assoziation: "der kommende aufstand" - ein (gedrucktes) gespenst geht um in europa
"Die Polizei hat die Kontrolle verloren. Das kann man nicht nur in Harlingen erleben, wo in der Nacht von Sonntag auf Montag die größte Schienenblockade in der Geschichte des Wendlands läuft. Eine Schlüsselszene spielt sich 11 Kilometer entfernt ab. Am Kreisverkehr westlich von Dannenberg, dort wo sich die zentralen Kreisstraßen 216 und 248 kreuzen, haben Bauern mit dutzenden Treckern eine schmale Passierstelle eingerichtet: Hier kontrollieren sie den Zugangsverkehr in die Region. „Klar darfst du durch", ruft ein Landwirt einem Autofahrer zu. "Nur keine Polizisten!"
(neulich im wendland)
*
*
zwei orte in europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - einmal die beschauliche ländliche provinz im östlichen niedersachsen; zum anderen die griechische hauptstadt athen. und zwei szenen, die sich jenseits aller unterschiede ideal zur illustration der thesen jenes textes eignen, der im folgenden thema sein soll. vorher aber noch das: die szene in athen fand in jenen tagen des vergangenen mai statt, in denen zehntausende rund um das griechische parlament strömten, in dem die sog. sparbeschlüsse verabschiedet wurden - tage, in sich denen griechenland tatsächlich vielleicht mehr noch als im winter 2008 am rande eines allgemeinen aufstands befand. diese dynamik wurde wie auf einen schlag mit dem tod von drei bankangestellten unter durchaus diskussionswürdigen umständen beendet. aber genau diese geschichte kann auch exemplarisch für all das janusköpfige stehen, was mit dem begriff aufstand untrennbar assoziiert ist.
*
der kommende aufstand also - hinter dem link verbirgt sich die druckreife pdf-fassung dieses textes (aus der ich im folgenden auch zitieren werde), der seit ein paar jahren erst versteckt, dann immer offener, in immer mehr ländern zum gegenstand aufgeregter mutmaßungen mutiert. zumindest im sinne der aufmerksamkeitsökonomie kann sich das "unsichtbare komitee", welches wahlweise als herausgeber und/oder autorInnenkollektiv betrachtet werden kann, bereits etliche punkte gutschreiben. ich weiß seit ein paar jahren von der existenz dieses textes, hauptsächlich aufgrund der furore, die er in frankreich ausgelöst hat (wo sich das buch durchaus als heimlicher bestseller bezeichnen lässt). geschrieben irgendwann in den jahren nach den unruhen in den banlieus 2005, bezieht sich der text zwar auch logischerweise auf spezielle ausprägungen der innerfranzösischen gesellschaftlichen verhältnisse, lässt sich aber durchaus ebenfalls als eine allgemeine situationsbeschreibung vieler gesellschaften des sog. westens lesen. und vor diesem hintergrund empfehle ich durchaus die lektüre. angemerkt werden sollte noch, dass zu dieser lektüre auch ein neueres vorwort gehört, welches 2009 geschrieben wurde und sich zentral auf die griechische dezemberrevolte 2008 bezieht. und dort wird meiner meinung nach deutlicher als in den vorherigen ausgaben, dass sich das "unsichtbare komitee" selbst als kommunistisch verortet - ein kommunismus allerdings, der sich historisch eher an der pariser commune als an die bolschewiki anlehnt.
*
hierzulande gab es meines wissens die erste nennenswerte mediale reaktion im mainstream, nachdem der text 2009 tatsächlich in einem verlag erschien und seitdem wie ein ganz normales buch für knapp einen zehner in etlichen buchhandlungen zu erwerben ist (ein vorgang, der im kapitalismus zwar normal, aber gerade bei diesem text mit einem höchstmaß an absurdität verbunden ist). in der "taz" durfte ein mitarbeiter der grünen bundestagsfraktion einen eher unverblümten verriß schreiben, mit einem - aus seiner sicht - nachvollziehbaren schwerpunkt:
(...) "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen." (...)
ist natürlich auch zu ärgerlich, wenn man sich als irgendwielinker unter dem dach der grünen partei in der "repräsentativen demokratie und ihren institutionen" häuslich und vor allem bequem eingerichtet hat - und dann kommen da irgendwelche anonymen chaoten aus frankreich und feuern genau gegen das eigene heim eine theoretische breitseite ab, die in gewisser weise massenwirksam zu werden droht. da heißt es dann, die eigene vergangenheit zu plündern, um diesem treiben systemtragende riegel vorzuschieben.
in den letzten wochen nun wurde der kommende aufstand aus gründen, die mir nicht ganz klar sind - stuttgart und gorleben mögen hier eine rolle spielen - auch zum thema besonders des konservativen und "liberalen" feuilletons. den interessantesten beitrag finde ich denjenigen von nils minkmar in der "faz", der unter dem titel Seid faul und militant! unter anderem den wirkungsgrad des textes einzugrenzen versucht:
(...) "Doch das ist erst der Anfang: „Nie war das Gefühl eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs so lebhaft!“ So steht es in „Der kommende Aufstand“, einem französischen Buch, das dieser Tage abseits der Buchhandlungen und Bestsellerlisten stetig an Lesern und Relevanz gewinnt. Glenn Beck, der einflussreiche rechtsanarchistische amerikanische Fernsehprediger, hat schon vor Monaten eine ganze Sendung lang gegen das Werk monologisiert. An britischen und französischen Universitäten wird es als kanonischer Text studiert und besprochen.
Und wenn, wie in der vergangenen Woche in Berlin, nachts die Autos brennen, im Kanzleramt ein Sprengkörper griechischer Anarchisten gefunden wird und die S-Bahn aus ungeklärten Gründen ausfällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahenden Großstörung breitmacht, dann passt das dermaßen perfekt zu der in diesem Buch entwickelten Strategie, dass man an bloßen Zufall nicht mehr glauben mag." (...)
minkmar setzt sich als vielleicht einziger autor der ganzen rezensentenriege besonders am schluß seines besprechung auf eine ernstzunehmende art und weise mit den thesen des "aufstands" auseinander, und darauf werde ich später nochmals zurückkommen. ansonsten taucht in so ziemlich allen artikeln über kurz oder lang unweigerlich der name michel houellebecq auf, und vielleicht lässt sich hier auch eine art feuilletonistischer strategie bei der arbeit sehen, die darauf zielt, die explosivität einiger inhaltlicher thesen mittels der magischen beschwörung "und es sei und werde kunst!" zu entschärfen - deutlicher wird das in der "neuen züricher":
(...) "Ich wollte mir das Bändchen eigentlich nur aus Neugier und aus Jux kaufen, davon überzeugt, dass sein verquaster Inhalt und sein schwerverdaulicher Jargon mich schmunzeln machen würden. Zumindest was letzteren Punkt betrifft, lag ich freilich völlig daneben. «L'insurrection qui vient» verzichtet weitgehend auf jede Phraseologie und ist in einem eiskalten, messerscharfen Stil verfasst. Das Bändchen liest sich wie ein früher Roman von Michel Houellebecq, nur ist es viel besser geschrieben (was zugegebenermassen mit einem Mindestmass an Begabung nicht sehr schwer ist)." (...)
gerade die letzten sätze lassen sich als schönes beispiel für das obligatorische bürgerliche kulturgeschwätz ansehen, und an houellebecq ist in diesem zusammenhang anscheinend wirklich kein vorbeikommen, wie auch die "süddeutsche" findet:
(...) "Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine "Ästhetik des Widerstands" für das neue Jahrtausend. Der erste Teil ist in sieben "Kreise" unterteilt, ein Verweis auf Dantes Inferno. In der Hölle unserer Tage ist der Mensch eine kleine, überflüssige Konsum-Monade, der als Lebenssinn nur das kalte Neonlicht der Warenwelt bleibt. Das System ist überall, fast wie Gas ist es noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen. Aber gerade weil es unbesiegbar und übermächtig ist, muss man jetzt dagegen aufbegehren.
Während die meisten Europäer seit zwei Jahren angststarr auf die vielköpfige Hydra der Krise blicken und darauf hoffen, dass alles noch mal gutgehen möge, wird hier mit heiterster Miene davon ausgegangen, dass die Katastrophe des Zusammenbruchs längst begonnen hat. (...)
Kurzum: Die ersten 60 Seiten sind eine Gegenwartsanalyse, so beißend wie poetisch, geschult an Guy Debord, Antonio Negri, Giorgio Agamben, und oft meint man Michel Houellebecqs Stimme durchzuhören, wenn da genüsslich die Kälte und Vereinsamung der Leistungsgesellschaft beschrieben wird." (...)
naja. jenseits von houellebecq, von dem ich besonders seine "ausweitung der kampfzone" schätze, sind mir beim ersten lesen vor allem folgende dinge aufgefallen: erstens setzt der text durchaus einiges voraus; zweitens eignet er sich nicht nur deswegen - ohne das jetzt abwertend zu meinen - nicht unbedingt dafür, mal eben schnell die pause auf der nächsten baustelle abzupassen und dort den arbeitern eine alternative zum totschläger mit den vier buchstaben in die hand zu geben; und drittens enthält er tatsächlich eine fülle von metaphern und sätzen, die geeignet sind, dinge und verhältnisse auf den punkt zu bringen oder sie zumindest kenntlich werden zu lassen. viertens aber sind jenseits aller formulierungskünste dann doch die inhaltlichen aussagen bei so einem text immer noch das wichtigste, und einige dieser aussagen sollen im nächsten beitrag genauer unter die lupe genommen werden. wobei ich einerseits besonders aus meiner heutigen perspektive (d.h. dieses blogs) schauen werde, zum anderen aber auch meine eigene vergangenheit eine rolle spielt - etliche jahre in der autonomen linken haben mich auch etliche sog. militanzdebatten miterleben lassen, ebenso wie direkte erlebnisse der existenz, folgen und wirkungen von (massen-)militanz - im guten wie im schlechten.
*
und unabhängig von meinen eigenen inhaltlichen wertungen noch dieses: falls Sie dieses jahr wieder mal nicht wissen, ob und was Sie weihnachten verschenken sollen, ist das ein guter tipp. ausgedruckt, hübsch gebunden und mit wahlweise kunstvoller schleife oder aber an einem pflasterstein angebunden, eignet sich der kommende aufstand als stilvolles und zeitgemäßes präsent unter jedem baum. und statt der obligatorischen lieder lässt sich damit eine inspirierende leserunde im kreise der liebsten veranstalten. und auch auf jeder firmenweihnachtsfeier ist ein großes hallo! garantiert.
(neulich im wendland)
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zwei orte in europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - einmal die beschauliche ländliche provinz im östlichen niedersachsen; zum anderen die griechische hauptstadt athen. und zwei szenen, die sich jenseits aller unterschiede ideal zur illustration der thesen jenes textes eignen, der im folgenden thema sein soll. vorher aber noch das: die szene in athen fand in jenen tagen des vergangenen mai statt, in denen zehntausende rund um das griechische parlament strömten, in dem die sog. sparbeschlüsse verabschiedet wurden - tage, in sich denen griechenland tatsächlich vielleicht mehr noch als im winter 2008 am rande eines allgemeinen aufstands befand. diese dynamik wurde wie auf einen schlag mit dem tod von drei bankangestellten unter durchaus diskussionswürdigen umständen beendet. aber genau diese geschichte kann auch exemplarisch für all das janusköpfige stehen, was mit dem begriff aufstand untrennbar assoziiert ist.
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der kommende aufstand also - hinter dem link verbirgt sich die druckreife pdf-fassung dieses textes (aus der ich im folgenden auch zitieren werde), der seit ein paar jahren erst versteckt, dann immer offener, in immer mehr ländern zum gegenstand aufgeregter mutmaßungen mutiert. zumindest im sinne der aufmerksamkeitsökonomie kann sich das "unsichtbare komitee", welches wahlweise als herausgeber und/oder autorInnenkollektiv betrachtet werden kann, bereits etliche punkte gutschreiben. ich weiß seit ein paar jahren von der existenz dieses textes, hauptsächlich aufgrund der furore, die er in frankreich ausgelöst hat (wo sich das buch durchaus als heimlicher bestseller bezeichnen lässt). geschrieben irgendwann in den jahren nach den unruhen in den banlieus 2005, bezieht sich der text zwar auch logischerweise auf spezielle ausprägungen der innerfranzösischen gesellschaftlichen verhältnisse, lässt sich aber durchaus ebenfalls als eine allgemeine situationsbeschreibung vieler gesellschaften des sog. westens lesen. und vor diesem hintergrund empfehle ich durchaus die lektüre. angemerkt werden sollte noch, dass zu dieser lektüre auch ein neueres vorwort gehört, welches 2009 geschrieben wurde und sich zentral auf die griechische dezemberrevolte 2008 bezieht. und dort wird meiner meinung nach deutlicher als in den vorherigen ausgaben, dass sich das "unsichtbare komitee" selbst als kommunistisch verortet - ein kommunismus allerdings, der sich historisch eher an der pariser commune als an die bolschewiki anlehnt.
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hierzulande gab es meines wissens die erste nennenswerte mediale reaktion im mainstream, nachdem der text 2009 tatsächlich in einem verlag erschien und seitdem wie ein ganz normales buch für knapp einen zehner in etlichen buchhandlungen zu erwerben ist (ein vorgang, der im kapitalismus zwar normal, aber gerade bei diesem text mit einem höchstmaß an absurdität verbunden ist). in der "taz" durfte ein mitarbeiter der grünen bundestagsfraktion einen eher unverblümten verriß schreiben, mit einem - aus seiner sicht - nachvollziehbaren schwerpunkt:
(...) "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen." (...)
ist natürlich auch zu ärgerlich, wenn man sich als irgendwielinker unter dem dach der grünen partei in der "repräsentativen demokratie und ihren institutionen" häuslich und vor allem bequem eingerichtet hat - und dann kommen da irgendwelche anonymen chaoten aus frankreich und feuern genau gegen das eigene heim eine theoretische breitseite ab, die in gewisser weise massenwirksam zu werden droht. da heißt es dann, die eigene vergangenheit zu plündern, um diesem treiben systemtragende riegel vorzuschieben.
in den letzten wochen nun wurde der kommende aufstand aus gründen, die mir nicht ganz klar sind - stuttgart und gorleben mögen hier eine rolle spielen - auch zum thema besonders des konservativen und "liberalen" feuilletons. den interessantesten beitrag finde ich denjenigen von nils minkmar in der "faz", der unter dem titel Seid faul und militant! unter anderem den wirkungsgrad des textes einzugrenzen versucht:
(...) "Doch das ist erst der Anfang: „Nie war das Gefühl eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs so lebhaft!“ So steht es in „Der kommende Aufstand“, einem französischen Buch, das dieser Tage abseits der Buchhandlungen und Bestsellerlisten stetig an Lesern und Relevanz gewinnt. Glenn Beck, der einflussreiche rechtsanarchistische amerikanische Fernsehprediger, hat schon vor Monaten eine ganze Sendung lang gegen das Werk monologisiert. An britischen und französischen Universitäten wird es als kanonischer Text studiert und besprochen.
Und wenn, wie in der vergangenen Woche in Berlin, nachts die Autos brennen, im Kanzleramt ein Sprengkörper griechischer Anarchisten gefunden wird und die S-Bahn aus ungeklärten Gründen ausfällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahenden Großstörung breitmacht, dann passt das dermaßen perfekt zu der in diesem Buch entwickelten Strategie, dass man an bloßen Zufall nicht mehr glauben mag." (...)
minkmar setzt sich als vielleicht einziger autor der ganzen rezensentenriege besonders am schluß seines besprechung auf eine ernstzunehmende art und weise mit den thesen des "aufstands" auseinander, und darauf werde ich später nochmals zurückkommen. ansonsten taucht in so ziemlich allen artikeln über kurz oder lang unweigerlich der name michel houellebecq auf, und vielleicht lässt sich hier auch eine art feuilletonistischer strategie bei der arbeit sehen, die darauf zielt, die explosivität einiger inhaltlicher thesen mittels der magischen beschwörung "und es sei und werde kunst!" zu entschärfen - deutlicher wird das in der "neuen züricher":
(...) "Ich wollte mir das Bändchen eigentlich nur aus Neugier und aus Jux kaufen, davon überzeugt, dass sein verquaster Inhalt und sein schwerverdaulicher Jargon mich schmunzeln machen würden. Zumindest was letzteren Punkt betrifft, lag ich freilich völlig daneben. «L'insurrection qui vient» verzichtet weitgehend auf jede Phraseologie und ist in einem eiskalten, messerscharfen Stil verfasst. Das Bändchen liest sich wie ein früher Roman von Michel Houellebecq, nur ist es viel besser geschrieben (was zugegebenermassen mit einem Mindestmass an Begabung nicht sehr schwer ist)." (...)
gerade die letzten sätze lassen sich als schönes beispiel für das obligatorische bürgerliche kulturgeschwätz ansehen, und an houellebecq ist in diesem zusammenhang anscheinend wirklich kein vorbeikommen, wie auch die "süddeutsche" findet:
(...) "Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine "Ästhetik des Widerstands" für das neue Jahrtausend. Der erste Teil ist in sieben "Kreise" unterteilt, ein Verweis auf Dantes Inferno. In der Hölle unserer Tage ist der Mensch eine kleine, überflüssige Konsum-Monade, der als Lebenssinn nur das kalte Neonlicht der Warenwelt bleibt. Das System ist überall, fast wie Gas ist es noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen. Aber gerade weil es unbesiegbar und übermächtig ist, muss man jetzt dagegen aufbegehren.
Während die meisten Europäer seit zwei Jahren angststarr auf die vielköpfige Hydra der Krise blicken und darauf hoffen, dass alles noch mal gutgehen möge, wird hier mit heiterster Miene davon ausgegangen, dass die Katastrophe des Zusammenbruchs längst begonnen hat. (...)
Kurzum: Die ersten 60 Seiten sind eine Gegenwartsanalyse, so beißend wie poetisch, geschult an Guy Debord, Antonio Negri, Giorgio Agamben, und oft meint man Michel Houellebecqs Stimme durchzuhören, wenn da genüsslich die Kälte und Vereinsamung der Leistungsgesellschaft beschrieben wird." (...)
naja. jenseits von houellebecq, von dem ich besonders seine "ausweitung der kampfzone" schätze, sind mir beim ersten lesen vor allem folgende dinge aufgefallen: erstens setzt der text durchaus einiges voraus; zweitens eignet er sich nicht nur deswegen - ohne das jetzt abwertend zu meinen - nicht unbedingt dafür, mal eben schnell die pause auf der nächsten baustelle abzupassen und dort den arbeitern eine alternative zum totschläger mit den vier buchstaben in die hand zu geben; und drittens enthält er tatsächlich eine fülle von metaphern und sätzen, die geeignet sind, dinge und verhältnisse auf den punkt zu bringen oder sie zumindest kenntlich werden zu lassen. viertens aber sind jenseits aller formulierungskünste dann doch die inhaltlichen aussagen bei so einem text immer noch das wichtigste, und einige dieser aussagen sollen im nächsten beitrag genauer unter die lupe genommen werden. wobei ich einerseits besonders aus meiner heutigen perspektive (d.h. dieses blogs) schauen werde, zum anderen aber auch meine eigene vergangenheit eine rolle spielt - etliche jahre in der autonomen linken haben mich auch etliche sog. militanzdebatten miterleben lassen, ebenso wie direkte erlebnisse der existenz, folgen und wirkungen von (massen-)militanz - im guten wie im schlechten.
*
und unabhängig von meinen eigenen inhaltlichen wertungen noch dieses: falls Sie dieses jahr wieder mal nicht wissen, ob und was Sie weihnachten verschenken sollen, ist das ein guter tipp. ausgedruckt, hübsch gebunden und mit wahlweise kunstvoller schleife oder aber an einem pflasterstein angebunden, eignet sich der kommende aufstand als stilvolles und zeitgemäßes präsent unter jedem baum. und statt der obligatorischen lieder lässt sich damit eine inspirierende leserunde im kreise der liebsten veranstalten. und auch auf jeder firmenweihnachtsfeier ist ein großes hallo! garantiert.
monoma - 13. Nov, 00:50
und hier geht´s...
Meine Frage, wer hat hier was gegen die westliche Kultur? Ohne sie gäbe es weder Punk noch Jazz, keine moderne Kunst, und ja, keine proletarischen Revolutionen, kolegi. Arm wär die Welt, sag ich.
"Aus dem Nichts taucht der Jude als Welt-Innenarchitekt auf" - ja, Trampert fasst es besonders schön zusammen: "Der Begriff »Kommunismus« wird neu definiert als »Aufruf und Name für all die Welten, die gegen die imperiale Befriedung Widerstand leisten« – also auch die Taliban und die Hamas. Deshalb kennt der »Aufstand« auch keine »Zugehörigkeit zu einer Klasse, Rasse oder einem Wohnviertel«. Die behauptete Existenz von Rassen ist eine der vielen Entgleisungen. »Faschismus oder Anarchismus« (in einem Atemzug) trennten falsch zwischen »dem, was wir sind, was wir machen, und dem, was wir werden«. Diese Geschwätzigkeit durchzieht das ganze Buch. Was wir sind und werden, das ist auch fürs Komitee nicht dasselbe. Es fragt: »Wie ernährt man sich, wenn alles lahm gelegt ist?« und empfiehlt die »Kriegs-Landwirtschaft«. Es will »nie wieder arbeiten«, aber »die Nahrungsmittelkulturen der ländlichen Zonen wieder herstellen«, und das, obwohl »die Zukunft keine Zukunft hat« und »die Gegenwart ausweglos ist«. Unendliches Palaver!"
Ciao
W.
Gelesen