...thematisierten psychiatrischen diagnosen fanden sich in der letzten zeit zwei meldungen, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte - gerade weil sie wieder einmal grundsätzliche probleme der aktuellen diagnostischen modelle deutlich machen.
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zum einen wäre da die folgende aussage zum "aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom" adhs (das ist nicht das gleiche wie ads - der inhaltliche unterschied ist mit dem "h" in der abkürzung bereits deutlich):
"Die Krankheit wird häufig als Borderline- oder bipolare Störung fehldiagnostiziert und fehlbehandelt,..."
oder taucht als sog. komorbidität bzw. zweite diagnose bei bl-diagnostizierten auf. ebenso, wie sie auch öfter zum autistischen spektrum gezählt wird (und meines wissens auch häufiger als komorbidität beim asperger-syndrom auftaucht bzw. beide häufiger verwechselt werden - das betrifft aber v.a. die variante ads, welche zusammen mit dem adhs aber bisher als eine störung , wenn auch mit zwei unterschiedlichen ausprägungen, begriffen wird.)
und wenn Sie hier schon länger mitlesen, werden Ihnen die oben deutlich werdenden überlappungen bzw. schnittstellen gerade zwischen den diagnosen aus dem bereich der sog. persönlichkeitsstörungen (ps) mit denjenigen aus dem autistischen spektrum bereits bekannt sein. die oben zitierte kritik an den erwähnten fehldiagnosen lässt sich alternativ auch als ein weiterer hinweis darauf verstehen, dass es sich hier womöglich eher um ganz grundsätzliche konstruktionsfehler der betreffenden diagnostischen modelle handelt, deren quellen in einem zu reduktionistischen bzw. fragmentierten verständnis der psychophysiologie des menschen liegen, die in der folge bei den entsprechenden psychiatrischen bzw. psychologischen (incl. psychoanalytischen) theoretischen modellen zu zwangsläufigen verzerrungen bzw. fehlinterpretationen führen.
ich habe ab und zu den gedanken, mal die bisher sichtbaren verhältnisse zwischen den fraglichen diagnosen graphisch darzustellen - all die komorbiditäten und verbindungslinien. das könnte die ganze sache vielleicht etwas deutlicher machen. für die zukunft vorgemerkt.
(vielleicht noch eine nötige anmerkung: der begriff "bipolare störung" ist die aktuelle bezeichnung für den älteren namen "manisch-depressiv", meint aber inhaltlich das gleiche. und während sich im populären mainstream hinsichtlich dieser krankheit v.a. allem die betonung von genetischen bzw. primär organisch-biologischen ursachen festgesetzt hat [was in einer gewissen hinsicht auch nicht falsch ist, eher eine frage der perspektive], so finden sich selbst bei einem so "klassisch" psychiatrischen störungsmodell nur leider allzu bekannte zusammenhänge:
(...)"Neben genetischen spielen unterschiedliche Faktoren aus der Umwelt eine große Rolle, die in der Lebensgeschichte wirken, wie traumatische Ereignisse (Trennungen, Mobbing und Bossing, Verlust des Arbeitsplatzes, Vertreibung und Verfolgung, langjähriger sexueller Missbrauch/Vergewaltigung und körperliche Misshandlung im Kindes- und Jugendalter, sowie der Verlust eines geliebten Angehörigen), sind hier von Bedeutung. Ebenso verheerend wirkt sich auch sonstiger Stress aus (hierbei sind Bipolare viel verletzlicher als Nichtbetroffene, so kann sogar Wohnungswechsel Phasen auslösen), vor allem auch psychosozialer Stress, Konflikte in der Partnerschaft, in Familie und Beruf (auch hier sind Betroffene viel mehr gefährdet)."(...)
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und zu den beiden oben erwähnten diagnostischen komplexen der persönlichkeitsstörungen und des autistischen spektrums gehört natürlich auch als drittes der gesamte bereich der psychotraumata, hier besonders in der form der posttraumatischen belastungsstörung. eine diagnose, die nicht nur inzwischen breiter bekannte schnittstellen zur borderline-ps aufweist, sondern deren inhalte auch bei anderen ps offensichtlich eine rolle spielen. so zum beispiel bei der "schizotypischen ps", für die hier ein kurzes "fallbeispiel" zu lesen ist, in dem es am ende heißt:
(...)"Schizotypische Menschen sind sehr sensitiv und oft kreativ. Nicht selten erlebten sie sexuellen Mißbrauch, körperliche Mißhandlungen oder Vernachlässigung."(...)
eine der fragen, die u.a. mit für dieses blogprojekt hier verantwortlich sind, lautet für mich ungefähr so: kann es sein, dass es sich bei den oben erwähnten drei für die heutigen psychiatrie mit am relevantesten diagnostischen komplexe eigentlich "nur" um verschiedene beschreibungen des letztlich immer gleichen handelt? wobei mit diesem "immer gleichen" verschiedenste auswirkungen sozialer gewalt innerhalb der prä-, peri- und postnatalen menschlichen entwicklung gemeint sind (dabei beziehe ich die bisher möglichen anscheinend anderen ursachen, wie genetische dispostionen, umweltgifte etc. durchaus mit ein. aber solche erklärungen schließen keinesfalls eine sozusagen soziale ätiologie aus).
es gibt in meinen augen kaum eine frage, deren realistische beantwortung dringender wäre.
...stellen sich verschiedene fragen: sind die zeichen für eine um sich greifende agonie - oder auch implosion, das kommt auf die perspektive an - des sozialen lebens tatsächlich mehr geworden? oder verändert sich einfach die allgemeine und persönliche wahrnehmung dahingehend, dass früher als "normal" betrachtete zustände u.a. im zuge von tiefgreifenden umwälzungen kritischer gesehen werden? die position "alles wird immer schlimmer" jedenfalls ist zwar verführerisch einfach, trifft jedoch real längst nicht auf alle so wahrgenommenen entwicklungen zu (eines der nachdrücklichsten beispiele für diese differenz zwischen persönlicher und objektivierter wahrnehmung stellt immer noch der bereich der als solches definierten kriminalität dar - während bspw. alte menschen sehr häufig angstbestimmt in öffentlichen räumen unterwegs sind, stellen real tatsächlich junge männer unter dreißig jahren den hauptteil der opfer von gewaltkriminalität in eben diesen räumen. eine wahrnehmungsdifferenz, die sicher z.t. auch durch entsprechende mediale focussierung mit produziert wird, aber imo auch einiges über die persönlichkeitsstrukturen in der älteren bevölkerung aussagt. nur sehr selten bis nie wird nämlich nachgefragt, ob die - unbestritten vorhandenen - benannten ängste eigentlich tatsächlich ihre quellen in der aktuellen realität haben, oder vielleicht doch eher quasi mischungen aus aktuellen wahrnehmungen und vergangenen, quasi immer wieder neu getriggerten ängsten darstellen (letzteres dürfte dabei besonders auf die generation der kriegskinder des zweiten weltkriegs zutreffen, die teils mit bis heute unausgesprochenen traumata der verschiedensten art - bombenkrieg, flucht etc. - durchs leben geht)?
zu solchen und anderen wahrnehmungsdifferenzen zukünftig mehr. nichtsdestotrotz gibt es aber immer wieder meldungen wie die folgende , die deutlich machen, dass die unguten gefühle beim anblick des zustands der westlichen gesellschaften durchaus berechtigt sind:
"Eine aktuelle Studie der Duke Universität und der Universität von Arizona belegt, dass jeder vierte Amerikaner niemanden kennt, mit dem er wichtige Themen und Probleme besprechen kann. Die Anzahl der Menschen, die sagen keine Freunde zu haben, hat sich damit seit 1985 verdoppelt. Im Schnitt haben die Amerikaner zwei Vertrauenspersonen. Im Jahr 1985 waren es noch drei."(...)
"Der Trend der Vereinsamung der US-Bürger ist den Wissenschaftlern zufolge das Ergebnis der amerikanischen Lebensweise, die größtenteils im Büro und im Internet stattfindet. Die Menschen haben dadurch immer weniger Zeit für externe soziale Aktivitäten, die persönliche Beziehungen stärken könnten."(...)
die "(us-)amerikanische lebensweise" ist dabei durchaus als prototyp der existenz in den welten des spätmodernen kapitalismus anzusehen, dementsprechend in teils modifizierten formen auch an vielen ecken in europa zu beobachten. gleichzusetzen ist die us-gesellschaft mit den europäischen jedoch nicht - aber es lassen sich ja bekannterweise durchaus trends ausmachen, die mit mehr oder weniger zeitlicher verzögerung auch hier vielfach als modelle des angesagten lebens auffällig und verbreitet werden. was dann im bereich bspw. der popkultur noch mehr oder weniger geschmackssache ist (auch, wenn sich näheres betrachten der jeweiligen inhalte und botschaften sehr lohnt), wird bei solchen entwicklungen wie der dargestellten jedoch zur eindeutigen bedrohung (der grundlagen jedes sozialen lebens). gerade bei den mit pc und handy sozialisierten generationen wird diese entwicklung erst so recht durchschlagen. und beim stichwort computer verweise ich nochmals auf die hier und hier erwähnten sichtbaren möglichen zusammenhänge zwischen der herrschenden akzeptanz der allgegenwart von computern mit dem objektivistischen modus einerseits und autistischen störungen andererseits.
"Auch bei der Begeisterung über die zunehmende Rolle, die das Internet bei persönlichen Kontakten spielt, sei einige Zurückhaltung geboten, meint Smith-Lovin. Einerseits trägt E-Mail tatsächlich zum Pflegen von sozialen Kontakten bei. Laut einer aktuellen Studie des US-Instituts Pew Research Center teilen Familienmitglieder über Internet oft wichtige und seriöse Angelegenheiten miteinander. Auch ist es eine gute Methode, um die Kontakte mit weit weg wohnenden Familienmitgliedern und Freunden zu pflegen. E-Mail und SMS können Face-to-Face-Kontakt jedoch nicht ersetzen, warnen die Forscher. "Die richtig interessante Frage ist daher, wie wir das Internet anwenden können um unsere Offline-Beziehungen zu stärken und zu vertiefen", so Soziologe Putnam abschließend."
virtuelle räume als werkzeug nutzen, um das reale leben vielfältiger und auch angenehmer zu gestalten - genau dieses verhältnis könnte auch als metapher für ein gesundes psychophysisches verhältnis zwischen objektivistischen modus und subjektivem sein in uns menschen durchgehen. umgekehrt aber wird die dominanz von virtuellen (und simulativen) räumen als surrogat bzw. kompensation fehlender sozialer kontakte / beziehungen ebenfalls zur metapher, und zwar genau für diejenigen psychophysischen zustände, die hier immer wieder thema sind.
wenn Sie sich nochmal den letzten blogbeitrag unten betrachten, wird Ihnen sicher nicht entgangen sein, dass dort ebenso wie hier jetzt das thema beziehungs(un)fähigkeit im weitesten sinne eigentlich den gar nicht groß versteckten kern der jeweils thematisierten entwicklungen ausmacht. und ob es sich dabei um die folgen von hartz-IV oder aber von übermässiger pc-nutzung handelt -stets stehen diese entwicklungen im kontext der verdinglichung und durchkapitalisierung, die von elitärer seite aus als einziges modell für den gesamten planeten versucht wird durchzusetzen. der angriff auf unsere ganz spezifisch menschlichen beziehungsfähigkeiten ist dabei inzwischen unübersehbar, und der "erfolg" dieses angriffs ist u.a. in den steigenden zahlen der sog. psychischen krankheiten abzulesen. und dieser angriff zielt ebenfalls ganz unübersehbar auf den eigentlichen kern dessen, was uns überhaupt erst zu menschen macht: die fähigkeiten zur solidarität, empathie/mitgefühl, altruismus - die menschliche liebesfähigkeit in all ihren ausprägungen.
und wenn dieser angriff durchkommt, wird er der tödlichste überhaupt aller denkbaren angriffe sein. er zielt auf die absolute basis aller sozialität.
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im eben erwähnten zusammenhang muss imo auch das thema mobbing als eine art symptom angesehen werden - mobbing verdient hier eigentlich auch einen eigenen beitrag, aber in der heutigen taz schildert ein autor persönliche eindrücke unter dem titel Neue Deutsche Asozialität , die es in sich haben:
"Das Klima wird rauer", sagen die Soziometeorologen. Was auch rassistischer meint. So wurde kürzlich eine tschechische Porzellanbemalerin nach 23 Dienstjahren in einer Berliner Geschirrfabrik Knall auf Fall entlassen - mit der Begründung: ihr fehle die nötige Qualifikation. Und in einem Ausbildungsinstitut entließ man eine tschechische Sekretärin, bloß weil dem neuen Vorstand ihr "Arbeitsstil" nicht gefiel, begründet wurde dies mit 10,5 Fehlstunden seit 2005. Es handelte sich dabei um zwei Tage, an denen sie Migräne hatte und früher nach Hause gegangen war, um sich krankschreiben zu lassen. In Wirklichkeit stand dahinter das Drängen einer deutschen Kollegin."(...)
"Gestern diskutierte ich im Advena darüber mit Fatih, der im Kotti-Quartiersbeirat mitarbeitet - und sich quasi laufend Gedanken über diesen neuen Hang zur Asozialität und Antisolidarität macht. Er ist selbst Opfer dieses Trends: Seine Firma, die alte Leute pflegt, kündigte ihm nach einer Rehamaßnahme wegen eines Bandscheibenvorfalls. Zwar gewann er den Arbeitsgerichtsprozess, arbeitslos ist er trotzdem. Fatih erzählte, dass auch in Kaufhäusern sowie in Altersheimen und Krankenhäusern das Mobbing epidemisch geworden sei, in Letzteren reagieren die Gemobbten sich an den Patienten ab. Er meinte, das alles sei Folge einer um sich greifenden "sozialen Verwahrlosung". Eine Ursache dafür ist laut Fatih die Schwäche der Gewerkschaften. Ich nickte. Von einer alten IG-Metall-Sekretärin hatte ich erfahren, dass dort das "Klima" ebenfalls extrem mies geworden sei: Man duze sich nicht mehr und feiere auch nicht mehr zusammen. Alle Kontakte würden sich formalisieren, jeder sei vor mobbenden Kollegen auf der Hut. So etwas hätte es früher nicht gegeben - vor dem Fall der Berliner Mauer. Die anscheinend so etwas wie eine tragende Wand gewesen ist."
die "schwäche der gewerkschaften" ist besser ebenfalls eher als symptom denn als ursache auf den punkt gebracht. und der bezug auf die "mauer" (aka kalter krieg) lässt sich möglicherweise als hinweis auf den wegfall einer gesamtgesellschaftlichen und beidseitigen (in west wie ost) projektionsfläche betrachten, die quasi als eine art giftcontainer funktionierte, in denen das jeweilige abgespaltete "böse" bequem untergebracht werden konnte (zu dieser these hat sich klaus theweleit in "das land, das ausland heißt" viele gedanken gemacht).
nun ist mobbing aber weder eine speziell deutsche angelegenheit noch alleine ein produkt medialer inszenierung. oberflächlich betrachtet, stellt es u.a. die perfekte versinnbildlichung vom krieg "aller gegen aller" dar; die manifestation sozialdarwinistischer alpträume sowie das bitterernst genommene konkurrenzprinzip, gemixt mit eigenen abstiegs- und untergangsängsten sowie selbstzweifeln. boshaftig- und niederträchtigkeit gibt´s als garnierung oben drauf.
wie bei so ziemlich allen anderen sozialen phänomen haben wir es uns mehrheitlich angewöhnt, auch mobbing als scheinbar isoliertes ereignis zu betrachten (ausdruck und folge zugleich von fragmentierender wahrnehmung). und wie in anderen bereichen auch, so ist auch diese reduktionistische wahrnehmungsweise hier unzulässig, fatal und verzerrend-irreführend. mobbing wird bspw. untergründig im zitierten faz-artikel im letzten beitrag nahegelegt, wenn es dort heisst:
(...)"Außerdem müsse derjenige, der nach Macht strebe, gewisse Spielregeln befolgen und dabei auch in Kauf nehmen, ethische und moralische Hürden zu überschreiten."(...)
und mobbing wird ebenso quasi wie eine naturnotwendigkeit hingenommen - und die opfer als quasi "kollateralschäden" -, wenn folgende "empfehlung" gegeben wird (das dieses antisoziale gerede dazu noch von einer psychotherapeutin kommt, ist schlicht deprimierend):
(...)„Aber wer Macht will, muß bereit sein zu kämpfen und muß wissen, mit welchen Waffen er einerseits selbst ausgerüstet ist und welche andererseits auf dem gewählten Schauplatz von Nutzen sind“, erklärt Christine Bauer-Jelinek, die als Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin arbeitet. „Wer weiterkommen will, muß strategisch vorgehen.“(...)
(...)"Ein kluger Machttaktiker läßt sich eben nicht in die eigenen Karten schauen, schaut anderen jedoch - oft mit Hilfe seiner Seilschaft - ständig ins Blatt. „So kann man Angriffe schon im Keim ersticken“, erklärt Zielke. Und gleichzeitig den Gegner schwächen. Zum Beispiel, indem man geschickt Gerüchte streut oder streuen läßt. „Der Stratege sieht dann gelassen zu, wie die Öffentlichkeit den Feind richtet.“
Gelingt es nicht, einen möglichen Angriff schon im Vorfeld abzuschmettern, dann müssen einflußreiche Verbündete her, die sich ganz demonstrativ auf die Seite des Angeschossenen stellen. Eine starke Seilschaft ist dafür das A und O. Aber wie baut man eine solche auf? „Zunächst einmal sollte man die Unglücklichen und Glücklosen meiden“, rät Zielke. Denn diese zögen das Unglück nach sich und brächten es auch über ihre Gefolgsleute."(...)
"gerüchte streuen, seilschaften aufbauen, die unglücklichen und glücklosen meiden" - und konkurrenten aus dem weg räumen - damit sind ganz wesentliche aspekte des mobbings auf den irren punkt gebracht (den zusammenhang mit verschiedenen psychophysischen störungen hatte ich im letzten beitrag schon umrissen).
für derlei kriegsführung - denn nichts anderes ist das - ist eine verdinglichende wahrnehmung, in der andere menschen nur noch als objekte des eigenen handelns und der eigenen - objektivistischen - kalkulationen auftauchen, die notwendige basis. symptom und (psychopyhsische) quelle zugleich für eine pathologische deformation des menschlichen lebens, die alle alarmleuchten angehen lassen muss. und deren - ja, bekämpfung, genau die gleiche priorität haben müsste wie der umgang mit einer lebensbedrohlichen epidemie. und eine politk, die diesen namen auch verdienen würde, hätte zunächst keine dringenderen ziele auf ihrer agenda zu führen.
aber derartige gedanken entsprechen ja mal wieder nicht den nüchternen sachzwängen dieser welt.
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edit am 11.08.: im letzten jahr gab es hier schon beiträge zum thema alexithymie zu lesen (eins und zwei), und ich empfehle Ihnen, diese nochmals im hinblick auf das obige zu betrachten - und dabei besonders über diese sätze nachzudenken:
"In vielen Berufen sind Alexithymie-Eigenschaften in unserer Industriegesellschaft eine durchaus erwünschte Eigenschaft.
Daraus wird ersichtlich, dass es sich bei der Alexithymie nicht um eine Krankheit handelt."
so wie die aktuelle realität ausschaut, lässt es sich tatsächlich als eine art - allerdings kurzfristigen - "evolutionären vorteil" begreifen, von funktioneller bzw. struktureller wahrnehmungsreduktion betroffen zu sein - nichts anderes ist gefühl- bzw. empfindungslosigkeit nämlich. das dabei natürlich auch die beziehungsfähigkeiten den bach runtergehen, ist in einer welt, in der dinge und die sog. objektivität zu absoluten fetischen (gemacht) geworden sind, tatsächlich eher hilfreich - zumal im konkurrenzkampf, der als zivil angesehenen variante des krieges.
und, wie schon gesagt, langfristig absolut tödlich.
ein wirklich sehr aufschlußreicher artikel (u.a. bereits beim spielverderber und bei somlu thematisiert) illustriert sehr schön die konstruktion von zuständen , die ich hier u.a. mit dem begriff "zonen des virtuellen pseudoseins" benannt hatte - als-ob-realitäten:
"PR-Profis sind Wahrnehmungsmanager."
genauer: manipulierer sowie konstrukteure von scheinwelten. gesellschaften, die solches hervorbringen, werden sich letztlich den eigenen ast absägen, auf dem sie wachsen.
"PR-Leute sind immer auch Übersetzer, die versuchen, die Deutungsmacht über Begriffe zu erlangen, Worte gefügig zu machen, Assoziationen zu diktieren. So werden aus Entlassenen Freigesetzte, aus Zuzahlung wird Eigenverantwortung und aus Menschen Humankapital. Anonyme Konzerne sind plötzlich fühlende Wesen."(...)
nein, sie sind eben keine "fühlenden" wesen, sondern haben ihr äquivalent eher in denjenigen, für die die psychiatrie die begriffe(*1) soziopathie bzw. antisoziale persönlichkeitsstörung bereithält.
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und ein leser hat mir folgenden artikel zugesandt (vielen dank dafür an dieser stelle!), der sich wie eine logische ergänzung des obigen liest:
"Die Macht - für den einen bloß ein Wort, für den anderen ein Magnet mit einer ungeheuren Anziehungskraft. „Entscheidend für den Willen zur Macht ist der Dominanzfaktor, den der einzelne mitbringt“, sagt Christian Zielke, Führungskräfte-Coach und Professor für Personalmanagement an der Fachhochschule Gießen-Friedberg. Außerdem müsse derjenige, der nach Macht strebe, gewisse Spielregeln befolgen und dabei auch in Kauf nehmen, ethische und moralische Hürden zu überschreiten. Nach dem Motto: „Schein-Sein-Schwein".(...)
der dominanzfaktor - ja, der braucht bestimmt einiges an pr, bevor all diejenigen, die das überschreiten von ethischen und moralischen hürden irgendwie nicht so toll finden, ein solches konstrukt wahrhaft kranker - objektivistischer - personen als ersterbenswerte (*2) realität akzeptieren (wobei den pr-fuzzies schon mal gesagt sei: es ist letztlich suizidale zeitverschwendung...)
„Dominante Persönlichkeiten wollen andere besiegen, Hindernisse durch Zielstrebigkeit überwinden und ihr Umfeld formen“, sagt der Führungskräfte-Coach Oscar Winzen. Diese dominanten Typen, in Fachkreisen kurz D-ler genannt, strebten nach Erfolg. Sie werden Winzen zufolge angetrieben von dem starken Willen, sich mit anderen zu messen, sich durchzusetzen und respektiert zu werden. Für sie stünden Aufgaben und deren Bewältigung im Vordergrund. Menschliche Beziehungen träten dahinter eher zurück. „D-ler lassen sich nur ungern vorschreiben, wie sie eine Aufgabe zu erledigen haben. Sie wollen immer die Kontrolle behalten“, sagt Winzen. Unterordnung sei ihre Sache nicht."(...)
diese d-ler haben ein ziemlich erbärmliches und reduziertes leben, würde ich mal sagen. was an sich tragisch und bedauernswert wäre , wenn sie dieses pseudoleben nicht ausgerechnet als leitbild für alles und jeden propagieren würden und mittels gewalt in diversesten formen (genau: dann, wenn die pr versagt hat) auch durchzusetzen trachteten.
"Eine Spielregel auf dem Weg zur Macht ist deshalb die Stromlinienförmigkeit. Statt Ecken und Kanten zu zeigen, gelte es, anpassungsfähig und ständig in Bewegung zu bleiben. „Am besten schützt man sich, indem man so geschmeidig und formlos wie Wasser ist“, sagt Zielke. Denn wer sich gegen den Strom der Zeit stelle, werde in der Regel von der Masse bestraft. Zu dieser Stromlinienförmigkeit gehört auch, keine Position zu ergreifen. Wer sich aber auf keine Seite oder Sache festlege, mache sich auch keinen zum Feind. Das macht nach allen Seiten offen. Zum Beispiel bei Firmenfusionen gelingt es so, unbeschadet von der Verliererseite auf die Siegerseite zu wechseln.
Wer endlich den Gipfel der Macht erreicht hat, für den gilt es, nicht gleich wieder abzustürzen. Denn dort oben ist die Luft dünn, und die Luft reicht nur für wenige. Aber wie erhält man die Macht? „Man muß sich wirkungsvoll selbst inszenieren“, sagt Zielke. Dazu gehöre die eherne Regel: Laß die anderen zu dir kommen, und laß sie warten. Das wirkt wichtig. Genauso, wie sich rar zu machen. Wer als Chef durch Abwesenheit glänzt, fördert den Nimbus, Wichtigeres zu tun zu haben. Je mehr man von einer Person hört oder sieht, desto alltäglicher wird sie."(...)
authentische persönlichkeit (mit allem, was dazugehört)? weg damit! hindert nur. stattdessen gibt´s konstrukte und inszenierungen - ein ideales milieu für wahrhaftige als-ob-persönlichkeiten und diejenigen, die sich bemühen, zu solchen zu mutieren.
"Klingt alles ziemlich schwierig. „Für Machtspiele ist ja auch nicht jeder geeignet, und sie machen auch nicht jedem Spaß.“ So manch einer könne ein solches Verhalten auch nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Es kommt eben auf den Typen an. Für manche wirkt die Macht eben wie ein Magnet."
tja. das ist dann eben einfach so. (zu den merkmalen schwer gestörter selbst- und realitätswahrnehmung gehört übrigens in vielen fällen auch, dass sich die betroffenen in einer gewissen art und weise um kopf und kragen quatschen bzw. zwanghaft alles über ihren desolaten zustand ausplaudern - besonders dann, wenn all die schönen konstruktionen und sch(w)einwelten unter dem druck der realität zu kollabieren beginnen.)
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edit am 05.08. - (*1): der vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass das selbst unter berücksichtigung der mängel in den offiziellen diagnostischen modellen noch zutreffend ist.
(*2): beim wort ersterbenswert hat mir wohl der alte doktor aus wien ins ohr geflüstert...aber weil der ganze satz dadurch so eine hübsch verwirrende mehrdeutigkeit bekommt, lass ich es mal stehen.
im übrigen wird der text aus der faz mit jedem lesen ein bißchen mehr schier unfaßbar: eine verherrlichung des blanken opportunismus mit deutlich antisozialen zügen; eine tatsächliche beschreibung von psychophysisch schwer gestörten personen - und das wird hier nicht mal mehr augenzwinkernd als vorbild verkauft - zombieleben.
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edit 2 am 06.08.: ich habe mir einige gedanken zum begriff "als-ob-persönlichkeiten" in der überschrift gemacht - mit dem ergebnis, dass das zwar generell als metapher durchgehen kann, aber möglicherweise auch von manchen falsch interpretiert werden wird. darum reiche ich eine präzisierung nach.
"eine tatsächliche beschreibung von psychophysisch schwer gestörten personen", so kann ich nach wie vor meinen eindruck des oben verlinkten artikels aus der faz zusammenfassen. mir scheint es aber nötig zu sein, mal etwas genauer hinzuschauen, was sich da eigentlich - bei zuhilfenahme sowohl der "offiziellen" diagnostischen modelle als auch der hier teils bereits vorgestellten alternativen sichtweisen - so alles finden lässt. ich entdecke dabei schnittmengen bzw. hinweise auf folgende diagnosen bzw. modelle:
- borderline-persönlichkeitsstörung
- narzisstische ps
- dissoziale (antisoziale) ps
- schizotypische / schizoide ps
in diesen "offiziellen" diagnostischen begriffen (zu deren möglichen mängeln hier schon einige anmerkungen zu lesen waren, bspw. in den basisbeiträgen zu borderline) lassen sich die im artikel skizzierten eigenschaften der sogenannten "dominanten typen" ("d-ler") wiederfinden:
- macht (über andere) als selbstzweck, d.h. als dominierende und aus der jeweiligen psychophysischen struktur entstammende handlungsmotivation. damit eng verwandt sind
- starke kontrollbedürfnisse
- ebenso wie die weitgehende akzeptanz des konkurrenzprinzips.
- die obigen eigenschaften implizieren bzw. haben zur voraussetzung eine weitgehende beziehungsunfähigkeit incl. fehlender beziehung zu sich selbst. das nun wiederum stellt einen deutlichen hinweis auf defekte der selbst- und fremdwahrnehmung dar, die mit einiger wahrscheinlichkeit kompensatorisch vom objektivistischen modus (ausführlich hier im verlauf des beitrags dargestellt) u.a. mittels simulativer fähigkeiten (die quelle der angesprochenen inszenierungen und konstrukte -> das material, mit dem die "wahrnehmungsmanager" der pr-branche arbeiten) "aufgefangen" werden und es den betroffenen ermöglichen, selbst nach den herrschenden diagnostischen kriterien "realitätstüchtig" (und arbeitsfähig) zu bleiben. letzteres verlangt dabei als voraussetzung eine entsprechende disposition der sozialen welt, d.h. dass die gerade thematisierten merkmale sowohl mindestens rudimentär in vielen menschen psychophysisch verankert sein müssen und - folge und quelle zugleich - sich auch im wertekanon, in den herrschenden ideologien und im welt- und menschenbild der betroffenen gesellschaft wiederfinden lassen müssen.
wenn Sie sich die geschichte (nicht nur) der westlichen kultur anschauen und die aktuellen realitäten betrachten, werden Sie sich selbst die frage - und zwar ganz eindeutig - beantworten können, ob die genannte disposition vorhanden ist.
- zur bereits erwähnten beziehungsunfähigkeit und den davon untrennbaren wahrnehmungsstörungen gehört ebenfalls eine (sehr) weitgehende empathieunfähigkeit, die in objektivistischer art und weise allerdings ebenfalls durch entsprechende simulationen unkenntlich bzw. schwer erkennbar gemacht werden kann.
- die im artikel ebenfalls durchklingenden merkmale egozentrik, einzelgängertum und auch der unwillen zur unterordnung / unabhängigkeitsbestrebungen werden erstens gerne mit individualität gleichgesetzt bzw. verwechselt und sind imo zweitens - im gegensatz zu den erst genannten merkmalen - nicht per se als sozial negativ zu werten. hier kommt es ganz auf den jeweiligen kontext und den grad der individuellen ausprägung an.
gerade die letzteren eigenschaften weisen zusätzlich deutlich auf punkte hin, die sich einerseits bei der schizoiden und schizotypischen ps finden lassen (bitte nicht mit schizophrenie verwechseln!), andererseits aber auch im "offiziellen" autististischen spektrum, und hier besonders beim asperger-syndrom.
die diversen simulativen zustände, mit denen die angehörigen der sog. eliten laut faz-artikel operieren (sollten), sind ebenso wie die empfohlene "flexibilität" (aka opportunismus) dabei praktisch kernelemente des nicht offiziell anerkannten modells der als-ob-persönlichkeit (dazu hier und hier ), welches wiederum schnittmengen zur narzisstischen und zur borderline-ps aufweist. als synonym lässt sich für die als-ob-persönlichkeit auch simulationsfähiger autismus nennen - damit wären sowohl die teils extrem ausgeprägten simulativen fähigkeiten ebenso wie die im modell vorhandene totale beziehungsunfähigkeit (der strukturell autistische kern) auf den punkt gebracht.
finden Sie wiedermal verwirrend? es ginge eigentlich noch weiter - der begriff soziopathie wird zwar i.d.r. auch als synonym der dissozialen / antisozialen ps genutzt, muss aber imo unterteilt werden in "echte" (bedingt durch eine strukturell autistische grundlage der persönlichkeit) soziopathie ("psychopathie", siehe hier ) und funktionell soziopathische züge, die mit einer zwar u.u. weitgehenden, aber eben nicht totalen strukturellen beziehungsunfähigkeit einhergehen bzw. ein symptom derselben darstellen. das sichtbare begriffswirrwarr war hier bereits einmal thema.
beziehungsunfähigkeiten verschiedenen grades machen bei so ziemlich allen hier erwähnten diagnostischen begriffen den realen kern der psychophysischen störungen aus, die mit diesen begriffen erfasst werden sollen. die bis heute bekanntesten, offensichtlichsten und weitgehendsten störungen mit diesem kern finden sich unter dem label autismus bzw. im autistischen spektrum - und vor diesem hintergrund stellt sich die frage schon fast gar nicht mehr, was für ein menschenbild eigentlich im obigen artikel tatsächlich propagiert wird.
das ich mich hier immer mal wieder in intensive versuche stürze, verschiedende diagnostische begriffe / modelle zu definieren bzw. ihre definitionen und die impliziten abgrenzungen darin zu hinterfragen, hat nichts damit zu tun, dass ich mir hier einen etwas skurrilen zeitvertreib gesucht hätte. nein, ich bin der meinung, dass möglichst präzise und realitätsnahe modelle der menschlichen psychophysischen störungen - aber auch des gesunden funktionierens seins - unverzichtbar für das verständnis heutiger gesellschaftlicher prozesse sind - und damit auch unverzichtbar für alle versuche, sie im positiv emanzipatorischen sinne zu verändern.
vor diesem hintergrund finde ich deswegen solche meldungen ("borderline u.a. eine untergruppe von autismus") sowie den neuen begriff der strukturellen persönlichkeitsstörung, der mir vor einiger zeit zu ohren gekommen ist (und angeblich einen neuen ansatz kennzeichnet, den fließenden grenzen zwischen den meisten ps rechnung zu tragen - zukünftig würden danach diagnosen also zb. "strukturelle ps, typ narzissmus"; typ borderline...etc. lauten - im netz ist darüber bisher nichts zu finden; wenn Sie also mehr infos haben sollten, was es mit diesem ansatz auf sich hat - her damit) keineswegs nur wortklaubereien, sondern verstehe sie als hinweise darauf, dass sich möglicherweise ein realitätsgerechteres verständnis der fraglichen zustände herauszubilden beginnt.
und damit ließen sich dann auch wesentliche und entscheidende prozesse in gesellschaft und "politik" anders und besser verstehen - u.a. eben auch solche, warum uns eigentlich von einer großen "bürgerlichen" zeitung die dargestellte krankhafte karikatur des menschseins als lei(d)tbild verkauft wird - und sich niemand groß darüber aufzuregen scheint.
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und ebenso lassen sich möglicherweise auch solche parallelen besser verstehen - vergleichen Sie einmal das menschenbild des obigen faz-artikels mit dem inhalt, der in einem älteren beitrag der gleichen zeitung enthalten ist:
„Ökonomisch eigenverantwortlich betrachtet, zahlt es sich da für Langzeitarbeitslose und solche, die es werden können, nicht mehr aus, anders als im Augenblick und allein zu leben. (...) Alles Geld, das in einer ‚Bedarfsgemeinschaft‘ von Eltern, Kindern, Gatten oder Lebensgefährten verdient wird, geht von dem eigenen Anspruch ab. So kommen Ehen, Partnerschaften, Groß- und Kleinfamilien, Patchworkverhältnisse aller Art auf den Prüfstand (...). Das Familienmodell zahlt sich nur aus, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind.“ (...) "Hartz IV fördert die zeitliche und räumliche Zersplitterung der Gesellschaft. Seine Zielvorstellung ist die Monade. Der Menschentypus, den Hartz IV favorisiert, ist der Einzelkämpfer, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und weiter fortlaufend abbricht.“
und damals hatte ich dazu u.a. kommentiert:
"was für ein typ mensch wird da gefördert? welche eigenschaften sind z.b. gefragt, wenn gefordert wird, für die rein ökonomische existenz von heute auf morgen notfalls den ort zu wechseln, unter hinnahme des verlustes aller sozialen bezüge (was übrigens durchaus als traumatisch im strengen sinne erlebt werden kann)? welche psychophysischen züge sind dafür wohl am nützlichsten?
beziehungsfähigkeit z.b. wohl kaum - die dürfte für derlei eher hinderlich sein."(...)
um in der folge dann auf etliche parallelen zu bestimmten eigenschaften der borderline-ps hinzuweisen. tatsächlich ist es doch sehr interessant zu sehen, was für effekte zentrale "politische" projekte der sog. eliten so nach sich ziehen können - effekte und konsequenzen, die sich ganz berechtigt das attribut antisozial gefallen lassen müssen. und die darüber hinaus aber möglicherweise auch die krankhaften persönlichkeitsstrukturen ihrer entwickler und propagierer nicht nur enthalten, sondern sogar weiter verbreiten können - vielleicht sogar in einem gewissen sinne sollen (zb. um die weiter oben erwähnten gesellschaftlichen dispositionen für ein günstiges entwicklungsmilieu der gestörten menschen weiter zu verbreiten - will sagen: soziopathische und beziehungsunfähige personen können weitgehend ungestört (aus-)agieren bzw. fallen nicht weiter groß auf bzw. entsprechen der gesellschaftlichen norm, wenn die gesamte gesellschaft in wesentlichen teilen selbst die wahnsinnigen normen, wertesysteme und ideologien als leitbilder anerkennt und praktiziert, die als pathologische konstrukte von schwer kranken personen entwickelt werden).
und das wären absolut fatale prozesse, die bspw. weder die etablierte soziologie noch die politikwissenschaft auf dem schirm hätten.
ob an solchen hypothesen etwas dran ist (und ich bin der meinung: ja, leider!) lässt sich allerdings nur mit einer wesentlich veränderten und verbreiterten psychophysischen diagnostik im speziellen herauszufinden; deren voraussetzung im allgemeinen aber ganz entscheidend in einer realistischen anthropologie liegt - sprich: in einem ganz wesentlich veränderten verständnis / einer veränderten wahrnehmung dessen, was wir als menschen eigentlich sind und was uns ausmacht. was für entwicklungsbedingungen und voraussetzungen wir brauchen, um zu liebes- und freiheitsfähigen, v.a. aber angstfreien menschen zu werden. denn solche menschen haben es schlicht nicht nötig, ihre macken u.a. durch das ansammeln von macht zu kompensieren.
normalerweise werden jubiläen ja eher als grund zum feiern betrachtet - in diesem fall wäre es mir ehrlich gesagt entschieden lieber, ich hätte dieses blog niemals beginnen müssen...oder besser ausgedrückt: die gesellschaftlichen verhältnisse wären so, dass ich gar nicht auf die idee kommen würde, solch ein blog zu führen - sondern die zeit lieber angenehmer verbringen könnte - ohne alles mögliche verdrängen zu müssen.
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tatsächlich musste ich vorhin ersteinmal schauen: wirklich schon ein jahr vergangen? doch. mit diesem beitrag - dessen zitate im übrigen bis auf weiteres von (leider) zeitloser aktualität sind -, habe ich im august 05 "eigentlich" erstmal nur für mich dieses projekt begonnen, um etliches niederzuschreiben, was mich bereits seit jahren beschäftigt.
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und wenn ich mir die zugriffszahlen anschaue (die - bereinigt - bei inzwischen ca. 1500 - 1700 besuchen monatlich liegen), so finde ich das schon einerseits interessant, andererseits vielleicht auch einen leichten - ganz leichten - hoffnungsschimmer, dass sich bei den immerhin doch teils schwer erträglichen und absolut unlustigen themen hier eine solche zahl von leserInnen findet, die sich dazu mit meiner schreibweise herumschlagen müssen ;-) doch, finde ich insgesamt erstaunlich.
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für mich selbst hat die ganze geschichte hier durchaus den effekt gehabt, den ich mir anfangs gewünscht habe: ich wollte genau zu den folgenden themen
"autistische zustände und ihre gesellschaftliche produktion und wirkung; psychotraumatisierungen als massenphänomene; lücken und blinde flecken in den heute verbreiteten menschenbildern; die ökonomischen zwangsstrukturen von arbeit und geld; neurowissenschaften und ihre bisherigen ergebnisse; borderline, soziopathie und als-ob-persönlichkeiten; psychiatriekritik; sowie einiges mehr. inzwischen haben die dinge ein stadium erreicht, welches es - leider - möglich macht, einen großteil der eben erwähnten bereiche anhand der täglichen nachrichtenlage beispielhaft zu demonstrieren. was mich nicht unbedingt ruhiger schlafen lässt."
für mich mehr klarheit gewinnen, struktur und einen - notwendigerweise unvollständigen - überblick schaffen. und ich denke, das mir das bis heute auch einigermaßen gelungen ist (gut, über die blogstruktur lässt sich sicher reden...).
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für meine verhältnisse habe ich sogar recht konsequent gearbeitet: es gibt einige noch offene fortsetzungen, die ich ärgerlich finde - u.a. die folgebeiträge zum autismus und zum nlp - , aber insgesamt ist inhaltlich doch so etliches zusammengekommen.
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letzteres bringt mich auf ein paar eigenarten dieses blogs: was der blogidee vielleicht regelrecht entgegenläuft, ist der permanent aktuelle charakter, den viele beiträge für mich haben - das betrifft selbst z.t. noch die "notizen", in denen ich i.d.r. aktuelle entwicklungen aufgreife; auf jeden fall aber würde ich die beiträge der rubriken "basis" und "assoziation", zum großen teil auch unter "kontext", als zeitunabhängig - im sinne einer chronologischen ereignisreihe - betrachten. was für die leserInnen hier wahrscheinlich jetzt schon zum problem geworden sein wird, zumindest wenn sie nicht seit längerer zeit hier lesen: es ist einfach eine fülle von material, welches dazu noch neuere beiträge z.t. erst verständlich macht. die immer wieder praktizierte verlinkung älterer beiträge meinerseits ist für mich dabei bisher nur eine notlösung - eine bessere idee ist mir dazu noch nicht eingefallen.
eine weitere besonderheit ist der zugang über suchmaschinen, über die hier doch so etliche leserInnen landen: im gegensatz zu den weitaus meisten anderen blogs dominieren hier themenspezifische anfragen - führend sind dabei die keywords "psychopathie" und "borderline" -, und ich finde es durchaus interessant, dass es "da draußen" doch so einige gibt, die sich auch anderweitig mit vielen themen dieses blogs beschäftigen.
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zukunft? nun, der gedanke an eine bloglesung ist mir mal neulich gekommen. auch eine - in welcher form auch immer - printversion vieler beiträge hier spukt mir von zeit zu zeit im kopf herum. ebenfalls spiele ich ab und zu mit der idee, ein forum anzuschließen (wobei ich das nicht alleine administrieren/moderieren könnte, und die vielzahl von foren finde ich eh schon erschlagend). es würde aber die potenzielle möglichkeit eröffnen, einiges intensiver diskutieren zu können.
vielleicht haben Sie ja lust, sich gerade zu den obigen punkten mal zu äußern?
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zukünftige beiträge hingegen kann ich bereits genauer skizzieren: der große komplex trauma / posttraumatische belastungsstörung ist vorgemerkt, gerade auch vor dem hintergrund der aktuellen reihe zum nahen/mittleren osten, deren nächste fortsetzung in den kommenden tagen hier zu lesen sein wird. ebenfalls halte ich das thema "sensorische deprivation" für etwas, das dringend breiterer beachtung bedarf. genauso wie grundsätzliches wissen zu pränatalen prägungen bzw. der pränatalen phase der menschlichen entwicklung. das werden grob die nächsten fixpunkte hier sein, wenn nix grundsätzliches dazwischenkommt.
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etliche beiträge sehe ich von heute aus als überarbeitungs- bzw. ergänzungsbedürftig an, aber bei erstaunlich vielen habe ich dann doch das gefühl: "yo, stimmt aus meiner perspektive weiter, kann ich vertreten". und das finde ich dann doch für mich persönlich recht erfreulich.
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zum schluß möchte ich mich bei allen leserInnen hier für ihr interesse bedanken, besonders aber natürlich bei denen, die mir immer wieder auch mittels ihrer kommentare weitere anstöße, infos und auch einfach feedback gegeben haben - ich wünsche mir natürlich, dass das auch zukünftig so weitergeht ;-) (und denjenigen, die sich noch nicht so recht entscheiden können, ob sie etwas schreiben möchten, zurufen: traut euch!)
(weiteres zum thema naher/mittlerer osten in der kommenden woche, ich brauche noch etwas mehr zeit.)
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aber auch jenseits der bedrückenden nachrichten aus der krisenregion gibt es nicht unbedingt besseres zu vermelden. ein kurzer und wie üblich unvollständiger rundblick:
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"In erster Linie bleibt die Wohlfahrt der Kinder Aufgabe der Gesellschaft selbst. Sie hat sich zur Scham zu erziehen, dass in ihrer Mitte hunderttausendfach Hilflose gequält, missbraucht und vernachlässigt werden."
so ein medienzitat vom ende des letzten jahres, an dem sich am silvestertag einige tatsachen über die realität vieler kinder in diesem land auf einige titelseiten verirrt hatten. damals ging es dabei um die offensichtliche gewalt. die allerdings als eine voraussetzung immer auch verschiedene varianten struktureller gewalt besitzt. und das stichwort "wohlfahrt" bildet eine passende überleitung zu folgendem artikel:
"Jedes sechste Kind lebt in Deutschland nach Angaben des Kinderschutzbundes in Armut. Der Leiter des christlichen Kinder- und Jugendwerkes "Die Arche", Bernd Siggelkow, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE über die Auswirkungen von Hartz IV, Hunger und emotionale Armut."(...)
"SPIEGEL ONLINE: Liegt der Anstieg der Kinderarmut wirklich nur an staatlichen Maßnahmen wie Hartz IV oder kümmern sich immer mehr Eltern einfach nicht mehr um ihre Kinder?
Siggelkow: Wieviele Kinder sozial total verwahrlost sind, wird nicht erfasst. Die Zahl 2,5 Millionen bezieht sich auf die Hartz IV-Empfänger. Aber es verwahrlosen eben auch viele Kinder, die nicht von Hartz IV betroffen sind. Man kann hier von einer Art von Wohlstandsverwahrlosung sprechen: Beide Elternteile arbeiten, um ihre Familie durchzubringen und die Kinder sind von morgens bis abends auf sich allein gestellt - solche Fälle gibt es in Hülle und Fülle. Kinder werden immer mehr zu einem Luxusartikel und gleiten dadurch in Armut ab - in soziale Armut oder in Einkommensarmut.
SPIEGEL ONLINE: Ist finanzielle Armut in Deutschland heute gleichbedeutend mit sozialer Armut?
Siggelkow: Das Problem ist, dass es in Deutschland wenig Verständnis für Armut gibt. Kinder von reichen und Kinder von armen Eltern sitzen zusammen in einer Schule. Die armen Kinder trauen sich nicht sich als arm zu outen, weil sie Angst vor Ausgrenzung haben - dadurch ist Armut auch ein soziales Problem."(...)
SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten täglich mit armen Kindern. Was ist für sie das Erschreckendste an deren Situation?
Siggelkow: Zum einen beobachten wir, dass unsere Besucherzahlen ständig steigen. Wir sehen die Ergebnisse, die Statistiken dann belegen, also schon am Anfang: Ende des letzten Jahres hatte die Arche 250 Tagesbesucher, jetzt sind es fast hundert mehr. Das ist eine enorme Zahl von Kindern, die neu dazu kommt. Und obwohl viele Eltern zu Hause sind und eigentlich Zeit hätten, bleiben die Kinder oft auf der Strecke - denn ihre Eltern sind viel zu sehr mit ihrer eigenen Perspektiv- und Orientierungslosigkeit beschäftigt. Oft gibt es kaum Emotionen in den Familien. Es fehlt nicht nur das Geld, sondern die Kinder sind in den ganzen Prozess, der mit dem Mangel an Geld zusammenhängt, involviert: Sie wissen, dass sie arm sind und müssen sich als Kind sehr früh mit diesem existentiellen Problem auseinandersetzen. Dadurch sind sie nicht mehr richtig Kind. Verstärkt wird dieses Muster dadurch, dass in den Medien ständig eine Welt suggeriert wird, die die Kinder nicht haben können. Es wird Werbung für Fernseher und Reisen gemacht, die sich die Familien nicht leisten können. Jeder Erste des Monats wird so zum Höhepunkt - dann wird das Geld für Luxusartikel ausgegeben. Oft das einzige Highlight, das die Familie noch hat.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt auch Hunger in Deutschland. Wieviele Kinder bekommen nicht genug zu essen?
Siggelkow: Viel zu viele werden fehl- oder mangelernährt. Oft reicht das Geld nur bis zum 20. des Monats und dann gibt es eben zehn Tage nur noch nackte Nudeln. Es existieren aber keine Zahlen darüber, wieviele Kinder von Hunger betroffen sind. Denn kaum eine Mutter wird sagen: Meine Kinder kriegen vom 20. bis zum Monatsende zu wenig zu essen."(...)
nein, überraschend ist das durchaus nicht - und mir fällt bei derartigen berichten immer nur mehr auf, wie stark mittlerweile zwei gegensätzliche tendenzen zu beobachten sind: einmal die rasante zunahme von simulativen räumen und zeiten, will sagen: orte und events, in denen die angebliche "freiheit und lebensfreude" der westlich-kapitalistischen welt inszeniert und konstruiert wird (im großen maßstab war dafür die wm ein eindrucksvolles beispiel ) - der zugang zu solchen zonen des virtuellen pseudoseins ist natürlich nur gegen bares gestattet. und damit derartige konstruktionen überhaupt existenzfähig sind, müssen sie einerseits so beschaffen sein, dass sie eine möglichst totale bzw. totalitäre illusionsblase bilden - was nur dadurch geschehen kann, dass alle potenziell störenden aspekte der realität ausgeschlossen / wegdefiniert / beseitigt werden. andererseits ist so ein vorhaben überhaupt nur möglich, wenn die anvisierten zielgruppen nicht nur dabei mitspielen, sondern selbst entsprechende bedürfnisse verspüren bzw. meinen zu verspüren - "wir machen uns heute breit, alder; eure armut ist uns scheißegal, was interessieren uns leichen im mittelmeer, politik? bleib mir weg! sollen die da unten sich doch alle massakrieren, wir wollen paaaardie!" - so ein imo durchaus realitätstreues verbales konzentrat dieser haltung. die, nebenbei gesagt, übrigens noch nicht einmal mit hedonismus etwas zu tun hat - eher manifestiert sich in diesen meist völlig durchgeplanten events - egal ob sportereignisse, loveparade oder den notorischen stadtfesten - eine teils bestürzende unfähigkeit zu spontaneität, tatsächlicher lebensfreude und genuß. zu beobachten ist allseits mehr und mehr eine überaus häßliche karikatur der eben genannten fähigkeiten. bezeichnend und verräterisch gleichzeitig, dass derlei "wir-sind-jetzt-alle-unheimlich-geil-drauf"-aufläufe nur mittels massenhafter mengen von alkohol und einigen anderen drogen als quasi schmiermittel überhaupt funktionieren.
die andere seite der medaille besteht z.zt. darin, dass an immer mehr stellen ganz offen klartext geredet wird - hochgradig antisozialer klartext einerseits - dazu gleich ein paar beispiele. oder aber, wie im obigen interview, deutlich antisoziale entwicklungen beschrieben werden, die eigentlich - wenn tatsächlich von mündigen bürgerInnen in einer aufgeklärten demokratie gesprochen werden dürfte - bereits längst zu nachdrücklichen und breiten reaktionen führen müssten (und der umgang mit kindern ist nur ein, allerdings entscheidender, bereich, in dem sich die sozialen fähigkeiten einer gesellschaft manifestieren). nun, Sie und ich wissen (hoffentlich) zumindest ansatzweise , wie es in der realität tatsächlich aussieht - zum haareraufen und vor verzweiflung die wände hochgehen.
eine etwas gemäßigte version der letzteren reaktionen verspürte ich dann auch beim schluß des interviews:
"SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet es also für die Zukunft unseres Landes, wenn soviele Kinder jenseits jeder Chance auf Teilhabe an Bildung und Kultur aufwachsen?
Siggelkow: Es gehen wahnsinnig viele Potentiale verloren. Bei unserer Arbeit merken wir: Wenn Kinder individuell gefördert werden, dann werden Begabungen ausgebaut, Kinder bekommen wieder Lust, etwas für die Schule zu machen, weil sie merken: Wenn ich mich anstrenge, habe ich auch Erfolg. Diese Wirkung wird viel zu wenig suggeriert. Die Lösung liegt nicht darin, Kinder noch früher in den Kindergarten zu schicken, sondern es muss ein gesundes Miteinander geben. Wir müssen unsere Kinder wieder in den Blick bekommen. Das, was wir heute in unsere Kinder investieren, bekommen wir auch wieder zurück. Und das, was wir nicht investieren, wird auch wie ein Bumerang zurückkommen."
"das, was wir heute....investieren..." - bah. das problem derjenigen, die immer noch meinen bzw. hoffen bzw. glauben, dass die katastrophalen entwicklungen nicht nur dieser gesellschaft sich korrigieren ließen, ohne ganz wesentliche strukturelle veränderungen - zu denen u.a. eine andere und realistischere anthropologie gehören muss, ein anderes selbstverständnis von uns als menschen - in die wege zu leiten, drückt sich u.a. genau in der art des dingdenkens (verdinglichender wahrnehmung) aus, wie sie sigglekow oben demonstriert. kinder sind kein humankapital, kein mensch ist das! und argumentationen, die sich kriecherisch an den herrschenden mainstream anbiedern, stützen ihn auf dauer nur, statt ihn ganz deutlich zu stigmatisieren. diese elementarsten selbstverständlichkeiten wieder wahrnehmungsmäßig präsent zu machen, den objektivistischen wahn auf seinen platz zu weisen - das ist u.a. die herausforderung dieses jahrhunderts.
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was ich oben mit "antisozialem klartext" meinte? bitte sehr:
(...)"Schon im Mai 2005 hatten Auswertungen des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) gezeigt, dass von 1.530 im Handel befindlichen Mineralwässern 34 Proben über 15 Mikrogramm pro Liter des giftigen Urans enthielten. Dies ist der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Höchstwert. Für die Zubereitung von Säuglingsnahrung empfiehlt das BfR sogar nur Wasser mit maximal zwei Mikrogramm. Foodwatch fand heraus, dass einige der stark belasteten Mineralwässer aus Sachsen-Anhalt stammten. Anders als Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg verweigerte das Gesundheitsministerium in Magdeburg jedoch jegliche Information. Zuerst bestritt es, dass es überhaupt einen Informationsanspruch gebe."
und das mit einer begründung, die an deutlichkeit nun wirklich nichts zu wünschen übrig lässt:
"Nachdem Foodwatch Klage eingereicht hatte, argumentierte das Ministerium mit den schutzwürdigen Interessen der Abfüllbetriebe: Die Messergebnisse fielen unter "dem Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses". Das Ministerium gab auch freimütig zu, dass es befürchte, die Veröffentlichung der Messergebnisse könnte bei den betroffenen Abfüllbetrieben zu "Umsatzrückgängen" führen."(...)
die rendite ist also in der wahrnehmung dieser technokratischen bürokraten - oder auch bürokratischen technokraten, wie´s Ihnen gefällt - ein deutlich "höherwertiges gut" als die menschliche gesundheit. warum bloß kann das nicht überraschen? selbst dann nicht, wenn justizielle institutionen so wie hier ab und zu aus ihrem dämmerzustand erwachen und derartige offenheit sanktionieren (ich frage mich im übrigen wirklich, ob gerade diese geradezu dreiste aussage aus dem ministerium nicht der primäre grund gewesen ist, mithilfe juristischer maßnahmen zumindest so etwas wie einen schein zu wahren...)
an einem anderen beispiel lässt sich haargenau die gleiche logik betrachten - das folgende passt eigentlich auch noch zum ersten wm-beitrag zum profifußball allgemein - ich zitiere mich von einem anderen virtuellen ort:
"der örtliche buli-club hier, werder bremen, hat für diese und die nächsten saisons einen trikotwerbungs- und sponsorenvertrag mit "bet&win", neuerdings "bwin". die bieten als privates unternehmen sportwetten an, was diverse behörden und politfritzen nicht nur hier in bremen, sondern zb. auch in münchen (bwin hat auch mit münchen 1860 einen trikotwerbevertrag) für etliche reaktionen und sanktionsdrohungen gegen vereine und unternehmen gesorgt hat. eine argumentationsschiene war dabei das staatliche wettmonopol - auszug:
"Das Stadtamt Bremen hatte die Werbung für betandwin e. K. jeweils in Verfügungen vom 7.7.2006 untersagt und hatte darauf verwiesen, betandwin e. K. verfüge über keine in der Freien Hansestadt Bremen gültige Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen. Das staatliche Glücksspielmonopol verstoße weder gegen Europarecht noch gegen deutsches Verfassungsrecht. Betandwin e. K. könne sich auch nicht auf eine 1990 in der DDR erteilte Genehmigung berufen."
eine andere war diejenige, eigentlich durchaus sympathische, dass generell werbung für sportwetten nur eingeschränkt möglich sein soll, u.a. wg. belangen des jugendschutzes und der suchtprävention (spielsucht natürlich). in der heute veröffentlichten gerichtlichen entscheidung ist nun folgendes dazu zu lesen:
"Abzuwägen war das öffentliche Interesse, Gefahren für die Allgemeinheit wie Spielsucht und Vermögensverlust abzuwehren sowie Belange des Jugendschutzes zu berücksichtigen, mit dem durch Art. 12 GG geschützten wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller. Hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann, war dabei die Entwicklung der letzten Jahre zu berücksichtigen. Die staatlichen Lotto und Toto-Gesellschaften und insbesondere der Sportwettanbieter Oddset haben in den vergangenen Jahren massiv für ihr Angebot geworben und damit gegen genau die öffentlichen Belange gehandelt, die durch die streitgegenständlichen Verfügungen nun geschützt werden sollen."
wenn das öffentliche interesse gegen wirtschaftliche interessen antritt - wer geht da in der regel als verlierer vom platz? eben. es liegt an uns, wie lange wir diesen perversen mist noch dulden wollen.
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perversen mist stellt auch das folgende dar (danke an wednesday für den hinweis!):
"Weil Ärzte und Psychiater sich weigern, als Berater bei Verhören von Gefangenen mitzuwirken, sucht die US-Armee Ersatz - und findet ihn bei Psychologen. Deren Dachverband gibt sich patriotisch, viele Mitglieder aber sind empört.
Tut das wohl weh? Machen die Schmerzen bald gefügig? Wie könnte man das noch beschleunigen? Hat der Verdächtige vielleicht eine besondere Phobie, über die man ihn noch schneller zum Reden bringen könnte? - Dass ein Psychologe im Folterkeller zuweilen recht nützlich sein könnte, lässt sich schon mit ein wenig schrecklicher Phantasie ausmalen. Doch gar so fiktional ist die Vorstellung überhaupt nicht.
Die American Psychological Association (APA) wird gerade von Mitgliedern und externen Fachleuten wegen einer Erklärung bedrängt, nach der Psychologen bei militärischen Verhören mitwirken dürfen. Einer Online-Petition gegen diese Haltung schlossen sich bislang 1300 Unterstützer an. Manche Mitglieder haben ihre Zahlungen an die APA eingestellt oder mit Austritt aus der Berufsorganisation gedroht."(...)
eigentlich - wieder mal das schöne wörtchen - , eigentlich also kann es gegenüber solchen ansinnen von militärischer seite keine anderen reaktionen geben:
"Medienberichte hatten ans Licht gebracht, dass Verhörkräfte des US-Militärs Zwangstechniken entwickelt hatten, bei denen unter anderem durch Schlafentzug und das gezielte Spiel mit Angstvorstellungen der Verhörten Informationen erpresst werden. Dabei halfen auch Berater mit intimen Kenntnissen über die seelische Gesundheit.
Erst im vergangenen Monat hatte die American Medical Association eine entschiedenere Haltung gegen den Einsatz von Ärzten bei Verhören eingenommen. Sie entspricht der Position der American Psychiatric Association. Beide Gruppen wollen nicht mehr Foltern helfen. Das US-Militär hatte daraufhin erklärt, dass künftig verstärkt Psychologen bei Verhören zum Einsatz kommen sollen, da sie keine Ärzte seien - und damit auch nicht an die Verhaltensregeln von deren Berufsverbänden gebunden.(...)
Reisner setzt sich nun - wie andere APA-Mitglieder auch - dafür ein, dass die 150.000 Psychologen zählende Organisation in einem neuen Verhaltenskodex jede Teilnahme an Gefangenenbefragungen verbietet. Der Ethikausschuss der APA bereitet derzeit immerhin einen Leitfaden zu angebrachtem und unangebrachtem Verhalten für Verhörsituationen vor.
Einen Tag vor dem APA-Jahreskongress im August in New Orleans soll außerdem der Vorstand der Berufsorganisation eine Erklärung gegen Folter und unmenschliche Behandlung abgeben. Einen Tag später allerdings wird auch der oberste Mediziner der US Army, General Kevin Kiley, in New Orleans darüber sprechen, wie das Militär künftig Psychologen einsetzen möchte.
Reisner und seine Mitstreiter haben angekündigt, dann mit Flugblättern und Diskussionsrunden "eine Welle der Beschämung und Empörung" auszulösen, "weil die APA bislang diese Verhöre erleichtert hat, anstatt die Menschenrechtsverletzungen zu stoppen."
tja. eigentlich... - jede wette, dass sich trotzdem natürlich einige soziopathische / antisoziale persönlichkeiten mit diplom finden werden, die sich ihre rechtfertigungen für ihr tun herbeikonstruieren - und dafür dann von den sie aushaltenden und nutzenden eliten womöglich mit orden behangen werden - "ist ja alles im interesse der nationalen sicherheit" - perverser mist halt.
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vor ein paar wochen hatte ich hier über ein - ich sag´s schon wieder - eigentlich recht spektakuläres urteil des europäischen gerichtshofs geschrieben:
"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)
ist Ihnen aufgefallen, dass über dieses urteil kaum etwas berichtet worden ist? auch das passte ganz offensichtlich nicht in die illusionäre blase der reduzierten selbstwahrnehmung der ach-so-gastfreundlichen-und-offenen-gewandelten-bundesrepublik-deutschland.
bzw. derjenigen, die es nötig haben, sich mit einem solchen konstrukt zu identifizieren.
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zum schluß einige telepolisartikel, die die laune auch nicht unbedingt heben werden: über das gefängnissystem in den usa, kinder als zielgruppe von werbung, sowie die stinkbanalen kapitalistischen praktiken eines stinknormalen lebensmitteldiscounters.
sollen wir es als tröstlich ansehen, dass die virtuellen blasen der als-ob-realitäten gegenüber der wirklichen - und wirklich miesen - realität am ende totsicher den kürzeren ziehen werden? leider wird es dann mit hoher wahrscheinlichkeit keine möglichkeiten mehr geben, noch irgendetwas zu retten...
na, Sie eu-bürger/-in, das "vor unserer haustür" können und müssen wir in diesem fall wortwörtlich nehmen. erinnern Sie sich noch an diese begebenheiten? jetzt ertönt im (medialen) schatten der ereignisse im nahen osten folgender rettungsruf:
"Mit einem dramatischen Appell haben die südlichen EU-Staaten um Hilfe im Umgang mit den vielen Flüchtlingen aus Afrika gefordert. Bei einem Treffen der europäischen Innenminister sagte der maltesische Ressortchef Tonio Borg am Montag: "Hunderte ertrinken praktisch vor unserer Haustür." Ständig würden Leichen eingesammelt. Doch das Problem sei größer "als würden da ein paar tote Fische angeschwemmt", fügte Borg hinzu. "Das ist zu einer echten Krise geworden im Mittelmeerraum".
Die öffentliche Meinung reagiere mit Entsetzen, betonte der spanische Staatssekretär Antonio Camacho Vizcaino: "Unsere Bürger können nicht akzeptieren, dass sich unsere Meere zu Massengräbern entwickeln." Der italienische Innenminister Giuliano Amato sieht dabei auch die nördlichen EU-Staaten in der Pflicht: "Das Problem ist ein Problem der Europäischen Union insgesamt." Mehrere Staaten, darunter Deutschland, versprachen "europäische Solidarität".
yo. die "solidarität" von antisozialen eliten (und ihren bütteln) - was davon zu halten ist, machen die bisher bekannten planungen bzw. bereits einfach ein blick auf die derzeitige realität deutlich:
"solidarität" 1:
"Die Mittelmeeranrainerstaaten Frankreich und Spanien wollen einen gemeinsamen Polizei- und Justizraum mit Marokko aufbauen. Diese Initiative, die im wesentlichen als Anti-Terrormaßnahme verkauft wird, richtet sich aber vor allem gegen die illegale Einwanderung und wurde ohne Abstriche auf dem Treffen der Innen- und Justizminister in Newcastle abgenickt. Der Vorschlag soll zum zehnten Jahrestag des sogenannten Barcelona-Prozesses konkretisiert und auf der Europa-Mittelmeerkonferenz (Euromed) verabschiedet werden."
"solidarität" 2:
"Die von Spanien finanzierten Lager sollen der "Rückführung" und Wiedereingliederung von Minderjährigen dienen; Ghana stimmte der Rückführung von Migranten zu, Algerien schiebt nach Druck der EU Schwarzafrikaner ab (...)
Warum die Eingliederung ins Arbeitsleben ausgerechnet im armen Marokko geleistet werden soll, statt im reicheren Spanien, wird nicht beantwortet. Tatsächlich will man vor allem die Schwarzafrikaner schlicht loswerden. Die spanische Staatsekretärin für Einwanderung und Sicherheit Consuelo Rumí hat dies deutlich erklärt: "Das Ziel der Regierung ist es, so viele Jugendliche wie möglich zurückzuführen." Erst im danach sprach sie von Garantien, Familienzusammenführung und der Fürsorge durch Marokko.
Dabei hat Marokko gerade gezeigt, welche Garantien es bietet. Mehr als ein Dutzend Einwanderer wurden erschossen, als sie versuchten die Armutsgrenze in die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta zu überqueren. Es sperrt Hunderte in Militärlager. Im besseren Fall werden sie per Charterflug in ein Land deportiert, aus dem sie angeblich kommen. Migranten wurden aber auch schon mit Lastwagen mitten in die Wüste gefahren und zum Teil in vermintem Gelände ihrem Schicksal ohne Wasser und Nahrung überlassen."
"solidarität" 3:
"Der Versuch, die Grenzen zu überqueren, wird zum Angriff erklärt. Wer es trotzdem schafft, europäischen Boden zu erreichen, muss damit rechnen, dass er durch seine Existenz einen Verstoß gegen die Gesetze darstellt.(...)
Die so genannten Illegalen stellen ein unsichtbares Heer von Billiglohnarbeitern, ohne die unter anderem im Pflegebereich, in der Landwirtschaft, in privaten Haushalten und auf dem Bau oft gar nichts mehr gehen würde. Nach Schätzungen leben in der Bundesrepublik zwischen 500.000 und 1,2 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsstatus in totaler Rechtlosigkeit. Dazu kommen 200.000 langjährig Geduldete, wie sie in der Behördensprache genannt werden. Real bedeutet das, dass sie ständig von Abschiebung bedroht sind und alle paar Wochen oder Monate auf der Ausländerbehörde ihre Papiere verlängern lassen müssen. Inzwischen bekommen sie als Folge der Einführung des neuen in vielen Fällen auch keine Arbeitsgenehmigung mehr, selbst wenn sie schon seit Jahren erwerbstätig waren und sie bekommen sowieso nur die Jobs, die nachweislich kein Deutscher oder EU-Ausländer will."
ja, sie ist schon eine feine sache, diese "europäische solidarität". mit reellen ergebnissen :
"Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl starben allein seit Anfang 2002 mehr als 1.000 Menschen an den europäischen Außengrenzen. Im Mittelmeer zwischen Nordafrika und Südeuropa kamen demnach in den vergangenen Jahren mehr als 5.000 Flüchtlinge bei dem Versuch ums Leben, mit klapprigen und meist völlig überfüllten Booten die spanischen, französischen, italienischen oder griechischen Küsten zu erreichen. Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp spricht gar von einem regelrechten "Massengrab" in der Straße von Gibraltar."
im märz hatte ich dazu folgende notiz geschrieben:
"Auf dem Weg von Mauretanien zu den Kanaren sind am Wochenende 45 Flüchtlinge ertrunken. Zwei mit insgesamt 84 Afrikanern besetzte Fischerboote seien im Atlantik gekentert, berichtete die El País gestern. Gestern drohte erneut ein Flüchtlingsboot mit 40 Passagieren zu kentern."
schlimm? eigentlich eher ein völlig unerträglicher tatbestand - aber schauen Sie sich das folgende an:
"Nach Angaben des Roten Halbmonds kamen in den vergangenen vier Monaten 1.200 bis 1.300 Menschen beim Fluchtversuch auf spanisches Territorium ums Leben."
die älteren leserInnen hier können sich vielleicht folgendes ausmalen: was wäre in diesem land losgewesen, wenn es ähnliche zahlen in einem ähnlichen zeitraum auch nur einmal an der ehemaligen grenze zur ddr gegeben hätte? eben. die von unseren westlichen gesellschaften immer wie ein popanz vor sich hergetragenen bekenntnisse zu "menschenrechten" sind nicht das papier wert, auf denen sie geschrieben werden. unter menschen werden ganz offensichtlich nur bestimmte menschen verstanden - und die sind immer noch reich und weißhäutig.
ähem, haben wir hier vorhin über die brutalität des nahost-konflikts geredet?
in anbetracht der tatsache, dass derzeit das thema der kriege und konflikte im nahen und auch mittleren osten wieder einmal größere aufmerksamkeit erfährt, nun eher spontan der zweite beitrag einer kleinen reihe (diejenigen, die vielleicht auf den angekündigten beitrag zum "party-patriotismus" anläßlich der vergangenen wm warten, möchte ich um geduld bitten - der wird noch kommen).
ich muß dabei ehrlich gestehen, dass es mich regelrecht überwindung kostet, mich an das knäuel von ineinander verschlungenen dynamiken zu wagen, die sowohl den israelisch-palästinensischen als auch den umfassenderen sog. westlich-islamistischen konflikt kennzeichnen. mein überdruß rührt dabei vor allem aus der hemmungslosen instrumentalisierung der realen - vergangenen und aktuellen - opfer her, die sich sowohl bei allen direkt beteiligten seiten als auch bei denen finden lässt, die sich - aus eigenen und durchaus fragwürdigen motiven, wie ich finde - in diesen konflikten gerade in d-land unbedingt positionieren wollen.
ich kann in den folgenden beiträgen lediglich fragmente darstellen, die allerdings aus meiner sicht primäre bedeutung haben. nicht zuletzt geht es auch um den versuch, eine einigermaßen realistische wahrnehmung zu erlangen, die von den involvierten menschen und den sie bestimmenden psychophysischen zuständen ausgeht - und nicht von irgendwelchen relativ beliebigen und teils auch austauschbaren "politischen" bzw. ideologischen konstruktionen.
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welche macht die im letzten beitrag angesprochene traumatische vergangenheit der shoa bis in die israelische gegenwart herein hat - und wie sie gleichzeitig, neben ihren realen psychophysischen folgen selbst noch bei den kindern der zweiten und dritten generation der überlebenden, für aktuelle zwecke instrumentalisiert wird - zeigt ein schon älterer artikel aus der taz, geschrieben von idith zertal - "...lebt als Historikerin und Publizistin in Tel Aviv. Sie unterrichtet Geschichte und Kulturwissenschaften am Interdisciplinary Centre Herzliya und der Hebräischen Universität Jerusalem."(...).
zertal argumentiert dabei ohne direkten rückgriff auf die heute vorliegenden verschiedenen modelle bzw. diagnostischen konstruktionen aus der psychotraumatologie, ist aber quasi durch die natur ihres gegenstands immer wieder gezwungen, sich mit den traumatischen folgen aus einer eher konventionellen historischen perspektive auseinanderzusetzen. daraus ergeben sich nach meinem verständnis einige lücken in ihrer beschreibung, die aber nichtsdestotrotz sehr lesenswert ist - auszüge:
(...)"Die Shoah und ihre Millionen Toten sind in Israel vom Tag der Gründung an allgegenwärtig gewesen, und die Verbindung dieser zwei Ereignisse bleibt unauflöslich. Die Shoah war dabei in der Sprache der israelischen Gesellschaft ebenso präsent wie in ihrem Schweigen, im Leben und in den Albträumen von Hunderttausenden von Überlebenden, die sich in Israel niedergelassen haben, ebenso wie in der himmelschreienden Abwesenheit der Opfer; in Gesetzgebung, Reden, Feierlichkeiten, Gerichtssälen, Schulen, in der Presse, in der Dichtung, auf Grabsteinen, Monumenten, Gedenkbüchern.
Die israelische Gesellschaft hat sich im Lauf der Jahre in einem dialektischen Prozess von Aneignung und Ausschluss, von Erinnern und Vergessen in ihrer Beziehung zur Shoah definiert: Sie vertrat zugleich das Erbe und die Anklage der Opfer, stand für ihre Sünden und Verfehlungen ein und sühnte ihren Tod. Die metaphorische Erteilung der Staatsbürgerschaft an die sechs Millionen ermordeten Juden in den Anfangstagen des Staates und ihre symbolische Integration in den politischen Korpus Israels zeigte diese historische, materielle und psychologische Gegenwart in der israelischen Gemeinschaft.
Die Opfer der Shoah wurden, den Umständen von Ort und Zeit entsprechend, wieder und wieder ins Leben zurückgerufen und zu einer zentralen Größe in der politischen Debatte in Israel, speziell im Zusammenhang mit dem israelisch-arabischen Konflikt und besonders in Momenten der Krise und des politischen Flächenbrands, genauer gesagt in Kriegszeiten. Es hat von 1948 bis zum aktuellen Gewaltausbruch, der im Oktober 2000 begann, keinen Krieg in Israel gegeben, der nicht unter Bezug auf die Shoah wahrgenommen, definiert und konzeptualisiert worden wäre.
Diese Maßnahme, die ursprünglich, vor mehr als einem halben Jahrhundert, relativ entschlossen und auf das Ziel konzentriert war, Macht und Machtbewusstsein Israels aus der totalen jüdischen Machtlosigkeit zu erschaffen, wurde im Laufe der Zeit, als die historische Situation Israels sich durch Zeit und Umstände zunehmend von der Shoah entfernte, zu einem vollständig entwerteten Klischee. Auschwitz als die Verkörperung des absoluten, ultimativen Bösen wurde und wird immer noch in allen Militär- und Sicherheitsangelegenheiten sowie politischen Zwangslagen beschworen, die die israelische Gesellschaft nicht in Angriff zu nehmen, zu lösen und zu bezahlen bereit ist, wodurch sich Israel in eine ahistorische und apolitische Grauzone verwandelt hat, in der Auschwitz nicht ein vergangenes Ereignis ist, sondern drohende Gegenwart und ständige Möglichkeit."(...)
besonders im letzten satz sind - wie gesagt, ohne das es die autorin so explizit geäußert hätte, wie´s eigentlich nötig wäre - ganz deutlich einige der typischen eigenschaften skizziert, wie sie individuell bei diagnostiziertem ptbs beobachtet werden können, aber eben auch in kollektiven strukturell vorhanden sind. das "ahistorische" verweist auf die erwähnte traumatypische veränderte zeitwahrnehmung, in der das eigentliche traumatische erlebnis bereits jahrzehnte zurückliegen kann, aber quasi "eingefroren" - und zwar im moment der entstehung - in sowohl "aktueller" als auch abgespaltener form vorliegt (in modifizierter form kann das übrigens auch bei den kindern der betroffenen der fall sein - in solchen fällen wird heute von tradierten bzw. intergenerationellen traumata gesprochen, und derartiges wurde imo tatsächlich zuerst an den kindern aus familien von überlebenden der shoa registriert.)
und u.a. genau aus letzteren eigenschaften heraus kann ein trauma bzw. das auslösende ereignis in der vergangenheit deshalb sowohl "drohende Gegenwart und ständige Möglichkeit" sein. nicht viel anders als bspw. bei vergewaltigten frauen, bei denen es - wenn denn die gewalttat aus der normalen erinnerungsverarbeitung abgespalten ist bzw. aus was für günden auch immer nicht bearbeitet werden konnte/sollte/durfte - im extremfall nur eines vielleicht ganz unscheinbaren triggers bedarf, um sie quasi wie in einem zeitsprung in die ursprügliche situation der vergewaltigung zu versetzen. das kann ein geruch bewirken, ein bestimmtes kleidungsstück, vielleicht auch eine sprechweise - einfach alles, was an die traumatische situation bzw. den täter erinnert, kann potenziell die "verkapselten" neuronalen netzwerke, in denen die entsprechende erinnerung gespeichert ist, aktivieren - mit dem ergebnis des gefürchteten flashbacks. das muss sich nicht bei allen traumabetroffenen so abspielen, ist jedoch bereits so oft beobachtet und untersucht worden, dass mittlerweile auch die beteiligten neurophysiologischen prozesse zumindest grob skizziert werden können.
nun lassen sich individuelle strukturen nicht eins zu eins auf kollektive übertragen - diesen einwand teile ich weitgehend. wenn aber innerhalb eines kollektives genügend individuen mit ähnlichen erfahrungen vorhanden sind - und im falle von psychotraumata müssen i.d.r. auch die sozialen netzwerke und umfelder der opfer als in gewisser weise ebenfalls betroffen angesehen werden, weil es u.a. zu komplexen kommunikativen interaktionen mit stark verzerrten inhalten kommen kann -, dann darf davon ausgegangen werden, dass die traumaspezifische erfahrung in verschiedenen und nicht immer auf anhieb erkennbaren formen beginnt, das leben und das selbstverständnis des gesamten kollektivs zu beeinflussen, wenn nicht gar zu prägen - und das natürlich meistens negativ.
"Die Übertragung der Situation, in der die Shoah stattfand, auf die Realität im Nahen Osten, welche - so rau und feindselig sie auch war - eine vollkommen andere war, hat nicht nur ein fälschliches Gefühl einer bevorstehenden und stets präsenten Gefahr der Massenvernichtung erzeugt. Sie hat auch das Bild der Shoah erheblich verzerrt, das Ausmaß der von den Nazis begangenen Gräueltaten verharmlost, das beispiellose Leiden der Opfer und der Überlebenden trivialisiert und die Araber und ihre Anführer vollkommen dämonisiert. Darüber hinaus ist Israel, während es zu Recht auf dem singulären Charakter der Shoah in einer Epoche des Genozids und der großen menschlichen Katastrophen bestanden hat, wegen seiner alltäglichen und kontextlosen Verwendung der Shoah zu einem erstrangigen Beispiel für die Entwertung der Bedeutung und der Ungeheuerlichkeit der Shoah geworden - ein Phänomen, das Elemente einer anderen, paradoxen und tragischen Art der Holocaustleugnung enthält."(...)
jein. hier finde ich einige beispiele für die oben erwähnten lücken, die sich aus dem mangelndem verständnis der autorin für die eigenarten einer traumabeeinflussten wahrnehmung ergeben. das "fälschliche Gefühl" ist in der selbstwahrnehmung der betroffenen eben nicht fälschlich, sondern beruht u.a. auf der ständigen unterbewußten - und in einem gewissen sinne realen - präsenz der drohenden gefahr. die in dieser form der wahrnehmung keinesfalls gebannt ist, und auch nicht "realistisch" - nach "objektiven" normen - eingeschätzt werden kann. das ist das eine. zum anderen, wenn ich mal in der traumaperspektive bleibe, sind etliche offizielle äußerungen - von den kriegerischen bzw. terroristischen handlungen gar nicht zu reden - der jeweiligen gegner israels in der arabischen welt als monströseste trigger anzusehen, wie zb. die mehr oder weniger offene drohung, den staat israel (sinngemäß) von der landkarte zu löschen.
solche und ähnliche drohungen gegenüber einem kollektiv, welches in seinem selbstverständnis massiv von einem der traumatischten ereignisse der menschlichen geschichte geprägt ist, und von dem eine nicht unbeträchtliche zahl seiner mitglieder dergestalt beeinflusst worden ist, alles zu tun, um nie wieder opfer zu werden - vergleichen Sie das einmal mit dem individuell bezogenen beispiel einer vergewaltigten frau, der gegenüber ein ignoranter (aus welchen gründen auch immer) mann massiv in wort und tat übergriffig wird - im extremfall kann das für den mann tödlich enden. und das wäre eine dynamik, die zumindest ich ein ganzes stück weit verstehen kann - ohne das ich sie akzeptieren muss. wer in diesem blog regelmäßig liest, wird sich sicher die vielen inzwischen angesammelten prozeßberichte vor augen rufen können, in denen es in deprimierender regelmäßigkeit zur feststellung massiver persönlichkeitsstörungen und/oder traumatisierender einflüsse in der biographie der täter kommt - und genau diese art von verständnis einer belegbaren täter-opfer-dialektik ist imo unverzichtbar, um nicht nur die konflikte im nahen/mittleren osten zu begreifen.
und dieses begreifen wäre auch für die israelische gesellschaft in vielfältiger hinsicht wichtig. denn auch die bevölkerung vieler islamischer länder ist massiv traumatisierenden bedingungen ausgesetzt, deren folgen im falle derjenigen, die direkt in den konflikt mit israel involviert sind, zusammen mit der gerade skizzierten innerisraelischen dynamik zu unglaublich destruktiven aktionen führen können - und bekanntlich auch führen.
zu diesem aspekt mehr im nächsten beitrag dieser reihe, der allerdings vermutlich erst am wochenende zu lesen sein wird.
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mehr zum thema trauma, gerade im kontext "krieg", auch z.b. hier und hier.
...der entgegen der massenmedialen darstellung jetzt nicht auf einmal wieder "ausgebrochen" ist, sondern faktisch ständig in diversen erscheinungsformen und intensitäten existiert, sei nochmals auf einen älteren beitrag hier verwiesen, der einen sehr wichtigen - und vielleicht gerade deshalb meist völlig ausgeblendeten - aspekt thematisiert: die macht des traumas - auszug:
(...)"wegen der eigenart der traumatischen gedächtnisspuren in ihrer form als abgespaltene seperate neuronale netzwerke taucht auch öfter der begriff "eingefrorene zeit" auf, die dann in symptomen wie z.b. flashbacks wieder "auftaut" und die aktuelle raum-zeit-wahrnehmung der betroffenen im extremfall völlig überlagern kann. wie dieser und womöglich auch andere mechanismen einfluß auf aktuelle krisen und konflikte wie z.b. den israelisch-palästinensischen haben, ja diese durch die beteiligten psychophysischen prozesse primär überhaupt erst mit ihren destruktiv-gewalttätigen "lösungsversuchen" möglich machen, wird durch u.a. die arbeiten und ansätze des israelischen psychologen dan bar-on deutlich."(...)
(...)„Als der erste Palästinenser über sein Leben, seine Vergangenheit, seine aktuelle und schmerzhafte Realität in der West Bank sprach, stellte ich fest, dass ich in der Defensive war und mich peinlich berührt, geschockt und verärgert fühlte. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, es handele sich keineswegs um eine Ausnahme und deshalb sei es unfair, so zu tun, als sei es die >Normalität< für Palästinenser. Natürlich traute ich mich nicht, diese Gedanken zu äußern."
Wieder erzählte Miriam K. ihre Geschichte als Nachkommin von Holocaustopfern, doch diesmal erlebte sie, wie die eigene Opfer-Identität zu bröckeln begann: „Als der nächste Palästinenser sprach, wand ich mich. Schon wieder war es eine Geschichte über Verfolgung, Angst und unerträgliche Erniedrigung. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Wie war das möglich? Je mehr ich hörte, desto mehr schauderte ich. Es war mir peinlich, Jüdin zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine jüdischen Mitmenschen diesen Leuten solchen Schmerz und solches Grauen zufügten. Ich wollte ihre Taten verteidigen, sie als ein Bedürfnis nach Sicherheit für Israels Bestreben, sich vor Terrorismus zu schützen, begründen. Aber ich konnte mich nicht einmal mich selbst davon überzeugen, dass diese Gründe gut genug waren. Ich war erschöpft und wünschte, ich wäre woanders."
(...)
"Ein Verständnis, das zunächst äußerst fragil war und durch die Frage einer Palästinenserin, die die Realität des Holocaustes in Frage zu stellen schien, wieder zu zerbrechen drohte. Martin Bormann wurde nun mit seiner Geschichte zum glaubwürdigen Zeitzeugen: „Die Palästinenser hörten ihm offensichtlich gebannt zu. Die ganze Situation war unwirklich: Juden versuchten, Palästinenser von der Bedeutung und Wahrheit des Holocaust zu überzeugen, während der Sohn eines berühmten Nazi-Täters die Fakten aufzählte."(...)
im nahen osten ist live und seit jahrzehnten eine spirale der gegenseitigen und generationenübergreifenden re-traumatisierung zu beobachten, die - realistisch betrachtet - nur durch eine massive intervention von außen, mit anschließender - vorläufiger - trennung und entwaffnung der kontrahenten sowie isolierung der am extremsten agierenden gruppen auf beiden seiten - betrifft zb. die klar islamistischen fraktionen genauso wie auch die religiös motivierten jüdischen siedler - gestoppt werden könnte. parallel zu diesen maßnahmen müsste dann in allen beteiligten gesellschaften besonderes gewicht auf die entwicklung ziviler strukturen / entmilitarisierung gelegt werden, zu denen neben einer gesicherten grundversorgung besonders bildung und auch ein breites angebot von traumaspezifischen therapeutischen strukturen gehören würde - letzteres ist meiner meinung nach unverzichtbar, um die wesentlichen quellen des konfliktes mittel- und langfristig aufzulösen.
wer die erwähnte massive intervention von außen allerdings durchführen sollte, ist das erste große problem - realistisch ist da eigentlich nur die uno zu nennen, und zwar ohne beteiligung der usa/nato einerseits (besonders d-land hat - als durch die geschichte mitverantwortliche konfliktursache - dort nichts zu suchen), aber auch ohne russland und china. und damit wird´s dann schon wieder unrealistisch. ich bleibe aber dabei, dass bis auf weiteres das oben grob skizzierte szenario dasjenige mit der größten wahrscheinlichkeit darstellt, den ewigen krieg tatsächlich zumindest wirkungsvoll behindern zu können.
so meine gedanken bei ansicht eines gleich folgenden zitates - aber der reihe nach.
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die möglichen gründe für die belegbare zunahme von diagnosen (!) aus dem autistischen spektrum besonders im letzten jahrzehnt - siehe zb. hier - sind in den sich zuständig fühlenden wissenschaftlichen bereichen bis heute gegenstand von vielfältigsten auseinandersetzungen. nun sorgt eine neue studie aktuell für diskussionen:
(...)"Mehr als ein Prozent aller Kinder leiden unter Autismus oder einer verwandten Störung aus dem Formenkreis der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine Kohortenstudie im Lancet (2006; 368:210-215). Die Zahlen liegen deutlich über den bisherigen Schätzungen, sind aber nach Ansicht von Experten kein Beweis für eine tatsächliche Zunahme der Störung.
Bis Ende der 80er-Jahre galt der infantile Autismus, heute als frühkindlicher Autismus bezeichnet, als eine sehr seltene Störung mit einer Prävalenz von 4-5/10.000. Dann kamen drei epidemiologische Studien in Japan zu einer Prävalenz von 13 -15,5/10.000. Seither übertreffen sich die Epidemiologen in Europa und den USA mit ihren Schätzungen. Doch Ergebnisse von Gillian Baird vom Guy's and St Thomas' Hospital in London und Mitarbeiter stellen alle bisherigen Annahmen in den Schatten: Danach liegt bei 38,9/10.000 Kindern ein Autismus vor. Bei weiteren 77,2/10.000 wurden andere Tiefgreifende Entwicklungsstörungen gefunden, zu denen das Rett-Syndrom, das Asperger-Syndrom und sonstige desintegrative Störungen des Kindesalters gehören. Damit ergibt sich eine Rate von 116,1/10.000 oder mehr als ein Prozent."(...)
(zum begriff der prävalenz eine imo verständliche definition von wikipedia: "Die Prävalenz oder auch Grundanteil ist eine Kennzahl der Epidemiologie und sagt aus, wieviele Individuen einer bestimmten Population an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind. Sie gibt eine absolute Häufigkeit an. Die Prävalenzrate ist dagegen eine relative Größe; sie wird bestimmt durch die Zahl der Erkrankten im Verhältnis zur Zahl der Untersuchten.")
also, ich entnehme den zusammengefassten ergebnissen folgendes: erstens geht es hier zusammengefasst um die sog. "Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen" bei kindern, zu denen u.a. die diagnosen des "klassisch" autistischen spektrums gezählt werden - frühkindlicher autismus (kanner), asperger-syndrom, atypischer autismus - ; zweitens werden dadurch die ergebnisse bzw. auch spekulationen früherer forschungen untermauert, die imo ebenso mehrheitlich von einer höheren autismus"rate" in der bevölkerung von verschiedenen regionen auf dem planeten berichtet haben; drittens taucht sofort - und das finde ich mittlerweile recht auffällig - die relativierung hinsichtlich der "tatsächlichen Zunahme der Störung" auf. soweit also erstmal alles bekannt.
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in einer für die presse aufbereiteten agenturmitteilung findet sich dann aber ein statement, das es in sich hat:
(...)"Man sollte die epidemiologischen Studien differenziert betrachten", so Stephan Partl, Assistenzarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikum Würzburg, im Gespräch mit pressetext. Der Anstieg der autistischen Fälle sei schon länger bekannt. Ein Grund hierfür ist die Anzahl der Untergruppen von Autismus wie die Schizoide Persönlichkeitsstörung, Borderline oder ADHS, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben, erläutert Partl."(...)
"...Untergruppen von Autismus wie die Schizoide Persönlichkeitsstörung, Borderline oder ADHS, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben..." - nun, die letztere behauptung lässt sich bei großzügiger interpretation höchstens auf das "aufmerksamkeitsdefizit(hyperaktivitäts)sydrom" beziehen, wohingegen sowohl die schizoide ps als auch borderline nicht erst seit gestern in den diagnostischen katalogen vorhanden sind. und das "ad(h)s" taucht tatsächlich oft als komorbidität bspw. des aspergersyndroms auf (und auch bei borderline). das ist die eine sache.
die andere - und damit wäre hier tatsächlich in einer dem eindruck nach sogar eher beiläufigen bemerkung eine kleine sensation versteckt - ist die aussage, dass die borderline-ps eine "untergruppe" von autismus darstellen würde. ich staune immer noch - diese bemerkung stammt immerhin von einem angehörigen einer institution der orthodoxen psychiatrie, die sich - und genau das ist bekanntlich ein hauptthema dieses blogs - womöglich bei einigen ganz zentralen diagnostischen modellen gerade im bereich der persönlichkeitsstörungen (und im autismus- und traumakontext) sowohl in der konstruktion der diagnosen als auch im verständnis der ätiologie gehörig verzettelt hat. der einzige mir bekannte "professionelle" autor, der sich in den letzten jahren genau damit beschäftigt hat, ist der hier oft zitierte j.e.mertz, über dessen faktische ignorierung seitens der etablierten psychiatrie und psychologie ich im letzten jahr geschrieben hatte:
(...)"aber das ist doch laut titel ein buch zum thema borderline?, ließe sich fragen. ja - aber dieser zusammenhang lässt sich erst dann überhaupt diskutieren, wenn es einen begriff davon gibt, was autismus eigentlich bedeutet. es lässt sich einiges zu mertz und seinem modell anmerken, auch in mehreren punkten entschiedene kritik - trotzdem halte ich seine herausarbeitung der inneren struktur des autismus für plausibel und einleuchtend, und werde mich darauf im folgenden auch beziehen. zum buch insgesamt sei an dieser stelle noch gesagt, dass mir bisher - es ist vor gut fünf jahren erschienen und mittlerweile offensichtlich vergriffen - keinerlei fachspezifische rezension untergekommen ist. eine anfrage beim zuständigen verlag vor gut einem halben jahr ergab lediglich, dass es möglicherweise überhaupt nur drei rezensionen nach veröffentlichung gegeben hat. trotz professioneller recherchekenntnisse gelang es mir nicht, auch nur eine rezension zu gesicht zu bekommen, auch nicht nach recherchen in einer unibibliothek.(...)
dieses auffällige schweigen der fachwelt ist für mich - gerade im borderlinebereich, wo an sich jede veröffentlichung sehr bald von anderen professionellen kommentiert und rezensiert wird - inzwischen zwar einerseits verständlicher, stellt andererseits jedoch auch ein recht jämmerliches ausweichen dar - die thesen von mertz haben es wirklich in sich, dazu bringt er eine sehr scharfe kritik an der orthodoxen psychoanalyse sowie inspirierende beobachtungen zum westlich geprägten bewußtsein vor, ebenso einiges ketzerische zum geschlechterverhältnis - von der möglichen rolle der mütter bei psychischen störungen und der bedeutung der pränatalen phase nicht zu reden. viel explosives material also, um sich daran abzuarbeiten - aber stattdessen das erwähnte tiefe schweigen. und es geht dabei nicht um etwas beliebiges, was eigentlich egal ist - das buch kann für betroffene z.b. mit einer borderline-diagnose eine verheerende wirkung haben, und alleine schon deswegen wäre es eine sozusagen berufliche pflicht der überwiegend - in relation - hochbezahlten sog. professionellen, sich dazu zu äußern. aber die methode des aussitzens ist anscheinend nicht nur in einem gesellschaftlichen bereich als problemlösung beliebt."(...)
das buch ist mittlerweile tatsächlich schon länger vergriffen, und ich habe auch nichts von einer neuauflage mitbekommen. aber das erwähnte tiefe schweigen ist imo keinesfalls ein verzerrter eindruck - es finden sich an verschiedenen stellen bruchstückchen, die das deutlich machen. so schreibt eine userin in einem thread im forum des "borderline-netzwerks" vom januar 2005:
(...)"Einige Patienten hörten, dass es eine Studie geben soll, die eine besondere Form des Autismus bei BPS untersucht haben soll. Angeblich würden über 80% der " schweren Borderlinern" unter den gleichen, dem Autismus ähnelnden Symtomen leiden, es bestünde sogar der Verdacht, dass dies der Entwicklung von BPS Vorschub leistet."(...)
nun, das ist eine frage in einem unterforum dort, welches speziell dazu dient, mit psychiatrisch / psychotherapeutisch ausgebildeten und auf borderline spezialisierten professionellen ins gespräch zu kommen. diese frage ist seit über einem jahr ohne antwort. das kann ganz verschiedene gründe haben, ich weiß - und trotzdem entsteht so ein ziemlich merkwürdiger eindruck. ich habe zwischenzeitlich mal begonnen, in nicht kostenpflichtigen medizinischen datenbanken online nach dieser erwähnten studie zu recherchieren und werde Ihnen das ergebnis natürlich nicht vorenthalten. und falls die hier mitlesenden therapeutisch oder sonstwie einschlägig in betroffenen bereichen tätigen dazu mehr wissen bzw. hinweise geben könnten, wäre ich für entsprechende informationen sehr dankbar.
(vielleicht sollten sich die professionell tätigen auch mal diesen thread in einem forum von asperger-betroffenen anschauen - gerade der letzte beitrag wirft bei mir so einige fragen nach den methoden und inhalten der orthodoxen psychiatrischen diagnostik auf - insbesondere bin ich über die "kombination" asperger und posttraumatische belastungsstörung doch ziemlich erstaunt.)
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jedenfalls steckt in der oben zitierten unscheinbaren äußerung des arztes einiges an sprengstoff. und ich frage mich, ob, wo und vom wem das wahrgenommen wird?
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edit: ich kann mir vorstellen, dass es einige leserInnen hier gibt, die das obige thema vielleicht für eine art von pseudoauseinanderstzung um pure begriffe halten - aber darum geht es zumindest mir keinesfalls. ich sehe eher bzw. ahne eine ganze reihe von unabsehbaren konsequenzen nicht nur für direkt betroffene, nicht nur in und für die beteiligten wissenschaftlichen disziplinen, sondern weit darüber hinaus sogar für das selbst- und menschenbild primär der westlichen kultur.
ein wechsel in der wahrnehmungsweise von als krankhaft betrachteten menschlichen existenzweisen - und als solche lassen sich die als persönlichkeitsstörungen definierten zustände ebenso wie die verschiedenen formen von "anerkanntem" autismus durchaus begreifen - , ein solcher wechsel also würde bspw. recht schnell fragen danach aufwerfen, wie es denn zu den - imo oberflächlichen - unterschieden im verhalten von vielen borderline-diagnostizierten im vergleich mit bspw. asperger-betroffenen kommt, was zb. den umgang mit sozialen beziehungen anbelangt. und hier landen wir dann sehr schnell bei fragen zur bedeutung von simulativen zuständen innerhalb und für die menschliche existenz.
desweiteren stünden dann verschärft fragen nach der strukturellen bedeutung des vermehrten auftretens von autistischen zuständen in der menschlichen gesellschaft zur debatte; ebenfalls müsste das bisherige bild des autismus radikal korrigiert werden - und dazu dann auch wesentliche bereiche der heutigen psychiatrischen diagnostik, die sich zusätzlich um eine neue definition von "gesunder normalität" bemühen müsste - und damit dann wiederum die bisherige "normalität" ganz anders zu betrachten gezwungen sein würde...
auch das folgende thema wurde hier vor ein paar monaten schon erwähnt - falls Sie nachher um 23.00 h noch nichts vorhaben, können Sie sich über die aktuellen varianten einer versteckten "euthanasie" bzw. einer schon nicht mehr versteckten selektion anhand ökonomischer kriterien in diesem land informieren - in der vorankündigung ist u.a. zu lesen:
(...)"Menschen, die schwer erkranken, stehen oft alleine in ihrem Kampf ums Überleben. Sie brauchen Kraft, um gegen die Krankheit zu kämpfen und müssen sich zusätzlich gegen ihre Kasse und deren Weigerung wehren, die Kosten für eine lebenserhaltende oder lebensverlängernde Therapie bei ihrem behandelnden Arzt zu übernehmen. Eine bittere Erkenntnis für Patienten, gerade wenn sie auf Sicherheit und Zuversicht angewiesen sind.
Eine von ihnen ist die 38-jährige Julia L. aus München."Wollt Ihr uns sterben lassen, nur weil wir diesem System ausgeliefert sind?" fragt die schwer kranke Patientin. Mit ihrem Arzt und einer Anwältin kämpft sie um eine Therapie, doch die Kasse lehnt ab. Die Behandlung wird abgebrochen. Ebenso wie bei der 28-jährigen Stefanie R. "Ich will behandeln, darf aber nicht", sagt ihr Arzt, "man zwingt mich, gegen meinen medizinischen Eid zu verstoßen".(...)
ja doch, wir leben in einer dingwelt:
(...)"Viele Menschen sterben einen leisen Tod, weil sie keine Kraft haben, neben der Krankheit auch noch die Vorschriften, Absagen und bürokratische Entscheidungen zu bekämpfen. Sie werden zerrieben in einer Maschinerie, in der die Kosten das zentrale Kriterium zu sein scheinen und in der über Schicksale von Menschen nur nach Aktenlage entschieden wird."(...)
es ließe sich auch als eine sehr perfide art von mord bezeichnen.
manchmal benutze ich das blog für mich auch als eine art notizzettel, um interessante infos bzw. artikel vorläufig festzuhalten - weitere kommentierung meinerseits vorbehalten.
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Psychisch Kranke werden ausgeforscht , so die überschrift eines artikels der aktuellen taz. eines von derzeit vielen bereits verabschiedeten oder in der diskussion befindlichen gesetzen in vielen verschiedenen bereichen, die nichts gutes ahnen lassen.
"Der Bundesrat will den Behörden Ermittlungen im persönlichen Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne Zustimmung der Betroffenen erlauben. Bundesregierung begrüßt entsprechenden Gesetzentwurf der Länder, Verbände und FDP protestieren
Die Behörden sollen künftig das persönliche Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne deren Wissen und Zustimmung ausforschen können, um eine Betreuung vorzubereiten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrats vor, den die Bundesregierung unterstützt. "Das erinnert an Methoden einer Geheimpolizei in totalitären Staaten", kritisiert René Talbot von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener das Vorhaben."(...)
"Im persönlichen Umfeld des Betroffenen, also bei Verwandten, Nachbarn oder an der Arbeitsstelle, darf die Behörde bisher aber nur Erkundigungen einholen, wenn der vermeintlich Kranke zustimmt. Hier setzt die geplante Änderung des Betreuungsbehörden-Gesetzes an. Wenn der zu Überprüfende (nach ärztlicher Feststellung) schon so verwirrt oder krank ist, dass er gar keinen rechtlich bindenden Willen mehr bilden kann, soll die Behörde auch ohne seine Zustimmung mit Menschen aus seinem Umfeld sprechen können. Die Länder wollen so "Verfahrensverzögerungen" verhindern. Die neuen Befugnisse der Behörden seien im Interesse des Betroffenen.
Das sehen Psychiatriekritiker aber ganz anders. "Auch als psychisch Kranker hat man ein Recht darauf, dass nicht alle Nachbarn und Arbeitskollegen von der Krankheit erfahren", kritisiert Matthias Seibt vom Landesverband Psychiatrieerfahrener NRW. "Die Betreuungsbehörde kann, ohne dass der Betroffene irgendetwas davon erfährt, dessen Ruf zerstören."(...)
wie bereits heute die bestehende gesetzeslage teils von behörden ausgelegt wird, war vor einiger zeit schon hier - "von alten damen und ministern" - zu lesen. ich hatte damals u.a. geschrieben:
(...)"die ganz geschichte macht sehr deutlich das grundsätzliche dilemma sichtbar, das ich weiter unten schon mal genauer umschrieben hatte: psychiatrische diagnosen können reale, für einen menschen bzw. das jeweilige umfeld tatsächlich gefährliche und bedrohliche krankhafte prozesse erfassen - aber in ihrem jetzigen status quo, der meist sehr interpretierbar ist, können sie genausogut zu allerlei schweinereien übelster art benutzt werden. und zwar ganz nach "recht und gesetz". die obige richterliche begründung jedenfalls folgt ziemlich genau dem muster, mit dem bspw. auch in totalitären systemen unliebsame kritikerInnen der verhältnisse kalt gestellt werden."(...)
und das letztere thema wird spätestens mit der jetzt geplanten gesetzesänderung ganz aktuell - einmal werden die aktuellen psychiatrischen diagnosemodelle (deren blinde flecken und faktische ignoranz, was real vorhandene verrückheiten bspw. von sog. führungspersonen betrifft, hier schon öfter beschrieben worden sind) damit tatsächlich zu einer art von waffe, deren destruktives potenzial in skrupellosen händen ungeheure ausmaße annehmen kann - siehe auch hier - und zum anderen ist dabei auch diese entwicklung zu berücksichtigen:
(...)"Ihre Sorge über die Zunahme psychischer Leiden hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen in einer Resolution „Gesundheit und soziale Lage“ ausgedrückt. „Zukunftsängste, Arbeitslosigkeit, Armut, wachsende Vereinzelung und das Auseinanderbrechen von Familien lösen immer häufiger Suchtprobleme und psychische Erkrankungen aus, die in vielen Fällen zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeit führen“, erklärten die Delegierten am 25. März in Bad Nauheim.
Auch für Arztbesuche und Krankschreibungen seien zunehmend psychische und soziale Leiden verantwortlich, erklärten die hessischen Delegierten. Sie führen dies auf die gesellschaftliche Entwicklung zurück, in der „Solidarität und die Würde des Einzelnen der ökonomischen Ausrichtung nachgeordnet werde“.(...)
das eröffnet den strategen der sog. "inneren sicherheit" natürlich große möglichkeiten - die sog. psychiatrisierung von politischer opposition ist nicht nur in ländern wie weißrussland ein fast schon traditionelles mittel , sondern bis heute auch bspw. in china. und immer wieder auch in der brd zu beobachten gewesen, zb. in vielen verfahren gegen totale kriegsdienstverweigerer (also diejenigen, die auch den sog. zivildienst wg. seiner ersatzdienstfunktion und einbindung in die militärische planung abgelehnt haben) besonders in den 1980er jahren.
wie viele andere sehr bedenkliche entwicklungen auch, erfordert ebenfalls dieses geplante gesetz eigentlich größte öffentliche beachtung. eigentlich.
***
dieses gesetz wird zudem in einem staat geplant, der ganz frisch vom europäischen gerichtshof verurteilt worden ist - ja, manchmal geschehen noch zeichen und wunder:
"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)
"inhumane und erniedrigende Behandlung" ist übrigens im allgemeinen sprachgebrauch nichts weiter als ein synonym für folter (und diesen älteren artikel verlinke ich deshalb nochmal, damit deutlich wird, dass die von gewissen personen und institutionen immer wieder angestrebte faktische aufweichung des folterverbotes in der brd - auch, wenn´s um tatsächlichen oder eingebildeten terrorismus geht - keinesfalls ein für sich alleine stehender skandal ist. wie spätestens dieses jetzige urteil deutlich machen sollte. ich bin mal gespannt auf die öffentlichen reaktionen. und nein, auch wenn ich dieses urteil mal ausnahmsweise bemerkenswert positiv finde, so sehe ich deshalb doch keinen grund dafür, mein grundsätzliches mißtrauen in die heutigen formen der justiz zu revidieren. und nochmals nein, mit dem problem der illegalisierung psychoaktiver stoffe mitsamt allen damit zusammenhängenden konsequenzen hat dieses urteil auch nur am rande zu tun - hier geht es darum, was ein staat an grenzen überschreiten darf.
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wenn ein emeritierter professor für philosophie sich mittels der orthodoxen freudschen psychoanalyse an der Psychopathologie der Abzockerei versucht, dann kann dabei so etwas herauskommen:
(...)"Die Moral der Geschichte von dieser politischen Psychopathologie der Abzockerei in einem wild gewordenen Kapitalismus lautet für einen kritischen, mit der Geschichte der Kapitalismustheorie vertrauten Geist: Das Es hat Adam Smiths angeblich so segensreicher, für eine gerechte Verteilung der Güter sorgenden «unsichtbaren Hand» das Steuer aus den Händen gerissen, es triumphiert frohlockend über das Über-Ich und verjagt aus dem Ich die letzten Ahnungen einer Aufklärung, der es, nach Kant, um den «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit» ging."(...)
das es als alter amokfahrer sitzt jetzt am steuer, lacht hämisch das über-ich auf dem beifahrersitz aus und treibt das ich auf dem bürgersteig in eine tiefe verzweiflung. so sehen also die analytischen versuche der alten europäischen intelligenz aus. *seufz*