände nicht nur zum schreien, sondern als krieg zu empfinden.
2. Am 30. Oktober veröffentlichte der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern einen Bericht über die globale Erwärmung, der nicht nur, wie alle Untersuchungen und Projektionen zu diesem Thema davor, geradezu apokalyptisch klingt, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit auseinandersetzt, dass Umweltschutz langfristig erheblich wirtschaftlicher ist als Umweltverschmutzung.
Wenn wir national und international handeln, können wir die Konzentration der Treibhausgaskonzentration auf unter 550 ppm (parts per million) halten, womit die schlimmsten Folgen vermieden wären. Zum ersten Mal hat ein Ökonom aus dem Establishment die Kosten für unser Überleben beziffert: 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da die Militärausgaben diese Summe bei weitem übersteigen, gibt die Menschheit weit mehr für Zerstörung als für Erhaltung aus. Und das nennt sich Realpolitik!
eine ganz gute zusammenfassung der zunehmenden wetteranomalien ist aktuell hier zu lesen. (und das sich die sog. "realpolitik" - ein inzwischen krampfauslösendes unwort - seltsamerweise meistens auf zerstörerische wirkungen aller art konzentriert, ist etwas, was sich u.a. mit etwas wissen um die dynamiken und folgen traumatischer sozialer prozesse begreifen lässt. denn fakt ist dabei auch: wir alle - mit ein paar ganz wenigen ausnahmen - dulden dieses treiben mindestens. und die motivationen dafür sind dringend zu verstehen).
3. 2006 hat gezeigt, wie fragil und beschädigbar unsere westliche Demokratie ist. Früher hätten wir das, was wir gegenwärtig erfahren, "Gegenrevolution" genannt. Auf allen Ebenen werden Errungenschaften eingeschränkt oder abgeschafft, auf die wir stolz sein konnten.
In Großbritannien, dem Mutterland der modernen Demokratie, sollte das juristische Rückgrat der Menschenrechte, das Habeas-Corpus-Recht, abgeschafft werden, und es blieb ironischerweise dem einst konservativen Oberhaus überlassen, den schändlichen Gesetzesentwurf abzuschwächen. In den Vereinigten Staaten unterschrieb Präsident Bush am 17. Oktober ein Gesetz, das Folter und Entführung legalisiert, und widerrief somit einen zentralen Teil der "Bill of Rights" und natürlich auch das Habeas-Corpus-Recht.
Das Gesetz gewährt der Exekutive das außergewöhnlich weitreichende Recht, jeden Menschen auf der Welt als "ungesetzlichen feindlichen Kämpfer" zu bezeichnen und ihn somit zu entrechten. Die CIA darf jeden von uns entführen, in "geheime Gefängnisse" überstellen und foltern. Die derart geernteten "Beweise" sind vor "militärischen Gerichtskommissionen" zugelassen.
Wie das funktioniert (damals allerdings noch "illegal"), haben mehrere deutsche Staatsbürger schmerzhaft erfahren müssen, ohne - auch das gehört zu den Schandtaten dieses Jahres - ausreichend von der eigenen Regierung geschützt worden zu sein. Die Macht der Gesetzlosigkeit, bekannt aus Absolutismus und Faschismus, macht sich breit. Freiheit und Gerechtigkeit sind in ein Koma gefallen, aus dem sie nur eine weitreichende Therapie wieder zum Leben erwecken kann.
suchen Sie einfach mal mit den keywords "folter" und "knast" hier im blog - und Sie werden das obige illustrieren können.
4. Irak ist offensichtlich eine Katastrophe - obwohl wir uns kein profundes Bild davon machen können, denn westliche Journalisten können kaum mehr aus der Grünen Zone in der Hauptstadt Bagdad heraus. Vielleicht schafft in dieser Hinsicht der englischsprachige Nachrichtensender von al-Jazeera ein wenig Abhilfe. Doch für wen?
Mehr als eine halbe Million Iraker sind an den Folgen der Invasion gestorben, lauter unglückliche Opfer im Kampf für die Demokratie. Für manch andere aber ist Irak eine Bonanza sondergleichen. Für Firmen wie Halliburton und Bechtel, die gewaltige Aufträge abgesahnt haben, die höchst virtuell abgerechnet wurden.
Und auch für all jene, denen es gelungen ist, sich an der systematischen Ausplünderung des Iraks zu beteiligen. Laut Schätzungen sind etwa 20 Milliarden Dollar "verschwunden". Egal, wann die Amerikaner und ihre Verbündeten das Land wieder freigeben: Ein substanzieller Teil des irakischen Reichtums hat seine "exit strategy" schon gefunden.
zwei weitere aspekte (nicht nur) zum "kampf gegen den islamistischen terror:" eins und zwei.
5. Die angesehene britische Journalistin Isabel Hilton, Redakteurin von opendemocracy.com , eines der weltweit besten politischen Infosites, antwortete neulich auf die Frage nach dem typischen Charakteristikum unserer Epoche mit der "Lüge".
Tatsächlich ist auffällig, wie unverhohlen die führenden Staatsmänner der Welt (Wladimir Putin, George W. Bush und Tony Blair mögen als Hauptakteure ausreichen) samt ihrer gesamten Equipage lügen und Lügen gestraft werden, und trotzdem keine Konsequenzen ziehen und nicht gezwungen werden, Konsequenzen zu ziehen. Paraphrasiert gesagt: Es gab schlimmere Zeiten, selten aber heuchlerische.
simulationen im sozialen leben - zu denen die lüge "an sich" deutlich gehört - sind ja ein thematischer evergreen in diesem blog. zur untermalung des obigen empfehle ich nochmals dieses hier. übrigens bezweifle ich, dass die oben genannten ihre lügen auch als lügen empfinden.
selten genug, dass ich etwas in unseren zeitungen bedingungslos unterschreiben würde - jetzt folgt ein solch rarer moment:
(...) Wenn wir also in diesen Tagen zum Nachdenken finden und zum Erhoffen ins Neue Jahr hinein, dann wäre es schön, wenn wir nicht aufhörten, uns eine bessere Welt vorzustellen, gerade in Zeiten, in denen ein zynisches Achselzucken als profundes Weltverständnis verkleidet wird. Eine Welt ohne Ausgrenzung von Anderen, ohne Waffenproduktion, ohne imperiales Gangstertum, ohne die Diktatur des Internationalen Währungsfonds und ohne eine Wirtschaftsweise, die die Mehrheit der Menschen zu einer unwürdigen Existenz verdammt, während sie unser aller Zukunft raubt.
Es wäre schön, wenn wir träumen könnten, gegen die verächtlichenden Rufe der Pragmatiker, die Missstände allein kraft ihrer Existenz beglaubigen, während sie den Visionen jegliche Vernunft absprechen. Auch wenn 2006 ein Jahr der Rückschritte war, wir leben in interessanten Zeiten, und das heißt auch, dass wir an Kreuzungen stehen. Und dass es von uns allen abhängt, in welche Richtung es weitergehen wird.
vielleicht geben Sie der obligatorischen silvesterfeier ja auch einen ganz neuen drive, wenn Sie als einstieg einfach den obigen kommentar laut in der runde verlesen?
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auf der gleichen seite der taz, von der der gerade vorgestellte kommentar stammt, findet sich auch eine rubrik zur pressedokumentation, deren heutiger inhalt unfreiwillig (?) weitere aufschlüsse über die desolate verfassung der westlichen gesellschaften bietet:
(...) "SPD-Chef Kurt Beck fühlte sich vom struppigen Frank provoziert und forderte ihn zum Haareschneiden heraus. Das war ein Appell an das Arbeitsethos, das zu den Grundlagen westlicher Gesellschaftsordnung gehört: spontan, humorvoll und angebracht."
das "arbeitsethos", welches hier von einem der führenden kapitalistischen propagandablättchen beschworen wird, lässt sich erstens in seiner konzentriertesten form in drei berühmt-berüchtigten worten fassen: arbeit macht frei. und wer zweitens das verächtliche und ressentimentgeladene geschwätz des k. beck als "humorvoll" bezeichnet, dürfte sich mitsamt seinem humor in dieser gesellschaft ganz wohlfühlen.
folgenden unsinn aus der "washington post" möchte ich hingegen inhaltlich nicht weiter kommentieren:
"In den meisten reichen Ländern der Welt hat die Ungleichheit im vergangenen Vierteljahrhundert zugenommen. Sicher ist es nicht möglich, sie vollständig zu beseitigen, dies wäre auch gar nicht wünschenswert: Ungleiche Entlohnung motiviert Menschen."(...)
aber schauen Sie doch noch mal in das weiter oben verlinkte "forbes-ranking" - an zweiter stelle steht dort erneut
"...Investor und Chef von Berkshire Hathaway, Warren Buffett, mit 46 Milliarden Dollar. Berkshire Hathaway hält unter anderem Anteile an Coca-Cola, Gillette und der Tageszeitung „Washington Post“.
manchmal ist die realität tatsächlich nur eins: unsäglich platt.
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so, und da es ja hier schon ausgiebig um das treiben der sog. "eliten" ging, folgt jetzt zum abschluß ein langer und interessanter ausflug an den starnberger see, für den Sie sich ruhig die zeit nehmen sollten (das war jetzt übrigens ein musterexemplar eines durchaus ungewollten wortspiels).
nur eine kleine textprobe, die zudem auch etliches über menschliche widersprüchlichkeiten und abgründe deutlich macht:
(...) »Ich sage Ihnen was über Starnberg. Wollen Sie eine ehrliche Antwort?« Bitte. »Eine Bombe sollte man da reinwerfen, eine Bombe.« Rudolf Zirngibl ist in Starnberg aufgewachsen, im Kreisrat sitzt er für die CSU, seit 22 Jahren ist er Unternehmer, und er behauptet von sich, dass er in Abgründe gucken könne. »Es ist so widerlich.« Am Ende stünden die Reichen vor ihm und sagten: »Für meine Frau die billigste Kiste. In aller Stille, schnell weg.« (...)
ja. es ist so widerlich.
unfestliches eins: aus den augen, aus dem sinn - oder was eine justizsenatorin unter "problemlösung" versteht:
(...) "Die neue Justizsenatorin Gisela von der Aue will die Öffentlichkeit nicht mehr über Selbsttötungen in den Gefängnissen unterrichten. Nach Informationen des Tagesspiegels hat von der Aue angewiesen, Selbstmorde nicht mehr zu melden. Die Entscheidung sei in der letzten Woche gefallen, nachdem sich in Moabit erneut ein Untersuchungshäftling das Leben genommen hat. Dass der 37 Jahre alte Siam B. sich mit seinem Bettlaken erhängte, sollte die Öffentlichkeit nicht mehr erfahren. Es war die zehnte Selbsttötung in diesem Jahr – so viele hat es seit 1987 nicht mehr in Berlin gegeben." (...)
natürlich nur aus einem hehren motiv heraus:
(...) "Die Sprecherin der Senatorin, Juliane Baer-Henney, begründete die Anweisung so: Die Persönlichkeitsrechte eines Gefangenen und seiner Familie seien höher zu bewerten als das Interesse der Öffentlichkeit. Dem widersprach Andreas Gram, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, gestern vehement. „Das Informationsbedürfnis des Parlamentes ist höher zu bewerten“, urteilte Gram. „So soll wohl verhindert werden rauszufinden, was in den Gefängnissen los ist“, kritisierte der CDU-Politiker – also zum Beispiel Drangsalierungen durch andere Gefangene oder schlechte Haftbedingungen."
"wenn wir schon todesfälle nicht verhindern können (bzw. wollen), so schützen wir dann doch wenigstens das persönlichkeitsrecht" - ich fürchte, die vertreterInnen der sog. politischen klasse meinen ihren zynismus völlig ehrlich. und sollte uns ein hauch von wahrheit aus cdu-mund selbst dann tröstlich stimmen, wenn er erkennbar aus sog. parteipolitischen überlegungen heraus motiviert ist?
dazu auch ein lesenswerter kommentar.
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unfestliches zwei aus mexico: mörderische gewalt gegen frauen ist zwar nicht nur dort eine realität, hat aber in einigen regionen unglaubliche ausmaße erreicht:
(...) Jede Woche verschwindet in Ciudad Juárez mindestens eine Frau, und es wird nie wieder etwas von ihr gehört, es sei denn, ihre Entführer entscheiden sich dafür, ihren leblosen und offensichtlich brutal gefolterten und ermordeten, wüst vergewaltigten und manchmal verstümmelten, manchmal verbrannten Körper verschwinden zu lassen. Weder die Verzweiflung und Angst der Familien, mit der Unsicherheit leben zu müssen, ob ihre Töchter, die das Haus verlassen, auch zurückkehren werden, noch die fast 300 Morde und über 600 Vermissten lösen die Bereitwilligkeit aus, diese Taten unter Kontrolle zu bekommen. (...)
Die mexikanische Journalistin und Feministin Mariana Berlanga treibt derzeit eine Untersuchung über die Frauenemorde in Ciudad Juárez und deren Verbindung mit den Institutionen und den Produnktionsgepflogenheiten der Maquilas ( Billiglohnfabriken ) der Region voran. Sie ist Aktivistin im Bereich der Aufklärung der Morde und im Kampf gegen die Straflosigkeit in Juárez, insbesondere was die Gewaltakte die dort gegen/an Frauen verübt werden anbetrifft.(...)
Marina: In México, wie in anderen verschiedenen Ländern Lateinamerikas und der Welt, war die Gewalt gegen Frauen, einschliesslich der Morde, immer charakteristisch. Aber seit 13 Jahren überrascht uns eine neue Form dieser Gewalt, nämlich dass Frauen nicht nur einfach aus irgendeinem Grund ermordet werden, sondern dass es ein gemeinsames Muster gibt. Das heisst, es werden immer wieder an öffentlichen Orten die Körper toter Frauen aufgefunden, die Zeichen von Folter, sexueller Gewalt und Verstümmelungen aufweisen. Diese Art von Fällen überrascht uns seit 13 Jahren, obwohl die Gewalt gegen Frauen schon vorher strukturiert und systematisch gewesen ist. Vor 13 Jahren ist damit begonnen worde, die Fälle zu zählen und publik zu machen, was keine Rechtfertigung dafür ist, dass seit 13 Jahren solche Dinge geschehen.
Es werden Frauen getötet, die sehr spezifische Kennzeichen besitzen und nicht irgendwelche, jedenfalls nicht in dieser Weise. Die Ermordeten sind immer von brauner Hautfarbe, haben indigene Züge und sind zierlich. Bis vor Kurzem handelte es sich noch um jungendliche Frauen; inzwischen müssen wir sagen, dass Kinder davon betroffen sind, Mädchen im Alter von sechs, fünf bis zu drei Jahren! (...)
lesen Sie´s!
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unfestliches drei: gibt es eigentlich auch nur einen nachvollziehbaren grund dafür, warum dieser gesellschaft all der selbstproduzierte wahnsinn nicht auch an einem 24. dezember auf die füße fallen sollte? eben:
(...) "Die Großeltern hatten der Polizei einen Hinweis gegeben. Die Beamten fanden den Jungen tot in der Wohnung seiner Eltern. Die 29-jährige Mutter, eine arbeitlose Verkäuferin, sei wegen des Verdachts auf Totschlag festgenommen worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Eine Obduktion ergab Anzeichen für einen gewaltsamen Tod des Jungen.
Über die genauen Todesumstände teilte die Staatsanwaltschaft zunächst nichts mit. Die Ermittlungen ergaben bisher, dass sich die Eltern des Kindes an Heiligabend gestritten hatten. In seiner Wut habe der 30-jährige Vater die Wohnung verlassen und sei zu seinen Eltern gegangen. Danach sei zunächst der Vater in die Wohnung zurückgekehrt, später auch dessen Eltern. Diese hätten dann um Mitternacht die Polizei darüber informiert, dass ihr Enkelkind tot sei." (...)
ist Ihnen - neben der trostlosen wiederholung, mit der solche meldungen fast im wochentakt auftauchen - auch das attribut arbeitslos bei der bezeichnung der wahrscheinlichen täterin aufgefallen? genau so werden ressentiments produziert.
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unfestliches vier: falls Sie wiedereinmal bei Ihren geschenken innerlich aufgestöhnt haben und die frage eines umtauschs auf dem tisch liegt - nun, hier gibt´s einen buchtipp:
(...) Brigitte Schwaiger, "Fallen lassen", Czernin Verlag 2006, ISBN 9783707600827
(...) "Schizophrenie, Depression, Borderline-Syndrom - die zyklisch wechselnden Diagnosen der Ärzte sind ein Spiegelbild der prinzipiellen Unkommunizierbarkeit ihrer Leidenszustände und gleichzeitig der gesellschaftlichen Unsicherheit im Umgang mit seelisch Erkrankten. Darüber lässt sich trefflich entspannt räsonieren, doch hier ist das Opfer eine allem Ungemach zum Trotze disziplinierte Schriftstellerin, die uns voll Zorn mit den ihr verbliebenen schriftstellerischen Mitteln - und dazu zählt die Gabe der klaren, präzisen Beobachtung - erzählt, wie man als Betroffene lebt.
Ihr bewusst schlicht gehaltener Bericht gibt uns keine Darstellung eines gigantischen Fantasmas, wie die legendären "Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken" des Senatsrates Schreber, der Freud zu seiner Theorie der Paranoia angeregt hat; er ist auch kein Versuch, den eigenen Wahn, der zur Tötung der Gattin geführt hat, intellektuell zu meistern, wie ihn der französische Philosoph Althusser unternommen hat. Brigitte Schwaiger hat ein unprätentiöses, aber unter die Haut gehendes Protokoll des Lebens in drei Höllen verfasst - ihrer inneren Hölle, der des sozialen Umfelds und schließlich der der institutionellen Verwaltung von so genannten Geisteskrankheiten in Wien.
Wie lebt man mit einer Antriebslosigkeit, die einen in die Verwahrlosung treibt, wie lebt man mit Panikattacken, die einen zu Hause festhalten? Wie meistert man den Spagat, dass man einerseits "Beziehungen aufrechterhalten" soll und sich gleichzeitig seinen Mitmenschen nicht mehr verständlich machen kann, zur Körperpflege außerstande ist und am Ende nur mehr "nervt", so dass die Besucher ausbleiben? Und schließlich: Wie lebt man in jener absoluten Hölle, in der diese Krankheiten verwaltet werden, im psychiatrischen Krankenhaus der Gemeinde Wien auf der Baumgartner Höhe? Der Name Steinhof ist verpönt, man soll jetzt Otto-Wagner-Spital sagen." (...)
ob das wirklich nur als "öffentliche schande" begriffen werden soll? schließlich ist hier, ebenso wie in den weiter oben beschriebenen beispielen, zum wiederholten mal die logik der verdinglichung zu besichtigen - und in dieser logik geht es hier auch noch um weitgehend nutzlose dinge:
(...) "Da leben Männer und Frauen, Depressive und Aggressive, Schizophrene, Paranoiker und Heroinsüchtige auf engem Raum, junge und alte, Angehörige verschiedener Nationalitäten in einer Situation, die immer wieder - so Schwaiger - "Missverständnisse und Streit, sogar Androhung von Gewalt und Gewalttätigkeit" produziert.
Die Vorstellung, dass sich eine Insassin des Steinhofs damit tröstet, dass Juden in Konzentrationslagern mehr hätten leiden müssen ist unerträglich - jener Steinhof, den Brigitte Schwaiger schildert, ist eine öffentliche Schande." (...)
- sprach die empörte bürgerlichkeit (und wandte sich dann wahrscheinlich wieder ihren ach so wichtigen geschäften zu). wie wäre es denn, mal die floskel "unerträglich" als wahrnehmung real zuzulassen? das könnte dann nämlich tatsächlich veränderungspotenziale freisetzen.
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wir lesen uns hier vermutlich spätestens in der ersten januarwoche wieder - dann wird´s auch mit der traumareihe losgehen. und ich wünsche allen leserInnen, das Sie die tage, welche den schönen ausdruck "zwischen den jahren" tragen, wirklich einmal zur besinnung nutzen können.
wie in der überschrift schon angedeutet - eine sammlung neuer variationen des immergleichen.
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in zeiten, in denen sich hochschulen / universitäten überwiegend als produzenten von geeignetem menschenmaterial für den blutdurstigen götzen namens "wirtschaft" verstehen, ist bei dieser produktion ausschuß aufgrund diverser materialfehler kaum zu vermeiden - ach, Sie stören sich an meiner verdinglichenden ausdrucksweise? aber aber, betrachten Sie sich den folgenden ratschlag sog. experten für dieses letztlich das geschäft störende potenzial und vor allem: denken Sie ihn bis zum konsequenten ende.
(...)"Die beiden Experten hören ihnen zu und raten dann: "Lügen Sie, was das Zeug hält. Tunen Sie Ihren Lebenslauf."(...)
wie gesagt: denken Sie das konsequent zu ende - denken Sie bspw. einmal an die Ihnen vielleicht bekannten praktiken, fehlerhafte produkte (ich meine gerade tatsächliche dinge) "aufzuhübschen" um derart dann doch noch einen erbärmlichen profit herausschlagen zu können. versuchen Sie, (sich) das darin offenbarende welt- und menschenbild zu beschreiben. und machen Sie sich auch noch einmal klar, das gerade bei den sog. psychischen (psychophysischen) krankheiten - zu denen die beziehungskrankheiten gehören - ein ganz wesentlicher teil und auslöser darin besteht, dass der beziehungsbereich bei den betroffenen von ausser kontrolle geratenen virtuellen "realitäten", fakes und als-ob-zuständen geprägt - oder besser: ersetzt - wird.
was würden Sie übrigens von einem medizinischen experten halten, der einem alkoholiker empfiehlt "Saufen Sie, was das Zeug hält"?
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eine art glaubensbekenntnis:
(...)"Ich glaube fest an den Wert und die Bedeutung privater Besitzrechte", sagt er. "Ohne deren Schutz werden wir zu Sklaven."(...)
amen. wer hat so etwas nötig? vielleicht solche leute, wie sie hier skizziert werden?
"Er liebte Besitz, nicht etwa massenhaft Besitztümer, sondern ein paar ausgesuchte Objekte, von denen er sich nie trennte. So etwas verlieh einem Menschen Selbstachtung. Nicht Prunk, sondern Qualität und Kennerschaft. Besitz erinnerte ihn daran, daß er existierte (sic!), und bewirkte, daß er sich seiner Existenz erfreute. So einfach war das. Und war das etwa nichts? Er existierte."
und danach hatte ich, quasi als kurzbeschreibung, geschrieben:
"besitz als verifikation der eigenen (defekten und beschädigten) existenz" - und als kompensation natürlich. das ist u.a. ein grund, der die auseinandersetzung mit diesen strukturen so schwierig macht - für solche leute geht es buchstäblich und tatsächlich um alles. aber ebenso für uns.
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es handelt sich dabei aller wahrscheinlichkeit nach um die gleichen leute, deren antisoziales agieren auch in folgendem kommentar quasi als eine art naturgesetzlichkeit hingenommen wird:
(...)"Beide sind - hätte man früher gesagt - erkennbar Dickköpfe: immer mit dem Schädel durch die Wand. Heute würde man vielleicht von Macho-Typen reden, wenn die beiden nicht eine so unsinnliche Sturheit auszeichnete. Beide gelten sie als beratungsresistent, beide schießen ungerührt Böcke. Der eine verunstaltet gerichtsnotorisch den Berliner Hauptbahnhof, der andere setzte Milliarden in den Sand für unverkäufliche Luxusmodelle in einem "Volks"-Wagen-Konzern. Für Kritik sind beide absolut unerreichbar. Untertänigkeit ist die einzige Weise, sich ihnen zu nähern. Gewiss, kompetent sollte man sein. Aber Kompetenz ohne Untertänigkeit wird als Majestätsbeleidigung geahndet."(...)
grenzverletzend, kritikunfähig, aggressiv im negativen sinne, extrem hierarchieorientiert...warum fällt mir bei solchen beschreibungen bloß immer wieder der icd-code F60.2 ein? allerdings kommen offensichtlich diverse betroffene keinesfalls grundsätzlich in einen "konflikt mit der gesellschaft", sondern gelten im gegenteil solange noch als "vorbilder", bis das destruktive treiben dann doch unhaltbar (für ihre kumpanen, besonders aus imagegründen) wird. vorbilder aber werden sie weswegen? herr l. beantwortet uns die frage so:
(...)"Offenbar braucht es zur Umsteuerung solcher riesiger Institutionen hin zu einer flexiblen, kreativen und kostenbewussten Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich solcher herkulanischen Typen, die mit enormer Kraft, Rücksichtslosigkeit und Unbeirrbarkeit ihre Schneisen schlagen."(...)
na, und wer ist für solche rücksichtslosen projekte aufgrund der strukturellen eigenarten der persönlichkeit am besten geeignet? eben:
(...)"Der Psychopath ist zum Heldenidol der neuen Wirtschaft erhoben worden. (...) Der Psychopath ist der glänzende Soloartist der sozialen Akrobatik, ein unübertroffener Manipulator, (...)"
(da ich ja selbst hier immer wieder auf differenzierungen hinweise und auch darauf beharre: setzen Sie "antisoziale persönlichkeit" ein, von der die echten soziopathen eher eine untergruppe bilden - damit können Sie dann nicht falsch liegen.)
und dann gibt es in den letzten absätzen vor allem eine art selbstentblößung zu bestaunen - und ich denke, dass da der herr l. stellvertretend für viele seiner medienkollegInnen, und eh für die selbsterklärten "eliten" dieser gesellschaft gesehen werden darf:
(...)"Aber ginge es nicht auch ein wenig anders: Könnten solche Leitwölfe nicht auch einmal an sich zweifeln? Könnten sie sich nicht gelegentlich selbstkritisch über die Schulter schauen und sich sagen: "Hör' mal zu, Hartmut/Ferdinand, auch Du bist nicht unfehlbar!" Könnten nicht Führungsstärke und Skepsis, könnten nicht Sturheit und laufende Selbstkorrektur eine so viel angenehmere Legierung eingehen?"
dazu müssten die benannten überhaupt erstmal so etwas wie ein authentisches selbst leben bzw. sein - incl. der damit verbundenen (selbst-)wahrnehmungsfähigkeiten. aber wenn sie solche menschen wären, wären sie schlicht nicht in den positionen, in denen sie sind - mangels existenziellem interesse (besitz, hierarchien, machtspielchen und der ganze andere (selbst-)mörderische dreck sind auch immer, ich schrieb es oben schon, als kompensationsversuche tiefgreifend geschädigter persönlichkeiten zu sehen).
"Offen gestanden: Ich weiß das nicht! Wünschen würde man es sich. Bedenkt man aber den ungeheuren Druck, der auf solchen Anführern lastet, seien es Kanzler oder Chefs, dann befürchtet man fast, sie würden alsbald in Depression versinken, wenn sie solche Selbstzweifel ernstlich zulassen wollten. Willy Brandt, zum Beispiel, war gewiss außenpolitisch ein großer Kanzler. Aber dies doch nur für kurze Zeit, auch weil ihm die nötige Härte abging, weil er immer wieder in tiefe Depressionen verfiel.
Ich fürchte also, man muss mit solchen Hammer-Typen wie Mehdorn und Piëch leben, wenn man die Herkulestaten sehen will, die andere vermissen ließen, und über die Kollateralschäden solcher Durchmarsch-Anführer muss man sich trösten mit dem Wissen: Auch diese Leute werden eines Tages abgelöst. Heilige gibt es eben nicht, jedenfalls nicht im Management. Und die vollkommenen Gestalten, die einem einfallen könnten, hatten nie einen Konzernumbau zu bewältigen, waren nie Macher, sondern immer Moralisten."
und da ist die hose endgültig unten - selbstzweifel führen also zwangsweise zu depressionen - doch nur bei solchen leuten, die wirklich riesenmist fabriziert haben; die beginnen, das zu erkennen und zusätzlich als voraussetzung dafür noch mindestens fragmentarisch über relikte existenzieller menschlicher wahrnehmungsfähigkeiten verfügen müssen. "kollateralschäden" ist dann der passende - und zynische - begriff für die verbrannte erde (= geschädigte und/oder tote menschen), die solche "hammer-typen" in diversen sozialen bezügen zu hinterlassen pflegen. und am ende wird noch die keule "moralist" (lies: kein "realist", utopist, "gutmensch" etc.) rausgeholt, um derart die antisozialität als irgendwie "notwendig" hinzustellen - und die so handelnden ebenso (das sie eines tages "ersetzbar" sind, verrät ebenfalls einiges über die welt der "eliten" - aber einen trost kann ich darin nicht erkennen).
unter anderem wg. solcher artikel wie dem obigen bezeiche ich etliche angehörige des medienbetriebes als prostituierte der herrschenden antisozialen fraktionen.
*
als nächstes ein bemerkenswerter offener brief einer jungen frau, der nicht nur ein beispiel für die art der gerade erwähnten "kollateralschäden" darstellt, sondern gleichzeitig auch mitten in den fragen nach den möglichen verbindungen zwischen diagnosen wie borderline und (post-)traumatischen störungen landet:
"Ich möchte einen Bericht verfassen für alle diejenigen, die das Glück im Leben gehabt haben, eine fundierte Ausbildung machen zu dürfen, die das Glück hatten, aufgefangen zu werden in dieser unserer Gesellschaft. Wenn Sie meine Worte und das, was ich hier schreibe, nicht verstehen wollen, wenn Ihr Herz ein Eisklotz ist, dann löschen Sie von mir aus meine Worte, und denken nicht mehr darüber nach; genießen Sie Ihr schönes Leben!!! Aber wenn Sie etwas mitfühlend sind, dann lesen Sie meine Zeilen die ich Ihnen schreibe."(...)
nehmen Sie sich die zeit. wirklich.
ich persönlich halte die geschilderte realität für authentisch, und möchte nur ein paar punkte herausgreifen:
(...)"Ich saß in einem Café und lernte durch Zufall eine junge Frau von ca. 25 Jahren kennen, die mir stolz erzählte, sie würde bei der Arge in Köln Mülheim arbeiten. Als ich anmerkte, ich sei Arbeitslose, sah diese Dame mich mit einem vor Mitleid aber auch Ekel triefenden Blick an und sagte, die Arbeitslosen seien das doch alle selber schuld, daß sie in dieser Misere sind. Sie werden auch gar nicht mehr da rauskommen, weil sie faul gewesen sind und ja auch nie richtig arbeiten wollten. - Auf meine Nachfrage, ob das die Meinung der so genannten Fallmanager widerspiegelt, und ob sie nicht wüsste, daß nicht jeder das Glück hat, im Leben, erwiderte sie, das interessiere sie nicht. Es wäre wahnsinnig aufregend, Menschen aus dem Büro raus zu schmeißen, und ihnen Druck zu machen, indem man ihnen das ALG 2 streicht. Sie hätte das erst heute wieder gemacht, und das wäre schon gut, solche Macht zu haben."(...)
na, woran erinnern Sie die letzten sätze der anonymen sachbearbeiterin (nehmen Sie diesen begriff übrigens mal ruhig ganz wörtlich, das passt schon)? ist´s nicht der gleiche schlag, wenn auch sozusagen in kleinerer ausführung, der oben vom herrn l. so devot präventiv entschuldigt worden ist?
(...)"Meine Abteilung, die für mich zuständig ist, heißt Disability-Abteilung. Es soll eine besondere Abteilung sein, in der geschulte Fallmanager sich um Menschen kümmern sollen, die gesundheitliche Einschränkungen haben. Aber ich habe den schlimmen Eindruck, dass diese Hilfe eine Farce ist. Es soll einfach noch mehr Druck auf Menschen ausgeübt werden, denen es eh schon schlecht geht, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, die überall mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Ich bin seit ein paar Jahren in Therapie, gelte als so genannter Mensch mit psychischen Schwierigkeiten (...)"
was kein wunder ist bei den biographischen fragmenten, die sichtbar werden:
(...)"Ich kann nicht von einem Menschen, der umhegt und umsorgt aufgewachsen ist, verlangen daß er mich versteht. Er hat ja nie die Härte des Lebens wirklich erleben können. Deshalb werden ihn meine Worte wahrscheinlich auch kalt lassen. Ich hatte nicht das Glück, in meinem Leben behütet aufzuwachsen, sorgenfrei meine Kindheit und Jugend genießen zu können. Man hat mir Steine in die Wiege gelegt, die ich noch heute schwer entfernen kann.
Ich war ein Kind von 9 Jahren, als mein Alkohol erkrankter Vater mich in ein Heim steckte, was man als eine Art Kinderknast bezeichnen kann, Es gab dort Fenster, die zum Teil vergittert waren. Wir konnten nicht einfach in die Freiheit gehen. Das Heim lag weit abseits jener Stadt, zu der es gehörte. Uns Heimkindern war es verboten, das Heimgelände zu verlassen. Teilweise über 2 Jahre es gab keinen Kontakt zu Angehörigen - und wenn, dann nur sehr sporadisch. Wenn ich als Kind von 9 Jahren, das ich gewesen bin, damals erleben musste, daß mich erwachsene Erzieher mit Gewalt unter die heiße Dusche zerrten, mich an den Haaren die Treppe runter rissen, mir die Haare anflämmten, mich mit Medikamenten vollstopften, damit ich endlich ruhig war."(...)
...
(erinnern Sie sich an die vielen dokumentierten berichte über aktuelle fälle von gewalt gegen kinder? und auch an das, was ich zb. hier als täter-opfer-dialektik bezeichnet habe?)
(...)"Warum setzt man einem Menschen, der als Borderline gilt, auch noch jemanden vor, der absolut nervös ist und gar nicht fähig, sich in meine Gefühle und Probleme rein zu versetzen? Ist das eine böse Absicht der Arge, weil man doch weiß, was gewisse Reaktionen bei Menschen mit unserer Problematik auslösen können."(...)
(und erinnern Sie sich auch an die beiträge, in denen die komplizierten verbindungen zwischen borderline und trauma thema waren? ich denke nach wie vor (und werde das im kommenden traumaschwerpunkt näher begründen), dass borderline auch in einer schwer bestimmbaren größenordnung als "vertuschungsdiagnose" angesehen werden kann - abwälzen von gesellschaftlich produzierten gewaltfolgen mittels psychiatrischer hilfe auf die "konstitution" des einzelnen. ich betone das "auch", weil ich denke, dass etwas wie borderline tatsächlich existiert - aber nicht unbedingt im heutigen sinne der diagnostischen kataloge. für die borderline-definition (mit antisozialem schwerpunkt), die ich mittlerweile für plausibel halte, wäre zb. die zitierte "sachbearbeiterin" weit eher typisch als die verfasserin des briefes.)
(...)"Ist es verwunderlich liebe verantwortliche Politiker, daß ich nie Vertrauen aufbauen konnte in den letzten Jahren? Wenn ich als so kleines Kind, das ich gewesen bin, ständig und jeden Tag den Alkoholkonsum meiner Eltern ertragen musste, ist es dann nicht normal, daß ich kein Vertrauen in diese Welt setzen konnte? Es ist nicht verwunderlich, daß ich heute da bin, wo ich bin. Ihr so genannten Psychologen und Pädagogen, Ihr habt Mitschuld an meiner Misere, die ich in meinem Leben erlebt habe, Ich weiß, dass einige Psychologen da waren, die damals am Anfang ihrer Grossen Karriere standen. Es ist einfach, eine Diagnose zu stellen und ein Leben auch in Zukunft zu erschweren. Ich hatte kein Vertrauen in diese Welt mehr gehabt, erst recht nicht, als mir eine alte ausgebildete Erzieherin gesagt hat: „Man hätte dich mit dieser Diagnose besser abgetrieben.“(...)
wer ist hier nun krank? die autorin, ihre eltern, die bei den diversen institutionen angestellten, die diagnostizierenden...? ist das gesamtbild nicht eher die katastrophe, welches eine realität wiederspiegelt, in der an allen ecken und enden schwere und schwerste beziehungsstörungen wahrzunehmen sind, und in der die weitaus meisten menschen (ja, auch Sie und ich) in irgendwelchen formen in die verhängnisvolle täter-opfer-dialektik verstrickt sind?
es ist - wie so vieles andere in diesen zeiten - nur noch zum schreiend davonlaufen.
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wie auch dieses hier:
"Ein Vierjähriger wurde im US-Bundesstaat Texas der sexuellen Belästigung beschuldigt, weil er eine Frau umarmt und dabei deren Brüste berührt hat. Der Junge wurde von der Vorschule suspendiert."
am ende des artikels sind noch weitere beispiele für staatliche repressionen gegen kleine kinder in den usa aufgeführt, und ich empfehle besonders den link zur geschichte des zwölfjährigen, den seine mutter verhaften liess, weil er unerlaubterweise weihnachtsgeschenke auspackte. der betreffende junge wird dort mit dem "aufmerksamkeitsdefizitsyndrom" in verbindung gebracht, und falls das so sein sollte, wäre die ganze geschichte mal wieder ein beleg für ein totalversagen aller beteiligten "verantwortlichen" zu betrachten - wer bringt solche kinder zur welt; wer schafft die bedingungen, unter denen kinder derartige symptome entwickeln; wer lässt die jeweiligen eltern/mütter im stich; und wem fällt nichts weiter als "härte" ein, um mit dem menschlichen elend umzugehen? der fragenkatalog wäre noch zu erweitern, aber die antworten werden - natürlich - keineswegs besser oder angenehmer.
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und wenn ich mir jetzt diese obige kleine auswahl des normalen wahns anschaue, dann spüre ich einen effekt, den Sie vielleicht nachvollziehen können - diese unterschiedlichen geschichten weisen durchaus viele verbindungslinien auf, und genau das finde ich extrem beunruhigend. einiges wird im traumaschwerpunkt deutlicher werden, an dem ich jetzt wieder weiterarbeiten werde. machen Sie´s gut bis dahin.
nachtrag eins: zum thema "justizvollzug" im jugendknast empfehle ich diese bildergalerie der zeit - besonders die betrachtung der bilder 13 und 14. ebenfalls diese reportage.
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und zweitens (nicht nur) zum thema amok: mit dem untertitel Über Emsdetten, Dschungel-Soldaten und das Wesen der Pädagogik beginnt ein artikel im freitag, der in einige interessante richtungen schweift:
(...)"In Deutschland sollte es grundsätzlich misstrauisch stimmen, wenn gegen das ruchlose, blutrünstige, monströse Bild zu Felde gezogen wird. Der Nationalsozialismus hat bekanntermaßen ein regelrechtes Bilderverbot gegen Darstellungen des Abgründigen und Ekelhaften verhängt. Der Bereitschaft seiner Bürger, zu foltern und zu töten, tat das keinen Abbruch. Es war im Gegenteil sogar so, dass die Fähigkeit zur Gewaltausübung mit einer Ästhetik des Reinen, "Schönen" und Eindeutigen verschränkt war.
Insofern sind Bilderkonsum und Gewalt, Videospiele und bewaffnete Amokläufe eben nicht in der Form miteinander verbunden, wie Jugendsoziologen, Journalisten und Küchenpsychologie dieser Tage behaupten. Interessanter wäre es, sich das anzuschauen, worüber nicht gesprochen wird, weil es als völlig normal erscheint. Ein Dokumentarfilm über einen sich bei einem Consulting-Unternehmen bewerbenden BWL-Diplomanden, der in der vergangenen Woche parallel zu mehreren "Die-Jugend-muss-gerettet-werden"-Talkshows gezeigt wurde, könnte als Beispiel dafür dienen.
Der Film war unaufgeregt erzählt, die Äußerungen der Protagonisten blieben unkommentiert. Ein Studiumsabsolvent saß mit den Eltern in einem Familienwohnzimmer und sprach von den Anforderungen des Arbeitsmarkts. Der Vater stellte - durchaus ein gewisses Bedauern erkennen lassend - fest, dass sich die Situation in den Unternehmen verändert habe. Die Konkurrenz sei größer geworden, auch zwischen den Mitarbeitern, und sein Sohn, Mitte 20, fügte hinzu, dass man nun härter angreifen müsse. In einem weiteren Interview äußerte ein anderer Vater, die Ehefrau signalisierte nickend Zustimmung, dass das ganze Leben ein Kampf sei - was er für nichts Schlechtes halte. Genau das wolle doch die menschliche Natur, das stete Ringen mit sich und den anderen. Der BWL-Diplomand ergänzte, offensichtlich unmittelbar nach dem Bewerbungsgespräch, dass er sich - falls ihn die Arbeit überfordern sollte - fragen müsse, ob er an dieser Stelle richtig sei. Eine andere Bewerberin - potenzielle Teamkollegin und Konkurrentin - zeigte sich zunächst im Wellness-Bereich eines Hotels. Mit ein paar Bahnen im Schwimmbecken bereitete sie ihren Körper auf die Belastungen des bevorstehenden Arbeitstages vor. Im Hotelzimmer wenig später erklärte die junge Frau, sie habe es immer schon geliebt, wenn etwas los sei. Genau das schätze sie an ihrem - potenziellen - Arbeitgeber. Hier werde man nie in Ruhe gelassen, täglich vor neue Aufgaben gestellt, habe ständig etwas zu erledigen. Es klang, als werde - nach erfolgreich vollzogener Gehirnwäsche - ein Körper-Seele-Paket zum Verkauf feilgeboten.
Diese Bemerkungen sind deswegen so bemerkenswert, weil sie deutlich machen, was sich in den letzten Jahren im Alltagsverstand durchgesetzt hat: Die Gesellschaft gilt als Kampfzusammenhang und das Individuum als konkurrenzbereites Subjekt, das sich in einem lebenslangen Wettbewerb zu behaupten hat, sich geistig und körperlich permanent fit machen muss, ja mehr noch: sich fit machen will."(...)
der angeblich "ständige kampf" ist zwar eine mögliche wahrnehmungsposition - aber eine, die erst aufgrund ständiger gewaltpräsenz in so ziemlich allen sozialen bezügen mitsamt ihren potenziell traumatischen folgen zur dominanten position werden kann (um in der folge, sozusagen in weiterführung ihrer gewalttätigen entstehungsgeschichte, sich dann auch prompt als anthropologische konstante - "menschliche natur"- auszugeben und versucht, sich mittels dieser behauptung durchzusetzen. an diese defekte, weil traumainduzierte, wahrnehmung und die daraus entstehende realität als einzig mögliche zu glauben, ist letztlich jedoch (selbst-)mörderisch.)
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ps: zur zeit sind hier und auch woanders ein paar diskussionen offen - archenoe, wildwuchs und netbitch, ich werde versuchen, das so nach und nach abzuarbeiten.