Donnerstag, 24. September 2009

notiz: die mafia, der giftmüll und die kapitalistischen "demokratien"

„Und was wird aus dem Meer?“ fragt einer der beiden und bekommt als Antwort: „Was kümmert uns das Meer? Denk an das Geld, damit gehen wir woanders ans Meer.“

*

mit diesen - wenn auch nicht weiter quellenmässig belegten - gesprächsaufzeichnungen zweier involvierter "bosse" endet einer
derjenigen artikel aus den letzten tagen, die sich, meistens nicht an exponierter stelle, mit einem thema befassen, welches zunächst einmal mehr schier unglaublich erscheint. wie ein schlechter und übertriebener thriller. aber es meldet sich einfach nur die realität:

(...) "28 Kilometer vor der Küste entdeckte die Staatsanwaltschaft von Paola in Kalabrien das Wrack der «Cunsky». Ihre Ladung: 120 Behälter voller atomaren Abfalls. Nach Aussagen eines geständigen Mittäters hatten die Mafiosi das Schiff in den Neunzigerjahren dort versenkt. Es ist wohl nur der Beginn einer Enthüllungsgeschichte, die sich bereits wie ein Fass ohne Boden ausnimmt. Unter den Wogen des Mittelmeers lagert eine grosse Menge Gift, mindestens seit 1992 und ohne jede Überwachung. (...)

Mittlerweile geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass es noch mindestens 32 weitere Fälle gibt." (...)


radioaktivitätssymbol

sonderbar zurückgenommen sind bisher die entsprechenden
medienberichte, obwohl - oder gerade deswegen - hier zustände ansatzweise sichtbar werden, die jeder beschreibung hohn spotten. und es ist ebenfalls keineswegs ein rein italienisches problem, wenn auch die italienischen verhältnisse - die von einer mischung aus faschist und mafioso durchaus angemessen repräsentiert werden - für ein solches kaliber des organisierten verbrechens einen perfekten humus darstellen.

nein, die eigentlichen klopper liegen in den vielfältigen umständen dieser mafia-aktivitäten, die an einigen stellen schon durchschimmern:

(...) " In der Woche nach dem Fund berichtete er der italienischen Presse von weiteren Aktivitäten des organisierten Verbrechens. So habe die 'Ndrangheta tausende Fässer mit radioaktivem Inhalt nach Afrika gebracht.

Unter den Augen der italienischen Armee seien diese im damals von Italien kontrollierten Hafen des somalischen Bosasso zum Verschwinden gebracht worden." (...)


da fallen mir die folgenden
neulich im zusammenhang mit den somalischen piraten zitierten sätze wieder ein:

"Von seiten entwicklungspolitischer und antikapitalistischer Gruppen wird auf den Zusammenhang zwischen der Piraterie und der Ruinierung der somalischen Fischer vor allem durch internationale Raubfischerei und die mafia­mäßig organisierte »Entsorgung« aller Arten von Giftmüll in den Gewässern um Somalia hingewiesen.

Tatsächlich haben diese Faktoren, die aber auch schon Anfang der 90er Jahre vorhanden waren, bei der Entstehung der somalischen Seeräuberei eine wesentliche Rolle gespielt. Es begann den Berichten zufolge mit Notwehraktionen von Fischern gegen die aggressiv vorgehenden, Raubfischerei in den somalischen Gewässern betreibenden Fangschiffe aus vielen Ländern der Welt. Die wichtigsten »Piratennester« – Bossaso und Eyl in Puntland, Haradere und Hobyo in Somalia – sind ursprünglich Fischerstädtchen,..."


was sich bei einer näheren beschäftigung mit dem piratenthema schon recht schnell als verdacht aufdrängt, wird spätestens jetzt zur gewissheit: "der westen" züchtet sich die piraten selbst (die zu solchen in einem faktischen akt der notwehr werden).

einige andere punkte, die eigentlich extraausgaben und sondersendungen in allen eu-staaten rechtfertigen würden, wenn sich denn diese staaten tatsächlich an den immer wie ein popanz von ihnen präsentierten hehren idealen wie menschenrechten etc. orientieren würden, werden in einem weiteren
artikel angerissen:

(...) "Die Namen einiger in den achtziger und neunziger Jahren mysteriös versunkener und bei den Versicherungen nie auf Schadensersatz reklamierter Schiffe kennt man: Mikigan, Rigel, Marco Polo, Koralina; diese fuhr unter deutscher Flagge. Was sie alle an Bord hatten, dazu gibt es nur – schlimme – Verdachtsmomente. Die nach Behördenangaben „unnatürlich hohen“ Strahlenwerte und Krebshäufigkeiten an dem kalabrischen Küstenstreifen, wo 1990 die „Jolly Rosso“ strandete, zum Beispiel.

Und es gibt die Erzählungen von Francesco Fonti. Er sagt unter anderem: Italiens staatliche Atombehörde Enea, dazu der Verteidigungsminister damals, seien in den achtziger Jahren auf die ’Ndrangheta zugekommen. Ob sie nicht Giftmüll verschwinden lassen könne? 600 Fässer mit radioaktivem Schlamm zum Beispiel? Die Mafia konnte. 500 Fässer, sagt Fonti, habe man auf einen Frachter gepackt und mit falschen Papieren nach Somalia geschickt; den Rest habe man – weil die ’Ndrangheta-Bosse das Zeug nach langer Diskussion lieber nicht in den eigenen Bergen haben wollten – in der entlegenen italienischen Basilikata verscharrt. „Und ich konnte 250 000 Euro in bar direkt an die Familien von San Luca auszahlen“, schreibt Fonti.

Das Gift sei nicht nur aus Italien gekommen, sondern auch aus anderen europäischen Ländern, darunter aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich; auch hätten ganz verschiedene Konzerne auf diese Weise ihren Problemmüll beseitigt. So schreibt Fonti in seinem Geständnis an die Staatsanwaltschaft."


*

dazu passt ein älteres
fazit zur wiedervorlage:

"das obige belegt nur noch mal eine wichtige aussage: niemand sollte dem irrtum verfallen, bei solchen mafiösen zuständen handele es sich lediglich um "gesetzwidrige auswüchse" eines ansonsten ganz okayen kapitalismus. eher werden hier die spitzen nicht nur eines eisbergs, sondern eines ganzen eisgebirges sichtbar - es ist mittlerweile kaum noch zu unterscheiden, wo sich die antisozialen praktiken bspw. eines bekannten softdrinkherstellers im umgang mit bspw. als "mißliebig" deklarierten gewerkschaftern oder bei praktizierter ökologischer ignoranz groß vom treiben der cosa nostra, `ndrangheta, dem japanischen yakuza oder den chinesischen triaden unterscheiden lassen. faktisch nur noch dadurch, das die einen juristisch-objektivistisch gesehen überwiegend "legale", und die anderen eben "illegale" geschäfte machen - mit einer sich ständig ausweitenden antisozialen grauzone dazwischen (um der ausgewogenheit wegen: Sie können statt des bekannten getränkekonzerns auch einen ebenso bekannten ölkonzern oder auch einen gleichfalls gut bekannten lebensmittelmulti einsetzen - oder, oder oder...). jedenfalls fühlt sich die illegale mafia in der trauten zweisamkeit mit der legalen ausnehmend wohl - warum auch nicht?"

ja, warum auch nicht? lassen sich die erwähnten gangstrukturen rund um den planeten nicht als quasi modellhaft für den ungebremsten kapitalismus begreifen, der sich von allen "fesseln" befreit nur noch um die profitakkumulation dreht, egal zu welchem destruktiven preis auch immer?

das organisierte verbrechen und seine fließenden grenzen zu den heutigen staatlichen und ökonomischen strukturen weltweit war hier schon häufiger thema, aber ich habe den eindruck, dass gerade bei vielen derjenigen, die sich für gesellschaftliche verbesserungen einsetzen, die konsequenzen dieser unheilvollen verbindung immer noch unterschätzt und/oder ignoriert werden. was ja auch in gewisser weise verständlich ist - wer möchte sich schon gerne mit gangs dieses kalibers anlegen? und trotzdem wird dieser konfrontation nicht auszuweichen sein, dürften doch all die paten letztlich mit das größte interesse am fortbestand dieses systems haben, welches ihnen nicht nur materielle privilegien, sondern vor allem auch macht in der negativsten bedeutung des wortes gewährt - eine macht, deren ausmaß innerhalb der westlichen demokratiesimulationen nur erahnt werden kann. und als deren sinnbild ab jetzt zusätzlich dreissig vor sich hin rostende versenkte schiffe im mittelmeer gelten können.

Montag, 21. September 2009

kontext 57: fernsehender amok in der u-bahn

der sog. "amok" von ansbach als auch die schläger aus der münchener u-bahn werden öffentlich-medial wieder in der üblichen weise abgehandelt - zwischen allerlei aufgeblähtem nichts zwecks vernebelung aller wahrnehmungen, die unerwünschter weise in tiefer gehende nachfragen münden können bis hin zur gewohnten instrumentalisierung für allerhand reaktionäre politprojekte finden sich eher zufällig verstreute fragmente der realität, wenn auch meistens ungewollt, so wie in diesem schönen beispiel:

(...) "Aber wir müssen auch ehrlich sein. Das Problem liegt nicht nur in der Psyche der einzelnen Jugendlichen. Wir wollen die individualisierte Gesellschaft, die jedem von uns verspricht, dass er das Beste aus seinen Talenten und Wünschen machen kann. Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten ist nicht mehr attraktiv. Das kann missverstanden werden. Wer nicht der Größte sein kann, muss aber noch lange nicht versagt haben. Damit sich keiner abgehängt fühlt, müssen wir also neue attraktive Plots bereitstellen, und zwar Plots für ein glückliches kleines Leben. Preise vergeben für die beste Nebenrolle sozusagen."

plots und (neben-)rollen werden bekanntlich für theaterstücke und filme geschrieben und rollen dort vergeben, die nebenrollen sind dabei den statisten vorbehalten. ich halte den autor dabei gar nicht mal für zynisch, eher hat er eine realistische einschätzung der rezepte gegeben, die in einer gesellschaft, die sich mehr und mehr im grundsätzlichen widerspruch zwischen authentischer realität und inszenierten simulationen derselbigen verheddert, inzwischen als normal angesehen werden - diejenigen, die auf verschiedenste weise an dem bösartigen wuchern der simulationen ver-rückt werden und das u.u. extrem destruktiv an sich und/oder anderen ausagieren, sollen also mittels umschreibens ihrer rollen das versprochene glück finden. weil "wir ja die individualisierte gesellschaft wollen".

was reiner bullshit ist, und zwar deshalb, weil es authentische individualität hier nur in absoluten ausnahmefällen gibt - was u.a. daran liegt, dass sie sich weder kaufen noch verkaufen lässt -, und diese individualität nur innerhalb einer authentischen kollektivität gedeihen und existieren kann. beides ist hier aktuell absolut nicht erwünscht, sondern eher das, was zu lesen ist, wenn der satz realistisch formuliert wird: "wir wollen die vereinzelte gesellschaft", und damit überhaupt keine form der sozialität mehr, sondern nur noch beziehungslose, zum kollektiven handeln absolut unfähige und beliebig manipulierbare monaden, im schlimmen falle von angst, im schlimmsten von absoluter gleichgültigkeit determiniert. und die zwangsläufig pathologischen folgen dieses totalitär kapitalistischen projektes, welches nichts weniger als einen neuen menschen anstrebt, sind es, die in den aktuellen geschehnissen weder zum ersten noch zum letzten mal zu besichtigen sind.

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im gegensatz zur offenbar völlig unbewussten kenntlichmachung der als-ob-gesellschaft schafft es ein forensischer psychiater, zumindest etwas bewusste realität in die
diskussion zu bringen:

(...) "Säuglinge, die unter solchen Umständen auf die Welt kommen, bedürfen der besonderen Fürsorge, wobei die Konstanz einer mütterlichen Bezugsperson von ausschlaggebender Bedeutung ist. Fehlt dieser Schutzfaktor für das Neugeborene und setzen Eltern ihren Rauschmittelmissbrauch fort, kümmern sie sich nicht um das Kind oder lehnen es gar ab, so führt das schon beim Kleinkind zu Verweigerung und aggressiven Verhaltensweisen - was dann wiederum weitere Ablehnung durch erwachsene Bezugspersonen zur Folge hat.

Auch im Kindergarten werden sie zu Außenseitern. Sie werden zurückgewiesen und sind nicht in der Lage, Beziehungen und Loyalitäten aufzubauen. Ihr störendes und abweisendes Fehlverhalten verstärkt sich. Anschluss finden sie häufig bei Kindern, die sich ähnlich entwickelt haben. Mit ihnen gehen sie auf Abenteuersuche, wobei die Abenteuer oft darin bestehen, Regeln zu brechen und körperliche Kraft zur Positionierung in der Gruppe der Gleichaltrigen einzusetzen. Hinzu kommt, dass ihnen oft männliche Rollenvorbilder fehlen, die ihnen andere Möglichkeiten der Konfliktlösung vorleben und soziale Kompetenzen vermitteln könnten.

Weiter verstärkt wird ihre aggressive Verhaltensbereitschaft, sofern sie sich kontinuierlich und immer wieder mit Gewalt-Videos und -Computerspielen beschäftigen, in denen sie ihre eigene Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit mit aggressiver Allmacht kompensieren können. Auf diese Weise stumpft der ihnen verbliebene Rest an mitmenschlichen Empfinden gänzlich ab. Spätestens dann haben die Gene ihre Umwelt gefunden. Kommen schließlich noch Drogen und Alkohol hinzu, sind die weiteren Schritte vorhersehbar." (...)


abgesehen von einigen zu undeutlichen aussagen wie bezgl. der überbetonung der genetischen determiniertheit (die meistens aufgrund des gerade erst ansatzweise zusammenspiels mit umweltbedingten triggern als solche erscheint) und dem nicht falschen, aber auch nicht ausreichenden hinweis auf externe toxische einflüsse während der
pränatalen phase sind in dem abschnitt meiner meinung nach viele treffende individuell-biographische bedingungen benannt, mittels der sich die umsich- und tiefgreifende auflösung elementarer sozialer fähigkeiten in vielen menschlichen gesellschaften manifestiert. wer das wissen will, kann das aufgrund der arbeit etlicher disziplinen auch wissen. solange aber keinerlei konsequenzen - die zwangsläufig radikal umwälzend sein werden und das auch sein müssen - aus diesem wissen gezogen werden, ist letzteres lediglich eine art erklärungsplacebo in dem sinne: "auch wenn alles den bach runtergeht, wissen wir immerhin, warum. ändern? nee, wieso?"

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das zum letzteren u.a. ein grundsätzlich anderes verhältnis gegenüber kindern bzw. ein anderes verständnis von kindheit gehört, schwang hier in der vergangenheit in vielen beiträgen schon (un-)ausgesprochen mit. eine art unterpunkt jedoch, der sich oben in beiden zitierten artikeln ebenfalls auf unterschiedlichen arten finden lässt, stellt das problem der technisch produzierten medialen simulation / fiktionen dar, in form des fernsehens und auch von video- und computerspielen. hatte ich vor einiger zeit in einem beitrag bereits einmal primär auf mögliche fatale
psychophysiologische wirkungen des fernsehens besonders mittels seines einflusses auf die augen hingewiesen (im verlinkten beitrag recht weit unten), so bin ich kürzlich auf die arbeiten einer britischen hirnforscherin namens susan greenfield gestoßen, die neben anderen einiges vom derzeitigen stand der neurobiologie / - physiologie / - psychiatrie in sachen medienwirkungen deutlicher werden lässt:

(...) "Dass ein Medium, das von einer Mehrheit der Bevölkerung jeden Tag mehrere Stunden genutzt wird, auch das seelische Leben der Menschen und der Gesellschaft verändert, ist offenkundig. Den Einfluss des Fernsehens und des Computers auf die Menschen und ihre seelische Befindlichkeit beschreiben Soziologen, Hirnforscher und Medienwissenschaftler inzwischen als gravierend. Psychologe Winterhoff-Spurk betont, dass heute das Fernsehen die Massstäbe der Lebensgestaltung, der ethischen Werte, setzt. Er charakterisiert das Fernsehen denn auch als den «geheimen Erzieher» der Kinder- und Jugendlichen. Winterhoff-Spurk ermittelte, in welch drastischem Umfang die Gewaltdarstellung im Fernsehen zugenommen hat. Sogar in den Nachrichten hat sich im kommerziellen Kampf um die Quote die Zahl gewalthaltiger Darstellungen im Zeitraum von nur zehn Jahren verdoppelt." (...)

in dieser (und ähnlichen) betrachtung gar nicht berücksichtigt ist dazu die möglichkeit sekundärer traumatisierungen, bei denen es sich durchaus nicht um ein wissenschatfliches konstrukt handelt - bspw. haben feuerwehrleute und beschäftigte bei rettungsdiensten als zeugen menschlichen leidens oft genug damit zu tun. und ich halte es für wahrscheinlich, dass auch medial vermitteltes leid solche traumata - oder aber entsprechende abwehrreaktionen zb. in form der oft genannten abstumpfung - erzeugen kann. weiter heisst es im text:

(...) "Das geschieht nicht nur durch die unbewusste Übernahme von Leitbildern, von Werten und Lebensweisen, die etwa durch TV-Serien als «üblich» oder «richtig» dargestellt werden. Vielmehr wird der Mensch dadurch, dass er sich über einen grossen Teil seiner Zeit der Zweidimensionalität aussetzt – anstatt dem realen Leben – in seinem Innersten, in seinem Wesen verändert.

Dieser erschreckende Befund ist statistisch gut dokumentiert. Die in Oxford lehrende Professorin Susan Greenfield sagt, dass die Menschen als Folge dieses Verhaltens «weniger Empathie» haben und «rücksichtsloser, waghalsiger» werden. Ihr Sozialverhalten verschlechtert sich schnell und gründlich. Mit Blick auf die künftige Entwicklung sagt die Hirnforscherin: «Das wird eine ganz andere Welt sein.»

Der Medienwissenschaftler Peter Winterhoff-Spurk beschreibt die Auswirkungen der Fernsehdominanz auf die Menschen in ähnlicher Weise: «Die Gefühlskultur wandelt sich hin zum Oberflächlichen, Theatralischen, Sexualisierten, zur Selbstinszenierung mit ständigem Drang nach Aufregung. Gefühle werden lediglich dargestellt, aber nicht empfunden; der Trend geht hin zum ‹kalten Herz›.»


das kalte herz der soziopathen. und entscheidend:

(...) "Das Fernsehen beeinflusst den Seelenhaushalt nicht nur durch die Vermittlung von Werten negativ. Es hat zerstörerische Kraft, weil es die Menschen in einer Simulationswelt festhält – und dies über so lange Zeit. Wirklichkeit und Scheinwelt können immer weniger auseinander gehalten werden." (...)

das dürfte verschärft für gerade bei solchen kindern und jugendlichen gelten, die eh schon durch die weiter oben angeführten destruktiven antisozialen bedingungen (selbst-)wahrnehmungsgeschädigt werden und deshalb zwangsläufig in die kompensationsversuche des objektivistisch-konstruktivistischen modus in der menschlichen struktur getrieben werden. die medialen simulativ-virtuellen welten wirken für diesen modus wie ein verstärker - abnahme authentischer sozialer fähigkeiten bei gleichzeitigem training instrumenteller intelligenz, wie susan greenberg in einem
interview genauer ausführt:

(...) Greenfield: Ich denke da in erster Linie an die Monitore, die schon im Leben von sehr jungen Menschen eine zentrale Rolle spielen. Man kann durchaus sagen, dass die Menschen heutzutage in zwei Dimensionen leben – den Dimensionen der Flachbildschirme. Kinder in westlichen Ländern verbringen mittlerweile täglich sechs bis acht Stunden vor einem solchen Display.

WELT ONLINE: Welche Folgen hat das sogenannte Leben in zwei Dimensionen?

Greenfield: Das hat viele Aspekte, auch positive. So hat sich beispielsweise dadurch der Intelligenzquotient der Menschen insgesamt verbessert. Die Fähigkeiten, die bei einem IQ-Test abgefragt werden, sind in vielen Aspekten jenen ganz ähnlich, die man bei Computerspielen trainiert. Man muss Muster und Strukturen schnell erkennen und interpretieren. Was man dabei nicht so sehr braucht, ist detailliertes Wissen. Man nutzt das Gehirn vielmehr in einer recht abstrakten Weise. (...)

Doch das Problem, mit dem wir zunehmend konfrontiert werden, ist: Informationen sind noch kein Wissen. Wer im 20.Jahrhundert aufgewachsen ist, kann Google sehr effizient nutzen, weil man dann noch gelernt hat, die richtigen Fragen zu stellen. Außerdem muss man erkennen können, ob die Antworten der Maschine sinnvoll sind oder nicht. Doch ich beobachte bei jungen Menschen, die von jüngster Kindheit an in der zweidimensionalen Welt der Monitore aufgewachsen sind, dass sie zunehmend den Bezug zur realen Welt verlieren und nicht mehr die Bedeutung der Dinge erkennen können – obwohl ihr Intelligenzquotient beeindruckend hoch ist. (...)


den "bezug zur realen welt verloren" dürfte sich als umfassende diagnose auch bei den protagonisten der eingangs erwähnten taten stellen lassen. interessant finde ich auch ihre hier nicht zitierten bemerkungen zu den (investment-)bankern am bildschirm, während mir ihre definition eines "kindlichen modus" fraglich erscheint - ich nehme kinder durchaus als kleine menschen mit differenzierenden fähigkeiten dar, jedenfalls dann, wenn sie in einem liebevollen umfeld aufwachsen können.

(...) WELT ONLINE: Hat das Leben in der zweidimensionalen Welt auch Konsequenzen für die weitere Evolution des Menschen?

Greenfield: Auf jeden Fall. Dafür muss man gar nicht Jahrtausende in die Zukunft blicken. Das kann man schon heute sehen. Die Menschen werden intelligenter, haben aber weniger Empathie, sind rücksichtsloser, waghalsiger, schnelllebiger. Das wird eine ganz andere Welt sein, in der übrigens auch andere Produkte gefragt sein werden.


äusserst ärgerlich und auch bedenklich, dass sie das unausgesprochen als unabwendbaren prozess beschreibt. denn was sie da beschreibt, ähnelt wieder verdammt der grundausstattung des simulativ intelligenten soziopathen, übrigens völlig analog dem mehr oder weniger unausgesprochen erwünschten und geforderten menschentyp im totalitären kapitalismus. die (instrumentell) intelligente, rücksichtslose und gleichgültige monade.

WELT ONLINE: Die gute Nachricht ist also, die Menschen werden intelligenter?

Greenfield: ...und die schlechte ist, dass sie diese Intelligenz nicht nutzen – und dass es um die sozialen Fähigkeiten schlecht bestellt sein wird. Man kann bereits beobachten, dass manche lieber per Display kommunizieren, als anderen tatsächlich im realen Leben zu begegnen. Es ist sehr traurig, dass erwachsene Menschen – meines Wissens zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte – alleine spielen. Früher ist man zu Nachbarn gegangen und hat Bridge oder Poker gespielt. Dabei hat man leckeren Wein getrunken und sich nett unterhalten. Das waren schöne Abende. Heute sind es Computerspiele, die mit ihrer Geschwindigkeit dem Einzelnen einen Kick geben.

WELT ONLINE: Und dies hat weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft insgesamt?

Greenfield: Ja. Statt im Regen spazieren zu gehen, eine Fremdsprache zu lernen oder eine Liebesaffäre zu haben, verbringen die Menschen ihre Zeit vor einem Bildschirm. Dort findet ihr Leben statt. Die Intensität und Häufigkeit sozialer Kontakte geht zurück. Wir haben es dann mit einer Gesellschaft zu tun, in der das Individuum zwar eine Menge Glücksgefühle erlebt, aber letztlich keinen tieferen Sinn mehr erfährt. (...)


wobei der ausdruck glücksgefühle meiner meinung nach fraglich ist, weil glück nur als moment erfahrbar ist, und ebenfalls nur vor dem hintergrund von frustrationen, leid und unglück als solches erfahrbar ist (wovon ich gesellschaftlich produziertes überflüssiges leid ausdrücklich ausnehme - aber selbst in einer anarchie, als bis dato am weitesten entwickelte menschliche sozialform denkbar, wird es schmerz und trauer, verluste und endgültige grenzen geben).

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insgesamt aber bestärken mich die obigen medienbezogenen ausführungen dahingehend, dass ich denke, das die genannten und bisher sichtbaren wirkungen besonders des fernsehens mehr als bisher von allen thematisiert werden müssen, denen an emanzipatorischen entwicklungen gelegen ist. "dsds", "gntm", "big brother", "dschungelcamp", all die krawalltalkshows und unsäglichen soaps sind keinesfalls harmlose bis ärgerliche nebeneffekte eines pervertierten systems, sondern funktionieren vermutlich mehr als bisher gedacht als tragende stütze. da fällt mir wieder eine parole ein, die vor langer zeit hier schon einmal zu lesen war:

zerstört die simulationen!

Sonntag, 20. September 2009

notiz: "soziale marktwirtschaft"

die entstehungsgeschichte und -hintergründe dieses systemtragenden mantras hat sich otto köhler vorgeknöpft:

(...) »Ich meine, daß der Markt an sich sozial ist, nicht daß er sozial gemacht werden muß.« So sprach der Christdemokrat Ludwig Erhard im Gespräch mit dem Hohepriester des ganz freien Marktes Friedrich August von Hayek. »Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch« – das war sein Motto. Dieser aufrechte soziale Demokrat Erhard bekämpfte Adenauers Rentenreform als Schritt in den Versorgungsstaat – mit der Rente erst für 67jährige marschiert die deutsche Sozialdemokratie heute wieder heraus aus diesem Ungeheuer.

Nein, die »soziale Markwirtschaft« kommt nicht von der FDP und von der CDU nur zum Teil. Die ist ganz anders entstanden – aber der erste Bundeswirtschaftsminister war ihr Taufpate.

Erfunden wurde der Begriff kurz vor Hitlers Ende im zerbombten Berlin. Sogar das Datum und die Gelegenheit lassen sich nennen." (...)


und so wird denn auch deutlicher, warum
solche - und viele andere - zustände eben durchaus keine systemfehler darstellen, sondern ihm eher immanent sind.

(...) »Was Sie wollen«, sagte Weiss dem Besucher, »ist eine großräumige Wirtschaftsordnung mit freien Märkten und einer privaten Eigentumsgarantie.«

Er machte dem Besucher einen Vorschlag zur Güte: »Ob Sie das nun aber eine demokratische Marktwirtschaft nennen oder als eine Soziale Marktwirtschaft bezeichnen, worin Ohlendorf einen Anklang an seine nationalsozialistischen Vorstellungswelten erblicken würde, kann doch nicht so wesentlich sein.«

Das war’s.

Erhard: »Was haben Sie da gesagt? – ›Soziale Marktwirtschaft‹ –, das ist ein Begriff, der mir gefällt. Wenn Sie noch ein Glas von Ihrem Burgunder haben, dann wollen wir darauf anstoßen«.

So entstand im Auftrag des Massenmörders Ohlendorf der Begriff, dem Angela Merkel heute in der ganzen Welt zum Sieg verhelfen will." (...)


das ist tatsächlich eine ganz eigentümliche definition von "sozial", die auch in solchen phrasen wie "sozial ist, was arbeit schafft" etc. deutlich wird. wiedermal ist´s ein nazirelikt, genauer: eine modifizierte version primär ökonomischer aspekte der volksgemeinschaft, die sich hinter dem kürzel sm verbirgt (ja, das passt in der doppelbedeutung perfekt).

Montag, 7. September 2009

assoziation: taliban, maras, piraten etc. - der asymmetrische krieg des westens gegen die "untere milliarde" (2)

(zum ersten teil)

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das auftreten von gangs - egal ob mit politischer und/oder religiöser ideologie - lässt sich durchaus als globales phänomen betrachten, und zwar als zwangsläufiges: erstens stellt die form der bande eine art rudimentäre basis der menschlichen sozialität dar, allerdings nur in situationen allgemeiner äußerer bedrohung und unsicherheit. zweitens lassen sich bandenstrukturen in allen gesellschaften mit traumatisch kontaminierter sozialstruktur nachweisen (ich verlinke
das vorsichtshalber nochmal); und drittens lässt sich die these aufstellen, dass es sich bei den meist männlichen mitgliedern i.d.r. um jüngere und agile teile der so called "unteren milliarde" (vielleicht ließe sich auch von globalen prekariat sprechen), die im mehrfachen sinne des wortes ungebundener agieren und sich bewegen können als bspw. die millionen von frauen, kindern, alten und familienvätern, die sich in den elendszonen des planeten täglich um leben, essen, wasser und gesundheit so viele sorgen machen müssen, dass sie davon in so ziemlich allen lebensäußerungen determiniert sind.

viertens aber gehört der vorherige punkt schon ebenfalls zur these, dass es trotz aller kulturellen unterschiede und räumlichen entfernungen strukturelle gemeinsamkeiten zwischen diesen gangs gibt, die fünftens von den strategen der oberklasse regelmässig instrumentalisiert werden. zumindest der versuch ist belegbar, auch wenn solche versuche oftmals - wie in afghanistan - zum rohrkrepierer werden. sechstens scheint mir in allen fällen die klassische form der mafia als, wenn auch nicht bewusste, matrix zu fungieren. und siebtens ist mit der hinweis mit am wichtigsten, dass in allen drei fällen die letzte verantwortlichkeit für das entstehen der jeweiligen gangs durchaus deutlich in der mehrheitlich bisher tolerierten politik der westlichen "elliten" zu suchen ist.

um diese sieben punkte etwas näher zu beleuchten, folgen drei beispiele - mit den taliban befindet sich der westen bekanntlich im offenen, wenn auch asymmetrischen, krieg. die piraten von ostafrika (aber auch asien) werden dem gegenüber durch eine art militärischen polizeieinsatz bekämpft, während sich die maras inzwischen von mittelamerika aus über recht große teile der usa (besonders im südwesten) ausgebreitet haben, in der ganzen region zu einer echten bedrohung für viele geworden sind und in und von mehreren staaten vorwiegend polizeilich, in ansätzen aber auch bereits paramilitärisch, bekämpft werden.

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auszüge aus einem interessanten
text zur jüngeren (politischen) geschichte afghanistans:

(...) "An diesem Punkt der afghanischen Geschichte betraten die Taliban (...) die Bühne. Wie aus dem Nichts schien diese unbekannte, neue Miliz aufgetaucht zu sein. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, daß der pakistanische Militärgeheimdienst ISI am Aufbau der Taliban wesentlich beteiligt war: von Anfang an war die Miliz gut bewaffnet und verfügte über schwere Waffen, einschließlich Panzer und Flugzeuge. Auch die Spannungen zwischen Pakistan und der Regierung in Kabul legen diesen Schluß nahe. Später wurde dies mehrfach belegt, etwa durch die Festnahme von pakistanischen Offizieren in Mazhar-i-Sharif, in afghanischen Norden.

Die Taliban verfügten über drei entscheidende Vorteile: erstens waren die Mudschahedinparteien und ihre zerstrittene Regierung in der Bevölkerung weitgehend diskreditiert. Es hatte sich lange herumgesprochen, daß sie weder das Wohl des Landes, noch den Islam im Sinn hatten, sondern nur das eigene, und daß sie den Krieg verewigten. Zweitens waren die Bevölkerung und selbst viele Mudschahedin ausgesprochen kriegsmüde. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1988/89 und dem Sturz Nadschibullahs 1992 waren immer weniger Gründe für eine Fortsetzung des Krieges zu erkennen, aber der Krieg und das Leiden hörten nicht auf. Beide Punkte stellten die Taliban ins Zentrum ihrer politischen Arbeit. Drittens aber waren die Taliban eine neue, unverbrauchte Kraft, die für die Verbrechen, Korruption und den Krieg keine Verantwortung trugen. Sie waren die einzige Organisation mit Glaubwürdigkeit. Und schließlich war es ein großer Vorteil, daß die Taliban nicht nur ständig vom Islam redeten, sondern “islamische Studenten” waren - also als überparteilich, unabhängig von der Parteipolitik und selbstlos gelten konnten. In der Bevölkerung waren die Taliban durchaus beliebt, da sie disziplinierter und rücksichtsvoller auftraten. Sie genossen Respekt, während man den Parteien gegenüber vor allem Furcht, Opportunismus oder Zynismus spüren konnte. (...)

Tatsächlich machten sie ernst mit “dem Islam”, wenn auch mit einer besonders rigiden und reaktionären Variante. Zuerst ließen die Taliban die Mohnfelder abbrennen und die Heroinlabors zerstören, da Drogen gegen den Islam verstießen. (Inzwischen haben sie den finanziellen Nutzen der Opiumproduktion erkannt und den Drogenexport wieder aufgenommen.) Sie einigten als drei Viertel des Landes unter ihrer Führung, womit die Zerstückelung Afghanistans zum Teil rückgängig gemacht und die Instabilität verringert wurde. Und in ihren Herrschaftsgebieten wurde tatsächlich der Krieg beendet - kein kleines Verdienst nach mehr als 1,5 Millionen Toten. Aber ihre Art des Islam hatte von Anfang an stark repressive Züge. Männer wurden gezwungen, sich Bärte wachsen zu lassen, Frauen verstärkt unterdrückt: Berufstätigkeit und Schulausbildung für Frauen sind verpönt und faktisch verboten. Das Tragen der burqa - ein Ganzkörperschleier - wird den Frauen aufgezwungen. Brutalste Bestrafungsformen und Willkür sind an der Tagesordnung. Was viele Afghanen zuerst als die letzte Hoffnung auf Frieden begrüßt hatten, entwickelte sich schnell zu einer terroristischen Gewaltherrschaft hinter religiösen Rechtfertigungsformeln. " (...)


es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der genannte pakistanische geheimdienst isi eine enge zusammenarbeit mit der us-amerikanischen cia pflegt. eine weitere
quelle stellt zur zusammensetzung und soziologie der taliban fest:

(...) "Die Taliban stammten überwiegend aus den ländlichen Gebieten in Südostafghanistan und den Flüchtlingslagern in Nordpakistan. Die meisten waren junge Männer zwischen 15 und 30 Jahren, die im Krieg herangewachsen waren, viele als Waisenkinder.

Die Masse der Taliban sind Analphabeten. Sie verfügen lediglich über ein religiöses Basiswissen, das ihnen in religiösen Internaten (madrassa) beigebracht wurde." (...)


also kriegs- und waisenkinder, die zusätzlich zu diesem traumatischen background noch den spezifischen, in islamischen gesellschaften verbreiteten
gewalttätigen methoden im umgang mit kindern ausgesetzt waren. die teils extrem brutalen taten der taliban haben ihren psychophyischen hintergrund mit sehr großer wahrscheinlichkeit in den traumatischen biographien ihrer mitglieder, gekoppelt mit gruppendynamischen prozessen und der kriegsobligatorischen verrohung.

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aus nachvollziehbaren gründen hierzulande fast unbekannt sind die
maras :

(...) "Es sind junge Menschen, die leiden, die uns hassen, die uns herausfordern. Sie erwecken die schlimmsten Albträume. Aber im Grunde sind sie der Ausdruck absoluter menschlicher Einsamkeit." So sprach der französisch-spanische Dokumentarfilmer Christian Poveda über die Maras - straff organisierte Jugendbanden, die Mittelamerika und Teile der USA seit Jahren mit brutalster Gewaltkriminalität terrorisieren. (...)

Die Maras haben sich für die armen Länder Mittelamerikas zum existentiellen Problem ausgeweitet. Sie kontrollieren ganze Landesteile, vergewaltigen, erpressen, morden und erledigen die Drecksarbeit für die Drogenhändler. El Salvador, Guatemala und Honduras haben mit die höchsten Mordraten der Welt.

Aber auch in Einwanderervierteln in US-Städten stellen die Maras ein gewaltiges Sicherheitsrisiko dar. Gefürchtet sind sie an der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko, wo sie Migranten überfallen. Auch in Madrid sind sie schon aufgetaucht. Das FBI stuft sie als "transnationale Super-Gangs" ein. Die US-Bundespolizei geht von 60.000 Maras aus, andere Quellen sprechen von 200.000.

Journalist Poveda sprach kürzlich in einem Interview mit der Los Angeles Times den USA eine direkte Mitverantwortung für die Existenz der Banden zu. Ihre Vorläufer entstanden in US-Vorstädten zu Zeiten der mittelamerikanischen Bürgerkriege der 80er Jahre, als Washington Diktatoren im Kampf gegen Guerilleros unterstützte. Mittelamerikaner flohen zu Hunderttausenden in die USA. Ihre Söhne schlossen sich zu Gangs zusammen, in Los Angeles entstand die berüchtigte Mara 18, benannt nach der 18. Straße.

Nach dem Friedensschluss in Mittelamerika begannen die US-Behörden, gefasste Bandenmitglieder, pandilleros, in ihre Herkunftsländer abzuschieben, wo sie weder Arbeit, Familie noch Halt fanden; und wenig Gegenwehr. Poveda sah in ihnen "die Antwort einer verlorenen Generation" auf die blutige Vergangenheit und die Aussichtslosigkeit ihrer Heimat." (...)




"Ihr Kennzeichen sind Tätowierungen, die Gesicht, Kopf und Körper bedecken und ein pervertiertes Wertesystem ausdrücken, in dem es darum geht, sich "Respekt" zu verschaffen - und zwar durch Gewalt. Tätowierte Tränen unter dem Auge stehen für Ermordete, für jeden Toten kommt eine hinzu.

Die meiste Gewalt fügen die Banden sich aber gegenseitig zu, Rivalin der Mara 18 ist die Mara Salvatrucha (ein abfälliges Wort für Salvadorianer), die auch Mara 13 heißt, weil sich männliche Neumitglieder einer 13-sekündigen Prügelorgie unterziehen müssen. Mädchen müssen Sex mit drei Bandenmitgliedern haben.

Aussteiger berichteten, sie seien zur Initiation gezwungen worden, den nächstbesten Passanten zu erstechen. Normalerweise verlässt man die Mara nur durch den eigenen Tod. Einzig radikale evangelikale Gruppen haben einen gewissen Erfolg dabei, Maras aus ihrem System zu brechen, in dem sie ihnen ein anderes, ebenso striktes entgegenhalten.

Die Regierungen haben versucht, mit harter Hand zu antworten, der frühere Präsident von Honduras, Ricardo Maduro, ließ das Militär gegen die Maras aufmarschieren, die seinen Sohn ermordet hatten. Gefüllt hat das jedoch nur die Gefängnisse, wahre Verbrechens-Hauptquartiere." (...)


btw: an der stelle möchte ich nochmals auf einen älteren beitrag und die diskussion rund um das thema
tattoos, piercing etc. hinweisen.

die zitierte aussage des journalisten, dass die usa direkte mitverantwortung trügen, muss eher noch ausgeweitet werden: die - ebenfalls teils schwer traumatisierten - flüchtlinge aus den diktaturen centralamerikas sind direkt als opfer us-amerikanischer politik - die diese dikaturen installiert und getragen hat - zu begreifen. das vor jahrzehnten produzierte gewaltpotential kehrt nun als weitgehend ungerichtete verrohung ebenfalls in und gegen die us-bevölkerung zurück, aber auch gegen die bevölkerungen mittelamerikas. und auch hier bilden sich die gangs aus dem potential von kindern und jugendlichen mit traumatischem background - in den usa als latinos rassistisch ausgegrenzt, in ihren heimatländern mit der ökonomischen aussichtslosigkeit und der unverarbeiteten traumatischen geschichte konfrontiert.


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etwas komplizierter ost der hintergrund der
piraterie in somalia , wobei auch hier im kern kriegsverwüstungen eine rolle spielen:

(...) "Der Hauptgrund für die somalische Seeräuberei ist immer wieder schnell genannt: Seit dem Sturz des diktatorisch regierenden Siad Barre 1991 ist Somalia ohne funktionierende, im ganzen Land anerkannte Regierung. Seither bekämpfen sich Clans, politische und religiöse Organisationen sowie andere Interessengruppen.

Als Erklärung für das aktuelle Ausmaß der Piraterie gerade in Somalia kann das Fehlen einer staatlichen Ordnung allein aber nicht ausreichen. Denn die Zahl der Kaperungen hat dort erst 2006 – also 15 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs – leicht zugenommen, stieg dann 2007 deutlich und 2008 sprunghaft an. Und es handelte sich dabei nicht nur um eine zahlenmäßige Zunahme, sondern vor allem um eine qualitative, hinsichtlich der Größe und des Wertes der gekaperten Schiffe. Außerdem: Die meisten Piratenakte um das Horn von Afrika, schätzungsweise 80 Prozent, ereignen sich im Golf von Aden, nördlich von Puntland, das sich 1998 von Somalia getrennt hat und seither de facto ein eigener Staat ist. Die Verhältnisse dort sind aber, verglichen mit denen Somalias, relativ stabil und friedlich.

Ein entscheidender Faktor für die plötzliche Zunahme der Seeräuberei rund um Somalia ist wahrscheinlich in der Verfügbarkeit von Kapital zu sehen, das den Piraten beispielsweise die Anschaffung von neuen Schnellbooten ermöglichte, mit denen sie inzwischen auch über 200 Kilometer weit vor der Küste operieren können. Die Piraterie ist zu einem Geschäft geworden, in das exil-somalische Geschäftsleute in Kanada, Großbritannien, auf der arabischen Halbinsel und in Südasien investieren. Vielleicht besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem gleichzeitigen Rückgang der Piraterie in Südostasien, vor allem in der Straße von Malakka, und dem Aufschwung der Seeräuberei um das Horn von Afrika: daß nämlich verbrecherisches internationales Kapital ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden hat.

Von seiten entwicklungspolitischer und antikapitalistischer Gruppen wird auf den Zusammenhang zwischen der Piraterie und der Ruinierung der somalischen Fischer vor allem durch internationale Raubfischerei und die mafia­mäßig organisierte »Entsorgung« aller Arten von Giftmüll in den Gewässern um Somalia hingewiesen.

Tatsächlich haben diese Faktoren, die aber auch schon Anfang der 90er Jahre vorhanden waren, bei der Entstehung der somalischen Seeräuberei eine wesentliche Rolle gespielt. Es begann den Berichten zufolge mit Notwehraktionen von Fischern gegen die aggressiv vorgehenden, Raubfischerei in den somalischen Gewässern betreibenden Fangschiffe aus vielen Ländern der Welt. Die wichtigsten »Piratennester« – Bossaso und Eyl in Puntland, Haradere und Hobyo in Somalia – sind ursprünglich Fischerstädtchen, die allerdings durch die Piraterie in den letzten Jahren einen Boom erlebt haben. Immer noch sind viele Piraten ehemalige Fischer, auch wenn sich ihre Stützpunkte inzwischen zu Magneten für Männer aus allen Teilen des Landes und aus unterschiedlichen Berufen entwickelt haben. Darunter viele frühere Angehörige der heute praktisch kaum noch existenten Küstenwacht und schlecht entlohnte Soldaten. So wurde im vergangenen Sommer gemeldet, daß sich 400 puntländische Soldaten mit ihren Fahrzeugen den Piraten in Eyl angeschlossen hatten, nachdem die Soldzahlungen ausgeblieben waren."


durch die spezifischen eigenarten vor ort haben sich die bewaffneten seeräubereien für viele marginalisierte somalis als im verhältnis recht bequeme art und weise herausgestellt, das eigene überleben in einer weitgehend zusammengebrochenen und ebenfalls kriegstraumatischen sozialstruktur sicherzustellen. die erwähnte involvierung von organisierter kriminalität ist vor dem hintergrund der besonderen beute - ganz frachtschiffe - ebenfalls nicht überraschend. eine vom westen jahrelang abgeschriebene und nur mit kurzzeitigen "militärischen interventionen" bedachte region, deren meeresressourcen - die nahrungsbasis mindestens für die küstenbevölkerung - dazu noch geplündert wurden und werden, bringt sich so wieder ins gedächtnis.

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zusammenfassend lässt sich folgendes sagen:
  • alle drei gangphänomene sind in einer stark geschädigten sozialstruktur entstanden
  • bei allen drei spielt bei den jeweils aktiven eine traumatische matrix durch kriege, diktaturen sowie mehr oder weniger gewalttätige erziehungspraktiken eine rolle (in mittelamerika kommt noch das rollenbild des machismo hinzu)
  • alle drei sind teils direkte (taliban), teils indirekte produkte westlicher "politik" (die sich ihre eingangs erwähnten "demokratischen und moralischen ideale" sonstwohin stecken kann)
  • zwei (taliban, piraten) dienen bereits jetzt schon zur rechtfertigung globaler militäreinsätze. ich prophezeie hinsichtlich der maras in naher zukunft eine ähnliche entwicklung
"wir" ernten, was wir gesät haben....

solidarität? nun, mit den gangs begründet sicher nicht - eher mit den einzelnen menschen darin. wobei auch nicht vergessen werden darf, dass extrem antisoziale strukturen eines solchen kalibers (die sich auch als realitische widerspiegelung ihrer erschaffer und gegenparts begreifen lassen, vorläufig (nicht) mehr mit üblichen politischen und sozialen maßnahmen erreichbar sind. um diese strukturen aufzulösen bzw. überhaupt die bedingungen dafür zu schaffen, sind grundlegende veränderungen unabdingbar. kurz skizziert würde mir da einfallen:
  • massive ökonomische unterstützung der betroffenen regionen
  • stopp des waffenhandels
  • aufbau eines massiven psychosozialen netzes mit dem schwerpunkt der antitraumatischen arbeit
  • schaffung breiter bildungsmöglichkeiten
  • rückhaltlose ehrliche ansprache seitens der verantwortlichen westlichen staaten über ihre fehler an die betroffenen menschen
  • grenzziehung im sinne des verhindern des gewalttätigen ausagierens. der punkt wird vermutlich vielen nicht gefallen, impliziert er doch tatsächlich polizeiliche oder auch militärische interventionen, allerdings nur als reaktion, nicht für ökonomische interessen, und nur im zusammenspiel mit den anderen genannten maßnahmen, die parallel laufen müssen
Sie können selbst beurteilen, wie realistisch ein solches szenario - welches nicht nur humaner, sondern langfristig sogar ökonomisch günstiger kommen würde als die im ersten teil skizzierten pläne der eu - aktuell scheint. mit diesen politikerInnen und leider mehrheitlich auch dieser bevölkerung.

aber die alternative ist langfristig nur ein übles gemisch aus "brazil", "1984", "gattaca", "mad max" und "rambo". und bekanntlich hat die realität die eigenart, jeden filmplot um längen zu schlagen. und selbst die höchsten mauern und hochgerüstete kampfeinheiten werden selbst zum preis von wahrhaften massenmorden nicht verhindern können, dass am ende der totalitäre kapitalismus schlicht von der "unteren milliarde" überrannt werden wird. nur wird dann der verlust existenzieller menschlicher sozialer fähigkeiten der normalfall sein. und wer eine solche welt nicht will, muss sich jetzt und hier gedanken machen. und handeln.

assoziation: taliban, maras, piraten etc. - der asymmetrische krieg des westens gegen die "untere milliarde" (1)

während um den luftangriff in afghanistan inzwischen ein internationales (des-)informationsspektakel entbrannt ist, welches so nebenbei nochmals deutlich macht, dass es durchaus immer noch etwas gibt, was sich als innerimperialistisches machtgerangel bezeichnen ließe, gibt es heute auch von einem anderen abschnitt der front - und das ist nicht als metapher zu verstehen, wie später deutlich werden sollte - aktivitäten deutscher truppen zu vermelden:

"Die Fregatte "Brandenburg" vor Somalia hat ein verdächtiges Skiff mit fünf bewaffneten Insassen gestoppt. Bei dem Manöver kam einer der mutmaßlichen Piraten ums Leben

Nach Angaben der Bundeswehr vom Montag wollte die Fregatte Brandenburg ein verdächtiges Boot im Golf von Aden überprüfen. Nachdem die Verdächtigen auf wiederholte Warnhinweise und Warnschüsse nicht reagiert hätten, sei die Erlaubnis zum Anwenden von "manövrierunfähig machendem Beschuss" erteilt worden. Durch Schüsse wurde demnach ein Insasse des Skiffs tödlich verletzt." (...)


nein, ebensowenig wie in der trockenen gebirgslandschaft von afghanistan kann in den gewässern vor der afrikanischen ostküste von krieg gesprochen werden - einerseits, wenn man nämlich immer noch ein bild von kriegen im kopf hat, welches von sog. regulären armeen mit hundertausenden von soldaten ausgeht, die in formal erklärten kriegszuständen und großen schlachten gegen das militär anderer staaten kämpfen. andererseits spricht eigentlich alles dafür, dass diese art des krieges eine historische darstellt, zukünftig nur noch in ausnahmefällen stattfinden und abgelöst wird von einer situation, für die sich inzwischen der begriff
asymmetrischer krieg eingebürgert hat:

(...) "Anders als bei den üblichen Kämpfen außerhalb eng besiedelter Bevölkerungsgebiete sind asymmetrische Kriege aber sehr häufig mit hohen Opferzahlen unter einer eigentlich nicht direkt am Kampf beteiligten Zivilbevölkerung verbunden. Diese bietet zwar bei vorhandener Sympathie des Anliegens gegenüber asymmetrisch Kriegführenden und eigener Leidensfähigkeit eine ausgezeichnete Versteckmöglichkeit für die waffentechnisch schwächere Kriegspartei, bei denen auch technisch immer ausgeklügeltere Systeme moderner hochtechnisierter Armeen zwar kurzfristig erfolgversprechend sind, aber in ihrer Wirkung rasch abstumpfen (vgl. ständige blutige Zwischenfälle in Afghanistan und Irak).

Dieses Verstecken und unerwartete Zuschlagen von asymmetrisch Kriegführenden (Nadelstiche) führt aber bei konsequenter Durchführung innerhalb moderner Armeen rasch zu Frustrationen auf unterer Kommandoebene mit der Gefahr einer Eskalation, die sich dann in plötzlichen Massakern an der Zivilbevölkerung (wie My Lai im Vietnamkrieg) oder zur Nichteinhaltung eines Mindestmaßes an Humanität äußern kann, da der Freischärler ja jederzeit in ihr untertauchen kann und sie gerne als Schutzschild missbraucht. Diese Generäle oder ihre zivilen Vorgesetzten setzen sich bei lange nicht einstellenden Durchbrüchen in ihrer eigenen Bevölkerung harter Kritik aus, die ihre fachliche Reputation beeinträchtigen kann. Aus humanitärer Sicht ist damit auch bei kriegführenden Demokratien rasch eine Minderbewertung des menschlichen Lebens zu erwarten, so wie es von der Gegenseite ohnehin regelmäßig praktiziert wird. Auch demokratische Staaten laufen dann Gefahr ihre eigenen moralischen Ideale zu verraten, indem sie sich der gleichen Verbrechen schuldig machen, wie ihr Guerilla-Gegner (foltern und wahllos töten)." (...)


zu den unterstellten "moralischen idealen" der sog. demokratischen staaten ebenfalls später mehr. ein (konservativer) politologe spricht einen weiteren
wichtigen punkt an:

(...) "...aber im Verlauf asymmetrischer Kriege kommt es immer wieder zu Massakern von beiden Seiten. Das können die Angriffe auf das World Trade Center sein, das können aber auch etwa der US-Luftangriff auf den "Highway of Death" sein. Also Massaker ist eine Begleiterscheinung asymmetrischer Kriege und sie können nicht beendet werden durch einen Friedensvertrag. Symmetrische Kriege wurden eröffnet mit der Kriegserklärung und beendet mit dem Friedensvertrag. Was wir stattdessen erfunden haben, ist der Begriff "Friedensprozess", also ein langer Vorgang der psychischen Umgestaltung dieser Akteure, der Gewinnung von Vertrauen und so weiter, Vorgänge, die sich meistens über ein Jahrzehnt hinziehen, in denen der Krieg dann auf niedriger Flamme weiterköchelt und man nicht sicher ist, ob er wieder ausbricht. Der Blick in solche Konflikte zeigt eigentlich, dass er immer wieder dann hochkocht und es sind wenige Konflikte, bei denen es dann gelungen ist, sie dauerhaft zu beenden."

den begriff der "psychischen umgestaltung" - bei denen er mit akteuren in diesem kontext offensichtlich immer das "terroristische" gegenüber meint - finde ich sehr bemerkenswert. auch dazu noch später etwas.

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nun ist es keinesfalls so, dass die innerhalb der westlichen "eliten" für repression und "sicherheit" beauftragten erst seit gestern von diesen kriegen neuen typs wissen, die bei näherer betrachtung gar nicht so neu sind - der partisanenkampf des zweiten weltkriegs oder auch die vielen guerillakriege in der zweiten hälfte des letzten jahrhunderts waren ein vorgeschmack auf das, mit dem nicht nur die westlichen strategen nun zusehends mehr in aller welt konfrontiert sind. und ihre gedanken schweifen schon in die nähere zukunft wie bspw. ins jahr 2020, wie ein gerade im netz verbreitetes
papier des "eu instituts for security studies" (euiss) deutlich macht - ein sog. think tank (ähnlich "leap2020" auf ökonomischen gebiet) der eu:

(...) "Wie das "Institute for Security Studies" der EU (EUISS) in einer aktuellen Studie schreibt, würden die Kriege der Zukunft nicht mehr zwischen Staaten geführt, sondern zwischen "ungleichen sozioökonomischen Klassen der Weltgesellschaft" ("unequal global socioeconomic classes of society"). Auf der einen Seite dieser "hierarchischen Klassengesellschaft" ("hierarchical class society") stehe dabei eine metropolitane "Elite", die sich aus transnational operierenden Konzernen, den Staaten der OECD und den aufstrebenden Wirtschaftsmächten Indien, China und Brasilien zusammensetze. Diese werde von Seiten der weltweiten Armutsbevölkerung mit "zunehmend explosiven Spannungen" ("increasingly explosive tensions") konfrontiert, heißt es. Um einen Zusammenbruch des globalen Wirtschaftssystems ("global systemic collapse") zu vermeiden, fordert das Institut, gegen die "untere Milliarde" der Menschheit ("bottom billion") das "gesamte Spektrum hoch intensiver Kampfmaßnahmen" ("full spectrum of high intensity combat") in Anschlag zu bringen.

Als "zentrale militärische Aufgabe" ("major military task") beschreibt das EUISS die Abwehr von Elendsflüchtlingen aus den Ländern des Südens. Groß angelegte "Sperroperationen" ("barrier operations") müssten den reichen Teil der Welt vor den "Spannungen und Problemen der Armen schützen", heißt es ("shielding the global rich from the tensions and problems of the poor"). Laut EUISS ist davon auszugehen, dass der Anteil der von Armut und Perspektivlosigkeit betroffenen Menschen an der Weltbevölkerung weiter zunehmen wird. Daher sei es unumgänglich, das bereits außerordentlich rigide Regime an den Außengrenzen der EU drastisch zu verschärfen ("strengthen our barriers").

Das EUISS setzt die Abwehr von Armutsflüchtlingen in direkte Beziehung zum globalen ökologischen Krisenmanagement. So könnten durch den Klimawandel verursachte Naturkatastrophen zu plötzlichen Migrationsströmen in die EU führen ("sudden refugee or migration flows within the EU"), die mit Hilfe des Militärs gesteuert werden müssten. Darüber hinaus sollten die reichen Länder des Nordens natürliche Ressourcen wie tropische Regenwälder oder Fischgründe in den südlichen Armutszonen militärisch gegen unerwünschten Zugriff absichern, fordert das Institut: Es handele sich dabei um "universelle Schätze" ("universal treasures"), die der Verfügungsgewalt einzelner Staaten zu entziehen seien ("overriding sovereign considerations")." (...)


diese zusammenfassung bei german-foreign-policy wird in kurzer zeit kostenpflichtig sein, darum habe ich die mir am wichtigsten erscheinenden strategischen ziele zitiert (die gesamte studie kann in english bei
wikileaks eingesehen werden.)

die us-südgrenze in der nähe von san diego (quelle: wikipedia)

die gesamte studie liest sich wie kaltblütiger plan zum bedingungs- und rücksichtslosen schutz des herrschenden status quo der völlig richtig benannten "internationalen hierarchischen klassengesellschaft". das tödliche regime von
frontex an den europäischen südgrenzen, aber auch der high-tech-zaun an der grenze zwischen den usa und mexico (das obige bild zeigt einen grenzausschnitt in der nähe von san diego)sowie jene "gated communities in den usa (aber auch anderen reichen enklaven auf dem planeten) sind dabei nur die eine seite der medaille des neu-alten klassenkampfes. die andere ist aktuell in den schlagzeilen zu studieren - der asymmetrische krieg.

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nun ist es in der realität so, dass sich - im gegensatz zu früheren zeiten, wo es bspw. befreiungsbewegungen mit sozialistischen und/oder auch nationalistischen forderungen, programmen, formalen organisationen und mehr oder weniger bekannten sprecherInnen gab, die sich mehr oder weniger im rahmen einer auch von ihren gegnern empfundenen politischen rationalität bewegten (und die man in diesem rahmen unterstützen oder ablehnen konnte) - , die heutigen formen der organisationen der verdammten dieser erde zusehends mehr dem phänomen der bande / gang angleichen, die sich primär um das eigene (materielle) überleben kümmert. das halte ich erstens
nicht für verwunderlich, zweitens aber wirft das fragen und probleme für alle an menschlicher emanzipation interessierten auf, die spätestens jetzt anlässlich der aktuellen ereignisse akut geworden sind. mehr dazu im zweiten teil.

Samstag, 5. September 2009

notiz: widersprüche, rechtfertigungen, behauptungen - kleine auswahl zum luftangriff vom 4. september

so schnell kann ein thema ganz direkt treffende und traurige aktualität bekommen. ich halte die ganze geschichte nach den bisherigen informationen für sehr schwerwiegend und in ihren mittel- bis langfristigen konsequenzen für dieses land hier für unüberschaubar. weil sie nämlich meiner meinung nach einen zipfel der realitäten zeigt, mit denen wir es hier in den nächsten jahren und jahrzehnten zu tun bekommen werden. genaueres dazu aber in einem folgenden beitrag, jetzt soll´s erst mal darum gehen, mittels der schlagzeilen von heute und gestern einen eindruck zu bekommen. es ist einiges erstaunliche zu lesen, und ich will versuchen, mich weitgehend kommentarlos zu halten.

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"Natürlich ist die Bundeswehr im Krieg" - gesammelte pressekommentare aus der brd von heute.

"Kein Krieg, sondern Stabilisierungseinsatz" - "«Das ist die völlig falsche Wortwahl, da Krieg Zerstörung bedeutet», sagte Jung. Die Bundeswehr befinde sich in Afghanistan in einem Stabilisierungseinsatz, das habe mit Krieg nichts zu tun."

realitätswahrnehmungen 1 - "Die Bundeswehr sprach von mehr als 50 getöteten Aufständischen, während afghanischen Stellen weit mehr Opfer zählten, darunter auch Zivilisten. Gouverneur Omar gab 72 Tote an, etwa 30 von ihnen seien als Extremisten identifiziert. Präsident Hamid Karsai sagte, es seien "rund 90 Menschen getötet oder verletzt" worden.

Die Bundeswehr verteidigte sich anschließend, sie habe die Örtlichkeit mit einer unbemannten Drohne ausgekundschaftet und dabei 67 Aufständische um die Tanklaster gesichtet. (...) Taliban und afghanische Polizei schilderten übereinstimmend, die Tanklastzüge seien bei der Kaperung in einem Flussbett steckengeblieben. Daraufhin hatten die Extremisten den Treibstoff abgelassen, um die Vehikel wieder flott zu bekommen. Afghanen aus dem nahem Dorf hätten sich an den Lastzügen eingestellt, um den begehrten Sprit aufzufangen. Dann schlug der Kampfjet zu."


realitätswahrnehmungen 2 - "Jung zufolge wurden ausschließlich 57 Aufständische getötet. Der US-General Stanley McChrystal, der den Ort des Angriffs besuchte hatte, betonte indes, unter den Verletzten seien auch Zivilisten. Der Oberkommandierende der US- und Nato-Truppen in Afghanistan sprach am Samstag bei Pressekonferenz in Kunduz von einem "ernsten Vorfall", der zeigen werde, ob die Nato zu Transparenz bereit."

realitätswahrnehmungen 3 - "Mit einer Drohne ortete die Bundeswehr ihren Standort. Sie waren in einem Flussbett steckengeblieben, allerdings nicht in Fahrtrichtung zum deutschen Camp. Deutsche Spähtrupps mit Panzerwagen des Typs "Fennek" meldeten, dass 67 Bewaffnete an den Tankwagen seien. Oberst Georg Klein, der Kommandeur des Lagers, habe sich nochmals beim zuständigen Zugführer vergewissert, dass keine Zivilisten in der Nähe seien und erst dann Luftunterstützung angefordert. F-15-Jagdbomber der US-Luftwaffe zerstörten die Tanker mit 250-Kilo-Bomben vom Typ GBU-38. Durch die Explosion starben nach Angaben der Bundeswehr 56 Gegner, 11 seien geflohen."

realitätswahrnehmungen 4 - "Laut FAZ vom 5.09., S. 2, berichtete ein Dorfältester des Ortes Omarkhel, nachts hätten Taliban heftig an ihre Türen geklopft und sie gezwungen, zwei in einer Furt zum angrenzenden Distrikt Char Darah, der weitgehend von Aufständischen kontrolliert wird, von ihnen gekaperte und dort steckengebliebene Tanklaster freizuschaufeln. Das sei trotz Schaufelns und Schiebens mißlungen. Anschließend hätten sie das Benzin abzapfen sollen.

"Die Nachricht von dem Gratistreibstoff habe sich im Dorf und auch im benachbarten Isarkhel verbreitet. Männer und Kinder seien mit Kanistern herbeigeeilt." Die Taliban seinen dann in einen Schußwechsel verwickelt worden und geflohen noch bevor die Tankwagen aus der Luft bombardiert wurden.

Ein anderer Bewohner aus Isarkhel berichtete, die Taliban hätten vorgehabt, die Fahrzeuge in Brand zu stecken und die Anwohner vorher aufgefordert, das Benzin anzuzapfen."


reaktionen 1 - "In der Europäischen Union wird scharfe Kritik an dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff in Afghanistan laut. Der französische Außenminister Bernard Kouchner nannte den Angriff mit mindestens 50 Toten am Samstag beim informellen EU-Außenministertreffen in der schwedischen Hauptstadt Stockholm einen "großen Fehler".

Der Westen könne die Lage nur normalisieren, wenn er mit der afghanischen Bevölkerung zusammenarbeite "und sie nicht bombardiert, nicht nur bombardiert". Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sprach von einer nicht hinnehmbaren Katastrophe. "Es ist schwer zu verstehen und zu akzeptieren, warum so schnell Bomben geworfen wurden", sagte er.

Asselborn ergänzte: "Es muss doch auch in der Nato Regeln geben. Und darum bin ich natürlich dafür, dass die Sache genau untersucht wird." Sein Fazit: Diese Aktion hätte nicht stattfinden dürfen."


reaktionen 2 - "Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird gegen den verantwortlichen Bundeswehroffizier möglicherweise ein Ermittlungsverfahren einleiten. "Wir prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdelikts", sagte Behördenchef Heinrich Junker der "Bild am Sonntag". Der Ausgang sei offen. In Potsdam ist der Sitz des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, dem die Auslandseinsätze der Truppe unterstehen.

Im Zentralkrankenhaus von Kundus besuchten amerikanische und deutsche Offiziere zivile Opfer des Angriffs und deren Angehörige. "Wir bedauern den Tod von Menschen und drücken allen Ihren Dorfbewohnern unser Beileid aus", sagte US-Konteradmiral Greg Smith."


reaktionen 3 - "Auch die Vereinten Nationen werden den Vorfall überprüfen. Sie schauten sich den Ort des Angriffs an und trafen Überlebende in einem Krankenhaus in Kundus. Zwei verwundete Dorfbewohner berichteten den Rechercheuren, dass sie nicht direkt bei den Tanklastern standen, sondern aus einiger Entfernung alles beobachteten, als die Bomben fielen. Beide wurden durch Splitter verwundet.

Die Nato wisse noch nicht, wie viele Zivilisten bei der Explosion vor Ort gewesen seien, sagte ein Nato-Sprecher. "Unglücklicherweise können wir nicht in alle Dörfer der Umgebung gehen." Die Organisation zweifelt aber nicht daran, dass Zivilisten starben. Fraglich bleibt, ob die Angaben afghanischer Quellen, die von bis zu 100 toten Zivilisten sprechen, übertrieben sind. Eine genaue Opferzahl wird es wohl nie geben, da viele der Tote durch die Wucht der Detonation und den brennenden Treibstoff völlig entstellt wurden. Viele Toten sollen bereits in einem Massengrab bestattet worden sein. Ein Mitarbeiter der Deutschen Presse-Agentur dpa, der am Samstag zwei der Dörfer in Char Darah besuchte, hatte dort 60 frische Gräber gezählt."


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kurz zusammengefasst also ergibt sich aus all dem das folgende: selbst die kriegsobligatorische propaganda von taliban einerseits und isaf/bundeswehr andererseits berücksichtigt, so sind die behauptungen des deutschen verteidigungsministeriums mit jung an der spitze, dass "es keinerlei zivile opfer gegeben habe", eine in der form selten dreiste und unverschämte lüge. dagegen stehen nicht nur so ziemlich alle bekannten quellen aus afghanistan selbst, sondern auch die nato/isaf selbst u.a. in form eines us-generals. die hektischen bemühungen um schadensbegrenzung seitens der isaf in afghanistan unterstreichen dieses fazit nur.

weitere schlußfolgerungen, die sich aus all dem zwangsläufig eigentlich ergeben müssen, möchte ich an dieser stelle nicht ausführen. es ist jetzt nur noch interessant zu beobachten, wie lange die bundeswehr unter dem druck der kritik selbst der "alliierten" bei ihrer lüge bleibt - und wie sich dann alle herauszureden versuchen werden (die behauptung eines mit den tank-lkws geplanten selbstmordattentates weist bereits eine erste richtung in der hinsicht).

Mittwoch, 2. September 2009

notiz: "Wir lassen uns nicht für den Krieg instrumentalisieren" [update]

diese höchst erfreuliche ansage von über zweihundert ärzten / ärztinnen, psychologInnen und psychotherapeutInnen gehört inhaltlich in den kontext der kriegstraumata und findet sich in einem offenen brief an den sog. bundesverteidigungsminister franz josef jung:

(...) "Wir Ärzte und Psychotherapeuten lehnen die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan ab", heißt es in dem Schreiben. Der Krieg selbst sei bereits Ursache schwerer Traumatisierungen in der afghanischen Bevölkerung und nun auch zunehmend bei deutschen Soldaten im Kriegseinsatz. Die Politik erwecke den Eindruck, ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) lasse sich per Psychotherapie dauerhaft beheben.

Die Forderung, Therapie ohne kritische Hinterfragung des politisch-militärischen Kontextes zu betreiben, sei darüber hinaus mit ihrem Verständnis von ärztlicher und psychotherapeutischer Arbeit nicht vereinbar. „Den Aufruf des Verteidigungsministeriums, uns an der Behandlung von traumatisierten Soldaten zu beteiligen und uns damit für die Kriegsführung der Bundesregierung instrumentalisieren zu lassen, weisen wir daher zurück“, betonen die UnterzeichnerInnen.

Hintergrund der Initiative der Ärzteorganisation IPPNW ist ein Aufruf im letzten Bundesmitgliederbrief der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung, in dem die Bundeswehr qualifizierte externe Psychotherapeuten zur Behandlung traumatisierter Soldaten sucht. Beigelegt ist ein Formblatt, in dem sich der Therapeut bereit erklären soll, kurzfristig einen Therapieplatz zur Verfügung zu stellen, nebst der Aufforderung, "den Aufgaben der Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen nicht ablehnend" gegenüberzustehen."


die zitierte suche der bundeswehr nach externen therapeutInnen lässt durchaus den schluß zu, dass die internen militärpsychiatrischen ressourcen - zu dem thema verweise ich nochmals auf den eingangs verlinkten blogbeitrag, in dem es u.a. um äußerungen von und fragen an den chef der psychotraumatologischen abteilung im bundeswehrkrankenhaus hamburg, biesold, ging - entweder schon an ihre grenzen gekommen sind oder aber - bedingt durch die absehbare ausweitung bzw. intensivierung der deutschen kriegsbeteiligung - kurz davor sind. es ist sehr zu hoffen, dass sich weitere im psychotraumatologischen bereich tätige dieser initiative der ippnw anschließen.

zu konstatieren bleibt auch noch, dass sich damit in diesem land die gleiche auseinandersetzung manifestiert, die unter einschlägig medizinisch tätigen in den usa schon
seit jahren im gange ist (siehe den dritten punkt im verlinkten beitrag).

abschließend noch der hinweis bzw. tipp auf die online-ausgabe des magazins
"hintergrund", durch das ich auf dieses thema aufmerksam geworden bin. werde ich wohl zukünftig öfter drin herumstöbern.

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edit am 03.09.: auch wenn´s sehr kurzfristig ist, möchte ich nicht den hinweis auf zwei sendungen bei 3sat heute abend unterschlagen, die thematisch beide zum thema kriegstraumata gehören. einmal wäre da um 21.00 h
"Irre im Krieg. Macht und MIßbrauch der Militärpsychiatrie" eine empfehlung, die auch noch mal vieles aus dem eingangs verlinkten symposiumsbericht aufgreifen und illustrieren dürfte. zweitens läuft unmittelbar danach um 21.30 h die dokumentation "Der Fluch des Tötens" über kindersoldaten im kongo - eine variante von kriegsbedingten traumatisierungen, die besonders verheerende folgen auch noch weit in der zukunft mit sich bringen wird.

Samstag, 29. August 2009

zwischenzeitlich...

...war und bin ich nicht nur lohnarbeitsmässig etwas mehr ausgelastet als sonst, auch das bisher recht erfreuliche sommerwetter ließ mich meine zeit mehr in realen grün- als in den virtuellen räumen verbringen. dazu kommt noch mein sich verfestigender eindruck, dass sich große teile der gesellschaft bis zu den sog. wahlen unbeirrbar in den eigenen konstruierten welten bewegen wollen, was speziell, aber nicht nur, für die veröffentlichte "meinung" gilt. alles zusammen bildet den hintergrund für die derzeitige blogabstinenz - das nur zur erklärung besonders für die stammleserInnen.

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da ich mich nun seit ein paar tagen mit symptomen herumplage, die ich selbst als vorzeichen einer möglichen grippe betrachte, und die mich seit gestern mehr oder weniger lahm- und flachlegen, möchte ich dann die gelegenheit gleich nutzen, einige herumflottierende gedanken loszuwerden. grippe ist dabei ein gutes erstes stichwort, hat kandinsky doch
neulich u.a. folgendes geschrieben:

(...) "So, sag mal hast du Erfahrung im privaten Bereich und im Foren Bereich Internet mit dem Thema "Schweinegrippe" ? Leute, die ich sonst für besonnen und klug gehalten habe, drehen bei diesem Thema durch und können es kaum erwarten bis sie sich impfen lassen können. Auch in den Internet Foren, bis auf wenige Ausnahmen(DasGelbeForum), sind kritische Anmerkungen scheinbar verpönt und "man" muß sich auf eine gehörige virtuelle Tracht Prügel einstellen, selbst dann, wenn Fakten für sich sprechen, wie zum Beispiel einige knochenhart korrupte "Wissenschaftler" bei der WHO, die diesem Irrsinn einer Pandemie, die keine ist, Vorschub geleistet haben, trotz gegeteiliger Beweise durch renommierte Wissenschaftler." (...)

nun, die sog. schweinegrippe - ich persönlich bevorzuge bis auf weiteres eher das attribut "nordamerikanisch", weil mir alles, was bei mir so an diesbezgl. infos hängengeblieben ist, auf diesen raum als ursprung hindeutet - ist bisher in meinem umfeld eher der anlaß für mehr oder weniger gute jokes - d.h., sie wird nicht ernstgenommen. ich weiß über einen arbeitskollegen von einer bestätigten infektion in dessen strasse, und ansonsten verfolge ich mit mässigem interesse die - hm, seuchenpolitischen und medizinischen vorbereitungen, soweit sie denn bekannt werden.

ich habe vor der grippe - egal, welche viren jeweils aktuell verantwortlich sind - respekt, aber bisher keine angst. respekt aus eigenen erfahrungen - meine letzte echte grippe ist jahre her, und ich erinnere mich mit unbehagen an eine sehr scheußliche woche - und dem wissen, dass es unter den bekannten infektionskrankheiten eigentlich keinen größeren killer gibt. dazu habe ich den eindruck, dass viele leute immer noch nicht von dem unsinn ablassen können, jede harmlose erkältung / schnupfen umstandslos mit einer grippe gleichzusetzen. zum letzteren kommt dazu noch die unterschätzung der tatsache, dass grippeviren sehr mutationsfreudige gesellen sind, und eben aus diesem grund teile ich auch die medizinischen einschätzungen, dass wir es irgendwann wieder mit einer globalen pandemie ernsterer natur zu tun bekommen werden. ob das jetzt schon der fall ist, vermag ich nicht zu sagen - die todesraten scheinen sich bisher in den grippeüblichen saisonalen rahmen zu bewegen, und auch der bisher bekannte krankheitsverlauf dürfte eher als vergleichsweise harmlos anzusehen sein, die diesbezgl. einschränkungen für die bekannten risikogruppen - menschen mit atemwegserkrankungen, ältere leute etc. - mal aussen vor gelassen.

impfungen finde ich, wenn überhaupt, nur bei absehbaren schwereren infektionsverläufen sinnvoll, und dann auch eher nur bei den benannten risikogruppen. über mögliche quarantäne und meldepflicht mache ich mir erst seit gestern aus gründen mehr gedanken, wobei für mich gleichfalls klar ist: wenn hohes fieber dazukommt, von dem ich bisher verschont bin, ist der gang zum arzt fällig. vielleicht ist es ganz sinnvoll, die klassischen grippesymptome noch mal aufzulisten:


* plötzlicher Krankheitsbeginn
* ausgeprägtes Krankheitsgefühl im ganzen Körper
* hohes Fieber bis 40 Grad Celsius
* Schüttelfrost
* Kopfschmerzen und Müdigkeit
* Gliederschmerzen
* Augentränen
* trockener Husten
* trockene Kehle
* angeschwollene Nasenschleimhaut
* Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen


ich stelle bisher bei mir 1, in maßen 2, 5, 8, leichten schnupfen und eine ebenso leichte übelkeit fest. und will mal hoffen, dass es dabei bleibt. interessant finde ich, dass mir bisher der appetit trotz übelkeit nicht vergangen ist, aber dafür die allgemeine mattigkeit dafür sorgt, dass ich teils selbst zum lesen zu schlapp bin - ja, und der morgen ist erträglicher als der abend (auch ganz klassisch).

insgesamt halte ich den medienhype zum thema für kontraproduktiv, weil er erstens abstumpfung befördert, zweitens aber auch auf paradoxe weise die potentielle gefahr verharmlost, indem einerseits die bisher größtenteils leichten verläufe hervorgehoben werden, andererseits aber immer die alarmglocke geläutet wird. sollte sich dieser virus in ein paar monaten als wirklich fieses ding herausstellen, kann da so ein effekt bei rumkommen wie bei der geschichte vom schäfer und den (zu vielen) wolfswarnungen - niemand mehr nimmt das ernst, um dann umso schlimmer unter die räder zu kommen.

das die pharmaindustrie dabei auch die glocken läutet bzw. läuten lässt, sollte nun wirklich niemanden mehr überraschen. und die spekulationen, dass es sich bei den medizinischen vorbereitungen - die ich grundsätzlich für geboten halte - nur um die maskerade eines quasi global geplanten notstandsregimes handelt, halte ich ganz ehrlich gesagt für einen mythos aus den weiten welten der verschwörungstheorien. so ein projekt würde tatsächlich die existenz einer strategisch weitblickenden und globalen lenkenden zentrale erfordern, für deren existenz ich keine anhaltspunkte sehe. und das bringt mich gleich zum nächsten thema.

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hartmut finkeldey hat schon drauf
bezug genommen, mit etwas entgegengesetzter gewichtung auch das opablog - der artikel Unter Infokriegern schlägt weiterhin wellen und hat die "junge welt" inzwischen zu einem weiteren statement mit etwas ironischer note veranlasst. ich bin da nach wie vor zwiegespalten - einerseits verweise ich bspw. gerne (und berechtigt) auf gladio als geradezu paradigmatische reale verschwörung, andererseits muss ich auch aus dem basisbeitrag paranoia zitieren:

(...) "und am wichtigsten ist vielleicht die feststellung, dass es fließende übergänge zwischen real begründeten ängsten und paranoiden wahngebilden gibt - das ist eine situation, die für alle, die sich heute mit destruktiven gesellschaftlichen entwicklungen beschäftigen, sehr relevant ist - als beispiel sei hier nur der breite und bunte bereich diverser verschwörungstheorien genannt, bei dem sich mehr oder weniger große teile paranoiden denkens und fühlens ohne größere probleme finden lassen. gleichzeitig aber lässt sich ebenfalls hier auch der beleg für die oben erwähnte aussage finden, paranoia "sei bisweilen der beste weg, um mit dem leben fertig zu werden". der "gladio"-komplex bspw. enthält so ziemlich alle zutaten für eine wüste verschwörungstheorie unter beteiligung diverser geheimdienste, faschisten, geheimlogen etc. sowie verschwundenen zeugen, dokumenten, vertuschungsaktionen und intrigen - aber das alles war bzw. ist in einem gewissen sinne immer noch realität.

andererseits ließe sich auch sagen, dass derartige projekte ausdruck hochgradiger paranoia bei ihren protagonisten darstellen - die paranoia steckt hier nicht nur im detail, sondern ist geradezu systembedingt und womöglich in einem gewissen ausmaß auch systemkonstituierend." (...)


ich finde die position der "jungen welt" zwar in den grundzügen richtig, halte jedoch einen punkt für sehr ärgerlich: das nicht benennen der tatsache nämlich, dass sowohl formen als auch die inhalte grundsätzlicher linker systemkritik zu lange selbst in quasi esoterischer art und weise daherkamen (und noch kommen), und damit nicht unwesentlich zum aufblühen der vt-szene beigetragen haben. längst nicht alle, die sich in den benannten blogs und foren tummeln, lassen sich als nazis beschimpfen. und das durchaus authentische unbehagen an der heutigen ultrakomplexen gesellschaft lässt sich eben u.a. in personalisierungen und der suche nach zusammenhängen - auch da, wo womöglich keine sind, jedenfalls nicht solche - am leichtesten formulieren und ausdrücken. das hat direkt etwas mit den im paranoia-beitrag angesprochenen eigenarten unserer psychophysis zu tun, aber auch eben mit der erwähnten eklatanten schwäche vieler linker theoriemodelle. von daher ist nun das eindreschen auf diese szene von links zwar wohlfeil, aber eben auch heuchlerisch. und die unbezweifelbaren stärken vieler blogs und foren mit themen jenseits des mainstreams hinsichtlich der gewachsenen informationsmöglichkeiten fallen so ebenfalls unter den tisch.

*

zum schluß noch ein punkt, der mir verschärft - und nicht zum ersten mal - bei meinem kleinen
sommergespräch aufgefallen ist: die beziehungen und unterschiede zwischen dissoziativen zuständen und der soziopathie sind etwas, was ich thematisch in nächster zeit mehr aufgreifen möchte. die verwechslungsgefahr scheint mir hier sehr groß zu sein, und ich finde die für mich vorhandenen qualitativen differenzen, aber auch die unterschwelligen verbindungen zwischen zwei psychophysischen extremzuständen sowohl interessant als auch gesellschaftlich relevant. bis dahin: bleiben Sie - oder werden Sie - gesund!

Freitag, 14. August 2009

notiz: der mainstream dröhnt "die rezession ist überwunden!"










(anders lässt sich das nicht mehr angemessen kommentieren - wer´s ausführlicher haben möchte, wird hier und bei den querschüssen bedient.

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