in einem vergangenen beitrag hatte ich per überschrift diese frage gestellt: ist borderline mörderischer *pop*? nun taucht aktuell online diese meldung auf:
"Einer der weltweit führenden Angstforscher, Borwin Bandelow, hat in einem Interview vielen Mega-Promis gefährliche Persönlichkeitsstörungen attestiert. Verbreitete Symptome seien Narzissmus und Borderline."
nun, das finde ich persönlich nicht allzu überraschend (auch nicht die fehlinformation, dass es sich bei borderline um ein "symptom" handeln würde - das allgemeine wissen in diesem bereich ist bekanntlich stark erweiterungsfähig) - wenn Sie sich die bisherigen beiträge hier im blog rund um die themen borderline und narzisstische ps noch einmal in erinnerung rufen, werden Sie sich vielleicht viele argumente für die these ins gedächtnis rufen können, dass gerade die simulativen und fiktiven welten von show und schauspiel eine bevorzugte anziehungskraft für menschen mit bestimmten psychophysischen strukturen besitzen - das lässt sich durchaus auch aus den eigenen wahrnehmungen dieser bereiche und der dort auftretenden protagonistInnen schließen (zumindest, wenn die eigenen wahrnehmungsfähigkeiten noch irritierbar hinsichtlich durch und durch simulierter realitäten sind). und von daher halte ich die folgende, auf den ersten blick seltsame aussage des psychiaters auch nicht für so bizarr, wie´s den anschein haben könnte:
Den Vorwurf, dass die Promis, über die er urteilt, doch gar nicht auf seiner Couch gelegen hätten, lässt Bandelow nicht gelten: "Die Diagnose erfordert keinen psychiatrischen Feinsinn."
am argument, dass ein eigener, unmittelbarer wahrnehmungseindruck am sichersten relevante informationen über den (inneren) zustand eines anderen menschen geben kann, ist sicher einiges dran. bloß: wenn es mit den eigenen wahrnehmungsfähigkeiten nicht mehr weit her ist, dann können auch noch so viele objektiv stattfindende nahkontakte keinerlei wichtige informationen vermitteln. umgekehrt aber lassen sich meiner meinung nach auch aus der distanz und aus medialen und biographischen fragmenten aller art durchaus korrekte schlüsse über psychophysische zustände bei ansonsten eigentlich fremden personen treffen, wenn dabei einige voraussetzungen beachtet werden - so müssen zb. die quellen, aus denen heraus die eigenen wahrnehmungen sozusagen extrapoliert werden, sorgfältig geprüft sein - und auch die funktionsbedingt bei distanzkontakten eher abstrakteren wahrnehmungsinhalte (die dann fast immer auch vom eigenen objektivistischen modus zu mehr oder weniger sinnvollen gestalten/skulpturen konstruiert und ergänzt werden) müssen anders "gelesen" werden als bei konkreter nähe. wenn allerdings die gerade genannten veränderten voraussetzungen berücksichtigt werden, sehe ich persönlich generell bestimmte arten von "ferndiagnosen" nicht als gänzlich unmöglich an.
"Wenn Drogenabhängigkeit mit Magersucht, Aggressivität, Suizidversuchen und Depressionen kombiniert ist, ist das ein relativ klarer Fall von Borderline. Die Betroffenen haben ihre Emotionen nicht im Griff. Sie erzählen Lügengeschichten. Und obwohl sie sehr selbstbewusst auftreten, halten sie sich für den letzten Dreck."
Auch die Hinwendung vieler Promis zu den unterschiedlichsten religiösen Bewegungen rechnet Bandelow dem Borderline-Syndrom zu: "Wer unter Angst leidet, sucht sein Heil gern in der Religion. Typisch für Borderliner ist, dass sie sich Ausgefallenes suchen. Madonna hat sich der Kabbala zugewandt, Tom Cruise missioniert für Scientology."
und hinsichtlich michael jackson und klaus kinski, die ich persönlich ebenfalls beide für borderlinebetroffen halte, wäre noch das element der öffentlichen identitätskonstruktionen und -wechsel zu nennen, welches bei genauerer beobachtung bei vielen sog. stars zu bemerken ist. essstörungen und selbstverletzendes verhalten als symptome verstärken ebenso wie vielfältiger drogenabusus dann nur noch die indizienreihe.
edit: und es bleibt natürlich notwendig, immer im hinterkopf zu behalten, dass die meisten der oben von dem zitierten psychiater genannten symptome eben auch hinweise auf (post-)traumatische störungen sein können.
eine aufschlußreiche performance von 1974 (via nettblog).
ein weiterer, eher spontaner beitrag zum tagesthema hier (welches auch in der nächsten zeit noch raumfordernd sein wird - ich schätze, es werden mindestens noch zwei fortsetzungen in der psychopathie-reihe folgen) - beim eher aus langeweile zustandegekommenen blättern in alten konkret-ausgaben kam mir etwas unter die augen, was bei mir allerhand finstere gedanken ausgelöst hat - und ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mich alleine damit herumplagen sollte.
*
haben Sie schon mal den namen paul c. martin vernommen? nein? macht auch nichts weiter - das wissenswerte steht im wiki-link, und mir war der name vor heute abend auch nur vage durch den "bild"-"zeitungs"-kontext im gedächtnis. was bei wikipedia allerdings so unter dem wort "kolumnist" verbucht wird, lässt sich konkreter fassen: herr martin hat zumindest zeitweise auch im "penthouse" kolumnen verfasst. und eine davon ist in der ausgabe 1/1993 von konkret auf s. 61 dokumentiert - die kolumne dürfte ende 1992 im original erschienen sein, ist aber trotz ihres fortgeschrittenen alters von zeitloser und wünschenswerter klarheit, wobei der text auch von jedem anderen tatsächlich überzeugten anhänger von freedomanddemocracy verfasst sein könnte, der über den nötigen zynismus verfügt - bitte sehr:
"Nicht daß Sie glauben, ich scherze: Die größten Profite, die nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt mit Aktien zu erzielen waren, von denen haben Sie noch nie etwas gehört. Es war das `Doppel-Plus mit dem Doppel-P´: Das sensationelle Geld, das die Herren Papadopoulos und Pinochet den Anlegern bescherten. Papadopoulos war jener griechische Putschist, der 1967 Panzer auffuhr und für Ruhe, Ordnung und ein Rechtsregime sorgte. Pinochet ist jener chilenische Putschist, der im September 1973 den Sozialisten Allende zum Abgang per Suizid zwang.
Die Börsen von Athen und Santiago erlebten daraufhin Orgasmen. Die Kurse selbst der obskursten Nebenwerte explodierten. Vierfaches, achtfaches, selbst zwanzigfaches Geld war an der Tagesordnung. Und jeder durfte ganz dabeisein. Denn selbst der Kleinsparer Obermoser aus Hinterpfaffenhofen hätte aus zehn Mille hart Erspartem 100.000 Mark oder auch das Doppelte machen können - und das vollständig ohne Risiko. Es gibt auf der Welt keinen sichereren Aktientip als ein Militärregime, ein `rechtes´ notabene. Wenn die Linksoppositionellen im KZ verschwinden, wenn Schweden die diplomatischen Beziehungen abbricht und wenn der Heimatdichter aus den Slums der Hauptstadt den Nobelpreis für Literatur erhält, Anleger, dann ist das Eure Stunde.
Bitte jetzt nicht komisch werden. Gefühle haben an der Börse nichts zu suchen und mit Geldverdienen nichts zu tun.
Legen Sie sich auf Wiedervorlage, wann immer die Zeitungen über einen Rechtsruck jammern, über einen Militärputsch gar. Es genügen auch schon Überschriften wie `Demontage des Sozialstaats´ oder `Streik abgebrochen´ oder auch nur `Umverteilung von unten nach oben´ und `Ellenbogengesellschaft´. Wo immer man wieder starke Schultern aufrecht tragen kann, wo es wieder zackig wird, wo die Worte `Arbeit´, `Leistung´ und `Gewinne´ wieder Klang erhalten, da liegt die Börse richtig.
Wo immer sich die Weltgeschichte hinbewegt, das oberste Prinzip für alles Investieren kann nur lauten: dorthin gehen, wo das Kapital noch sicher ist, dorthin, wo es Geld verdienen kann, verdienen darf."
...
die kriterien der aktuellen icd-10 für die antisoziale bzw. dissoziale persönlichkeitsstörung lauten wie folgt:
F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
Eine Persönlichkeitsstörung, die durch eine Missachtung sozialer Verpflichtungen und herzloses Unbeteiligtsein an Gefühlen für andere gekennzeichnet ist. Zwischen dem Verhalten und den herrschenden sozialen Normen besteht eine erhebliche Diskrepanz. (was, wie schon heute nachmittag erwähnt, dann ein problematisches kriterium wird, wenn die herrschenden sozialen normen selbst bereits soziopathische züge aufweisen, anmerk. mo) Das Verhalten erscheint durch nachteilige Erlebnisse, einschließlich Bestrafung, nicht änderungsfähig. Es besteht eine geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten, eine Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten, durch das der betreffende Patient in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist.
und zum begriff der soziopathie, der den gleichen defekt (das wort benutze ich hier ganz bewusst) bezeichnet, lässt sich folgende - und imo treffende - zusammenfassung bei wikipedia finden:
"Seitdem gilt der Begriff für die neuropathologisch bedingte Unfähigkeit, soziale Kompetenzen wie Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Unrechtsbewusstsein zu entwickeln."
frage: schafft der kapitalismus den soziopathen, oder schafft sich der soziopath im kapitalismus das ihm adäquate (und am besten angepasste) sozioökonomische system? oder ist es eine art dialektisches wechselspiel?
haben Sie übrigens schon den hier früher empfohlenen film the corporation gesehen?
*edit am 04.03: tja, da ist mir das gestern erwähnte begriffswirrwarr selbst auf die füße gefallen (nicht das erste mal) - so wird zwar im psychiatrischen mainstream eben das wort soziopathie als synonym für die antisoziale ps genutzt (während die psychopathie noch darüber hinaus teils als synonym für so ziemlich alle persönlichkeitsstörungen fungiert) - während ich aus gründen, die teils bereits in den gestrigen beiträgen schon enthalten sind, den ansatz plausibel finde, der die psychopathie als abgrenzbare und eigenständige untergruppe der antisozialen ps ansieht. wobei es vielleicht zu überlegen ist, ob dem begriff soziopathie nicht eher der vorzug zu geben ist: einmal ist die historie dieses wortes nicht ganz so belastet, zum anderen aber stellt sie die besonders frappierende und ausgeprägte eigenschaft des gesamten antisozialen spektrums in den vordergrund, nämlich das leiden lassen der sozialen umwelt unter dem ausagieren der eigenen störung, während das wort psychopathie eher den individuellen aspekt hervorkehrt - und damit auch die assoziationen zu sehr auf diesen aspekt lenkt, unter vernachlässigung des beziehungsgefüges.
ob also die oben zitierte kolumne im strengen sinne innerhalb eines soziopathischen kontextes zu verstehen ist, lässt sich schlicht und einfach nicht belegen - hingegen gibt es imo genügend gründe dafür, die aussagen des textes als deutlich antisozial zu sehen, selbst nach dem zugehörigen diagnostischen modell. und auch, wenn sich viele indizien dafür finden lassen, innerhalb kapitalistischer strukturen tatsächlich gehäuft personen mit sozio-/psychopathischer struktur zu vermuten, so geht doch das reale antisoziale verhalten (und die zahl der derart agierenden) aller wahrscheinlichkeit nach weit über das vorkommen der echten soziopathen hinaus. was dann eben auch die strukturellen eigenheiten des kapitalismus sozusagen ins rechte licht rückt - und genau das ist u.a. eben auch thema des oben empfohlenen films.
anders: um antisozial zu handeln, muss ich kein sozio-/psychopath im bisher skizzierten sinne sein - dazu reicht eine chronische funktionelle dominanz des objektivistischen modus aus, die in bestimmten formen irgendwann unweigerlich zu ähnlichen einbußen an empathie und sozialem verhalten führt, wie es bei soziopathen als prägende und neurophysiologisch basierte eigenschaft zu beobachten ist.
trotz der in der einführung zum thema angesprochenen schwer belasteten historie des begriffs psychopath - die heute darunter verstandene realität existiert imo unbezweifelbar für sich - und deshalb jetzt zur frage der überschrift.
*
viele leserInnen hier werden wahrscheinlich ihr bild des psychopathen zu einem großen teil durch produktionen der popkultur - wie zb. die fiktive figur des hannibal lecter aus dem film "das schweigen der lämmer" - bezogen haben: ein überdurchschnittlich intelligenter, emotional kalter, rücksichtsloser und berechnender mensch. lecter ist dabei durchaus als eine zwar überzeichnete, jedoch annäherend realitätsnahe psychopathische figur entworfen worden - so sind sowohl das fiktive trauma in seiner biographie als auch die hier beschriebene eigenschaft
"Bei der Durchführung des EKGs greift er dort eine Krankenschwester an und isst deren Zunge, ohne dass seine Herzfrequenz jemals über 85 Schläge pro Minute (Ruhepuls) steigt."
durchaus in realen psychopathischen biographien wiederzufinden, gerade die letztere besonderheit - das erwähnte trauma jedoch kann, muss aber nicht vorhanden sein.
ein mörderischer "super-verbrecher" wie lecter jedoch ist - zum glück - in der realität weiter eher eine ausnahme, wobei sich viele serienmörder durchaus als psychopathen begreifen lassen. ein beispiel für das weiter verbreitete nichtmörderische wirken von psychopathen ließ sich vor einigen monaten in etlichen medien finden:
"Falscher Fürst foppt den Bundestag
Als falscher Fürst hinterging er die Düsseldorfer High Society, als vermeintlicher Praktikant ging er im Bundestag ein und aus: Ein 21-jähriger Betrüger soll sich monatelang ungehindert Zutritt zu diversen Abgeordnetenbüros erschlichen haben.
(...)
Zunächst habe der vorbestrafte Betrüger Anfang des Jahres ein Praktikum beim heutigen Wehrbeauftragten des Bundestags, Reinhold Robbe, begonnen, hieß es in dem Bericht. Als der Polizeidienst des Bundestages auf die früheren Verurteilungen des Mannes hingewiesen hatte, sei er allerdings nach wenigen Tagen entlassen worden. Dem Blatt zufolge erlangte der 21-Jährige wegen seines sicheren Auftretens auch danach noch Zugang zu den Abgeordnetenbüros.
Mehrfach habe der Hochstapler darauf verwiesen, ein Neffe von Rudolf Seiters zu sein. Als vorgeblicher Praktikant von Wolfgang Thierse habe er auf zahlreichen Abendveranstaltungen Kontakte zu Verbänden und Botschaften geknüpft.
(...)
In Düsseldorf hatte sich der Betrüger als "Jörg Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein zu Berleburg" das Vertrauen der High Society erschwindelt. Er war laut Polizei an seinem 21. Geburtstag festgenommen worden, als er unbezahlte Lieferungen von einer Postfiliale abholen wollte. In seiner Wohnung fanden die Ermittler unbezahlte Waren im Wert von 15.000 Euro, darunter Luxuskleidung und Plasmabildschirme. Den Düsseldorfer Ermittlern zufolge war der Mann zuvor auch als falscher Arzt und falscher Polizeibeamter in Berlin aufgefallen."
hier spricht vieles dafür, einen psychopathischen hintergrund anzunehmen: das "sichere auftreten" in unzähligen fakes bzw. "als-ob"-simulationen ist ein wesentliches indiz dafür. gleichzeitig aber macht das zielsichere bewegen des mannes in lauter kreisen, die als "gesellschaftliche eliten" angesehen werden, auch etwas anderes deutlich: nämlich erstens die anfälligkeit innerhalb dieser kreise für simulationen und fakes, was zweitens auch ein hinweis darauf sein dürfte, dass es mit authentischen menschlichen beziehungen dort nicht mehr so weit her sein dürfte bzw. beziehungssimulationen weit verbreitet sind - was das agieren von psychopathen enorm erleichtert bzw. sie am wirkungsvollsten vor der "enttarnung" schützt. der bereich der (überzeugenden) hochstapler, trickdiebe und betrüger jedenfalls darf als ein bevorzugter tummelplatz von menschen mit einer störung dieses kalibers angesehen werden.
*
das lässt sich aus der oben dem fiktiven lecter zugeschriebenen psychophysischen besonderheit folgen, die als eines der wesentlichen merkmale echter psychopathen gelten kann - auszüge aus einem empfehlenswerten radiomanuskript :
"Psychopathen neigen überhaupt nicht zu starken Empfindungen, vor allem verspüren sie nur sehr wenig Angst."
das ist ein ganz entscheidender punkt, der den betroffenen zumindest in vielen gesellschaftlich-sozialen situationen zu einem gewaltigen vorteil verhelfen dürfte - wer nur wenig bis gar keine ängste verspürt, kann logischerweise sehr überzeugend simulieren/schauspielern, gerade in echten situationen, die nicht auf einer bühne stattfinden - um überzeugend zu tricksen und zu faken, ist angstfreiheit eine wesentliche vorbedingung. diese besondere art angstfreiheit bei psychopathischen persönlichkeiten ist nicht nur objektivierbar bzw. messbar, zb. innerhalb von besonderen experimentiellen situationen:
"Bei jedem fünften gewalttätigen Mann verlangsamte sich der Herzschlag hingegen. Die Forscher erinnerte dieser Typ Mann an eine Giftschlange, die ruhig und konzentriert wirkt, bevor sie blitzschnell zubeißt. Deshalb nannten sie ihn Kobra - im Unterschied zum aggressiv aufgeputschten Typ „Pitbull“. Kobras regen sich nicht auf, sie setzen Gewalt gezielt ein, um die Frau unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht alle Kobras sind Psychopathen, aber etliche sehr wohl."
sondern lässt sich auch direkt als folge neurophysiologischer veränderungen ansehen:
"In den letzten Jahren haben Forscher nicht mehr nur Puls und Hautleitfähigkeit gemessen, sondern sich auch das Gehirn von Psychopathen angeschaut. Sie sind auf zahlreiche Auffälligkeiten gestoßen. Psychiater Müller-Isberner nennt eine:
O-Ton 6 - Rüdiger Müller-Isberner:
Wenn man sich, und das ist heute maschinell möglich, wenn man sich sozusagen Aktivitäten des lebenden Gehirnes anguckt, sieht man, dass es im Bereich des Vorderhirnes, also oberhalb unserer Augen im Frontalhirn ein Funktionsdefizit gibt. Das Frontalhirn ist von der Evolution her, von der Entwicklung der jüngste Teil unseres Gehirns. Unsere Funktionen im Frontalhirn, das sind auch die, die uns von den anderen Lebewesen, den anderen Tieren unterscheiden.
Sprecherin:
Psychopathen verfügen im Frontalhirn über elf Prozent weniger so genannte graue Masse, das ist ein Teil des Nervengewebes. Dies hat Adrian Raine mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie nachgewiesen, einem Verfahren, das Bilder des Gehirns erzeugen kann.
Das Frontalhirn sorgt dafür, dass wir im richtigen Moment handeln, aber auch dafür, dass wir manche Handlungsimpulse nicht ausführen. Was passieren kann, wenn es beschädigt wird, zeigen Fallstudien der Universität von Iowa. Eine Patientin war als Kleinkind von einem Auto überfahren worden. Sie schien sich innerhalb weniger Tage zu erholen. Doch bald erwies sie sich als praktisch unerziehbar. Sie reagierte weder auf mahnende Worte noch auf körperliche Strafen. Sie bestahl ihre Familie und andere Kinder. Sie log viel, hatte keine Freunde, lief von zuhause weg. Mit 18 bekam sie ungeplant ein Kind, das sie gefährlich vernachlässigte. Überhaupt schien sie unfähig zur Empathie zu sein. Kurz, sie zeigte viele psychopathische Züge. Ein Gehirnbild der inzwischen 20-jährigen verriet die Ursache der Störung: Ihr Frontalhirn war geschädigt."
neben der angstfreiheit taucht hier jetzt offen ausgesprochen ein zweites wesentliches merkmal auf: die unfähigkeit zur empathie, die unmittelbar mit der angstfreiheit zusammenhängt - denn wenn sich jemand erstens selbst keinen begriff von angst generell machen kann (bzw. sie nicht wahrnehmen kann, was auf das gleiche hinausläuft), dann kann diese person zwangsläufig auch nicht nachfühlen, wenn sie bei anderen ängste auslöst. spekulativ lässt sich annehmen, dass gerade die teile des gehirns geschädigt sind, in denen sich zumindest z.t. die erst seit kurzem bekannten spiegelneurone befinden, die nach weiteren forschungsergebnissen auch bei der möglichen autismus-genese eine rolle spielen. das in der einführung erwähnte begriffswirrwarr von der psychopathie über das autistische spektrum hin zu den persönlichkeitsstörungen und sogar in den bereich der psychotraumata könnte zu einem teil daraus entstehen, dass das spektrum der überlappungen von möglichen symptomen tatsächlich einen hinweis auf strukturelle innere verwandtschaften bei den betreffenden störungen darstellt - was keinesfalls heisst, dass die jeweils individuellen daraus folgenden lebens- und verhaltensweisen bei den betroffenen nicht extrem unterschiedlich sein können. aber diesem eindruck kann ich mich nach einer langen beschäftigung mit dem thema einfach nicht entziehen. ebensowenig dem gefühl, dass bei den weitaus meisten dieser störungsbilder bösartige soziale prozesse - gewalttätige prozesse - entscheidend an der entstehung beteiligt sind.
fortsetzung folgt.
(bereits im blog vorhandene themenbezogene fragmente lassen sich hier nachlesen).
bei der recherche zu diesem gleichzeitig bedrohlichen, aber auch irgendwie faszinierendem thema (eine reaktion, die ich nicht nur bei mir feststellen kann und die eigentlich einer näheren betrachtung bedarf), wurde wieder einmal mehreres deutlich: einmal das chaotische begriffswirrwarr in der psychiatriegeschichte, zum anderen aber auch die ungenügend reflektierten gesellschaftlichen implikationen des themas. wozu auch der begriff psychopath(ie) selbst gehört:
“Psychopathie ist eine veraltete Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung, die aufgrund charakterlich-konstitutioneller Gründe zu einer Anpassungsstörung führt, unter der sowohl der "Psychopath" als auch die Umwelt zu leiden haben.
Im ICD-10, der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, wird Psychopathie nicht speziell, aber in Verbindung mit 2 Erkrankungen erwähnt:
* ICD 10 F84.5 autistische Psychopathie:
o (ICD 10 F84.0) Tiefgreifende Entwicklungsstörung (Sammelbezeichnung für Autismus, Asperger-Syndrom, Rett-Syndrom)
o (ICD 10 F84.5) Asperger-Syndrom (heutzutage besser: Asperger-Autismus)
(...)
Daneben werden auch manche Persönlichkeitsstörungen (ICD 10 F60) unter die Psychopathien gerechnet, vor allem die:
* Paranoide Persönlichkeitsstörung
* Schizoide Persönlichkeitsstörung
* Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (aka borderline, anmerk. mo)
* Dissoziale ("antisoziale") Persönlichkeitsstörung“
auch wenn artikel von wikipedia von fall zu fall mit einiger skepsis zu betrachten sind - das, was rund um den komplex "psychopathie" zusammengetragen worden ist, gibt in einer einigermaßen verständlichen form kurz und knapp wesentliche und relevante informationen wieder. dazu gehören sowohl die begriffe soziopathie als auch die antisoziale persönlichkeitsstörung. wenn Sie sich die links betrachten (was für das verständnis durchaus hilfreich wäre), werden Sie neben inhaltlichen überlappungen bei den definitionen der obigen begriffe auch erwähnungen anderer wohlbekannter diagnostischer begriffe finden, wie bspw. diagnosen aus dem autistischen spektrum, borderline, die narzisstische ps und auch die postraumatische belastungsstörung.
gleichzeitig sollten Sie sich immer wieder bewußt machen, dass bereits hinsichtlich der a) anerkennung der existenz, b) definition, c) möglicher zusammenhänge untereinander, d) der möglichen beschaffenheit dieser zusammenhänge und e) der daraus zu ziehenden konsequenzen seit jahrzehnten innerhalb von psychiatrie/neurologie und psychologie/diversen psychotherapeutischen ansätzen wilde und z.t. erbitterte auseinandersetzungen toben, die teils seit jahrzehnten andauern. in diesem sinne sind die definitionen der klassifikationen icd-10 und dsm-IV eher als kleinste gemeinsame nenner anzusehen, die nichtsdestotrotz weiteren veränderungen unterworfen sind und auch unterworfen sein werden. bei den möglichen sehr weit gehenden implikationen und konsequenzen sowohl für betroffene als auch für die gesellschaft als ganzes aus diesem diagnosenbereich ist das zwar kein wunder, stellt aber trotzdem für ein imo dringend notwendiges verbreitetes öffentliches verstehen dessen, was sich an realen phänomenen hinter diesen diagnosen verbirgt, ein leider schwer zu überwindendes hindernis dar. das spüre ich selbst u.a. beim schreiben dieses beitrags, der mich seit monaten immer wieder vor probleme gestellt hat.
*
und auch deshalb - um sozusagen eine art roten faden zu haben - versuche ich jetzt bereits im vorgriff, mein persönliches fazit kurz zu umreißen:
- der begriff "psychopathie" sollte nur auf eine ganz bestimmte gruppe von menschen angewendet werden, bei denen sich - dank der fortschritte der neurowissenschaften - deutliche psychophysische bzw. hirnanatomische veränderungen einer bestimmten art nachweisen lassen, welche ein eingrenzbares spektrum von bestimmten wahrnehmungs- und verhaltensweisen nach sich ziehen.
- die psychopathie in diesem sinne ist nicht automatisch gleichzusetzen mit der antisozialen bzw. dissozialen persönlichkeitsstörung - diese gleichsetzung ist ein weit verbreiteter irrtum, der aufgrund der ähnlichkeiten der symptome zwar verständlich ist, nichtsdestotrotz zu einer fehleinschätzung bzw. unterschätzung des problems der "echten" psychopathie führt, die sich, vom heutigen wissenstand ausgehend, eher als eine untergruppe der antisozialen ps begreifen lässt. borderline- und auch traumabetroffene können unter bestimmten umständen zwar zahlreiche oder auch alle symptome der antisozialen ps aufweisen, jedoch dürfte sowohl die innere dynamik dahinter als auch die prognose sowohl anders als auch beim letzteren positiver aussehen. für das teils direkt betroffene umfeld, welches unter den symptomen der verschiedenen störungen zu leiden hat, dürfte diese differenzierung erstmal egal sein - für das verständnis jedoch halte ich sie für sehr wichtig.
- eine weitgehende übereinstimmung dürfte hingegen zwischen der psychopathie und dem phänomen bestehen, welches seit helene deutsch als als-ob-persönlichkeit in der psychiatriegeschichte bekannt ist:
"1942 prägte Helene Deutsch den Begriff der sogenannten Als-ob-Persönlichkeit. Charakteristisch für die Als-ob-Persönlichkeit ist die Fähigkeit, ihre schwer gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen durch äußere soziale Angepasstheit zu maskieren. Ihre Patienten waren auf einer frühkindlichen Entwicklungsstufe fixiert, wo noch primitive Objektbeziehungen mit wenig Konstanz, eine mangelhafte Über-Ich-Entwicklung, Identitätsschwäche, Affektarmut und ein Mangel an Reflexion bestehen."
die deutlich psychoanalytische sprache wird später noch einmal thema werden, zumal sie etwas in die irre führen dürfte, was den tatsächlichen sachverhalt anbelangt.
- die bloße ersetzung des psychopathie-begriffs durch das wort "persönlichkeitsstörung", wie sie nicht nur in den wiki-artikeln, sondern auch in diesem sehr lesenswerten artikel stattfindet, ist imo nach den vorliegenden erkenntnissen nicht zu rechtfertigen. allerdings werden in diesem beitrag einige wichtige implikationen näher ausgeführt:
"Noch schwieriger wird es, wenn man die Biographien der Großen dieser Welt aus Politik, Wirtschaft und Militär, ja Kunst und Wissenschaft durchforstet. Das liest sich stellenweise wie die reine „Psychopathologie“, also die Lehre von den krankhaften Veränderungen des Seelenlebens. Sind also psychopathische Züge nur lästig, negativ, „minderwertig“? Erwachsen daraus nur missgestimmte, unbeherrschte, leicht erregbare, geltungssüchtige, gemütlose, fanatische, querulatorische oder wahnhafte Krankheitszüge? Oder sind die Psychopathen tatsächlich das „Salz der Erde“? Kurz: Ob Psychopathie oder Persönlichkeitsstörung genannt - es handelt sich zwar um ein alltägliches und doch weitgehend unbekanntes Krankheitsbild.
Das heißt: So unbekannt nun auch wiederum nicht, denn Persönlichkeitsstörungen sind ja nicht selten. Die Häufigkeit von Personen mit auffälliger Persönlichkeitsstruktur beträgt nach weltweiten Schätzungen knapp 10% (also allein im deutschsprachigen Bereich mehr als 10 Millionen).
Das irritiert erst einmal, wird aber dann verständlicher, wenn man auch die nicht-dominanten bis nach außen unauffälligen Beispiele heranzieht (s. o.). Oder mit anderen Worten: Die Persönlichkeitsstörungen dürften jene seelischen Krankheitsbilder sein, die das breiteste Leidensspektrum (und zwar nicht nur für die Betroffenen, auch für ihr näheres und weiteres Umfeld), die erstaunlichste Vielfalt und damit auch die größten Gegensätze in sich vereinen (zumal auch nicht wenige „Erfolgs-Storys“ unter diesen Menschen zu finden sind).
Nun soll sich der mangelhafte Kenntnisstand über diesen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung aber ändern. Denn diese „Stör-Bilder“ nehmen nicht nur zu, sie rücken auch ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Warum? Die Probleme, die sich aus den psychosozialen Konsequenzen ergeben (partnerschaftlich, familiär, nachbarschaftlich, Freundeskreis, beruflich, ja wirtschaftlich, politisch, kulturell u. a.) werden auch im Alltag immer bedrängender. Man denke nur an die sich offensichtlich fast epidemisch ausbreitende narzisstische Wesensart (ich - ich - ich), die auch zu einem Anstieg der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (siehe später) zu führen scheint."
hier sind einmal viele wesentliche aspekte zusammengefasst, die eine beschäftigung mit den diagnosen und psychophysischen zuständen, die hier thema sind, als dringend notwendig erscheinen lassen - auch und gerade mit der psychopathie. wie gesagt: der artikel ist sehr lesenswert.
- natürlich ist und bleibt der begriff "psychopathie" vor allem aus zwei gründen problematisch - einmal wäre da das im nationalsozialismus tödliche etikett "asozialer psychopath" :
"Unmittelbar mit der „Machtergreifung" der NSDAP 1933 begann die unverhöhlte, offene Hetze gegen sog. „Asoziale", psychisch Kranke, Behinderte, gegen sog. „Gemeinschaftsunfähige", was immer darunter zu verstehen war. Diese Kategorien, die zur Klassifikation der Bevölkerung gebildet wurden, erfaßten all jene, welche nicht dem „arischen" Ideal entsprachen, aber nicht in die rassistische Schablone des „Ewigen Juden" paßten. Asyliert wurden Nichtseßhafte, Alkoholiker, „asoziale" Tuberkulosekranke, um den „gesunden Erbstrom" der „Volksgemeinschaft" nicht zu schädigen. „Jugendschutzanstalten" wurden eingerichtet, in denen sog. „Schwererziehbare" interniert wurden; auch dies ein dehnbarer Begriff, dem alle dem „gesunden Volksempfinden" Zuwiderhandelnden zum Opfer fielen, so auch junge Frauen, die auf sexuelle Selbstbestimmung bestanden.
So fielen unter den Terminus „Asoziale" alle Ausländer, Angehörige politisch Verfolgter, Familien, aus denen ein Angehöriger sterilisiert worden war, Vorbestrafte, Rauschgiftsüchtige, Prostituierte, Landstreicher, „Unwirtschaftliche", „Arbeitsscheue", Sonderlinge, „Nichtsnutze aller Art", Verkehrssünder und „Raufbolde". 1938 sprach man von „getarntem Schwachsinn", unter den vor allem Fürsorgezöglinge fielen, von „moralischem Schwachsinn", womit vor allem unangepaßte Frauen und Mädchen gemeint waren. Die Begrifflichkeit „asozial" wurde zunehmend mit „Psychopathie" ineinsgesetzt und lieferte so die darunter subsumierten Menschen der „Euthanasie" aus."
wobei es mir als eine zynische ironie der geschichte erscheint, dass von heute aus betrachtet eher die führungsschichten der ns-diktatur diese etikettierung verdienen, was aber auch die gesellschaftliche bedingtheit nicht nur dieser diagnose nachdrücklich deutlich macht. und zum anderen spielt gerade diese bedingtheit auch eine wesentliche rolle gerade bei kriterien wie "Unfähigkeit zur Verantwortungsübernahme, gleichzeitig eine klare Ablehnung und Missachtung sämtlicher sozialen Normen" (...) "Fehlendes Schuldbewusstsein", wozu mertz hinsichtlich einer definition von persönlichkeitsstörungen im dsm-IV berechtigt feststellt:
"Die Persönlichkeitsstörung sei ein `überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten´, das `merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umwelt abweicht´. Damit wird die pathologische Komponente, die in vielen Erwartungen bzw. Normen einer immer auch mehr oder weniger krankmachenden sozialen Umwelt enthalten ist, zum `gesunden Maßstab´ erklärt bzw. verklärt."
(j. e. mertz, "borderline...." s. 176 (siehe literaturliste)
das sollte nicht schwer zu verstehen sein, was hier gemeint ist - was als gesund oder auch sozial akzeptabel zu gelten hat, bestimmt nicht nur in totalitären systemen im zweifelsfall die regierung und das strafgesetzbuch - dieses muster ist historisch aus etlichen diktaturen bekannt, wird verdeckt aber auch innerhalb der sog. demokratischen welt weiter angewandt - hier jedoch eher durch mehr oder weniger subtilen sozialen druck zur konformität an jeweils gültige norm- und wertsysteme. wenn sich jedoch diese normen und werte selbst als pathologisch entpuppen, weil zb. die normsetzenden eliten selbst überwiegend aus schwer gestörten personen bestehen - und u.a. für die realität dieser these versucht dieses blog, belege zu sammeln - dann ist eine schwer zu entwirrende situation geradezu vorprogrammiert, was bei der beschäftigung mit dieser materie hohe wachsamkeit verlangt. auch dieses sollten Sie beim lesen nicht nur dieses beitrags immer im hinterkopf behalten.
fortsetzung folgt.
heute schon mal etwas zum lesen dazu - ich werde vermutlich erst zum wochenende dazu kommen, selbst ein bißchen zu kommentieren (was ich bei der thematik allerdings auch reizvoll finde). mehr dann an dieser stelle.
einige der immer selteneren momente, in denen ich meine tv-abstinenz bedauere, werden innerhalb der nächsten drei tage liegen: arte startet eine kleine reihe zum thema Expedition ins Gehirn mit einem schwerpunkt hinsichtlich der zusammenhänge zwischen autismus und sog. savant-fähigkeiten - folge 1, heute abend (!) um 19.00 h: "Gedächtnis-Giganten":
"Kim Peek aus Salt Lake City ist der „wahre Rainman“. Er liest nicht, er scannt Buchseiten. Das visuelle System seines Gehirns erlaubt ihm offenbar, mit dem einen Auge eine Seite und mit dem anderen Auge parallel eine andere Seite zu lesen und den jeweiligen Inhalt in etwa acht Sekunden zu speichern. Genauso speichert Kim beliebige Daten, wie auf einer internen Festplatte: Melodien, Namen, historische Jahreszahlen, den Kalender, das komplette Fernsehprogramm, alle Telefonvorwahlen der USA, das Straßennetz aller Staaten. Doch Kim bezahlt einen Preis für seine geheimnisvollen Fähigkeiten: Kim galt als Kind als geistig schwerbehindert - ehe er mit vier die ersten Lexikonbände im heimischen Wohnzimmer auswendig konnte. Auch mit über 50 kann der Mega-Savant, wie ihn die Wissenschaftswelt bewundernd nennt, nicht allein für sich sorgen."
folge zwei: morgen, am 21.02., ebenfalls 19.00 h: "Der Einstein-Effekt":
"Der Dubliner Hirnforscher Prof. Michael Fitzgerald vertritt die Theorie, dass herausragende Kreativität sehr häufig mit den Fehlschaltungen von Autisten zusammengeht. Einstein, Newton, Mozart und Beethoven, so sagt Fitzgerald, seien extreme Begabungen gewesen, weil ihre Gehirne falsch verkabelt waren. Irgendwie so, wie die von Matt Savage und Stephen Wiltshire. An der Universität Sydney versucht Prof. Alan Snyder deshalb, bei Versuchspersonen Teile des Hirn zeitweilig zu lähmen, um aus ihnen eine größere Kreativität herauszuholen: „Faszinierend“, sagt Snyder, „dass man Teile unseres Gehirns abschalten muß, damit unsere schöpferischen Kräfte sich entfalten können.“ Doch Snyders Experimente sind höchst umstritten."
(isaac newton war ja hier vor kurzem erst ein thema).
folge drei: mittwoch, 22.02., 19.00 h: "Der große Unterschied" - u.a. wird hier auch etwas über temple grandin zu erfahren sein, zu der es hier mehr zu lesen gibt.
"Baron-Cohens Erkenntnisse brechen mit dem gesellschaftlich erwünschten Dogma, dass Männer- und Frauen-Gehirne sich nur unwesentlich unterscheiden. Die Fehlkonstruktion des extrem männlichen Gehirns kann Genies und Monster hervorbringen - und Savants: Als kleines Mädchen sprach Temple Grandin gar nicht. Und danach hänselten die anderen Schulkinder sie, weil sie „wie ein Cassetten-Recorder“ aufgeschnappte Worte und Sätze nur abzuspielen schien. Menschensprache hat sie sich - Dank ihrer herausragenden Intelligenz - als „Fremdsprache“ angeeignet. Die Sichtweise von Tieren aber, die ebenfalls nicht in Sprache, sondern in Bildern „denken“, kennt Temple wie ihre Muttersprache. Prof. Baron-Cohen meint, dass in Temples Kopf ein eigentlich männliches „System“-Gehirn arbeitet. Dr. Temple Grandin ist heute die wichtigste Frau in der Viehindustrie der Steak- und Burger-besessenen USA. Sie hat mehr als die Hälfte aller Tierzuchtanlagen des größten fleischproduzierenden Nation der Welt designt, weil sie die Ängste der Kühe, Schweine oder Schafe genau kennt. Doch die Gefühls- und Denkwelten der Normalmenschen wird sie nach wie vor nicht verstehen. Sie wird sich nie im Leben verlieben können."
ich würde mich sehr freuen, wenn es unter den leserInnen hier vielleicht einige gibt, die diese reihe aufzeichnen könnten - diese sendungen versprechen, interessant zu werden.
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dem hinweis eines lesers verdanke ich die erstmalige kenntnisnahme der "philosophie des als-ob" von hans vaihinger, auf die sich interessanterweise auch im "neurolinguistischen programmieren" bezogen wird - dieser spur nachzugehen, verspricht ebenfalls einiges (u.a. leider eine verzögerung der fortsetzung des nlp-beitrags ). für weitere infos und hinweise bezgl. der wirkung und des einflusses dieser philosophie, von der es bei wikipedia heißt "Weitgehend vereinbar ist die Philosophie des Als Ob auch mit dem Konstruktivismus (...)", wäre ich sehr dankbar. ebenfalls für weitere informationen zum 2005 in halle gegründeten als-ob-institut, welches sich mit der obengenannten philosophie beschäftigt. online lässt sich zur arbeit dieses instituts bisher so gut wie nichts finden.
(das folgende lässt sich als ergänzung/fortsetzung dieses beitrags lesen.)
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die zeit arbeitet in einem neuen artikel an der rehabilitation der gefühle, in dem sich u.a. diese behauptung findet:
"Entscheidungen ohne Gefühle gibt es gar nicht. Der Homo oeconomicus, der die Alternativen rein rational abwägt, erweist sich als Fiktion der klassischen Wirtschaftstheorie."
jein. wer sich mit phänomenen wie dem autismus, der klassischen psychopathie und eben auch der alexithymie näher beschäftigt, könnte sehr wohl zu dem schluß kommen, dass es sich hier um versuche zur angleichung an das "ideal" des "homo oeconomicus" handelt (oder aber das modell des "homo oeconomicus" nach den primären strukturellen eigenschaften der genannten störungen konstruiert ist...) - genau diese befürchtung (nicht nur von mir) war ja bereits öfter thema hier. ich hätte mir gewünscht, das das thema der simulation von gefühlen nicht so vollständig unter den tisch fällt.
und hätte sich der autor mal genauer diesen - von ihm selbst oder der redaktion - verlinkten artikel angeschaut, so hätte er selbst entsprechende schlüsse ziehen können. eine art populäre einführung ins thema alexithymie, etliches ist bereits im älteren blogartikel dazu erwähnt - einiges jedoch verstärkt ganz persönliche spekulationen meinerseits:
"Bislang haben Wissenschaftler nur Vermutungen, warum manche Menschen so schlecht mit Gefühlen zurechtkommen. Die beiden plausibelsten: Entweder haben sie es als Kind nie gelernt, oder sie haben es wegen eines traumatischen Erlebnisses wieder verlernt."
man(n) braucht nicht professionell wissenschaftlich tätig zu sein, um mit ein wenig nachdenken selbst darauf zu kommen. und auch darauf, dass das in einem widerspruch zur folgenden behauptung steht:
»Alexithymie ist keine Krankheit, sondern ein gleichmäßig in der Bevölkerung verteiltes Persönlichkeitsmerkmal«, stellt Harald Gündel klar. »Es gibt Menschen, die mit Gefühlen gut umgehen können, und eben welche, die damit schlecht umgehen können.«
das erinnert nicht zufällig an die hier im ersten blogbeitrag zum thema dokumentierte behauptung, dass die alexithymie deswegen keine krankheit sei, weil sie den erfordernissen einer modernen industriegesellschaft ganz gut entsprechen würde. und wieder drängt sich der eindruck auf, dass ein durch prä-, peri- oder postnatale traumatische (in einem weitgefassten sinne) einflüsse erzeugter defekt von einigen leuten unbedingt als quasi zufälliges "persönlichkeitsmerkmal" dargestellt wird - warum, wenn es sich denn bei den genannten wahrscheinlichen ursachen doch um deutlich krankheitswertige einflüsse handelt?
dazu geht es hier nicht um den "guten" oder "schlechten" umgang mit gefühlen, sondern um ihre schlichte wahrnehmung - erstaunlich unpräzise, diese behauptung eines professionellen.
"Manchmal kann es auch praktisch sein, emotionale Zwischentöne einfach zu überhören. Ein alexithymer Uhrenhändler aus Düsseldorf erzählt, dass er ein außergewöhnlich guter Verkäufer sei. Menschen, die schachern wollen, auf die Tränendrüse drücken oder etwas vom letzten Wunsch der Großmutter erzählen, haben bei ihm keine Chance - es perlt an ihm ab. Als ihm seine Frau allerdings neulich weinend erzählte, ein guter Freund sei gestorben, nahm er sie nicht etwa in den Arm und tröstete sie, sondern musste grinsen."
regelmässige leserInnen hier werden sich darüber ihre eigenen gedanken machen können, ebenso wie über folgendes:
"Manche Alexithyme könnten sich aber auch nach einem traumatischen Erlebnis abrupt ihren emotionalen Empfindungen und Wünschen verschlossen haben. Gefühlsblindheit wäre dann eine Anpassungsstrategie des Gehirns, die sie vor dem bewussten Erleben einer Flut negativer Gefühle bewahren soll. Dafür spricht die Entdeckung von Traumaforschern, dass selbst das Gefühlsleben von Erwachsenen noch erstarren kann, wenn sie etwa großer Brutalität ausgeliefert sind."
ich wünsche mir ja dringend forscherInnen, die sich die erkennbaren verbindungen zwischen den bereichen autismus - pränatale prägungen - persönlichkeitsstörungen - psychotraumatologie - sozioökonomische gesellschaftliche strukturen mal systematisch näher betrachten würden - aber es könnte natürlich passieren, dass das schwer verstörende ergebnisse bringen würde.
...der infantizidalen kulturellen bedingungen, unter denen bis heute weltweit diverse existenzielle probleme unserer spezies entstehen, werden die folgenden informationen ein weiteres puzzlestückchen darstellen - und dazu machen sie wieder einmal explizit die unrühmliche rolle religiöser institutionen deutlich:
Sie wurden geschlagen, erniedrigt und eingesperrt. Unter oft unvorstellbaren Bedingungen wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahre Hunderttausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen auf. "Wir waren Zwangsarbeiter", sagen sie heute. Ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. (...)
Rund 80 Prozent der Heime waren in konfessioneller Hand. Insbesondere die katholischen Frauen- und Männerorden führten jahrzehntelang zahlreiche Erziehungsanstalten. (...) Die alte Mönchsregel "Bete und arbeite" erlebte eine perverse Renaissance in diesen konfessionellen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik.
In der Diakonie Freistatt bei Diepholz, einer Zweigstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wurde sie brutal umgesetzt. Freistatt mit seiner Presstorfproduktion, mit seinen Schlossereien und Schmieden war als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräften ausnutzte. Wenn nicht gerade Choräle gesungen wurden, mussten die 14- bis 21-Jährigen im Sommer wie im Winter im Moor Torf stechen und pressen. (...)
Diese mussten nach ihrer Ergreifung den Torf in schweren "Kettenhosen" stechen, die nur Trippelschritte erlaubten. Selbst zum Kirchgang mussten die Jugendlichen die Beinschellen tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die inzwischen auf sechs Häuser angewachsene Diakonie Freistatt ständig überfüllt. In den fünfziger Jahren waren in Freistatt etwa 500 junge Männer eingesperrt. Damals war es noch üblich, dass Neuankömmlinge, die etwa aus anderen Heimen entwichen waren, aus Schikane anfangs auf dem Boden schlafen mussten.
Trotz des Verbots staatlicher Stellen, zu züchtigen oder als Strafmaßnahme die Haare abzuschneiden, prügelten die Erzieher in Freistatt, meist evangelische Diakone, munter weiter. 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover "die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel".(...)
und in der zeit zum gleichen thema:
"Ja, räumt der Mönch schließlich ein, man habe schon mal Störenfriede in einen »Besinnungsraum« gesteckt. »Aber nur kurz.« Besinnungsraum? Oder Bunker? Gerald Hartford erinnert sein Gegenüber daran, dass er viele Wochen in dieser Zelle, auf einer Holzpritsche ohne Matratze, in der Ecke ein Eimer für die Notdurft, zubringen musste. Der Jugendliche hatte vergeblich versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianerbrüder durch Flucht zu entkommen."
und dazu werden interessante details zu den lebensbedingungen nach dem zweiten weltkrieg in deutschland deutlich:
"In den Jahren nach 1945 zogen mehr als 100000 Kinder und Jugendliche bindungs-, heimat-, berufs- und arbeitslos durch Deutschland. Viele Familien waren zerrissen, weil die Väter erst nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Soziologische Studien kommen zu dem Urteil, dass nur zehn Prozent der Familien Ende der vierziger Jahre »heil« waren. Die Wohnungen waren häufig eng, eigene Zimmer hatten die wenigsten Kinder. Das Durchschnittseinkommen einer Familie betrug 1955 nur 280 Mark im Monat. Ein Kind ins Heim zu geben war eine vergleichsweise bequeme und billige Lösung."
wobei der krieg die traumatischen bedingungen in vielen fällen nicht primär ausgelöst, aber deutlich verschärft haben dürfte. unabhängig davon: das dokumentierte elend sollte gegen jede tendenz immun machen, den sog. "christlichen westen" irgendwie als "fortschrittlicher" zu halluzinieren als andere regionen des planeten - auch und gerade vor dem hintergrund des von fundamentalistInnen diverser coleur konstruierten "kulturkampfes". das "der westen" in bestimmten bereichen real ein mehr an freiheit zulässt - wenn auch unter ständigen rücknahmedrohungen - ist gerade nicht das verdienst derjenigen, die jetzt bestimmte soziale fortschritte, die bevorzugt von rechter und reaktionärer seite bis heute immer bekämpft worden sind, für ihre eigenen interessen instrumentalisieren und als waffe gegen den fundamentalistischen islamismus benutzen möchten. ganz im gegenteil: die weitaus meisten dieser fortschritte mussten (und müssen) gerade gegen diese fraktionen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
und dazu: besonders institutionalisierte religionen sind weniger "opium", als vielmehr und historisch nachweisbar in massenhafter dimension lebensverneinend, machthörig und tödlich.
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edit am 20.02.: bei spon findet morgen ein chat mit zwei ehemaligen heimkindern statt - im artikel dazu findet sich ganz am ende ein zitat, welches geradezu paradigmatisch für eine mögliche und weit verbreitete folge von psychotraumatisierungen stehen kann:
"Mit dem Verstand sagt er sich dann: "Mensch, ich hab doch was erreicht." Aber es nützt nichts. "Es bleibt immer das Gefühl, als Mensch nichts wert zu sein. Dieses Gefühl sagt mir immer: Versteck dich, verkriech dich in eine Ecke, wo dich niemand sieht."
es ist keinesfalls übertrieben, folgendes als these aufzustellen: bei diesem gefühl handelt es sich um eine tragende säule innerhalb von machthierarchien - menschen in einem solchen zustand (eine folge der verdinglichung letztlich, die die thematisierte gewalt im kern ausmacht) sind erstens leicht manipulierbar; zweitens weitgehend unfähig dazu, eigene interessen zu erkennen/zu vertreten; drittens innerhalb von kollektiven strukturen (keine schein- oder zwangskollektive) weitgehend "funktionsunfähig", da diese eine voll entwickelte subjektivität voraussetzen; viertens aber - unter ganz bestimmten bedingungen - auch fähig zu extrem destruktiven bzw. antisozialen verhaltensweisen, was letztlich kein wunder ist - stichworte sind hier einmal re-inszenierungen, aber auch eine art von rache, die nicht mit den verbreiteten klischees über rache verwechselt werden darf.
alle gerade genannten eigenschaften sind geradezu prädestiniert dafür, im interesse von machtstrukturen instrumentalisiert zu werden.
so eine feststellung in einem interview mit dem ex-model heidi klum:
SPIEGEL: Was ist mit dem Vorwurf, dass Ihre Show zur Magersucht verführt?
Klum: In diesem Job wird eine Scheinschönheit verkauft, die es so gar nicht gibt. Das ist wie ein Kunstwerk, wie Schauspiel. Ich weine vor der Kamera, obwohl ich nicht traurig bin. Ich komme gerade vom Job, bin geschminkt und verschönert durch tolle Roben, durch tolles Haar, Make-up, die Nägel sind gemacht.
SPIEGEL: Es gibt Sie eigentlich gar nicht.
fake-"schönheit" im vollen als-ob-modus. interessant dabei die tatsache, dass frau klum diese treffende beschreibung ihres business als antwort auf die frage gibt, ob "Ihre Show zur Magersucht verführt" - stellt die als-ob-qualität in den ihren augen eine art rechtfertigung dar?
jedenfalls widerspricht sie nicht nur nicht der feststellung ihrer nichtexistenz, nein, sie findet das, was sie tut, auch noch gut:
SPIEGEL: Haben Sie mehr Freude oder mehr Ärger mit der Show?
Klum: Freude. Ich bin stolz auf die Show. Sie zeigt, wie es ist, und sie ist Entertainment. Die Foto-Shoots, die gemacht werden, kommen auch so in Wirklichkeit vor, das ist alles schon sehr professionell.
nun besitze ich aus diversen gründen kein tv und würde auch aller wahrscheinlichkeit nicht auf die idee kommen, mir ein derartiges produkt anzuschauen. trotzdem wage ich die behauptung, mir eine gewisse vorstellung davon machen zu können - und vor diesem hintergrund fallen mir zwei dinge auf:
erstens: die heuchelei der kritik von medien und einer öffentlichkeit, die eine totalitäre verbreitung unerreichbarer virtueller "schönheitsideale" ansonsten duldet, toleriert und kein problem dabei sieht. das inzwischen auch zunehmend männer in dieses aufgrund produzierter psychophysischer bedingungen funktionierende diktat gezwungen werden (ein grund dafür, warum seit ca. zehn jahren auch männer mit den klassischen, bisher frauen "vorbehaltenen" essstörungen wie anorexia, bulimie etc. zu tun haben), ist historisch imo ein neues phänomen und keinesfalls irgendwie als indiz für emanzipation zu werten.
zweitens aber: sowohl die interviewende seite und erst recht frau klum scheinen weder ein bewußtsein dafür zu besitzen noch ein problem mit dem zu haben, was sie da eigentlich treibt: die produktion von reinen scheinwelten. mit wahrscheinlich fatalen konsequenzen.
klum freut sich offensichtlich noch darüber, nur als kunstprodukt zu existieren.
und das mit derlei ein millionenpublikum erreicht werden kann - ebenso wie mit anderen fakes und fiktionen - ist ein weiteres nachdrückliches indiz für den befund der als-ob-gesellschaft.
nur das von dieser gesellschaft produzierte elend, das morden und sterben bleibt handfest und körperlich real. es ist imo keine allzu gewagte spekulation, die rasante verbreitung von als-ob-zuständen vor dem hintergrund dieser realitäten als eine wahrscheinliche reaktion darauf zu sehen.
edit: hinweise von anderer seite nach diesem beitrag und auch eigene gedanken machen eine ergänzung dringend notwendig:
wie schon in früheren beiträgen - v.a. solchen, die sich mit dem scheinantagonismus subjektivität - objektivität befassen - betont, sind die simulativen menschlichen fähigkeiten, die der objektivistische modus produzieren kann, nicht per se "böse" oder destruktiv - ohne sie wäre bspw. das, was wir als kunst (incl. literatur und auch musik) bezeichnen, nicht denkbar. es sind bestimmte - und primär gesellschaftlich erzeugte - bedingungen, unter denen dieser modus bösartig wird. und wenn simulationen und fakes zunehmend im sozialen bereich auftauchen, und gar in zwischenmenschlichen beziehungen - dann kann sich dieser modus aufgrund seiner funktionsart nicht anders als destruktiv auswirken. die fluchtfunktion bspw. - wie sie in der formel von "brot und spielen" (neuer auch als tittytainment) populär ist - bezeichnet funktional das ausweichen in simulative, fiktionale und virtuelle als-ob-realitäten - vor welchen realitäten da ausgewichen wird, lässt sich tag für tag den nachrichten entnehmen.
wir haben dieses ausweichen "in den kopf" innerhalb von infantizidalen und teils lebensbedrohlichen zuständen alle mehr oder weniger bereits als kinder gelernt - in unterschiedlicher individueller ausprägung, sicher. aber die grenzen zu den offen pathologischen formen des objektivistischen modus sind in dieser welt und unter diesen sozialen bedingungen offensichtlich mehr denn je fließend.
eine dokumentarische ergänzung sozusagen, zu einem thema, dessen weitergehende bearbeitung bekanntlich hier noch aussteht - einige aspekte sind bspw. in diesen beiträgen eins, zwei, drei, vier und fünf zu finden.
der neueste beitrag zum thema fand sich vor ein paar tagen im handelsblatt unter dem titel Ist Ihr Chef ein Psychopath?:
"Warum aber glaubt man, dass Psychopathen überproportional und oft sehr erfolgreich in höchsten Managerpositionen zu finden sind? Mehr noch: Warum ermutigen nicht wenige Unternehmen skrupulöses Managerverhalten? Nun, Psychopathen wollen siegen. Um jeden Preis."
abgesehen davon, dass im absatz oben eher das wort skrupellos berechtigt wäre - das sich derartige meldungen seit einiger zeit öfter zu finden scheinen, mag im besten fall auf wesentliche verschiebungen der wahrnehmung in den unterströmungen einiger gesellschaftlicher teile hindeuten - und trotzdem ist bei diesem begriff etliche vorsicht geboten, wie ein blick auf seine historische entwicklung zeigt. eine genauere abgrenzung zu anderen diagnostischen begriffen und ein bewußtsein darüber, dass "psychopathie" aller wahrscheinlichkeit nicht gleichzusetzen ist mit dem begriff der "antisozialen persönlichkeit(-sstörung)", sondern eher eine untergruppe darstellen dürfte, ist aus diversen gründen dringend nötig. also: nach dem nlp-thema wird der basisbeitrag zur psychopathie fällig (so klären sich manchmal die dinge von selbst).
so ein fazit aus einem artikel der zeit zum thema neuroimplantate:
"Anders als bei Parkinson, wo die Hirnschrittmacher eine klar krankhafte physiologische Störung umgehen, zielt dasselbe Verfahren bei Depression oder Zwangsneurosen auf die direkte Steuerung von Hirnfunktionen, die dem Seelenleben des Menschen zugrunde liegen.
Das erzeugt bei den Experten einiges Unbehagen. Denn angesichts der rasanten Entwicklung in der Neuroforschung ließen sich auf diese Weise - und in nicht allzu ferner Zukunft - auch Stimmungen, Antriebe und Motivationen von Gesunden dirigieren. Unabsichtlich haben die Neurochirurgen solche Effekte bereits bei Parkinsonkranken erzeugt, berichtete Tatagiba in Berlin vor dem Ethikrat: Unter dem Einfluß der elektronischen Hirnsonden verbesserte sich nicht nur die Bewegungsfähigkeit der Kranken gewaltig. Die Elektroden hob auch ihre Stimmung bis zu euphorischen Zuständen, zugleich steigerte sich ihre Sexualität beträchtlich."
nun mag es auf den ersten blick so erscheinen, als wäre hier kein großer unterschiede zu der gewohnten praxis zu sehen, wahlweise - und je nach perspektive - illegalisierte psychoaktive substanzen namens drogen oder aber die legalen varianten namens psychopharmaka zur manipulation der eigenen selbstzustände zu benutzen. und trotzdem scheint hier so etwas wie ein qualitativer sprung vor sich zu gehen - mit der weiter fortschreitenden kenntnis der jeweiligen bereiche und zentren im gehirn, die für bestimmte zustände verantwortlich erscheinen, wird es möglich werden, immer gezielter und selektiver zu manipulieren - und die einführung elektronischer komponenten bei dieser manipulation lässt es als ein primär technisches problem erscheinen, wann die möglichkeit zur manipulation von ganz anderer seite als von patient oder arzt gegeben sein wird. klingt mal wieder paranoid? ich wüßte keinerlei grund dafür anzugeben, warum leute, die mit einiger wahrscheinlichkeit etliche der im blog thematisierten störungen aufweisen, ausgerechnet auf derlei phantastische kontrollmöglichkeiten verzichten würden. das die techniken dabei für einige - wie zb. die genannten parkinson-betroffenen - als reale verbesserung ihrer lebensbedingungen erlebt werden, wird niemand bestreiten können. bloß: wer wird eine garantie dafür geben können, dass sich die anwendung darauf beschränkt?
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etliches bleibt gerade liegen - die fortsetzung zum thema nlp ist weiter in arbeit, und eine darstellung der aktuellen entwicklungen sowohl im sog. "kulturkampf" zwischen der aufgeklärten demokratischen und der mittelalterlichen welt (borderline-wahrnehmung lässt wieder einmal grüßen), die z.zt. als "islamisch" gekennzeichnet ist, als auch im damit zusammenhängenden wahrscheinlichen krieg gegen den iran aus sicht der psychohistorie wäre überfällig. tatsächlich gibt es in der islamischen welt "handfeste" gründe für das verhalten, welches mit einiger berechtigung als fundamentalismus beschrieben wird. bloß: über die wahrscheinlichen gründe dafür wird weder im "westen" und erst recht in den islamischen ländern selten bis gar nicht ein wort verloren.
aber da das hier nicht primär ein psychohistorisches blog ist - auch wenn diese richtung ein wichtige rolle spielt -, und gleichzeitig die themen auch zu umfassendes material bieten, muß ich mir hier beschränken - wer wesentliche teile der dynamiken der benannten konflikte aus anderer perspektive verstehen will, sollte sich einerseits der bereits oft erwähnten arbeit Das emotionale Leben der Nationen von deMause widmen, und in ergänzung dazu sich vielleicht gedanken machen über die befund, die der historiker morris berman in seinem buch Finstere Zeiten für Amerika erhebt - beides zusammen macht eine situation deutlich, die "gefährlich" zu nennen eine gelinde untertreibung darstellt.