Montag, 18. Februar 2008

notiz: "Einsamkeit...

...gebiert Götter und personifizierte Geräte" - dazu drei anmerkungen.

assoziation: der status des "staatsbürgers" auf den punkt gebracht - oder wie es manchmal...

....doch noch ein fragment der realität in die mainstreammedien schafft:

(...)"Warum ausgerechnet "die da oben" zum Kreis der Verdächtigen gehören, dazu lieferte der Elite-Forscher Michael Hartmann, Soziologe an der Technischen Universität Darmstadt, einen Erklärungsversuch. Wer von Kindesbeinen "oben" ist, habe sich daran gewöhnt, Regeln zu setzen und nicht so zu gehorchen wie andere."(...)

gehorchen. ein wort, das nicht zufällig aus dem repertoire der erziehung stammt, und ebenfalls im militärischen bereich eine nicht unwichtige rolle spielt. gehorchen - anweisungen, befehlen, diktaten, einflüsterungen, manipulationen, gesetzen.

keine fragen stellen, nicht nachdenken und schon gar nicht irgendwem oder irgendetwas widerstand entgegensetzen. gehorchen.

könnte sein, dass wir gerade einen machtkampf erleben: vater staat bzw. einige fraktionen in diesem gebilde (welches sich zunehmend als selbstzweck begreift), vs. teile der ökonomischen "eliten", die offensichtlich am punkt angekommen sind, aus pragmatischen gründen das zweite machtzentrum neben ihnen zusehends zu umgehen und zu unterminieren.

gehorsam fordern sie allerdings beide von ihren schäfchen.

pest oder cholera? ich wünsche uns allen dann doch lieber gesundheit.

Freitag, 15. Februar 2008

notiz: "selbst"optimierung

(...)"Apotheker berichten derzeit, dass der Verkauf von Psychopharmaka deutlich zunimmt. Dabei besteht der Verdacht, dass Antidepressiva nicht mehr nur gegen die Krankheit Depression eingenommen werden – sondern zur Leistungssteigerung. Im Jahr 2006 wurden in Deutschland allein von den neueren Antidepressiva, welche die Produktion des Botenstoffs Serotonin im Gehirn anregen, 4,8 Millionen Packungen verkauft."(...)

einerseits ein altes spielchen: die bewußte schaffung von märkten, andererseits auch - neben der potenziellen gefährlichkeit, die medikamente nun mehrheitlich mal auszeichnet - ein weiteres kennzeichnendes symptom der übergriffigkeit und totalität, mit der die objektivierende und bewertende herrschende logik agiert. und nebenbei wird so gleichzeitig noch die illegalisierte konkurrenz der kokakartelle und amphetaminpanscher aus dem geschäft gedrängt. ab jetzt wird legal gedopt.

und über die verschreibenden und derlei empfehlenden mediziner muss kein wort mehr verloren werden - willige elendsverwalter und zukleisterer gesellschaftlicher widersprüche.

assoziation: von der gier (und von der "ehre" - update)

da dieses kleine wörtchen aktuell beim jüngsten skandal (das sind bekanntlich immer nur einzelfälle) aus der welt der selbsterklärten "eliten" in vielen schlagzeilen und kommentaren als eine art anthropologischer konstante auftaucht (ein beispiel hier ganz unten:

(...)"Was verbindet den Fall Zumwinkel, die Bankenkrise und Nokia in Bochum? Genau: Gier. Die Entfesselung dieser tief menschlichen Untugend hat dramatische Folgen,"(...)

und damit in gewisser weise bspw. das geklaute brot eines alg2-empfängers, der sich aus blanker not dem ladendiebstahl zuwendet, in der motivation mit den beiseite geschafften millionen von millionären gleichgesetzt wird, ist es an der zeit, eine solche derartige nichterklärung seitens der medien des kapitalistischen mainstreams näher zu betrachten. neben dem begründeten verdacht, dass sich die so schreibenden autorInnen und redaktionen aus ihrer eigenen psychophysischen verfassung heraus kein anderes motiv vorstellen können, d.h. wie so oft nur projizieren, ist dabei zunächst die frage zu stellen, was sich hinter dem wort "gier" womöglich verbirgt. ein ansatz:

(...)"Nun hat bereits der griechische Philosoph Aristoteles (...) genial beobachtet, dass die Grenzenlosigkeit des Begehrens nicht allein am Konsum hängen kann. Denn irgendwann ist auch der verrückteste Luxuskonsum nicht mehr zu steigern. So kommt er zu dem Schluss, dass das Kernproblem der grenzenlosen Vermehrung mit dem Geld zu tun haben muss. Konsumgüter sind begrenzt nutzbar und haltbar, Geld verdirbt nicht und lässt sich grenzenlos horten. Darum bewirkt es im Menschen die Begierde (epithymia), grenzenlos Geld anzuhäufen. Der Grund dafür ist die Illusion (dokei, es scheint so als ob), man könne sich grenzenlos Lebensmittel kaufen und damit ewiges Leben. Hinter der Gier nach immer mehr steht also das Nichtfertigwerden mit dem eigenen Tod, der eigenen Begrenztheit als körperlichem, bedürftigem Wesen.

Da aber - so fährt Aristoteles fort - der nach grenzenloser Geldvermehrung strebende Mensch genau durch die dazu benutzten Praktiken (Zinsnahme, Monopolbildung etc.) die Gemeinschaft zerstört, zerstört er sein eigenes Leben, das als bedürftiges auf die Gemeinschaft angewiesen ist. (...) Hier ist also bereits erkannt, dass ein Wirtschaftssystem, das auf Akkumulation von Reichtum der wenigen zielt, nicht nur die anderen, sondern sich selbst zerstört - ein Vorschein der Einsicht, dass in der globalisierten Welt systemischer Mord Selbstmord ist. (...)

Die gleiche Einsicht in die lebenszerstörende Geldvermehrung kommt übrigens auch schon in dem griechischen Mythos vom König Midas zum Ausdruck. Er hatte eine solche Sucht nach Gold, dass er sich wünschte, dass alles, was er berühre, zu Gold werden möge. So wandelte sich auch seine Nahrung in Gold und er musste Hungers sterben. Sein eigenes konkretes Leben als körperlich bedürftiger Mensch zerstörte er selbst durch die Illusion der unendlichen Geldvermehrung. Hegel nannte dies später die `schlechte Unendlichkeit´"(...)

(quelle dieses zitates ist das
hier näher vorgestellte buch "solidarisch mensch werden"; s. 139/140)

den ansatz, geld (bzw. gold) als synonym zu betrachten, finde ich erstmal schlüssig - mit bedruckten papierlappen sowie metallstückchen "an sich" lässt sich ja nun real nicht so wahnsinnig viel sinnvolles anstellen, und schon gar nicht im konkreten lebensalltag. die macht des geldes beruht auf einem symbolischen akt, einer - übrigens letztlich mit gewalt - erzwungenen übereinkunft, papier und metall als abstraktes symbol für reale werte anzusehen. und unter der prämisse sind die gedanken des aristoteles durchaus nachvollziehbar. auch unter dem aspekt, dass die todesangst und ihre möglichen kompensationen vermutlich als grundlegende handlungsmotivation in allen möglichen gesellschaftlichen bereichen in aller regel schwer unterschätzt bzw. verdrängt wird.

geld ist aber heute v.a. ein synonym für macht geworden, und an dem punkt finde ich, dass sich die obigen gedanken erweitern lassen: die erwähnte grenzenlosigkeit - des menschlichen seins und handelns - ist bekanntlich eine fiktion und in der realen - und in jeder hinsicht endlichen - welt nicht vorhanden. grenzenlosigkeit im handeln weist daher immer auch auf die aktivität des objektivistischen modus´hin, der als einziges im menschen imstande ist, derlei fiktionen zu produzieren. und wenn grenzenlosigkeit in den v.a. negativen, d.h. grenzverletzenden, formen vorliegt, wie sie hier im blog immer wieder thema sind, v.a. in form von verschiedenen arten der gewalt, so ist das ein sehr starkes indiz für das ebenfalls lang und schlapp thematisierte ungleichgewicht, welches entsteht, wenn sich der objektivistische modus innerhalb einer geschädigten subjektivität zum dominanten wahrnehmungsmodus aufschwingt. das sich die eigene machtposition dann noch bevorzugt anhand von abstrakten zahlenreihen, die sekundär emotionale zustände von als-ob-sicherheit und triumpfgefühle (anscheinende "überlegenheit") erzeugen können, ablesen lässt, passt dabei bestens ins bild.

und so fahren dann die objektivitätskranken "eliten" weiterhin zwanghaft den karren erbarmungslos gegen die wand. und was ich hier schon früher einmal schrieb, ist weiterhin gültig:
die grenzen werden von außen gesetzt werden müssen. und das bleibt nach wie vor die vielleicht dringendste aufgabe überhaupt.

*

edit am 17.02.: und noch so ein
wörtchen ,welches momentan öfter im zusammenhang mit der affäre auftaucht:

(...)„Wir werden uns nur vor diejenigen stellen, die nach Recht und Gesetz, Ehre und Gewissen arbeiten. Wer das nicht akzeptiert, gehört nicht mehr dazu", sagte Thumann.(...)

naja, von "recht und gesetz" zu fabulieren, ist den "eliten" nur recht und billig - wer sich etwas mit der tätigkeit diverser lobbyisten bei allen möglichen gesetzgebungen beschäftigt, wird gleichfalls zu dem schluß gelangen, dass sie mehr oder weniger ihre gesetze selbst machen - und nicht nur an der stelle fällt wiedermal die strukturelle gemeinsamkeit mit der illegalisierten
verwandtschaft auf, die dann beim appell an die "ehre" noch deutlicher wird:

(...)"Sich auf mafiose Weise zu verhalten bedeutet, sich ehrenhaft [ onorevole] zu verhalten, und zwar in einer Weise, die den Regeln von Mut, Schlauheit, Grausamkeit und der Anwendung von Raub und Betrug entspricht" (...)

(arlacchi, pino: mafiose ethik und der geist des kapitalismus. frankfurt a. m.; 1989; s. 29.)


brüder im geiste.

*

die undurchsichtige rolle des bnd sowie rolle und position(en) der staatsorgane in dieser konfrontation überhaupt sind ein weiteres thema - aber nicht heute.

Dienstag, 12. Februar 2008

kontext 38: "bloße gegenständlichkeit"

die zunehmend brutaler werdenden formen (nicht unbedingt die fallzahl) der gewalt seitens und von jugendlichen sind natürlich kein spezifisch deutsches problem, was auch der folgende artikel deutlich macht:

"Eine brutale Exekution – man kann den Hergang des Ereignisses nicht anders beschreiben – erschüttert in diesen Tagen die schweizerische Öffentlichkeit. (...) In der Stadt Locarno, idyllisch situiert an den Ufern des Lago Maggiore, haben in der Nacht zum vergangenen Samstag drei junge Männer einen Passanten zu Tode geprügelt. Das Opfer – der Student Damiano, wohnhaft im benachbarten Gordola – wurde mit Tritten und Hieben traktiert und starb nach der Einlieferung ins Spital. Zeugen machen geltend, dass Damiano einen Streit schlichten wollte. Der Hass drehte sich gegen den Vermittler; in kürzester Zeit – mithin in einer Aktion der geballten Vernichtung – verlor er dabei sein Leben."(...)

es folgt ein beitrag, der sich zumindest zu bemühen scheint, jenseits der üblichen platitüden und/oder sensationsheischenden ausschlachtung seitens der boulevard-medien (aka dreckschleudern) auf motivsuche zu gehen. und dabei tatsächlich fragmente der realität ans licht befördert:

(...)"Zwei der Täter stammen aus Kroatien. Der dritte Schläger kommt aus Bosnien. Einer stellte Bilder ins Web, die Symbole der kroatischen Ultranationalisten zeigen; dazu einen Kampfhund in den Nationalfarben des Landes. – Das Thema Herkunft ist bekanntlich heikel. Wer es aufgreift, macht sich des Rassismus verdächtig, der nirgendwo leichthin zu unterschätzen wäre. Für die Suche nach Einstellungen, Lebenslagen, Formen des Verhaltens im Mit- und Zueinander kann es gleichwohl nicht totgeschwiegen werden. Wir alle sind – auch –, woher wir kommen, mit welchen Geschichten wir fühlen, in welchen Lebenswelten unser Gewissen wurzelt."(...)

und weitergedacht (was der autor an dieser stelle leider unterlassen hat) führt eine breite spur zum problem der inneren und äußeren verheerungen von krieg und nationalismus, und zwar primär im psychophysischen sinne; das menschen in kriegszonen - die das ohne adäquate verarbeitung auch bleiben, wenn anscheinend schon länger "frieden" ist - teils unsichtbar von der massiven traumatischen gewalt gezeichnet sind und leider auch meistens bleiben, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. und mit einer tat wie beschrieben haben die täter einen ganz wesentlichen teil der gewaltlogik im krieg quasi in raum & zeit versetzt, in die "idyllisch situierte" schweizerische stadt. dieser wesentliche, oder sogar entscheidende teil wird so beschrieben:

(...)"Was freilich generell – und jenseits von spezifischen Konstellationen der sogenannten Inkulturation – zu beobachten ist, wo immer junge Männer gewalttätig explodieren, hat mit zwei Voraussetzungen wesentlich zu tun. Die erste Ursache oder Bereitschaft gründet darin, dass das reale Dasein des Anderen als des Nächsten zunehmend im Sinne von blosser Gegenständlichkeit begriffen wird. Schlichter formuliert: Der Tessiner Student trat seinen Häschern als Objekt von Störung entgegen."(...)

mal abgesehen davon, dass gerade bei betrachtung des letzten blogbeitrages von gestern deutlich wird, dass die "exklusivrechte" junger männer an gewalt in öffentlichen räumen zunehmend verschwinden, ist hier der wahrnehmungsmodus der täter auf den üblen und nur zu bekannten punkt gebracht: verdinglichung, der / die andere als objekt.

ich möchte es mir an dieser stelle sparen, auf die zahlreichen ähnlichen geschichten hinzuweisen, die in der zeit des bestehens dieses blogs bisher hier dokumentiert wurden. die gemeinsamkeiten, und an erster stelle die gerade benannte, stechen einen mittlerweile schon ins auge. und es ist interessant, dass eine derart angemessene realitätswahrnehmung es inzwischen immerhin auch in den kulturteil einer großen bürgerlichen und nicht gerade kapitalismus-unfreundlichen zeitung schafft. die allseits übliche fragmentierte bzw. dissozierte (selbst-)wahrnehmung verhindert aber offensichtlich bis auf weiteres den durchbruch derlei erkenntnisse und v.a. der daraus folgenden fragen in die wirtschaftsteile. denn ob nun verdinglichung oder
ökonomisierung der sozialen beziehungen: ausdruck und konsequenzen bleiben sich im ergebnis immer gleich.

nichtsdestotrotz würde ich sagen, dass der artikel zu den besseren bezgl. diese themas zählt - und zum ende sind noch folgende sätze zu lesen:

"(...)Am anderen Ende der Kommunikationsgemeinschaft, die gern den herrschaftsfreien Diskurs als Regulativ für Konflikte jeglicher Façon begreift, steht der Autismus. Inzwischen ist Autismus auch wieder gruppenbildend. Er formiert sich dann im Gestammel, dann in Hauen und Stechen, wenn's so beliebt."(...)

und tatsächlich: wenn man sich etwas von den kategorien der psychiatrischen diagnosenkataloge löst und autismus als weitgehende bis totale funktionelle bzw. strukturelle einschränkung der beziehungsfähigkeiten begreift (was wiederum mehr als eine bloße metapher ist), und dazu die existenz von simulationsfähigen autismusvarianten akzeptiert, ist der erste satz ein volltreffer. das "gruppenbildend" jedoch gehört in dicke anführungszeichen: menschen in einem derartigen wahrnehmungsmodus sind höchstens zu pseudokollektiven, zu als-ob-gruppen in der lage, die sich eben gerne und bevorzugt auch unter staatswappen, fahnen und ähnlichen magischen symbolen formieren - unter abstraktionen halt, bei denen jegliche gemeinsamkeit nicht real, sondern von halluzinatorischen qualitäten ist. und objektiven quantitäten: "wir sind im gleichen landstrich geboren" , "wir sind männer" und dergl. mehr.

für das reale menschliche zusammenleben also mehr oder weniger belanglose quantitative gemeinsamkeiten werden vom objektivistischen modus kompensatorisch für die geschädigten authentischen beziehungsfähigkeiten als pseudo-qualitative gemeinsamkeiten präsentiert. derart funktionieren solche "gruppen", egal unter welcher (austauschbaren) ideologie sie letztlich ihr dasein fristen. das gestammel und besonders das hauen und stechen ist dabei regelrecht konstituierend für derartige zusammenschlüsse. authentische sozialität sieht anders aus.

trotz dieser nötigen korrektur: erstaunliche schlußfolgerungen.

Montag, 11. Februar 2008

notiz: täter-opfer-dialektik bei schlagenden mädchen...

...eindrucksvoll vorgeführt im folgenden artikel :

(...)"Wichtig ist nicht nur, was die Mädchen erzählen, sondern auch, was sie verschweigen. Oder nur erzählen, wenn es ihnen nicht persönlich zugeordnet wird. Die Geschichten der Mädchen aus Gauting haben zwei Seiten. Die, über die sie offen sprechen, auf die sie stolz sind: Diese Geschichten handeln von der eigenen Härte beim Leben auf der Straße, dem Mut, nur nach den eigenen Prinzipien zu handeln. Und von der Unverfrorenheit, denen, die anders denken, mit Schlägen zu zeigen, wer mächtiger ist.

Doch es gibt auch den Teil, über den die Mädchen nicht gern sprechen, bei dem sie dicht machen, sich in Übersprungshandlungen verlieren. Der handelt von sexuellem Missbrauch, Vergewaltigungen, Schlägen, Demütigungen durch die eigenen Eltern, Erniedrigungen aller Art.(...)

"Die Opfer von gestern sind die Täter von heute", sagt er, in seinem Besprechungszimmer sitzend. Zwischen den Sätzen macht er lange Pausen, so als wolle er sicher gehen, dass die Worte auch genau treffen, was er meint.

Viele Mädchen erleben im Heim zum ersten Mal einen strukturierten Alltag. Außerdem versuchen die Erzieher, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen: In Gesprächen werden die Probleme der Jugendlichen thematisiert. Die Mischung aus beidem nennt Stadler "liebevolle Strenge": "Die Erziehung ist autoritär, nicht partnerschaftlich. Wir geben die Regeln vor und schauen, dass sie eingehalten werden." Stadler sagt, es sei wichtig, die Mädchen zugleich als Täter und Opfer zu sehen. "Wir helfen ihnen nicht, indem wir nur Mitleid haben, und wir helfen ihnen auch nicht, wenn wir ihr Verhalten nur Sanktionieren und nicht versuchen, es zu verstehen."(...)


mehr zum ganzen thema "jugendgewalt" vermutlich nächste woche. ja, und der folgende satz aus dem glossar innerhalb des artikels -

(...)" Nur wenige der Jugendlichen, die kriminell werden, weisen tiefgreifende Persönlichkeitsstörungen auf."(...)

- ist nur dann zu unterschreiben, wenn es sich tatsächlich deutlich um fehlgeschlagene verarbeitungsversuche posttraumatischer störungen mittels gewalt handelt. dieser punkt wird mich hier noch beschäftigen.

notiz: langsam aber sicher...

...kommt auch in teilen der sog. gesellschaftstragenden bürgerlichen schichten unruhe auf:

"Ich bin 38 Jahre alt und Allgemeinarzt mit einer gut gehenden Hausarztpraxis in Neuötting, Oberbayern, geistig gesund und ein völlig normaler Bürger mit einer Lebensgefährtin und einem 15 Monate altem Sohn, bin seit 12 Jahren Gemeinderat und seit sechs Jahren Kreisrat der CSU, einer Partei, die sicherlich weit entfernt ist vom Ruf, linkspolitische und revolutionäre Gedanken zu pflegen.(...)

Ich bin von tiefstem Herzen Demokrat und, wie mir in den letzten Tagen bewusst geworden ist, ein hoffnungsloser Idealist."(...)


und aus dieser position heraus kommt dieser arzt bei seiner einschätzung der sog. "gesundheitsreformen" zu bemerkenswerten ergebnissen:

(...)"Ab dann würden nicht mehr die Krankenkassen den Preis diktieren, sondern der Monopolist, denn niemand anderes kann die Sicherstellung der medizinischen Versorgung garantieren. Die Gelder der Beitragszahler werden reichlich in die Taschen der Besitzer fließen und der mündige Bürger wird in seiner Versorgung komplett auf die Bestimmungen des jeweiligen Konzerns angewiesen sein.

Rechte wie die freie Arztwahl will ich hier gar nicht erwähnen, man wird froh sein, dass sich überhaupt noch jemand der Bürger annimmt. Unsere breit gefächerte Arztlandschaft soll also ganz bewusst umgebaut werden zu einer reinen Monokultur, die nur der Gewinnerzielung dient und den einzelnen Patienten als Wertschöpfungsfaktor und nicht als Mensch behandelt."(...)


immerhin - selbst die nachvollziehbare betriebsblindheit gegenüber den abhängigkeiten (zb. von der pharmaindustrie) der eigenen zunft von haus- und fachärzten einbezogen, ist diese meinung eines konservativen absolut lesenswert.

achja: von der im text erwähnten kundgebung von tausenden von ärzten habe ich übrigens medial tatsächlich nichts mitbekommen. aber sagen Sie selbst: haben Sie am vergangenen wochenende etwas von den tausenden gehört, die - friedlich - gegen die sog. "sicherheitskonferenz" in münchen demonstriert haben? die medien als vierte gewalt - ja, aber brav an der seite ihrer herrschaft.

Samstag, 9. Februar 2008

"There Will Be Blood"

wenn der film auch nur halb so sehenswert sein sollte, wie es aus dieser fulminanten rezension herausklingt...

(...)"Die andere Wahrheit lautet: Andersons Film über Aufstieg und Fall des Ölmagnaten Daniel Plainview ist eine grandiose Erzählung über den Kapitalismus, der kriminell, über einen Wohlstand, der freudlos und ein Wachstum, das zum Fetisch geworden ist.(...)

Dennoch gibt es eine Rache der Natur, auch wenn sie mit bloßem Auge kaum zu erkennen ist. Je tiefer der Bohrmeißel getrieben und je mehr Öl der Natur abgepresst wird, desto feindseliger werden die Menschen. Um die Gewalt der Natur zu brechen, muss sich der Pionier ebenfalls Gewalt antun. Wo andere ein Glücksgefühl haben, hat Daniel Plainview einen Gefahrensinn. Wo andere Freunde haben, hat er Feinde wie Sand am Meer. Der Teufel, die konkurrierende Ölgesellschaft, will ihm ans Leder. Daniel scheint cool, elegant und gelassen, aber er steht mit dem Rücken zur Wand. Sein Schuldkonto wächst so schnell wie sein Profit, denn um sich in den Besitz von profitablem Land zu bringen, bricht er das heilige Gesetz der Gastfreundschaft.

So wird der Ölmann kalt und kälter, und nur einmal schließt der moderne Odysseus Frieden mit sich und der Natur – als er sein gelobtes Land durchmessen hat und ins Meer eintaucht, schwerelos und für einen Augenblick befreit vom Zwang, erfolgreicher zu sein als der Erfolg. Zurück in der Wildnis der Zivilisation, ist er wieder ganz der ökonomische Mensch, der sich fürs Geschäft menschlich gibt. Sogar seine Treuherzigkeit sieht aus wie Kalkül. (...)

Damit hat der Film sein Thema gefunden, und er wird es auskosten bis zur bitteren Neige, bis vom Dasein nichts mehr übrig bleibt als Hass und Verachtung. Was ist uns der Reichtum wert? Wie viel Leben wollen wir der Ökonomie opfern?(...)

Am Ende ist der große Unternehmer ein Monster der Einsamkeit und ersäuft in Öl, Geld und Alkohol. Das Subjekt, das die Früchte seiner Arbeit genießen könnte, gibt es nicht mehr. Es hat sich selbst geopfert."(...)


...die mit den obigen sätzen die dingwerdung eines kapitalisten beschreibt und vor diesem alptraumhaften szenario dann die nötigen schlüsse zieht - wenn also auch nur ein bruchteil dieser herrschenden erbärmlichkeit dargestellt werden sollte, dann ist das für mich grund genug, diesen film in die liste der empfehlungen hier aufzunehmen.



ich bin gespannt.

Montag, 4. Februar 2008

notiz: man könnte glatt auf die idee kommen...

...das sich beim weiterdenken des folgenden ein schluß besonders aufdrängt: auch in der "zivilgesellschaft" der usa herrscht eine art kriegszustand :

(...)"Die Selbstmordrate innerhalb der US-Armee lag zuletzt allerdings immer noch leicht unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Im Jahr 2006 starben 17,5 von 100.000 Armee-Angehörigen durch eigene Hand. Der Vergleichswert für die amerikanische Gesamtbevölkerung liegt laut CNN.com noch etwas höher."

und noch eine anmerkung: das eine - posttraumatische belastungsstörungen - schließt das andere - beziehungsprobleme, und zwar sowohl in den betroffenen selbst als auch in der folge mit anderen - nicht nur nicht aus, sondern enthält sie als eine art kernbestandteil:

(...)"Als Ursachen für das Ansteigen der Selbstmordrate gelten die lange Dauer der Militäreinsätze in Kampfgebieten wie Irak und Afghanistan und die oft nur kurzen Phasen von Regeneration zwischen den Einsätzen. Auch das sogenannte posttraumatische Stress-Syndrom (PTSS) bei zurückgekehrten Soldaten wird als Faktor genannt.

Der häufigste direkte Anlass für einen Selbstmordversuch seien aber Partnerschaftsprobleme, sagte Psychiaterin Cameron-Ritchie. "Die Leute blicken auf PTSS, auf die Länge der Einsätze - aber entscheidend sind zerbrochene Beziehungen", stimmt ihr der Armee-Pastor Ran Dollinger zu."(...)


mehr auch
hier.

Samstag, 2. Februar 2008

assoziation: von der "kaschmirisierung des alltags" - oder die verdinglichung des glücks

ein eher zufälliger fund des folgenden artikels hat mich zur genaueren formulierung bisher vager gedanken angeregt, die sich u.a. bei der lektüre vieler texte zum rauchverbot in öffentlichen räumen einstellten - besonders etliches zum thema drüben bei kollege quirinus sorgt immer wieder neben beifälligem nicken auch für etliche fragezeichen. gibt es tatsächlich eine art "wellnessfaschismus"? oder anders: kommt die diktatur zumindest im westen inzwischen auf plüschsohlen daher?

(...)"Man muss sich nur umschauen: Wie nie zuvor dominiert das Streben nach Wohlfühlen unsere Zeit. Wobei wir uns heute ganz anders wohlfühlen als früher. Es geht nicht mehr um Sport oder Kultur, um ein kühles Bier mit Freunden – um Dinge also, die ganz beiläufig Zufriedenheit hervorrufen können. Nein, heute geht es um die reine Essenz des Wohlfühlens: um Regeneration, Entspannung, gemütliches Genießen, aufpoliertes Nichtstun."(...)

Geschäfte, die sich »Die Wohlfühler« nennen, verkaufen einen Mix aus Massagen, Yoga, Kosmetikanwendungen und Maniküre. Magazine mit dem Namen »Wohl fühlen« (zum Beispiel von dieser Zeitung) präsentieren Angebote, deren Konzept irgendwo zwischen Wellness, Bio und Öko angesiedelt ist. Die Wohlfühlindustrie stellt Produkte wie ausgleichendes Mineralwasser mit Ginseng her, grünen Wohlfühltee oder fermentierte Erfrischungsgetränke, die unsere Laune heben sollen. Fast alle großen Modemarken haben in ihr Programm inzwischen weiche Pantoffeln, Wärmflaschen mit Nerzbesatz, Kuschelplaids oder Hauswäsche aufgenommen. Wie viele Politiker in Deutschland und Österreich behaupten, dass ihr Bundesland ein »Wohlfühlland« sei, ist kaum noch zu überblicken (z.B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bayern, Kärnten, Steiermark). Kaum jemand, der nicht mit einem schick um den Hals geschmeichelten Wohlfühlschal aus dem Haus geht, egal ob es Sommer oder Winter ist oder ob man als Architekt oder als Fußballtrainer arbeitet. Die Verkaufszahlen von Kaminen und Öfen haben sich in den vergangenen sechs Jahren verfünffacht – nicht nur wegen steigender Energiekosten, sondern aus »Lifestylegründen«, wie man beim Industrieverband Haus-, Heiz-, Kühltechnik erfahren kann. Und auch die Karrieren von edlen Schokolade- und Kaffeeprodukten sind Sinnbilder dieser Entwicklung. Unsere Wohlstandsgesellschaft wird gerade zur Wohlfühlgesellschaft."(...)


das ist eine zustandsbeschreibung, die in dieser krassen form wohl eher nur auf teile der (ökonomischen) mittel- und oberklasse zutreffen dürfte - das sog. prekariat hat ganz andere sorgen (und zwangsläufig auch eine andere lebensrealität - ob man die auch lifestyle nennen sollte?)

und es gibt dabei ein paar entwicklungen, die ich im kern keineswegs gleich negativ sehen würde. das zitierte entspannen oder auch das "gemütliche genießen" sind durchaus qualitäten, die alle förderung verdienen und benötigen - komprimiert würde ich das unter
wiedererlangung der subjektiven zeit fassen, und wie ich u.a. im verlinkten beitrag schon versucht hatte, deutlich zu machen, ist das unter den heutigen zuständen ein nötiges und auch potenziell explosives projekt. langsamkeit, entspannung und hedonistische fähigkeiten (die ich nicht mit wahllosem und suchtartigem konsum von allem und jedem gleichsetzen würde), sind aus meiner sicht unverzichtbare bestandteile eines lebens jenseits des dingwelt.

und es spricht auch erstmal nichts gegen das bemühen, sich den alltag möglichst angenehm zu gestalten, wozu von fall zu fall auch die nutzung qualitativ hochwertigen gebrauchseigentums gehören kann. was sich allerdings schon oben im zitat andeutet, ist tatsächlich ein problem: verständliche - und berechtigte - wünsche nach mehr lebensqualität sind, wie in kapitalistischen gesellschaften üblich, längst als verkaufsfördernde marktlücke entdeckt und entsprechend umgesetzt worden. und das ist nun doch etwas, was
nicht kritiklos stehen bleiben kann:

(...)"Wie lässt sich dieser Drang zur immerwährenden Entspannung erklären? Wo mit Hochtouren am Wohlbefinden gearbeitet wird, muss vorher Unwohlsein geherrscht haben. Die Verkrampfungen, Verspannungen unserer Zeit scheinen es notwendig zu machen, dass wir uns sofort und jederzeit – gern gegen Honorar – entkrampfen müssen.

Viele Menschen empfinden das Leben als so hart wie seit den Aufbaujahren der Bundesrepublik nicht mehr. Der berufliche Alltag fordert den meisten mehr als nur eine 35-Stunden-Woche ab, der Leistungsdruck steigt, die Angst vor dem sozialen Abstieg hängt im Nacken. Also versuchen wir – professionell, wie wir sind –, Verstimmungen und Verspannungen von Körper und Gemüt durch ein perfekt organisiertes Wohlfühlprogramm auszugleichen. Jemand, der hart arbeitet, muss sich ebenso schnell und heftig erholen, denken wir, außerdem braucht er körperliche und seelische Ressourcen. Schon dient die Wohlfühllust als Ergänzungsprogramm zur Arbeit, als Hilfsmittel, sofort wieder loslegen zu können."


ergänzend wäre noch anzufügen, dass sich die allgemeine verkniffenheit und anspannung auch als allgemeines symptom von verbreiteter
angst interpretieren lässt, die ich in der herrschenden form bereits als eine art vorstufe zum trauma definiert hatte. und aus dieser perspektive ist der wellness-trend nur folgerichtig und ein weiteres beispiel für den totalitären charakter des kapitalismus: selbst aus der systemimmanenten psychophysischen deformation wird derart noch profit gezogen, und weitergedacht fallen noch ein paar andere herrschaftsstabilisierende effekte auf: zum einen wäre da das teile-und-herrsche prinzip: dünne gegen dicke, raucher gegen nichtraucher, jugend gegen alter, gesund gegen krank.... - so werden nach altbewährter tradition die eigentlich alle gleich von der verdinglichung überrollten gruppen gespalten und gegeneinander ausgespielt.

zum anderen aber wird derart eine definition von gesundheit etabliert, die sich perfekt in das vermessende, objektivierende und konkurrenzorientierte kalkül der herrschenden macht einpassen lässt: wird ein derart statischer - d.h. unrealistischer, weil unlebendiger - gesundheitsbegriff etabliert, so ermöglicht das eine ebenfalls gleichfalls statische und mechanische bewertung anhand als-ob-objektiver kriterien, die einen gesunden menschen v.a. an seinem körperlichen ausdruck festmachen, was heute nichts anderes bedeutet als an seiner leistungsfähigkeit. und so dann auch die tür öffnen zu den sichtbaren tendenzen einer
neu-alten selektion nach eben diesem hauptkriterium. gesundheit = leistungsfähigkeit. und wer das nicht mehr erfüllt bzw. erfüllen kann, wird gleichfalls zunehmend weiter nach den gleichen objektivistischen kriterien behandelt: zu alt, zu dick, selbstverschuldet erkrankt (eine genaue betrachtung dieser definition würde einen eigenen beitrag erfordern) = mit steigender wahrscheinlichkeit werden nötige medizinische behandlungen nicht mehr (voll) finanziert bzw. auf die betroffenen abgewälzt. wer sich das nicht leisten kann: pech gehabt.

aus der sicht der macht also ein prima geschäft: wir versetzen die menschen erstens in angst und panik, um ihnen dann zweitens die gegenmittel zur symptombekämpfung zu verkaufen, etablieren drittens ein hauen und stechen unter den beherrschten, die uns dadurch nicht gefährlich werden können, und erhalten viertens die gelegenheit, durch die hintertür die sowieso niemanden interessierenden loser endgültig loszuwerden.

ein plot, der jedem soziopathischen hirn gefallen dürfte.

"In früheren Generationen haben sich die Menschen dem Stress aus Beziehung, Beruf, Lebensführung auf andere Art entzogen: Sie haben die Welt verändert oder sind spirituell ausgestiegen. Heute gehen wir den Weg des einsamen Genießens; statt der Welt verändern wir unser Leben: ein ausgefuchster Dreh, einen Ausbruch zu schaffen, aber gleichzeitig gesellschaftskompatibel zu bleiben. Das Leben scheint uns fremdbestimmt und unveränderbar, also flüchten wir in die kleine Selbstbestimmtheit der Massage oder spirituellen Turnübung."(...)

ja. wobei ich mich frage, ob "einsames genießen" überhaupt etwas mit genuß im eigentlichen sinne zu tun hat? alleine etwas genießen ja - aber
einsam ?

(...)"die einsamkeit als ein "lebenslang beglückendes lebensgefühl" anzusehen, stellt für - wieder in relation - gesunde menschen ein ding der unmöglichkeit dar. stellen Sie sich nur mal vor, Sie würden dazu aufgefordert werden, hunger als "lebenslang beglückendes lebensgefühl" zu betrachten - nichts weiter als eine unverschämte zumutung.

und diese zwanghafte perspektive "jeder muss (!) nach seiner fasson glücklich werden" - schon wieder managementgeschwätz. vor nichts scheint eine gewisse (und gesellschaftlich tonangebende) art von menschen so viel angst zu haben wie vor der erkenntnis, dass eben nicht alles im leben einen guten ausgang nimmt; dass für uns alle grenzen existieren, dass nicht alles machbar und nicht jede existenzielle schädigung korrigierbar ist. stattdessen "sei glücklich!" als quasibefehl. daraus lassen sich zwar fiktionen und simulationen konstruieren, die ein happy-end besitzen mögen - aber mit der realität hat das dann eben nicht mehr eben viel zu tun. es gibt ereignisse und verluste, die nicht oder nur mit schweren konsequenzen zu verarbeiten sind - und gerade die beziehungskrankheiten zeigen das in aller deutlichkeit."(...)


in etwas anderen worten im sz-artikel:

(...)"Doch zu häufiger Gebrauch schwächt die Wirkung, Regelmäßigkeit fördert die Abhängigkeit: Die Maximierung von Lust wirkt kontraproduktiv. »Die ständige Jagd nach dem Wohlfühlglück macht auf Dauer systematisch unglücklich«, sagt Schmid und rückt andere Glücksarten ins Blickfeld – etwa das Glück der Fülle, das auch Unangenehmes und Schmerzliches miteinbezieht, oder das Glück des Unglücklichseins: Melancholie als gefühlsbewegte, nachdenkliche Selbstbesinnung zu betrachten. Leben ist Polarität und Glück eine Kontrast-erfahrung, sagt Schmid. Es hat nur Wert, was selten ist, was nicht pausenlos und umstandslos zu haben ist: Glück braucht Pausen."

der letzte satz ist ein schöner satz. aber das scheinen diese "einsamen genießer" nicht begreifen zu können. und die dealer des glücksversprechens wollen das natürlich nicht begreifen:

"Solche Sätze hört in der Wohlfühlindustrie niemand gern. Allein in der Wellnessbranche werden derzeit 80 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt, mehr als in der Bekleidungsindustrie; bis zum Jahr 2020 sollen eine Million neue Arbeitsplätze entstehen. Die Fülle der Massagen und Behandlungen ist nicht mehr zu überblicken, ihr Sinn auch nicht. Deshalb überrascht es nicht, dass es bereits die ersten Wohlfühljunkies gibt, die sich nur noch mit immer stärkeren Hilfsmitteln entspannen können. Für solche Menschen hält die Industrie bereits doppelte Dosen an Wohlfühlglück bereit: Schokoladenwellness zum Beispiel oder »Latte Massagio«, eine Massage mit Latte macchiato im Anschluss – Wohlfühlglück in kumulierter Form also.

Muss es uns nicht zu denken geben, wenn plötzlich eine ganze Generation weich gespült, durchmassiert, einwattiert werden will? Und was soll man von einer Gesellschaft halten, in der andauerndes Wohlfühlen zur Norm geworden ist?"(...)


nix. kein stückchen gutes kann man von einer solchen gesellschaft halten, wenn das "wohlfühlen" als das begriffen wird, was es ist: eine fremdbestimmte und profitträchtige suchtstruktur, mittels derer die vereinzelten und verdinglichten menschen im hamsterrad gehalten werden. und unter diesen umständen können dann sogar der eigentlich ungesunde zug an der zigarette oder das herzhafte zulangen in die fettigen pommes rot-weiß zu einer subversiven handlung - ja, werden?

ich habe so meine probleme damit, diese gleichung umstandslos aufzumachen. was sowohl mit dem fitzelchen realität in der objektivistischen wahrnehmung von gesundheit als auch mit der gleichfalls darin vorhandenen dialektik zu tun hat. rauchen ist eine sucht; und steigert die wahrscheinlichkeit von üblen und unangenehmen krankheiten, von den machenschaften der tabakbranche mal ganz abgesehen. ähnliches gilt für fast food. und sowohl als raucher als auch gelegentlicher konsument von fast food komme ich um die einsicht nicht herum, dass auch solche konsummuster einen zusammenhang haben mit den gleichen verhältnissen, aus denen der oben beschriebene wellness-wahn entstammt. es drängt sich der eindruck von scheinalternativen auf, die beide ihre haken haben - und gleichfalls dem einer geschichtlichen wiederholung: wenn man sich das ende des 19. und den beginn des 20. jahrhunderts in d-land betrachtet, so fallen ein paar parallelen auf. es gab damals eine art kulturkampf zwischen dem, was sich als "jugendbewegung" bezeichnete - mit den leitsätzen von jugend, kraft, gesundheit und "moralisch sauberem" lebenswandel incl. sexfeindlichkeit (bei gleichzeitiger anbetung des "reinen" körpers), "vaterlandsliebe", naturverherrlichung und abscheu gegen das ungesunde und "entartete" stadtleben einerseits und einigen städtischen - proletarischen und bürgerlichen - milieus andererseits, die bspw. in fragen von genuß, kunst- und kulturbegriff, "freier" sexualität und experimentierfreudigkeit in fragen des sozialen zusammenlebens für die erstgenannte tendenz das verhasste feindbild abgaben. und später von den nazis in allen bereichen als "das entartete" per se denunziert und bekämpft wurden. (wer sich für diese auseinandersetzung näher interessiert, sei z.b. auf die arbeiten des historikers
george mosse verwiesen, besonders auf "nationalismus und sexualität", in dem das eben grob beschriebene einen großen raum einnimmt.)

jedenfalls lassen sich von heute aus weder die eine noch die andere variante oben vorgeschlagener bzw. vorgeschriebener lebensstile in westlichen gesellschaften guten gewissens goutieren. beide stellen aus heutiger perspektive jeweils scheinbar entgegengesetzte, jedoch letztlich aus gleicher quelle stammende wege der verdinglichung des menschlichen glückes dar, beide arbeiten mit konstruktionen und halluzinationen bzw. realitätsausblendung. und während der eine historisch die basis für den klassischen faschismus gelegt hat, ist der andere völlig kompatibel mit dem totalitären modernen kapitalismus. beide enthalten auch jeweils kleine fragmente richtung psychophysischer gesundheit in einem realistischen sinn - befreiung des körpers, angemessener (u.a. suchtfreier) hedonistischer konsum, überhaupt genußfähigkeit, bei gleichzeitiger benennung tatsächlich problematischer tendenzen des stadtlebens etc. - aber eben auch immer nur in verzerrter form.

und deshalb glaube ich, dass uns ein weg jenseits dieser als-ob-alternativen zunächst in die pfadlose wildnis des eigenen experimentierens bei vollem risiko führen wird. aber: no risk, no fun.

Montag, 28. Januar 2008

notiz: auch als überzeugter stimmzettelungültigmacher...

...finde ich alleine den effekt der gestrigen wahlen, dass die herrschende antisoziale fraktion in aller öffentlichkeit zu den plumpesten lügen greifen muss, als positiv - an ihren fakes sollt ihr sie erkennen:

(...)"Ausdrücklich warnte der BDI-Präsident, nun die Debatte über einen Mindestlohn zu forcieren. Das schwäche den Standort Deutschland, koste Wachstum und Arbeitsplätze. ´"Auch in der energiepolitischen Diskussion fordere ich mehr Realismus ein. Wer glaubt, Haushalte und Wirtschaft seien nur mit erneuerbaren Energien zu versorgen, ist völlig realitätsfremd und gefährdet Jobs in der energieintensiven Industrie.“

"Gerade in konjunkturell schwieriger werdenden Zeiten hätte ein klares Signal für eine weitere Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gut getan", sagte BGA-Präsident Börner. Eine Hängepartie in den nächsten zwei Jahren würde Unternehmen und Investoren aus dem In- und Ausland abschrecken. Einmal mehr zeige sich, dass die Wähler sich mindestens genauso schwer täten wie die Politik, ökonomische Gesetze zu akzeptieren."(...)


"realismus" (lies: nur das ist "realistisch", was unsere pfründe nicht antastet), "standort" (lies: wir sind so derart beschränkt, dass wir nur noch in ökonomisch-objektivistischen kategorien wahrnehmen, und alles andere ist nicht wichtig - darum dürfen nur unsere regeln gelten, und zwar für alle), "ökonomische gesetze" (lies: unsere antisozialen machenschaften sind naturgesetzlich) - das ganze neusprech aus der mottenkiste des kapitalistischen klassenkampfes wird aufgefahren, um mit der allerdreistesten lüge zum höhepunkt zu kommen:

"Leidtragende seien wie immer die Schwächsten der Gesellschaft, Rentner, Arbeitslose und Geringverdiener. "(...)

genau - denen helfen auch nur noch mehr billigjobs, lohnkürzungen, streichungen hier und streichungen da. kleine erinnerung: u.a. sind
das die folgen des handelns dieser leute.

und nein, ich erwarte mir nicht allzuviel von der linkspartei - sie ist schlicht nicht radikal genug in dem sinne, dass sie wirklich an die wurzeln der jämmerlichen zustände rühren könnte und vermutlich auch wollte. aber alleine schon wg. solcher aussagen wie oben ist ihre wahl etwas positives.

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