Sonntag, 9. Juli 2006

assoziation: "Wir brauchen einen Rausch" - wm-spezial (update)

"Es reicht langsam. Es gibt ein ukrainisches Sprichwort, das heißt: `Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.' Wir haben den Zustand, dass uns der Verstand verloren geht, bald erreicht.(...)"

(das stammt - erstaunlicherweise - von heiner geißler )

“Die Weltmeisterschaft ist von der Sorte Partydroge, die sich herrschende Koksnasen am liebsten einwerfen. In der Schnee- und Schampussphäre dröhnt man sich besonders gern völlig zu, glaubt man die Bevölkerung in betäubten Zustand gebracht.“

(quelle)

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so. da den unerfreulichen begleiterscheinungen eines sportlichen events in form von täglich anschwellendem und teils strunzdummen massenmedialem geblöke alá “wir-sind-jetzt-alle-deutschland-und-fühlen-uns-so-wahnsinnig-geil-dabei-und-wer-dabei-nicht-mitmacht-ist-ein-miesmacher“ sowie den symptomen einer größere bevölkerungsteile befallenen trance in form einer us-amerikanische ausmaße erreichenden optischen verschandelung des öffentlichen raumes mittels sog. nationalfarben nicht zu entgehen ist, gibt es nun doch ein wm-special - und ich werde mich bemühen, den beitrag so zu gestalten, das vielleicht auch diejenigen zum lesen animiert werden, die ansonsten auch außerhalb von wm-zeiten mit fußball nichts anfangen können - bei einem derart in der sozialen realität präsenten phänomen lohnt sich das genaue hinschauen.

aus der perspektive dieses blogs sind dabei zwei seiten besonders interessant: einmal die wiederspiegelung allgemein verobjektivierender / verdinglichender tendenzen im durchkapitalisierten profifußball, zum anderen der sog. "patriotismus" als begleiterscheinung der wm. dementsprechend wird es zwei teile geben, sonst wird es einfach zu lang. ich fange an mit dem geschäft fußball.

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1.
ich hatte es ja schon anklingen lassen, dass ich selbst durchaus ein gutes match zu schätzen weiß, mit vergnügen guten offensiv- und one-touch-fußball betrachte (wie er in den letzten jahren v.a. von werder bremen gespielt wird), und bspw. bei einem zinedine zidane in seinen besten zeiten durchaus künstlerische und ästhetische qualitäten wahrgenommen habe. als junge habe ich eine zeit selbst in einem verein gekickt, und es gab damals und auch noch in späteren jahren durchaus eine art fantum im klassischen sinne für mich, einerseits für den lokalen kleinstadtverein mit regelmäßigen stadionbesuchen, andererseits für einen lieblingsbundesligisten. im laufe der jahre veränderten sich die prioritäten, und fußball wurde phasenweise völlig unwichtig - auch bedingt durch eine intensive beschäftigung mit dem thema „mann(sein)“, welches für eine größere emotionale distanz zu den „klassischen“ begleiterscheinungen dieses in der vergangenheit eindeutig „männlich“ codierten sports sorgte (diese eindeutige codierung besteht imo heute nicht mehr in der form wie bspw. noch vor zwanzig jahren, zu diesem punkt später mehr).

2.
fußball kann in seinen besten momenten eine art von entertainment darstellen, die ich persönlich nutzen kann, um bspw. meinen kopf wieder freizubekommen - eine art auszeit, wenn die zumutungen dieser welt - besser: vieler ihrer menschen - mal wieder bis an den rand des erträglichen gegangen sind. eine spielerisch geregelte und körperbetonte form des auslebens von aggressivität, deren wichtigste funktion in der aktuellen realität u.a. darin besteht, eine art von emotionalem mehrwert zu schaffen - das gilt zwar auch für die spieler, aber auf eine etwas andere art und weise primär für das publikum.

damit ist die zwiespältigkeit des fußballs auch schon benannt: er dient einerseits zur ablenkung und kompensation, ist damit systemstabilisierend - und andererseits lässt sich ebenso eine art zivilisierende komponente - unter und mittels kapitalistischer bedingungen - finden, die klaus theweleit in seinem buch schön beschrieben hat:

theweleit

“Fußball ist Krieg“ ist ein Satz, der Rinus Michels (ehemaliger trainer, anmerk. mo) zugeschrieben wird; zu Recht oder zu Unrecht. Als Autor der `Männerphantasien´, der sich zum „Körper des soldatischen Mannes“ geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als im Kern reiner Männersport, als Männerkampfsport, nicht unterm Gesichtspunkt „Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer“ betrachtet werden muss; als eine Art Militärersatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes . Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: „Ja, so ist es“. Um zur Bestätigung „Hab ich doch immer gesagt“ zu führen.

Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die „gewünschte Antwort“ habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. (...) Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im „Fußball alter Schule“ war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball. Der Torhüter Lars Leese („ronald reng“, anmerk. mo), der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in
Der Traumhüter die Situation „Kabine“ nach einem Wochenendsieg mit den Worten: „Fußball ist eine Macho-Welt. Montagmorgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinness-Buch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen.“
Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heitiger Profivereine anschaue.

Es gibt andere Tendenzen und Entwicklungen auf den „artistischeren“ Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als „Krieg“ zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft. Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien
ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob ihnen dies bewusst ist oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball. Theo Stemmler schreibt in seiner „Kleinen Geschichte des Fußballspiels“ über „Kemari“, die japanische frühe Variante des Fußballs: „Es wird in spielerischem Ritual versucht, den Ball (= die Sonne) vor dem Herabfallen (= dem Untergehen) zu bewahren.“ Das hat van Gogh ähnlich gesehen, wenn er Sterne klar als rollende Bälle malt. Spiritualisierte Feuerbälle, die man rotierend in der Luft halten muss. Und: Man ist auf die gegnerische Mannschaft angewiesen, sonst gibt es kein Spiel. Krieg dagegen führen Staaten auch ganz gern gegen nicht vorhandene Gegentruppen.

Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die andere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball „brutal“: 22 durchtrainierte Körper ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußball-Ideologen gleich von Tanz und „Ballett“.

So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eins der bedeutensten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95% der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus. Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie: „Die andern können auch Fußball spielen“..“Es kann nicht zwei Sieger geben“...“Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus“ (naja, anmerk. mo) wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während „Krieg“ ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt. (...)

(klaus theweleit, „tor zur welt. fußball als realitätsmodell“; kiepenheuer & witsch; köln 2004; isbn 3-462-03393-X; s. 94 - 96)


im weiteren verlauf argumentiert theweleit u.a. auch mit dem interesse der vereine, ihr - und hier passt dieser scheußliche begriff besonders, darum führe ich ihn an - humankapital in form besonders teurer spieler vor verletzungen schützen zu wollen. vermutlich sehe nicht nur ich an dieser stelle einen z.zt. nicht auflösbaren widerspruch: der effekt dieses interesses besteht zwar in einer erhöhten fürsorge für die spieler - nicht umsonst werden schiedsrichter seit einigen jahren mehr dazu aufgefordert, allgemein die gesundheit der spieler, besonders aber die der „superstars“ zu schützen -, aber er entspringt eben nicht primär einer besonders humanen motivation, sondern einem profitinteresse: „verletztes kapital“, welches nur auf der bank sitzt oder sich im reha-zentrum aufhält, ist quasi totes kapital - und das können sich die proficlubs schlicht nicht leisten.

3.
der profifußball ist zu einem milliardengeschäft geworden, und in dieser hinsicht ein durchaus realitätstreues abbild und auch bestandteil der kapitalistischen globalisierung - vereine wie bspw. manchester united sind keine vereine mehr, sondern börsennotierte unternehmen, die eine weltweite "fan"schar

"Manchester United hat dieses Potential als erster Verein erkannt. Heute kommen von geschätzten 75 Millionen ManU-Anhängern weltweit allein 40 Millionen aus Asien und Australien. In 90 asiatischen Städten kaufen sie in MU-Megastores ein oder verfolgen in Red Cafés die Spiele ihres Vereins.(...)"

* (zur quelle dieses und folgender mit dem sternchen markierter zitate siehe das ende dieses beitrags)


mit dem produkt fußball plus merchandising, starkult und allem sonstigen drum und dran unterhalten müssen, wenn sie denn den primär wichtigen ökonomischen erfolg erreichen wollen. da sich aber im fußball eigentlich erfolge aufgrund des spielcharakters mit seiner potenziell impliziten unvorhersagbarkeit nicht so ohne weiteres planen lassen, boomt u.a. der markt für individuell hochklassige spieler, die zwar auch keinen sportlichen erfolg garantieren, aber doch die wahrscheinlichkeit dafür um einiges steigern können.

die suche (scouting) nach solchen spielern führt gerade in südamerika, afrika und auch osteuropa zu zahlreichen sog. "auswüchsen" (die in der realität natürlich systemimmanent produziert und bis auf die größten und offensichtlichsten exzesse auch toleriert werden):

"Der Fußballmarkt hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm globalisiert. Aufstrebende Ligen, wie die japanische, fordern genauso „Spielermaterial“ wie der europäische Markt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Luxusmigration von internationalen Top-Stars. In Deutschland sind heute selbst Dritt- und Viertligavereine international besetzt.

Auf der anderen Seite steht ein Heer von Fußballern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt. Ausgebildet auf einer der zahlreichen Fußballakademien in Afrika oder Südamerika, warten sie auf den internationalen Durchbruch. Allein in Brasilien, auf dem größten Fußballermarkt der Welt, sind es 30.000. In den letzten vier Jahren hat Brasilien 3087 Profifußballer in alle Welt exportiert.(...)"

*


in einer ausgabe der welt vom mai letzten jahres war folgendes zu lesen (auszüge):

(...)"José Ferreirinha hatte eine andere Reaktion erwartet. Im Auftrag von Jose Mourinho, Trainer von Chelsea London, war er im März in das kleine Touristenstädtchen Santa Catarina an der portugiesischen Algarve-Küste gereist. Der Talentspäher sollte vor Ort die Familie Ponde dazu bewegen, daß ihm ihr zehn Jahre alter Sohn Cristian Ponde in die englische Hauptstadt folgt, um dort sein außergewöhnliches fußballerisches Talent weiter zu entwickeln. Doch der Filius des rumänischen Immigranten-Paares brach in Tränen aus, als man ihn über das Ansinnen des Besuchers unterrichtete. "Ich will aber für Sporting spielen", schluchzte Cristian.
Schließlich bekam Cristian seinen Willen. Das zehnjährige Talent darf künftig für seinen Lieblingsverein in Lissabon kicken. José Ferreirinha reiste unverrichteter Dinge ab - ein seltenes Erlebnis für den Scout des derzeitigen Krösus im europäischen Fußball.

Ob in Lissabon, Barcelona oder London - die Jagd auf die jüngsten Fußballtalente läuft aggressiv wie nie. Woche für Woche werden neue "Wunderkinder" entdeckt, sie und ihre Familien in Versuchung geführt und schließlich von Großvereinen unter Vertrag genommen und so oft entwurzelt.

Vor wenigen Tagen verpflichtete der FC Valencia den elfjährigen Nikon Jevtic, der von seinem Berater Karl-Heinz Förster auch dem VfB Stuttgart angeboten worden war. Der FC Barcelona angelte sich den zwölfjährigen Argentinier Erik Lamela, den auch Arsenal London und AC Mailand umworben hatten. Das jüngste Objekt der Begierde auf dem internationalen Kinder-Fußballmarkt ist Jean Carlos Chera, ein neunjähriger Fußballer aus Südbrasilien. Manchester United und der FC Porto hatten die Fühler nach dem Knirps ausgestreckt, die Eltern entschieden sich schließlich für den heimischen FC Santos.

"Wir leben in einem neuen Zeitalter", sagt der sportliche Leiter von Bayer Leverkusen, Michael Reschke. "Der Markt ist aggressiver geworden." Im vergangenen Jahr war das zwölfjährige Talent Dennis Krol von Leverkusen nach Barcelona gewechselt. Wenige Wochen später sprachen die Scouts der Katalanen bei einem Turnier in Spanien weitere Spieler an. Künftig verzichtet der Werksklub auf Reisen der Nachwuchsteams nach Spanien."(...)

"Das ist doch Piraterie", klagte Jose Maria Aguilar, Präsident von River Plate Buenos Aires, die erfolgreichen Abwerbungsversuche des FC Barcelona im Fall Lamela an. Der katalanische Spitzenklub lockte die Eltern des argentinischen "Jahrhunderttalents" mit der Aussicht auf gutdotierte Jobs und die Geschwister mit Studienplätzen über den Atlantik. Darüber hinaus erhält der 41 Kilogramm leichte Maradona-Fan ein Jahresgehalt in Höhe von 120 000 Euro. Das spanische Sportblatt "As" geht in Zusammenhang noch einen Schritt weiter und beschrieb solche Transfers als eine "Art von fußballerischer Pädophilie".

Das Seelenheil der Kinder spielt dabei auch für die Eltern oft nur eine Nebenrolle. So versuchte ein Taxifahrer aus Frankfurt vor kurzem den FC Bayern mit dem Talent seines 15 Jahre alten Jungen zu erpressen. Er wollte seinen Sohn nur ziehen lassen, wenn ihm der deutsche Rekordmeister eine gutbezahlte Stellung besorgen würde. Bayern München lehnte mit einem Hinweis auf die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland ab und wünschte Vater und Sohn viel Glück.

Ein noch bedenklicherer Auswuchs der neuen Entwicklung ist bei Nikon Jevtic zu beobachten. Der Knirps wurde an den Bedürfnissen des Marktes geformt. Vor sechs Jahren entdeckte Vater Jevtic, ein wohlhabender Immobilienkaufmann aus Serbien mit Wohnsitz in Großbritannien, das Talent seines Sohnes und entschied, den Jungen zum Fußballstar zu machen. Der ältere Bruder übernahm das Fußballtraining, zwei Mal täglich, die Schwester unterrichtete ihn - eine Schule besucht Nikon bis heute nicht. Vor zwei Jahren zog die Familie nach Österreich, der Vater brachte seinen Sohn in der Fußballakademie von Austria Wien unter. Wie einst Brasiliens Fußballegende Pelé soll Nikon mit 16, so der Wunsch des Vaters, sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft geben - pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land. Mit dem Wechsel nach Valencia sind diese Pläne vorerst vom Tisch. Die Vermarktung des Sohnes hat Vorrang. Statt des sperrigen Jevtics firmiert der Clan ab sofort unter dem Namen "El Maestro".

"Er ist wie ein Fußballer, der im Labor gezüchtet wird. Dies ist ein Experiment, das für die Entwicklung des Jungen große Risiken birgt", kritisiert der spanische Sportpsychologe José Carrascosa die Verpflichtung Nikon Jevtics. Auch der deutsche Sportsoziologe Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist skeptisch. "Das eigentliche Leistungstraining beginnt erst mit 15 Jahren." Die Entwicklung davor sei für die spätere Entwicklung weniger ausschlaggebend. "Am Ende entscheidet sogar weniger das Talent als die Persönlichkeit über den Erfolg eines Spielers", so Buschmann. "Ich kann nur warnen, für die Kinder zu viel Geld zu investieren."(...)


unter dem vielversprechenden titel "dem kinderhandel den kampf ansagen" wurden seitens des weltfußballverbandes fifa neue transferregeln eingeführt, die sich jedoch bei genauer ansicht als papiertiger entpuppen:

(...)"Der Status der Spieler wird neu definiert als Amateur oder Berufsspieler (bisher: Nicht-Amateur). Mit dem neuen Reglement sagt die FIFA dem "Kinderhandel" im Fußball den Kampf an, "Kidsnapping", wie es ein FIFA-Funktionär nannte, soll unterbunden werden. Grundsätzlich dürfen Spieler künftig erst ab dem 18. Lebensjahr international transferiert werden. Es gibt aber drei Ausnahmen, die Umgehungen befürchten lassen.

Spieler unter 18 Jahren können international den Verein wechseln, wenn "die Eltern des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben, Wohnsitz im Land des neuen Vereins nehmen". Innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) dürfen Spieler schon ab dem 16. Lebensjahr wechseln, wenn der Verein unter anderem eine schulische Ausbildung garantiert oder der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt wohnt und der Verein des benachbarten Verbandes höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze ansässig ist."(...)

(aus einem artikel des kicker vom april 2005)


kurz: wie bei anderen massenwirksamen (tv-)sportarten auch finden sich hier alle erscheinungen wieder, die auf einen tiefgreifenden einfluß verobjektivierender wahrnehmung hindeuten - und zwar bei allen beteiligten: funktionäre, spieler, zuschauerInnen.

4.
weitere aspekte der kapitalisierung seien hier nur kurz angerissen:

wie schon oben erwähnt, sind die großen clubs heute von ihrem selbstverständnis her profitorientierte unternehmen, die sich mit den besonderen unwägbarkeiten des fußballsports herumschlagen. das hindert jedoch millionen- und milliardenschwere unternehmer nicht daran, in der hoffnung auf neue profitquellen ins geschäft einzusteigen - der us-amerikaner malcolm glazer bei manchester united bspw.:

(...)"Bei jedem Heimspiel im ehrwürdigen Stadion am Old Trafford wird der pausbäckige Unternehmer mit dem roten Bart von den Fans verflucht. Glazer-Puppen am Galgen gehören fast schon zum Standardrepertoire. Doch unbeirrt von den Protesten der United-Fans hat Glazer beharrlich an der Übernahme des börsennotierten Klubs gearbeitet.
Seit März 2003 erkaufte sich Glazer einen Anteil von 28 Prozent der Aktien. Nach langem Tauziehen sicherte sich der Milliardär am Donnerstag weitere 29 Prozent, die er den irischen Unternehmern John Magnier und John Paul MacManus abkaufte. Damit hält er die Mehrheit und bietet für die übrigen Aktien. Der Gesamtwert seiner Offerte: 790 Mio. £.

Die Anhänger des mehrfachen englischen Meisters und Europapokalsiegers fürchten jedoch, dass Glazer sie ausbeuten wird. Wie das geht, hat er in Florida gezeigt. Glazer kaufte die abgetakelte American-Football-Mannschaft Tampa Bay Buccaneers. Zur Finanzierung des Deals wurden die Kartenpreise drastisch erhöht und das Merchandising-Potenzial ausgeschlachtet."(...)


oder aber beim fc chelsea (london):

(...)"Roman Abramowitsch begann seine Karriere 1987 mit dem Verkauf von Gummienten. Bald wandte er
sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zu: dem Öl. Heute wird sein Vermögen auf 18,2 Milliarden Dollar geschätzt. Wie vielen russischen Neureichen haftet Abramowitsch der Ruch dubioser Geschäftsgebaren an. Seine guten Beziehungen zum Kreml und sein Gouverneursamt in der russischen Provinz Tschukotka sicherten ihm freie Hand in der Wirtschaft. Doch die Gefahr, letztendlich so zu enden wie Michael Chodorchowski, schien groß. Nach und nach verkaufte Abramowitsch seine Beteiligungen in Russland, im Herbst 2005 schließlich auch seine Firma Sibneft. Käufer war der halbstaatliche Konzern Gazprom. Mittlerweile hat er sich als Unternehmer de facto aus Russland zurückgezogen. Der Abschied war lange vorbereitet. Sein Faustpfand für eine Aufenthaltsgenehmigung in England war der FC Chelsea.

Wie bei seinen anderen Unternehmungen bleiben auch die Umstände seines finanziellen Fußballengagements im Dunkeln. „Sind es Waffen? Sind es Drogen? Ist es Öl aus dem Meer?“ lautet ein Schlachtruf der Chelsea-Fans. Und sie geben auch gleich die Antwort: „Stellt keine Fragen!“ 2003 erwarb Abramowitsch die Aktienmehrheit des kurz vor dem Bankrott stehenden Klubs. 215 Millionen Euro kostete ihn das. 158 Millionen Euro investierte er noch im selben Jahr in international hochkarätige Spieler. „FC Chelski“ nannten Spötter fortan den Verein. Und der dient seinem Besitzer als Lebensversicherung. Durch sein Engagement baute er England peu a peu zu seinem sicheren Rückzugsgebiet aus.(...)"

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oder aber ein bekanntes beispiel aus österreich:

(...)"Nachdem Red Bull Chef Didi Mateschitz den österreichischen Bundesligisten SV Austria Salzburg übernahm, wurde aus einem Abstiegskandidaten schnell ein Favorit auf den Meistertitel. Mateschitz holte neue Topspieler wie Lokvenc oder Zickler, Kurt Jara als Trainer und baute das Stadion aus. Somit sollten in Salzburg doch alle zufrieden sein, oder etwa nicht?

Eher nicht. Denn Mateschitz machte noch viel mehr als das. Als erstes änderte er den Klubnamen in Red Bull Salzburg. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. In einem seiner ersten Interviews nach der Übernahme meinte Mateschitz, dass er auf Tradition großen Wert lege und dass die Klubfarben (violett-weiß) nicht geändert werden. Dies wurde auch bei der ersten Generalversammlung bestätigt.

Bei der Präsentation der neuen Dressen erlebten die Fans der violetten Austria ihr blaues Wunder. Das neue Heimdress war rot-weiß, das Auswärtsdress blau-weiß! Nichts mehr übrig von dem Versprechen, die Klubfarben beizubehalten."(...)


wie schon in manchester kam es auch in salzburg zu einem - aus einer äußeren perspektive her - eigenartigen konflikt zwischen einem teil der fanszene, die sich als traditionalisten bezeichnen lässt, und der jeweiligen neuen clubführung: die umwandlung von klassischen fußballspielen in events, die der alten fanszene greulichen verachtung jeglicher vereinstradition (in salzburg auf die konsequente spitze mit neuem namen und neuen farben - denen von "red bull" - getrieben), die erhöhung der eintrittspreise und die umwandlung von steh- in sitzplätzen führte in manchester gar dazu, dass tausende von "traditionalistischen" fans nach dem scheitern aller abwehrversuche gegen glazer (die teils sogar einen militanten charakter bekamen), einen eigenen club gründeten, den fc united of manchester.

das bemerkenswerte engagement tausender von menschen für ihre freizeitbeschäftigung ist in meinen augen an einer völlig falschen stelle verschwendet - gerade, wenn man(n) sich die allgemeine sonstige gesellschaftliche apathie im angesicht des objektivistischen wahns (von dem die kapitalisierung von allem und jeden einen hauptteil darstellt) anschaut. aber die frage, was hier eigentlich so mobilisierend wirkt, ist durchaus nicht uninteressant - dazu mehr im zweiten teil zum "patriotismus", bei dem sich diese frage ebenfalls verschärft stellt.

- die erwähnten risiken des fußballs führten in den letzten jahren zu einer häufung sog. "skandale", deren kern regelmäßig in diversen manipulationsversuchen an den spielen besteht - großflächig gerade zu bestaunen in der höchsten italienischen spielklasse, der "seria a", bei der verschiedene funktionäre von sog. topclubs wie z.b. juventus turin offensichtlich mit erfolg die meisterschaft nicht nur eines jahres beeinflusst haben - im "vereinsinteresse", was sogar stimmt - weil das vereinsinteresse hier gleichzusetzen ist mit dem profit- und erfolgsinteresse. und hier ist dann auch eine schnittstelle gegeben, die auch in anderen wirtschaftszweigen mehr oder weniger offen zu sehen ist: hin zur organisierten kriminalität, die sich bei florierenden ökonomischen bereichen mit ermüdender penetranz mindestens als struktureller hintergrund finden lässt.

"Die Wettskandale, die 2005 und 2006 die Bundesliga erschütterten, haben der breiten Öffentlichkeit einen alternativen Nutzen des Volkssportes Fußball vor Augen geführt: Mit Fußballwetten lässt sich trefflich Geld verdienen – vor allem, wenn man das Spielergebnis schon vorher kennt. Hatte die Hoyzer-Affäre noch weitgehend lokalen Charakter, gibt es längst ein globales Wettphänomen. So hat die chinesische Wettmafia mittlerweile auch den europäischen Fußball für sich entdeckt. Spiele werden nicht mehr nur auf europäischen Fußballfeldern gewonnen, sondern auch in den Wettbüros in Hongkong und Macao. 2005 wurden in Asien unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze auf Fußballspiele in Belgien beobachtet – nicht selten auf Spiele mit sehr eigenwilliger Auslegung der Abseitsregel, fulminanten Eigentoren, lustigen Fehlgriffen der Torhüter oder absolut unberechtigten Elfmetern.

Offiziell verdiente Zheyun Ye sein Geld im Textilgeschäft, aber in Wirklichkeit kaufte er Fußballspiele. Besonders gerne tat er das in Belgien, denn dort hatte er relativ leichtes Spiel. Zwei Vereine standen auf der Gehaltsliste von Herrn Ye: La Louvière und Lierse SK. In zwei weiteren investierte er 375.000 Euro. Die Spieler verloren bei bestimmten Spielen offensichtlich mit so vielen Toren Unterschied, wie Herr Ye es von ihnen verlangte. Einige Spieler und der Trainer haben mittlerweile eingeräumt, von Ye gekauft worden zu sein. Nach Presseberichten wiesen 18 Spiele in Belgien Indizien von Schiebung auf. Auch beim Spiel von Vantaan Allianssi gegen Haka Valkeakoski in Finnland hatte Herr Ye seine Finger im Spiel. Für jeden eingesetzten Euro gab es bei einem richtigen Tipp 8700 Euro Gewinn.(...)"

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- das boomende geschäft mit sport- und besonders fußballwetten (auf das der deutsche staat momentan gerade seine hände legen möchte, um den hauptteil zu kassieren) manifestiert sich hier in der stadt z.b. in einer vielzahl innerhalb der letzten beiden jahre öffnenden privaten wettbüros, bei denen ich irgendwann mit dem zählen nicht mehr hinterherkam. alleine in der straße, in der ich mich gerade befinde, gibt es davon mittlerweile fünf. und trotzdem lässt sich dieses business nicht vergleichen mit den wirklichen global playern, die nicht nur im fußball tätig sind, und deren "legale geschäfte" alleine bereits in vielfältigen teilen als organisierte kriminalität zu begreifen sind.

das fängt bei den hauptsponsoren der wm, "coca-cola"

"Verfolgung von Gewerkschaften mit „Todesschwadronen“ in Abfüllfirmen, Ausbeutung und Kinderarbeit in der Orangenernte, rassistische Diskriminierung"

(hinzuzufügen wären noch ökologische verwüstungen in indien sowie etliche versuche politischer einflußnahmen in der vergangenheit, von der rolle im nationalsozialismus mal ganz abgesehen) und "mc donalds" an

"Kinderarbeit in England und in chinesischen Zulieferbetrieben, Ausbeutung und katastrophale Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben, exzessiver Fleischverbrauch mit negativen ökologischen und sozialen Folgen"

und hört bei den sportartikelherstellern wie "adidas" oder "nike"

"Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben"

noch lange nicht auf (die obigen zitate sind alle der seite markenfirmen.com entnommen - einfach mal auf die logos klicken).

"Im Prinzip sind die Produkte von Nike, Adidas oder Puma austauschbar: Sportbekleidung, die teilweise parallel in den gleichen Dritte-Welt-Sweatshops kostengünstig gefertigt wird. Doch auf dem Weg in die Sportläden der Welt erfahren die Produkte eine magische Wertsteigerung. Denn es geht nicht um einen Schuh oder eine schnöde Turnhose – es geht darum, diese Turnhose mit Persönlichkeit aufzuladen, der Marke also ein bestimmtes Image zu geben. Oft genug liefert die sogenannte Zweite oder Dritte Welt mittlerweile nicht mehr nur das eigentliche Produkt, sondern auch gleich noch das passende Image dazu.

So sicherte sich Nike 1996 bei seinem Einstieg in den Fußballmarkt für einen Preis von 200 Millionen Dollar für zehn Jahre gleich das attraktivste Image: Brasilien. Das steht für barfuss kickende Künstler von der Copa Cabana, das steht für spielerischen, ästhetischen, begeisternden Fußball – eben das Gegenteil des unterkühlten, taktischen europäischen Fußballs. Das ist zwar ein überholtes Klischee – aber die Marke Brasilien funktioniert weltweit. Genauso wie die Marke Kamerun."(...)

Im gleichen Jahr, in dem Nike Brasilien unter Vertrag nahm, kam es auch zu einer einzigartigen Symbiose der Tierwelt, und zwar zwischen Puma und den „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Die auf Lifestyle fokussierte Firma profitiert seitdem vom lebensfrohen Image Kameruns. Puma schneiderte den Spielern spezielle, feuchtigkeitsregulierende und schweißabsorbierende Trikots auf den Leib, wegen der afrikanischen Hitze. Diese Trikots kann man seitdem für 68 Euro im frostigen Deutschland erwerben, in Kamerun aber leider nicht, weil das durchschnittliche Monatseinkommen nur 35 Euro beträgt. Deshalb soll im Mutterland des Kamerun-Gefühls eine nichtfeuchtigkeitsregulierende, aber dafür billigere Baumwollvariante angeboten werden.

Zwar hat sich Kamerun nicht für die WM 2006 qualifiziert, aber Puma erweckt mittlerweile den Eindruck, Ausstatter eines ganzen Kontinents zu sein: „Proud supplier of African Football“ lautet der Werbespruch, und tatsächlich tragen vier der fünf teilnehmenden afrikanischen Teams bei der WM 2006 den Puma auf der Brust. Etablierte Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Tschechien, spielen in der Werbestrategie kaum eine Rolle. Puma setzt bewusst auf das Außenseiter-Image Afrikas, denn das entspricht genau dem Firmencredo. Puma sieht sich selbst als revolutionärer Herausforderer der etablierten Marken Nike und Adidas."(...)

*


hier wird sehr schön eine durchaus perverse entwicklung deutlich, die auch in anderen ökonomischen bereichen zu beobachten ist: produktmarken, also bezeichnungen für dinge, werden mehr und mehr durch ihre koppelung mit menschlichen emotionen, sozialen zuständen und images (= konstruierten individuellen und kollektiven identitäten mit mehr oder weniger großem bezug zur realität) beworben und verkäuflich. da die manager der objektivierung durchaus nicht unintelligent sind, haben sie das entsprechende potenzial, welches gerade eine hoch emotionalisierte sportart wie der fußball diesbezgl. bietet, erkannt - und das bleibt natürlich nicht ohne die entsprechenden destruktiven folgen, die in diesem beitrag bereits grob skizziert wurden.


buford

5.
über den hooliganismus - in und rund um den profifußball ein auslaufmodell, nicht hingegen in etlichen unterklassigen ligen - will ich nicht viele worte verlieren. das thema ist durchaus interessant, sollte jedoch nicht unbedingt im fußballkontext gesehen werden. eine der besten soziologischen reportagen, die ich jemals gelesen habe, macht das ganz gut deutlich. wie auch die tatsache, dass zwar etliche klischees über hooligans zutreffend sind, etliche andere wiederum nicht - so ist es z.b. kein "unterklassenphänomen", sondern es finden sich dabei auch akademiker (als extrem wäre die geschichte der festnahme eines mathematikers vor ein paar jahren zu nennen), ärzte, anwälte, polizisten...alles männer. und dieses klischee trifft nicht nur zu, sondern ist eine korrekte aussage über die entsprechende realität: hooliganismus ist ein explizit "männliches" phänomen. dazu eines mit suchtpotential. wie gesagt: wenn Sie einmal eine wirklich erstaunliche parallelwelt kennenlernen wollen, dann lesen Sie buford (und lassen Sie sich nicht vom zugegebenermaßen ziemlich bescheuerten titel abhalten) - er war in der ersten hälfte der 1980er jahre bis ca. 1990 hauptsächlich mit den damals sehr gefürchteten hools von manchester united unterwegs und hat aus den teils drastischen erlebnissen auch ein lesebuch zum thema massenpsychologie gemacht - ein thema, welches bis heute auffällig unterbelichtet ist (gustave le bon und andere "klassiker" in diesem bereich, auch elias canettis "masse und macht", sind imo eher als mehr oder weniger unterhaltsame intellektuelle essays zu verstehen (canetti) oder aber als ziemlich reaktionäres und elitäres geschwafel über "die massen" (le bon, nicht zufällig ein glühender bewunderer von mussolini). realistische analyseversuche der prozesse, die in (gewalttätigen) menschengruppen und -massen vor sich gehen, sind mir jedoch kaum bekannt (und buford versucht leider, seine teils sehr deutlichen und eindrucksvollen subjektiven erfahrungen in verhaltenspsychologischen ansätzen zu begreifen - meiner meinung nach ein fehler. aber das entwertet seine subjektiven beschreibungen keinesfalls).

6.
ein paar worte zum primär sportlichen aspekt der wm will ich mir nicht verkneifen. das beste spiel (von meinen ganz persönlichen eindrücken her) war für mich in der vorrunde: argentinien - elfenbeinküste. brilliante technik, schöne spielzüge, und eine in den entscheidenden momenten abgeklärte argentinische mannschaft. danach kommt erstmal eine weile lang gar nix, und das ist bezeichnend für diese wm - kein vergleich mit den spielen bei der europameisterschaft 2000, dort besonders von frankreich, portugal und den niederlanden. kein vergleich mit wm-klassikern wie dem spiel zwischen brasilien und frankreich 1986 (für mich eines der besten spiele aller zeiten). kurz: im großen und ganzen enttäuschend (besonders brasilien).

die hiesige mannschaft lässt mich dabei ziemlich kalt (nicht die unschönen begleitumstände, aber das ist ein anderes thema). eine der leichtesten vorrundengruppen (costa rica = fußballzwerg; eine im spiel dezimierte und bereits vor der wm zerstittene polnische mannschaft sowie ein b-team von ecuador) zu bestehen, ist imo keine besondere kunst. gegen argentinien und auch italien war sehr deutlich zu sehen, dass dieses team deutliche grenzen hat. und leider spielt portugal faktisch ohne sturm, sonst wären diese grenzen auch gestern wieder zu sehen gewesen.

ich hätte gern einen ronaldinho im anderen zustand gesehen, fühle mich aber durch die renaissance eines zidane durchaus entschädigt - ich würde mir sehr wünschen, dass einer der drei größten spieler aller zeiten heute abend sein letztes spiel angemessen krönen kann - nicht nur wg. seiner teils galaktischen spielweise, sondern auch deshalb, weil er ein sehr uneitler star ist - und dazu einen sehr begrüßenswerten umgang mit vereinnahmungsversuchen und nationalgedöns pflegt :

"So lieb und nett Zidane ist, weiß er seinen Standpunkt durchaus deutlich zu vertreten. Als Frankreichs Rechtsextremist Le Pen, Anführer des Front National (FN), die Auswahlspieler anging, vor Länderspielen gefälligst die "Marseillaise" mitzusingen, konterte Zidane, das er das mit Sicherheit nicht täte, nur um irgendjemandem einen Gefallen zu tun."

was er vermutlich auch heute abend nicht tun wird :-) und dazu ist seitens der französischen mannschaft auch noch einiges andere erwähnenswert - etwa die deutliche absage an den berüchtigten innenminister sarkozy:

"Dieser ist zwar der einzige wirkliche Fußballfan der Regierung, aber seinen Besuch lehnte die multikulturelle Nationalmannschaft ab. Spieler wie Thuram haben Sarkozy nicht verziehen, daß er angesichts der brennenden Autos die Banlieues mit einem Hochdruckreiniger der Marke „Kärcher“ säubern wollte."

undenkbar ein solcher schritt - bspw. schäuble vor die tür zu setzen - von all den "klinsis", "poldis" und "schweinis" (konsequente infantile regression übrigens - was für namen!).

***

alles zum "patriotismus" (und seinen wirkungen bzw. nutznießern) dann im zweiten teil - u.a. mit einem kleinen quiz: welche nachrichten der letzten fünf wochen haben Sie nicht mitbekommen? - und einigen anmerkungen zum bedenklichen revival des begriffs "miesmacher", der in diesem land eine längere tradition besitzt...

(* da es aus mir unerklärlichen gründen schwierigkeiten gibt, links mit der .pdf-endung zu setzen, trage ich also die quelle vieler obiger zitate hier nach: http://www.bpb.de/files/BFAEAD.pdf )

*

edit am 06.10.: eigentlich könnte ich den ganzen beitrag umbenennen und laufend updates veranstalten - in vielen ländern gibt es derzeit sog. skandale und informationen über genau die strukturen, die ich damals zur wm schon angesprochen hatte. die spektakulärsten entwicklungen finden z.zt. gerade in england statt:

(...)"Schnell bemerkte er, dass es nicht immer sauber zugeht in der Multimillionenbranche. "Manche Machenschaften haben mich an modernen Sklavenhandel erinnert", sagt auf dem Berge, "ich habe die schmutzige Seite des Geschäfts gesehen."(...)

aber auch in polen lässt sich nur allzu bekanntes beobachten:

(...)"Jedes Kind in Polen weiß, dass der Fußball hier korrupt ist", sagt Redakteur Tuzimek. Besonders in dieser Saison habe es verdächtig viele Fehlentscheidungen gegeben."(...)

und ein leider nur in der printausgabe der zeitschrift 11Freunde enthaltener artikel beschäftigt sich mit ähnlichen verhältnissen in griechenland.

zusätzlich ist nicht nur in d-land verschärft das thema rassismus beim fußball in den focus gerückt.

alles in allem verschärfen sich die zustände, die es mehr und mehr unerfreulicher machen, sich dem profifußball unkritisch und in der - naiven - hoffnung auf schöne und unbeschwerte spiele mit zeit und aufmerksamkeit zu widmen. die aktuellste meldung in diesem zusammenhang: der russische energiekonzern gasprom will sich medienmeldungen zufolge beim bundesligisten schalke 04 als hauptsponsor betätigen...

"Jürgen Roth, Experte für Wirtschaftskriminalität, nennt Gasprom ein "Selbstbereicherungssystem" mit "kriminellen Strukturen".(...)

tja. that´s business, so kann hier nur die zynische anerkennung der realität lauten. wobei das nicht auf akzeptanz hinauslaufen sollte und darf.

*

den angekündigten zweiten teil des beitrags mit dem schwerpunkt "wm-patriotismus" möchte ich hiermit absagen. das thema wird aber zukünftig im allgemeinen kontext hier immer mal wieder behandelt werden.

Mittwoch, 5. Juli 2006

notiz: "the only good skeleton is a gold skeleton"

wie kunst in relevanter weise soziale wahrnehmungsdefizite beheben kann, machen die aktionen zweier menschen deutlich, deren bisher vielleicht nachdrücklichste hier nachzulesen ist:

(...)"Die ganze Sache ist ebenso unglaublich wie kunstvoll eingefädelt. Für den 28. April 2005 luden die Veranstalter der Konferenz "Internationales Zahlungswesen" in London zu einem Vortrag von Erastus Hamm, einem Senior External Managing Consultant des multinationalen Pharmakonzerns Dow Chemical. Unter dem Schwerpunkt "Entscheidende Erfolgsfaktoren zur Kostenreduktion und Prozessoptimierung" sollte er über "vereinfachte durchgehende Kostenkontrolle in Unternehmen" sprechen. Pünktlich stand der Mann vor seinem Publikum, das aus Vertretern internationaler Banken, Investmentgruppen und namhafter Firmen bestand. Einer der Hauptsponsoren der Veranstaltung war Microsoft."(...)

in diesem blog waren die nachweislichen soziopathischen bzw. antisozialen tendenzen gerade innerhalb der sog. "führungseliten" aus politik und wirtschaft schon öfter thema; ihre rücksichtslosigkeit, kälte, und absolute empathielosigkeit im angesicht zu gewinnender profite. ebenso wurden die eigenschaften des diese zustände wahrscheinlich produzierenden objektivistischen modus skizziert. obwohl ich diesbezgl. auf spekulationen angewisen bin, so glaube ich doch, dass zwischen der wahrnehmung "die gehen über leichen" - die schon eine art klischeehafter qualität besitzt -, und der vollen realisierung dessen, was sich hinter diesem klischee wirklich an konsequenzen für unser aller leben verbirgt, bei den meisten menschen immer noch eine erstaunliche diskrepanz existiert.

es ist ja auch ein zu dickes ding: all die seriösen führungspersönlichkeiten , all die quitschbunten und allen bekannten markennamen und die dahinter stehenden unternehmen, all diese ganzen autoritäten sind in ihrer absoluten mehrheit hauptsächlich damit beschäftigt, schwere pathologische zustände auszuagieren bzw. ausdruck dieses ausagierens? gar teil und ausdruck von weltweit existierenden mafiösen strukturen in staaten, ihren institutionen und großen unternehmen, die auch ohne bedenken mit mord und terror "arbeiten", wenn´s ihnen gerade in den kram passt?

"das ist doch zu übertrieben"; "es sind doch nicht alle so"; "eine zu radikale perspektive" (die ich persönlich dringend nötig finde), und dergleichen mehr. ist ja auch unbequem, bedrohlich und beängstigend, sich mit einer solchen realität - bereits alleine als möglichkeit - zu beschäftigen. würde ja auch fragen nach der eigenen involviertheit aufwerfen - warum dulde(n) ich / wir verhaltenweisen und extremste grenzüberschreitungen, welches wir bei auch nur rudimentärer klarer wahrnehmung deutlich - und zwar auch im ganz eigenen überlebensinteresse - ablehnen müssen?

es gibt zu dieser frage einige erklärungsansätze, u.a. von seiten der psychohistorie aus - aber dazu ein andermal. jetzt geht es um wahrnehmungserweiterung, und das folgende sollten sich v.a. diejenigen genau durchlesen, die ich persönlich als abwiegelnd empfinde - diejenigen, die einfach nicht wissen und glauben möchten oder können, wie krank - ja, genau das - diejenigen tatsächlich sind, die hier bisher die realität bestimmen und gestalten.

(...)"Er berichtete, Dow Chemical habe eine Lösung für Risiko-Berechnungen in der Chemiebranche gefunden, nämlich das Datenbankprogramm Acceptable Risk™, inklusive eines Kalkulators. Der Logik des Marktes entsprechend sei nur mit hohem Risiko auch hoher Gewinn zu machen. Hohes Risiko jedoch heiße für Chemiekonzerne vor allem hohes Umweltrisiko, mitunter sogar tödliche Gefahr für anwohnende Menschen. Da in den westlichen Staaten die Sicherheitsanforderungen zu hoch seien, lohne sich die Investition hier kaum. Jetzt aber könne Dows Risiko-Kalkulator den geeigneten Standort für Konzerne ermitteln, an dem aus potentiellen Leichen kein finanzielles Fiasko würde, sondern gewissermaßen goldene Leichen. Er nannte sie golden skeletons. Zur Ausführung dieser These ließ er wie selbstverständlich einige Beispiele aus der Geschichte einfließen: Die Napalm-Opfer in Vietnam seien für Dow Chemicals, sagte Hamm, wie viele durch die Nazis vernichtete Juden wiewohl Leichen im Keller, dennoch goldene, also profitable Skelette.

Als letzten Höhepunkt seines Vortrags entließ Erastus Hamm seine Zuhörer mit den Worten "the only good skeleton is a gold skeleton" und enthüllte unter dem Beifall des Publikums die Figur neben ihm: Gilda, ein goldenes Skelett. Über der Brust trug sie eine Schärpe mit der Aufschrift "Dow Acceptable Risk".(...)


wie reagierten nun die anwesenden führungskräfte auf die darstellung ihrer selbst als quasi völlig hemmungslose kannibalen in nadelstreifen und schicken kostümen? empört? aber aber, da würden Sie denen zuviel menschlichkeit zutrauen:

(...)"Nach dem Vortrag trat der eine oder andere Zuhörer nach vorne, überreichte eine Visitenkarte, um die versprochene kostenlose Test-Version des Programms Acceptable Risk™ oder auch nur den Schlüsselanhänger mit Gildas Kopf zu erhalten. Einige der Banker und Manager ließen sich sogar lächelnd mit dem Goldskelett fotografieren."(...)

sie wissen, was sie tun. und wie sie es tun, können alle wissen, die´s interessiert - erinnern Sie sich noch an die in vielen prozessen gegen bspw. kindsmordende und -quälende eltern und familienmitglieder, aber auch gegen gewalttätige jugendliche immer wieder konstatierte gleichgültigkeit?

(...)"Wenn man das Video sieht, den Vortragstext liest und die Powerpoint-Präsentation betrachtet, irritieren weniger die zynischen Wahrheiten, die der Sprecher professionell-beiläufig erwähnt, als die völlige Gleichgültigkeit der Zuhörer. Es regte sich kein Unmut. Zwar zuckten ein paar von ihnen mit den Achseln, aber die meisten zeigten sich eher belustigt von der Performance und dem goldenen Skelett. Sie reagierten, als handele es sich um ein Spielchen und als wären es bloß nette Anekdoten, die der Redner gerade erzählt hatte."(...)

"sie" empfinden das als ihre normalität. wie war das noch? "Das Wesen einer Psychose besteht gerade darin, dass die Patienten sich für gesund halten"

(...)"Das an sich wäre bereits fatal, aber die Wahrheit scheint noch erschreckender zu sein: Vertreter derjenigen, die die wirtschaftliche Macht haben, um die Welt zu bewegen, scheinen nicht zu merken, wo sie welche Grenzen im Namen des Marktes überschreiten oder längst überschritten haben. Die versammelten Banker und Investoren zumindest haben die von Erastus Hamm beschworenen Leichen im Keller der Großkonzerne wohl eher als gefallene Spielfiguren in einem globalen Monopoly begriffen, denn als das, was sie sind: getötete Menschen."(...)

das wort "scheinen" im obigen absatz dürfen wir getrost streichen - sie merken´s wirklich nicht bzw. können es aller wahrscheinlichkeit aus den gesetzmäßigkeiten der dominierenden psychophysischen zustände heraus nicht (mehr) merken.

die grenzen werden von außen gesetzt werden müssen. und Sie dürfen jetzt darüber nachdenken, wer das tun muss, sogar als einzigste kraft tun kann. weder wird im letzten moment die kavallerie zur rettung kommen, noch irgendwelche freundlichen e.t.´s. und ebensowenig wird bruce willis im verschwitzen unterhemd im großen finale die kastanien aus dem feuer holen. no chance.

wenn Sie mit einem schwer bewaffneten und amoklaufenden irren in einem raum eingeschlossen wären, der Ihnen die ganze zeit erklärt, warum es unbedingt nötig und ökonomisch sinnvoll ist, jetzt mit Ihnen schluß zu machen (und Ihnen vorher noch etwas gnadenfrist einräumt unter der bedingung, dass Sie sich noch etwas nützlich machen) - was würden Sie tun? der raum - eigentlich durchaus annehmbar eingerichtet und mit allem nötigen versehen - hat keinen ausgang, der irre hat hier und da schon einige feuerchen entfacht und versucht Ihnen noch dazu ständig einzureden, dass dieser raum im aktuellen zustand die "beste aller welten" darstellen würde und quasi einen "naturzustand" bilden würde. was tun Sie?

ich bin mir sicher, dass Sie die antwort irgendwo in sich schon wissen.

Montag, 26. Juni 2006

kontext 24: neues zu borderline und svv - und etwas über simulationen und identitätsklau

im november letzten jahres wurde hier in einem beitrag u.a. über das reduzierte schmerzempfinden bei menschen mit borderline-diagnose und "selbstverletzendem verhalten" (svv) berichtet. zu diesem phänomen liegen nun neue forschungsergebnisse vor:

(...)"Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich typischerweise selbst Verletzungen zu, so z.B. schneiden oder brennen sie sich oder schlagen mit dem Kopf gegen die Wand, und berichten dabei von reduzierter Schmerzwahrnehmung bis hin zu völliger Schmerzlosigkeit. Das Forscherteam um Schmahl und Greffrath hatte in einer früheren Arbeit (PAIN 2004; 110: 470-479) gezeigt, dass jedoch die Schmerzentstehung und die Schmerzweiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert und auch, dass die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn der BPS-Patientinnen zunächst noch normal auf schmerzhafte Reize reagieren. Die Wissenschaftler hatten daher gemutmaßt, dass somit im Gehirn dieser Patientinnen die Entstehung von Schmerzempfindungen aktiv unterdrückt werden müsse.

Der Aufklärung der zentralnervösen Hintergründe dieses ungewöhnlichen Phänomens sind die Forscher nun einen großen Schritt näher gekommen. Sie untersuchten aktuell in Kooperation mit Erich Seifritz (Universitätsklinik für Psychiatrie, Bern) und weiteren Arbeitsgruppen aus Deutschland, Italien und der Schweiz, wie sich die zentralnervöse Verarbeitung von Schmerzreizen im Gehirn von Patientinnen mit BPS von der bei gesunden Versuchspersonen unterscheidet. Hierfür wurden sowohl objektiv identische als auch subjektiv gleich schmerzhaft empfundene Hitzereize auf den Handrücken der Versuchspersonen gegeben. Die Schmerzhaftigkeit wurde von den Teilnehmerinnen subjektiv bewertet während - mittels funktioneller Bildgebung in der Kernspintomographie - Hirnareale identifiziert wurden, die der Erkennung, Verarbeitung und Bewertung dieser Schmerzreize dienen."(...)

"Der dorsolaterale präfrontale Kortex, ein Hirnareal, das der kognitiven Schmerzbewertung dient, zeigte unmittelbar nach der Hitzereizung bei den Borderline-Patientinnen eine erhöhte Aktivität gegenüber Gesunden. Nachfolgend wurde in der Hirnrinde des vorderen Cingulums und in der Amygdala der Patientinnen die Aktivität deutlich reduziert - diese Hirngebiete sind dafür bekannt, dass sie der affektiven Bewertung von Schmerzreizen dienen. Dies legt den Schluss nahe, dass bei den Patientinnen mit Borderline-Störung eine erhöhte kognitive Kontrolle zu einer niedrigeren affektiven Schmerzbewertung führt und damit zur Schmerzunempfindlichkeit. Man kann vermuten, dass starke Schmerzreize zu einer Beruhigung von Hirnsystemen führen, die für die Verarbeitung von starken Emotionen verantwortlich sind.

Selbstverletzungen bei Borderline-Patientinnen können also in gewisser Weise als ein Selbstheilungsversuch angesehen werden. "Somit verfügt unser Gehirn offensichtlich über sehr effektive neuronale Netzwerke zur Unterdrückung von Schmerzen. Wenn wir diesen Mechanismus genauer verstehen, können wir möglicherweise in Zukunft von den Borderline-Patientinnen lernen, wie wir chronischen Schmerzpatienten besser helfen können", so die Autoren."(...)


was könnte nun eigentlich der begriff der "kognitiven kontrolle" in diesem zusammenhang bedeuten?

"Kognitive Kontrolle

- wird dann ausgeübt, wenn eine Person durch eine kognitive Strategie die wahrgenommene Aversivität eines Ereignisses reduziert

- Strategien sind: Ablenkung, Konzentration auf die positiven Aspekte eines Ereignisses, Uminterpretation des Ereignisses als harmlos, Einnehmen einer sachlich-analytischen Position, Sinnverleihung etc.

- hat fast ausschließlich positive Auswirkungen auf die antizipatorische Erregung als auch auf die empfundene Aversivität der
Stimuli (Thompson, 1981)

- bessere Noten bei Schülern, die Strategien wie Intellektualisierung, Isolation, Verneinung oder Rationalisierung anwenden

- elektr. Schläge werden als weniger belastend empfunden, wenn diese als interessante Erfahrung eingestuft werden, und Ruhe und Uninvolviertheit empfohlen wurde

- weniger Schmerzmittel und weniger Streß bei Operationspatienten, wenn diese vorher beruhigende Selbstgespräche, kognitive Uminterpretationen oder Ablenkungs- und Selbstbewältigungsstrategien durchführen konnten"

(quelle)


"Uminterpretation, Einnehmen einer sachlich-analytischen Position, Konzentration, Intellektualisierung, Isolation, Rationalisierung" - wenn Sie in diesem blog häufiger zu besuch sind, wird Ihnen wahrscheinlich recht schnell die assoziation zum bereits oft erwähnten objektivistischen modus gekommen sein. tatsächlich stellen die obigen attribute allesamt kennzeichen dieses modus dar, der zur menschlichen grundausstattung gehört und beim "korrekten" funktionieren als werkzeug innerhalb einer voll entwickelten und primär in der ganzkörperlichen (selbst-)wahrnehmung verankerten subjektivität zur verfügung steht. wie am aspekt der schmerzunterdrückung/verringerung zu sehen ist, kann er dabei wertvolle und durchaus sinnvolle dienste leisten. zum problem - und das wurde hier in vielen beiträgen zu den verschiedenen beziehungskrankheiten wiederholt skizziert - wird er dann, wenn er durch verschiedene mögliche pathogene (z.b. traumatische) einflüsse "entgleist" ist (was vermutlich in ganz unterschiedlichen entwicklungsphasen geschehen kann, bspw. bereits pränatal) und in der folge die gesamte subjektivität dominiert.

aus dieser sicht betrachtet, sprechen also die oben skizzierten neuen erkenntnisse meiner meinung nach für das modell des außer kontrolle geratenen objektivistischen modus. vielleicht lässt es sich so ausdrücken: beim svv steht der sich quasi fiktiv verselbstständigende objektive modus dem eigenen körper in deutlicher distanz gegenüber, dessen affektive wahrnehmungen (emotionen) als zu unerträglich empfunden werden. das sozusagen in diesem fall "überbewusste" (objektive) bewusstsein arbeitet dabei mit den typischen strategien der wahrnehmungsreduktion, wie konzentration, rationalisierung, isolation. ich vermute, dass sich diese "überbewusstheit" (verrückte objektivität, fiktive/virtuelle "realität") sogar zumindest in einzelnen situationen in einem deutlich tranceartigen zustand ausdrückt - der aspekt der dissoziation sollte hier nicht in vergessenheit geraten.

wie gesagt, steht dieses objektive werkzeug uns allen zur verfügung. entscheidend ist aber, wie das verhältnis dieses werkzeugs zur subjektivität aussieht. und diesbezgl. sind die beziehungskrankheiten die nachdrücklichste manifestation dessen, was eine krankhafte verschiebung dieses verhältnisses sowohl individuell als auch gesellschaftlich für katastrophale folgen haben kann.

das svv auch "in gewisser weise als selbstheilungsversuch" angesehen werden kann, stellt dabei keinesfalls einen widerspruch dar. das menschliche "funktionsganze" ist in dieser hinsicht sehr einfallsreich, wenn es um das eigene überleben geht. das große problem dabei ist nur, dass viele wege zu diesem ziel offensichtlich dysfunktional sind - auf dauer scheiternde versuche der selbstrettung (wenn denn überhaupt ein selbst im üblichen sinne vorhanden ist - daran gibt´s ja bekanntlich so einige zweifel, siehe die "als-ob-persönlichkeit").

da svv ja auch bei autistischen menschen und bei traumabetroffenen auftauchen kann, wäre ein neurophysiologischer vergleich vermutlich sehr aufschlußreich - die nicht wahrgenommenen eigenen körpergrenzen mittels direkter physischer manipulation spüren zu wollen, scheint mir ein einleuchtender erklärungsansatz für das svv im autistischen spektrum zu sein. ebenso wie das bild im traumakontext, quasi mittels eines "gegenfeuers" zu schmerzhafte gefühle aus der eigenen wahrnehmung zu verbannen. ob es dabei relevante unterschiede oder gemeinsamkeiten (von denen gehe ich persönlich aus) in den beteiligten neurophysiologischen mechanismen gibt, dürften entsprechende forschungen für das verständnis dieser zustände sehr hilfreich sein. falls Ihnen in dieser hinsicht weitere informationen vorliegen - Sie kennen ja die kommentarfunktion.

*

weil ich nun gerade beim thema borderline bin, möchte ich Ihnen folgenden prozeßbericht nicht vorenthalten:

"Im Lübecker Mordprozess gegen den Schwerverbrecher Christian Bogner hat eine psychiatrische Sachverständige den Angeklagten für voll schuldfähig erklärt. Bogner sei nicht geistesgestört, leide jedoch an einer Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typus, sagte die Hamburger Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Freitag vor dem Landgericht. Der vielfach vorbestrafte Bogner soll laut Anklage den arbeitslosen Gärtner Engelbert Danielsen aus Eutin umgebracht haben, um nach einem Gefängnisausbruch dessen Identität anzunehmen."

identitätsdiebstahl? erinnern Sie sich noch an mr. ripley?
und wie neulich schon einmal thematisiert, müssen auch bei dieser geschichte einige fragen zu den verwendeten diagnostischen modellen gestellt werden:

"Es gebe keine Anhaltspunkte für eine psychotische Erkrankung. "Das Wesen einer Psychose besteht gerade darin, dass die Patienten sich für gesund halten", sagte die Ärztin vor Gericht."

ich frage mich, ob die ärztin schon mal etwas von simulativen zuständen und fähigkeiten und den möglichen grundlagen gehört hat? der täter kann hier durchaus versucht haben, aus ihm bekannten klischees/fragmenten so etwas wie ein "objektives" bild einer psychose zu konstruieren. was die psychiaterin - aus ihrer ebenfalls objektiven sicht berechtigt - als unglaubhaft abtut. soweit nachvollziehbar.

wenn der täter aber "bewusst" simuliert: würde das ausschließen, dass er sich vielleicht selbst ebenfalls für gesund hält? wie im beitrag neulich schon angesprochen, sehe ich hier mal wieder die möglichkeit gegeben, dass die orthodoxen kriterien für einen psychotischen zustand völlig in die irre führen. wer einen anderen menschen zum zwecke des identitätsdiebstahls umbringt, muss sich schon mindestens in einem außergewöhnlichen zustand befinden. berechnend und kaltblütig. halt sehr objektiv. und mit einigen fähigkeiten zur anpassung und kontrolle der aktuellen realitätsstandards. das schließt nach den herrschenden diagnostischen modellen einen grundsätzlich psychotischen zustand natürlich aus.

meine gegenthese ist vor diesem hintergrund weder überraschend noch neu: diese art von berechnender und kalter / empathieloser objektivität, die vielleicht sogar eine gesteigerte fähigkeit zur bewältigung der aktuellen herrschenden realität mit sich bringt (in der gefühle und weitere bestimmte elementare (selbst-)wahrnehmungen grundsätzlich einen unsicheren status haben), lässt sich spätestens bei dominierender position in einem menschen mit guten gründen als schwer pathologisch und durchaus auch als psychotisch ansehen.

bogners vermutliche simulation eines psychotischen zustands (mittels "objektiv" anerkannter kriterien wie halluzinierter stimmen u.ä.) lässt sich von daher auch als sekundäre und situationsbedingte simulation einer grundsätzlich simulativen persönlichkeit auffassen, die z.b. auch keine großen schwierigkeiten mit der vorstellung hat, in fremde identitäten zu schlüpfen - weil es keine authentische eigene identität gibt.

und wenn jemand keinen anderen zustand kennt oder aber nicht bspw. durch vergleiche auf die besonderheit dieses zustands aufmerksam wird, sehe ich keinerlei gründe dagegen, warum sich so eine person nicht selbst für gesund halten sollte. sowieso wandelt die ärztin mit dem ansatz, das gerade genannte kriterium zum "wesen" einer psychose zu erklären, schon auf einem schmalen grad (offensichtlich, ohne das es ihr aufgefallen wäre): wie viele politiker, aufsichtsräte, militärs... halten eigentlich sich selbst für durchaus "gesund und realitätsangepasst"? auch wenn eigentlich inzwischen selbst größten ignoranten so einiges auffallen sollte...zwei auszüge aus tp-artikeln bringen diesen sachverhalt zwar etwas populistisch, aber inhaltlich durchaus zutreffend auf den widerlichen und bedrohlichen punkt:

"Wenn man Ihren Ausführungen folgt, bekommt man den Eindruck, das Land werde von Kriminellen, Gesinnungslosen und Geisteskranken regiert, die das öffentliche Eigentum im Dienste von Privatunternehmen zu ihren Gunsten und zu Lasten der Bürger kaputt sanieren."

"In Politik und Film drängt sich die gleiche Frage auf: Wie verrückt muss ein Staatschef sein, der die Bombe wirft?"

der unterschied zu leuten wie bogner liegt bis auf weiteres mit hoher wahrscheinlichkeit vor allem darin, dass jene nur selten bis nie vor gericht stehen. und noch seltener bis niemals psychiatrischer diagnostik unterworfen sind, die praktischerweise dazu bisher so eingerichtet ist, dass sie gerade die schlimmsten und destruktivsten psychophysischen zustände nicht als pathologisch begreifen will - wg. "objektiver realitätskontrolle".

miese zeiten sind`s, in denen die verrückte objektivität als fetisch vergötzt und ihre übelsten repräsentanten bestenfalls ignoriert werden - ohne, dass das wahrscheinliche grundproblem überhaupt auf den tisch kommen würde.

Freitag, 23. Juni 2006

notiz: "nationen"?!?

terra

Montag, 12. Juni 2006

notiz: diverses in der presseschau

in den letzten wochen hat sich mal wieder so einiges angesammelt - und falls Sie gerade das erste mal hier zu besuch sein sollten und sich über die auswahl wundern: in diesem blog geht es primär um tatsächliche, hypothetische, mögliche und unmögliche zusammenhänge zwischen dem spektrum "psychischer störungen", welches sich am besten mit dem begriff beziehungskrankheiten fassen lässt und den in vergangenheit und gegenwart herrschenden sozialen und ökonomischen verhältnissen nicht nur in dieser gesellschaft.

*

fangen wir an mit dem stichwort borderline: für regelmäßige leserInnen hier wird die beobachtung, dass seit längerer zeit diese diagnose öfter in forensischen gutachten besonders in zusammenhang mit prozessen rund um gewalt gegen kinder bis hin zum mord auftaucht, nichts neues darstellen. und so überraschen auch meldungen wie die folgende zwar nicht, thematisieren jedoch unfreiwillig wieder einmal mehr die sichtbaren und möglichen defizite und bruchstellen in der orthodoxen psychiatrischen betrachtungsweise des borderline-phänomens - im bericht über den prozeß gegen die eltern der ermordeten karolina sieht das so aus:

(...)"Der Verdacht wäre ohne Geständnis eben auf beide gleichermaßen gefallen." Dazu komme das Verhalten der Angeklagten in der Haft - "kein Bedauern, sie haben getanzt und waren bester Laune". Wer ernsthaft den Tod seines Kindes betrauere, verhalte sich anders.(...)

Wenig Eindruck machte auf die Kammer auch, was Nedopil und Weber vortrugen. A. trieb zwar Missbrauch mit Drogen, Alkohol und Tabletten, bei ihm könne durchaus auch eine Borderline-Störung vorliegen - doch welche strafrechtliche Relevanz habe dies für Karolinas Tod, fragten die Richter. Die Kammer habe "erhebliche Zweifel, ob sich die Tat überhaupt so zugetragen habe, wie von den Sachverständigen angenommen". Die sadistischen Quälereien hätten über Tage angedauert, gleichsam nach einer Art "Masterplan".

Wenn das Kinde nicht wie ein dressierter Hund parierte, habe es geheißen: "Jetzt braucht sie's wieder." Ein Leiden an der Borderline-Störung, wie der Bundesgerichtshof es fordere für den Fall einer Schuldminderung, sei bei A. nicht festzustellen. "Da haben die Sachverständigen ihre Sicht der Dinge zugrunde gelegt - von der Lebensgefährtin verlassen, ohne Beruf, ohne Aussicht auf Besserung der Verhältnisse. Aber ihm hat's ja gefallen, sein Leben als Pascha. Er ließ seine Lebensgefährtin sitzen, weil ihm Zaneta besser gefiel. Das ist alles. Da war kein Leiden, keine Notlage, kein Zwang. Karolina war für ihn das Kind eines Zuhälters, ein Bastard ohne Lebensrecht, der die sexuelle Beziehung nicht stören sollte." A.s eigenes Kind, auch ein Mädchen, habe er nach Zeugenaussagen dagegen immer liebevoll und fürsorglich behandelt, "wenn er nicht gerade in Haft oder in der Psychiatrie war". Das passe ja wohl nicht zu einer gestörten Persönlichkeit.(...)"


was ich vom letzten satz halte? ich sehe darin eine art institutionell (psychiatrie und auch justiz) gebilligten/erwünschten und ideologisch (mittels der herrschenden diagnosenkonstruktionen) unterfütterten selbstbetrug; besser: eine typische art fragmentierender wahrnehmung, von der hier zumindest die richter komplett befallen zu sein scheinen. selbst in der orthodoxen psychiatrie ist es imo weitgehend eine anerkannte tatsache, dass gerade störungen aus den bereichen borderline / narzisstischer / antisozialer ps keineswegs für die betroffenen selbst immer mit leid verbunden sein müssen, sondern das im gegenteil primär die soziale umwelt unter den ausagierten symptomen des betroffenen menschen enorm leiden kann. das scheint sich jedoch in justiziellen kreisen noch nicht herumgesprochen zu haben.

wobei ich vermute, dass es in der psychiatrie und auch in der justiz einige gibt, die sich vielleicht vor den unvermeidlichen konsequenzen fürchten, wenn bestimmte diagnostische modelle etwas realitätsgerechter ausfallen würden: wie oben im prozeßbericht geschrieben, kommen die richter offensichtlich nicht mit dem - äußerlichen - widerspruch zurande, einer person, der sie extrem kalkulierendes und eiskaltes verhalten einerseits, aber eben auch "missbrauch mit drogen, alkohol, tabletten" (auch hier übrigens ist fragmentierende - und gesellschaftstragende - wahrnehmung beteiligt: alle genannten stoffe sind faktisch psychoaktive drogen) und damit ein meistens untrügliches indiz für psychophysische probleme andererseits attestieren. der angeklagte leidet ihnen zuwenig - und genau mit dieser impliziten aussage machen sie die mangelhaftigkeit der diagnostischen modelle recht deutlich, wie ich finde.

der justizielle (bzw. objektivistische) blick dürfte sich auch von den erwähnten zeugenaussagen getäuscht haben lassen, die dem angeklagten mann eine "immer liebevolle und fürsorgliche" behandlung des eigenen kindes zuschreiben. das darf berechtigt angezweifelt werden, besonders wenn wir an die möglichkeit simulativer - als-ob - zuneigung bzw. pseudoempathie denken. mir kamen bei dieser passage recht schnell mal wieder die kz-kommandanten des naziterrors in den sinn, bei denen ähnliche beobachtungen - tagsüber eiskalte killer, am abend die "fürsorglichen" und sentimentalen familienväter - bis heute für ratlosigkeit bei konventionellen historikern sorgen, die ähnlich wie die justiz grundsätzlich der reduktionistischen und fragmentierenden theorie und praxis der westlichen wissenschaft verpflichtet sind.

wenn wir dagegen mal von den (medial) bekannten tatsachen ausgehen, haben wir folgendes bild: a) ein grausam vernachlässigtes und gefoltertes totes kind, b) ein mann (stiefvater) und eine frau (mutter), die dieses kind zwingend in einem objektmodus wahrgenommen haben müssen (anders hätten sie nicht so handeln können), unter extremer empathiereduktion, c) die dazu noch die ebenfalls in solchen prozessen regelmässig festgestellten "begleitsymptome" wie gleichgültigkeit, kalkül und desinteresse am leiden ihres opfers zeigen.

wenn Sie sich nochmal die basisbeiträge "borderline" und "als-ob-persönlichkeiten" ins gedächtnis rufen, werden Sie vermutlich selbst zu dem schluß kommen, dass die dort vorgestellten alternativen erklärungsansätze für derartige konstellationen wie eben beschrieben sehr viel plausibler erscheinen als das, was orthodoxe psychiatrie und justiz in erklärung und umgang mit solchen geschehnissen anzubieten haben. vielleicht liegt für diese institutionen der unerträgliche und strikt zu verleugnende knackpunkt darin, dass sich tiefgreifende störung und scheinbar "objektiv" realitätsangepasstes verhalten nicht nur nicht ausschliessen, sondern sogar ein sehr der aktuellen realität angepasstes verhalten - und zwar im sinne einer totalen akzeptanz der herrschenden normen - ein starkes indiz für eine schwere psychophysische störung darstellen kann, nämlich dann, wenn diese herrschenden normen als einziges "objektives" kriterium für menschliches sein und handeln zugelassen werden, unter mißachtung aller "nur" subjektiven oder gar "weichen" menschlichen möglichkeiten (empathie, liebe, solidarität).

selbst bei einer nur teilweisen akzeptanz dieses ansatzes würde das bspw. in einem fall wie dem obigen deutlich machen, dass der angeklagte tatsächlich "nur" bestimmte (ideologische) grundsätze und (falsche) grundannahmen dieser gesellschaft konsequent "gelebt" bzw. angewendet hat: "der mensch ist prinzipiell egoistisch"; "man(n) muss seine ellenbogen einsetzen", "gut ist, was mir nützt" und dergleichen mehr. das ermordete kind wurde einfach als störendes und hinderliches ding auf dem weg zur jämmerlich reduzierten befriedigung wahrgenommen, und dementsprechend "behandelt" - was unterscheidet also das mörderische handeln dieser eltern eigentlich prinzipiell vom ebenso mörderischen handeln vieler staatlicher institutionen und großen unternehmen in dieser welt? in der rücksichtslosigkeit, kälte und vorgeschobenen behauptung "objektiver zwänge" sowie der völligen unterwerfung bzw. identitätskonstruktion unter und mittels herrschender ideologischer fragmente lassen sich für mich keine großen unterschiede feststellen. zu solchen schlüssen darf eine grundsätzlich rachebedürfnisse erfüllende und der präventiven abschreckung dienende (ersteres wird ebenso grundsätzlich verleugnet) justiz natürlich nicht kommen, würde sie doch dann noch mehr als jetzt in ihrer funktion als herrschaftsinstrument sichtbar werden und letztlich ihren als-ob-charakter einer angeblich "objektiven und überparteilichen" instanz verlieren, weil sie weder tatsächliche gerechtigkeit ausübt, noch den täterInnen eine chance bietet, ihr leben tatsächlich zu verändern (knäste machen bekanntlich alles nur noch schlimmer, was sogar die etablierten zuständigen wissenschaften sehen - ohne daraus konsequenzen ziehen zu wollen). beide eben genannten punkte hängen stark mit dem zusammen, was ich hier schon früher als täter-opfer-dialektik benannt habe - und genau diese dialektik wird bis auf weiteres konsequent ignoriert. das wurde auch schon in früheren prozeßberichten deutlich, siehe z.b. hier.

der begriff "klassenjustiz" erfasst die ganze fragwürdigkeit des justizapparates nur unzureichend, auch wenn das wort für den betreffenden bereich imo natürlich zutreffend ist (harte urteile gegen manager, politiker u.a. angehörige der "eliten" kommen i.d.r. nur zustande, wenn die betroffenen bereits vorher von ihren jeweiligen kumpanen ver- und ausgestoßen worden sind). der eigentliche strukturelle defekt der heutigen justiz liegt jedoch imo betrachtet in genau der katastrophal falschen anthropologie, die sich in so ziemlich allen bereichen der gesellschaft finden lässt - unser bild von uns selbst ist befrachtet von schlichter unkenntnis über das eigenen "funktionieren", die eigenen möglichkeiten bzw. unmöglichkeiten, einer verheerenden körperfeindlichkeit sowie der verherrlichung ausgerechnet der schlimmsten menschlichen möglichkeiten incl. offen schwer pathologischer zustände. kurz: was wir uns angewöhnt haben, hinsichtlich uns selbst und unserer mitmenschen als "normal" zu betrachten, ist in der realität eher zu einem viel zu großen teil zugleich ausdruck und produkt eindeutig pathologischer menschlicher defekte. und das impliziert als nötige gegenmaßnahme u.a. eine radikale wahrnehmungsänderung, die erstmal und besonders das anscheinend "selbstverständliche" in frage stellen muss.

natürlich sind die beiden angeklagten auf ihre jeweils individuelle art und weise im weitesten sinne (schwer) gestört - aber es ist völlig unzulässig, das als ihr "persönliches" problem abzutun. natürlich müssen sie für ihr handeln spürbare konsequenzen erleben - unter beachtung der schutzinteressen anderer menschen -, die ihnen ermöglichen, sich in den ihnen erreichbaren grenzen zu verändern. aber es ist völlig fraglich, ob gefängnisstrafen neben schutzinteressen irgendetwas anderes erfüllen können (von rachebedürfnissen in diesem fall zu reden, ist eh absurd - wenn das kind überlebt hätte, könnte es als einzige mit subjektiver berechtigung derartiges vertreten. keinesfalls aber direkt unbeteiligte, die derart hauptsächlich ihre eigenen sowie gesellschaftlich ressentiments und projektionen ausagieren). solche taten, die darauf folgende "rechtsprechung" und die öffentlichen reaktionen sprechen in ihrer ganz eigenen und beklemmenden weise von einer gesellschaft, die von ihren selbst produzierten mörderischen realitäten nichts wissen will und sich lieber im schein und in inszenierungen verliert - und in diesem punkt unterscheiden sich angeklagte, richter und auch das zuschauende und "pfui! hängt sie!" rufende publikum kein stück.

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aus österreich kommt der folgende prozeßbericht, bei dem auf andere weise die mängel der diagnostischen konstruktionen sowie des justiziellen umgangs deutlich werden:

"Während sich der 21-jährige Vater der kleinen Iris-Maria, die Anfang Februar 2006 an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben ist, am 21. Juni wegen Mordes vor einem Wiener Schwurgericht verantworten muss, hat die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren gegen die Tante des dreijährigen Rene eingestellt. Ein psychiatrischer Sachverständiger bescheinigt der Frau, die den Kleinen schwer misshandelt haben soll, Zurechnungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und stuft sie als "nicht gefährlich" ein.(...)

Der mittlerweile 21 Jahre alte Vater soll sich im gerichtlichen Vorverfahren teilweise geständig gezeigt haben. Gegen die 25-jährige Kindesmutter, die von den Misshandlungen gewusst und diese teilweise mitangesehen haben soll, war die Voruntersuchung vorerst noch nicht abgeschlossen.

"Es ist noch ein psychiatrisches Gutachten ausständig", stellte ihre Anwältin Irene Pfeifer am Mittwoch auf Anfrage der APA fest. Die Frau soll dem Vernehmen nach an einem Borderline-Syndrom leiden. Von der gerichtspsychiatrischen Expertise wird abhängen, ob die Justiz weiter gegen die 25-Jährige vorgehen wird. Derzeit wird gegen sie wegen Verletzung ihrer Obsorgepflicht bzw. Vernachlässigung einer Unmündigen im Sinne des Paragrafen 92 Strafgesetzbuch und nicht wegen Mordes als Beitragstäterin ermittelt. Sollte ihr der Sachverständige Zurechnungsunfähigkeit bescheinigen, ist in ihrem Falle eine Einstellung des Verfahrens möglich.(...)"


über den haupttäter erfahren wir hier nichts weiter, obwohl bei einer erweiterten psychiatrischen diagnostik auch zu diesem einiges zu sagen wäre - da bin ich mir ziemlich sicher. dann aber geht es um eine gewalttätige tante und die vernachlässigende mutter - und bei beiden um die frage der zurechnungsfähigkeit - aber mit welchen ergebnissen? ein bereits eingestelltes verfahren und eine mögliche verfahrenseinstellung machen die objektivistische ignoranz von psychiatrie und justiz diesmal aus einer anderen perspektive deutlich: sie missachten grob die allgemeinen schutzinteressen, die bei selbst von der orthodoxen psychiatrie anerkannten psychophysischen störungen nicht primär im reinen verwahren mittels knast liegen können, sondern in einer weitergehenden behandlung/betreuung der beiden betroffenen frauen, bei denen zudem sichergestellt sein muss, dass sie bis auf weiteres keinen kontakt mit kindern mehr bekommen. nunja, vielleicht existieren ja auflagen o.ä., von denen der artikel schweigt - aber wieder scheint mir die entscheidende frage darin zu liegen, wie realitätsgerecht die angewandten psychiatrischen modelle tatsächlich sind - eine borderline-ps kann mit zeitweiligen zuständen einhergehen, die gegen die "objektiven" realitätsnormen verstoßen und dann mehrheitlich als psychotisch begriffen werden, was justiziell dann den zustand der unzurechnungsfähigkeit nahelegt - wie gesagt, eine kann-situation. wenn aber borderline und auch andere persönlichkeitsstörungen nur unter bestimmten umständen derart "entgleisen", und auch nur bei einer minderheit von betroffenen, die ansonsten den anschein eines "normalen funktionierens" bieten - dann drängt sich auch hier der eindruck auf, dass die psychiatrischen modelle bzw. das verständnis von borderline und anderen störungen hoffnungslos in der falle der scheinalternative "(quasi)psychotisch = unzurechnungsfähig oder nicht?" stecken, zumal wenn als entscheidendes kriterium für eine "psychose" einzig und alleine die nichtanpassung bzw. das nichtfunktionieren unter den herrschenden normen von realität verstanden wird. und genau darauf lassen bis heute die kriterien für "psychose" und "unzurechnungsfähigkeit" reduzieren.

es würde mich aber mal interessieren, ob in österreich generell eine borderline-ps mit unzurechnungsfähigkeit gleichgesetzt wird? wenn jemand was darüber weiß - bitte sehr. und schonmal danke.

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wir verlassen die unschöne welt der prozeßberichte und werfen einen blick ins feuilleton - ein schriftsteller nörgelt über den literaturbetrieb und geht bei der zustandbeschreibung seiner kollegInnen bis zum äußersten:

(...)"Wer eine Gesellschaft umbauen will, muss die Menschen neu formatieren. Das klingt nach Science-fiction oder Totalitarismustheorie - und doch ist genau das der Punkt, der mich beunruhigt: dass ein politischer Wille, der ja nichts anderes ist, als der Wille einer bestimmten und überschaubaren Klasse, eine Gesellschaft so effizient durchdringen kann wie Karies meine Zähne. Der süße Geschmack tötet das Bewusstsein dafür ab, dass sich etwas ablagert und bis zur Wurzel durchfrisst. Am Schluss wird der zerstörte Zahn gezogen, an seiner Stelle wird ein neuer, künstlicher, kariesresistenter implantiert. Mit schönen Prothesen dürfen wir dann die Welt außerhalb unser selbst verachten. Erfolg ist, strahlend dort angelangt zu sein, wo wir nie hinwollten.(...)

Wer keine oder zu wenig Beachtung findet, weil die Welt zu groß ist und die Interessen zu vielfältig sind, der beachtet sich eben selbst. Aber nicht im Sinne von Selbsterkenntnis, sondern von Selbststimulation. Das ist neu: Ich brauche nicht mehr die Außenwelt, die Anderen, die Teile meines Selbst spiegeln, Teile, die ich dann zu dem zusammensetze, was man Ich nennt. Ich brauche nur mehr mich selbst und die Außenwelt als Publikum, dem ich eine Vorstellung von mir gebe. Ich definiere also mich selbst, schreibe mir selbst eine Rolle zu und bringe die Außenwelt dazu, mir zu glauben. Das nennt sich dann Erfolg und um nichts sonst geht es als um Erfolg.

Was dabei aufgelöst wird, ist das, was die Psychoanalyse als das kritische Selbst bezeichnet. Üblicherweise werden die Grenzen des Selbst vom Ich realistisch erfasst. Dazu braucht es Selbsterkenntnis - und die tut immer weh, weil damit die Erfahrung der eigenen Begrenztheit einhergeht. Wer diese Erfahrung in den Wind schlägt und sich stattdessen selber auf die Schulter klopft, manövriert sich in eine narzisstische Störung. Wenn diese Störung aber die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein soll, wenn der neu formatierte Mensch sich dadurch auszeichnet, sich seine eigene Wirklichkeit zurechtzulegen und dadurch zur Borderline-Existenz zu verkommen, dann ist das das Ergebnis einer Besorgnis erregenden Borderline-Politik."(...)


eine treffende analogie, wie ich finde (mal abgesehen davon, dass sich über die verwendeten diagnostischen begriffe streiten lässt) - und durchaus auf andere bereiche zu übertragen, worüber sich der autor auch im klaren zu sein scheint.

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verweilen wir noch ein bißchen im kulturteil - ich habe ja bekanntlich ein faible für science fiction, und so sind mir solche gedanken durchaus vertraut:

(...)"Nun hat Science-Fiction eine neue, faszinierende Wendung erfahren. Aus den Einzelkämpfern sind Gruppen von Individuen geworden, deren Anderssein zum möglichen Schicksal eines jeden wird. Die "4400" bekamen ohne eigenes Zutun ein optimiertes Gehirn. Die "X-Men" leben mit angeborenen Mutationen - nur einer fällt aus der Reihe, weil er eine Laborzüchtung aus Wolf, Mensch und Supermetall ist. Sie sind das Ergebnis menschlicher Evolution und stehen in sozialer Konkurrenz zu den Normalos, die Angst vor ihnen haben, weil sie anders und besser sind.(...)

Natürlich ist alles Fiktion. Dennoch finden sich reale Vorbilder - nämlich in der Forschung über Autisten. Spätestens seit "Rain Man" sind Autisten einem breiten Kino-Publikum bekannt. Noch vor 20 Jahren galten die Betroffenen als geistig behindert.

Jeder zehnte Autist hat außergewöhnliche Begabungen, so genannte Insel-Begabungen. Eine hervorragende dreiteilige öffentlich-rechtliche TV-Dokumentation aus Deutschland porträtiert solche Autisten, auch Savants genannt. Sie beherrschen 25 Sprachen, sind Zahlengenies, können Klavier spielen, ohne es gelernt zu haben oder riesige Stadtpläne aus jeder erdenklichen Perspektive zeichnen.

Autisten können besonders gut logisch Denken – auf Kosten der sozialen Fähigkeiten wie Sprechen und Mimiken lesen. Das hat die Betroffenen in früheren Zeiten meist ins soziale Abseits gestellt. Im zaristischen Russland etwas glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen sind und dass die "heiligen Narren" sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden haben. Heute werden sie untersucht, gefördert und ans Leben herangeführt. Sie können wie die berühmte US-Amerikanerin Temple Grandin Professorin für Verhaltensforschung sein oder als Ehepaar zusammen in einer Wohnung leben.

Autismus hat genetische Ursachen, sagen die meisten Wissenschaftler. Damit lassen sich aber nicht alle Fälle erklären. Andere Forscher behaupten, zu viel Männlichkeitshormone im Mutterbauch oder neurologische Unfälle seien Schuld. Es gibt den berühmten Fall eines ehemaligen Schlägertypen, der nach einem Schlaganfall zu einem zahmen und hoch begabten Bildhauer wurde. Sein Gehirn wurde neu verdrahtet, erklärten seine Ärzte.(...)"


tja, nochmal der hinweis auf den möglichen charakter einer gesellschaftlich produzierten neurophysiologischen und bio-psychosozialen mutation - eine bestimmte gesellschaftsformation züchtet sich quasi mittels (neurologischer) selektion die ihr gemäßen mitglieder. geht nur voll in die hose, wenn die gesellschaft grundsätzlich durch traumatische struktruren geprägt ist - und davon um den preis des eigenen untergangs nichts wissen will.

ansonsten kann gute(!) science fiction imo durchaus zur weiter oben erwähnten nötigen wahrnehmungsveränderung / erweiterung beitragen - so meine eigene erfahrung. und noch etwas zu den benannten "ursachen": "genetisch", "hormonell", "neurologische unfälle": auch hier wieder die fragmentierende wahrnehmung, da es bis auf einzelfälle (und selbst da gilt die suggerierte kausalität nur bedingt) durchaus unzulässig ist, ein multidimensionales geschehen - in dem sinne, das neurologische, genetische und vielfältigste soziale einflüsse zusammen betrachtet werden müssen - so auf einzelne teile zu reduzieren. anders: ein wörtchen wie "genetisch" erklärt ohne den zugehörigenden kontext ersteinmal überhaupt nichts. stattdessen suggeriert es ein real nicht vorhandenes verständnis - aber damit lassen sich viele menschen auch gerne abspeisen. beruhigt ja auch ungemein.

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bleiben wir beim thema autismus: immer neue (und auch alte) erklärungsansätze sorgen für ständigen nachschub an news, siehe z.b. hier

"Wer sich ausruht und seinen Gedanken freien Lauf lässt, blickt oft nach innen und beurteilt dabei die vertraute Umgebung im Zusammenspiel mit der eigenen Person. Bei Autisten sind diese Tagträume nicht möglich. Die Gelegenheit zur Selbstreflexion wird offenbar durch die starke Konzentration auf äußere Einflüsse blockiert.

Wissenschaftler der Universität von Kalifornien vermuten in der fehlenden "Innenansicht" des Gehirns die Ursache für den sozialen und emotionalen Rückzug bei autistischen Personen. Autismus ist durch starke Selbstbezogenheit und Störungen im zwischenmenschlichen Verhalten gekennzeichnet. Oft fällt schon im Kleinkindalter die mangelnde Kontaktaufnahme zu engen Bezugspersonen auf.

In einer Studie verglichen Forscher die Gehirnaktivitäten autistischer Personen mit denen gesunder Probanden. Die während einiger Konzentrationsübungen und in den Ruhephasen gemessenen Daten zeigten, dass die typischen Hirnregionen der Selbstreflexion bei den autistischen Teilnehmern kaum beansprucht wurden. So genannte Netzwerke, die normalerweise in Entspannungsphasen für die Verarbeitung von Erlebnissen sorgen, bleiben bei Autisten inaktiv.

Bei gesunden Menschen wird das Netzwerk erst dann abgeschaltet, wenn anspruchsvolle geistige Aufgaben die volle Konzentration erfordern. Ob die Dysfunktion von gesammelten Eindrücken und deren Aufarbeitung bei autistischen Personen für deren emotionale Störungen verantwortlich ist, sollen weitere Untersuchungen klären."


passt erstens zur u.a. von temple grandin beschriebenen ständigen erregung des nervensystems (was bekanntlich auch ein symptom posttraumatischer zustände darstellt), ist aber zweitens reduktionistisch in dem sinne, dass mir hier zu sehr auf die rein kognitiven fähigkeiten primär des gehirns focussiert wird - ich bezweifle, dass phasen entspannter selbstreflexion auch mittels tagträumen alleine durch die betrachtung der dabei auftretenden neurologischen aktivitäten zu verstehen sind - hier wird vermutlich mal wieder ein ganzkörperliches geschehen (und entspannung spielt sich nun mal im ganzen körper ab) aufgespalten. dazu: tagträume sind nicht gleich tagträume - wenn in einem (relativ) gesunden menschen der objektivistische modus "korrekt" in einer voll entwickelten subjektivität arbeitet, dann ergänzen sich körperliche entspanung und tagträume (als "mentale" und womöglich kreative art, wie sich das gehirn entspannt), zu einem ganzen. wenn der objektivistische modus aber dominiert, dann können tagträume auch einen regelrecht dissoziativen (im pathologischen sinne) charakter bekommen - und stellen dann eher den ausdruck einer tiefgreifenden wahrnehmungsreduktion dar, die womöglich mit regelrechter trance einhergehen kann.

interessant auch der hinweis am ende darauf, dass die uns allen mehr oder weniger bekannten zustände von sog. geistiger konzentration sich tatsächlich als eine art quasiautistischer zustände begreifen lassen - sie basieren auf wahrnehmungsreduktion, die aber im gesunden fall nicht wirklich von der gesamten (körperlich basierten) wahrnehmung trennt - virtuelle räume, in denen bestimmte menschliche optionen verwirklicht werden können. und genau diese ausgangslage scheint mir bei den beziehungskrankheiten in verschiedener art und weise ver-rückt zu sein.

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beim stichwort "virtuelle räume" fällt mir noch eine buchbesprechung ein (ich werde das buch nochmal näher in der passenden rubrik vorstellen):

"Werner Bätzing ist Professor für Kulturgeographie und hat bereits mehrere Bücher zu ökologischen Problemen der Alpenregion geschrieben; Evelyn Hanzig-Bätzing ist Philosophin mit besonderem Interesse an Soziologie und Psychoanalyse. In ihrem ersten gemeinsamen Buch untersuchen die beiden aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Sie kommen zu dem Schluß, daß die entfesselte spätkapitalistische Gesellschaft alle bisher für die menschliche Spezies geltenden Grenzen einem allumfassenden Machbarkeitswahn opfert. Permanent geforderte Flexibilität und Leistungsbereitschaft rufen eine massenhafte Entindividualisierung hervor, verwandeln Menschen von handelnden Subjekten in ökonomisch kalkulierbare Objekte. In der Folge käme es zu einem massenhaften Verschwinden des Geschichtsbewußtseins und zu massiven Störungen bei der Wahrnehmung der realen Welt. An deren Stelle trete eine virtuelle Welt der unterschiedslosen Gleichzeitigkeit, in der alles berechenbar, beherrschbar und käuflich ist."(...)

"Evelyn Hanzig-Bätzing konzentriert sich auf die Folgen der sich in der Totalität des Marktes zunehmend wandelnden Lebenswelt für die in diese Welt eingepaßten Menschen. Postmoderne Beliebigkeit ersetzt die gesellschaftskritische Auseinandersetzung; Pille und Bildschirm treten an die Stelle geistigen Lebens. Beziehungsunfähigkeit, Verlorenheit, sexuelle Frustration – die auf Perfektionismus fixierte Gesellschaft bringt reihenweise psychische Krankheiten hervor.

Erschreckend manifestiert sich der Durchmarsch der totalen Leistungsgesellschaft am »Arbeitsplatz Schule«. Kinder, die ähnlichen Streßsituationen wie Erwachsene ausgesetzt werden, verhalten sich analog: Sie werden krank. Bis zu 25 Prozent der Kinder reagieren auf die gestiegenen Anforderungen mit psychischen und psychosomatischen Überlastungs- und Überforderungssyndromen."(...)


tja. dürfte in der reinen beschreibung vermutlich sehr zutreffend sein, und scheint auch über einige tellerränder herauszuschauen. ohne es selbst bisher zu kennen, sage ich mal: tipp.

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im zusammenhang mit den thematiken von beginn dieses beitrages hatte die zeit vor ein paar wochen einen imo recht guten artikel, in dem u.a. das folgende zu lesen ist:

(...)"Gerade das Schicksal des Täters S. illustriert, wie scheinheilig in Deutschland Kriminalpolitik gemacht wird: Gestörte Jugendliche und verurteilte Sexualstraftäter bleiben sich selbst überlassen, die Behörden sind blind für das, was ihnen gegenüber nötig wäre, und taub für alle Alarmzeichen – aber dann, wenn sich die wachsende Störung der Delinquenten in schweren Straftaten entladen hat, dreschen die Volksvertreter – vom Bürgermeister bis zum Bundeskanzler – publikumswirksam auf diese besonders verachtete Tätergruppe ein und rufen nach schärferen Gesetzen, am besten gleich in die nächste Kamera."(...)

und was so ein knastaufenthalt schlimmstenfalls anrichtet, ist sehr nachdrücklich so beschrieben:

(...)"Der psychiatrische Sachverständige Stefan Orlob diagnostiziert bei S. zwar diverse Störungen im Sozialverhalten, die eine drohende Entwicklung hin zu einer dissozialen Persönlichkeitsstörung andeuten könnten, stellt aber keine schwere seelische Abartigkeit fest. Im Urteil schließen die Richter aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass S. durch gezielte Maßnahmen noch zu retten ist. Deshalb ordnen sie an: »Im Vollzug wird der Angeklagte dringend sozialtherapeutischer Hilfe bedürfen, um so die bei ihm festgestellten Defizite aufzuarbeiten.«(...)

"Als Stefan Orlob, der Sachverständige, der Maik S. nach der Vergewaltigung schon einmal untersucht hat, ihn nach dem Mord an Carolin ein zweites Mal begutachtet, trifft er auf einen Verschlossenen. Der Proband erleichtert sein Gewissen nicht mehr durch ein Geständnis, er schweigt zu seiner Tat. Orlob findet einen gefühlskalten und rücksichtlosen Menschen vor, dessen dissoziale Persönlichkeitszüge sich im Gefängnis zur Psychopathie verfestigt haben. Für irgendein Tätertherapieprogramm sei der Angeklagte wohl nicht mehr erreichbar, stellt der Gutachter fest."(...)


zwischen den beiden obigen absätzen ist zu lesen, wie die (eh schon begrenzten) möglichkeiten zur inneren veränderung des späteren mörders in einem wust aus behördlichem desinteresse und ignoranz verschwinden - so werden tatsächlich unter staatlicher aufsicht soziopathische persönlichkeiten erzeugt. und nicht umsonst werden knäste bekanntlich auch "schulen des verbrechens" genannt.

lesenswert wird der artikel auch durch die zwar nicht neue, aber dennoch immer wieder zu wiederholende feststellung der diskrepanz zwischen der seit jahren in den meisten bereichen rückläufigen kriminalität (in der offiziellen definition) einerseits und dem parallel zunehmenden unsicherheitsempfinden bei vielen menschen andererseits. hier geht es deutlich um wahrnehmungsweisen und -inhalte, und die haben zentral etwas mit psychophysischen zuständen zu tun bzw.drücken sie aus und prägen sie. die erwähnte diskrepanz ist hier ebenfalls für die zukunft als eigenes thema vorgemerkt.

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um schwere verbrechen, die allerdings selten bis nie geahndet und oft genug nicht mal als solche definiert werden, ging es vor ein paar wochen in einem schwerpunkt der taz - im dossier "kapital ohne moral" ist u.a. zu lesen:

"Aus den Schießscharten des gepanzerten Mercedes-Transporters spucken die Mündungsfeuer von acht Maschinengewehren. Wenn die brasilianische Spezialpolizei Drogenhändler in den Slums von Rio de Janeiro jagt, spielen zivile Opfer keine Rolle. Einwohnern, die sich nicht rechtzeitig verstecken, kann es ergehen wie dem elfjährigen Carlos Henrique. Bei einer Razzia im Elendsviertel Vila do João traf ihn im vergangenen Juli eine Kugel in den Kopf. Sie wurde aus einem Polizeipanzer abgefeuert.

Elf Personen kamen allein zwischen Mai und September 2005 auf diese Art ums Leben, sagt Katharina Spieß von amnesty international. Die Menschenrechtsorganisation hat Augenzeugenberichte gesammelt und eine Kampagne gegen die Polizeigewalt in Rio gestartet.

Amnesty international wirft DaimlerChrysler vor, dessen Produkte würden benutzt, um Menschenrechte zu verletzen. DaimlerChrysler verstoße gegen eigene und internationale Standards, denn der Konzern hat offiziell unterschrieben, alles zu tun, dass so etwas nicht passiert. DaimlerChrysler ist Mitglied im Globalen Pakt der Vereinten Nationen. Eins der Prinzipien des Vertrages verlangt, "dass Ihr Unternehmen sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt". Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften fordern - so wie amnesty von DaimlerChrysler - auch von anderen Konzernen, die grundlegenden Menschen- und Arbeitsrechte nicht nur theoretisch zu akzeptieren, sondern sie auch praktisch einzuhalten.

"Totenschädel" heißen die schwarz gestrichenen Panzerfahrzeuge von Rio de Janeiro im Volksmund. Von einem Schwert durchbohrt ziert der Totenkopf das Wappen des "Bataillons für Spezialoperationen" (Bope) der Polizei von Rio de Janeiro. Bope-Kommandeur Venâncio Moura beschreibt die Tätigkeit seiner Truppe so: "Wie operieren wie in einem konventionellen Krieg: Die Panzer fahren voraus, die Infanterie umzingelt den Feind." Einwohner der Favelas berichten, dass die Lautsprecher der Panzerwagen im Einsatz verkünden: "Wir kommen, um eure Seelen zu holen."

Mit einem Foto von einem "Totenschädel"-Fahrzeug - im Brasilianischen "Caveirão" genannt - dokumentiert amnesty, dass die Spezialpolizei Produkte von DaimlerChrysler verwendet. Der Mercedes-Stern am Kühler des Panzerwagens ist deutlich zu sehen. In ihrem Brief an DaimlerChrysler-Direktor Michael Inacker schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass "Fahrgestelle von Mercedes-Benz noch immer in Caveirãos der Polizei von Rio de Janeiro benutzt werden".

Die Recherchen von amnesty international haben ergeben, dass Mercedes-Fahrzeuge von der brasilianischen Firma TCT Blindados zu Polizeipanzern umgebaut worden seien. Auf der Internetseite von TCT, die mittlerweile nicht mehr erreichbar ist, waren bis vor wenigen Tagen Bilder von Panzerwagen mit den Emblemen von Mercedes und Ford zu sehen."(...)


passend dazu ein interviewauszug aus einer printausgabe des "ai-journals":

"Ein Krieg gegen Arme"

ai: Wer ist in Brasilien von der Gewalt besonders betroffen?

Marcelo Freixo: Die öffentliche Sicherheit in Brasilien befindet sich in einem sehr bedrohlichen Zustand. Insbesondere die Zahl der Personen, die von der Polizei getötet wurden, hat sich in den vergangenen Jahren eklatant erhöht. Durchschnittlich werden in Rio de Janeiro drei Menschen pro Tag erschossen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so hohe Tötungsrate durch die Polizei wie in Rio. Und das sind nur die offiziellen Zahlen - die Dunkelziffer ist noch viel höher. Insgesamt kommen in Brasilien jedes Jahr etwa 40.000 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Und die meisten Opfer sind arm und haben eine schwarze Hautfarbe.

Elizabete M. de Souza: Mein 13-jähriger Bruder wurde im Januar 2004 in Caju, einer Favela in Rio, von der Polizei erschossen, zusammen mit vier anderen Jugendlichen. Nach Angaben der Beamten haben die Opfer zuerst das Feuer eröffnet. Doch ein Augenzeuge berichtete, dass es eine regelrechte Exekution war. Nach seiner Aussage musste er mit seiner Familie das Viertel verlassen - aus Angst vor der Polizei. Ich habe damals gemeinsam mit anderen Angehörigen von Opfern eine Initiative gegründet, weil der Fall meines Bruders keine Ausnahme ist. Wir haben unsere Geschwister verloren, Vater und Ehemänner - und die Regierung unternimmt nichts. Wir wollen Gerechtigkeit. Die Täter müssen sich vor Gericht verantworten.

ai: Warum handelt die Regierung nicht?

Freixo: Der Grund liegt nicht in der Inkompetenz der Behörden. Die Ursachen liegen vielmehr in einem Konzept der öffentlichen Sicherheit, das alle Opfer einfach als Drogenhändler oder Kriminelle darstellt, gegen die nur Gewalt hilft. Und eine schlecht informierte Öffentlichkeit akzeptiert dieses haben viele Berichte und Empfehlungen an die Regierung gerichtet. Deshalb müssen unsere Nachforschungen absolut korrekt sein. Dabei stützen wir uns vor allem auf ein Netz von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen. Insbesondere mit amnesty international arbeiten wir seit Jahren eng zusammen.

ai: Weshalb wird die Polizeigewalt in einem so hohen Maße akzeptiert?

Freixo: Die öffentliche Meinung in Brasilien toleriert Polizeigewalt, weil diese Gesellschaft durch die Angst geprägt ist. Die Opfer stammen aus den armen Vierteln, doch die Angst regiert in den reichen Bezirken. Diese Angst führte auch zur Niederlage bei dem Referendum über die Waffenabgabe im vergangenen Oktober. Was wir vor allem brauchen, ist daher ein anderes Konzept von Sicherheit - ein Konzept, das die Armut und nicht die Armen bekämpft.

de Souza: Wer nicht in den Armenvierteln wohnt, fühlt sich durch deren Bewohner bedroht, als wenn sie alle in das Verbrechen involviert wären. Dabei kommen die Bediensteten der Mittel- und Oberschicht, die Kindermädchen, Pförtner und Hausangestellten, in der Regel alle aus der Favela.

ai: Werden Sie selbst bedroht?

Freixo: Wie viele andere Menschenrechtsverteidiger in Brasilien muss ich mit einer gewissen Gefahr leben. Dagegen gibt es keinen Schutz. Von den Behörden können wir jedenfalls keine Hilfe erwarten.

de Souza: Nachdem ich Anzeige wegen dem Tod meines Bruders erstattet hatte, erhielt ich die ersten Drohungen. Ein Mann sagte am Telefon, dass sie auch meine Tochter töten könnten. Ich schlafe deshalb nicht mehr zu Hause, sondern bei Freunden. Mein Kind habe ich außerhalb der Stadt untergebracht. Der Anruf kam aus einer Polizeistation.
(Interview: Anton Landgraf)


die einen nennen so etwas "demokratie und freie marktwirtschaft", andere nennen es neoliberalismus, wieder andere kapitalistischen staatsterrorismus. in meinen augen sind das alles synonyme - recherchieren Sie hier im blog einmal mit der internen suche und dem keyword "mafia".

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und sonst? wm-zeit ist tittytainment-zeit - und es hat mich schon etwas in den fingern gejuckt, aus der perspektive dieses blogs heraus sowohl die einzelnen teilnehmenden länder als auch erscheinungen wie den hooliganismus näher zu beleuchten. aber bei ersten vorbereitenden recherchen habe ich schnell gemerkt, dass so ein vorhaben derzeit einfach meine persönlichen kapazitäten übersteigt. wer einigermaßen interessiert ist und mitverfolgt, wie sich die soziale realität hier entwickelt, wird wahrscheinlich sowieso dieses globale event einzuschätzen wissen. wobei ich persönlich mich gleichzeitig mit der dramatik und auch ästhetik wirklich guten fussballs durchaus vergnügen kann. aber das sollte den blick trotzdem nicht trüben - von der korrupten fifa angefangen über die sponsoren coca-cola und die hamburgerbraterei bis hin zur gnadenlosen auslese in den fußballzentren brasiliens und der instrumentalisierung eventueller wm-erfolge durch die regierungen diverser staaten zwecks kaschierung antisozialer maßnahmen gibt es mehr als genug, was mehr als übel aufstößt.
wachsam bleiben, kann da nur die devise lauten.

Sonntag, 4. Juni 2006

kontext 23: herr fusi und der graue herr oder der objektivistische angriff auf die zeit

"Da war zum Beispiel Herr Fusi, der Friseur. Er war zwar kein berühmter Haarkünstler, aber er war in seiner Straße gut angesehen. Er war nicht arm und nicht reich. Sein Laden, der mitten in der Stadt lag, war klein, und er beschäftigte einen Lehrjungen.
Eines Tages stand Herr Fusi in der Tür seines Ladens und wartete auf Kundschaft. Der Lehrjunge hatte frei, und Herr Fusi war allein. Er sah zu, wie der Regen auf die Straß platschte, es war ein grauer Tag, und auch in Herr Fusis Seele war trübes Wetter.

"Mein Leben geht so dahin", dachte er, "mit Scherengeklapper und Geschwätz und Seifenschaum. Was habe ich eigentlich von meinem Dasein? Und wenn ich einmal tot bin, wird es sein, als hätte es mich ne gegeben."

Es war nun durchaus nicht so, daß Herr Fusi etwas gegen ein Schwätzchen hatte. Er liebte es sogar sehr, den Kunden weitläufig seine Ansichten auseinanderzusetzen und von ihnen zu hören, was sie darüber dachten. Auch gegen Scherengeklapper und Seifenschaum hatte er nichts. Seine Arbeit bereitete ihm ein ausgesprochenes Vergnügen, und er wußte, daß er sie gut machte. Besonders beim Rasieren unter dem Kinn gegen den Strich war ihm so leicht keiner über. Aber es gibt eben manchmal Momente, in denen das alles kein Gewicht hat. Das geht jedem so.

"Mein ganzes Leben ist verfehlt", dachte Herr Fusi. "Wer bin ich schon? Ein kleiner Friseur, das ist nun aus mir geworden. Wenn ich das richtige Leben führen könnte, dann wäre ich ein ganz anderer Mensch!"

Wie dieses richtige Leben allerdings beschaffen sein sollte, war Herrn Fusi nicht klar. Er stellte sich nur irgend etwas Bedeutendes vor, etwas Luxuriöses, etwas, wie man es immer in den Illustrierten sah.

"Aber", dachte er mißmutig, "für so etwas läßt mir meine Arbeit keine Zeit. Denn für das richtige Leben muß man Zeit haben. Man muß frei sein. Ich aber bleibe mein Leben lang ein Gefangener von Scherengeklapper, Geschwätz und Seifenschaum."

In diesem Augenblick fuhr ein feines, aschengraues Auto vor und hielt genau vor Herrn Fusis Friseurgeschäft. Ein grauer Herr stieg aus und betrat den Laden. Er stellte seine bleigraue Aktentasche auf den Tisch vor den Spiegel, hängte seinen runden steifen Hut an den Kleiderhaken, setzte sich auf den Rasierstuhl, nahm sein Notizbüchlein aus der Tasche und begann darin zu blättern, während er an seiner kleinen grauen Zigarre paffte.

Herr Fusi schloß die Ladentür, denn es war ihm, als würde es plötzlich ungewöhnlich kalt in dem kleinen Raum.
"Womit kann ich dienen?" fragte er verwirrt, "Rasieren oder Haare schneiden?" und verwünschte sich im gleichen Augenblick wegen seiner Taktlosigkeit, denn der Herr hatte eine spiegelnde Glatze.

"Keines von beiden", sagte der graue Herr, ohne zu lächeln, mit einer seltsam tonlosen, sozusagen aschengrauen Stimme. "Ich komme von der Zeit-Spar-Kasse. Ich bin Agent Nr. XYQ/384/b. Wir wissen, daß Sie ein Sparkonto bei uns eröffnen wollen."

"Das ist mir neu", erklärte Herr Fusi noch verwirrter. "Offengestanden, ich wußte bisher nicht einmal, daß es ein solches Institut überhaupt gibt."

"Nun, jetzt wissen Sie es", antwortetet der Agent knapp. Er blätterte in seinem Notizbüchlein und fuhr fort: "Sie sind doch Herr Fusi, der Friseur?"

"Ganz recht, der bin ich", versetzte Herr Fusi.

Dann bin ich an der rechten Stelle", meinte der graue Herr und klappte das Büchlein zu. "Sie sind Anwärter bei uns."

"Wie das?" fragte Herr Fusi, noch immer erstaunt.

"Sehen Sie, lieber Herr Fusi", sagte der Agent, "Sie vergeuden Ihr Leben mit Scherengeklapper, Geschwätz und Seifenschaum. Wenn Sie einmal tot sind, wird es sein, als hätte es Sie niemals gegeben. Wenn Sie Zeit hätten, das richtige Leben zu führen, wie Sie das wünschen, dann wären Sie ein ganz anderer Mensch. Alles, was Sie benötigen, ist Zeit. Habe ich recht?"

"Darüber habe ich eben nachgedacht", murmelte Herr Furi und fröstelte, denn trotz der geschlossenen Tür wurde es immer kälter.

"Na, sehen Sie!" erwiderte der graue Herr und zog zufrieden an seiner kleinen Zigarre. "Aber woher nimmt man Zeit? Man muß sie eben ersparen! Sie, Herr Fusi, vergeuden Ihre Zeit auf ganz verantwortungslose Weise. Ich will es Ihnen durch eine kleine Rechnung beweisen. Eine Minute hat sechzig Sekunden. Und eine Stunde hat sechzig Minuten. Können Sie mir folgen?"

"Gewiß", sagte Herr Fusi.

Der Agent Nr. XYQ/384/b begann die Zahlen mit einem grauen Stift auf den Spiegel zu schreiben."(...)


(ich kürze diese rechnereien mal ab, in denen die einzelnen zeiteinheiten bis zu den sekunden zerlegt werden - ich bin gerade zu faul zum tippen - und springe direkt zum ergebnis, welches der graue dem armen herr fusi, über dem sich gerade eine raffinierte falle zu schließen beginnt, jetzt präsentiert - mit der hypothetischen annahme einer siebzigjährigen lebensdauer):

"Und er schrieb diese Zahl groß an den Spiegel:

2 207 520 000 Sekunden

Dann unterstrich er sie mehrmals und erklärte: "Dies also, Herr Fusi, ist das Vermögen, welches Ihnen zur Verfügung steht."

Herr Fusi schluckte und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Die Summe machte ihn schwindelig. Er hätte nie gedacht, daß er so reich sei.

"Ja", sagte der Agent nickend und zog wieder an seiner kleinen grauen Zigarre, "es ist eine eindrucksvolle Zahl, nicht wahr? Aber nun wollen wir weitersehen. Wie alt sind Sie, Herr Fusi?"

"Zweiundvierzig", stammelte der und fühlte sich plötzlich schuldbewußt, als habe er eine Unterschlagung begangen.

"Wie lange schlafen Sie durchschnittlich pro Nacht?" forschte der graue Herr weiter.

"Acht Stunden etwa", gestand Herr Fusi.

Der Agent rechnete blitzgeschwind. Der Stift kreischte über das Spiegelglas, daß sich Herr Fusi die Haut kräuselte.

"Zweiundvierig Jahre - täglich acht Stunden - das amcht also bereits vierhunderteinundvierzigmillionenfünfhundertundviertausend. Diese Summe dürfen wir wohl mit gutem Recht als verloren betrachten. Wieviel Zeit müssen Sie täglich der Arbeit opfern, Herr Fusi?"

"Auch acht Stunden, so ungefähr", gab Herr Fusi kleinlaut zu.

"Dann müssen wir also noch einmal die gleiche Summe auf das Minuskonto verbuchen", fuhr der Agent unerbittlich fort. "Nun kommt Ihnen aber auch noch eine gewisse Zeit abhanden durch die Notwendigkeit, sich zu ernähren. Wieviel Zeit benötigen Sie insgesamt für alle Mahlzeiten des Tages?"

"Ich weiß nicht genau", meinte Herr Fusi ängstlich, "vielleicht zwei Stunden?"

"Das scheint mir zu wenig", sagte der Agent, "aber nehmen wir es einmal an, dann ergibt es in zweiundvierzig Jahren den Betrag von hundertzehnmillionendreihundertsechsundsiebzigtausend. Fahren wir fort! Sie leben allein mit Ihrer alten Mutter, wie wir wissen. Täglich widmen Sie der alten Frau eine volle Stunde, das heißt, Sie sitzen bei Ihr und sprechen mit Ihr, obgleich sie taub ist und sie kaum noch hört. Es ist also hinausgeworfene Zeit: macht fünfundfünfzigmillioneneinhundertachtundachtzigtausend. Ferner, haben Sie überflüssigerweise einen Wellensittich, dessen Pflege Sie täglich eine Viertelstunde kostet, das bedeutet umgerechnet dreizehnmillionensiebenhundertsiebenundneunzigtausend."

"Aber...", warf Herr Fusi flehend ein.

"Unterbrechen Sie mich nicht!" herrschte ihn der Agent an, der immer schneller und schneller rechnete. "Da Ihre Mutter ja behindert ist, müssen Sie, Herr Fusi, einen Teil der Hausarbeit selbst machen. Sie müssen einkaufen gehen, Schuhe putzen und dergleichen lästige Dinge mehr. Wieviel Zeit kostet Sie das täglich?"

"Vielleicht eine Stunde, aber..."

"Macht weitere fünfundfünfzigmillioneneinhundertachtundachtzigtausend, die Sie verlieren, Herr Fusi. Wir wissen ferner, daß Sie einmal wöchentlich ins Kino gehen, einmal wöchentlich in einem Gesangsverein mitwirken, einen Stammtisch haben, den Sie zweimal in der Woche besuchen, und sich an den übrigen Tagen abends mit Freunden treffen oder manchmal sogar ein Buch lesen. Kurz, Sie schlagen Ihre Zeit mit nutzlosen Dingen tot, und zwar etwa drei Stunden täglich, das macht einhundertfünfundsechzigmillionenfünfhundertvierundsechzigtausend. - Ist Ihnen nicht gut, Herr Fusi?"(...)


nein, ganz entschieden nicht. sind Ihnen übrigens bereits die savant-fähigkeiten hinsichtlich des rechnens beim grauen aufgefallen? und ist es nicht interessant, dass er die verschiedenen momente sozialen lebens als nutzlose dinge bezeichnet?

"Wir sind gleich zu Ende", sagte der graue Herr. "Aber wir müssen noch auf ein besonderes Kapitel Ihres Lebens zu sprechen kommen. Sie haben da nämlich dieses kleine Geheimnis, Sie wissen schon."

Herr Fusi begann mit den Zähnen zu klappern, so kalt war ihm geworden.

"Das wissen Sie auch?" murmelte er kraftlos, "ich dachte, außer mir und Fräulein Daria..."

"In unserer modernen Welt", unterbrach ihn der Agent Nr. XYQ/384/b, "haben Geheimnisse nichts mehr verloren. Betrachten Sie die Dinge einmal sachlich und realistisch, Herr Fusi. Beantworten Sie mir eine Frage: Wollen Sie Fräulein Daria heiraten?"

"Nein", sagte Herr Fusi, "das geht doch nicht..."

"Ganz recht", fuhr der graue Herr fort, "denn Fräulein Daria wird ihr Leben lang an den Rollstuhl gefesselt bleiben, weil ihre Beine verkrüppelt sind. Trotzdem besuchen Sie sie täglich eine halbe Stunde, um ihr eine Blume zu bringen. Wozu?"

"Sie freut sich doch immer so", antwortete Herr Fusi, den Tränen nah.

"Aber nüchtern betrachtet", versetzte der Agent, "ist sie für Sie, Herr Fusi, verlorene Zeit. Und zwar insgesamt bereits siebenundzwanzigmillionenfünfhundertvierundneunzigtusend Sekunden. Und wenn wir nun dazurechnen, daß Sie die Gewohnheit haben, jeden Aben vor dem Schlafengehen eine Viertelstunde am Fenster zu sitzen und über den vergangenen Tag nachzudenken, dann bekommen wir nochmals eine abzuschreibende Summe von dreizehnmillionensiebenhundertsiebenundneunzigtausend. Nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen eigentlich übrig bleibt, Herr Fusi."

Auf dem Spiegel stand nun folgende Rechnung:

Schlaf 441 500 000 Sekunden
Arbeit 441 500 000 ,,
Nahrung 110 376 000 ,,
Mutter 55 188 000 ,,
Wellensittich 13 797 000 ,,
Einkauf usw. 55 188 000 ,,
Freunde, Singen 165 564 000 ,,
Geheimnis 27 594 000 ,,
Fenster 13 797 000 ,,
Zusammen: 1 324 512 000 Sekunden

"Diese Summe", sagte der graue Herr und tippte mit dem Stift mehrmals so hart gegen den Spiegel, daß es wie Revolverschüsse klang, "diese Summe ist also die Zeit, die Sie bis jetzt bereits verloren haben. Was sagen Sie dazu, Herr Fusi?"

Herr Fusi sagte gar nichts. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, denn trotz der eisigen Kälte brach ihm der Schweiß aus.

Der graue Herr nickte ernst.
"Ja, Sie sehen ganz recht", sagte er, "es ist bereits mehr als die Hälfte Ihres ursprünglichen Gesamtvermögens, Herr Fusi. Aber nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen von Ihren zweiundvierzig Jahren eigentlich geblieben ist. Ein Jahr, das sind einunddreißigmillionenfünfhundertsechsunddreißigtausend Sekunden, wie Sie wissen. Und das mal zweiundvierzig genommen macht einemilliardedreihundertvierundzwanzigmillionenfünfhundertundzwölftausend."

Er schrieb die Zahl unter die Summe der verlorenen Zeit:

1 324 512 000 Sekunden
-1 324 512 000
0 000 000 000 Sekunden

Er steckte seinen Stift ein und machte eine längere Pause, um den Anblick der vielen Nullen auf Herrn Fusi wirken zu lassen. Und er tat seine Wirkung.

"Das", dachte Herr Fusi zerschmettert, "ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens."

Er war so beeindruckt von der Rechnung, die so haargenau aufging, daß er alles widerspruchslos hinnahm. Und die Rechnung selbst stimmte. Das war einer der Tricks, mit denen die grauen Herren die Menschen bei tausend Gelegenheiten betrogen."

(michael ende "momo"; thienemanns verlag, stuttgart 1973; isbn 3 522 11940 1; s. 58 - 65)


*

ich weiß im moment gar nicht, ob ich noch groß etwas anfügen soll oder muss - ende hat die wesentlichen züge des objektivistischen umgangs mit - oder vielleicht besser: der vergewaltigung - der subjektiven zeit so fein herausgearbeitet, das kaum noch etwas zu ergänzen bleibt. wobei ich ja schon früher hier geschrieben hatte, dass ich zumindest seine mir bekannten bücher lange jahre unterschätzt habe, was ihr potenzial anbelangt. und das meine ich jetzt recht unabhängig von irgendwelchen literaturkritischen aspekten. er hat es imo mit großem erfolg geschafft, bestimmte wahrheiten der aktuellen sozialen menschlichen realität in der westlichen kultur in kreativer weise in einem anderen licht erscheinen zu lassen.

der als letztes geschilderte - wirklich billige - taschenspielertrick des grauen sollte deutlich sein. einige wichtige eigenarten des wesens der grauen, wie sie im roman beschrieben werden, sind mir allerdings wirklich erst in letzter zeit aufgefallen: so wird oben auch deutlich, dass die erzwungene akzeptanz der "objektiven" tunnelrealität - denn objektiv betrachtet, d.h. unter realitätswidriger und fiktionaler auslöschung aller beziehungen des herrn fusi - nicht nur zu menschen, sondern auch zu seiner subjektiven zeit, die sich eben nicht primär zerlegen und durch zahlen beschreiben lässt, ohne schwer geschädigt oder gar zerstört zu werden - nur mittels einer art einschüchterung/verängstigung gelingt, durch die der graue einen veränderten bewußtseinszustand bei seinem opfer hervorruft. der dann zu einer dominanz des objektivistischen modus führt, in dem die logik des grauen denkens die einzig "realistische" zu sein scheint - "sachlich und nüchtern", wie es der graue selbst einfordert.

und so "objektiv" betrachtet ist also die zeit der herrn fusi tatsächlich ein äusserst karges gerippe, eine genau zu definierende menge, begrenzt und endlich, mit der anscheinend gehaushaltet werden muss. und die seltsam abgehoben und irgendwie einen elementaren mangel zu enthalten scheint. reduziert ist hier das treffende wort.

ich weiß, man kann´s mit analogien auch übertreiben. aber die, die hier sichtbar werden, erscheinen mir doch bemerkenswert genug, um nicht von einer überinterpretation zu reden. das ende auch so deutliche hinweise auf savant-fähigkeiten und verdinglichende wahrnehmung gegeben hat (beides ist weiter oben schon erwähnt worden), hat mich selbst wirklich überrascht. neben diesen eigenschaften sollten Sie sich dazu einmal mit den sonstigen beschreibungen der grauen näher beschäftigen (ich nehme übrigens an, dass vielen leserInnen hier das buch bekannt sein dürfte): sie existieren in einem zwangs-/pseudo-kollektiv, sind ohne erkennbare individualität (mit nummern gekennzeichnet), als einzelwesen jederzeit ersetzbar, besitzen eine strikte hierarchie mit extremen machtkämpfen, dazu noch eine deutliche suchtstruktur und sind extrem in ihrer wahrnehmung reduziert - dinge und zahlen stellen das einzige dar, was sie (an-)erkennen können. kontroll- und datenfreaks sind sie auch noch.

und sie haben eigentlich keine eigene, bzw. nur eine elementar sinnlose und v.a. freudlose existenz - sie sitzen quasi, und hier ist dieses wort tatsächlich einmal angebracht, parasitär auf der lebendigen subjektivität der menschen, bei der die subjektive zeit eine untrennbare rolle spielt, und saugen diese ab.

ein grauer herr der neuzeit

(ganz nebenbei gesagt, halte ich übrigens "agent smith" und seine kollegen aus der matrix für die grauen herren der neuzeit - die regisseure der "matrix" haben mit ihrem lustigen zitatewahn im film einmal eine schneise (nicht nur) quer durch die gesamte pop-kultur gezogen, und sich dabei an etlichen, teils sogar noch unerkannten quellen bedient - die grundsätzlichen eigenschaften der grauen jedenfalls sind bei agent smith imo ebenfalls vorhanden, mit betonung der virtuellen pseudoexistenz - und gesteigerter bösartigkeit. aber das, wie gesagt, nur ganz nebenbei).

was der graue wicht im friseursalon dann zwecks zeitsparens empfiehlt, lässt sich unter diesen voraussetzungen lebhaft ahnen - ich füge es trotzdem noch an, auch deshalb, weil es so fatale strukturelle ähnlichkeiten mit gewissem managementgeschwätz unserer zeit besitzt (und das buch wurde immerhin vor über dreissig jahren geschrieben).

"Aber, mein Bester", antwortete der Agent und zog die Augenbrauen hoch, "Sie werden doch wissen, wie man Zeit spart! Sie müssen zum Beispiel einfach schneller arbeiten und alles Überflüssige weglassen. Statt einer halben Stunde widmen Sie sich einem Kunden nur noch eine Viertelstunde. Sie vermeiden zeitraubende Unterhaltungen. Sie verkürzen die Stunde bei Ihrer alten Mutter auf eine halbe. Am besten geben Sie sie überhaupt in ein gutes, billiges Altersheim, wo für sie gesorgt wird, dann haben Sie bereits eine ganze Stunde täglich gewonnen. Schaffen Sie den unnützen Wellensittich ab! Besuchen Sie Fräulein Daria nur noch alle vierzehn Tage einmal, wenn es überhaupt sein muß. Lassen Sie die Viertelstunde Tagesrückschau ausfallen und vor allem, vertun Sie Ihre kostbare Zeit nicht mehr so oft mit Singen, Lesen oder gar mit Ihren sogenannten Freunden. Ich empfehle Ihnen übrigens ganz nebenbei, eine große gutgehende Uhr in Ihren Laden zu hängen, damit Sie die Arbeit Ihres Lehrjungen genau kontrollieren können."

("momo", s. 67)


ein antisoziales programm der selbstgeisselung, welches aber heute bei den propagandistischen predigern der verdinglichung von allem und jedem eine art zustimmendes grunzen hervorrufen dürfte - ende hat da doch tatsächlich so etwas wie einen sehr frühen entwurf zum selbstmanagement einer ich-ag geschaffen...

das ergebnis ist in der fiktion natürlich genauso verheerend wie in der realität - nachdem herr fusi den pakt mit dem unterteufelchen geschlossen hat, sah dann das leben unter zeitsparzwang so aus:

"Und dann kam der erste Kunde an diesem Tag. Herr Fusi bediente ihn mürrisch, er ließ alles Überflüssige weg, schwieg und war tatsächlich statt in einer halben Stunde schon in zwanzig Minuten fertig.
Und genauso hielt er es von nun an bei jedem Kunden. Seine Arbeit machte ihm auf diese Weise überhaupt keinen Spaß mehr, aber das war ja nun auch nicht mehr so wichtig. Er stellte zusätzlich zu seinem Lehrjungen noch zwei weitere Gehilfen ein und gab scharf darauf acht, daß sie keine Sekunde verloren. Jeder Handgriff war nach einem genauen Zeitplan festgelegt. In Herrn Fusis Laden hing nun ein Schild mit der Aufschrift: GESPARTE ZEIT IST DOPPELTE ZEIT!

An Fräulein Daria schrieb er einen kurzen sachlichen Brief, daß er wegen Zeitmangels leider nicht mehr kommen könne. Seinen Wellensittich verkaufte er einer Tierhandlung. Seine Mutter steckte er in ein gutes, aber billiges Altersheim und besuchte sie dort einmal im Monat. Und auch sonst befolgte er alle Ratschläge des grauen Herrn, die er ja nun für seine eigenen Entschlüsse hielt.

Er wurde immer nervöser und ruheloser, denn eines war seltsam: Von all der Zeit, die er einsparte, blieb ihm tatsächlich niemals etwas übrig. Sie verschwand einfach auf rätselhafte Weise und war nicht mehr da. Seine Tage wurden erst unmerklich, dann aber deutlich spürbar kürzer und kürzer. Ehe er sich´s versah, war schon wieder eine Woche, ein Monat, ein Jahr herum und noch ein Jahr und noch eines. (...)

Es war so etwas wie eine blinde Besessenheit über ihn gekommen. Und wenn er manchmal mit Schrecken gewahr wurde, wie schnell und immer schneller seine Tage dahinrasten, dann sparte er nur um so verbissener."

("momo", s. 69)


hier hat ende imo zuwenig vorstellungsvermögen besessen - damals war es eher noch nicht denkbar, dass die grauen herren der märkte ihren lohnarbeitssklaven nicht nur die zeit klauen würden, sondern inzwischen auch ganz ihre seele haben wollen: mürrisch zu sein kann heute schon einen vertraglich festgehaltenen entlassungsgrund darstellen...gute mine zum bösen spiel ist gefordert - simulative fähigkeiten.

ansonsten kam mir gerade noch die assoziation, dass die jahre der vermutlichen entstehung des buches auch jene zeit gewesen ist, in der es zu einigen recht umwälzenden entwicklungen in der industriellen produktion gekommen ist, gerade was die rationelle ausnutzung der arbeitskraft speziell in der fließbandproduktion anbelangte. werde ich nochmal nachschauen.

tja, und das phänomen der immer schneller dahinrasenden zeit ist meiner erfahrung nach als wahrnehmung stark verbreitet. ganz entschieden weniger stark ist jedoch die frage im umlauf, ob diese art der zeitwahrnehmung nicht etwas mit der allgemeinen destruktiven entwicklung unserer sozialen verhältnisse zu tun haben könnte. das wäre sicher ein interessanter diskussionspunkt.

*

haben Sie sich übrigens schon einmal genauer mit der - hm, bewegung beschäftigt, die schon seit einiger zeit unter dem namen slowfood mehr und mehr um sich zu greifen scheint, allerdings bisher hauptsächlich in materiell privilegierten kreisen? es lohnt sich sehr, sich näher mit einigen überlegungen zu beschäftigen:

"Slow Food steht in diesem Zusammenhang für Produkte mit authentischem Charakter, die auf traditionelle oder ursprüngliche Weise hergestellt und genossen werden.(...)

In einer programmatischen Erklärung werden die Ziele der Bewegung erläutert.

* Der Genuss steht im Mittelpunkt - weil jeder Mensch ein Recht darauf hat.
* Qualität braucht Zeit.
* Die ökologische, regionale, organoleptische und ästhetische Qualität ist Voraussetzung für Genuss.
* Geschmack ist keine Geschmackssache, sondern eine historische, kulturelle, individuelle, soziale und ökonomische Dimension, über die durchaus gestritten werden soll.(...)"


"slowfood" besitzt dabei über die thematisierung von qualität und produktion von nahrung durchaus etliche links zu ökonomiekritischen strömungen einerseits, ist aber auch andererseits der auffälligste teil einer gesellschaftlichen strömung noch nicht so recht abschätzbaren ausmaßes, die sich allgemein der verzögerung der zeit widmet:

"Wer hastet, gilt als wichtig. Wer Nächte durcharbeitet, als fleissig, belastbar und erfolgsorientiert. Wer hingegen Zeit hat, gar Lücken im Terminkalender, macht sich verdächtig, ein Nichtsnutz, Tagedieb oder Siebenschläfer zu sein. Tagsüber wird deshalb in unseren Breitengraden nur heimlich geschlafen, hinter heruntergelassenen Jalousien und verschlossenen Klotüren, als ob sich’s hierbei um ein strafbares Vergehen handelte." (von der page des "vereins zur verzögerung der zeit")

mit einer sehr verwandten bis ähnlichen thematik, aber ganz offen bezogen auf die sog. arbeitswelt, beschäftigt sich auch die Initiative zur Rehabilitierung von Muße & Müßiggang aus bremen, die u.a. eine hübsche sammlung von zitaten zum thema bietet.

ich finde es durchaus ein gutes zeichen, wenn sich ein bewußtsein und auch ein gefühl dafür entwickelt, dass dem zugriff des objektivistischen und verdinglichenden wahnsinns, der sich - seinen inneren gesetzen folgend - totalitär auf raum und zeit erstreckt, eben auch auf allen betroffenen ebenen stoppschilder entgegengesetzt werden. die eigene zeit wiederzufinden, ist dazu noch etwas, was als aufgabe von jedem und jeder von uns angegangen werden kann - die eigenen - authentischen - rhythmen zu leben, bspw. was den schlaf angeht, kann in den heutigen sozialen umständen durchaus explosive qualitäten entwickeln.

*

das thema "zeit im objektivistischen modus" oder auch zeit und beziehungskrankheiten wird hier bestimmt nochmal wieder auftauchen. vielleicht sind Sie jetzt aber auch schon selbst auf den geschmack gekommen, sich näher damit zu beschäftigen - seltsamerweise spielt der aspekt der menschlichen zeitwahrnehmung generell kaum irgendwo eine größere rolle. wäre gut, wenn sich das ändert.

zum schluß: habe ich schon mal erwähnt, dass ich seit jahrzehnten ohne armbanduhr und kalender auskomme? und das das ein ziemlich cooler zustand ist, wie ich finde? es gibt durchaus so etwas wie eine innere uhr, die ich in gewissen grenzen auch als "wecker" nutzen kann. und wenn termine wirklich wichtig sind, bleiben sie auch im gedächtnis - wenn sie eine bedeutung für mich haben. ist eine trainings- und gewohnheitssache. ständiges auf-die-uhr-starren jedenfalls macht mich auch dann nervös, wenn ich es bei anderen mitbekomme.

und jetzt bin ich müde genug, um diesen beitrag beenden zu wollen. danke für die zeit, die Sie sich genommen haben.

*

edit bzw. nachtrag:

"ansonsten kam mir gerade noch die assoziation, dass die jahre der vermutlichen entstehung des buches auch jene zeit gewesen ist, in der es zu einigen recht umwälzenden entwicklungen in der industriellen produktion gekommen ist, gerade was die rationelle ausnutzung der arbeitskraft speziell in der fließbandproduktion anbelangte. werde ich nochmal nachschauen."

habe ich noch mal nachgeschaut - und siehe da, die erinnerung trog mich nicht:

"Das MTM-Verfahren (Methods-Time Measurement), in Amerika von einer Gruppe von Wissenschaftlern entworfen, wird vertrieben und verkauft.... (diese angaben dürften heute nicht mehr relevant sein, darum spare ich sie hier aus, anmerk. mo)

An die 300 Firmen in der Bundesrepublik sind bisher auf dieses profitintensivste System abonniert. - Bei MTM geht man davon aus, daß es für jeden Arbeitsvorgang ein meßbares Minimum an notwendigen Bewegungen gibt. Für jede dieser Bewegungen wird eine Normzeit festgesetzt, die von jedem Menschen erreicht werden soll, egal ob es sich um einen jungen oder alten, Mann oder Frau, um einen Starken oder Schwachen, um einen ehemaligen Teppichknüpfer oder einen an Fließbandarbeit Gewöhnten handelt.

Bevor die Methode auf den Markt kam, wurde sie monatelang getestet. Für den Bewegungsvorgang "Gehen" ließ man Menschen von unterschiedlicher Größe, Gesundheit, Hautfarbe, Alter, Geschlecht, entwickelter Intelligenz im Kreis herumlaufen. Immer verfolgt von einem Kameraauge. Aus der Zahl der aufgenommenen Bilder wurde ein Mittelwert errechnet und auf eine Grundeinheit bezogen, die den 100.000. Teil einer Stunde ausmacht. Ergebnis: die sogenannte Normzeit. In der gleichen oder ähnlichen Weise wurden die verschiedenen MTM-Grundbewegungen gemessen. Dabei unterscheiden die Unternehmer und ihre Wissenschaftler drei Arten von Grundbewegungen:

1. Wirksame Bewegungen, z.B. Hinlangen, Greifen.
2. Verzögernde Bewegungen, z.B. Überlegen, Entscheiden, Lesen.
3. Unwirksame Bewegungen, z. B. Sichunterhalten, Träumen, Aufheben eines Teils, das auf den Boden gefallen ist. (die "nutzlosen dinge", die der graue herr oben anprangerte...anmerk. mo) Als Grundbewegungen anerkannt sind Hinlangen, Greifen, Bringen, Loslassen, Fügen, Trennen, Drücken, Drehen, Kurbeldrehen.

Als Blickfunktionen gelten: Anvisieren, Blickverschieben, Lesen.
Körper-, Bein- und Fußbewegungen sind: Seitenschritt, Beugen, Aufrichten vom Beugen, Fuß bewegen, Knien, Sichsetzen, Sicherheben, Körperdrehung, Gehen.

Auf der Basis dieser Normwerte werden die einzelnen Arbeitsplätze analysiert und eingerichtet. Der ökonomische Vorteil dieser Methode wird in einer Informationsschrift eines Unternehmens so angepriesen:

`Es wird versucht, alle nicht unmittelbar zum Arbeitsfortschritt beitragenden Bewegungen zu eliminieren.´

Über den politischen Vorteil heißt es:

`MTM verlagert Beschwerdegründe von subjektiven Beurteilungen auf objektive.´(...)"

(engelmann / wallraff "ihr da oben - wir da unten"; erstausgabe 1973 (das gleiche jahr, in dem "momo" erschienen ist also); ich zitiere hier von s. 110 - 112 der rororo-taschenbuchausgabe von 1976)


"...verlagert Beschwerdegründe von subjektiven Beurteilungen auf objektive." ja-ha, schon verstanden. heisst soviel wie: "wir ignorieren deine primären (selbst-)wahrnehmungen, sie sind vollkommen irrelevant und sogar störend (für uns) - wir tun einfach so, als ob sie nicht vorhanden wären bzw. beweisen dir ganz objektiv, dass du im unrecht bist." implizit wird damit natürlich auch vermittelt, die eigene, primär subjektiv-körperbezogene wahrnehmung als irrelevant zu begreifen bzw. sie derart zu entwerten. was in kulturen, die traditionell genau diesen destruktiven vorgang als festen bestandteil ihrer kindererziehungspraktiken über jahrhunderte verankert haben, natürlich bei den betroffenen menschen auf eine schon entsprechend vorgeprägte struktur trifft.

"MTM", so dachte ich beim lesen des obigen, wird ja wohl heute im zeitalter der pc-arbeitsplätze keine so große rolle mehr wie vor dreissig jahren spielen? dem ist überhaupt nicht so, und zwar nicht nur, was die sphäre der automatisierten produktion in den bereichen anbelangt, die weiterhin auf menschliche (zu-)arbeit angewiesen sind - siehe bspw. hier:

"Dem Labor für Arbeitswissenschaft des Fachbereichs Maschinenbau und Produktion der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) ist der MTM-AWARD/Förderpreis 2004 verliehen worden.

Methods Time Measurement, kurz MTM genannt, ist ein Verfahren zur Beschreibung, Gestaltung und Planung von Arbeitssystemen mittels definierter Prozessbausteine. Das Verfahren kommt überall zum Ein¬satz, wo verrichtungsorientierte menschliche Arbeit geplant, organisiert und durchgeführt werden muss. MTM-Anwendungen findet man in der Fertigung, Qualitätskontrolle, Logistik und Instandhaltung ebenso wie in der Verwaltung oder im Dienstleistungsbereich. MTM ist heute weltweit das meist verbreitetste Verfahren "Vorbestimmter Zeiten" und bildet damit an jedem Standort global tätiger Unternehmen eine einheitliche Planungs- und Leistungsnorm.(...)"


recherchieren Sie einfach mal selbst - mit der phrase "mtm-verfahren".

Sonntag, 28. Mai 2006

assoziation: von "vernünftigen" motivationen in einer ver-rückten kultur

im vorläufig aktuellsten kommentar hier (ganz unten) wurde von loellie etwas angesprochen, was ich für enorm wichtig halte - scheint mir hier doch eine art mißverständnis vorzuliegen, welches ich aus der welt räumen möchte:

"bestenfalls koennte ich mahnen es sich nicht zu einfach zu machen, soziokulturelle und politische entwicklungen ueber wahn, ueber geisteskrankheit zu erklaeren. dafuer schreibst du aber wiederum zu differenziert."

nun, wenn du nicht noch den letzten satz angefügt hättest, hätte ich zum leicht ärgerlichen ratschlag gezwungen gesehen, dann doch nochmal etliche beiträge hier genau zu lesen ;-)

aber so bietet mir das eine vorlage, die ich umgehend verwandeln möchte, um zusammenfassend meine jetzigen positionen zu der obengenannten frage darzustellen:

1. ich habe zwar noch nicht explizit genau zu der frage hier geschrieben, es jedoch in vielen beiträgen immer wieder thematisiert bzw. umrissen: aus meiner perspektive deuten sehr viele und auch sehr überzeugende indizien darauf hin, dass das verständnis von wahnsinn (im weitesten sinne), für dessen definition quasi ein monopol der westlichen psychiatrie/psychologie existiert, hoffnunglos unterkomplex ist in dem sinne, dass aufgrund der herkunft dieser disziplinen aus der tradition der westlichen wissenschaft, welche u.a. von descartes und newton (ich erinnere mal kurz an den entsprechenden beitrag) tiefgreifend geprägt wurde, bestimmte strukturelle grenzen, wahrnehmungsverzerrungen und blinde flecken, die innerhalb des newtonisch-cartesianischen weltbildes zu finden sind, unreflektiert und im schlechtesten sinne bewusstlos übernommen worden sind (das es nicht so widerspruchsfrei und ausnahmslos geschehen ist und geschieht, ist mir schon klar, ebenso wie die tatsache, dass es auch in den benannten disziplinen einige gegenentwürfe gibt. für den mainstream jedoch - einerseits in gestalt der primär biologistisch orientierten psychiatrie, andererseits in den formen von verhaltens- und tiefenpsychologie (letztere mit starken bezügen zur psychoanalyse) - trifft diese "diagnose" imo durchaus zu).

es lässt sich mit einigem recht von einer stark fragmentierten - dissoziativen - , beziehungsfeindlichen und objektorientierten theorie und praxis in allen bereichen der westlichen kultur (europa, usa und mit einigen abstrichen in neuerer zeit auch speziell japan) sprechen, von der faktisch ausnahmslos alle bewohnerInnen der entsprechenden länder direkt und indirekt betroffen sind. was schwer zu erkennen ist, da diese spezielle art der objektivistischen weltwahrnehmung für uns quasi die normalität darstellt - und an dieser stelle führe ich immer wieder gerne die metapher vom wasser an, welches unter garantie nicht zuerst von einem fisch entdeckt worden ist...

aufgrund der eigenart der menschlichen wahrnehmungsoptionen gehört das, was die als solche wahrgenommene - und so definierte - normalität strukturiert und prägt, zu den am schwersten zu erkennenden strukturen überhaupt. es braucht dafür meiner erfahrung nach einen bestimmten inneren und äußeren abstand/distanz, mithin also ironischerweise eine art pseudoautistischer position, um die strukturell autistischen elemente des westlichen welt- und v.a. menschenbildes zu ahnen.

um es nicht völlig ausufern zu lassen: bezgl. westlicher psychiatrie/psychologie (und auch der medizin allgemein) hat das bis heute immer noch zur folge, als krank wahrgenommene bzw. definierte menschen aus ihrem jeweiligen kontext heraus zu lösen und sie quasi wie ein beliebiges, einzelnes objekt zu betrachten und zu behandeln - und das ist nichts anderes als dissoziierte wahrnehmung! das mag auf den ersten blick zu hart und auch zu pauschal klingen - aber wer einmal einen blick auf den kern der mainstreambestimmenden entsprechenden theoriegebäude wirft, kann die ideologische basis schon erkennen, die in sowohl ausdruck als auch trigger dieser wahrnehmungsposition ist (auch hierzu empfehle ich einmal mehr den herrn mertz, der diese arbeit hinsichtlich der verhaltenspsychologie und orthodoxer psychoanalyse ansatzweise bereits geleistet hat).

und von "ideologischer basis" schreibe ich deshalb, weil es genau darum geht: die oben skizzierte "wissenschaftliche" herangehensweise basiert imo auf einer realitätswidrigen fiktion, einem produkt - besser: einer phantasie - des wahrnehmungsmodus, der hier schon oft als objektivistisches bewußtsein benannt worden ist.

realitätswidrig deshalb, weil die authentische und faktisch unzerstörbare menschliche realität eine beziehungsrealität ist, war, und auch immer sein wird. kein mensch kann in einem sozialen vakuum existieren, ja überhaupt leben - und das beweisen in aller schärfe gerade die realitäten von pränataler existenz und kindheit, in der wir ausnahmslos alle überhaupt erst durch elementare beziehungen sowohl alle nötigen grundlagen für unser soziales leben als auch überhaupt für unsere physikalische existenz erhalten. mertz hat in einem ähnlichen zusammenhang sinngemäß mal geschrieben: "das ist so, ob es einem nun passt oder nicht - darüber lässt sich nicht diskutieren". ich stimme zu und füge die notwendige ergänzung an, dass es sich um eine ebenso elementar körperlich-sinnlich-materielle realität handelt

bestimmte ansätze der sog. humanistischen psychologie, therapeutische strömungen wie die systemische familientherapie oder auch körpertherapeutische ansätze, wie auch die vor ein paar tagen erwähnte relationale psychoanalyse versuchen im wesentlichen, die obige wahrnehmungsposition zu berücksichtigen und darauf basierend ein realistischeres modell des menschlichen lebens zu entwickeln - und darüber werden dann auch ganz zwangsweise die definitionen von gesundheit/krankheit eine neubewertung erfahren müssen (wobei ich z.zt. ebenfalls zur ansicht von mertz tendiere, dass derlei ansätze zwar grundsätzlich hoffnungsvoll, aber noch zu wenig radikal in dem sinne sind, dass sie die ganze mögliche dimension der dissoziativen theorie und praxis noch nicht erfassen bzw. noch zu stark selbst entsprechende elemente aufweisen - die systemische familientherapie focussiert bspw. berechtigterweise auf die entsprechenden beziehungskonstallationen ihrer klienten, weist dabei aber in ihrer systemischen ausrichtung einen unangenehmen mechanistischen touch auf und berücksichtigt ebenso wie die meisten psychologischen gegenentwürfe nicht die körperliche basis des sozialen. während die körpertherapeutischen richtungen v.a. in der tradition von wilhelm reich genau dies tun, dafür aber wiederum meist ungenügend das soziale feld berücksichtigen (was reich übrigens durchaus nicht praktiziert hat) - ausnahmen bestätigen die regel, und meine besten erfahrungen habe ich mit einer körpertherapeutin gemacht, die sowohl das eine als auch das andere unverzichtbar fand - ohne sich groß um theorien zu kümmern - eine in diesem fall lebendige frau/lebendiger mensch braucht vermutlich eh nur ein gesundes gleichgewicht im sinne einer primär sinnlich fundierten und vollentwickelten (selbst-)wahrnehmung (u.a. mit intuition und empathie) und dem funktional nachgeordneten objektivistischen werkzeug, welches dann auch als werkzeug "korrekt" be- und genutzt werden kann - und zwar nur da, wo es auch wirklich angebracht ist ).

in dieser kleinen und natürlich unvollständigen darstellung wird vielleicht schon deutlich, warum ich zu der anfangs erwähnten wertung "hoffnungslos unterkomplex" bzgl. des verständnisses von wahnsinn komme - wenn die theorien der konzepte und behandlungsverfahren von "verrückheiten" in einer gesellschaft nämlich genau aus den quellen entstammen und mit den gleichen methoden entwickelt werden, aufgrund derer menschen überhaupt erst ver-rückt werden - dann ergibt das ein hübsches, wenngleich fatales paradox mit unabsehbaren konsequenzen!

die arbeiten von deMause, die darauf hinauslaufen, dass er eine fast schon totalitär zu nennende dominanz von traumatischen strukturen (auch im sinne von post-trauma-folgen bzw. strukturen) in fast allen menschlichen kulturen herausarbeitet, haben mir da ein ganzes stück weitergeholfen, v.a. hinsichtlich von beobachtungen und fragen, die mir schon seit jahren durch den kopf gingen:

warum wird in dieser (westlichen, ich beschränke mich hier mal auf diese, obwohl die fraglichen probleme nicht einzig sie betreffen) kultur traditionell dem "geistigen/mentalen/spirituellen" bereich so eine aufmerksamkeit geschenkt bzw. das quasi als das einzig "wirklich menschliche" angesehen?

aus welcher quelle stammt die mit dem obigen dahergehende und ebenso traditionelle körperfeindschaft, wie sie durch religion, philosophie etc. bis heute vermittelt wird? (wieder: die brüche in dieser wahrnehmung sind mir teils bekannt, aber durchaus kein mainstream - der sog. "körperkult" heute ist keine wirklich andere wahrnehmung, sondern beruht auf der (selbst-)wahrnehmung des eigenen körpers als eines instrumentes, welches zwecks weiterführung des konkurrenzkampfes innerhalb der sog. "leistungsgesellschaft" halt "in schuß" gehalten bzw. gebracht werden muss - die dominanz des objektivistischen modus ist in dieser konstellation keinesfalls aufgehoben, sondern lediglich den aktuellen realitäten angepasst worden).

warum diese verherrlichung von "objektivität" (eine unmögliche position in der realität), bei gleichzeitiger abwertung alles subjektiven und tiefem misstrauen gegen alles "emotionale"? (welches teils tatsächlich berechtigt erscheint - aber auch hier die frage, warum gefühle bei heutigen menschen teils so extrem und negativ-irrational erscheinen können? auch dafür sind gründe vorhanden). warum diese starken tendenzen zur vereinzelung (die ideologisch als "individualität" imo völlig falsch bezeichnet wird), der allgegenwärtige pessimismus über die angebliche schlechtigkeit der "menschlichen natur" (siehe z.b. hier und auch hier)? und warum auch die existenz von "geistigen" strömungen wie dem sog. transhumanismus oder auch der früher bereits vorgestellten richtung des sog. objektivismus, die beide auf eine un-menschliche zukunft hinarbeiten in dem sinne, dass sie die eigentlich wesentlichen menschlichen züge faktisch als zu überwindende "defekte" deklarieren?

solche kulturellen auffälligkeiten hatte ich früher schon mal unter dem titel cyborgs oder der dringende wunsch, den eigenen körper verlassen zu wollen kurz umrissen: woher stammen die auffälligen fiktionen und wünsche nach der eigenen "transzendenz", hin zum "geistigen", weg vom körperlichen, für die nicht nur das mir sehr liebe sci-fi-genre immer wieder teils ausgefeilteste konstruktionen liefert, sondern die auch einen tragenden bestandteil ganz anderer kultureller bereiche darstellen, auch historisch belegbar? ich hatte damals u.a. geschrieben:

"warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar."

und genau an dieser stelle liefert die psychohistorische betrachtungsweise genauso wie die aktuellen forschungen aus den bereichen der psychotraumatologie hinsichtlich dissoziativer zustände vielleicht ganz entscheidende hinweise - einerseits mit der darstellung der tatsächlich vorhandenen sozialen gewalt gerade gegen kinder (deMause, wobei er für mein verständnis zuwenig die traumatisierungen erwachsener menschen und ihre konsequenzen untersucht), andererseits mit einem fortschreitenden verständnis des phänomens der dissoziation - auszüge aus einem sehr empfehlenswerten text:

"Die schwere Traumatisierung wird von dem Kind als lebensbedrohlich und unausweichlich erlebt, so daß für ein hoch dissoziationsfähiges Kind die Möglichkeit besteht, das Geschehen mit Hilfe des zur Verfügung stehenden frühen Abwehrmechanismen der Dissoziation "unschädlich" zu machen (Sachs et al. 1988). Dabei blendet es in der Traumatisierung selbst seinen normalen Bewußtseinszustand völlig aus und geht in eine Art tiefer Trance, mit deren Hilfe das Geschehen hinter eine amnestische Barriere "gebannt" wird. Dieses abgespaltene Fragment bewahrt das traumatische Erinnerungsmaterial. Gerät das Kind immer wieder in eine ähnliche Traumasituation, kann das abgespaltene Fragment durch entsprechende (mit der ursprünglichen Situation verbundenen) Auslöser (trigger) stets auf’s Neue ins Bewußtsein geschwemmt werden. Es ruft den veränderten Bewußtseinszustand hervor und läßt zunächst alternierende Bewußtseinszustände (dissociative states) entstehen, aus denen unter Umständen dissoziierte Persönlichkeitszustände werden (dissociative fragments). Im Extremfall, das heißt bei fortgesetzter langjähriger Traumatisierung, dissoziative Alternativ-Ichs als "eigenständige Persönlichkeiten" (dissociative alters). In diesem Sinne ist die Dissoziative Identitätsstörung eine hochkomplexe und differenzierte Anpassungsleistung der Person (bereits als Kind).

„Man kann sich also die Dissoziation so vorstellen, daß ein massiver Affektdruck in einer unerträglichen Situation, insbesondere bei regelhafter Wiederholung solcher Situationen, zu einer Kanalisierung und Automatisierung des Erlebens auf mehreren ‘Bahnen’ führt, die dann zu abgrenzbaren Gedächtnissen, Emotionen und Verhaltensweisen - bis hin zu Persönlichkeiten- sich ausbilden ... Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" (Hoffmann 1994, S.22).

Da der dissoziative Vorgang der Abspaltung die (dringend benötigte) emotionale Erleichterung verschafft, wird er, wie jede andere erlernte erfolgreiche Strategie, in verschiedenen Streßsituationen häufiger und zunehmend einfacher angewandt. Dabei steht der Zeitpunkt der ersten Spaltung in engem Zusammenhang mit dem Beginn der Traumatisierung (Putnam et al. 1986), danach entstehende Identitäten können nicht nur "Traumaanteile" tragen, sondern auch dem "unauffälligen Weiterfunktionieren" dienen zum Beispiel als Innere Selbsthelfer-, Beobachter- oder Beschützer-Anteile.
Neben den dissoziativen Fähigkeiten und den Traumatisierungen in der Kindheit durch einen oder beide Elternteile lassen sich in Untersuchungen überdurchschnittlich viele Berichte und Diagnosen von psychiatrischen Auffälligkeiten, Krankheiten oder dissoziativen Störungen in der Ursprungsfamilie von PatientInnen mit einer dissoziativen Identitätsstörung finden (Kluft et al. 1984; Braun 1984, 1985). Diese "Familienpathologie" scheint auf eine familiär erhöhte Vulnerabilität der Störung hinzuweisen, und zwar nicht (nur) aufgrund einer möglichen biologischen Basis, sondern vor allem wegen des dysfunktionalen und traumatisierenden Familiensystems."


"Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" - wenn Sie sich bereits einmal mit berichten von kz- und folterüberlebenden oder auch misshandelten kindern beschäftigt haben, werden Sie sich vielleicht selbst an viele berichte erinnern können, in denen diese extreme wahrnehmungsposition von de-realisierung und dissoziation eine rolle spielt - "es passiert gar nicht mir, ich betrachte das ganze (gewalt-)geschehen als *beobachter von außen*" - eine im wahrsten sinne des wortes unmögliche position in der realität, die n u r fiktional herstellbar ist, mittels extremer wahrnehmungsreduktion - und unter maßgeblicher beteiligung vom dem teil unserer psychophysischen grundausstattung, der hier im blog als objektivistischer modus bezeichnet wird? das fragezeichen deshalb, weil dafür in meiner sicht zwar einige hinweise vorliegen (u.a. die tatsache, dass trance- und dissoziationszustände auch beim klassischen autismus eine starke rolle zu spielen scheinen, der wiederum bspw. nach dem ansatz von mertz eine geradezu paradigmatische erscheinungsform - besser wäre vielleicht: entgleisungsform, weil er in einer monopolposition die gesamte wahrnehmung dominiert - des objektivistischen modus und dem, was als "psychose" bekannt ist überhaupt darstellt), das ganze feld jedoch noch einen zu verwirrenden eindruck macht, der sich aber sehr langsam zu klären scheint.

mir selbst sind jedenfalls dissoziative zustände in "milderer" form durchaus nichts unbekanntes, und wenn ich in alten tagebüchern von mir blättere, dann kann ich in vergangenen krisenzeiten diese phasen durchaus kennzeichnen - wenn "der kopf" in einer art und weise dominiert, dass die "restliche" wahrnehmung wie ausgeschaltet erscheint, und eben dadruch alles "wie auf sand gebaut" erscheint, gerade und besonders beziehungen zu anderen - alles wird unsicher, diffus und bekommt auch einen bedrohlichen touch.

ich behaupte übrigens, dass auch die meisten von Ihnen mit dissoziativen zuständen bekanntschaft haben dürften - die sog. multiple persönlichkeit stellt "nur" die extremform eines spektrums dar, welches auf der milderen seite zb. auch durch tagträume und kurze "abwesenheiten" gekennzeichnet ist - für die meisten von uns eine "normalität", die dringend einer genaueren betrachtung bedarf.

steigen wir mal kurz verschärft in den objektivistischen modus ein und veranstalten ein fiktionales gedankenexperiment - stellen Sie sich einmal die westliche kultur als einzelnen menschen vor, der die oben erwähnten kulturellen auffälligkeiten als persönlichkeitszüge aufweist:
  • lebt "im kopf" (verherrlichung der "objektiven" position)
  • misstraut den eigenen (und fremden) gefühlen (abwertung "nur subjektiver" zustände)
  • besitzt keinen bzw. hauptsächlich negativen bezug zum eigenen körper (entfremdung gegenüber der natürlichen umwelt)
  • entwickelt dauernd strategien zur überwindung/kontrolle der eigenen körperlichkeit (extrem: gentechnologie; aber auch viele philosophische richtungen)
  • zeigt einen allgemeinen mangel an empathie für sich selbst und andere (totalitäre bzw. allgemein antisoziale gesellschaftliche entwicklungen, im extrem: kriege)
  • wertet sich selbst einerseits ständig ab, zeigt andererseits deutliche tendenzen richtung dominanz und größenwahn (kultureller pessimismus einerseits, imperialismus und auch rassismus andererseits - interessant übrigens, dass gerade in d-land, einem land mit mehrfach traumatischer geschichte sowohl in täter- als auch opferhinsicht gerade diese art der kollektiven selbstwahrnehmung recht ausgeprägt erscheint)
  • erscheint extrem interessiert und orientiert am besitz von dingen/objekten (vergötzung von "geld und eigentum" - beides sind rein mentale konstruktionen, die nur mittels permanenter gewaltandrohung in der sozialen realität existieren können)
  • lebt zu einem großen teil in halluzinierten realitäten ( staaten, nationen, religionen - bei all dem handelt es sich deutlich ebenfalls um mentale konstruktionen, die ebenso mittels verschiedenster arten von zwängen und auch gewalt als kollektivwahrnehmungen durchgesetzt werden)
  • ...
nun, welche diagnose(n) würden Sie stellen?

aus meiner sicht jedenfalls zeichnet sich recht deutlich eine art von verschiebung ab: ganze kulturen bzw. gesellschaften können offensichtlich aufgrund verbreiteter sozialer gewalt (in allen varianten) im wahrsten sinne des wortes ver-rückt werden - einfach dann, wenn die mehrheit der sie bildenden menschen über generationen hinweg am eigenen leib verschiedensten gewaltformen ausgesetzt ist, die nun mal in der menschlichen psychophysischen struktur bestimmte und vermutlich auch in einem gewissen sinne gesetzmäßige folgen hinterlässt. genau diesen ganz entscheidenden punkt aber begreifen zu können stellt sich deshalb als schweres problem dar, weil eine der folgen dieser gewalt eben auch in einer allgemeinen wahrnehmungsreduktion liegen kann, die sich bis hin zur offensichtlichen realitätsleugnung, verschiedensten "mentalen" tricks und strategien (das "als-ob" gehört imo auch hierzu) und zu kollektiven halluzinationen zwecks abwehr der unerträglich scheinenden einsichten über den eigenen zustand - verbunden mit (todes-)ängsten, demütigungen, schmerzen - zu entwickeln vermag. in einem solchen fall wird dann der eigentlich verrückte zustand zur kollektiven, individuellen und alltäglichen realität, die sich als "normalität" maskiert.

und so nehmen wir mehr oder weniger gleichmütig und tatsächlich wie in trance selbst die offensichtlichsten und größten verbrechen an unseren mitmenschen hin, von "eliten" konzipiert, die wir mehrheitlich selbst in ihre positionen bringen bzw. dort tolerieren bzw. als quasidelegierte beauftragen, und als deren bereitwillige instrumente wir uns bei durchführung dieser verbrechen immer wieder erweisen - d-land im nationalsozialismus ist dafür nur das deutlichste beispiel. wie, Sie betrachten sich als unschuldig? sorry, aber wir als mehrheitlich weiße bewohnerInnen der sog. zivilisierten welt leben auf einem wahren knochengebirge und sind von meeren aus blut umgeben - ich wette, ich kann nicht nur bei mir bspw. ganz harmlose alltägliche konsumobjekte in der wohnung finden, die Sie von eindeutig antisozial handelnden produzenten erworben haben, die historisch und aktuell in ihrem handeln nur noch mit der klassischen mafia zu vergleichen sind - zu der womöglich der einzige unterschied darin liegt, dass die "geschäftszweige" von letzterer formal (noch) illegalisiert sind. weitere beispiele spare ich mir hier; ich vermute dass die meisten leserInnen hier selbst darüber genügend bescheid wissen. jedenfalls macht uns diese freiwillig-unfreiwillige involviertheit mehr oder weniger alle zu komplizen der antisozialen strukturen, was einerseits sowohl die täter-opfer-dialektik nochmals unterstreicht, andererseits für alle projekte von befreiung und emanzipation fragen aufwirft, die in ihrer ganzen komplexität und wichtigkeit überhaupt ersteinmal zu begreifen sind, was imo wiederum nicht ohne möglichst detaillierte kenntnis der menschlichen struktur gelingen kann - und dazu gehören die uns zur verfügung stehenden wahrnehmungsoptionen, ihre grundlagen und möglichen defekte, untrennbar hinzu. und damit steht dann wie von selbst auch das thema "was begreifen wir warum als wahnsinn?" zur debatte.

*

2. um nochmals direkt zur anmerkung von loellie ganz oben zu kommen: es sollte bis hierher nochmals deutlich geworden sein, dass die klassischen assoziationen bzw. bilder wie auch die bisher etablierten wissenschaftlichen definitionen zu den begriffen "wahnsinn" und "geisteskrankheit" in ihrer überwältigenden mehrheit völlig an den phänomenen vorbeigehen, die eigentlich mit guten gründen dazugerechnet werden müssen - einige eher in unseren allgemeinen kulturellen verhältnissen liegende ursachen habe ich versucht zu skizzieren.

aber schlimmer noch: es ist durchaus vorstellbar und wahrscheinlich, dass die entsprechenden definitionen einer verrückten kultur geradezu auf dem kopf stehen könnten, will sagen: das sie möglicherweise eindeutig authentisch-menschliches soziales verhalten in all seinen möglichen facetten als pathologisch definieren. einige hinweise darauf gibt es hinsichtlich der möglichen heilungspotenziale und ganz subjektiv wichtigen erkenntnisse für die betroffenen, die in den sog. schizophrenen psychosen verborgen liegen könnten - wohlgemerkt, damit will ich diese art von psychosen keinesfalls glorifizieren.

gerade aber diese als "wirklich" verrückt - weil offensichtlich gegen die aktuell herrschenden normen von "objektivität" verstoßend, die in einer mindestens teilweise verrückten kultur imo nicht besonders ernst genommen werden sollten - geltende form der psychose ist sehr wahrscheinlich als paradigma für den tatsächlich vorhandenen wahnsinn völlig ungeeignet - wenn die psychotiker des strukturell autistischen typs, wie sie hier bspw. in gestalt des sozio-/psychopathen und der "als-ob-persönlichkeit" thematisiert wurden, einigermaßen ausgebildete simulationsfähigkeiten besitzen und dazu mittels ihrer teils extrem ausgeprägten und wegen der oben skizzierten allgemein-kulturellen verschiebung ins "verrückte" als "normal" angesehene art von kalkulierender und objektivistischer intelligenz es schaffen, ihre dadurch entstehenden manipulativen potenziale erfolgreich auszuspielen, so gelingt es dem wahnsinn am ende, in strukturell wichtige und dominante positionen und funktionen der verschiedenen gesellschaften vorzustoßen. mit der folge, das immer breitere und größere gesellschaftliche bereiche in den strudel der destruktion gerissen werden.

und ganz entsprechend sieht dann auch das bild aus, welches die aktuelle "politik" und erst recht unsere außer rand und band geratenen ökonomischen strukturen bieten - und zwar meistens ganz unabhängig von irgendwelchen "politischen" ideologien, ganz und gar nicht unabhängig aber von der ideologie des objektivistischen wahns (die übrigens auch in religiös-"spirituellen" formen erscheinen kann).

das zerrbild des vor sich hin sabbernden psychotikers mit dämonisch blitzenden augen, der sich in der zwangsjacke in seiner zelle hin und her wirft, ist jedenfalls deutlich eine fiktion und stellte real historisch und erst recht aktuell eine absolute ausnahme dar; ebenso wie das nicht begründbare vorurteil, dass wahnsinn immer mit deutlichen einschränkungen der "instrumentellen vernunft" / des objektivistischen bewußtseins einhergehen müsse. auch das betrifft eher nur eine minderheit von tatsächlich wahnsinnigen menschen. eher ist bei den verbreitesten formen des wahnsinns genau das gegenteil der fall: wo die objektive position dominant vorherrscht, kann der wahn erst zu seinen schlimmsten blüten wachsen.

und wie sind nun vor dem hintergrund die konventionellen erklärungen zu betrachten, wie sie bspw. für die ökonomisch-destruktiven antisozialen aktivitäten der sog. eliten herumgeistern? erklärt ein wort wie "profitgier" wirklich etwas? oder sollten wir das nicht eher als eine simulation, eine "als-ob-erklärung" begreifen?

tilmann moser (dessen arbeiten ich im übrigen sehr schätze) hat in einer rezension von deMauses "das emotionale leben der nationen", überwältigt von der fülle an quellen und belegen, die deMause für seine thesen heranzieht, sinngemäß den einwand gebracht, ob es nicht auch manchmal sein könnte, dass "ganz rationale" ökonomische interessen bspw. an irgendwelchen ressourcen wie öl entscheidend an den entscheidungen über krieg und frieden beteiligt sein könnten, relativ unabhängig von den psychophysischen strukturen und determinierungen der beteiligten akteure.

es scheint auf den ersten blick möglich zu sein - aber genau dieser eindruck ist meiner persönlichen meinung nach bereits auf dem dissoziativen mist unserer allgemein verkorksten wahrnehmungsfähigkeiten gewachsen.

erstens ist es bereits völlig unmöglich, einen menschen als "gesund" zu betrachten, der eine anscheinend nüchtern-kalkulierende strategie entwirft, ausdrücklich mit der option auf gewalttätigkeiten anderen menschen ressourcen zu entreißen, die er dringend benötigt - oder aber meint, benötigen zu müssen, was sich imo bspw. im falle des öls zum größten teil so verhält - lebensnotwendig im eigentlichen sinne sind die meisten produkte, die auf erdöl basieren (das sind mehr, als Sie sich vermutlich denken) nämlich nicht. bei einer tatsächlich rationalen (auch emotional-rationalen) betrachtungsweise würde dazu herauskommen, dass wahrscheinlich einige produkte ganz gut durch andere ersetzbar sind, während andere schlicht überflüssig, als verzichtbar und sogar als schädlich erscheinen.

all das stellt bereits eine einschränkung dar, die direkt zur frage führt, warum jemand bestimmte und eventuell sogar exzessive selbstschädigende bedürfnisse entwickelt bzw. jede möglichkeit eines gedankens an die einschränkung eigener konsummöglichkeiten panisch als unakzeptable zumutung ablehnt - etwas modifiziert dürfen bzw. müssen wir diese frage auch an unsere kultur stellen, wie ich finde.

dazu kommt aber noch ein wesentlich wichtigerer grund: wenn der kühl kalkulierte zugriff auf ressourcen (ich bleibe mal bei diesem beispiel) ganz selbstverständlich mit der wahrnehmung gekoppelt ist, die diesem zugriff anscheinend oder tatsächlich "im wege stehenden" menschen lediglich als störende objekte, die beseitigt werden müssen, zu betrachten, dann ist diese position zwingend! ein ausdruck für eine wahrnehmungsreduktion, die entweder funktionell-aktuell oder aber strukturell und chronisch existiert - beide varianten sind mit guten gründen bereits jenseits der grenze zum wahnsinn des antisozialen typs anzusiedeln, weil hier sowohl rücksichtslose grenzüberschreitungen wie auch extreme empathiereduktion bzw. sogar -unfähigkeit konstatiert werden müssen - und das gilt sowohl für das bewußtsein der jeweiligen "eliten" als auch für das bewußtsein derjenigen, die diese grenzüberschreitungen und empathielosigkeit in vorhaben wie kriegen dann umsetzen sollen - ohne ganz entscheidende bewußtseinsveränderungen bzw. psychophysische zustände defektartiger natur sind derlei projekte schlicht nicht zu realisieren. und genau darin liegt der irrtum, dem moser imo unterliegt - er fragmentiert hinsichtliche der fragen nach den motiven menschlichen handelns die ursachen zu sehr, d.h., er spaltet ab und erzeugt dadurch die illusion eines handelns, welches anscheinend durch "pure rationalität" motiviert erscheint - etwas, was wir vermutlich ebenfalls alle gewohnheitsmäßig tun. vergessen tun wir dabei nur, dass die position "pure - objektive - rationalität" erstens als daueroption nur bei echten soziopathen und möglicherweise einigen anderen beziehungskrankheiten denkbar ist, zweitens in einer monopolstellung ein zwingendes indiz für einen schwer gestörten psychophysischen zustand darstellt und drittens in einem gesunden menschen diese position ein absolutes ding der unmöglichkeit darstellt - eine solche position kann immer nur fiktiv sein, auf fiktionen aufbauen und mit fiktionen arbeiten, weil sie nur innerhalb einer weitgehenden beziehungslosigkeit existieren kann. die ebenfalls nur fiktiv möglich ist, denn selbst kanner-autistische schwer behinderte menschen sind nur in diversen untrennbaren weltbezügen existent - sie können diese "lediglich" nicht wahrnehmen.

dann: wieviel geld kann jemand tatsächlich ausgeben, um den eigenen zustand zu verbessern bzw. sich damit "glücklich" machen? selbst, wenn wir eine sogar krankhaft extrem vergrößerte und quasi suchtartige struktur annehmen, die den besitz von möglichst vielen dingen als "notwendig" erscheinen lässt - selbst dann gibt es grenzen dabei, millionen oder sogar milliarden auszugeben. ich teile die ansicht, geld auch und vor allem als synonym für macht anzusehen - und bei der frage, warum jemand macht anstrebt, landen wir ganz selbstverständlich wieder bei der frage nach der jeweiligen psychophysischen struktur - nochmal der herr mertz, ein zitat aus dem basisartikel borderline hier im blog:

"Gesellschaftliche Macht, egal in welcher Form (Geld, Prominenz, `Erfolg´ usw.) scheint als anonyme "Ersatzwährung" für interpersonale Authentizität (Beziehung) zu fungieren: Je mehr Macht, desto geringer die authentischen Anforderungen der Mitwelt."

that´s it. genau auf den (total kranken) punkt gebracht. von dieser perspektive aus betrachtet, wird sowohl das treiben unserer "eliten" als auch unser alltägliches handeln (zumindest in teilen) schlagartig als das sichtbar, was es vermutlich tatsächlich ist: beharrliche und mit ungeheurer energie vorgetragene kompensationsversuche, mittels derer unsere mehr oder weniger geschädigte psychophysis versucht, eine art von homöostase wieder herzustellen - in individuell ganz unterschiedlichen variationen, mindestens z.t. bestimmt von art und ausmaß der jeweiligen schädigung. in diesem sinne ist geld lediglich ein mittel zum zweck.

*

ich hoffe, es ist jetzt etwas deutlicher geworden, wie ich über die von loellie direkt aufgeworfene thematik denke - auch wenn ich finde, dass ich zu dieser frage eigentlich früher schon eindeutig position bezogen habe. aber vielleicht ist es auch nötig und wichtig, einmal möglichst klar eine art zusammenfassung zu geben.

für eventuelle redundanz im text bitte ich um verständnis - ich schreibe an einem öffentlichen ort und habe nicht die nötige ruhe, um alles nochmal komplett durchzugehen und eventuell zusammenzustreichen.

Dienstag, 23. Mai 2006

vom welthunger und "psychischer und sozialer destruktion im neoliberalismus"

einen film, der imo am besten im zusammenhang mit "the corporation" geschaut werden sollte, möchte ich hiermit nach eigener anschauung empfehlen: "we feed the world" setzt zwar meiner meinung nach (leider) einiges wissen bereits voraus und hat auch ein etwas zu abruptes ende, kann aber aufgrund der ausgewählten beispiele durchaus einen tieferen eindruck in die dimensionen des ökonomischen und sozialen wahns präsentieren, der sich letztlich in der verdinglichung alles lebendigen in seiner ganzen zerstörerischen wucht selbst demaskiert. diese verdinglichung kommt im film am beispiel des "lebens" von industriell erzeugten hühnern (auf dieser seite ist die "lebendware" auf den fließbändern zu sehen) am eindrucksvollsten heraus. und der im interview am ende gezeigte chef eines großen lebensmittelkonzerns (namen sind in diesem fall austauschbar) hat mich in seiner starren maskenhaftigkeit und formal "korrekten" art spontan an die beschreibung zu beginn dieses beitrags erinnert...

"WE FEED THE WORLD - ESSEN GLOBAL ist ein Film über Ernährung und Globalisierung, Fischer und Bauern, Fernfahrer und Konzernlenker, Warenströme und Geldflüsse - ein Film über den Mangel im Überfluss. Er gibt in eindrucksvollen Bildern Einblick in die Produktion unserer Lebensmittel sowie erste Antworten auf die Frage, was der Hunger auf der Welt mit uns zu tun hat."

sehen Sie´s sich an.

*

beim stöbern im lieblingsbuchladen kam mir vor einiger zeit ein titel unter die augen, der bei mir spontan für große neugier gesorgt hat:

Solidarisch Mensch werden
besonders interessant fand ich dabei diese (Sie müssen leider bis zum titel "Solidarisch Mensch werden" scrollen) herangehensweise:

"Interdisziplinär werden aus ökonomischer, politologischer, psychologischer und theologischer Perspektive Traumatisierungserfahrungen der Verlierer, der pathologische Narzissmus der Gewinner und die Situation der Mittelklassen untersucht."

und an diesem punkt möchte ich auch lob und kritik gleichzeitig äußern: lob dafür, dass endlich einmal ein neuer ansatz existiert, eine analyse der heutigen sozioökonomischen verhältnisse zu versuchen und dabei nicht zu trennen von - hm, psychologischen und auch medizinischen aspekten - so wird immer wieder berechtigt, z.b. hinsichtlich erfahrungen von mobbing und erwerbslosigkeit, aber auch hinsichtlich der folgen von kriegen und staatlicher repression, auf aktuelle forschungen der psychotraumatologie bezug genommen. ebenso werden - imo absolut überfällig und bislang viel zu wenig betrieben - sowohl die gesellschaftlichen auswirkungen massenhafter dissoziation als auch die psychopathologischen strukturen der globalen "eliten" ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt. dafür nutzt das autorenkollektiv eine bestimmte richtung der psychoanalyse, der relationalen pa. wie in der besprechung eines werkes eines der maßgeblichen vordenker dieser richtung zu sehen ist, besteht die besonderheit dieser strömung darin, dass sie die unauflösbare interpersonale bzw. intersubjektive beziehungsrealität des menschlichen lebens ins zentrum rückt - was ich hinsichtlich der "klassischen" pa für einen echten fortschritt halte:

"Überzeugend führt der Autor vor Augen, in welch hohem Maß der Einzelne in Beziehungen eingebunden ist, sodass der Einfluss ihrer Funktionsweisen und ihrer inneren Konturen kaum jemals in ihrer vollen Bedeutung erfasst werden.

Ein interessanter Ansatz von Mitchells relationaler Psychologie ist seine implizite Kulturkritik, die den Umstand fokussiert, dass die psychologischen Lehren der westlichen Kulturen dazu neigen, die eigene Seele als exklusiven individuellen Besitz darzustellen, „der unter unserer omnipotenten Kontrolle steht, während der intersubjektive Austausch mit anderen eine Frage der Intention ist“.


der letzte satz stellt imo eigentlich eine umschreibung der dominanz des objektivistischen modus in der westlichen kultur dar - und trotz der impliziten kritik an eben dieser dominanz bleibt auch dieser eigentlich begrüßenswerte ansatz immer noch von den unsichtbaren grenzen des mainstreams der westlichen psychologie/psychiatrie umschlossen, was sich u.a. in der betonung des "pathologischen narzissmus" als quasi hauptsächliche pathologie der "eliten" ausdrückt - das ich diese einschätzung für einen möglicherweise folgenschweren irrtum halte, habe ich hier im blog an vielen stellen deutlich gemacht, gerade in den beiträgen zum autismus und zur als-ob-persönlichkeit (und dabei geht es durchaus nicht um einen intellektuellen wettstreit, welcher ansatz denn nun letztlich zutreffend ist - es ergeben sich aus der widerlegung bzw. bestätigung der verschiedenen betrachtungsweisen letztenendes ganz verschiedene konsequenzen und handlungsnotwendigkeiten).

die autoren des buches, um das es hier eigentlich geht, arbeiten jedenfalls u.a. auch mit dem begriffspaar "falsches selbst vs. authentisches selbst" - und gerade diese möglicherweise "falsche" alternative wird bspw. mittels des modells der als-ob-persönlichkeit deutlich. letzte gewissheiten, falls solche hier überhaupt möglich sind, werden vermutlich erst weitere fortschritte der neurowissenschaften bringen können. aber solange können weder die spezies noch der planet warten, d.h., dass ich dafür plädiere, vom worst-case-scenario auszugehen - und das wäre die erkenntnis, dass ein mehr oder weniger großer teil der globalen "eliten" als soziopathisch bzw. mindestens schwer antisozial im klinischen sinne angesehen werden muss, mit allen daraus folgenden konsequenzen. das wort "narzisstisch" stellt imo im bestimmten maße eine verharmlosung dar.

trotz aller einwände möchte ich das buch wg. seiner materialfülle und dem durchaus weiten blick auf viele unterschiedliche phänomene empfehlen, auch, wenn ich persönlich mit den durch die befreiungstheologie motivierten theologischen perspektiven und "alternativen" bibelauslegungen nicht so sehr viel anfangen kann.

zwischenruf

rechts in der menueleiste werden ab sofort unter der rubrik "lesen-sehen-hören"" hinweise auf bücher, filme und sonstige medien (keine presseartikel) zu finden sein, die ich hinsichtlich der themen dieses blogs interessant finde. ich habe auch ein paar ältere beiträge umsortiert und hoffe, damit zumindest ein kleines stück mehr struktur erzeugt zu haben. wichtig ist vielleicht noch zu wissen, dass die titel der literaturliste rechts i.d.r. nicht separat vorgestellt werden (eine ausnahme habe ich bisher bei deMause gemacht), sondern für mich so grundlegend sind, dass sie als arbeitsgrundlage für viele beiträge hier immer wieder sowieso auftauchen (neu in der liste ist ab sofort "descartes´ irrtum" vom neurowissenschaftler antonio r. damasio vorhanden, welches ich als einstieg in die hirnforschung allen interessierten empfehlen möchte.)

*

hallo übrigens erstmal - ich habe ja jetzt längere zeit (für meine verhältnisse) hier nichts weiter von mir hören lassen, was einer ganzen palette von gründen geschuldet ist, die ich bis auf einen aber hier nicht weiter erwähnen möchte.

dieser eine grund aber hat sehr viel mit all dem zu tun, was hier thema ist: ich bin z.zt. oft genug nur schwer deprimiert über die gesellschaftlichen entwicklungen in diesem land. und die fülle von sehr schlechten nachrichten der letzten zeit, bei denen ich es eigentlich für nötig gehalten hätte, mehr nachzubohren, hat ein nicht mehr (zumindest alleine) zu bewältigendes ausmaß angenommen. wenn Sie hier regelmäßig lesen, werden Sie vermutlich selbst einiges dazu im kopf haben. ich möchte das mal unter den begriff "atemberaubendes tempo der umwandlung der brd zum bzw. des kenntlichwerdens eines autoritären staat(es) mit deutlich totalitären tendenzen unter maßgeblicher regie mafiöser ökonomischer strukturen mit starker eigenbeteiligung der in sozialer trance befindlichen bevölkerung" fassen - hübsches wortungetüm, nicht wahr? nur leider scheint mir die mittels diesem satz abgebildete realität tatsächlich aktuell die relevante zu sein. und die destruktiven wirkungen der entwicklung, welche längst deutlich sichtbar ist, sind psychophysisch betrachtet eine harte nuß mit hochtraumatischem potenzial für alle, die davon betroffen sind - und bis auf eine sehr kleine elitäre minderheit sind das faktisch alle menschen, nicht nur in diesem land. auch keinen wirklichen trost bietet dabei die tatsache, dass in den usa und europa jetzt einige entwicklungen quasi nachholend vollzogen werden, die in den südlichen teilen des planeten bereits seit langem die bittere lebensrealität für milliarden darstellen - prekäre und teils offen tödlich bedrohte existenzen und eine sehr offen stattfindende zerstörung der grundlagen des sozialen lebens. mit einigem bitteren zynismus ließe sich das noch als eine ironische variante von gerechtigkeit bezeichnen - die mehrheit der bevölkerungen in der sog. westlichen welt hat jahrzehnte einwilligenderweise zu den menschenverachtenden zuständen in den meisten regionen des planeten geschwiegen und mehr oder weniger mit profitiert. damit kommt man(n) auf dauer natürlich nicht durch, ohne schwere konsequenzen auch für das eigene leben heraufzubeschwören. täter-opfer-dialektik.

*

ich habe mir in den letzten tagen oft darüber gedanken gemacht, ob ich die überwiegend doch eher abstrahierende darstellungsweise hier im blog so weiter betreiben kann und v.a. überhaupt will - und bin zu dem eigentlich logischen schluß gekommen, dass virtuelle wutanfälle ebenso wie der entsprechende ausdruck von diversen ängsten eben nur das sein können: simulationen von zuständen, die im realen leben einfach ihren einzig angemessenen ort haben (das mir hier vereinzelt dann doch hin und wieder auch der virtuelle kragen platzt - sei´s drum).

folglich werde ich mich hier also zukünftig primär mehr darauf konzentrieren, weiter beim oberthema beziehungskrankheiten zu bleiben und dabei speziell ihre entstehungsbedingungen, ihre eigenarten, ihre verbreitung und die folgen für unser leben erfassen zu versuchen. das dabei das, was als sog. "politik" begriffen wird, auch immer wieder zwangsläufig in den focus rutschen wird, sollte bis auf weiteres eher ergänzend begriffen werden.

*

ich habe mich übrigens etwas über das tiefe schweigen zu den beiträgen über die als-ob-persönlichkeit bzw. das entsprechende modell gewundert - hat´s Ihnen derart die sprache verschlagen? ich finde das durchaus schade, sehe ich mich doch weiterhin in einer position als interessierter (und von vielem hier thematisierten betroffenen) laien, auch wenn ich durch verschiedene therapeutische und berufliche erfahrungen vielleicht bei einigen dingen einen informationsvorsprung besitze. aber von feedback, kommentaren und kritik kann ich persönlich erstens eigentlich nur lernen und zweitens - unterschätzen Sie das nicht - gibt mir das neue motivation, mich weiter mit den unerfreulichen dingen herumzuschlagen, um die es hier geht. auch, wenn ich über den counter sehe, dass diese seite hier schon so etwas wie einen festen leserInnenstamm besitzt, so ist es doch für mich als autor (und für andere leserInnen) am hilfreichsten, wenn Sie sich direkt äußern - und lassen Sie sich weder von stil noch von den inhalten einschüchtern - dazu besteht aus meiner sicht eigentlich kein anlaß.

*

apropos stil: kleinschreibung zu lesen ist eine gewöhnungssache - und macht mir die arbeit hier um einiges leichter.

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Im Sommer 2016 hat er einen Vortrag gehalten, in Bremen...
W-Day (Gast) - 23. Jan, 14:49
Danke, dir /euch auch!
Danke, dir /euch auch!
Grummel - 9. Jan, 20:16
Wird er nicht. Warum...
Wird er nicht. Warum auch immer. Dir und wer sonst...
Wednesday - 2. Jan, 09:37
Ich bin da, ein Ping...
Ich bin da, ein Ping reicht ;) Monoma wird sich...
Grummel - 15. Sep, 16:50
Danke, Grummel. Das Netzwerk...
Danke, Grummel. Das Netzwerk bekommt immer grössere...
Wednesday - 13. Sep, 10:02
Leider nicht, hab ewig...
Leider nicht, hab ewig nix mehr gehört.
Grummel - 12. Sep, 20:17
Was ist mit monoma?
Weiss jemand was? Gruß Wednesday
monoma - 12. Sep, 14:48
Der Spiegel-Artikel im...
Den Spiegel-Artikel gibt's übrigens hier im Netz: http://www.spiegel.de/spie gel/spiegelspecial/d-45964 806.html
iromeister - 12. Jun, 12:45
Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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