Samstag, 12. November 2011

basis: traumageschichte(n) 7 - von triggern, dissoziationen und sekundären traumata

ein weiterer beitrag in dieser reihe, die sich zwar anders als vor jahren geplant entwickelt, aber nichtsdestotrotz mit der zeit alle relevanten thematischen aspekte zur sprache bringen sollte, auch um den preis von redundanz. und in diesem besonderen fall kann ich - leider - einmal mehr aus ureigensten erfahrungen schöpfen.

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ende letzter woche machte ein video aus den usa
schlagzeilen; und das wort "schlagzeilen" trifft es hier auf den punkt:

(...) "Eine 23-jährige Frau veröffentlichte im Internet ein aufsehenerregendes Video aus ihrer Kindheit, in dem sie von ihrem Vater minutenlang mit einem Gürtel misshandelt wird. (...)

Die 23-Jährige erzählte dem TV-Sender NBC, regelmäßig von ihrem Vater verprügelt worden zu sein. In der Sendung "Today" schilderte die junge Frau, wie sie mit sechzehn Jahren eine Kamera auf einer Kommode versteckt hatte und die Schläge ihres Vaters damit später aufgezeichnet wurden. Das Video zeigt, wie der Richter seine schreiende Tochter schlägt, weil sie illegal Musik aus dem Internet geladen hatte. Auch die Mutter ist zu sehen, wie sie die Tochter einmal schlägt und sie anschreit, die Schläge "wie eine erwachsene Frau zu ertragen". (...)


das originalvideo wurde auf yt schon vor ein paar tagen gesperrt, nachdem es ca. zweimillionen mal aufgerufen wurde. eine vielzahl anderer yt-accounts hat das jedoch übernommen, und wer sich das unbedingt ansehen will (es gibt durchaus gründe dafür), kann es mit ein wenig recherche auch finden. aber VORSICHT! warum, dazu gleich mehr.

es gäbe zu diesem video eine ganze menge zu sagen; in diesem rahmen möchte ich jedoch nur darauf hinweisen, dass es primär in den usa selbst für eine menge öffentlicher debatten gesorgt hat, und das finde ich gerade in diesen zeiten, in denen parallel durch das occupy-movement erstmals seit jahrzehnten eine öffentliche diskussion über die soziökonomische lage großer teile der us-bevölkerung in gang gekommen ist, bemerkenswert. ist doch diese genannte lage selbst über viele ecken mit der allgemeinen gewaltgeschichte der usa verknüpft, welche sich passend zum äußeren imperialismus bspw. im inneren auch dadurch ausdrückt, dass...

"...Anders als in den meisten europäischen Ländern die Prügelstrafe in Haushalten in allen 50 US-Bundesstaaten erlaubt (ist)."

der inhalt des videos ist übrigens unbestritten authentisch; das haben sowohl der prügelnde vater - ausgerechnet ein familienrichter, der in dieser funktion auch in vielen fällen von gewalt gegen kinder geurteilt hat -, als auch die mutter, die sich inzwischen von diesem mann losgesagt hat, bestätigt. ehemals den schein nach aussen als "fromme, anständige christliche familie" in texas wahrend, ist dieses bild für diese leute mit der veröffentlichung seitens der tochter nun endgültig zusammengebrochen, und es macht nicht zuletzt auch einiges über die psychophysischen quellen von bewegungen wie der "tea party" deutlich, die diesen richter als paradigmatisch für einen in ihrer sicht "anständigen amerikaner" halten können (und in vielen us-foren, die diese geschichte diskutierten, liess sich die schnittmenge von prügelbefürwortern und -entschuldigern mit den christlich-fundamentalen extremisten von rechts immer wieder feststellen).

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so weit, so schlecht - ich bin über diese geschichte letzte woche während meiner normalen blogbetreffenden recherchen gestolpert, und habe dann auch begonnen, mir das video zu betrachten - stammleserInnen werden sich vielleicht an (von der brutalität und widerwärtigkeit der inhalte her) ähnliche filme in der vergangenheit erinnern, sei es die unbeachtete
sterbende frau in der notaufnahme eines psychiatrischen krankenhauses in new york vor ein paar jahren, oder auch einige szenen aus polizeirevieren an verschiedenen orten - stets kamen mir bei solchen anlässen mein eigenes "dickes fell" bzw. meine fähigkeiten zum objektivieren als nötiges werkzeug zu hilfe, um an solchen bildern nicht schlicht und einfach "irre zu werden".

und die letzteren eigenschaften setzte ich auch ohne weiteres nachdenken für das benannte video aus den usa voraus. ich begann also mit dem anschauen der knapp sieben minuten einsichten aus einer familiären hölle, bei denen nach etwas über einer minute die offene gewalt in bild und ton einsetzt.

und ich reagierte radikal anders als in der vergangenheit.

ich konnte sofort nach beginn des flehens und wimmerns des mädchens diese töne nicht mehr ertragen, und musste abbrechen. aber da war es bzw. etwas schon passiert - ich saß auf einmal da mit einem kloß im hals, aufsteigenden tränen und vor allem einem von einem auf den anderen moment krass veränderten körpergefühl, welches sich nur sehr schwer in worte fassen lässt - peripher neben mir stehend, trifft es nur zum teil, andererseits war das durchaus auch der fall.

erschwert wurde die ganze situation dadurch, dass das alles an einem öffentlichen ort - ein netzcafé - geschah, wodurch ich in meinen reaktionmöglichkeiten deutlich beschränkter reagieren konnte, als ich das im häuslichen rahmen hätte tun können.

ich saß dann so einige zeit rum, mit der deutlichen ahnung, dass ich mir selbst gerade keinen gefallen getan habe. dann bin ich los, noch einige dinge zu erledigen, die ich mir vorgenommen hatte. etwa eine stunde nach dieser geschichte trat dann etwas ein, was ich als "prä-grippe-gefühl" bezeichne - vielleicht kennen Sie das, wenn Sie einen oder zwei tage vor einer schweren erkältung oder gar einer grippe ein ganz bestimmtes körpergefühl verspüren; welches sich v.a. in der brust und durch eine unspezifische schwäche bemerkbar macht. dieser zustand jedenfalls hielt ca. zwei stunden an, und klang dann wieder ab. da hatte ich schon die befürchtung, ob ich mir etwa selbst mein immunsystem "abgeschossen" hatte - an meinem arbeitsplatz rannte die letzten wochen immer ca. ein viertel aller anwesenden mit erkältungssymptomen herum, und vor etwa twei wochen lag ich selbst ein paar tage flach. die zusammenhänge zwischen "psyche" und immunsystem jedenfalls sind in der einschlägigen forschung schon länger bekannt.

naja, jedenfalls bin ich dann in den stunden darauf viel unterwegs gewesen, hauptsächlich mit dem fahrrad. dabei musste ich ebenfalls feststellen, dass sich das fahren deutlich unsicherer als sonst anfühlte, was mich zu einer ungewohnten langsamkeit zwang. und ebenfalls war ich die ganze zeit unruhig, und in gedanken vorwiegend fahrig und zerstreut. nachdem ich alles erledigt hatte, was ich wollte, stand dann an, mich zu entscheiden - entweder (alleine) zurück in meine derzeitige wohnung, um dort auch alleine zu sein - oder aber jemanden besuchen, um diesen zustand überhaupt mal zu kommunizieren. ich entschied mich dann glücklicherweise für das letztere, wobei mir klar war, dass aufgrund der eigenarten dieses erlebens aus meinem umfeld nur begrenzt menschen in frage kamen - dass ich da am nachmittag sozusagen von traumatischem material "kontaminiert" worden bin, war mir zu diesem zeitpunkt schon irgendwie klar, wenngleich ich mir auch über die genaue art & weise dieses einflusses selbst noch keinen reim machen konnte.

ich bin dann meine beste und älteste freundin besuchen gegangen, die selbst mit vielfältigsten traumafolgen umgehen muss und wo ich mit recht annehmen konnte, dass ihr solche zustände wie der , in dem ich mich befand, weder fremd noch unverständlich - "komisch" erscheinen würden. dort lag ich dann einfach nur eine ganze zeit auf dem boden herum, wollte nichts sagen, nichts essen oder trinken, und spürte eine tiefe und durch meine sonstigen tagesaktivitäten nicht erklärliche erschöpfung.

dann kamen erstmal, und durchaus befreiend, viele tränen - und einige zeit später dann erzählte ich ihr die oben geschilderten ereignisse, und irgendwann während dieses erzählens, und unter weiteren tränen, fing ich an, mich an lange zurückliegende ereignisse zu erinnern - nicht falsch verstehen bitte: was ich gleich schildere, habe ich "im bewusstsein" nie vergessen; eher kann ich mich daran beliebig erinnern, aber nur an die reinen fakten und nicht an die zugehörigen gefühle. das hebe ich deshalb heraus, weil es für das verständnis der ganzen geschichte ein wichtiger schlüssel ist.

es war in meiner kinderzeit - etwa ab dem alter von sieben an - so, dass ich über jahre ein zimmer wand an wand mit dem kinderzimmer der nachbarwohnung hatte. nebenan wohnte ein etwas jüngerer bube als ich mit seinen beiden eltern, der über jahre auch ein spielkamerad von mir gewesen ist. dieser junge nun wurde über eine lange zeit - das ging über ein paar jahre - regelmässig mehrmals in der woche abends im bett von seinem vater verprügelt, was mich aufgrund der dünnen wände in eine unfreiwillige zeugenschaft dieser erbärmlichkeit versetzte. ich weiß nicht, was dieser vater für motivationen oder gründe hatte - nach außen hin traten er und seine frau (die sich niemals für mich bemerkbar einmischte) zusammen mit dem sohn als völlig "normale" familie auf, wie das für eine deutsche mittelklassefamilie so üblich war bzw. ist.

ich weiß nicht, wie oft ich mir in jenen jahren das weinen, wimmern und flehen - "bitte papa, hör auf!" - und das geräusch von schlägen zusammen mit wütenden ausrufen des schlägers anhören musste. es geschah immer zu recht später stunde, wenn ich schon im dunkeln im bett lag. ich weiß auch nicht mehr, was ich damals gedacht oder gefühlt habe - es war in gewissem sinne halt irgendwie "normal", und war auch unter uns kindern niemals thema. wie früher schon angedeutet, hatte ich in meiner familie nicht primär mit derartiger körperlicher gewalt zu tun, sondern eher mit schweren kommunikationsstörungen, die auch dazu beitrugen, dass ich mit diesen erlebnissen nirgendwo hingehen konnte, und alleine drauf sitzen blieb.

das alles hatte ich wie gesagt niemals "vergessen", aber es war bis letzte woche eine seltsam blasse und irgendwie beiläufige erinnerung - bis sie mir bei der freundin unter tränen wieder präsenter wurde.

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später dann hatte ich das gefühl, soweit wieder handlungsfähig zu sein, dass ich alleine bleiben konnte und wollte - ich fuhr nach hause und legte mich ins bett, weil ich eigentlich nur noch das dringende bedürfnis nach schlaf verspürte. ich nehme an, viele leserInnen kennen das gefühl, schlafen zu wollen, aber aufgrund von innerer unruhe und herumjagenden gedanken nicht zu können. so verbrachte ich jedenfalls die ganze nacht, um einen wirklich miesen nächsten tag - das war der sonnabend - einzuleiten. ich mache das mal in geraffter form, weil sich der tag so am besten zusammenfassen lässt:
  • den ganzen tag ein gefühl völliger erschöpfung; selbst die paar meter zur toilette fühlten sich nach einem zehn-kilometer-marsch an
  • fast ständig ein gefühl, als ob rund um den kopf ein festes band liegen würde, welches von zeit zu zeit merkbar angezogen wird und für einen unangenehmen druck im kopf sorgte
  • hitze- und kältewallungen; den tag über maß ich verschiedentlich meine temperatur, und die pendelte im bereich "erhöht", d.h. so von ca. 37,4° bis 38°. am darauf folgenden morgen fiel sie dann auf etwa 35, 4°, um sich im laufe des tages mit 36,6° wieder auf einem level einzupendeln, welches ich für mich als durchschnitt ansehen würde
  • kein hunger/appetit und kein durst; ich musste mich zwingen, wenigstens auf einen halben liter flüssigkeit zu kommen
  • schwere konzentrationsschwierigkeiten; leseversuche scheiterten spätestens nach zwei seiten mit einem gefühl von leichtem schwindel und übelkeit. dazu die schon erwähnte fahrigkeit und zerstreutheit im denken
  • schlafen war immer noch nicht möglich, obwohl ich nichts lieber getan hätte. der angenehmste zustand diesen ganzen tag über war das einfache regungslose liegen mit geschlossenen augen
diese diversen symptome dauerten mit abnehmender tendenz noch bis zum montag abend an, wobei das gefühl der unsicherheit am längsten andauerte, und mich auch dazu brachte, meiner arbeit fernzubleiben - ich habe da u.a. mit verschiedenen elektrischen staplern zu tun. stattdessen ging ich zu meinem hausarzt, der sich das alles anhörte, von dem video auch schon gehört hatte, und dann selbst seine wertung abgab, die ich unausgesprochen für mich ebenfalls schon getroffen hatte:

ich war über ca. zweieinhalb tage mit einem sich v.a. körperlich manifestierenden dissoziativen zustand konfrontiert, eingeleitet durch einen trigger speziell in form der tonspur des benannten videos, der eine unverarbeitete sekundäre traumatisierung freilegte.

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das klingt jetzt hübsch technokratisch, was es auch ist - aber nichtsdestotrotz ist das eine korrekte objektivierung der beschriebenen zustände, deren ganze - subjektive - bedeutung und v.a. deren erleben darin allerdings zwangsläufig verlorengeht. aber ich schreibe das hier auch darum, weil sich daraus möglicherweise für andere mitlesende ein paar aha-effekte ergeben. und nicht zuletzt ist es eine gelegenheit, die angesprochenen begriffe auch für "laien" etwas mehr nachvollziehbar zu machen.

dissoziation: wie früher schon öfter dargelegt, im prinzip ein alltagsphänomen, welches in form von tagträumen zb. den meisten selbst bekannt ist. im mtraumakontext spielen die pathologischen formen der dissoziation allerdings eine herausragende rolle, näheres
hier und hier. "somatoforme" dissoziationen, d.h. solche, die sich primär oder zu großen teilen in einem veränderten körpergefühl und/oder gar "psychosomatischen" symptomen bemerkbar machen, sind noch nicht allzulange im blickfeld der psychotraumatologischen forschung. was ich da erlebt habe, ist einerseits völlig individuell von meinen ganz besonderen symptomen her, andererseits auch allgemeingültig von den dahinterstehenden prinzipien. ich finde im rückblick besonders die schwankungen der körpertemperatur interessant, kann diese doch als ausdruck von psychophysischer homöostase gesehen werden; d.h. ich selbst habe mich in form des körpers arg anstrengen müssen, um das durch durch die traumatische kontamination in trudeln geratene gleichgewicht wieder zu erlangen. sich körperlich ausdrückende dissoziationen können unglaublich vielfältige formewn annehmen, was einerseits ihre diagnose erschwert, andererseits auch primär organische erkrankungen schwerer erkennbar machen kann.

trigger: englisch für auslöser, und wie in meinem fall können das relative kleinigkeiten sein - bestimmte töne, geräusche, auch gerüche oder der anblick bestimmter gegenstände. ein trigger im traumakontext bedeutet letztlich einen schlüssel, mit dem abgespaltene neuronale netzwerke, die nicht der normalen informationsverarbeitung im gehirn zugänglich sind, teile oder alles von ihren inhalten schlagartig ins wachbewusstsein abgeben, es sozusagen überfluten. ein trigger ist ein schlüssel zur "eingefrorenen zeit" der traumatischen situation.

sekundäres trauma: ein begriff, der bis heute vor allem im bereich
helfender berufe wie psychotherapie, rettungswesen und feuerwehr, darüber hinaus aber auch bei polizei und militär, eine hauptrolle spielt. es geht schlicht um das miterlebenmüssen eines traumatischen einflusses auf und bei andere(n); und auch dafür ist meine geschichte ein treffendes beispiel: ich wurde ja nicht selbst verprügelt in jenen momenten, war aber absolut handlungsunfähig; d.h. konnte die situation nicht beeinflussen und auch nicht verlassen.

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so. für den moment habe ich dazu nicht mehr zu sagen. ich bin mit dem arzt übereingekommen, die ganze sache erstmal zu beobachten, speziell den aspekt der unsicherheit als grundgefühl. sollte diese nicht weiter abklingen - was sie glücklicherweise aber tut - , müsste ich mir ernsthaft überlegen, wieder therapeutische hilfe in anspruch zu nehmen. wobei das so ein fall wäre, der mir für
emdr sehr geeignet erscheint. aber mal sehen - ich bin jedenfalls immer noch überrascht, wie stark meine reaktionen jetzt ausgefallen sind, und diese stärke ist vielleicht ein indiz dafür, damit auf jeden fall zu arbeiten.

zum schluß noch ein danke an
grummel und w-day- und eine wirklich gute freundin da draussen!

Montag, 7. November 2011

notiz: ganz kurz ein bißchen

ich bin gerade gesundheitlich angeschlagen, und zwar hauptsächlich deswegen, weil ich seit ein paar tagen eine art sehr unfreiwilliger und sehr persönlicher "feldforschung" zu einem der schwerpunktthemen des blogs, trauma, betreiben muss oder auch kann - meine perspektive darauf wechselt gerade ständig. ich werde das in den nächsten tagen nochmal ausführlich aufgreifen.

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bis dahin ein paar entwicklungen, die mir jeweils spontan wichtig erschienen: zu
occupy marines gibt´s anzumerken, dass es die polizei in oakland innerhalb von wenigen tagen geschafft hat, einen zweiten kriegsveteranen, auch aus den irakkriegen, zu verletzen. das geschah diesmal noch nicht mal im rahmen einer teilnahme des betroffenen an einer occupy-aktion, auch wenn er sich während des generalstreiks letzte woche tagsüber an einer aktion beteiligt hat - nein, er wollte abends einfach nach einer anderen sache nach hause gehen und geriet dabei in die nachwehen der hafenblockade in form einer polizeisperre, wo er dann unter umständen, über die die angaben wie üblich auseinandergehen, verhaftet und auch verletzt wurde. die cops in oakland sind nun dabei, sich quer durch die usa einen gewissen ruf zu verschaffen, der allerdings nicht von ihrer pr-abteilung begrüsst werden dürfte. für die schon beschriebene mobilisierung von weiteren veteranen im rahmen von occupy ist diese geschichte aber wie ein ölausguss ins feuer. das ist auch das einzig ungewollt positive daran.

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falls Sie auch nur halbwegs englisch verstehen, empfehle ich nochmals nachdrücklich die lektüre des schon mal vor ein paar wochen verlinkten blogs
we are the 99 percent. inzwischen ist es um zahllose, lehrreiche und deprimierende geschichten angewachsen, die einen - wenn auch selektiven - einblick in die derzeitigen sozialen verhältnisse großer teile der abstürzenden mittelschicht der us-bevölkerung erlauben, wie er anderswo nicht zu finden ist. wenn vielleicht irgendwann noch die "traditionellen" homeless people von den strassen oder gar die bewohnerInnen der wald- und wiesencamps dazu kommen, ergibt das ein wahres horrorkabinett über zustände, die sich zurecht unter dem label "dritte welt" zusammenfassen lassen können. wobei da auch wieder die täter-opfer-dialektik ins spiel kommt, ohne das ich den menschen dort ihr - zwangsläufig - fehlendes bewusstsein zum vorwurf machen könnte. die meisten geschichten stammen von leuten, die wirklich in der (schulden-)falle sitzen, und auffällig häufig ist mangelnde oder komplett fehlende medizinische versorgung ein thema.

ein
beitrag dort ließ mich jedoch auf eine andere art als die anderen sprachlos zurück:

"I get a comfortable paycheck and less-than-decent healthcare.

I got tricked into working for a company that slaughters thousands of innocent people in the middle east and supports torture. We call people terrorists so we can kill them without any trial or evidence or conviction. Then we lie about it and keep it secret and say it’s for national security. All of this is to give more power to the 1%. If I try to do something to change this, they’ll put me in jail with no trial, like Bradley Manning. My job in this company is to get people to like the company. My job is to put smiles on peoples faces, so we can get away with slaughtering innocent people.

Is this what it takes to be financially comfortable?

(I’m planning on signing up again to help kill more innocent people, just because I’m afraid if I don’t, I won’t be able to pay the bills.)"


dazu fällt mir gerade wirklich nichts mehr ein.

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und zum schluß wieder mal ein hinweis auf
peak-oil.com mit dem tipp, besonders die aktuellsten vier bis fünf beiträge zu lesen. wie hier schon öfter geschrieben: wer glaubt, dass die aktuelle ökonomische krise "irgendwann" wieder vorbei sein wird, auch wenn´s ein paar jahre dauern mag, hat die rechnung ohne die basis jeglicher ökonomie - und zwar ganz gleich, wie sie organisiert sein mag - gemacht: energie.

Freitag, 4. November 2011

aufgewärmt: gift- und atommüll in den meeren

zwischendurch wieder ein thema, welches in diesen tagen nur allzu leicht untergeht, aber nichtsdestotrotz zu den großen globalen, kapitalistischen und letztlich "zivilisatorischen" verbrechen gezählt werden muss. ich hatte mich vor ein paar jahren mit der zusammenarbeit von italienischem staat und der kalabrischen mafia 'Ndrangheta bei der versenkung von schiffen mit gift- und atommüll an diversen stellen im mittelmeer beschäftigt; und in dem rahmen auch auf ähnliche giftmüllverklappungen vor der küste von somalia hingewiesen (Sie erinnern sich - die ehemaligen fischer, die jetzt als piraten ein schreckgespenst des "ungehinderten globalen warenflusses" geworden sind...).

nun hat das ard-magazin
report mainz in der letzten sendung auf eine vermutlich nicht nur mir bisher unbekannt gewesene atomare zeitbombe an diversen stellen im atlantischen ozean aufmerksam gemacht:

"Endlager Meeresboden - Bis 1982 versenkten neun Staaten schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Nordostatlantik, darunter auch Deutschland. Insgesamt wurden offiziellen Statistiken zufolge an 15 Stellen 114.726 Tonnen Atommüll in 222.732 Fässern verklappt und zwar Alpha-, Beta- und Gammastrahler. Die verantwortlichen Regierungen gingen davon aus, dass der radioaktive Abfall in 4.700 Metern Tiefe "beseitigt" sei. Man nahm an, dass eventuell ausdringende radioaktive Stoffe im Ozean "verdünnt" würden. Heute ist die "Verdünnung" von radioaktiven Abfällen verboten, weil die Radioaktivität dabei nicht verringert sondern unkontrolliert verteilt wird." (...)

und wie es nun bei bei metallfässern im salzwasser irgendwann kommen muss, so
kommt es nun auch:

(...) "In einem Bericht habe die OSPAR (Internationale Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks) bereits im April 2010 festgestellt, dass Analysen von Wasserproben aus den Gebieten der Atommüll-Versenkung «erhöhte Konzentrationen von Plutonium 238» aufgewiesen haben. Das deute «auf das Auslaufen der Fässer» mit radioaktiven Abfällen hin. An einigen Stellen seien auch «die Konzentrationen von Plutonium 239, Plutonium 240, Americium 241 und Kohlenstoff 14 im Wasser erhöht.» (...)

Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA - International Atomic Energy Agency) wurde bereits 1992 Plutonium in Fischen aus den Versenkungsgebieten nachgewiesen. «Report Mainz» zeigt auch Unterwasseraufnahmen von aufgeplatzten und löchrigen Atommüllfässern, die Greenpeace im Jahr 2000 in einer Tiefe von etwa 100 Metern im Ärmelkanal gefunden hatte.

Im selben Jahr habe die deutsche Bundesforschungsanstalt für Fischerei das deutsche Versenkungsgebiet im iberischen Atlantikbecken aufgesucht und in einem Bericht festgestellt, «dass aus den Abfallbehältern frei gesetzte Radioaktivität in der Biosphäre angekommen ist». (...)


im prinzip hatte ich im anfangs verlinkten beitrag zum mittelmeer damals schon alles mir wichtig erscheinende gesagt; aber das zitat zweier involvierter in italien, mit dem ich damals begonnen hatte, eignet sich aufgrund seiner hochgradig pathologischen a-sozialität, ja lebensfeindlichkeit auch als abschluß:

„Und was wird aus dem Meer?“ fragt einer der beiden und bekommt als Antwort: „Was kümmert uns das Meer? Denk an das Geld, damit gehen wir woanders ans Meer.“

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nachtrag: wie es bei solchen themen so ist, kommt einem beim nachrecherchieren das kalte kotzen - ein alter
artikel aus dem "spiegel" von 1980 behandelt die gleiche ex-und-hopp-mentalität im pazifik - damals kam u.a. das folgende heraus:

(...) "Bei der Analyse der ihm zugänglichen und zugespielten Dokumente fand der kalifornische Forscher, daß der in den Pazifik gekippte Müll teilweise

* hochradioaktiv ("high level") und nicht schwachstrahlend ("low level"), wie die AEC angegeben hatte, und

* unzureichend verpackt ist; die meisten Fässer waren überdies gebrauchte 55-Gallonen-Tonnen zweiter Wahl, auf denen häufig sogar der versiegelnde Abschluß-Deckel fehlte. (...)

Doch Dutzende Unterwasserphotos, die im Auftrag der EPA aufgenommen wurden, zeigen gerissene Metalltonnen und verrottende Zementfüllungen, drum herum tummeln sich die Fische: Die Radioaktivität ist in die Nahrungskette der Meerestiere eingedrungen.

Studien für das kalifornische Gesundheitsministerium haben beispielsweise in Dorsch und Barsch, Austern, Muscheln und Schwertfischen verhältnismäßig hohe Alpha- und Betastrahlen nachgewiesen. Die Quelle dieser Strahlung ist bislang unbekannt, möglicherweise aber stammt sie von den radioaktiven Spaltprodukten Cäsium-137 und von Strontium-90. Strontium-90 jedenfalls, das leicht und schnell ins menschliche Knochenmark eindringt und es zersetzt, war, so zeigen die damaligen Aufzeichnungen, in den Atomabfällen enthalten." (...)


wenn Sie auf diesem planeten intelligentes leben suchen, gehen Sie am besten zu den freundlichen delphinen, den empathischen walen, den frechen krähenvögeln oder den ziemlich sozialen bonobos. suchen Sie´s besser nicht bei diesen fast haarlosen primaten, die sich in völliger verkennung ihrer situation und ihrer fähigkeiten für die "krone der schöpfung" halten.

Donnerstag, 3. November 2011

assoziation: occupy, echte demokratie jetzt etc. - wo geht´s hin?

während ich gestern und heute mit zunehmender fassungslosigkeit die news und die berichterstattung über das treiben der politischen und ökonomischen "eliten" in europa und speziell in griechenland zur kenntnis nehme - von der reaktion der "märkte" auf die bloße (und, das sollte mittlerweile klar sein, gefakte) absicht, die bevölkerung auch mal zu fragen, was sie von ihrer eigenen verelendung hält bis hin zu unverhohlenen drohungen und erpressungsmethoden seitens der anderen eu-"eliten" an ihre griechischen pendants (die sind keineswegs irgendwie besser) -; während ich dieses tolldreiste stück also zwischen gerüchten über einen krieg gegen iran, berichten über erneute unkontrollierte kernspaltungsprozesse in fukushima und anderen symptomen eines tag für tag dysfunktionaler werdenden systems verfolge, denke ich über den sinn oder unsinn nach, mich in dieser situation unter dem label "demokratie" zu organisieren. dazu im folgenden gleich mehr, eingebettet in weitere ergänzungen rund um das occupy-movement vor allem in den usa.

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echte demokratie jetzt: yo, da sitze ich nun seit zwei wochen regelmässig sonntags in einer runde von 20 bis 30 leuten, mit sehr unterschiedlichen backgrounds, motivationen, biographien, erfahrungen und vorstellungen. altermässig geht es rund um 18 los, um bei ü-50 zu enden. ehemalige und aktuelle "attac-"aktivisten treffen auf schülerInnen aus den aktuellen bildungsprotesten und aktive aus (im weitesten sinne) der erwerbslosenbewegung - dazu kommen leute aus der piratenpartei, einzelne (alt-) autonome bzw. undogmatische linke, verfechter des bedingungslosen grundeinkommens und vertreter der bremer regionalwährung roland und last bot not least tatsächlich (sich selbst so einschätzende) bisher "unpolitische" menschen, die das gefühl haben, dass "einiges ganz grundsätzlich schief läuft". nicht zuletzt waren bisher auch immer ein oder zwei studenten aus spanien dabei, die dort bei democracia real YA! in städten wie barcelona und valladolid aktiv sind und als interessierte beobachter kommen.

ich habe vor mehr als einem jahrzehnt auf ähnlichen, autonom-linksradikalen plena gesessen und kann nicht vermeiden, dass mir immer wieder vergleiche zu dieser zeit einfallen - und diese vergleiche gehen bisher eindeutig pro heute aus. das hat sicherlich auch etwas mit meiner eigenen entwicklung zu tun, ergibt sich aber primär aus der bisherigen erfahrung, dass eine derart heterogene runde es tatsächlich schafft, über drei bis vier stunden so etwas wie eine angenehme arbeitsatmosphäre herzustellen. klar ist nach so einer zeit die erschöpfung im allgemeinen groß, aber bei den anfangs angesprochenen damaligen plena war das meist bereits nach zwei stunden der fall, dazu oft genug in einer vergifteten atmosphäre (wo und wie die von fall zu fall entstand, ist mir heute klarer, aber soll gerade nicht thema sein.)

auf der oben verlinkten seite unseres "echte demokratie jetzt"-ablegers lassen sich bis auf weiteres etliche diskussionen und zukünftig auch ergebnisse der einzelnen arbeitsgruppen nachlesen - das erspart mir einiges an inhaltlichen beschreibungen. tatsächlich ist bisher der hauptanteil der treffen neben weiteren aktionsplanungen zeitlich der eigenen strukturierung gewidmet gewesen, d.h. es haben sich eine menge arbeitsgruppen - inhaltlich zu ökonomie und verwandten themen, öffentlichkeitsarbeit, gruppendynamik (sowohl nach innen - umgang untereinander - als auch nach aussen, was bspw. umgang mit der staatsgewalt angeht), und gesellschaftlichen alternativen gebildet, die mittlerweile ihre ersten treffen hatten. ich habe mich für die "inhalte"-gruppe entschieden und plane da, das thema peak oil einzubringen. auch die gruppendynamik finde ich grundsätzlich spannend, zumal es schon feststellbar ist, dass durchaus ein bewusstsein für die immer brisanter werdende
psychosoziale lage hierzulande vorhanden ist, nicht zuletzt durch die erfahrungen von leuten, die in diesem bereich beruflich tätig sind. hier schliesst potenziell vieles von dem an, was im blog bis heute immer wieder thema war und ist. was aber auch für peak oil gilt, und ich sehe bekanntlich aus dieser ecke die massivsten verwerfungen kommen, was dann auch der grund für meine entscheidung ist.

parteienvertreter - wie erwähnt waren bisher leute von den piraten, weiter der linkspartei und auch den jusos dabei - werden bisher als vertreterInnen für sich selbst und nicht für ihre organisationen akzeptiert und treten auch so auf - materielle unterstützung bspw. in sachen infrastruktur nehmen wir an, alles weitere hat diskussionsbedarf. so ging es beim letzten mal sehr lange um die frage, ob bei der nächsten geplanten aktion vor der hiesigen "deutschen bank" parteifahnen bzw. fahnen von organisationen überhaupt zugelassen werden sollen oder nicht - und das spektrum der meinungen reichte von völliger freigabe bis hin zum völligen unterlassen. rausgekommen ist dabei der kompromiss, besonders parteien im vorfeld darauf hinzuweisen, dass werbung unerwünscht ist, während gruppen wie attac, der BUND o.a. durchaus im rahmen als gruppen in erscheinung treten können und sollen. ich mache das deshalb so relativ ausfürhrlich, um deutlich zu machen, dass so ziemlich alle grundsätzlichen fragen bisher weder diskutiert geschweige denn geklärt sind, was allerdings bei der geschwindigkeit und dynamik der entwicklung sowie der unterschiedlichkeit der beteiligten kein wunder ist. das dürfte sich mit weiterer etablierung der arbeitsgruppen zukünftig ändern.

es erstaunt nicht, dass bei solchen voraussetzungen der diskussion die methodik der entscheidungsfindung eine entscheidende rolle spielt. und hier lehnen wir uns stark an die erfahrungen aus spanien an, was redezeiten, methoden von zustimmung und ablehnung sowie konsensprinzip betrifft. diese art der entscheidungsfindung in grösseren menschengruppen verdient einen eigenen beitrag, deshalb an dieser stelle nur soviel dazu, dass das durchaus von fall zu fall anstrengend, aber für mich persönlich auch interessant und anregend ist.

wir haben inzwischen sogar ein eigenes kampflied ;-) - ladies and gentlemen, we´re proudly present :




(auch an dieser stelle dank an plunderphoenix für die arbeit - atmosphäre und aussage gefallen mir, trotz eigentlich völlig anderer musikalischer präferenzen).

insgesamt ziehe ich bis jetzt ein durchaus positives fazit - im gegensatz zu einigen unerfreulichen entwicklungen in anderen städten (die umstrittene "zeitgeist"-fraktion ist da nur ein beispiel), haben wir bislang in dieser hinsicht keine größeren probleme, auch wenn sich das bei weiterem anwachsen der beteiligung noch ändern könnte und vermutlich wird. das aber halte zumindest ich für eine unvermeidbare und aus der historie politisch-sozialer bewegungen unvermeidliche entwicklung, der dann begegnet werden muss, wenn sie eintritt. dazu ist allerdings die persönliche anwesenheit unverzichtbar. vielleicht haben wir in dieser stadt auch andere voraussetzungen als anderswo - hier geht es eher darum, sich nicht komplett sozialdemokratisch-grün vereinahmen zu lassen, was aus meiner sicht eine große herausforderung darstellt.

soweit für erste ein kleiner rundblick, ich werde zukünftig bestimmt auf weitere entwicklungen eingehen.

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updates und nachträge:

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Ihnen geht der mediale mainstream auch auf die nerven? ab sofort lassen sich
spon, "zeit", "sueddeutsche" und andere zumindest virtuell okkupieren.

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zu
occupy marines weitere berichte aus der huffpost sowie dem schweizer tagesanzeiger:

(...) "Schon zuvor seien durchaus nicht wenige Ex-Soldaten an den Protesten beteiligt gewesen. Aber die Geschehnisse von Oakland hätten die Veteranen nun richtig wachgerüttelt, meint Ex-Soldat und Student Scott Kimball gegenüber dem Nachrichtenmagazin «USA Today». Kimball ist Mitglied der Protestgruppe Veterans of the 99%. «Wir erhalten jede Menge Anrufe von Kriegsveteranen aus dem ganzen Land. Es herrscht grosse Wut und Bestürzung darüber, dass jemand, der zweimal im Irak gedient hat, als friedlicher Demonstrant so behandelt wird.»

Andere Soldaten-Verbände können den Trend bestätigen. Chef der Vereinigung Iraq Veterans against War (Irak-Veteranen gegen Krieg) und pensionierter Unteroffizier Joe Carter spricht von einer steigenden Anzahl ehemaliger und aktiver Soldaten, welche an den Protesten teilnehmen wollten. «Bei uns melden sich sogar 80-jährige Ex-Marines.» (...)


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occupy together veröffentlicht seit kurzem einen täglichen
überblick zum stand in sachen occupy, primär auf die usa bezogen, aber auch mit internationalen entwicklungen.

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kurz zum gestrigen
generalstreik in oakland:

(...) "Die Gruppe Occupy Oakland hatte zu dem Streik aufgerufen, an dem sich viele Lehrer und städtische Angestellte beteiligten. Die meisten Geschäfte in der Innenstadt von Oakland hätten ihre Läden geschlossen, berichtet der US-Sender CNN. Auch der Hafen von Oakland – einer der bedeutendsten in den USA – habe seinen Betrieb eingestellt, teilte der Betreiber mit. In Oakland werden jährlich Ein- und Ausfuhren im Umfang von 39 Milliarden Dollar verschifft. Der Betreiber sagte, er hoffe, dass am Donnerstag die Arbeit wieder aufgenommen werden könne." (...)

vor dem hafen von oakland am zweiten november
<br />
foto von vt vassilev via wikipedia

durchaus eine erstaunliche entwicklung, wie ich finde. am rande gab´s wieder stress mit den cops, aber das war wirklich am rande und nicht der schlagzeilenträchtige krawall, den einige medien daraus machen. ebenso sind viele soliaktionen quer durch die usa zu vermerken, die sich explizit auf den streik in oakland bezogen haben.

noch ein bericht dazu aus der täglichen sendung von democracy now von gestern - es zeigt u.a., dass die beteiligung tatsächlich groß gewesen ist.



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zum schluß noch
ein brief aus kairo an die occupy-bewegung in den usa, den ich zwar unter vorbehalt verlinke, weil ich bisher keine hinweise auf die möglichen verfasserInnen finden konnte (nein, ich möchte keine namen wissen, aber zumindest einen beleg für die authentizität); der aber nichtsdestotrotz etliche interessante passagen enthält, v.a. in hinsicht auf die sog. gewaltfrage:

(...) "In unsere eigenen Besetzungen von Tahrir trafen wir auf Leute, die unter Tränen den Tahrirplatz betraten, weil es das erste Mal war, das sie durch jene Straßen liefen, ohne von der Polizei belästigt zu werden; nicht nur die Ideen sind wichtig, diese öffentlichen Räume sind elementar für die Möglichkeit einer neuen Welt. Dies sind öffentliche Plätze. Plätze für Versammlung, Freizeit, Treffen und Interaktion – diese Plätze sollten der Grund sein, warum wir in Städten leben. Wo der Staat und die Interessen der Besitzer sie unzugänglich, exklusiv oder gefährlich gemacht haben, liegt es an uns, sicherzustellen, dass sie sicher, inklusiv und gerecht sind. Wir müssen sie weiterhin für jedermann öffnen, der eine bessere Welt gestalten möchte, besonders für die marginalisierten, ausgeschlossenen und für jene Gruppen, die am meisten gelitten haben.

Was ihr in diesen Räumen tut ist weder so grandios und abstrakt noch alltäglich wie “echte Demokratie”; die aufblühenden Formen des Umsetzens und des sozialen Engagements, die in den Besetzungen betrieben werden, vermeiden die leeren Ideale und den schalen Parlamentarismus, die das Wort Demokratie mittlerweile repräsentiert. Also müssen die Besetzungen weitergehen, weil niemand übrig ist, um auf Reformen zu drängen. Sie müssen weitergehen, weil wir das erschaffen, worauf wir nicht länger warten können.

Aber die Ideologien von Besitz und Anstand werden sich erneut manifestieren. Ob durch den offenen Widerstand von Grundbesitzern oder öffentlichen Verwaltungen gegen eure Camps oder durch subtilere Versuche, Räume durch Verkehrsregeln, Regeln gegen das Campen oder Gesundheits- und Sicherheitsregeln zu kontrollieren. Es gibt einen direkten Konflikt zwischen dem, was wir aus unseren Städten zu machen versuchen und was das Gesetz und die Polizeisysteme, die dahinter stehen, uns gestatten.

Wir haben uns solch direkter und indirekter Gewalt gegenübergestellt, und tun das immer noch. Diejenigen, die gesagt haben, die ägyptische Revolution sei friedlich, haben nicht die Schrecken wahrgenommen, denen uns die Polizei ausgesetzt hat, noch haben sie den Widerstand und sogar die Gewalt wahrgenommen, die die Revolutionäre gegen die Polizei eingesetzt haben, um ihre versuchten Besetzungen und Widerstände zu verteidigen: nach den Angaben der Regierung selbst wurden 99 Polizeiwachen in Brand gesetzt, Tausende Polizeiautos zerstört und alle Büros der regierenden Partei wurden überall in Ägypten niedergebrannt. Barrikaden wurden errichtet, Polizeibeamte zurückgeschlagen und mit Steinen beworfen, noch während sie mit Tränengas und scharfer Munition auf uns schossen. Aber am Ende des 28. Januars hatten sie sich zurückgezogen, und wir hatten unsere Städte erobert.

Es ist nicht unser Wunsch, Gewalt auszuüben, aber es ist noch weniger unser Wunsch, zu verlieren.

Wenn wir nicht aktiv Widerstand leisten, wenn sie kommen, um sich zu nehmen, was wir zurückgewonnen haben, dann werden wir mit Sicherheit verlieren. Verwechselt die Taktik, die wir verfolgten, als wir “friedlich” riefen, nicht mit einer Fetischisierung der Gewaltlosigkeit; wenn der Staat sofort aufgegeben hätte wären wir vor Freude überwältigt gewesen. Aber da sie versucht haben, uns zu missbrauchen, uns zu schlagen, uns zu töten, wussten wir, dass es keine andere Möglichkeit gab, als zurück zu schlagen. Hätten wir uns zu Boden geworfen und es erlaubt, uns zu verhaften, zu foltern und zu Märtyrern gemacht zu werden um “eine Aussage zu machen”, wären wir um nichts weniger blutig geschlagen und getötet worden. Seid darauf vorbereitet, die Dinge zu verteidigen, die ihr besetzt habt, die ihr errichtet, denn nachdem alles andere von uns genommen wurde, sind diese wiedereingenommenen öffentliche Räume sehr kostbar für uns." (...)


mit diesen sehr treffenden worten verabschiede ich mich für heute.

Sonntag, 30. Oktober 2011

notiz: griechenland - medizinische selbsthilfe entwickelt sich

noch eine entwicklung, die erwähnenswert ist:

(...) "Die brutalen Sparmaßnahmen, die die griechische Regierung und die Troika (EC/ECB/IMF) durchprügeln, führen zum totalen Kollaps des "Wohlfahrtsstaats" mit massiven Kürzungen und Kündigungen im Gesundheitsbereich, mit wachsender Armut, Arbeitslosigkeit und sozialem Ausschluß. Als Antwort auf diese Entwicklungen, die das Leben tausender betreffen, hat eine Initiative Freiwilliger in Thessaloniki eine Struktur des Widerstands eingerichtet.

Am 7. November 2011 wird die "Soziale Apotheke der Solidarität" ihre Pforten öffnen und zwar im 1. Stock des Hauses in der Asopou Straße 24 (im Stadtteil von Vardari). Dieser Raum wurde vom Arbeitszentrum von Thessaloniki der Initiative der Gesundheitsarbeiter_innen zur Verfügung gestellt.

Die medizinische Praxis wird an Werktagen täglich kostenlos für alle griechischen und ausländischen Bürger_innen, die keine soziale Absicherung haben, geöffnet sein und sowohl allgemeinmedizinische Hilfe anbieten, als auch neurologisch, kinderärztlich, psychiatrisch, zahnärztlich und pharmakologisch zur Seite stehen." (...)


ich muss mal suchen, ob ich einen artikel auf "spon" neulich wiederfinde, in dem es ebenfalls um den kollaps des griechischen gesundheitswesens ging - dort wurde davon berichtet, wie die pfleger einer psychiatrischen klinik inzwischen hauptsächlich den tag über damit beschäftigt sind, in der nachbarschaft und der stadt nahrung für ihre patientInnen zu organisieren - das budget lässt keine ausreichende versorgung mehr zu, und in naher zukunft steht die komplette schliessung an. was dann mit den "psychos" passiert? na, die landen dann auf der strasse, wenn ihnen nicht irgendwie von solchen selbstverwalteten projekten wie oben skizziert geholfen wird. willkommen im freien westen im 21. jahrhundert!

notiz: "occupy marines"

ich möchte das folgende thema vorziehen, weil ich die berichterstattung über die gleich skizzierten entwicklungen nicht nur hierzulande für gelinde gesagt unzureichend halte. der angekündigte beitrag zu meinen eigenen erfahrungen bei "echte demokratie jetzt" verschiebt sich daher, was aber für mich auch den vorteil hat, dass ich das nächste treffen dafür mit einfliessen lassen kann.

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ich finde es verblüffend und bezeichnend, dass die derzeitigen entwicklungen rund um occupy in den usa zumindest im deutschsprachigen raum - großbritannien stellt in europa gerade eine ausnahme dar - kaum einmal im kontext dargestellt werden. dabei ist das, was sich seit letzter woche nach den
polizeilichen riots von oakland dort abspielt, etwas, was sich von form und inhalten her nicht nur drastisch von den europäischen bewegungen unterscheidet, sondern in den usa selbst auch zu einer spezifischen öffentlichen diskussion über das verhältnis gesellschaft - polizei - armee geführt hat. war es zuerst ein sergeant des "marine-corps" in new york, der sich verbal mit den cops anlegte - darüber ist etwas weiter unten in den beiträgen zu lesen -, so entwickelte sich aus der schweren verletzung eines irakkriegsveteranen durch die polizei in oakland nicht zuletzt durch die filmische und fotografische dokumentation der ereignisse eine enorme dynamik, in deren folge bisher für mich unbekannte teile der us-historie im 20. jahrhundert wieder ins bewusstsein gespült werden. und einmal mehr wird die besondere rolle der army in den usa deutlich, die ich im letzten beitrag schon erwähnt hatte.

GIs in new york

und nein, dass sind keine verkleideten prä-halloween-gestalten, sondern tatsächlich army-angehörige. es gibt mittlerweile eine wahrnehmbare öffentliche strömung in den usa nicht nur von veteranen, sondern auch aktiven soldaten, wozu auch angehörige der paramilitärischen nationalgarde gehören, die sich aktiv - und von den anderen okkupanten freundlich begrüsst - in den camps und den aktionen von occupy bemerkbar macht. ein hintergrund dafür bilden vermutlich die besonderen bezugnahmen aus den usa auf die (unvollendete) revolution in ägypten, die dort aufmerksam beobachtet wurde und deren anfänglich bewusste und positive bezugnahme auf die ägyptische armee offensichtlich eine spezielle saite in der kollektiven us-mentalität angeschlagen hat. es bleibt allerdings zu hoffen, dass auch die heutige rolle des militärs in ägypten ebenfalls mindestens im hinterkopf präsent ist.

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eine zusammenfassung der entwicklung seit der verwundung des soldaten scott olsen liefert ein
blogbeitrag der zeitschrift "the nation", in dem nicht nur nationale und internationale effekte des ereignisses dargestellt werden, sondern auch eine verbreitete sich auf die geschichte deutlich wird:

(...) "Iraq Veterans Against the War featured a statement on its website Wednesday night that read: “It’s ironic that days after Obama’s announcement of the end of the Iraq War, Scott faced a veritable war zone in the streets of Oakland last night. He and other protesters were surrounded by explosions and smoke (tear gas) going off around him as people nearby carried him injured while yelling for a medic. This disturbing video of the incident shows how veterans are now fighting a war at home.” (...)

der begriff "war at home" - bei dem die corporations und bankster den enemy bilden, taucht inzwischen öfter auf und deutet sowohl auf eine grundsätzlich vorhandene affinität zum militärischen in größeren bevölkerungsteilen dort hin als auch darauf, dass die diversen polizeiaktionen der letzten wochen durchaus niederschlag im kollektiven bewusstsein vieler aktivistInnen finden. ich lasse mal meine eigene position dazu für den moment beiseite, weil ich primär eine entwicklung darstellen möchte, die alle aufmerksamkeit verdient.

im verlinkten artikel von "the nation" wird dann zum ende in der historie gegraben und ein geschehen zum vergleich an den tag geholt, von dem ich bisher nichts wusste - die
"bonus-army", bestehend aus tausenden veteranen des weltkriegs I, campierte im sommer 1932 während der "großen depression" des 20. jahrhunderts vor den stufen des capitols in washington und forderte von der regierung versprochene soldzahlungen - eine aktion, die zuerst zu konfrontationen mit der polizei, später mit aktiven army-einheiten und zu zwei toten führte, bevor die regierung dann irgendwann einlenkte. und schon damals waren sich anscheinend etliche veteranen im nachhinein über ihre rolle in der armee durchaus im klaren, wie ein zitat eines "mayor generals smedley darlington butler" deutlich macht - ein zitat, welches aufgrund seiner klaren benennung der realität auch jahrzehnte später gewürdigt werden muss:

"I spent 33 years and four months in active military service and during that period I spent most of my time as a high class thug for Big Business, for Wall Street and the bankers. In short, I was a racketeer, a gangster for capitalism. I helped make Mexico and especially Tampico safe for American oil interests in 1914. I helped make Haiti and Cuba a decent place for the National City Bank boys to collect revenues in. I helped in the raping of half a dozen Central American republics for the benefit of Wall Street. I helped purify Nicaragua for the International Banking House of Brown Brothers in 1902–1912. I brought light to the Dominican Republic for the American sugar interests in 1916. I helped make Honduras right for the American fruit companies in 1903. In China in 1927 I helped see to it that Standard Oil went on its way unmolested. Looking back on it, I might have given Al Capone a few hints. The best he could do was to operate his racket in three districts. I operated on three continents."

frei übersetzt:

"Ich verbrachte 33 Jahre und vier Monate im aktiven Militärdienst, und während dieser Periode verbrachte ich die meiste Zeit als ein Profiverbrecher für das Big Business, die Wall Street und die Banker. Ich war ein Bandenmitglied, ein Gangster im Dienste des Kapitalismus. Ich half dabei, Mexico und speziell Tampico 1914 für amerikanische Ölinteressen zu sichern. Ich half dabei, Haiti und Cuba zu einem Platz für die Jungs der National City Bank zu machen, an dem sie ordentliche Einnahmen machen konnten. Ich half bei der Vergewaltigung eines halben Dutzends zentralamerikanischer Republiken für den Profit der Wall Street. Ich half dabei, Nicaragua für die internationale Bank der Brown Brothers zwischen 1902 und 1912 zu "reinigen". Ich sorgte für Klarheit in der Dominicanischen Republik 1916 für die amerikanischen Zuckerinteressen. Ich half dabei, 1903 Honduras klar zu machen für die amerikanischen Früchtekonzerne. 1927 in China half ich Standard Oil, unbehelligt ihren Interessen nachgehen zu können.

Zurückblickend, könnte ich Al Capone ein paar Tipps geben. Seine Bande in drei Bezirken arbeiten zu lassen, ist das Beste, was er tun könnte. Ich arbeitete auf drei Kontinenten."


von zeit zu zeit kommentiere ich zitate ja mit der empfehlung, darüber ausführlich zu meditieren. das hier ist wieder so ein fall. kürzer und prägnanter lässt sich die reale funktion - einer beliebigen armee eines beliebigen kapitalistischen landes - kaum mehr auf den punkt bringen. ich hatte ja im letzten beitrag aus einer früheren filmbesprechung zitiert, in der es u.a. um genau diese rolle der us-army aus sicht der dortigen "eliten" ging. diese besprechung hatte ich damals mit der anmerkung begonnen, dass ich als bewohner dieses landes für die rolle der us-army während der militärischen niederschlagung des nationalsozialismus durchaus dankbar bin, was aber keineswegs bedeutet, sich den blick für ihre untaten vorher und nachher trüben zu lassen. beim nachdenken über das obige sehe ich mich gezwungen, einen vergleich mit der rolle der polizei anzustellen - ihre primäre funktion (das gilt auch für die justiz) ist der schutz des herrschenden systems; und zwar vor allem anderen der schutz des sog. "eigentums". alle symptome von wahnsinn und antisozialer kriminalität, die dieses system täglich in unzähligen formen hervorbringt, werden gewissermaßen von ihr "mitverwaltet", um einen ungestörten geschäftsbetrieb zu gewährleisten. und die tatsächliche hilfe, die sie für konkrete menschen in konkreten momenten auch bedeutet, stellt aus der perspektive lediglich ein nebenprodukt dar.

ähnlich lässt sich das besonders für die us-army sehen, auch und gerade in bezug auf nazi-deutschland. es darf inzwischen als historisch gesichert gelten, dass damals bestimmte fraktionen des us-capitals - namentlich als repräsentanten dafür lassen sich u.a. general motors, coca-cola und einige banken nennen - den aufstieg hitlers und der nazis nicht nur wohlwollend betrachteten, sondern mindestens indirekt finanziell unterstützten. das ist keine entschuldigung für das mehrheitliche verhalten in deutschland damals, aber die rolle der usa in der geschichte war und ist bis heute mehr als zwiespältig. die benannte fraktion des us-kapitals machte bis weit in den laufenden zweiten weltkrieg gute geschäfte mit den nazis, general motors über die opel-connection sogar mittels lieferungen für die deutsche rüstungsindustrie. meines wissens wurde das erst 1943 gestoppt und führte nach kriegsende 1945 in den usa zu bestrebungen seitens der damaligen administration, die verantwortlichen industriellen und banker wg. "hochverrats" anzuklagen, was jedoch - nicht besonders überraschend - im sande verlief. (btw:
hier lässt sich etliches werbematerial von coca-cola im "dritten reich" betrachten... ich finde es vor diesem hintergrund immer wieder allerliebst, den sog. "antideutschen" bei ihrem demonstrativen konsum von mac donald-fraß und coca-cola als "antifaschistischem" akt zuzuschauen.)

aber zurück - ich habe diese kleine abschweifung deshalb unternommen, um eines klar zu machen: wenn es unter den aktiven und ehemaligen angehörigen der us-army ein wachsendes bewusstsein über die eigene historische rolle, im zitat von butler auf den punkt gebracht, geben sollte, und wenn ihnen die systemische gewalt, die sie ansonsten selbst ausserhalb der us-grenzen ausüben, nun selbst in solchen formen wie in oakland entgegentritt (und ebenso in struktureller form, nämlich im elend und der obdachlosigkeit vieler ehemaliger kameraden sowie dem ökonomischen und psychosozialen elend von familien und freunden), dann ist das von einer potenziellen brisanz, die wir uns hier kaum vorstellen können und die sich anhand des fotos oben ansatzweise erahnen lässt. das wort feind steht da nicht zufällig.

*

nochmal zur konkreten sache in oakland: in die öffentlichkeit brachte es auch der folgende
vergleich eines ebenfalls im irak stationiert gewesenen marines, der sich das vorgehen der polizei betrachtet hat und zum schluß kommt, dass der einsatz von tränengasmunition und gummigeschossen wie dort letzte woche geschehen, übertragen auf ein erklärtes kriegsgebiet wie den irak dort als verboten angesehen werden würde. eine sache nicht nur für juristen.

und zum schluß noch der link zu
occupy marines. einen schönen sonntag noch.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

notiz: "Wahrscheinlich ist es allein diese Ignoranz, die dieses System noch retten kann." [update am 28.10.]

so lautet der letzte satz eines beitrags bei "spon", mit der sich die redaktion gewissermaßen selbst die eigene merkbefreiung betreffend ihrer heutigen "eurorettungsjubelchöre" ausstellt. ich hatte dieses phänomen schon ftrüher bei anderen themen auf "spon" angesprochen - die eine hand weiß nicht, was die andere schreibt:

(...) "Wir rennen nicht zum nächsten Geldautomaten und heben alles ab, was geht. Wir stehen nicht bei der Bank in der Schlange und auch nicht beim Goldhändler. Wir gehen zur Arbeit, danach zum Einkaufen. Und hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Auch wenn wir keine Ahnung haben, wie. Wir sind ganz ruhig." (...)

ja-ha. das ist das kaninchen vor der schlange auch immer. bekanntlich mit wenig erfolg.

zu risiken und nebenwirkungen dieser so called "rettung" lesen Sie zb. bei
gaertner, in der berliner zeitung oder auch in den kommentaren der querschüsse, dort besonders die von M.E., der bspw. schreibt:

"Ergänzung zum Schuldenschnitt: die 50%-Vereinbarung wurde nicht mit den einzelnen Banken geschlossen, sondern mit dem internationalen Bankenverband. Dem gehören aber bei Weitem nicht alle Gläubigerbanken Griechenlands an.

Jede einzelne Bank hat die Möglichkeit, diese Vereinbarung für das eigene Haus abzulehnen, wobei natürlich die Mitgliedsbanken des internationalen Bankenverbandes schon unter dem Druck stehen, der Vereinbarung ihres Verbandes zu folgen.

Aber jetzt kommt der eigentliche Knackpunkt: die Vereinbarung wurde unter dem Vorbehalt geschlossen, dass eine bestimmte Quote an Banken erreicht werden muss, die sich der Vereinbarung anschließen. Die Höhe der Quote ist mir leider nicht bekannt.

Wird diese Quote nicht erreicht, tritt auch der internationale Bankenverband von der Vereinbarung zurück und der Schuldenschnitt kommt nicht zustande.
Man wird also erst in einigen Wochen wissen, ob überhaupt etwas aus dieser Aktion wird."


und so entpuppt sich das ganze als weitere folge aus der elitären endlos-soap "tarnen, tricksen, täuschen, zeit schinden und den eigenen arsch retten". fortsetzung folgt, solange das publikum nicht endlich beginnt, die erbärmlichen darsteller von der bühne zu jagen und das ganze stück abzusetzen.

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ein update zum
update von gestern: die polizeilichen riots gegen occupy oakland sind dann doch noch um einiges schwerwiegender gewesen, als zumindest ich gestern einschätzte. nicht zuletzt liegt das daran, dass ein schwerverletzter irakkriegsveteran mit kopfverletzungen im koma liegt (wer das jetzt als ironie der geschichte begreift, sollte sich klar machen, dass der mann nach zwei einsätzen im irak begonnen hat, sich bei den "veterans for peace" gegen die kriege der usa zu engagieren). das allein hat schon einen ordentlich polarisierenden effekt in den breit patriotismus-geschwängerten ("our troops") usa. aber noch drastischer fallen inzwischen viele öffentliche reaktionen nach ansicht der szenen aus, die sich rund um den verwundeten veteranen abgespielt haben:



zu sehen ist, wie eine gruppe aktivistInnen versucht, dem bewusstlos vor der polizeisperre liegenden mann zu helfen - und dabei aus den reihen der polizei mit etwas beworfen wird, was viele für eine sog. blend(schock)granate halten - ich denke, hier sehen wir eine "abgespeckte" version einer solchen.

das klima in oakland ist allgemein nach diesen szenen ziemlich zerrüttet, nicht nur in der dortigen lokalpolitik, in der sich die bürgermeisterin inzwischen versucht, von der polizeiführung zu distanzieren. occupy oakland ruft inzwischen für die stadt in der nächsten woche zu einem generalstreik auf, und landesweit fanden in anderen städten - u.a. in new york - solidaritätsdemonstrationen statt. weiteres soll folgen.

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edit am 28.10.: es gibt den
aufruf zum generalstreik in oakland nebst einigen interessanten infos zur (bewegten) sozialgeschichte dieser stadt auch übersetzt:

"Wir, die gemeinsamen Besetzer des Oscar-Grant-Platz, schlagen vor am Mittwoch, 2. November 2011 Oakland zu befreien und die 1% außer Dienst zu stellen.

Wir schlagen einen stadtweiten Generalstreik vor und laden alle Studenten und Schüler ein, dem Unterricht fern zu bleiben. Arbeiter, die nicht zur Arbeit gehen, Schüler die nicht in die Schule gehen, mögen sich in der Innenstadt von Oakland zusammen finden, um die Stadt zum Stillstand zu bringen.

Alle Banken und Firmen sollten an diesem Tag schließen oder wir werden gegen sie an marschieren.

Wenn wir einen Generalstreik ausrufen, fordern wir gleichzeitig viel mehr. Leute, die in der Nachbarschaft, Schulen, Stadtteil-Organisationen, Freundeskreisen, am Arbeitsplatz, Familien aktiv sind, möchten wir ermutigen, sich in einer Weise selbst zu organisieren, dass sie in der Lage sind an der Schließung der Stadt teilzunehmen, in welcher Form sie das als angemessen und machbar empfinden.

Die ganze Welt schaut auf Oakland. Lasst uns ihr zeigen, was möglich ist!" (...)


und
hier gibt es interessante statements von ehemaligen oder aktiven der us-army. das sollte im auge behalten werden - ich hatte vor ein paar jahren anlässlich einer filmvorstellung zur us-army u.a. das folgende geschrieben, was mir weiter gültig erscheint:

(...) "täter und opfer zugleich, sind bis heute überproportional viele angehörige der deklassierten us-amerikanischen bevölkerungsteile als kerne der kämpfenden truppen vertreten - schwarze, latinos und viele sonstige arme, auch mit weißer hautfarbe. während die offizierskaste immer noch mehrheitlich aus der schicht der sog. wasps, white-anglo-saxon-protestants, stammt, also der privilegiertesten und auch formal "gebildesten" klasse der usa. mittels der struktur der army schaffen es also bis heute die angehörigen der us-eliten, gleich zwei aus ihrer sicht nützliche funktionen zu verbinden: zum einen gewährt die army eine gewisse materielle und ökonomische sicherheit, die unter den sich verschärfenden kapitalistischen bedingungen für viele verlockend ist, ebenso wie die aussicht auf ein mögliches höhersteigen innerhalb der gesellschaftlichen hierarchien (was gerade für angehörige der verarmten afroamericans ansonsten hauptsächlich nur per sportlicher karriere oder aber im show- und musikbusiness möglich ist - und dieser weg ist real nur für ganz wenige offen.) die army lässt sich also bereits durch diese option als instrument zur abschöpfung sozial produzierter frustration begreifen. zum anderen aber verheizen die sog. eliten diese soldaten dann regelmässig bei ihren verschiedenen und groß angelegten globalen antisozialen aktionen zwecks eigenem machterhalt und expansion" (...)

und genau diese skizzierte struktur könnte durch solche ereignisse wie in oakland für viele soldaten potenziell spürbar werden, mit nicht absehbaren folgen. der zustand des verletzten veteranen wird übrigens weiterhin als "kritisch" betrachtet, mit negativer tendenz.

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es ist nichts neues, dass seitens grosser teile der westlichen "eliten" seit geraumer zeit aufs pseudokommunistische china gestarrt wird, gilt das doch als neuer begriff einer autoritär-kapitalistischen "idealgesellschaft", in der viele probleme der hiesigen führungskasten (anscheinend) nicht vorhanden sind (was natürlich nicht stimmt). jedenfalls möchte ich für heute mit einem zitat den beitrag beenden, welches dieses erwähnte sympathisierende starren einmal mehr völlig verständlich erscheinen lässt - der
klassenkämpfer jin liqun, vorstandsvorsitzender einer chinesischen investmentgesellschaft, über seine visionen für europa:

„Europa fehlt nicht wirklich das Geld. Es muss sich seiner Situation bewusst werden und erkennen, dass seine Probleme gelöst werden können. Die Wurzel des Problems ist das überforderte Sozialsystem, das seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa aufgebaut wurde. Das Arbeitsrecht begünstigt Faulheit und Trägheit. Die Menschen müssen etwas härter und länger arbeiten und sie sollten innovativer sein. Wir (die Chinesen) arbeiten wie verrückt.“

das wörtchen "verrückt" trifft es schon ganz gut, aber völlig anders, als es dieser CEO meint.

Freitag, 21. Oktober 2011

notiz: occupy - fragmente und ergänzungen [update am 26.10.]

zuerst sei einmal mehr auf mrs. mop verwiesen, die heute eine sehr schöne antwort auf all das genöle und gejaule geschrieben hat, was sich nicht nur in vielen blogs derzeit abspielt.

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eine weitere
einschätzung speziell von occupy frankfurt, die in teilen gute gedanken enthält und vor allem für solidarische kritik stehen kann.

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es gibt ein ganz informatives
blog von occupy berlin.

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für morgen gibt es mittlerweile neben etlichen "unorganisierten" aufrufen via twitter/facebook auch welche von attac und dem dgb (*stöhn*). das lässt sich momentan nicht vermeiden, aber vermeiden lassen sollte sich eine entwicklung, in der sich speziell der dgb an die spitze setzt. es dürfte an der basis durchaus etliche leute geben, mit denen sich das gespräch lohnt, aber was die funktionäre betrifft, so muss ich wohl nicht weiter begründen, warum da hopfen und malz verloren ist. eine
terminübersicht für morgen.

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rück- und überblicke: das labournet mit einer kommentierten
linksammlung zur entwicklung von occupy speziell in den usa sowie eine interessante sammlung zum 15. oktober in diversen ländern, darunter frankreich, australien, neuseeland, südafrika und chile.

apropos
chile:

"Als die Polizisten den Mann an Händen und Füßen in den vergitterten Bus zerren, hebt wütender Gesang unter den Demonstranten an. "Pinochets Erziehung wird fallen", singen sie wieder und wieder. Die zornige Zeile auf den früheren Diktatoren ist altbekannt, dennoch zeigen die chilenischen Proteste für freie Bildung in dieser Woche in Santiago ein neues Gesicht. Denn die Menschenmenge, die sich den Polizisten vor dem chilenischen Präsidentenpalast La Moneda in den Weg stellt, besteht nicht aus Jugendlichen. Stattdessen singen Herren in dunklen Anzügen Parolen gegen das Regime, grauhaarige Protestler in Lederschuhen schwenken Fahnen mit Schriftzügen wie "Bildung ist ein Grundrecht!". Ein untersetzter Brillenträger im gelben Freizeithemd rangelt mit den Polizisten, eine Mittvierzigerin im grauen Sommerkleid ruft kreischend um Hilfe. (...)

Die Forderungen der Jugendlichen finden in der chilenischen Gesellschaft zahlreiche Befürworter. Das zeigt sich nicht nur bei den Straßenprotesten in Santiago, sondern auch in nüchternen Zahlen. In einer groß angelegten Umfrage sprachen sich jüngst knapp 90 Prozent der Teilnehmer für ein gebührenfreies Bildungssystem aus, die Kernforderung der Studenten. Über eine Million Chilenen hatten sich an der Abstimmung beteiligt." (...)


und auch da geht´s teils militant zur sache, ohne dass das sofort eine breite entsolidarisierung mit sich bringen würde.

nachzutragen bleibt zum 15. oktober auch, dass zwar die ca. zweihunderttausend in rom eine beeindruckende zahl darstellen, aber das europäische land mit der größten
massenmobilisierung einmal mehr spanien gewesen ist:

(...) "Zentren des Protestes gegen die Banken und die Neoliberale Politik in Spanien waren Madrid mit einer halben Million Indignados rund um die Puerta del Sol und Barcelona mit geschätzten 60 000 Demonstrationsteilnehmern. In Sevilla versammelten sich 40 000, in Zaragoza 30 000 und in Palma 10 000. Insgesamt wurde in 70 spanischen Städten demonstriert." (...)

die 60.000 in barcelona sind dabei die polizeiliche schätzung, andere gehen dort von bis zu 150.000 demonstrantInnen aus.

*

aus den usa gibt es vom letzten samstag vom times square - schätzungen gehen dort von 40. bis 50.000 demonstrantInnen aus - in new york ein video, welches mich über die woche immer wieder beschäftigte, weil sich anhand der ganzen szene etliches über die usa bzw. das selbstverständnis vieler menschen dort lernen lässt:




wir sehen und hören den (ex-)sergeant shamar thomas vom us-marinecorps, der sinngemäß den cops u.a. folgendes zu sagen hat: "Das ist keine Kriegszone" "Das sind unbewaffnete Leute, es ist nicht mutig diese Leute zu verletzen" "Warum verletzt ihr US-Staatsbuerger?" "Wenn ihr kämpfen wollt, geht nach Irak und Afghanistan" "Wie könnt ihr nachts schlafen?" "Wenn ihr jemand umbringen wollt, geht nach Irak!"

das sorgte in den usa für einigen wirbel, und zwar nicht nur in der medialen öffentlichkeit. es gab in der folge nicht nur vereinzelt zb. solche
statements zu lesen:

“talking to my friends and family who are vets form "nam" to iraq and Afghanista­n. we're discussing­, what going on... im im pretty sure that the military will fire on the police before their own people just like what happened in egypt.. the police were beating people then the military showed up.. cept the military is made up of mostly under 30 year olds (just like here) and they would not fire on their friends and community. and that whole "i was just following orders" thing isnt going to work for the cops just like it didnt for the germans after ww2..

"no honor in beating unarmed civilians" get ready to see a whole lot more soldiers in these protest.. this isnt the freedom they signed up to defend.”


ich denke, dass das auch für leserInnen mit rudimentären englisch-kenntnissen einigermaßen verständlich sein sollte.

jenseits der tatsache, dass die us-army von ihrer struktur tatsächlich mehrheitlich ein sammelbecken für - nun ja, prekär lebende us-bewohnerInnen darstellt, die in ihren funktionen dann mithelfen, diese prekären verhältnisse zu verteidigen, staune ich immer wieder über die zutage tretenden unterschiede in der "mentalität" zwischen den usa und europa. nicht zuletzt diese unterschiede lassen mich in der beurteilung der us-proteste zurückhaltend sein, denn es ist schlicht nicht möglich, hiesige erfahrungen und lehren eins zu eins zu übersetzen - die soziale matrix in den usa sieht in vielen teilen extrem anders aus als hier.

wer ein paar stunden zeit hat, kann sich auf den inzwischen sehr umfangreichen
sonderseiten der"huffington post" über unzählige berichte und kommentare selbst ein aktuelles bild zur situation in den usa machen. lesetipp!

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edit am 26.10.: weil´s gerade so zum obigen passt - ich frage mich, was mr. thomas wohl zu den szenen aus oakland in kalifornien letzte nacht zu sagen hat? "this is not a war zone..." wirklich nicht?




nach einer - wenn man nach vielen videos und berichten geht - ziemlich massiven und aggressiven räumung des dortigen occupy-camps eskalierte die situation in den abendstunden danach - verhaftungen, tränengas und nicht zuletzt einige verletzte durch gummigeschosse passen ganz gut zu den szenarien, die sich gerade quer durch die usa entwicklen - ich habe längst den überblick darüber verloren, in wie vielen städten es jeden tag neuen stress zwischen occupy-leuten und den cops gibt. einiges lässt sich wie gesagt bei den oben verlinkten seiten der huffpost nachlesen, die auch bilder von den erwähnten verletzten haben - nichts für sensible seelen. oakland war aber jetzt ein erster trauriger höhepunkt, und die bilder gehen landesweit durch die usa und werden einerseits die dortige gesellschaftliche polarisierung verstärken, andererseits und damit zusammenhängend vermutlich auch weitere leute ins nachdenken über die innere verfassung des "land of the free, home of the brave" bringen.

ansonsten bleibt bei der vielzahl an ähnlichen bildern rund um den planeten nur anzumerken, dass die prügelschergen des systems wirklich überall gleich scheisse rüberkommen.

*

zur diskussion unten: ich verfolge das mit interesse, bin aber durch lohnarbeitszwänge gerade nicht in der lage, mich dabei groß einzumischen. allerdings bin ich mittlerweile beim hiesigen ableger von "echte demokratie jetzt" aktiv, und werde versuchen, am wochenende mal ein paar erste nähere innenansichten aus meiner perspektive zu liefern, die durchaus auch als antworten auf etliches in den kommentaren verstanden werden könnten. eins schon vorweg: ich bin nicht euphorisch, war aber vom ersten längeren plenum, an dem ich teilnahm, durchaus angenehm überrascht. aber mehr wie gesagt zum wochenende.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

notiz: griechische "kommunisten" verteidigen das parlament [update 2 am 21.10]

wie war das nochmal mit dem satz, das geschichtliche tragödien später als komödien wiederkehren würden? aktuell scheint sich das nicht zu bewahrheiten, denn die nachrichten aus athen von heute erinnern mich spontan an einiges aus der spanischen revolution - history repeating...

"14:25 MEZ Vor allem in der Filellinons- und der Voukourestioustr. gibt es Zusammenstöße zwischen AnarchistInnen und StalinistInnen.

Der Großteil des Syntagma-Platzes wird von Gewalt beherrscht. Es fliegen mehr Mollis und Steine auf die StalinistInnen. Davor versuchte die Polizei von der Stadioustr. aus auf den Platz zu kommen und die AnarchistInnen so einzukesseln.

14.20 MEZ Am laufenden Band werden schwer verletzte DemonstrantInnen (min. 20) in das Medizinzentrum auf dem Syntagma-Platz gebracht. PAME-Mitglieder scheinen direkte Kontakte mit Polizisten zu haben und liefern ihnen DemonstrantInnen aus. Sie griffen sogar militante DemonstrantInnen an. Jetzt greifen DemonstrantInnen die Bullen und die PAME-Wichser an.

AUF DEM SYNTAGMA WIRD DRINGEND VERSTÄRKUNG BENÖTIGT!

14.00 MEZ Auf dem Syntagma eskalieren die Auseinandersetzungen; Molotov-Cocktails fliegen in Ansammlung der Stalinisten.

13:50 MEZ Mitglieder der Bewegung „Den Plirono“ (ich bezahle nicht) ergirffen als erstes Initiative gegen einen stalinistischen „Sicherheitsposten“ in der Nähe des Hotel Great Britain. Dann kamen anti-autoritäre Blöcke, ebenso wie das anarchistische Komitee für soziale Selbstbestimmung.

Die Auseinandersetzungen eskalierten als Demonstranten versuchten das Parlament zu erreichen. Ein sehr großer anarchistischer Block griff die stalinistische Linie an. Sie stehen sich direkt am Hotel Great Britain gegenüber. Die Polizei feuert Tränengas. Die Auseinandersetzungen sind sehr ernst. Leuchtsignale wurden in die Menge gefeuert. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Anarchisten und Stalinisten fliegen Steine und Flaschen. Demonstranten versuchten durch die Reihen der stalinistischen Gewerkschaft PAME zu brechen und zum Parlament zu kommen. Am Syntagma Platz beleidigen die Stalinisten die Demonstranten und verprügeln einige. "


manmanman...

(und ja, die liveberichte stammen zwar von einer seite mit anarchistischen sympathien, werden aber durch andere livestreams bestätigt.)

*

edit: so, ich war jetzt ein paar stunden unterwegs und zwischendurch haben sich die nachrichten eher noch verschlechtert - inzwischen gibt es einen bestätigten
todesfall, und zwar eines dreiundfünfzigjährigen mannes und "pame"-mitglieds. es scheint medial zuerst davon berichtet worden zu sein, dass er aufgrund eines steinwurfs während der oben beschriebenen auseinandersetzungen einen herzinfarkt erlitten habe; das wurde offensichtlich als erstes von griechischen medien berichtet. der arzt des krankenhauses in athen, welches die erfolglose notfallbehandlung durchführte, sagt jedoch etwas anderes - von äusseren verletzungen sei nichts zu sehen und der infarkt hänge wohl hauptsächlich mit einer überdosis an eingeatmeten substanzen aus dem tränengas zusammen, welches von der polizei genutzt wird.

die situation im moment ist verworren und es ist von ferne betrachtet eine ähnliche unsicherheit zu konstatieren wie nach dem tod von drei bankangestellten bei den streiks und protesten im mai dieses jahres. es dürfte auch einige zeit dauern, um die heutigen auseinandersetzungen aufzudröseln, zumal auch berichte über den einsatz von "agent provocateurs" eingehen. das sollte nicht von den grundsätzlichen konflikten innerhalb der griechischen linken hinwegtäuschen, die sich heute zumindest z.t. manifestiert haben. jedenfalls müssen sich beide seiten an die nase fassen - die kke/pame wegen ihrer blockade einer möglichen aufstandssituation sowie ihrer schlägermethoden gegen (nicht nur) anarchistische und andere fraktionen aus der undogmatischen linken; letztere aber ebenso wg. des nicht zu tolerierenden einsatzes von molotov-cocktails gegen kommunistische gruppen, egal wie reaktionär diese sein mögen. und das schreibe ich deshalb, weil ich selbst mit nur rudimentären kenntnissen über die innerlinken konflikte in griechenland nicht ausschliessen kann, dass hier wirklich anarchistische militante agiert haben - und eben keine verkleideten cops, was natürlich eine weitere möglichkeit sein kann.

ich hoffe, es wird aus den beteiligten gruppen in griechenland direkt stellungnahmen geben.

*

edit 2: es ist ein einziges trauerspiel, was sich da gestern getan hat - und nach ansicht einiges bisher vorliegender berichte sehe ich keinen grund, meine einschätzungen zu revidieren - das folgende video zeigt ein teil des geschehens vor dem parlament:




ein anarchosyndikalistisches blog schreibt dazu:

"Die Stalinisten haben eine Kette gebildet. Sie stehen mit Baseballschlägern und Knüppeln bewaffnet VOR der Polizeikette und verhindern den Weitermarsch der Demonstranten auf das Parlament, die für gestern dessen Erstürmung angekündigt hatten. In Griechenland werden die Stimmen lauter die KKE und PAME als das bezeichnen was sie sind: totalitäre Rotfaschisten auf der Seite der kapitalistischen Ordnung. Parallelen zum Mai 1968 in Frankreich werden auffällig, als die dortige KP mit allen Mitteln gegen die wilden Streiks der Arbeiter und das Herannahen der sozialen Revolution agierte. In Griechenland besteht ohne Zweifel eine ähnliche Situation. Der Kapitalismus hat abgewirtschaftet und die Mehrheit der Menschen ist offen für anti-kapitalistische Ideen."

und ich sehe da tausende von nicht vermummten demonstranten aller altersklassen vor der - mit helmen und knüppeln ausgestatteten - kette der kke/pame.

btw: ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das attribut "stalinistisch" wirklich für die mehrheit zutreffend ist - tatsache ist aber, dass es sich bei der kke und ihrer gewerkschaft "pame" um eine hierarchisch und orthodox ausgerichtete kommunistische partei "alten" typs handelt, die die ganzen unheilvollen "traditionen" dieser parteien mit sich schleppt. was ebenso für die marginalisierte
dkp gilt, die ihrer "schwesterpartei" treu zur seite steht. die letzten sätze in ihrer erklärung können sie sich dabei in die haare schmieren, denn faktisch haben gestern die "kommunisten" aller wahrscheinlichkeit nach die parlamentsbeschlüsse in athen, die eine weitere spirale der verelendung einleiten werden, mit ihrem handeln überhaupt erst möglich gemacht. ebenso ist bezeichnend, dass sie in alter schlechter manier jeden militanten widerstand als polizeigesteuert hinstellen - und das ist in so einer totalität einfach bullshit und verdient das etikett verschwörungstheorie. natürlich gibt es polizeispitzel und under-cover-provokateure, und das nicht erst seit gestern. aber die welt ist nicht so einfach gestrickt, wie es ärgerlicherweise bspw. das opablog suggeriert. und damit ausblendet, dass es gestern nach verschiedenen berichten auch militantes handeln von sog. normalbürgerInnen in athen zu beobachten gab. ebenso wie es selbst hierzulande in der vergangenheit - gerne totgeschwiegen - an der startbahn west in frankfurt, in wackersdorf und gorleben der fall war.

aber es ist eine alte erfahrung mit solchen "kommunisten", dass ihnen spontaner - auch militanter - widerstand "von unten", unkontrolliert und vor allem nicht unter ihrer kontrolle (das ist der eigentliche und wesentliche aspekt - die machtfrage), nicht geheuer und ein greuel ist - das zieht sich von der russischen revolution über den spanischen bürgerkrieg und frankreich 1968 bis ins heutige athen. als eine konsequenz ergibt sich daraus nicht nur eine spaltung, sondern in ihrer terminologie auch eine "objektiv konterrevolutionäre" funktion - und zwar von ihnen selbst.

es hat gestern nacht wohl als reaktion in mehreren städten angriffe auf parteibüros der kke gegeben. und bei all dem ist nicht zu vergessen, dass die kke gestern nicht nur die "autonomen" oder anarchisten bekämpft hat, sondern so ziemlich alle oppositionellen kräfte, die nicht unter ihrer ägide stehen - von anderen linken splittergruppen wie trotzkisten angefangen bis hin zu breiten basisbewegungen wie "ich zahle nicht". es wird sich zeigen, wie das künftige verhältnis zwischen all diesen strömungen und der kke aussehen wird. so wie jetzt geht das jedenfalls nicht weiter.

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