assoziation: ausweitung der kampfzone - fragen und anmerkungen zum amok neuen typs

"Ich wohne in Denver und möchte fast jeden Einwohner dort umbringen. Ihr versteckt euch am besten alle in euren Häusern, aber ich werde jeden erwischen. Ich werde zielen, um zu töten, und ich werde alles vernichten"

(eric harris, einer der beiden täter aus littleton vor der tat auf seiner website - zitiert nach: götz eisenberg "amok - kinder der kälte"; rowohlt, hamburg 2000; isbn 3 499 22738 X; s.88)

*

(...)"Das führte dazu, dass der junge Mann im Februar 2005 auf eine damals 19-Jährige mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmesser einstach. Als Grund dafür nannte er später „Hass auf Menschen“, er habe einfach irgendjemanden umbringen wollen. Die Polizei sprach von einer „Zeitbombe für Neumarkt“.(...)

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"Ich hasse euch und eure Art! Ihr müsst alle sterben!
Seit meinem 6. Lebensjahr wurde ich von euch allen verarscht! Nun müsst ihr dafür bezahlen!"

(aus dem abschiedsbrief von sebastian b.)

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"Aber in Wahrheit kann nichts die immer häufigere Wiederkehr jener Augenblicke verhindern, in denen Ihre absolute Einsamkeit, das Gefühl einer universellen Leere und die Ahnung, dass Ihre Existenz auf ein schmerzhaftes und endgültiges Desaster zuläuft, Sie in einen Zustand echten Leidens stürzen."

(michel houllebecq "ausweitung der kampfzone"; rowohlt tb; hamburg 2000; isbn 3 499 22730 4; s.15)


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1. ist die bezeichnung "amok" für taten wie in emsdetten, erfurt und littleton angemessen?

hierzu habe ich im gleichen beitrag, aus dem das obige zitat über das messerattentat von neumarkt stammt, angemerkt:

(...)"nun ist dieses wort inzwischen medial mit einer bedeutung aufgeladen, die sich vom ursprung des begriffs recht weit entfernt hat (die berüchtigten "schulmassaker" der letzten jahre wie zb. in erfurt erfüllen einige der gleich aufgeführten kriterien nicht; so war zb. in den meisten fällen durchaus eine gezielte planung/vorbereitung der täter zu verzeichnen) - ein "echter" amokzustand zeichnet sich meines wissens durch mehrere einmalige eigenschaften aus: er entsteht a) anscheinend aus dem "nichts" heraus, also sehr plötzlich; ist b) an ein begrenztes zeitfenster (das können auch nur ein paar minuten sein) gebunden; stellt c) einen extremen psychophysischen zustand mit teils deutlich verifizierbaren veränderungen zb. des muskeltonus im gesamten körper (unwillkürliche extreme anspannung) und stark herabgesetzter schmerzempfindlichkeit dar; und wird d) in der regel von einer nachfolgenden amnesie beim amoklaufenden begleitet - d.h., die erinnerung an die taten im amokzustand sind wie ausgelöscht und nicht bewusst zugänglich. all diese phänomene zusammengenommen haben dazu geführt, dass amokereignisse in teilen der psychiatrischen forschung inzwischen im weitesten sinne den dissoziativen zuständen zugerechnet werden" (...)

ein echter amokzustand lässt sich also auch durchaus als ein extremkonzentrat solcher bewußtseinszustände betrachten, die im allgemeinen unter begriffen wie eruptiv und affekttaten zusammengefasst werden. und das übergreifend als dissoziative zustände zu begreifen, scheint mir duchaus berechtigt zu sein.

auf die fraglichen taten wie die des sebastian b. jedoch treffen diese kriterien bei näherer betrachtung nicht zu - hier geht es eher teils um jahrelange entwicklungen, die rückblickend betrachtet mit unerbittlicher konsequenz auf ihr tödliches finale zulaufen. und gerade bei den jeweiligen taten an schulen fällt die lange vorlaufzeit auf, in denen die täter durchaus mehr oder weniger offen ankündigen, was sie zu tun gedenken - und auch, warum sie es tun wollen. von daher wäre es, wenn denn der begriff hier überhaupt weiter benutzt werden soll, sinnvoller, von einem amok neuen typs zu sprechen - und damit ist die frage implizit gestellt, wie zu diesem phänomen kommen kann. ebenfalls stellt sich allerdings eine weitere frage:

2. warum wird vor allem medial hartnäckig an der bezeichnung "amok" festgehalten?

wenn ich davon ausgehe, dass sich die meisten mainstreammedien keinesfalls der information über reale zustände verpflichtet fühlen, sondern - und zu dieser feststellung reicht u.a. die frage nach ihren besitzern - es erstens als ihre aufgabe betrachten, die herrschenden zustände primär zu rechtfertigen (egal, wie subtil oder kritisch das auch im einzelfalle geschehen mag) und zweitens im zusammenhang mit diesem zweck zunehmend dazu übergehen, simulationen, fakes und als-ob-realitäten als quasi drogenförmige sedativa zu produzieren und zu verbreiten, dann wird deutlich, dass sich die obige frage nicht nur als wortklauberei abtun lässt.

ich vermute, dass eher die allgemein verbreiteten assoziationen zum wort amok eine große rolle spielen: etwas irgendwie unverständliches und unheimliches, das einzelne täter - und ihre opfer - genauso "schicksalhaft" trifft wie ein blitzschlag. und die größtenteils unter diesem namen daherkommende "ursachenforschung" landet jedesmal mit zuverlässiger sicherheit bei killerspielen und wahlweise dem ruf nach mehr disziplin und kontrolle bei kindern / jugendlichen oder eben nach mehr pädagogen und psychologen.

diese diskussionen - deren inhalten ich durchaus ein fitzelchen berechtigung zugestehe, dazu später mehr - sind ein zuverlässiges indiz vor allem für eine tatsache: diese gesellschaft will größtenteils weiterhin nichts davon wissen, was sie permanent für eine realität produziert - eine grundsätzlich und potenziell für alle mörderische nämlich, und bei nicht dissoziierter wahrnehmung ist es fast unmöglich, diese korrekte wahrnehmungsebene zu verleugnen.

womöglich haben wir also am beispiel des wortes amok eine art modell vor uns, wie medial daran gearbeitet wird, wahrnehmungen zu fragmentieren / zu spalten: als-ob-zusammenhänge werden konstruiert (wie im falle der pc-spiele; wobei das für die konstruktion zuständige bewußtseinswerkzeug wie früher schon beschrieben immer nur mit realem material arbeiten kann - daher der nicht umgehbare realitätskern in dieser als-ob-erklärung, wobei dieser kern nach bearbeitung durch den objektivistischen modus so verfremdet ist, dass seine bezüge faktisch mehr oder weniger unkenntlich sind); und primäre zusammenhänge (die bspw. im brief des sebastian b. in der sinnfrage implizit enthalten sind), die viele mitglieder dieser gesellschaft womöglich dazu zwingen würden, die herrschende realität anders zu begreifen, werden so lange aufgesplittet, bis die tat tatsächlich seltsam bezugslos erscheint oder aber nur noch in verzerrten bezügen vermittelt wird.

diesem vorhaben stehen im aktuellen fall die virtuellen äußerungen des täters etwas im wege; und womöglich ist das der tiefere grund für die beobachteten versuche, diese virtuellen spuren quasi unsichtbar zu machen.

3. was ist mit der ungleich verteilten empathie für den täter und seine opfer?

eine interessante frage; und sie wird imo nicht ausreichend dadurch beantwortet, dass es sebastian b. aus was für gründen auch immer glücklicherweise nicht vermochte, andere mit in den tod zu nehmen. "nur" etliche verletzte also, und dieses "nur" mag in einer spektakelsüchtigen gesellschaft bereits einen teil der antworten bedeuten. ich vermute jedoch - auch anhand meiner eigenen, und durchaus auch ambivalenten reaktionen - noch weitere ebenen: opfer sind unattraktiv und uncool, sie sind in gewisser weise lästig, weil sie eine eigene deutliche positionierung zur tat verlangen - und weitergedacht ebenso natürlich zum kontext der tat, der aber hier - wie oben schon angedeutet - praktisch sofort grundsätzliche fragen nach dem eigenen leben in dieser gesellschaft aufwirft. unbequeme fragen also noch dazu. diese merkwürdige art der täterorientierung - und zwar ausdrücklich nicht in dem sinne, die entwicklungsgeschichte einer tat emotional und kognitiv zu verstehen, um sie für die zukunft mittels präventiven handlungen, die radikale gesellschaftliche veränderungen beinhalten, möglichst ausschließen zu können - ist nicht nur im aktuellen fall zu beobachten.

dazu kommt - und das lässt sich an unterschiedlichsten medialen orten, vor allem aber hier im netz, wahrnehmen: es gibt zwischen teilen der botschaft des täters und einem größeren publikum prozesse der wiedererkennung eigener zustände. und ich vermute, gerade dieser umstand ist letztlich für die oben erwähnten zensurversuche hauptverantwortlich. der brief, soviel inhaltlich fragliche und auch faschistoide momente er auch enthält, scheint einiges von den aktuellen gesellschaftlichen tiefenströmungen auszudrücken - und es sollte nicht der fehler gemacht werden, alle staatlichen handlanger für so dumm zu halten, dass sie diesen effekt nicht bemerken würden. einen aspekt dieser wiedererkennung hat übrigens imo vor ein paar tagen die taz ganz gut auf einen wichtigen punkt gebracht:

(...)"Der Brief ist ein ganz genau ausgearbeitetes Zeugnis klassischer Teenage Angst mit allem, was dazu gehört - bekannt eben nicht nur aus Büchern, Fernsehen, Kino und Popmusik, sondern auch aus dem eigenen Leben von wohl fast jedem Jungen, der in der westlichen Welt groß geworden ist: Die Umgebung versteht einen nicht, Mädchen beachten einen nicht, Lehrer kümmern sich nicht, Zukunftsversprechen sind nichts wert. Die große, gemeine Konsumoberflächenwelt lenkt von den wesentlichen Fragen ab. Und die Gesellschaft ist nicht bereit, Abweichungen zu akzeptieren und lockt stattdessen mit einem teuflischen Pakt: Gib deine Individualität auf, und du bekommst Teilhabe."(...)

was haben die opfer außer ihrem trauma da noch entgegenzusetzen? aber gerade die wahrnehmung dieser realität - das ein in welcher art und weise auch immer psychophysisch ge- und beschädigter junger mann sein persönliches trauma auf diese art und weise an anderen sozusagen multipliziert - ist imo grund genug dafür, sich sowohl mit dem täter als auch mit den opfern gleicherweise empathisch auseinanderzusetzen. auch, wenn es gerade bezgl. der letzteren enorme schwierigkeiten dabei gibt:

(...)"Oft hassen wir die Opfer nachgerade: Sie verursachen in uns großes Unbehagen, wir schämen uns für unser Mitgefühl, weil wir das Opfer in uns selbst hassen. Der Haß resultiert aus unserer Scham, daß wir uns selbst einmal zu Opfern gemacht haben, als wir uns unterwarfen. Und daran wollen wir nach Möglichkeit nicht erinnert werden."(...)

(arno gruen "der wahnsinn der normalität"; siehe literaturliste, s.92/93)


so ein fazit von gruen, welches er u.a. aus der untersuchung verschiedenster mordprozesse in den usa zieht, bei denen es - vielleicht ähnlich dem fall o.j. simpson - zu einer mehr oder weniger offenen öffentlichen solidarisierung mit den jeweiligen täterInnen kam, während ihre opfer dem schweigen anheimfielen (oder schlimmstenfalls zu schuldigen wurden). das dürfte strukturell dem entsprechen, was alice miller in ihrem zitat im beitrag zu saddam hussein weiter unten im blog bezgl. der öffentlichen wirkung von diktatoren beschrieben hat: bewunderung und entschuldigung (beides hat nichts zu tun mit einem bemühen um verständnis für den hintergrund der taten!) sind oft genug der falsche gegenpol zur ebenso falschen verdammung und dehumanisierung der täter, mit denen sie nicht nur quasi aus der menschheit ausgeschlossen werden, sondern damit gleichzeitig auch vorhandenen verbindungen zu unserem lebensstil entsorgt werden sollen - um den preis der ständigen wiederholung des terrors.

was gruen mit "unterwerfung" meint? nun, wir alle haben uns - bis auf glückliche ausnahmefälle, bei denen die eltern psychophysisch im eher gesunden bereich waren - bereits als kinder dem zwang zur anpassung unterworfen - schule und arbeitswelten bauen später darauf "nur" noch auf. und irgendwo wissen wir das auch alle - und bei vielen dürfte darin ein grund liegen für die unerträglichkeit der wahrnehmung, wenn andere menschen wirklich frei sind (wenig genug sind`s und können es unter diesen bedingungen tatsächlich relativ(!) sein) - sie erinnern uns an das, was wir sein könnten - genauso, wie opfer uns an das erinnern, was wir meistens auch sind - und damit an ohnmacht, angst, scham und demütigung.

eine weitere mögliche ebene hatte ich neulich hier in einem anderen kontext erwähnt - in solchen taten stecken immer auch informationen über den gesellschaftlichen status quo, und...

"...ist da nicht auch die information enthalten "wir - verdienen es nicht anders, solange wir so kollektiv vor der grausamkeit ausweichen, wegschauen, sie relativieren und derealisieren oder gar rechtfertigen und entschuldigen - solange werden eben genauso willkürlich und brutal weiter kinder verschwinden, wird weiter gefoltert und gemordet werden - solange, wie wir an die märchen dieses systems glauben und uns als überlebende und gewinner halluzinieren (nur unter schwerem empathieverlust überhaupt möglich)" (und seien Sie sicher - am ende wird es weder das eine noch das andere geben)."

anders: der gegenpol der mangelnden empathie für die opfer, nämlich die weigerung, den täter in irgendeiner weise zu verstehen (was, ich muss mich da wiederholen, nicht mit akzeptanz gleichzusetzen ist!), macht blind und taub für die tatsache, dass wir insgesamt kollektiv dringend aus solchen und anderen taten konsequenzen ziehen müssen - und die weigerung, genau solche konsequenzen zu ziehen, zeichnet imo mehrheitlich diejenigen aus, die sich einem verstehen verweigern - darin nicht unähnlich denen, die bis heute immer noch bspw. die ns-verbrechen als "nichtverstehbar" hinstellen. auch dieser standpunkt ist ein bequemer in dem sinne, als das "unverstehbares" nicht die eigene lebensweise tangieren kann. aus diesem grund bezeichne ich diese position auch als reaktionär.

4. sind solche täter "psychisch" krank? (anders: was sagt die orthodoxe psychiatrie dazu? und wie sehen alternativansätze aus?)

ich habe es hier in beiträgen bspw. zu folter oder gewalt an kindern immer wieder erwähnt, und wiederhole das jetzt: wer mehrfach bewaffnet und mit bomben am körper eine von hunderten kindern / jugendlichen bevölkerte schule betritt und dort tatsächlich anfängt, um sich zu schießen - der befindet sich - wie andere täter auch - zwingend in einem objektivistischen wahrnehmungsmodus mit den hauptkennzeichen empathielosigkeit und verdinglichung (seiner selbst und aller anderen). das alleine - zusammen mit der gerade bei solchen taten meist offen erkennbaren suizidalen tendenz - legt eine schwere psychophysische pathologie mehr als nahe. zum problem mit den etablierten psychiatrischen diagnosen und ihren definitionen von gesundheit / krankheit habe ich hier ebenfalls schon ausgiebig geschrieben - und das folgende sollte auch unter diesen gesichtspunkten gelesen werden:

(...)"Bei etwa der Hälfte der dokumentierten Amokläufe schien es der Göttinger Forschungsgruppe möglich, Indizien für schwerwiegende psychische Störungen der Täter festzustellen, die sie in einem breiten Spektrum von Psychosen (Schizophrenie, Depression, paranoide Störung) bis hin zu `psychopathischen Normvarianten´ angesiedelt sahen. Thomas Knecht gelangt im Rahmen der inzwischen verfeinerten und weiterentwickelten psychiatrischen Diagnostik zu dem Schluß, daß man beim Gros der Amokläufer eine sogenannte narzißtische oder Borderline-Persönlichkeitsstörung vermuten könne, die durch folgende Züge charakterisiert sei: Ich-Schwäche, Identitätsunsicherheit, erhöhte Vulnerabilität und Kränkbarkeit, einen passiv-aggressiven Charakter und eine Neigung zu unkontrollierbaren Impulsdurchbrüchen. Nebenmerkmale seien berufliche Überanpassung, häufiger Stellenwechsel, Beziehungsschwierigkeiten, sexuelle Abstinenz und Waffenfanatismus.

Auch bei meiner Sichtung von Presseberichten über Amokläufe der letzten Jahre habe ich den Eindruck gewonnen, daß zwischen den charakteristischen Zügen des Amokläufers und den Leitsymptomen der Borderline-Persönlichkeitsstörung eine auffällige Übereinstimmung herrscht."(...)


kinder der kälte - titel

- so götz eisenberg auf den seiten 34/35 seines eingangs bereits zitierten buches "amok - kinder der kälte". wir halten also fest: erstens wird seitens der orthodoxen psychiatrie "etwa die hälfte" dokumentierter amoktaten als von pathologischen persönlichkeitsstrukturen herrührend betrachtet; und zweitens tauchen zwei wohlbekannte diagnosen aus dem bereich der beziehungskrankheiten wieder mal auf: die narzisstische und die borderline-ps. wenn Sie schon länger hier lesen, wird Ihnen vermutlich nachvollziehbar sein, warum gerade borderline schon seit jahren als diagnose eine art schreckgespenst nicht nur für die derart diagnostizierten, sondern auch für viele therapeutInnen aller coleur darstellt: ob es sich um politische diktaturen handelt, gewalttätige eltern, antisoziale manager und jetzt noch amokläufer: immer taucht borderline unter den ersten namen auf, wenn es um passende diagnosen geht. ist das sachlich berechtigt? wie üblich bei dieser frage kann ich nur mit "jein" antworten, und verweise auf die entsprechenden beiträge hier im blog - suchen Sie im index oder der seiteninternen suchmaske.

grundsätzlich habe ich hier eine ähnliche meinung wie bei vielen anderen gewaltformen: die etablierten psychiatrischen ansätze, und auch die orthodox-psychoanalytischen, sind aufgrund strukturell fehlerhafter menschenbilder nur beschränkt in der lage, für tatsächlich realitätsangemessenes verständnis zu sorgen. ich halte sebastian b. und andere täter schon für psychophysisch gestört, aber die art dieser störung ist nur fragmentarisch und/oder verzerrt in den heutigen diagnostischen katalogen enthalten.

5. ist amok ein "männliches" phänomen?

bis auf weiteres tatsächlich ja. zwar gibt es auch affekttaten von frauen, hauptsächlich im sog. häuslichen beziehungsbereich. aber diese besondere art der öffentlichen gewalt, schwerbewaffnet und grundsätzlich wahllos, ist bisher eine männliche domäne. ich glaube allerdings, dass es nur noch eine frage der zeit ist, bis sich das ändert: ähnlich wie bei den essstörungen, von denen seit kurzer zeit inzwischen auch zunehmend mehr und mehr männer betroffen sind, während gleichzeitig prügelnde mädchengangs deutlich machen, dass eine emanzipation, die sich in abstrakter (objektivistischer) "gleichstellung" erschöpft, keine wirkliche emanzipation darstellt. nicht frauen in polizei und bundeswehr stellen ein indiz für tatsächlichen gesellschaftlichen fortschritt dar, sondern die realisierung von verhältnissen, in denen polizei und armeen zunehmend mehr und mehr beschäftigungslos werden würden, würde so einen fortschritt bedeuten.

konstruierte identitäten, die bis heute den kern der gesellschaftlichen geschlechterstereotypen bilden, sind beliebig austausch- und natürlich auch dekonstruierbar - aber das eigentliche problem versteckt sich eher dahinter: konstruierte identitäten bilden primär krücken für diejenigen, die aufgrund psychophysischer schäden die (körperlichen) grundlagen ihrer eigenen authentischen identität entweder nicht (mehr) wahrnehmen oder aber deren grundlagen erst gar nicht entwickeln konnten. aus dieser perspektive wird deutlich, dass bspw. sebastian b. eine sehr martialische, sehr reduzierte und sehr klassische "männliche" identität eher wie ein kleidungsstück genutzt hat, um die sichtbare tatsache der unfähigkeit zum eigenen authentischen sein quasi zu maskieren. und in diesem punkt unterscheidet er sich keinesfalls von millionen menschen, die sich mit derartigen konstruktionen ebenfalls durchs leben schlagen. unterscheiden tut er sich aber bspw. von typischen strukturellen soziopathen (die solche konstrukte - und nichts weiter - gewohnt sind) dadurch, dass er zumindest zeitweise unter dieser authentischen unfähigkeit gelitten haben muss - stichwort ungehörte hilferufe.

6. was haben virtuelle welten zb. in pc-spielen mit all dem zu tun?

ich stelle diese frage nicht umsonst nach dem gerade thematisierten - konstruierte identitäten oder auch simulationen von identität und realität stellen imo den wahren kern in der debatte rund um die rolle der "killerspiele" dar:

(...)"Welche Rolle spielt das Internet und Computerspiele bei solchen Taten?

Das kommt auch nur bei bestimmten Persönlichkeiten zum Tragen, nämlich solchen, die den "Als-ob-Charakter" von Internet-Spielen nicht erkennen, sondern das eins zu eins nehmen. Ballerspiele führen nicht bei allen Jugendlichen zu vermehrter Gewalt, sondern nur bei bestimmten, die dann mehr und mehr die Unterschiede zwischen Fantasie, virtueller und realer Welt nicht mehr erkennen. Hinzu kommen in der Regel aber die Persönlichkeitsstörungen oder psychiatrischen Auffälligkeiten von Amokläufern."(...)


ich bin der meinung, dass die letzten sätze korrigiert werden müssen: bei vielen der unter den persönlichkeitsstörungen laufenden diagnosen ist es ein ganz zentrales problem, dass die - objektivistisch produzierten - simulationen und konstruktionen hierarchisch nicht mehr der gesunden, authentischen und vollständigen subjektivität als werkzeug dienen, sondern das verhältnis auf dem kopf steht: die simulationen, fakes und konstruktionen springen kompensatorisch in einem elementaren mangelzustand anstelle der gesunden realitätswahrnehmung ein. und dieser prozeß dürfte einen ganz zentralen teil bei allen beziehungskrankheiten ausmachen. um den richtig benannten als-ob-charakter virtueller welten nicht mehr als solchen erkennen zu können, ist eine schwere wahrnehmungsschädigung - materiell-körperlich basiert - eine grundsätzliche vorbedingung.

ich habe übrigens so meine eigenen erfahrungen mit mörderischen virtuellen welten, und vor einigen jahren lange nächte mit spielen wie gta 3 und dem nachfolger, gta vice city sowie den ersten teil von max payne verbracht. und ich ziehe daraus für mich folgende schlüsse - in kurzform:

erstens würde ich kindern bis mindestens 16 jahren den umgang mit solchen spielen nicht gestatten wollen, zweitens können sie - gerade bei der virtuellen detailfülle und den möglichkeiten der "gta"-reihe - tatsächlich einer art flucht incl. suchteffekten vorschub leisten (dazu reicht ihre nutzung in einer schwierigen lebensphase ohne weitere persönliche dispositionen imo bereits aus), drittens aber habe ich sie als aggressionsabbauend erlebt (kann mir aber auch das gegenteil vorstellen), und viertens - deswegen halte ich sie für eine kunstform - stellen sie, ähnlich wie gute science fiction, beklemmende dystopien dar - in der gta-reihe unterlegt mit zynischem humor, während "max payne" nicht nur aufgrund tatsächlicher entsprechender traumsequenzen alptraumartige züge aufweist. in "gta 3" ist die an new york angelehnte stadt namens "liberty city" (bereits der name ist der blanke hohn auf die kapitalistische "freiheit") säuberlich unterteilt in die machtbereiche verschiedener banden und clans - von der cosa nostra über die triaden und den yakuza bis hin zum kolumbianischen kokain-kartell ist die elite der als solches definierten organisierten kriminalität vorhanden, und dazwischen tummeln sich etliche, ethnisch organisierte streetgangs. eine brutale und korrupte polizei sowie extrem mißgelaunte und ständig schlagbereite passantInnen vervollständigen ein virtuelles bild, welches sich bei der betrachtung der realität in diversen regionen des planeten nur als prophetisch bezeichnen lässt. vielleicht ist das auch ein - versteckter - grund für manche zensurbestrebungen. in "vice city" und indirekt auch in "gta 3" gibt es dazu regulär bzw. mittels cheats die möglichkeit, selbst als spielfigur amok zu laufen bzw. die gesamte stadtbevölkerung in einen amokartigen kampfzustand "alle gegen alle" zu verwickeln.

"max payne" hingegen - mit der durchaus interessanten story "soziopathische konzernchefin überschwemmt mithilfe der mafia die gesellschaft mit einer droge, abfallprodukt von waffenversuchen der us-army" - weist alle elemente eines ego-shooters auf, und in dieser rolle des "einsamen rächers" sind die grenzen zum amok permanent fließend. wobei die dort gezeichnete virtuelle welt mit ihrer extremen grausam- und bösartigkeit auch quasi dazu auffordert, mit ihr bzw. ihren virtuellen einwohnern schluß zu machen (ich finde es übrigens ein ganz interessantes detail, dass sowohl in diesem spiel als auch in "gta 3" die jeweils als eiskalt dargestellten oberbösen (konzernchefin, sowie weibliche bosse der yakuza und der kolumbianischen mafia, bei der cosa nostra werden in "gta 3" dazu noch witze über den mutterkult italienischer mafiosi gemacht) jeweils frauen sind - dazu in "max payne" mit allen zügen einer bösen mama, die letztlich auch eine tochterfigur - die frau von max payne - sowie ihr "enkelkind", noch ein baby, umbringt bzw. umbringen lässt. ich kann mir schlecht vorstellen, dass sich spiele-entwickler mit borderline-müttern befassen - woher also stammen diese bilder?)

vielleicht mögen sich nun gerade diejenigen unter Ihnen, die mit solchen spielen nichts im sinn haben, in ihrer ablehnung bestätigt fühlen - aber ich möchte abschließend nochmal die zwei für mich entscheidenden punkte hervorheben: genauso wenig, wie bspw. ein naziparteitagsfilm von leni riefenstahl niemanden zum nazi machen kann, der/die nicht schon entsprechende dispositionen besitzt, kann eine virtuelle spielwelt jemanden zum amok bringen. der zusammenbruch der wahrnehmungsfähigkeiten, welche die grenzen zwischen virtuell und real unsicher werden lassen, hat mit solchen spielen imo nichts zu tun. sie können einen fortschreitenden prozess der de-realisierung (als dissoziatives phänomen) möglicherweise verstärken - aber nicht auslösen.und vor diesem hintergrund sollte der aktionismus "verbietet die killerspiele!", der uns gegenwärtig mal wieder als hauptmaßnahme gegen taten wie in emsdetten präsentiert wird, als das verstanden werden, was er imo tatsächlich ist: schein- und ablenkungsdebatten innerhalb gesellschaftlicher kreise, die ihre köpfe gegenüber der selbst produzierten realität größtenteils weiter tief im sand stecken haben.

***

bei der frage danach, woher denn nun dieser deutlich ausgesprochene allgemeine "hass auf menschen" bei den amoktätern stammt, kam mir bei betrachtung des briefes von sebastian b. sehr schnell ein buch in den sinn, dem ich gleichfalls die bezeichnung "dystopie" geben würde - ausweitung der kampfzone von michel houellebecq (hinter dem link verbergen sich eine kurze inhaltsangabe & rezension) war ende der 1990er und rund um die jahrhundertwende in mehreren europäischen ländern ein bestseller, was ich bei diesem buch nach wie vor bemerkenswert finde und mir als einleuchtendste erklärung scheint, dass der autor hier kollektive tiefenströmungen sehr unguter art angesprochen hat - und das ist etwas, was ich jetzt jenseits aller formalen literatur-, sprachkritik usw. näher unter die lupe nehmen möchte.

kampfzone - titel

der roman enthält letztlich viele themen, die auch hier im blog dominant sind: es ist erstens - in seiner hoffnungslosigkeit, seinem zynismus und seiner beschreibung schwerer beziehungsstörungen - ein echtes stück fiktionale borderline-literatur; es ist zweitens - ohne es jemals auszusprechen - ein bericht über allgemein verbreitete autistische züge im sozialen leben; es ist drittens eine - wenngleich ungenaue und inkonsequente - kritik an orthodoxer psychiatrie und psychoanalyse (die hier aber auch v.a. deswegen abgelehnt werden, weil der namenlose ich-erzähler eigentlich nicht wirklich wissen will, was mit ihm passiert); es macht viertens eine aufschlußreiche, konsequente und konkretistische gleichsetzung von sex = liebe auf; enthält fünftens eine fast schon geniale beschreibung des objektivistischen modus´ in funktion - und legt, damit zum letzten punkt, mit der aufdeckung einer bedrohlichen und tödlichen allgegenwärtigen lieblosigkeit meiner meinung auch die eigentliche basis (nicht nur) für den amok unserer tage frei.

der ich-erzähler ohne namen arbeitet als informatiker, ist materiell relativ gut gestellt - und entwickelt im verlaufe der geschichte, die er in einer ständig beobachtenden position beschreibt, eine schwere psychophysische krise, die er an sich selbst und an anderen vor allem an der unmöglichkeit, menschliche beziehungen einzugehen - was sich für ihn v.a. am vorhandensein bzw. nichtvorhandensein sexueller beziehungen manifestiert - festmacht. er beschreibt eine zunehmend sinnloser werdende welt von egozentrischen, vordergründig narzisstischen und sich ständig am arbeits- und sexmarkt prostituierenden persönlichkeiten, die als perspektive aus seiner sicht nichts weiter als die allmähliche aussonderung aufgrund alter und biologischem verfall vor sich haben. liebe in all ihren möglichen variationen, auch und gerade freundschaft (und freundlichkeit), ist in dieser welt nicht (mehr) vorhanden (besser: kann nicht mehr wahrgenommen und/oder geäussert werden, was aber aufs gleiche hinausläuft).

im verlauf des romans unternimmt er mit einem kollegen eine geschäftsreise, erlebt und beschreibt dessen scheitern beim versuch des "frauenaufreißens" (auch so ein verräterisches wort) und empfiehlt diesem dann zur "bedürfnisbefriedigung" einen mord (und nicht nur an dieser stelle wird der implizite bezug zum amok imo sehr deutlich - lassen Sie sich nicht von der oberflächlichen thematik ablenken):

(...)"Was soll ich bloß tun?", sagte er.

"Hol dir doch einen runter."

"Meinst du, es ist gelaufen?"

"Natürlich. Es ist schon lange gelaufen, von Anfang an ist es gelaufen. Du wirst nie einen erotischen Traum für junge Mädchen darstellen, Raphael. Du musst dich damit abfinden; diese Dinge sind nichts für dich. Auf alle Fälle ist es längst zu spät. Der sexuelle Misserfolg, Raphael, den du seit der Pubertät erfahren hast, die Frustration, die dich verfolgt, seit du dreizehn bist, werden in dir eine unauslöschliche Spur hinterlassen. Selbst wenn du irgendwann einmal Frauen haben solltest, was ich ehrlich gesagt nicht glaube, wird das nicht genügen; nichts wird jemals genügen. Du wirst immer ein Waisenkind dieser Jugendlieben bleiben, die du nicht erfahren hast. Die Wunde in dir schmerzt; sie wird immer schmerzhafter werden. Eine schreckliche, unbarmherzige Bitterkeit wird am Ende dein Herz erfüllen. Für dich gibt es weder Erlösung noch Linderung. So ist das. Aber das soll nicht heißen, dass dir jede Möglichkeit der Rache verboten ist. Diese Frauen, die du so sehr begehrst, kannst du auch besitzen.(...) du kannst schon jetzt ihr Leben besitzen. Noch heute Abend sollst du die Laufbahn des Mörders betreten; glaub mir, mein Freund, das ist die einzige Chance, die dir bleibt. Wenn du diese Frauen vor der Spitze deines Messers zittern und um ihre Jugend flehen siehst, wirst du wahrhaftig ihr Herr und Meister sein; du wirst ihren Leib und ihre Seele besitzen."(...)

(houllebecq "ausweitung der kampfzone"; s.o., s.126/127)


mehrere strukturen sind hier bemerkenswert: die durchaus für viele männer immer noch realität darstellende ausschließliche vorstellung, dass sex - und zwar nur sex - die einzige und "eigentliche" form zwischenmenschlicher beziehungen darstelle (konkretistische, d.h. gegenständlich-objektivistische wahrnehmung: sex als engste und wortwörtlich "naheste" möglichkeit der beziehung - in der realität verhält sich das bekanntlich durchaus nicht so), dient hier als ausgangspunkt für eine vernichtende kausalkette: kein sex = keine beziehung = ewige schmerzen = endpunkt rache.

wenn ich mir die lebensläufe der vorwiegend jung-männlichen amoktäter anschaue, mit den immer wieder festgestellten merkmalen der sozialen isolation incl. fehlens von beziehungen zu frauen, und dazu die entsprechende gesellschaftlich herrschende ideologie und praxis berücksichtige, in der sexualität tatsächlich zu einer art alles dominierendem platzhalter für die mehr und mehr fehlende vielfalt von lebendigen und liebevollen menschlichen beziehungen geworden ist, zu allem überfluß auch noch zusehends unter die räder der "marktgesetze" geraten ist - äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden - wenn ich mir also diese verhältnisse so betrachte, dann ist es für mich eine plausible möglichkeit, dass die - glücklicherweise in relation bisher immer noch kleine - gruppe der jugendlichen amoktäter auch versucht, tatsächlich an derlei erbärmlichen verhältnissen rache zu üben. ich möchte das ausdrücklich als these verstanden wissen.

auch der ich-erzähler gebraucht, wie schon gesagt, sexualität während des ganzen romans in ziemlich genau dem gerade skizzierten rahmen als metapher für beziehungen überhaupt, und das bedeutet für den sex nichts weiter als eine hoffnungslose überfrachtung hinsichtlich seiner möglichkeiten und seines sinns. sicher, sexuelle frustrationen können verdammt schmerzhaft sein, jedoch entsteht dieser schmerz erstens bei niemandem in einem gesellschaftlichen vakuum, und kann zweitens durch andere gelebte beziehungsformen doch recht stark relativiert werden. diesbezgl. befindet sich die figur des erzählers in der "kampfzone" nicht nur in einer eben solchen, sondern vor allem auch in einem wahrnehmungstunnel.

im buch schrammt der kollege des erzählers dann tatsächlich kurz an einem (doppel-)mord vorbei, um wenig später in einem sehr suizidverdächtigen autounfall (die näheren umstände werden bewußt mystifizierend offengehalten) sein unglückliches leben zu beenden.

*

weisen die obigen aspekte für mich schon eine sehr spezielle verbindung zum amokthema auf, so betrachte ich die allgemeine atmosphäre des romans, die ich oben schon kurz skizziert habe, als potenziellen humus für amok - potenziell deshalb, weil es eben einige verschiedene möglichkeiten gibt, mit den dystopischen zuständen irgendwie "klarzukommen". der namenlose erzähler agiert eher nach innen aus, landet im weiteren verlauf bei einem psychiater mit der diagnose einer depression, verläßt seinen job bzw. wird gleichzeitig entlassen, und landet schließlich in einer psychiatrischen klinik. wo er sich u.a. folgende gedanken zu seinen mitpatientInnen macht:

(...)"Ich verfiel langsam auf den Gedanken, dass all diese Leute, Männer wie Frauen, überhaupt nicht gestört waren; sie litten bloß unter einem Mangel an Liebe. Ihre Gesten, ihr Verhalten, ihre Mimik zeugten von einem herzzereißenden Durst nach körperlicher Berührung und Zärtlichkeit; aber das war natürlich nicht möglich. Deshalb wimmerten sie, stießen Schreie aus, zerkratzten sich mit ihren Fingernägeln. Während meines Aufenthalts hat einer sich erfolgreich kastriert."(...)

("ausweitung der kampzone"; s.164)


der mangel an liebe ist natürlich in einer allgemeinen art eine ganz richtige diagnose (und zieht dazu ganz real diverse störungen im psychophysischen funktionieren nach sich); die gleichzeitig wieder durch die oben thematisierte einschränkung des liebesbegriffes verzerrt und in gewisser weise auch entwertet wird. das macht der erzähler im "finale" des buches selbst deutlich, zu dessen einleitung er zunächst aus der psychiatrie entlassen wird:

(...)"Ich verließ die Klinik an einem 26. Mai; ich erinnere mich an die Sonne, die Wärme, die Atmosphäre der Freiheit auf den Straßen. Es war unerträglich."(...)

("ausweitung der kampfzone"; s.165)


ohne Sie erschrecken zu wollen - aber in meinen eigenen krisenzeiten hätte ich ganz haargenau ähnliche sätze formulieren können. für mich heute u.a. symptome einer krankheitswertigen wahrnehmungsverschiebung ins objektivistische hinein. und mit diesem begriff komme ich dann zum schluß des buches, welches auch gleichzeitig das für mich eindrucksvollste zitat überhaupt liefert. der erzähler begibt sich nach einem kurzen und trostlosen intermezzo in seiner leeren wohnung (wo er zudem beginnt, selbstverletzendes verhalten zu praktizieren) auf eine reise ohne ziel, und beobachtet sich an derem ende in folgender art und weise:

(...)"Das Wetter ist wunderschön, mild, frühlingshaft. Auch der Wald von Mazas, schön und zutiefst beruhigend. Ein richtiger Gebirgswald mit steil ansteigenden Pfaden, Lichtungen, einer Sonne, die überall durchdringt. Die Wiesen sind von Narzissen bedeckt. Man fühlt sich wohl und ist glücklich; weit und breit kein Mensch. Etwas scheint hier möglich zu sein. Man hat das Gefühl, sich an einem Ausgangspunkt zu befinden.

Und plötzlich verschwindet alles. Eine große geistige Ohrfeige wirft mich zurück auf mein innerstes Wesen. Und ich prüfe mich, werde ironisch, aber gleichzeitig habe ich Achtung vor mir. Wie sehr ich mich, bis ans Ende, zu großen geistigen Bildern fähig fühle! Wie deutlich die Vorstellung noch ist, die ich mir von der Welt mache!(...)

Ich lege mich auf eine Wiese in die Sonne. Und jetzt auf einmal der Schmerz, während ich in dieser so sanften Wiese liege, mitten in dieser so freundlichen, beruhigenden Landschaft. Alles, was Quelle der Teilnahme, der Lust, der unschuldigen Sinnesharmonie hätte werden können, ist zu einer Quelle von Unglück und Schmerz geworden. Gleichzeitig empfinde ich heftig die Möglichkeit der Freude. Seit Jahren marschiere ich an der Seite eines Gespenstes, das mir gleicht und das in einem theoretischen Paradies lebt, in engster Beziehung zur Welt. Ich habe lange geglaubt, dass es mir möglich wäre, diese Gestalt zu erreichen. Jetzt nicht mehr.

Ich fahre noch etwas tiefer in den Wald hinein. (...) Die Landschaft ist jetzt so sanft, so freundlich und froh, dass mir die Haut wehtut. Ich bin mitten im Abgrund. Ich spüre meine Haut wie eine Grenze; die Außenwelt ist das, was mich zermalmt. Heilloses Gefühl der Trennung; von nun an bin ich ein Gefangener in mir selbst. Die sublime Verschmelzung wird nicht stattfinden; das Lebensziel ist verfehlt. Es ist zwei Uhr nachmittags."

("ausweitung der kampfzone"; s.169/170)


das ist - zumindest für mich - eine ganz eindeutige darstellung dessen, was ich hier immer wieder als objektivistischen wahrnehmungsmodus bezeichne - und ich nehme jetzt mein eigenes entsprechendes werkzeug zur hilfe, um das deutlich zu machen.

- das "wohlfühlen und glücklich sein" ist an die abwesenheit anderer menschen geknüpft - nun kann ein derartiges alleinsein manchmal notwendig und wohltuend sein; im kontext dieser geschichte jedoch ist einsamkeit der dominierende zustand. und ein "wohlfühlen" in einsamkeit hat eher etwas damit zu tun, dass andere als störend empfunden werden. störend bei was?

- vermutlich bei den "großen geistigen Bildern" und der "Vorstellung(!) von der Welt" - die ganze und gesunde subjektive wahrnehmung ist geschädigt, und als kompensation treten bilder und fiktionen der realität an deren stelle. in dieser situation ist die wahrnehmung der vielfältigen und ständig vorhandenen beziehungsmäßigen einbindung in die welt (und zu anderen menschen) nicht mehr vorhanden - u.a. mit dieser folge:

- "Alles, was Quelle der Teilnahme, der Lust, der unschuldigen Sinnesharmonie hätte werden können, ist zu einer Quelle von Unglück und Schmerz geworden." was für ein satz! eigentlich spricht er für sich selbst, aber trotzdem: der dominante objektivistische modus kann diese teilhabe (= beziehungswahrnehmung) funktional nicht "produzieren", sondern nur tote fiktionen davon.

- das "Gespenst" stellt folgerichtig die gesamte, körperlich basierte subjektivität (incl. körper) dar, von der sich der beobachtende objektivistische modus quasi verabschiedet hat - und jetzt als (fiktiver) gegenpol fungiert.

- und wenn die (unauflöslichen) beziehungen zur welt nicht mehr wahrgenommen werden können, kann die gesamte "außenwelt" einen bedrohlichen, "zermalmenden" touch bekommen - die objektivistische wahrnehmungsposition ist auch eine latent paranoide. gefangen in sich selbst...

- die lakonische feststellung "Es ist zwei Uhr nachmittags." weist auf den automaten- bzw. computerhaften werkzeugcharakter dieses zustandes hin - unbeeindruckt wird bis zum letzten und unter (fast) allen umständen beobachtet und registriert; und letztlich bedeutet der bezug auf ein objektivistisches und abstraktes, fremdbestimmtes zeitraster auch so etwas wie (als-ob)sicherheit.

so. und warum ich finde, dass das alles eine menge mehr als bspw. pc-spiele mit den psychophysischen zuständen von jungen amokläufern zu tun hat - diese frage können und dürfen Sie sich eigentlich jetzt selbst beantworten. vor allem dann, wenn Sie einerseits die empathielosigkeit und andererseits auch das selbstmitleid berücksichtigen, welches ein entgleister und dominanter objektivistischer zustand mit sich bringt - ersteres zwangsläufig, das zweite eher nur in bestimmten konstellationen.
monoma - 27. Nov, 22:21

einen nachtrag...

...habe ich noch: von götz eisenberg ist zum thema amok auch eine neuere veröffentlichung online einzusehen.

*

twoday.net ist heute insgesamt von teils längeren ausfällen betroffen - ich bitte die leserInnen hier um geduld und verständnis.

archenoe - 27. Nov, 23:15

... deshalb ...

... kommt unten stehender Kommentar so spät.

archenoe
archenoe - 27. Nov, 23:12

Mörderische virtuelle Welten

Vorab:
Eine produktive Auseinandersetzung, die den Leser in seinen eigenen Gedanken voranbringen kann. Danke! (Ich stimme fast allem zu.)

Kritik im eigentlichen Sinne möchte ich nicht formulieren, weil ich keine habe. Ich möchte aber doch zwei Ergänzungen wagen, die möglicherweise die Perspektive ein wenig verschieben könnten.

1. Das Normale ist das Kranke - und zwar nicht im alten fast scherzhaften Sinne, "die Verrückten" seien "die Normalen" und "die Normalen" die eigentlich Verrückten, sondern in dem Sinne, dass psychische oder psycho-physische Krankheit eine "Radikalisierung" der Normalität im Sinne von Normiertem darstellt und damit unter gegebenen Fetisch- und Verdinglichungsbedingungen den massenhaft existenten "objektivistischen Wahrnehmungsmodus" bis zur Selbstzerstörung und/oder Zerstörung anderer Menschenobjekte zuspitzt. Der Abstand zwischen den "Kranken" und den "Gesunden" ist minimal bzgl. des Lebensprozesses, die Folgen freilich können fundamental sein. Die "Gesunden" können sich mit dem "kranken Täter" in solchen Zusammenhängen leichter beschäftigen, weil sie ihn als Projektionsfläche zur Angstabwehr hinsichtlich eigener selbstzerstörerischer oder mörderischer Phantasien nutzen oder als Objekt funktionalisieren können, an dem sie den angeblich riesigen Unterschied zwischen sich und den anderen "normal Gesunden" und "dem anormal Kranken" verdeutlichen wollen - in Wahrheit selbstverständlich halluzinieren müssen. Diese Überlegung bringt mich immer wieder dazu, die brutalen Schläger, die Folterer, die "Amokläufer" usw. als "funktionstüchtige Elite", also letztlich als diejenigen zu betrachten, welche die herrschenden BewusstSeinsstrukturen bis zur letzten Konsequenz bringen.

2. Zitat: "vielleicht mögen sich nun gerade diejenigen unter Ihnen, die mit solchen spielen nichts im sinn haben, in ihrer ablehnung bestätigt fühlen - aber ich möchte abschließend nochmal die zwei für mich entscheidenden punkte hervorheben: genauso wenig, wie bspw. ein naziparteitagsfilm von leni riefenstahl niemanden zum nazi machen kann, der/die nicht schon entsprechende dispositionen besitzt, kann eine virtuelle spielwelt jemanden zum amok bringen. der zusammenbruch der wahrnehmungsfähigkeiten, welche die grenzen zwischen virtuell und real unsicher werden lassen, hat mit solchen spielen imo nichts zu tun. sie können einen fortschreitenden prozess der de-realisierung (als dissoziatives phänomen) möglicherweise verstärken - aber nicht auslösen.und vor diesem hintergrund sollte der aktionismus "verbietet die killerspiele!", der uns gegenwärtig mal wieder als hauptmaßnahme gegen taten wie in emsdetten präsentiert wird, als das verstanden werden, was er imo tatsächlich ist: schein- und ablenkungsdebatten innerhalb gesellschaftlicher kreise, die ihre köpfe gegenüber der selbst produzierten realität größtenteils weiter tief im sand stecken haben."

Ich möchte die Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang erst einmal auf andere Fragen richten: Warum gab es einen Riefenstahl-Film dieser Art? Warum erzeugt er bei vielen heute noch ästhetisches Wohlbefinden? Warum konnte Rammstein im Videoclip "Stripped" eine lange Passage dieses Films mit Erfolg zeigen? Warum ist ein erheblicher Teil der "virtuellen" Spielewelt gewaltdurchtränkt? Warum besteht ein hoher Prozentsatz der Filmproduktionen (nicht nur Splatterfilme) aus Gewaltdarstellungen? Warum kommt ein offensichtlich intelligenter und sensibler Blogbetreiber wie unser verehrter monoma bei diesem Thema nicht ganz aus fragwürdigen Rechtfertigungsversuchen heraus? Warum behauptet er, dass Prozesse der "De-Realisierung" durch Killerspiele nicht ausgelöst werden können, obwohl er diesen Spielen gerade noch Verstärkungscharakter zugesprochen hat (wenn auch nur möglicherweise, also ganz schwach)? Wahrscheinlich wäre "verursachen" das passende Wort gewesen, denn Killerspiele können auf jeden Fall Killertaten auslösen, nicht allerdings verursachen.

Eine Antwort auf diese Fragen kann ich nur fragmentarisch versuchen.
Von nicht entscheidender, aber doch begleitender Bedeutung scheint die Tatsache zu sein, dass es in der Geschichte der Menschheit noch nie solche Menschenmassen gegeben hat, die in ihrem konkreten Alltag so wenig unmittelbar physische Gewalt erlebt haben (vor allem in den "entwickelten kapitalistischen Staaten"). Insofern können vom Märchen bis zu CS Gewaltdarstellungen als Angstverarbeitung und vielleicht auch als Aggressionsabbau fungieren. Allerdings ist die aktive Handlung in der virtuellen Gewaltwelt doch ein anderer Vorgang als das Zuhören oder Zuschauen.

Aus dem gleichen Umstand heraus aber (weitgehende Abwesenheit von physischer Gewalt - trotz Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch usw. sollte man das erst einmal gesamtgesellschaftlich für die kapitalistischen Metropolenstaaten konstatieren) kann möglicherweise ein gewichtigeres Argument vorgebracht werden. Die Gewaltdiskussion ist bei jedem Vorfall bisher noch deshalb so heftig, weil die gewaltförmige Organisation des sozialdarwinistischen Kapitalismus wesentlich dadurch funktioniert, dass die unmittelbar physische Gewalt in einem Grad monopolisiert ist (beim Staat bzw. letztlich beim Kapital), wie sie es bis ins späte 19. Jahrhundert nicht war. D.h. Unterdrückung, Ausbeutung, Einteilung in Bestimmer/Befehlsgeber und Bestimmte/Gehorsame, in Arm und Reich usw. wird kapitalistisch mit einem "systemischen Gebrauchswertversprechen" durchgesetzt. Neben der Beteiligung aller am Reichtum der Gesellschaft und der sogenannten zivilisierten Lebensweise ist es v.a. die physische Sicherheit und Unversehrtheit, die als ideelle Rechte die soziale Ungleichheit erträglich machen sollen. Nun stellt sich aber nach einer "gemütlichen Zwischenphase" zunehmend heraus, dass im Kapitalismus zwar ungeheurer Reichtum produziert werden kann, dieser aber mitnichten auf Dauer einigermaßen erträglich verteilt werden kann. D.h. die Abwesenheit unmittelbar physischer Gewalt wird durch die Existenz sozial-struktureller Gewalt "erkauft" - und diese Gewalt wird immer spürbarer, für immer mehr Menschen. Die eine Seite des "systemischen Gebrauchswertsversprechens" (= angeblicher Gebrauchswert des demokratischen Kapitalismus für alle) bricht also sukzessive in sich zusammen und entlarvt sich als das, was sie schon immer war: ideell und nicht materiell. Da nun aber alle im "objektivistischen Wahrnehmungsmodus" mehr oder weniger geübt sind, liegt es nahe, dass diejenigen, die besonders auf diese Gebrauchswertversprechen angewiesen sind, also materielle Perspektiven sowie Zuwendung (Zivilisation) benötigen, all dies aber kaum noch erhalten, exakt das am weitgehendsten und immer noch (prinzipiell) gesicherte Gebrauchswertversprechen, nämlich die physische Unversehrtheit außer Kraft setzen, indem sie sich selbst oder andere (und sich selbst) final physisch vernichten. Sie greifen "das System" und die dieses repräsentierende Menschen dort an, wo sie es können. Und sie können es nur dort. Deshalb kommen ja die Täter auch aus allen abhängigen sozialen Schichten - im Jugendalter selbstverständlich auch aus unabhängigen "Herrscherschichten" (Auflehnung gegen den Herrschervater). Deshalb sind für jugendliche "Amokläufer" ja auch Schulen bevorzugte Tatorte (ihr Erfahrungsraum), hingegen für Erwachsene Autostraßen, große Plätze, Kaufhäuser usw.
Anders formuliert: Die "kranken Täter" können sich nur auf der Ebene der physischen Gewalt "objektivieren", um sich im Akt der Mordtat subjektiv (scheinhaft) zu spüren. Diejenigen "kranken Täter", denen andere Mittel zu Verfügung stehen, weil sie in der Ungleichheitsskala oben stehen, wenden selten persönlich physische Gewalt an. Sie können ihre Verzweiflung, ihren Hass, ihren "objektivistischen Wahrnehmungsmodus" in raffinierteren Gewaltformen ausleben.

Unter diesen Voraussetzungen sind "Killerspiele" Ausdruck des sich zunehmend selbstentlarvenden Sozialdarwinismus (er oder ich) und eine durchaus nicht zu verniedlichende Einübungsmaschinerie. Interessant ist ja auch in diesem Zusammenhang, dass die Gewaltdarstellungen (übrigens auch die Pornographie, aber das ist ein anderes Thema, wenn auch nicht nur) ziemlich zeitgleich mit dem allmählichen Niedergang der "gemütlichen Phase" des Kapitalismus (70er Jahre ff) schrittweise drastischer wurden.

Ich betrachte diese fragmentarischen Überlegungen bewusst als Ergänzung zu dem hervorragenden Beitrag "Amok neuen Typs".

LGA

monoma - 28. Nov, 19:57

gerade in kürze:

zum ersten punkt hätte ich aktuell eigentlich nur anzumerken, dass du bei der "funktionstüchtigen elite" eine wichtige spezies vergessen hast, die aber nichtsdestotrotz für allergrößtes unheil verantwortlich ist: die bürokraten/technokraten, die sich als schreibtischtäter meist nicht die hände selbst schmutzig machen, aber ohne deren verbrechensmanagement die geschichte sehr, sehr anders aussehen würde. ich halte diesen typus in diverser hinsicht für den gefährlichsten - vielleicht kann es ein vergleich zwischen der sa und der ss deutlich machen: kriminell-terroristisch und gemeingefährlich alle beide - aber die sa ist nicht zuletzt auch deswegen 1934 faktisch entmachtet worden, weil sie funktional auf ein bestimmtes und sehr - hm, handfestes ausagieren des terrors festgelegt war. wortwörtliche totschläger, die aber nicht die fähigkeiten der - auch intellektuellen und planenden - in ganz anderen dimensionen denkenden nazielite der ss besaß. ein schlichter vergleich zwischen den kz unter sa-regie und den massenmordfabriken der ss macht das deutlich (und klar: ich will hier die ersteren keinesfalls verharmlosen und relativieren - für die opfer war beides genauso tödlich).

der zweite punkt hingegen - hui, da werde ich mehr zeit brauchen, als ich heute und die nächsten tage habe. wenn ich mich bis zum wochenende nicht geäussert habe, nöl ruhig rum ;-)
Lisa Rosa - 28. Nov, 13:09

Wie schön,

daß ich über den Spielverderber dieses Blog entdeckt habe! Ich bin mit allem (Arno Grünscher Psychoanalyse folgenden) Interpretationen der Pschologie des Sebastian B. sehr einverstanden. Besonders gefallen mir die Geanken zum gesellschaftlichen Konzept des Amok als Mittel zur Abwehr der Einsicht in die eigentlich "kranke" Gesellschaft. Und besonders gefällt mir auch die Interpretation von Huellebecqs "Ausweitung der Kampfzone". Ich erinner mich, daß mir das Buch damals sehr gefallen hat und ich wütend war auf die Abwehr der Literaturkritik, die es nicht als gesellschaftlichen Befund gelesen haben wollte, sondern als "verdorbenes Produkt", das nicht zur "schönen" Literatur zu zählen sei. Mir fällt dazu noch ein anderes Buch ein: Peter Hoeg, "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels." In diesem Roman wird die Geschichte dreier hochsensibler und intelligenter Kinder entfaltet, die an den Widersprüchen der Realität und den Double Binds der sie beschulenden Erwachsenen leiden. Sie versuchen, hinter die Widersprüche zu kommen und "forschen" gemeinsam daran. Mit ihren Forschungen bringen sie nicht nur die Schulroutine durcheinander, sondern natürlich auch sich selbst in Gefahr. Einer überlebt das nicht - er zündet sich selbst an. Der zweite gelangt in eine Besserungsanstalt, aus der er nur schwer wieder herauskommt. Die dritte übersteht den Clash einigermaßen unbeschadet, aber auch nur, weil sie im pädagogisch/psychologischen Blick der Lehrer nicht als "krank" gegolten hatte. Ein unglaublich gutes Buch!

monoma - 28. Nov, 20:03

erstmal...

...hallo und willkommen hier.

es beruhigt mich in gewisser hinsicht, dass ich mit meinem eindruck von der "kampfzone" augenscheinlich nicht alleine dastehe.

aber mir ist gerade nicht so recht klar, wo ich mit arno gruens hilfe die psyche des sebastian b. interpretiert hätte ;-)
wildwuchs - 2. Dez, 19:43

diese gesellschaft will größtenteils weiterhin nichts davon wissen, was sie permanent für eine realität produziert - eine grundsätzlich und potenziell für alle mörderische nämlich ----> m.e. der wichtigste satz.
aber, und damit richte ich den finger AUCH auf mich. ich bin auch ein teil dieser gesellschaft. und damit de facto mehr oder weniger an der schaffung der 'mörderischen realität' beteiligt.
die frage ist, wo, wie und ob sich diese teilhabe und mitwirkung reduzieren lässt oder besser, wie ich mich selbst so zu(m) anderen ins verhältnis setze, dass ich und der andere unseren 'eigensinn' für uns selbst als 'eigenes' entwickeln und sich darüber hinaus durch die gemeinsame interaktion, trotzdem so etwas wie sozialität ausbildet, die der sogenannten 'elite' und den schreibtischtätern eine sozialere und weniger mörderische realität entgegensetzt. die gilt es nämlich zu schaffen. nur durch die verringerung der zahl der mittäter und mitläufer wird sich was ändern. wichtig ist nicht 'mitzuhalten' sondern 'sich an sich zu halten'. was fehlt ist achtung. achtung vor sich selbst und vor den anderen. aber nicht achtung, die daraus entsteht, dass die schattenseiten, begrenztheiten und unzulänglichkeiten versteckt werden sondern achtung vor den schwächen und dem werden, die ehrlicherweise die notwendigkeit gegenseitiger hilfe eingestehen und einfordern müsste. ob sie dann in jedem fall gewährt wird, ist ein anderes thema......

monoma - 2. Dez, 20:54

yo...

"aber, und damit richte ich den finger AUCH auf mich. ich bin auch ein teil dieser gesellschaft. und damit de facto mehr oder weniger an der schaffung der 'mörderischen realität' beteiligt."

...und den fragen und schlüssen, die du daraus ziehst, stimme ich grundsätzlich zu.

was mich dabei immer wieder fast kirre werden lässt, ist die tatsache, dass das benannte derzeitige mehrheitsfähige handeln letztlich auch suizidal ist - und einige ansätze (wie bspw. von deMause) zum verstehen dessen laufen auf eine bisher - für mich - eher erahnbare realität hinaus, die mir immer wieder schier unvorstellbar vorkommt...wir müssen uns imo auf einen gigantischen realitätsschock vorbereiten.
wildwuchs - 2. Dez, 21:58

liest sich beängstigend - ich hab demause nicht gelesen - was meinst du mit diesem realitätsschock, wie wird er sich äussern, was vermutest oder erahnst du?

Andre (Gast) - 15. Mär, 17:34

Vielleicht taugt auch das alte Amok-Verständnis als Affekttat wenig.
monoma - 16. Mär, 19:47

das alte amok-verständnis...

...macht für die fraglichen taten tatsächlich wenig sinn - genau das habe ich ja versucht, im beitrag herauszuarbeiten. und dazu noch eine mögliche antwort auf die frage zu geben, warum an dem begriff trotzdem festgehalten wird, vor allem von den medien.

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