assoziation: von "vernünftigen" motivationen in einer ver-rückten kultur

im vorläufig aktuellsten kommentar hier (ganz unten) wurde von loellie etwas angesprochen, was ich für enorm wichtig halte - scheint mir hier doch eine art mißverständnis vorzuliegen, welches ich aus der welt räumen möchte:

"bestenfalls koennte ich mahnen es sich nicht zu einfach zu machen, soziokulturelle und politische entwicklungen ueber wahn, ueber geisteskrankheit zu erklaeren. dafuer schreibst du aber wiederum zu differenziert."

nun, wenn du nicht noch den letzten satz angefügt hättest, hätte ich zum leicht ärgerlichen ratschlag gezwungen gesehen, dann doch nochmal etliche beiträge hier genau zu lesen ;-)

aber so bietet mir das eine vorlage, die ich umgehend verwandeln möchte, um zusammenfassend meine jetzigen positionen zu der obengenannten frage darzustellen:

1. ich habe zwar noch nicht explizit genau zu der frage hier geschrieben, es jedoch in vielen beiträgen immer wieder thematisiert bzw. umrissen: aus meiner perspektive deuten sehr viele und auch sehr überzeugende indizien darauf hin, dass das verständnis von wahnsinn (im weitesten sinne), für dessen definition quasi ein monopol der westlichen psychiatrie/psychologie existiert, hoffnunglos unterkomplex ist in dem sinne, dass aufgrund der herkunft dieser disziplinen aus der tradition der westlichen wissenschaft, welche u.a. von descartes und newton (ich erinnere mal kurz an den entsprechenden beitrag) tiefgreifend geprägt wurde, bestimmte strukturelle grenzen, wahrnehmungsverzerrungen und blinde flecken, die innerhalb des newtonisch-cartesianischen weltbildes zu finden sind, unreflektiert und im schlechtesten sinne bewusstlos übernommen worden sind (das es nicht so widerspruchsfrei und ausnahmslos geschehen ist und geschieht, ist mir schon klar, ebenso wie die tatsache, dass es auch in den benannten disziplinen einige gegenentwürfe gibt. für den mainstream jedoch - einerseits in gestalt der primär biologistisch orientierten psychiatrie, andererseits in den formen von verhaltens- und tiefenpsychologie (letztere mit starken bezügen zur psychoanalyse) - trifft diese "diagnose" imo durchaus zu).

es lässt sich mit einigem recht von einer stark fragmentierten - dissoziativen - , beziehungsfeindlichen und objektorientierten theorie und praxis in allen bereichen der westlichen kultur (europa, usa und mit einigen abstrichen in neuerer zeit auch speziell japan) sprechen, von der faktisch ausnahmslos alle bewohnerInnen der entsprechenden länder direkt und indirekt betroffen sind. was schwer zu erkennen ist, da diese spezielle art der objektivistischen weltwahrnehmung für uns quasi die normalität darstellt - und an dieser stelle führe ich immer wieder gerne die metapher vom wasser an, welches unter garantie nicht zuerst von einem fisch entdeckt worden ist...

aufgrund der eigenart der menschlichen wahrnehmungsoptionen gehört das, was die als solche wahrgenommene - und so definierte - normalität strukturiert und prägt, zu den am schwersten zu erkennenden strukturen überhaupt. es braucht dafür meiner erfahrung nach einen bestimmten inneren und äußeren abstand/distanz, mithin also ironischerweise eine art pseudoautistischer position, um die strukturell autistischen elemente des westlichen welt- und v.a. menschenbildes zu ahnen.

um es nicht völlig ausufern zu lassen: bezgl. westlicher psychiatrie/psychologie (und auch der medizin allgemein) hat das bis heute immer noch zur folge, als krank wahrgenommene bzw. definierte menschen aus ihrem jeweiligen kontext heraus zu lösen und sie quasi wie ein beliebiges, einzelnes objekt zu betrachten und zu behandeln - und das ist nichts anderes als dissoziierte wahrnehmung! das mag auf den ersten blick zu hart und auch zu pauschal klingen - aber wer einmal einen blick auf den kern der mainstreambestimmenden entsprechenden theoriegebäude wirft, kann die ideologische basis schon erkennen, die in sowohl ausdruck als auch trigger dieser wahrnehmungsposition ist (auch hierzu empfehle ich einmal mehr den herrn mertz, der diese arbeit hinsichtlich der verhaltenspsychologie und orthodoxer psychoanalyse ansatzweise bereits geleistet hat).

und von "ideologischer basis" schreibe ich deshalb, weil es genau darum geht: die oben skizzierte "wissenschaftliche" herangehensweise basiert imo auf einer realitätswidrigen fiktion, einem produkt - besser: einer phantasie - des wahrnehmungsmodus, der hier schon oft als objektivistisches bewußtsein benannt worden ist.

realitätswidrig deshalb, weil die authentische und faktisch unzerstörbare menschliche realität eine beziehungsrealität ist, war, und auch immer sein wird. kein mensch kann in einem sozialen vakuum existieren, ja überhaupt leben - und das beweisen in aller schärfe gerade die realitäten von pränataler existenz und kindheit, in der wir ausnahmslos alle überhaupt erst durch elementare beziehungen sowohl alle nötigen grundlagen für unser soziales leben als auch überhaupt für unsere physikalische existenz erhalten. mertz hat in einem ähnlichen zusammenhang sinngemäß mal geschrieben: "das ist so, ob es einem nun passt oder nicht - darüber lässt sich nicht diskutieren". ich stimme zu und füge die notwendige ergänzung an, dass es sich um eine ebenso elementar körperlich-sinnlich-materielle realität handelt

bestimmte ansätze der sog. humanistischen psychologie, therapeutische strömungen wie die systemische familientherapie oder auch körpertherapeutische ansätze, wie auch die vor ein paar tagen erwähnte relationale psychoanalyse versuchen im wesentlichen, die obige wahrnehmungsposition zu berücksichtigen und darauf basierend ein realistischeres modell des menschlichen lebens zu entwickeln - und darüber werden dann auch ganz zwangsweise die definitionen von gesundheit/krankheit eine neubewertung erfahren müssen (wobei ich z.zt. ebenfalls zur ansicht von mertz tendiere, dass derlei ansätze zwar grundsätzlich hoffnungsvoll, aber noch zu wenig radikal in dem sinne sind, dass sie die ganze mögliche dimension der dissoziativen theorie und praxis noch nicht erfassen bzw. noch zu stark selbst entsprechende elemente aufweisen - die systemische familientherapie focussiert bspw. berechtigterweise auf die entsprechenden beziehungskonstallationen ihrer klienten, weist dabei aber in ihrer systemischen ausrichtung einen unangenehmen mechanistischen touch auf und berücksichtigt ebenso wie die meisten psychologischen gegenentwürfe nicht die körperliche basis des sozialen. während die körpertherapeutischen richtungen v.a. in der tradition von wilhelm reich genau dies tun, dafür aber wiederum meist ungenügend das soziale feld berücksichtigen (was reich übrigens durchaus nicht praktiziert hat) - ausnahmen bestätigen die regel, und meine besten erfahrungen habe ich mit einer körpertherapeutin gemacht, die sowohl das eine als auch das andere unverzichtbar fand - ohne sich groß um theorien zu kümmern - eine in diesem fall lebendige frau/lebendiger mensch braucht vermutlich eh nur ein gesundes gleichgewicht im sinne einer primär sinnlich fundierten und vollentwickelten (selbst-)wahrnehmung (u.a. mit intuition und empathie) und dem funktional nachgeordneten objektivistischen werkzeug, welches dann auch als werkzeug "korrekt" be- und genutzt werden kann - und zwar nur da, wo es auch wirklich angebracht ist ).

in dieser kleinen und natürlich unvollständigen darstellung wird vielleicht schon deutlich, warum ich zu der anfangs erwähnten wertung "hoffnungslos unterkomplex" bzgl. des verständnisses von wahnsinn komme - wenn die theorien der konzepte und behandlungsverfahren von "verrückheiten" in einer gesellschaft nämlich genau aus den quellen entstammen und mit den gleichen methoden entwickelt werden, aufgrund derer menschen überhaupt erst ver-rückt werden - dann ergibt das ein hübsches, wenngleich fatales paradox mit unabsehbaren konsequenzen!

die arbeiten von deMause, die darauf hinauslaufen, dass er eine fast schon totalitär zu nennende dominanz von traumatischen strukturen (auch im sinne von post-trauma-folgen bzw. strukturen) in fast allen menschlichen kulturen herausarbeitet, haben mir da ein ganzes stück weitergeholfen, v.a. hinsichtlich von beobachtungen und fragen, die mir schon seit jahren durch den kopf gingen:

warum wird in dieser (westlichen, ich beschränke mich hier mal auf diese, obwohl die fraglichen probleme nicht einzig sie betreffen) kultur traditionell dem "geistigen/mentalen/spirituellen" bereich so eine aufmerksamkeit geschenkt bzw. das quasi als das einzig "wirklich menschliche" angesehen?

aus welcher quelle stammt die mit dem obigen dahergehende und ebenso traditionelle körperfeindschaft, wie sie durch religion, philosophie etc. bis heute vermittelt wird? (wieder: die brüche in dieser wahrnehmung sind mir teils bekannt, aber durchaus kein mainstream - der sog. "körperkult" heute ist keine wirklich andere wahrnehmung, sondern beruht auf der (selbst-)wahrnehmung des eigenen körpers als eines instrumentes, welches zwecks weiterführung des konkurrenzkampfes innerhalb der sog. "leistungsgesellschaft" halt "in schuß" gehalten bzw. gebracht werden muss - die dominanz des objektivistischen modus ist in dieser konstellation keinesfalls aufgehoben, sondern lediglich den aktuellen realitäten angepasst worden).

warum diese verherrlichung von "objektivität" (eine unmögliche position in der realität), bei gleichzeitiger abwertung alles subjektiven und tiefem misstrauen gegen alles "emotionale"? (welches teils tatsächlich berechtigt erscheint - aber auch hier die frage, warum gefühle bei heutigen menschen teils so extrem und negativ-irrational erscheinen können? auch dafür sind gründe vorhanden). warum diese starken tendenzen zur vereinzelung (die ideologisch als "individualität" imo völlig falsch bezeichnet wird), der allgegenwärtige pessimismus über die angebliche schlechtigkeit der "menschlichen natur" (siehe z.b. hier und auch hier)? und warum auch die existenz von "geistigen" strömungen wie dem sog. transhumanismus oder auch der früher bereits vorgestellten richtung des sog. objektivismus, die beide auf eine un-menschliche zukunft hinarbeiten in dem sinne, dass sie die eigentlich wesentlichen menschlichen züge faktisch als zu überwindende "defekte" deklarieren?

solche kulturellen auffälligkeiten hatte ich früher schon mal unter dem titel cyborgs oder der dringende wunsch, den eigenen körper verlassen zu wollen kurz umrissen: woher stammen die auffälligen fiktionen und wünsche nach der eigenen "transzendenz", hin zum "geistigen", weg vom körperlichen, für die nicht nur das mir sehr liebe sci-fi-genre immer wieder teils ausgefeilteste konstruktionen liefert, sondern die auch einen tragenden bestandteil ganz anderer kultureller bereiche darstellen, auch historisch belegbar? ich hatte damals u.a. geschrieben:

"warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar."

und genau an dieser stelle liefert die psychohistorische betrachtungsweise genauso wie die aktuellen forschungen aus den bereichen der psychotraumatologie hinsichtlich dissoziativer zustände vielleicht ganz entscheidende hinweise - einerseits mit der darstellung der tatsächlich vorhandenen sozialen gewalt gerade gegen kinder (deMause, wobei er für mein verständnis zuwenig die traumatisierungen erwachsener menschen und ihre konsequenzen untersucht), andererseits mit einem fortschreitenden verständnis des phänomens der dissoziation - auszüge aus einem sehr empfehlenswerten text:

"Die schwere Traumatisierung wird von dem Kind als lebensbedrohlich und unausweichlich erlebt, so daß für ein hoch dissoziationsfähiges Kind die Möglichkeit besteht, das Geschehen mit Hilfe des zur Verfügung stehenden frühen Abwehrmechanismen der Dissoziation "unschädlich" zu machen (Sachs et al. 1988). Dabei blendet es in der Traumatisierung selbst seinen normalen Bewußtseinszustand völlig aus und geht in eine Art tiefer Trance, mit deren Hilfe das Geschehen hinter eine amnestische Barriere "gebannt" wird. Dieses abgespaltene Fragment bewahrt das traumatische Erinnerungsmaterial. Gerät das Kind immer wieder in eine ähnliche Traumasituation, kann das abgespaltene Fragment durch entsprechende (mit der ursprünglichen Situation verbundenen) Auslöser (trigger) stets auf’s Neue ins Bewußtsein geschwemmt werden. Es ruft den veränderten Bewußtseinszustand hervor und läßt zunächst alternierende Bewußtseinszustände (dissociative states) entstehen, aus denen unter Umständen dissoziierte Persönlichkeitszustände werden (dissociative fragments). Im Extremfall, das heißt bei fortgesetzter langjähriger Traumatisierung, dissoziative Alternativ-Ichs als "eigenständige Persönlichkeiten" (dissociative alters). In diesem Sinne ist die Dissoziative Identitätsstörung eine hochkomplexe und differenzierte Anpassungsleistung der Person (bereits als Kind).

„Man kann sich also die Dissoziation so vorstellen, daß ein massiver Affektdruck in einer unerträglichen Situation, insbesondere bei regelhafter Wiederholung solcher Situationen, zu einer Kanalisierung und Automatisierung des Erlebens auf mehreren ‘Bahnen’ führt, die dann zu abgrenzbaren Gedächtnissen, Emotionen und Verhaltensweisen - bis hin zu Persönlichkeiten- sich ausbilden ... Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" (Hoffmann 1994, S.22).

Da der dissoziative Vorgang der Abspaltung die (dringend benötigte) emotionale Erleichterung verschafft, wird er, wie jede andere erlernte erfolgreiche Strategie, in verschiedenen Streßsituationen häufiger und zunehmend einfacher angewandt. Dabei steht der Zeitpunkt der ersten Spaltung in engem Zusammenhang mit dem Beginn der Traumatisierung (Putnam et al. 1986), danach entstehende Identitäten können nicht nur "Traumaanteile" tragen, sondern auch dem "unauffälligen Weiterfunktionieren" dienen zum Beispiel als Innere Selbsthelfer-, Beobachter- oder Beschützer-Anteile.
Neben den dissoziativen Fähigkeiten und den Traumatisierungen in der Kindheit durch einen oder beide Elternteile lassen sich in Untersuchungen überdurchschnittlich viele Berichte und Diagnosen von psychiatrischen Auffälligkeiten, Krankheiten oder dissoziativen Störungen in der Ursprungsfamilie von PatientInnen mit einer dissoziativen Identitätsstörung finden (Kluft et al. 1984; Braun 1984, 1985). Diese "Familienpathologie" scheint auf eine familiär erhöhte Vulnerabilität der Störung hinzuweisen, und zwar nicht (nur) aufgrund einer möglichen biologischen Basis, sondern vor allem wegen des dysfunktionalen und traumatisierenden Familiensystems."


"Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" - wenn Sie sich bereits einmal mit berichten von kz- und folterüberlebenden oder auch misshandelten kindern beschäftigt haben, werden Sie sich vielleicht selbst an viele berichte erinnern können, in denen diese extreme wahrnehmungsposition von de-realisierung und dissoziation eine rolle spielt - "es passiert gar nicht mir, ich betrachte das ganze (gewalt-)geschehen als *beobachter von außen*" - eine im wahrsten sinne des wortes unmögliche position in der realität, die n u r fiktional herstellbar ist, mittels extremer wahrnehmungsreduktion - und unter maßgeblicher beteiligung vom dem teil unserer psychophysischen grundausstattung, der hier im blog als objektivistischer modus bezeichnet wird? das fragezeichen deshalb, weil dafür in meiner sicht zwar einige hinweise vorliegen (u.a. die tatsache, dass trance- und dissoziationszustände auch beim klassischen autismus eine starke rolle zu spielen scheinen, der wiederum bspw. nach dem ansatz von mertz eine geradezu paradigmatische erscheinungsform - besser wäre vielleicht: entgleisungsform, weil er in einer monopolposition die gesamte wahrnehmung dominiert - des objektivistischen modus und dem, was als "psychose" bekannt ist überhaupt darstellt), das ganze feld jedoch noch einen zu verwirrenden eindruck macht, der sich aber sehr langsam zu klären scheint.

mir selbst sind jedenfalls dissoziative zustände in "milderer" form durchaus nichts unbekanntes, und wenn ich in alten tagebüchern von mir blättere, dann kann ich in vergangenen krisenzeiten diese phasen durchaus kennzeichnen - wenn "der kopf" in einer art und weise dominiert, dass die "restliche" wahrnehmung wie ausgeschaltet erscheint, und eben dadruch alles "wie auf sand gebaut" erscheint, gerade und besonders beziehungen zu anderen - alles wird unsicher, diffus und bekommt auch einen bedrohlichen touch.

ich behaupte übrigens, dass auch die meisten von Ihnen mit dissoziativen zuständen bekanntschaft haben dürften - die sog. multiple persönlichkeit stellt "nur" die extremform eines spektrums dar, welches auf der milderen seite zb. auch durch tagträume und kurze "abwesenheiten" gekennzeichnet ist - für die meisten von uns eine "normalität", die dringend einer genaueren betrachtung bedarf.

steigen wir mal kurz verschärft in den objektivistischen modus ein und veranstalten ein fiktionales gedankenexperiment - stellen Sie sich einmal die westliche kultur als einzelnen menschen vor, der die oben erwähnten kulturellen auffälligkeiten als persönlichkeitszüge aufweist:
  • lebt "im kopf" (verherrlichung der "objektiven" position)
  • misstraut den eigenen (und fremden) gefühlen (abwertung "nur subjektiver" zustände)
  • besitzt keinen bzw. hauptsächlich negativen bezug zum eigenen körper (entfremdung gegenüber der natürlichen umwelt)
  • entwickelt dauernd strategien zur überwindung/kontrolle der eigenen körperlichkeit (extrem: gentechnologie; aber auch viele philosophische richtungen)
  • zeigt einen allgemeinen mangel an empathie für sich selbst und andere (totalitäre bzw. allgemein antisoziale gesellschaftliche entwicklungen, im extrem: kriege)
  • wertet sich selbst einerseits ständig ab, zeigt andererseits deutliche tendenzen richtung dominanz und größenwahn (kultureller pessimismus einerseits, imperialismus und auch rassismus andererseits - interessant übrigens, dass gerade in d-land, einem land mit mehrfach traumatischer geschichte sowohl in täter- als auch opferhinsicht gerade diese art der kollektiven selbstwahrnehmung recht ausgeprägt erscheint)
  • erscheint extrem interessiert und orientiert am besitz von dingen/objekten (vergötzung von "geld und eigentum" - beides sind rein mentale konstruktionen, die nur mittels permanenter gewaltandrohung in der sozialen realität existieren können)
  • lebt zu einem großen teil in halluzinierten realitäten ( staaten, nationen, religionen - bei all dem handelt es sich deutlich ebenfalls um mentale konstruktionen, die ebenso mittels verschiedenster arten von zwängen und auch gewalt als kollektivwahrnehmungen durchgesetzt werden)
  • ...
nun, welche diagnose(n) würden Sie stellen?

aus meiner sicht jedenfalls zeichnet sich recht deutlich eine art von verschiebung ab: ganze kulturen bzw. gesellschaften können offensichtlich aufgrund verbreiteter sozialer gewalt (in allen varianten) im wahrsten sinne des wortes ver-rückt werden - einfach dann, wenn die mehrheit der sie bildenden menschen über generationen hinweg am eigenen leib verschiedensten gewaltformen ausgesetzt ist, die nun mal in der menschlichen psychophysischen struktur bestimmte und vermutlich auch in einem gewissen sinne gesetzmäßige folgen hinterlässt. genau diesen ganz entscheidenden punkt aber begreifen zu können stellt sich deshalb als schweres problem dar, weil eine der folgen dieser gewalt eben auch in einer allgemeinen wahrnehmungsreduktion liegen kann, die sich bis hin zur offensichtlichen realitätsleugnung, verschiedensten "mentalen" tricks und strategien (das "als-ob" gehört imo auch hierzu) und zu kollektiven halluzinationen zwecks abwehr der unerträglich scheinenden einsichten über den eigenen zustand - verbunden mit (todes-)ängsten, demütigungen, schmerzen - zu entwickeln vermag. in einem solchen fall wird dann der eigentlich verrückte zustand zur kollektiven, individuellen und alltäglichen realität, die sich als "normalität" maskiert.

und so nehmen wir mehr oder weniger gleichmütig und tatsächlich wie in trance selbst die offensichtlichsten und größten verbrechen an unseren mitmenschen hin, von "eliten" konzipiert, die wir mehrheitlich selbst in ihre positionen bringen bzw. dort tolerieren bzw. als quasidelegierte beauftragen, und als deren bereitwillige instrumente wir uns bei durchführung dieser verbrechen immer wieder erweisen - d-land im nationalsozialismus ist dafür nur das deutlichste beispiel. wie, Sie betrachten sich als unschuldig? sorry, aber wir als mehrheitlich weiße bewohnerInnen der sog. zivilisierten welt leben auf einem wahren knochengebirge und sind von meeren aus blut umgeben - ich wette, ich kann nicht nur bei mir bspw. ganz harmlose alltägliche konsumobjekte in der wohnung finden, die Sie von eindeutig antisozial handelnden produzenten erworben haben, die historisch und aktuell in ihrem handeln nur noch mit der klassischen mafia zu vergleichen sind - zu der womöglich der einzige unterschied darin liegt, dass die "geschäftszweige" von letzterer formal (noch) illegalisiert sind. weitere beispiele spare ich mir hier; ich vermute dass die meisten leserInnen hier selbst darüber genügend bescheid wissen. jedenfalls macht uns diese freiwillig-unfreiwillige involviertheit mehr oder weniger alle zu komplizen der antisozialen strukturen, was einerseits sowohl die täter-opfer-dialektik nochmals unterstreicht, andererseits für alle projekte von befreiung und emanzipation fragen aufwirft, die in ihrer ganzen komplexität und wichtigkeit überhaupt ersteinmal zu begreifen sind, was imo wiederum nicht ohne möglichst detaillierte kenntnis der menschlichen struktur gelingen kann - und dazu gehören die uns zur verfügung stehenden wahrnehmungsoptionen, ihre grundlagen und möglichen defekte, untrennbar hinzu. und damit steht dann wie von selbst auch das thema "was begreifen wir warum als wahnsinn?" zur debatte.

*

2. um nochmals direkt zur anmerkung von loellie ganz oben zu kommen: es sollte bis hierher nochmals deutlich geworden sein, dass die klassischen assoziationen bzw. bilder wie auch die bisher etablierten wissenschaftlichen definitionen zu den begriffen "wahnsinn" und "geisteskrankheit" in ihrer überwältigenden mehrheit völlig an den phänomenen vorbeigehen, die eigentlich mit guten gründen dazugerechnet werden müssen - einige eher in unseren allgemeinen kulturellen verhältnissen liegende ursachen habe ich versucht zu skizzieren.

aber schlimmer noch: es ist durchaus vorstellbar und wahrscheinlich, dass die entsprechenden definitionen einer verrückten kultur geradezu auf dem kopf stehen könnten, will sagen: das sie möglicherweise eindeutig authentisch-menschliches soziales verhalten in all seinen möglichen facetten als pathologisch definieren. einige hinweise darauf gibt es hinsichtlich der möglichen heilungspotenziale und ganz subjektiv wichtigen erkenntnisse für die betroffenen, die in den sog. schizophrenen psychosen verborgen liegen könnten - wohlgemerkt, damit will ich diese art von psychosen keinesfalls glorifizieren.

gerade aber diese als "wirklich" verrückt - weil offensichtlich gegen die aktuell herrschenden normen von "objektivität" verstoßend, die in einer mindestens teilweise verrückten kultur imo nicht besonders ernst genommen werden sollten - geltende form der psychose ist sehr wahrscheinlich als paradigma für den tatsächlich vorhandenen wahnsinn völlig ungeeignet - wenn die psychotiker des strukturell autistischen typs, wie sie hier bspw. in gestalt des sozio-/psychopathen und der "als-ob-persönlichkeit" thematisiert wurden, einigermaßen ausgebildete simulationsfähigkeiten besitzen und dazu mittels ihrer teils extrem ausgeprägten und wegen der oben skizzierten allgemein-kulturellen verschiebung ins "verrückte" als "normal" angesehene art von kalkulierender und objektivistischer intelligenz es schaffen, ihre dadurch entstehenden manipulativen potenziale erfolgreich auszuspielen, so gelingt es dem wahnsinn am ende, in strukturell wichtige und dominante positionen und funktionen der verschiedenen gesellschaften vorzustoßen. mit der folge, das immer breitere und größere gesellschaftliche bereiche in den strudel der destruktion gerissen werden.

und ganz entsprechend sieht dann auch das bild aus, welches die aktuelle "politik" und erst recht unsere außer rand und band geratenen ökonomischen strukturen bieten - und zwar meistens ganz unabhängig von irgendwelchen "politischen" ideologien, ganz und gar nicht unabhängig aber von der ideologie des objektivistischen wahns (die übrigens auch in religiös-"spirituellen" formen erscheinen kann).

das zerrbild des vor sich hin sabbernden psychotikers mit dämonisch blitzenden augen, der sich in der zwangsjacke in seiner zelle hin und her wirft, ist jedenfalls deutlich eine fiktion und stellte real historisch und erst recht aktuell eine absolute ausnahme dar; ebenso wie das nicht begründbare vorurteil, dass wahnsinn immer mit deutlichen einschränkungen der "instrumentellen vernunft" / des objektivistischen bewußtseins einhergehen müsse. auch das betrifft eher nur eine minderheit von tatsächlich wahnsinnigen menschen. eher ist bei den verbreitesten formen des wahnsinns genau das gegenteil der fall: wo die objektive position dominant vorherrscht, kann der wahn erst zu seinen schlimmsten blüten wachsen.

und wie sind nun vor dem hintergrund die konventionellen erklärungen zu betrachten, wie sie bspw. für die ökonomisch-destruktiven antisozialen aktivitäten der sog. eliten herumgeistern? erklärt ein wort wie "profitgier" wirklich etwas? oder sollten wir das nicht eher als eine simulation, eine "als-ob-erklärung" begreifen?

tilmann moser (dessen arbeiten ich im übrigen sehr schätze) hat in einer rezension von deMauses "das emotionale leben der nationen", überwältigt von der fülle an quellen und belegen, die deMause für seine thesen heranzieht, sinngemäß den einwand gebracht, ob es nicht auch manchmal sein könnte, dass "ganz rationale" ökonomische interessen bspw. an irgendwelchen ressourcen wie öl entscheidend an den entscheidungen über krieg und frieden beteiligt sein könnten, relativ unabhängig von den psychophysischen strukturen und determinierungen der beteiligten akteure.

es scheint auf den ersten blick möglich zu sein - aber genau dieser eindruck ist meiner persönlichen meinung nach bereits auf dem dissoziativen mist unserer allgemein verkorksten wahrnehmungsfähigkeiten gewachsen.

erstens ist es bereits völlig unmöglich, einen menschen als "gesund" zu betrachten, der eine anscheinend nüchtern-kalkulierende strategie entwirft, ausdrücklich mit der option auf gewalttätigkeiten anderen menschen ressourcen zu entreißen, die er dringend benötigt - oder aber meint, benötigen zu müssen, was sich imo bspw. im falle des öls zum größten teil so verhält - lebensnotwendig im eigentlichen sinne sind die meisten produkte, die auf erdöl basieren (das sind mehr, als Sie sich vermutlich denken) nämlich nicht. bei einer tatsächlich rationalen (auch emotional-rationalen) betrachtungsweise würde dazu herauskommen, dass wahrscheinlich einige produkte ganz gut durch andere ersetzbar sind, während andere schlicht überflüssig, als verzichtbar und sogar als schädlich erscheinen.

all das stellt bereits eine einschränkung dar, die direkt zur frage führt, warum jemand bestimmte und eventuell sogar exzessive selbstschädigende bedürfnisse entwickelt bzw. jede möglichkeit eines gedankens an die einschränkung eigener konsummöglichkeiten panisch als unakzeptable zumutung ablehnt - etwas modifiziert dürfen bzw. müssen wir diese frage auch an unsere kultur stellen, wie ich finde.

dazu kommt aber noch ein wesentlich wichtigerer grund: wenn der kühl kalkulierte zugriff auf ressourcen (ich bleibe mal bei diesem beispiel) ganz selbstverständlich mit der wahrnehmung gekoppelt ist, die diesem zugriff anscheinend oder tatsächlich "im wege stehenden" menschen lediglich als störende objekte, die beseitigt werden müssen, zu betrachten, dann ist diese position zwingend! ein ausdruck für eine wahrnehmungsreduktion, die entweder funktionell-aktuell oder aber strukturell und chronisch existiert - beide varianten sind mit guten gründen bereits jenseits der grenze zum wahnsinn des antisozialen typs anzusiedeln, weil hier sowohl rücksichtslose grenzüberschreitungen wie auch extreme empathiereduktion bzw. sogar -unfähigkeit konstatiert werden müssen - und das gilt sowohl für das bewußtsein der jeweiligen "eliten" als auch für das bewußtsein derjenigen, die diese grenzüberschreitungen und empathielosigkeit in vorhaben wie kriegen dann umsetzen sollen - ohne ganz entscheidende bewußtseinsveränderungen bzw. psychophysische zustände defektartiger natur sind derlei projekte schlicht nicht zu realisieren. und genau darin liegt der irrtum, dem moser imo unterliegt - er fragmentiert hinsichtliche der fragen nach den motiven menschlichen handelns die ursachen zu sehr, d.h., er spaltet ab und erzeugt dadurch die illusion eines handelns, welches anscheinend durch "pure rationalität" motiviert erscheint - etwas, was wir vermutlich ebenfalls alle gewohnheitsmäßig tun. vergessen tun wir dabei nur, dass die position "pure - objektive - rationalität" erstens als daueroption nur bei echten soziopathen und möglicherweise einigen anderen beziehungskrankheiten denkbar ist, zweitens in einer monopolstellung ein zwingendes indiz für einen schwer gestörten psychophysischen zustand darstellt und drittens in einem gesunden menschen diese position ein absolutes ding der unmöglichkeit darstellt - eine solche position kann immer nur fiktiv sein, auf fiktionen aufbauen und mit fiktionen arbeiten, weil sie nur innerhalb einer weitgehenden beziehungslosigkeit existieren kann. die ebenfalls nur fiktiv möglich ist, denn selbst kanner-autistische schwer behinderte menschen sind nur in diversen untrennbaren weltbezügen existent - sie können diese "lediglich" nicht wahrnehmen.

dann: wieviel geld kann jemand tatsächlich ausgeben, um den eigenen zustand zu verbessern bzw. sich damit "glücklich" machen? selbst, wenn wir eine sogar krankhaft extrem vergrößerte und quasi suchtartige struktur annehmen, die den besitz von möglichst vielen dingen als "notwendig" erscheinen lässt - selbst dann gibt es grenzen dabei, millionen oder sogar milliarden auszugeben. ich teile die ansicht, geld auch und vor allem als synonym für macht anzusehen - und bei der frage, warum jemand macht anstrebt, landen wir ganz selbstverständlich wieder bei der frage nach der jeweiligen psychophysischen struktur - nochmal der herr mertz, ein zitat aus dem basisartikel borderline hier im blog:

"Gesellschaftliche Macht, egal in welcher Form (Geld, Prominenz, `Erfolg´ usw.) scheint als anonyme "Ersatzwährung" für interpersonale Authentizität (Beziehung) zu fungieren: Je mehr Macht, desto geringer die authentischen Anforderungen der Mitwelt."

that´s it. genau auf den (total kranken) punkt gebracht. von dieser perspektive aus betrachtet, wird sowohl das treiben unserer "eliten" als auch unser alltägliches handeln (zumindest in teilen) schlagartig als das sichtbar, was es vermutlich tatsächlich ist: beharrliche und mit ungeheurer energie vorgetragene kompensationsversuche, mittels derer unsere mehr oder weniger geschädigte psychophysis versucht, eine art von homöostase wieder herzustellen - in individuell ganz unterschiedlichen variationen, mindestens z.t. bestimmt von art und ausmaß der jeweiligen schädigung. in diesem sinne ist geld lediglich ein mittel zum zweck.

*

ich hoffe, es ist jetzt etwas deutlicher geworden, wie ich über die von loellie direkt aufgeworfene thematik denke - auch wenn ich finde, dass ich zu dieser frage eigentlich früher schon eindeutig position bezogen habe. aber vielleicht ist es auch nötig und wichtig, einmal möglichst klar eine art zusammenfassung zu geben.

für eventuelle redundanz im text bitte ich um verständnis - ich schreibe an einem öffentlichen ort und habe nicht die nötige ruhe, um alles nochmal komplett durchzugehen und eventuell zusammenzustreichen.
sansculotte (Gast) - 28. Mai, 23:10

Applaudo

na siehst Du, wieder einer dieser Beiträge, wo man nur beifällig nickend allzu leicht auf einen Kommentar verzichten könnte. "Passt einfach" (wie wir Ösis zu bemerken pflegen), was Du sagst.

Eine kleine Anmerkung drängst sich mir dennoch auf: ich würde gerne klarer zwischen Trance und Dissoziation unterschieden haben. Dissoziation ist eine kognitive Bewältigungsstrategie eines (meist sehr starken) oder perpetuierten Trauma, und Trance wiederum stellt sich mir als ein Symptom dieser Strategie dar. Aber -und das erscheint mir wichtig- Trance kann schon als ein Symptom grundlegenderer (weil körpernäherer) Bewältigungsstrategien, etwa des noch nicht erwähnten "Freezing" oder Immobiltätsstrategie, auftreten.

Das Freezing ist eine der in der Natur am häufigsten vorkommenden Bewältigungstechniken des Organismus auf Bedrohung. Wir alle kennen das berühmte fight-or-flight, aber gerade dann, wenn diese beiden Strategien nicht mehr greifen, ist Freezing eine häufig beobachtete Reaktion. Vergegenwärtigen wir uns das am Bild der vor dem Jagdtier fliehenden Antilope. Sie wird alle Kniffe der Flucht ausschöpfen, Haken schlagen, Sprünge machen, aber zuzeiten kommt eben doch der Jäger an die Beute heran und sei es nur, weil ein Missgeschick passiert und das verfolgte Tier stolpert. Auf einmal, der Jäger ist schon bei der Beute, liegt die Antilope reglos, wie tot da, gibt kein Lebenszeichen mehr von sich. Vollbremsung, könnte man sagen, vom äußersten Alarmzustand mit all seinen physiologisch dramatischen Abläufen, zur völligen Erstarrung, zum "Einfrieren" diese physiologischen Ablaufs eben.

Das hat in der Natur nun zwei Vorteile: zum einen schüttet der Organismus im Freezing Endorphine, körpereigene Opiate, Schmerzmittel aus. Sie verhindern, dass das Getötet- und Zerrissenwerden unnötig viel Schmerzen verursacht. Zum anderen könnte das Jagdtier durch den plumpen, reglosen Körper Schwierigkeiten bekommen: es könnte sich als schwierig erweisen, die Beute an einen sicheren Ort zu bringen und wegzuschleifen, es könnten sich Freßrivalen nähern, und/oder das Jagdtier verabsäumt die endgültige Tötung der Antilope. Das ist eine Chance für die "wiedererwachende" Beute: sie könnte in einem dieser Zeitfenster die Unaufmerksamkeit des Jagdtieres nutzen und erneut entkommen. Gelingt das tatsächlich, können wir beobachten, wie sich die wieder zur Herde zurückkehrende Antilope mehrmals kräftig schüttelt und den Körper durchbeutelt und so wahrscheinlich das überschüssige Adrenalin und Noradrenalin und andere Stoffwechselprodukte der Flucht abbaut.

Warum ich das hier so ausführlich schildere, liegt in der Annahme begründet, dass der Mechanismus des Freezing dem Menschen prinzipiell auch zur Verfügung steht und er sich seiner -ohne Bewusstsein davon- auch bedient, ohne sich allerdings daraus auf natürliche Art wieder zu lösen. Das würde viellerlei "Merkwürdigkeiten" erklärbar machen, und etwa auch einen Zusammenhang zwischen Erziehung und Konformität aufzeigen: Aletha Solter und viele andere haben darauf hingewiesen, dass ein Trauma seine ganze schädigende Wirkung auch in bezug auf späteres Verhalten nicht so sehr aufgrund des Ereignisses selbst, als auch wegen der verhinderten natürlichen Reaktion darauf entfaltet. Wenn einem Kind zusätzlich zu dem Trauma noch das Verbot auferlegt wird, darauf physiologisch angemessen zu reagieren, (natürlich aber auch, wenn das Trauma selbst schlichtweg überwältigend ist), dann kann es in eine Art "Erstarrung" gezwungen werden, und das ist nichts anderes als die physiologische Immobilitätsreaktion oder das Freezing.

Die typische kognitive "Begleiterscheinung" dieses Verharrens im Freezing wäre etwa die Einstellung: "wenn ich nur stillhalte, dann wird's besser" oder "ruhig bleiben, nicht auffallen". Es versteht sich von selbst, dass eine solche mentale "Erkärung" für die Immobilität zu Konformismus und Jasagertum führt. Auch hier wird der Körper als Quelle ständiger Irritation betrachtet, weil Sich-bewegen schlichtweg Gefahr bedeutet. Ich vermute, dass hierin auch der Grund des Stillhaltens vieler Menschen unter auch unzumutbaren Zuständen liegt, und dass dieses Erstarrtsein großer Teile der Bevölkerung von den"Machern" dieser Gesllschaft instinktiv wahrgenommen und ausgenutzt wird. Auch hier tritt die Trance oder ein tranceartiger Zustand als ein sehr deutliches Symptom hervor, ohne dass es bereits zu massiver Dissoziation kommen muss. Das ist für mich eine Erklärung, warum soviele Leute wie "tot" erscheinen, in ihren Bewegungen hölzern, und auch sonst fügsam wie Marionetten an ihrem gewohntem Tagesablauf festhalten. Durch traumatisierende Erziehung, die noch dazu die Notwendigkeit einer körperlichen Traumabewältigung systematisch unterschlägt und völlig negiert, lässt sich ein solcher Menschentyp förmlich "züchten".

Das nur als Anmerkung zu "Trance als Symptom", wobei Dissoziation für mich eher schon die kognitive Ebene der Traumabewältigung darstellt.

Mit netten Grüßen
sansculotte

somlu - 29. Mai, 09:30

Wie immer, ich bin zwar im hohen Maße multitaskiing-fähig aber bei Deinen Texten muss ich das Radio abschalten. ;-)

Abgesehen vom Nicken, das mein Vorredner schon erwähnte, will ich noch mal Deine Haltung zu humanistischen Therapien unterstreichen. Es ist die einzige Therapieform, die ich kennengelernt habe, die die Menschen nicht als krank in einem funktionalen Sinne betrachtet und schon gar nicht losgelöst von ihren Beziehungsstrukturen. Es ist auch die einzige, die ich kenne, die Übertragungen (in tradionell psychoanalytisch orientierten Therapien als erwünscht angesehen) als mißbräuchlichen Übergriff ansieht und als solchen behandelt. Erst dann wird nämlich sichtbar, wie wir ständig unsere Mitmenschen für unsere Zwecke funktionalisieren.

Ein Aspekt ist mir noch durch den Kopf gegangen (falls ich ihn überlesen habe sollte,, entschuldige ich mich schon mal dafür). Es scheint eine ausgesprochene Fazination für einen verorteten Wahnsinn in unserer westlichen Kultur zugeben. Mal abgesehen von der Verarbeitung dieser Faszination in Romanen und Filmen, gibt es noch den Aspekt des wahnsinnigen Künsterlers/der wahnsinnigen Künstlerin. Kunst ist nur dann Kunst, wenn es eine wahnsinnige, oder wenn das nicht klappt, eine tragische Geschichte in den Kunstschaffenden steckt. Dabei geht es mir nicht um die Marginalisierung realer traumatischer Erlebnisse, die diese Kunstschaffenden möglicherweise in ihren Werken auch ausdrücken, sondern um die Anerkennungsstruktur durch die Gesellschaft. Diese Anerkennung gilt aber ausschließlich dem Kunstwerk. Der Mensch dahinter, wird damit aber noch lange nicht anerkannt.
Es gibt eine ganz spanndende Dokumentation über Maria Callas. Dort wird sehr deutlich, dass sie beziehungsgestört war und unter schweren Depressionen litt (war noch einiges mehr, ist aber zu lange her, um mich noch an alles zu erinnern). Es kamen dort viele ihrer "Freunde" zu Wort. Die allesamt über ihre Probleme mit M. Callas erzählten, was letztlich zu einem Kontaktabbruch führte. (Hier meine ich nicht einen authentischen Kontakt, sondern die allgemein umgangssprachliche Bedeutung von Kontakt) Aber ihre unglaubliche Leistung als Sängerin, die war erwünscht. ICh weiß nicht, ob es mir gerade gelingt, das so darzustellen, wie ich es meine. Ihr unglaubliches Talent als Sängerin und Darstellerin war ihrer gesamten Persönlichkeit geschuldet. Darüber hinaus (ich kann das jetzt für Singen sagen, weil ich mich damit auskenne) entblößt sich eine solche Sängerin auf der Bühne in einem Ausmaß, wie es für die meisten Zuschauer für sich selbst kaum vorstellbar ist. Das ist eine psychische Belastung, die selbst für einen körperlich gut verankerten Menschen eine besondere Belastung darstellt. Für einen Menschen, wie es M. Callas war, muss das eine zerstörerische Wirkung gehabt haben, grad ein Hinblick darauf, dass sie außerhalb der Bühne dann bitte doch normal "funktionieren" sollte.

Der Wahnsinn hat somit einen Ort und kann dort stellvertretend "entsorgt" werden. Im Umgang mit den dahinterstehenden Menschen zeigt sich die Abwehrstruktur der Gesellschaft gegen das nicht "rational" handelnde Individuum deutlich.


Als letztes, mo, kennst Du folgendes Buch:
Marlock, Gustl: Körper Psyche, Gesellschaft, 1998, Afra Verlag (Zitat aus dem Klappentext: Sollte ich das gemeinsame Motiv der vorliegenden Aufsätze charakterisieren, dann besteht es darin, solife therapeutische Theoriebildung mit dem Versuch zu verbinden, sich der weitverbreitenden Tendenz zu posivistischer Theorie und dem Denken in unkritischen Begriffen der therapeutischen Mittel und Zwecke zu widersetzen, und sich an Max Horkheimers Kritik der instrumentellen Vernunft zu erinnern. Seitdem gilt auch für die therapeutischen Kulturen, daß die auf Effektivität abziehlenden Mittel des wissenschaftlichen technischen Fortschritts die Tendenz haben sich zu verselbständigen und den Zweck von Fortschritt, nämlich die Selbstverwirklichung des Menschen zu hintertreiben.)
und die Reihe: Charakter & Energie, herausgegeben von David Boadella und Berhard Maul? (Ich hab nur den Band von Juni 1998)

Wednesday (Gast) - 29. Mai, 11:24

Callas

Hallo somlu, ich denke nicht, daß es zu viel verlangt ist, wenn man von Persönlichkeiten bzw Diven wie Frau Callas, mal runter von der Bühne, "normales" Verhalten wünscht, schon um sich zu schützen... Sie war, wenn ich zwei Biographien trauen darf, schrecklich aufbrausend und manipulierend - vielleicht kein Wunder, bei der offensichtlich ebenfalls gestörten Mutter, die ihre Tochter zur Berühmtheit machen wollte...
Belastend war für Frau Callas wohl eher, daß sie im realen Leben nicht so durfte, wie auf der Bühne, und nicht die Furcht der Freunde vor ihren Ausbrüchen. Auf der Bühne lebte sie sich aus, wie es ja viele Bühnenmenschen machen. Sie starb nach dem Ende ihrer Karriere als Sängerin, vielleicht weil ihr die Bühne so sehr fehlte.
Dann frag ich mich, wie auch beim unsäglichen Kinski, den ich wirklich zutiefst erschreckend fand, warum gehen manche Künstler tatsächlich bis in den Tod aus sich heraus, solche Verausgabung (in Kunst und sonstwo, zB auch im Sport) kommt mir ja schon ziemlich lächerlich vor.
monoma - 29. Mai, 15:16

ergänzungen, korrekturen usw.

ich habe jetzt nach dem erneuten lesen noch ein paar punkte entdeckt, die anmerkungsbedürftig sind.

- das ich japan umstandslos (wenn auch zeitlich relativiert) dem westlichen kulturkreis zugeschlagen habe, ist aus einer konventionellen historischen perspektive sicherlich unsinn - andererseits weist die japanische kultur und geschichte jedoch einige - unangenehme - eigenarten auf, die mich dazu veranlassen, genauer eher von einer sehr großen kompatibilität zur westlichen kultur zu sprechen - verheerende kindererziehungspraktiken, daraus mitresultierende autoritäre politische verhältnisse (incl. militarismus, rassismus und imperialismus) sowie eine besondere art der zwanghaften kollektivität incl. abwertung des individuellen haben japan nicht nur zufällig zu einer art asiatischem pendant von nazideutschland im letzten jahrhundert gemacht (mit der einschränkung, dass wiederum die industrielle massenvernichtung eine ewig "deutsche errungenschaft" bleibt) - fragen Sie einmal in china oder korea nach -, sondern hat sich auch dahingehend ausgewirkt, die inneren gestaltgebenden strukturen der westlichen ökonomie bzw. des damit assoziierten antisozialen verhaltens in modifizierter form sehr extrem und auch "erfolgreich" zu praktizieren.

die japanische kultur mit ihrer besonderen "spirituellen" seite - shintoismus und auch zen-buddhismus - ist hingegen ein eigengewächs, welches einmal eine gesonderte betrachtung verdient - gerade fragen nach dem, was bei einer zen-meditation z.b. psychophysisch eigentlich passiert.

- das ich bezgl. kanner-autistischer menschen geschrieben habe, sie könnten wesentliche aspekte der realität "lediglich" nicht wahrnehmen, ist eine zu verkürzende sichtweise - die wahrnehmungseinschränkungen bzw- -defizite stehen nicht für sich alleine, sondern gehören - allerdings in einer zentralen position - zu einem ganzen komplex sich gegenseitig beeinflussender psychophysischer prozesse, die zusammen das bild der schweren behinderung und faktischen pflegebedürftigkeit bei dieser - in relation - recht kleinen gruppe erzeugen.

- ich hatte hinsichtlich geld, eigentum, staaten, nationen, religionen... von verschiedenen primär "mentalen" konstruktionen geschrieben, die mittels zwängen bis hin zur gewaltandrohung als kollektive realität durchgestzt werden. auch das ist zu verkürzend, sind die wirksamsten machtmittel doch immer noch die, bei denen diejenigen, die faktisch unterdrückt werden, dem projekt ihrer versklavung selbst zustimmen und sich willig unterwerfen - mit genau dieser konstellation haben wir es größtenteils heute zu tun, während der einsatz bzw. die drohung von repressiver gewalt eher als indiz zunehmender instabilitäten zu werten wäre.

mir werden bestimmt noch weitere sachen auffallen, aber für den moment habe ich diesbezgl. nix mehr zu sagen.

*

@sansculotte

es ist zu merken, dass du dich ausführlich mit levine beschäftigst ;-)

soweit zustimmung; wobei ich trance bisher eher als besondere form innerhalb eines spektrums verschiedener grade von dissoziation betrachten würde - aber das ganze thema rund um dissoziation, sensorische deprivation und auch schamanistische bewusstseinszustände ist derart komplex, dass es einige zeit dauern wird, bis zumindest ich mich auf eine vorläufige wertung hinsichtlich ihrer zusammenhänge mit traumatischen sozialen bedingungen festlegen kann.

besonders dein letzter (langer) absatz ist sehr interessant und bringt gerade ein paar gedankenembryonen bei mir dazu, sich mehr oder weniger stark zu räkeln...kopfschwanger; und wieder metaphernreiterei *g*

@somlu:

vielen dank für den buchtipp - hört sich spannend an!

loellie - 29. Mai, 17:05

sorry wenn ich kurz erbsenspalte in bezug auf mentale konstrukte

ich saehe die freiwillige unterwerfung nicht. hartzIV ist gewalt, der von propaganda getragene konsumterror ist ebenfalls gewalt. fegefeuer ist auch gewalt.

mit dem originaltext war ich voellig einverstanden, gut, mit der richtigstellung bedingt auch, war jetzt auch keine kritik als solches.
mo (Gast) - 29. Mai, 17:52

zum erbsenspalten

"ich saehe die freiwillige unterwerfung nicht. hartzIV ist gewalt, der von propaganda getragene konsumterror ist ebenfalls gewalt. fegefeuer ist auch gewalt."

mit der definition stimme ich ja durchaus überein, aber trotzdem existiert etwas - weltweit zu beo9bachten - was ich für mich selbst das "massa-syndrom" nenne - bezieht sich schon auf die sklaverei in den usa, wo es während der historischen sklaverei zwischen eben solchen und ihren "herren" zu teils recht seltsamen pseudobeziehungen gekommen ist in dem sinne, dass sich immer wieder sklaven *anscheinend* freudig unter den willen der massas gefügt haben, sie verteidigt und die ganze chose als anscheinend "naturgegebene" ordnung begriffen haben - und imo sogar bei der aussicht auf tatsächliche freiheit (relativ gesehen, natürlich) schwer ins trudeln gekommen sind.

diese art "mentalität" (mit diesem begriff schlage ich mich schon länger rum, ob er wirklich sinn macht, aber andere baustelle) hatte ich im sinn.
loellie - 29. Mai, 16:55

Vorab erlaube ich mir deine Frage nach den "neoneo's" hier zu beantworten.

Noeneo ist als rennitente Wortschoepfung meinerseits Ausdruck meiner Weigerung kuenftig zwischen neoliberalen, neokonservativ und neonazis zu differenzieren. Ich habe naemlich langsam die Schnauze voll von diesen zum Zwecke der Beschoenigung geschaffenen, modisch wechselnden Tarnbegriffen.
"Neue Soziale Marktwirtschaft" ist meiner Meinung nach ein geschichtsklitternder, revisionistischer Kampfbegriff von Altnazis.

Frage 1: "Wer profitierte vorrangig von der nationalsozialistischen Diktatur?"
Frage 2: "Wer profitiert massgeblich von "Neo" "liberaler" Politik?"

Nein, nicht etwa das anonyme "Kapital", sondern die gleichen Unternehmen und Verbaende.

Ich muesste das eben gesagte weiter ausfuehren, was ich in der Hoffnung, das meine weiteren Ausfuehrungen ein wenig Klarheit schaffen vorerst unterlasse.


Zum "Missverstaendnis"

1. schrieb ich, Gott sei Dank, "koennte" und "hoechstens". Ich habe dich sogar sehr gut verstanden, wenn allerdings Missverstaendnisse zu Artikeln wie dem Vorliegenden fuehren, werde ich mich kuenftig bemeuehen, weitere Missverstaendnisse in die Runde zu werfen :-)

2. gehoere ich selbst einer, bis vor garnicht langer Zeit, kriminalisierten und pathologisierten Randgruppe an. Von daher bin ich vielleicht etwas duennhaeutiger als der Mainstream und ertappe mich selbst immer wieder dabei dass ich, wenn ich bestimmte Blogs / Foren leseund denke "Dachschaden!", was zum gelegentlich auftretenden Beigeschmackt fuehrt, als haette ich gerade gesagt "sind halt bloss ".

3. rollen sich mir die Fussnaegel hoch, wenn als alleingueltiger Erklaerungsversuch des Holocaust auf "Rassenwahn", "Massenpsychose" oder aehnliches verwiesen wird. Rassismus, Antisemitissmus und Wahnsinn sind keineswegs Erindungen der Neuzeit und schon garkeine Erfindungen der Nazis. Selbstverstaendlich spielen die genannten Punkte eine grosse Rolle, als Erklaerung fuer die Einmaligkeit! der Nazivebrechen reichen sie allerdings nicht aus.

Polemisch formuliert halte ich den Holocaust fuer auf die Spitze getriebene Neoliberale betriebswirtschaftliche Denke. Es sei angemerkt dass Beamte des Wirtschaftsresorts fuer Organisation und Abwicklung zustaendig waren und nicht etwa Rassenhygieniker.
Der Holocaust repraesentiert in seiner Einzigartigkeit weniger einen rassistischen Exzess, sondern vielmehr die optimale Wertschoepfung humaner Resourcen.




Dem Nicken meiner Vorposter setze ich dann allerdings doch ein Kopfschuetteln entgegen, zumindest wenn du schreibst:

" es lässt sich mit einigem recht von einer stark fragmentierten - dissoziativen - , beziehungsfeindlichen und objektorientierten theorie und praxis in allen bereichen der westlichen kultur (europa, usa und mit einigen abstrichen in neuerer zeit auch speziell japan) sprechen, von der faktisch ausnahmslos alle bewohnerInnen der entsprechenden länder direkt und indirekt betroffen sind. was schwer zu erkennen ist, da diese spezielle art der objektivistischen weltwahrnehmung für uns quasi die normalität darstellt - und an dieser stelle führe ich immer wieder gerne die metapher vom wasser an, welches unter garantie nicht zuerst von einem fisch entdeckt worden ist..."

Die von dir als schwer erkennbar bezeichneten Strukturen schreien mir, einem Hauptschueler der in seinem Leben noch keine einzige Zeile der von dir hier erwaehnten und zitierten Autoren gelesen hat, beim Lesen bestimmter blogs in einer Lautschtaerke entgegen, dass mir inhaltliche Diskurse immer unmoeglicher erscheinen.



So, und jetzt mach ich etwas das sich nicht gehoert und lade ein angefangenes und nicht beendetes posting hoch, wenn ich jetzt speichere um morgen weiter zu schreiben ...

Bibi (Gast) - 2. Jun, 10:55

erbsenzählen zum dritten

Hallo,

ich möchte noch auf unten zitiertes eingehen, denn das ist mir aufgestossen:


"aufgrund der eigenart der menschlichen wahrnehmungsoptionen gehört das, was die als solche wahrgenommene - und so definierte - normalität strukturiert und prägt, zu den am schwersten zu erkennenden strukturen überhaupt. es braucht dafür meiner erfahrung nach einen bestimmten inneren und äußeren abstand/distanz, mithin also ironischerweise eine art pseudoautistischer position, um die strukturell autistischen elemente des westlichen welt- und v.a. menschenbildes zu ahnen. "

Mo, obwohl Du diese Aussage im wesentlichen im weiteren text neutralisierst, ist es m.E. trotzdem falsch:

ich glaube- und weiß es auch - daß beziehungsfähigkeit sich u.a. auch durch Leidensfähigkeit auszeichnet.

D.h. jedes beziehungsfähige individuum identifiziert sich mit
anderen über sympathie und mitgefühl.

mitgefühl, daß die vorraussetzung hat, daß man sich selbst erfühlt -
sich selbst als teil eines lebenskreislaufes erfährt.

weiß, aus erfahrung, wie es ist, jung zu sein, kann sich denken, wie es ist alt zu werden. kann andere verstehen, weil man einsieht, selbst in dieser oder jener situation gewesen zusein/ zu sein/sein zu können.

andere verstehe ich am besten in freude und leid, weil es für mich erfahrbar war, ich nicht an leid zerbrochen bin -
dennoch spüre ich anderer leid noch heute wie mein eigenes.

es löst keine - wie eben hier in der gesellschaft weit verbreitete -
agression aus - also abwehr - sondern mitgefühl- für andere und für mich als eben
mich in derselben situation fühlend -

kurz und gut: nicht die distanz schafft das verständnis -
sondern das integrieren, annehmen, aushalten.

eben das fühlen.

und warum ist nun dieser zustand in unserer gesellschaft so verpönt?

weil der angeblich kongnitive, wissenschaftliche ansatz als der objektivere verstanden wird.

Abwehr des fühlens durch denken?

aber das hast du ja auch alles schon beschrieben -

nur: dieser absatz- vorallendingen der letzte satz und in bezug auf "pseudo-autismus" ist mir denn doch aufgestossen!

meintest du es eher wie ich?

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