Mittwoch, 31. März 2010

notiz: schwarz vor augen... [2. update am 01.04.]

...wird´s zumindest mir, wenn ich mir kommentare wie die folgenden betrachte:

"ich wurde "misshandelt". Als Messdiener und im Religionsunterricht vom Pfarrer, im weiteren Unterricht von den Lehrerinnen und Lehrern und zu Hause von den Eltern. Es gab nämlich Ohrfeigen schon für die kleinsten "Vergehen", bei denen die heutigen Erziehungsberechtigten nichteinmal mit den Schultern zucken würden. Und meinen Schulkameraden erging es genau so. Mensch, lasst mal die Kirche im Dorf und erklärt nicht jede Ohrfeige zur Misshandlung.


Schreibt Jahrgang 44"


"Die Christen sollten sich wieder an das Wort Gottes, Sprüche 8,23 einnern.

Die Wiedereinführung der Prügelstrafe (Rohrstock auf das Gesäß - aber keine Faustschläge ohne sonstigen Mißhandlungen) würden den Kindern und den Jugendlichen von heute wohltun und
"anständige" Menschen aus ihnen machen."

(der satz "keine faustschläge ohne sonstigen mißhandlungen" steht da so im original; ein haarsträubendes beispiel für das, was klaus theweleit als "halluzinatorische wunscherfüllung" bezeichnet - der kommentator hat da wohl aus versehen völlig offen geschrieben)

(...) "Hat Mixa jemand getötet, zusammengeschlagen, sexuell belästigt? Wohl nicht! Ohrfeigen in Familien und teilweise in der Schule gehörten noch zu meiner Kindheit zur Normalität! Wenn auch nicht in jeder Familie u. Schule. Vielleicht hat man damals noch gewußt, was in den Sprüchen Salomos steht: "Züchtige deinen Sohn, solange Hoffnung da ist, aber laß dich nicht hinreißen, ihn zu töten. Großer Grimm muß Strafe leiden, denn willst du ihn steuern, so wird er noch größer. Höre auf Rat und nimm Zucht an, daß du hernach weise seist." Spr. 19,18-20.
Ist das grundsätzlich falsch ?"

"Sicher, mit Faustschlägen sollte niemand traktiert werden. Aber Ohrfeigen waren früher ganz normal! Und legal dazu. Das sollte man wieder einführen, besonders an Schulen wie der Rütli-Schule! Wir sind zu weich geworden, verschwunden
preussische Zucht und Ordnung!"

*

so also einige statements aus dem
forum von "spon" zu den heute bekannt gewordenen schilderungen mehrerer ehemaliger heimkinder bezgl. gewalttätiger übergriffe des notorischen bischofs mixa gegen sie in der vergangenheit - ausführlich in der sz:

(...) "Der Kreis der ehemaligen Heimkinder, die dem Augsburger Bischof Walter Mixa körperliche Züchtigung vorwerfen, wird größer. Jutta Stadler aus Pfaffenhofen bestätigt die in der Süddeutschen Zeitung vom Mittwoch veröffentlichten Beschuldigungen und schreibt in einer eidesstattlichen Versicherung: "Er hat mir mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen." Der SZ liegen damit sechs eidesstattliche Erklärungen vor, in denen berichtet wird, dass Walter Mixa in seiner Zeit als Stadtpfarrer Heimkinder in Schrobenhausen geschlagen habe.

Jutta Stadler lebte von 1968 bis 1977 im Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Josef in Schrobenhausen. Die 47-Jährige legt großen Wert darauf, mit vollem Namen genannt zu werden, "damit ich dieses Thema endlich abschließen kann". Sie berichtet davon, dass Mixa als damaliger Stadtpfarrer "öfters sein Auto" zum Kinderheim gebracht habe. "Dieses musste dann von jeweils vier Kindern stundenlang geputzt werden", schreibt sie. Jutta Stadler bestätigt auch brutale Übergriffe zweier Klosterschwestern, die damals als Erzieherinnen tätig waren. "Ich hatte am ganzen Körper blaue Flecken", sagt sie. Als sie einmal ihr Essen nicht aufessen wollte, habe ihr eine Schwester die heiße Suppe "über den Kopf gegossen". (...)


aus einer anderen
erklärung:

(...) ""Herr Mixa hat mir im Laufe der Jahre mindestens 50-mal die Hose heruntergezogen und mit einem Stock fünf- bis siebenmal kräftig auf das Gesäß geschlagen", sagt Markus Tagwerk (Name geändert). Der 41-jährige Familienvater lebte von 1972 bis 1982 in dem Kinderheim. Heute arbeitet er selbst als Erzieher, "aber antiautoritär", wie er betont.

Weil er für eine kirchliche Einrichtung arbeitet und Repressalien befürchtet, will er seinen Namen nicht in der Zeitung veröffentlichen. In seiner eidesstattlichen Erklärung schreibt er: "Einmal hat er (Mixa, Anm. d. Red.) einen Kochlöffel genommen. Dieser ist abgebrochen, dann nahm er die Hand." Während der Schläge soll Mixa laut Tagwerk gesagt haben: "Kind Gottes, nimm diese Strafe", oder: "In dir ist der Satan, den werde ich dir schon austreiben." (...)


bei ansicht der letzten sätze kam mir wieder dieser
beitrag in den sinn, den ich vor einigen wochen als ersten zu alldem geschrieben habe, was jetzt (nicht nur) hinsichtlich der praktiken der hiesigen katholischen kirche im umgang mit kindern und jugendlichen an den tag kommt:

(...) "Wie der Bayerische Rundfunk mittlerweile erfahren haben will, soll der Augsburger Bischof Walter Mixa in Bayern einen Exorzisten zur Teufelsaustreibung beauftragt haben." (...)

das lässt sich nur noch zynisch kommentieren, tut mir leid - offensichtlich sehen gestalten wie mixa überall den teufel am werk, dem man(n) dann eben auch ganz handgreiflich zu leibe rücken muss - jemand ohne amt und würden würde sich heute bei derlei tun mit solchen " begründungen" wie von mixa gegenüber den kindern sehr schnell in der geschlossenen abteilung der nächstgelegenen psychiatrischen klinik wiederfinden. es ist schlicht unerträglich mit anzusehen, wie solche formen von schon regelrecht klassisch zu nennendem religiösen wahn incl. destruktiven ausagieren seitens des staates und teilen der öffentlichkeit nicht nur hingenommen, sondern auch noch durch passivität oder gar - siehe oben - verbale unterstützung gerechtfertigt werden.

gleichzeitig ist das ganze aber auch eine lektion in der hinsicht, wie die zugehörigkeit zu einem beliebigen teil der sog. "elite" selbst offene wahnzustände im klinischen sinne durch eben die funktion in genannten "ämtern und würden" mitsamt allem zugehörigen formalen und mystifizierendem faulen zauber regelrecht vernebelt und verschwinden lässt - die geschichte der "eliten" rund um den globus ist voll von beispielen durchgeballerter adliger, völlig gestörter religiöser verkünder, wahnsinniger politiker, total abgedrehter wirtschaftsdynastien - vom militär erst gar nicht zu reden; und nicht zuletzt ist auch im gesamten sog. künstlerischen und teils auch wissenschaftlichen bereich historisch bis heute die wahrscheinlichkeit übergroß, es bei einigermaßen bekanntheit immer auch mit beispielen für diverse psychophysische verfallszustände zu tun zu haben - im blog sind für so ziemlich alle eben aufgeführten gruppen entsprechende (und durchaus repräsentative!) belegfälle zu finden (okay, den adel habe ich bislang weitgehend aussen vor gelassen).

und wie schrieb es j.e. mertz in seinem borderline-buch in einigen seiner besten und treffendsten anmerkungen zu den "funktionseliten", zu denen auch solche figuren aus der höheren religiösen hierarchie wie mixa gezählt werden müssen?
"Wer einigermaßen unauffällig und effizient funktioniert, insbesondere in herausgehobener Position, kann nicht wirklich, nicht ernsthaft krank sein, weil er nicht krank sein darf."

und an anderer stelle:

"Ich kann keinen einzigen vernünftigen Grund finden, warum psychisch kranke Personen ihre Krankheit nicht im Medium des gesellschaftlich historischen Geschehens artikulieren und realisieren (materialisieren) sollten, sei´s als Kunstwerk, exakte Wissenschaft, politisches Projekt oder eben als Menschentötungsfabrik. (...)

Das Symptom wird auf der Bühne der Geschichte und mit geschichtlichen Mitteln aufgeführt. Es stimmt einfach nicht, dass der Wahnsinn immer nur am wahnsinnigen Menschen haften bleibt und ausschließlich in den dafür zuständigen Institutionen verwaltet und unter Verschluß gehalten werden könnte. Das ist allenfalls eine beruhigende Mystifikation. Die große und weltmächtige Seite des Wahnsinns wird weitgehend ignoriert, man tut so, als gäbe es diese Seite nicht, man will nichts davon wissen und nichts damit zu tun haben. Man hält dem Wahnsinn sozusagen die gesellschaftliche Bühne frei, bis zum nächsten Auftritt."


und die angesprochene krankheit lässt sich auch in form einer (religiösen) sekte materialisieren, sei angemerkt.

*

wer hier schon länger mitliest, wird sich darüber im klaren sein, dass ich unter "wahnsinn" nun eben nicht das übliche klischeebild des "sabbernden psychotikers in der zwangsjacke" verstehe (von dem sich fast jede/r leicht abgrenzen kann), sondern eher ansätze favorisiere, die uns das, was unter dem begriff firmiert, unangenehm nah auf die pelle rücken lassen. hinsichtlich einer gestalt wie mixa, der sich ja durchaus ohne "auffälligkeiten" innerhalb der gesellschaftlichen konventionen bewegen kann, tendiere ich aber tatsächlich dazu, aufgrund der sichtbaren struktur im hintergrund - extrem fiktionaler (religion) bis halluzinatorischer ("teufel") inhalt der ideologie, scharf ausgeprägte machthierarchien in der institution selbst, die im übrigen in vielen bereichen die klassischen formen einer
totalen institution aufweist, sowie - erschwerend - züge eines angeblich göttlich verliehenen delegiertenmandats und besonderer auserwähltheit - , die grenzen zwischen den zwei früher genannten qualitativ grundsätzlich verschiedenen psychotischen zuständen (einmal das klassische modell; zum anderen das, was im extrem vom soziopathen verkörpert wird) durchlässiger zu sehen und eine seltsame und bösartige mischform anzunehmen. die simulativen fähigkeiten und das instrumentell-intelligente kalkül zwecks ausagieren der antisozialen tendenzen sind ebenso vorhanden wie symptome einer ganz typischen, im religiös verbrämten gewand auftretenden stinknormalen psychotischen grundstruktur, incl. paranoiden anwandlungen, wahrnehmungen halluzinatorischer qualität (wer ernsthaft anderen mit exorzismus auf den leib rücken will und derart dämonenglauben demonstriert...) und narzisstisch erscheinenden zügen.

"wahnsinn" ist letztlich "nur" ein synonym für: gestörte bzw. stark beeinträchtigte realitätswahrnehmung. und unter dem aspekt sollten nicht nur leute wie mixa betrachtet werden.

*

das ich bei den eingangs dokumentierten zitaten nicht komplett rot gesehen habe, liegt u.a. auch daran, dass nicht nur bei "spon" sondern inzwischen auch bei anderen berichtenden medien wie "zeit", "fr" u.a. eine doch relevante zahl der kommentierenden mehr als deutliche worte findet - ein regelrecht vernichtendes
urteil von einem, der die verhältnisse mit am besten kennen dürfte:

(...) "Inzwischen aber ist das Klima derart vergiftet, dass man einem katholischen Geistlichen ersteinmal jede Schandtat zutraut. Dass es soweit gekommen ist, haben die Verantwortlichen in den Kirchenleitungen sich selber zuzuschreiben. Jetzt rächen sich Wegschauen, Leugnen und Vertuschen, wie sie über Jahrzehnte praktiziert wurden.

Bei aller grundsätzlichen Sympathie für eine Kirche, der ich selber lange Zeit angehörte, auch als Priester, kann ich nur sagen: Sie hat es nicht besser verdient."


dazu ist verstärkt etwas zu sehen, was sich bereits in den vergangenen wochen abzeichnete - es werden sehr viele persönlich-biographische fragmente veröffentlicht, speziell auf die zeiten von 1950 bis ca. mitte der 80er jahre bezogen - erfahrungen aus staatlichen sowie religiösen schulen und heimen, aber auch schilderungen des "ganz normalen" familienlebens. was da zu lesen ist, ist ein grosses puzzlestück beim versuch, zu begreifen, warum "wir" heute mehrheitlich so ticken, wie wir´s eben tun. das ist, zumindest für mich, nichts neues, aber in derart geballter form doch schmerzlich. die innere psychosoziale struktur dieser gesellschaft wird in wesentlichen teilen sichtbar, alice miller und lloyd deMause werden x-fach in ihren beschreibungen der tieferen dynamiken der (westlichen) gesellschaften bestätigt. es sind formen und wirkungen der traumatischen matrix in aller deutlichkeit zu sehen, wie sie bisher nur erahnbar waren. und das bild ist noch verheerender, als ich es selbst vermutet und befürchtet habe.

*

edit, leider kein aprilscherz: in einer öffentlichen
erklärung gibt mixa am ende das folgende von sich (nachdem er natürlich "nie" undsoweiter):

(...) "Ich bin gerne bereit, mit Männern und Frauen, die in ihrer Jugendzeit im Kinderheim St. Josef in Schrobenhausen gelebt haben, über ihre Erinnerungen, Erlebnisse und Vorwürfe zu sprechen, um zuzuhören und zu erfahren, was sie in ihrer Kindheit belastet hat." (...)

zu dieser herablassenden gnädigkeit jenes "herrn" fällt mir nun absolut nichts mehr ein, ausser dem punkt, dass bei bestimmten - besonders von ihrem tun überzeugten - gewalttätern immer mal wieder amnesien bezgl. ihrer eigenen vergangenheit beobachtet werden und sie wirklich ernsthaft überrascht sind, wenn sie von dieser vergangenheit per vorwurf/anklage eingeholt werden (eine andere möglichkeit, nämlich die, dass er darauf setzt, dass seine ehemaligen opfer durch eine persönliche konfrontation wiederum in ein schockinduziertes abhängigkeitsverhältnis verfallen, möchte ich noch nicht als option in betracht ziehen - das wäre ein gipfel an kalkulierender niedertracht, der bereits soziopathische "qualität" hätte. aber vielleicht bin ich da selbst auch nur zu naiv.)

wie dem auch sei: der ganze satz ist einfach schlicht unglaublich. und ja, ich glaube ihm kein einziges seiner salbungsvollen worte.

und noch ein nachtrag, da gerade erst gesehen -
''Mixas Erklärung ist verlogen und unverfroren'':

(...) "Zwei der sechs Betroffenen sind bei der Nachricht über Mixas Stellungnahme aus allen Wolken gefallen. Hildegard Sedlmair aus Stadtbergen bei Augsburg zeigte sich nur "geschockt". Der Mann "belügt sich selbst", sagt sie.

Auch Jutta Stadler aus Pfaffenhofen ist "fassungslos", wenn sie den ersten Satz der Erklärung liest. Darin heißt es: "Ich bin zutiefst erschüttert über die Anschuldigungen, die mir gegenüber erhoben werden". Als "verlogen und unverfroren" bezeichnet sie Mixas Äußerungen, in denen er seine "Sorge um das Wohl und die Zukunft von Kindern, Jugendlichen und Familien" betont. Sie seien, so der letzte Satz der Stellungnahme, "ein vorrangiges Anliegen meiner seelsorgerischen Arbeit seit eh und je."

Ein annehmbares Gesprächsangebot sehen beide Frauen in den Äußerungen des Bischofs nicht. Bevor Jutta Stadler überhaupt zu einem Gespräch mit dem Bischof bereit wäre, müsste dieser erst einmal eingestehen, dass er sie geschlagen hat. "Ich spreche auf keinen Fall mit jemandem, der mich als Lügner hinstellt." (...)


dem ist vorläufig nichts weiter hinzuzufügen. ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finden würde: tatsächlich etwas wie die weiter oben benannte amnesie; die unerschütterliche überzeugung, vor seinem halluzinierten "gott" immer das richtige getan zu haben, oder aber kaltes kalkül eines machtmenschen, der den apparat einer weltweit agierenden sekte hinter sich weiß und jetzt aufs ganze geht. alle drei varianten wären ohne weiteres jeweils als ausdruck einer psychopathologischen struktur zu bezeichnen.

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ein weiterer nachtrag -
ohne kommentar:

(...) "Auch von schweren körperlichen Züchtigungen mit einem Stock, mit dem Teppichklopfer und mit einem Ledergürtel ist die Rede. Den Gürtel, so sagt eines der früheren Heimkinder, habe Mixa aus der Hose gezogen und dann damit zugeschlagen. (...)

Vier weitere ehemalige Heimzöglinge, darunter eine Frau, haben sich an eine Lokalredaktion im Bistum Augsburg gewandt und schlimme Erfahrungen mit Mixa aus dessen Schrobenhausener Zeit geschildert. Alle berichten von heftigen Ohrfeigen, einer von Prügeln mit dem Gürtel. Eine Journalistin sagte gegenüber unserer Redaktion, sie habe bisher trotz der eidesstattlich vorgebrachten Vorwürfe gegen Mixa daran geglaubt, dass der Bischof unschuldig sei. »Was ich jetzt selbst von Betroffenen gehört habe, lässt mich aber sehr zweifeln.« (...)

Sonntag, 28. März 2010

assoziation: zu einigen erstaunlichen aspekten eines popkulturellen urknalls

und nun zu etwas ganz anderem - nein, eher zu einer der anderen seiten der medaille namens "herrschende verhältnisse".

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wenn bisher hier die rede auf die welten des showbizz kam, dann meist in eindeutigen kontexten - ob sich das bspw. nun auf
heidi klum und ihre anorektischen supermodels bezog, mögliche borderline-tendenzen bei leuten wie angelina jolie oder auch die traumatische biographie eines michael jackson - stets ging es um den versuch der darstellung dessen, wie sich der ganz normale gesellschaftliche wahnsinn in vielfältigen formen gerade auch in (pop-)kulturellen bereichen manifestiert, ausdrückt und ein -teils verwirrendes, weil verzerrtes - spiegelbild seiner selbst liefert. das ist meiner meinung auch letztlich beim gleich folgenden beispiel nicht groß anders; dennoch gibt es ein paar unterschiede, die ich ziemlich interessant finde. auch deshalb, weil es sich - bisher - um ein spezifisch "deutsches" phänomen handelt.

*

"Vergangene Woche ist Lena Meyer-Landrut in Berlin gewesen, da sind sie bei n-tv fast ein bisschen ins Schleudern geraten. Die Nachricht traf den Nachrichtensender offenbar ebenso unvorbereitet wie den Rest der Republik, es folgten hektische Minuten. Die laufende Politikberichterstattung wurde unterbrochen, die Moderatoren im Studio erklärten, Lena Meyer-Landrut sei jetzt in Berlin und schalteten live in die Innenstadt. Eine wackelige Kamera zeigte Lena am Brandenburger Tor, Lena vor Geschäften, Lena auf einer Bank. Am unteren Bildrand lief immer wieder ein Schriftzug entlang, auf dem stand: «Lena auf Visite in Berlin.» Das war auch der Tenor der Berichterstattung eines einigermaßen aufgewühlten Kommentators." (...)

das obige ist die einleitung zu einem presseartikel mit dem titel
Verliebt in die Hoffnung auf ein besseres Morgen , aus dem ich auch im späteren verlauf noch öfter zitieren werde - alleine die überschrift ist bemerkenswert und auch in gewisser hinsicht treffend. lena meyer-landrut also, das "neue deutsche fräulein wunder", in das sich "die republik verliebt" hat (ebenfalls alles pressezitate der letzten tage). eine republik, in der wir es u.a. gerade mit massiven legitimationskrisen zu tun haben - "die politik" insgesamt, banken, kirchen... - überall bröckelt nicht nur der lack ab, sondern es fallen ganze steine aus den tragenden institutionellen mauern heraus. und eine gesellschaft, in der eine eigentümliche apathie herrscht, was ihre eigene gegenwart und zukunft anbelangt. vor diesem hintergrund finde ich das, was da alles rund um eine achtzehnjährige frau passiert, ziemlich spannend.

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persönlich bin ich das erstemal vor ca. zwei wochen in einem zeitungsartikel auf sie aufmerksam geworden, und zwar durch die sinngemässe aussage, "die lena" sei so verdammt authentisch - wen wundert´s, dass mich besonders dieses wort zu ersten recherchen gebracht hat?

können Sie sich meine einigermaßen fassungslose überraschung vorstellen, als ich nach recht kurzer zeit feststellte, dass ich selbst - entgegen jeglicher eigener erwartung und nach ansicht einiger videos von und interviews mit ihr im netz - beeindruckt war? das stürzte mich wirklich in einige verwirrung - ich bin weitgehend tv-abstinent, hasse besonders castingshows (über die sowieso einiges anzumerken wäre; georg seßlen war´s glaube ich, der ende 2008 in einer kleinen reihe in konkret sehr schön herausgearbeitet hat, warum diese art shows perfekt in das zeitalter von hartz-IV und prekären arbeitsverhältnissen passt - und das liegt nicht nur am zugrundeliegenden motiv der selektion) wie die pest; nehme den "grand prix" bzw. "eurovison song contest" seit jahren gar nicht wahr oder nur ausnahmsweise als mehr oder weniger belustigenden trash; höre überwiegend elektronische instrumentalmusik - und da saß ich nun, sah mir im netz mit vergnügen auftritt nach auftritt einer singenden schülerin in einer castingshow für eben diesen contest an - und versuchte dahinterzukommen, was zum teufel mich da so offensichtlich berührt. mittlerweile glaube ich, eine antwort gefunden zu haben - aber dazu später.

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weil die blanken fakten bereits ein wichtiger teil der ganzen geschichte sind (und weil ich vermute, dass nicht wenige leserInnen hier vielleicht zwar schon über den namen gestolpert sind, dann aber müde abgewunken haben), hier noch einmal die geschichte im schnelldurchlauf:

irgendwann vor ein paar monaten fährt eine schülerin kurz vor dem abitur zu den vorcastings für die auswahlshows "unser star für oslo", nach eigener aussage völlig "auf eigene faust" und mit der motivation, sich mal von "professionellen" hinsichtlich ihrer gesanglichen fähigkeiten beurteilen zu lassen. abgesehen von ein paar auftritten in einer schulband hat sie keinerlei erfahrungen. sie wird von tausenden mitausgewählt, tritt irgendwann im februar als letzte in der ersten show auf, hat vorher auf ihrem eigenen gewählten coversong gegen die ratschläge der initiatoren - sinngemäß "zu ungewöhnlich" - bestanden - "sonst fahr´ ich halt wieder" - und - bumm.

Lena Meyer-Landrut - My Same
Found at abmp3 search engine

dieser song war tatsächlich der urknall in dem sinne, dass sie damit und besonders mit der art ihrer performance sofort vielen leuten auffiel - als ich in der letzten woche mal versucht habe, die ganze entwicklung anhand der netzdaten zu rekonstruieren, liess sich das verifizieren. der rest ist heute schon (musik-)geschichte: bis zur finalen show coverte sie primär mehr oder weniger "independent"-material (u.a. the cure, the bird and the bee u.ä.), wurde wieder und wieder gewählt - und beendete die auswahl mit ihrem geradezu zwangsläufigen sieg sowie den ersten songs, die wirklich neu waren und speziell für den contest geschrieben wurden.

was daraus aktuell geworden ist: alle drei finalsongs mit erscheinen sofort unter den top-five der charts, "goldene schallplatte" (150.000 verkäufe) knapp eine woche nach veröffentlichung für das "oslo-lied" satellite, inzwischen drei millionen aufrufe für das entsprechende video alleine auf you tube, über 60.000 fans bei facebook, aufploppende lena-foren und -blogs im netz, aberhunderte von presseartikeln, nach ihrem sieg ein empfang im rathaus mit oberbürgermeister und unter grösserer öffentlicher anteilnahme, rasant ausbreitende tv-präsenz... kurz: ein klassischer hype von allerdings wirklich ungewöhnlichen dimensionen.

*

don´t believe the hype - sicher. und auch ist richtig, was zb. der folgende
kommentar aus der "taz" auf dem punkt bringt:

"Endlich Oslo! Endlich Lena Meyer-Landrut!

Vorbei der Stress am Arbeitsplatz, vorbei die Missbrauchsskandale im TV, die ganze korrupte Politikschose, vorbei das Klimageschimpfe, die nie enden wollende Wirtschaftskrise und ihre drohenden Folgen, vorbei das Elend auf der Welt.
"Endlich mal wieder richtig ABSCHALTEN!"

Vorbei die elende belastende feministische Kritik am Sexismus und extremen Schönheitswahn. An blutjungen, perfekten Dingern, die quirlig auf der Bühne rumstolpern und mit den Wimpern klappern, um dann von Raab angebaggert, Bohlen erniedrigt oder dem schmierigen Stalker verfolgt wird.
"Wir sind modern und sexy - und wir haben Spaß"

Vorbei auch das elende Gefühl in einer kranken Gesellschaft der totalen Konkurrenz leben zu müssen, in der man nicht mal bei besten Freunden weiß ob man ihnen immer richtig vertrauen kann.
Sich wie im Hamsterrad fühlt, um es dem Chef recht zu machen, der dann wegen schnelleren Hamsterrädern anderer pleite geht.
"WIR sind eine große Familie"

Vorbei auch unsere verkackte Geschichte, die logischerweise bis heute andauert. Verdammt all das erzeugte Leid der Alten, über das man lieber nicht mehr sprechen möchte.
"Wir sind wieder wer - und wir sind hier im HEUTE"

Vorbei dieser ganze Hippiekram von Kulturkritik und ewiger Ernsthaftigkeit. Von Menschen, die immer nur vom Elend reden müssen. anstelle auch mal fröhlich zu sein, wenn sie Raab, Bohlen und v.a. Lena Meyer-Landrut sehen.
Es gibt auch schöne Seiten an der Welt.

365 Tage im Jahr.
24 Stunden am Tag abrufbereit - IM FERNSEHEN!
Schalt dich richtig krass und lange weg!
Für nur 17,10 im Monat die volle Dröhnung frei Haus."


alles durchaus treffend - und trotzdem: gerade die linke - im weitesten sinne - hat in der vergangenheit mehrheitlich speziell auf mainstream-(pop-)kultur mit oft gar nicht mal unberechtigter (im sinne von verständlicher) herablassung reagiert, dafür aber den preis gezahlt, die relevanten informationen über die eigene gesellschaft, die regelmässig in solchen massenphänomenen stecken, nicht wahrzunehmen. meiner erinnerung nach war es che guevara, der sinngemäss sagte, dass es mit die erste pflicht eines revolutionärs sei, wahrzunehmen, was real vorhanden ist. und in diesem fall ist ein teil der realität bspw. die repräsentativität einer aussage wie der folgenden, ebenfalls aus dem entsprechenden kommentarteil der "taz":

"Die junge Dame ist ein Erlebnis und ich hoffe, sie bleibt so. Es macht Spaß ihr zuzuhören und das ist für mich der Faktor, nach dem ich gewählt habe.

Woran das hängt kann ich nicht sagen, aber es scheint vielen so zu gehen."


die frage "woran hängt´s denn" ist dabei für mich die interessante - zunächst ist festzuhalten, dass sich die "bezaubernde wirkung" der lena m-l nicht unbedingt durch das bloße hören ihrer songs einstellt (auch wenn ich persönlich ihre stimme durchaus angenehm finde), sondern besonders dann, wenn dazu ein visueller und bewegter eindruck von ihr vorhanden ist - und der stellte sich bisher oftmals so dar (nochmal ein zitat aus dem anfangs verlinkten "Verliebt in die Hoffnung..."):

(...) "Wenn Lena auftritt und singt, dann sieht sie meist ein bisschen ungelenk aus. Ihre Beine stellen sich hin und wieder kurz zu einem X, ihre Bewegungen sind ein bisschen ruppig, ihre Gestik unbeholfen. In der Summe mag all dies nicht perfekt sein, aber weil Lena keinen Hehl aus ihrer Nicht-Perfektion macht, wirkt sie irgendwie anmutig. Und weil sie versteht, was sie singt, weil sie sich bemüht zu erzählen, was das Lied sagen will, werden ihre Bewegungen zu einer Art Ausdruckstanz ihres Gesangs. Sie ist authentisch, sie ist sie selbst. Das vor allem." (...)

oder wie sie es selbst ausdrückt:

"ich tanze so, wie ich tanze - so tanze ich"

das im besagten artikel eine seite vorher zu lesen ist...

(...) "Wenn die Jugend nicht weiß, wogegen sie rebellieren soll, muss sie sich eben selbst inszenieren. Das gelingt Lena so gut, dass man vor Staunen kaum den Mund geschlossen halten kann." (...)

...mag dabei ausdruck des unausgesprochenen konsens vom (irr-)glauben daran sein, dass authentizität immer nur als inszenierung / simulation daher kommen könne, besonders im öffentlichen raum. auf letzteres bezogen, mag das im regelfall so sein; allgemein aber ist das schlicht unsinn.

nochmal aber zurück auf die visuelle ebene: das es offenbar notwendig ist, sie zu hören und dabei zu sehen, lässt sich durchaus als ersten hinweis darauf betrachten, welche wirkungsebenen hier beteiligt sind. und dabei geht´s noch nicht mal um ihr durchaus hübsches äusseres (damit steht sie unter jungen frauen nicht alleine da), auch nicht um eine primär irgendwie sexuelle ebene (im gegenteil finde ich, dass sie an ausstrahlung verliert, wenn sie - wie bei einigen ihrer letzten tv-auftritte - betont als vamp im hautengen kleid und geschminkt mit roten lippen daherkommt), sondern tatsächlich um ihre art zu sein.

was ich damit meine, wird vielleicht besser nachvollziehbar durch den folgenden zusammenschnitt:



kurz: wenn sie aufgeregt ist, ist sie aufgeregt (mit immer wieder interessanten wortfindungsstörungen ;-), wenn sie sich freut, freut sie sich, wenn sie - und so weiter. alles, von der ausdrucksvollen mimik bis zur gestik, spricht einfach nur davon, dass hier jemand ohne sich groß darüber gedanken zu machen, mehr oder weniger situationsangemessen, d.h. ohne grössere, aus der eigenen selbst- und fremdwahrnehmung resultierende verzerrungen, reagiert und agiert. in längeren interviews, in denen sie etwas ruhe hat, verschwinden die benannten wortfindungsstörungen völlig, und dann ist zu sehen, dass sie durchaus reflektiert mit sich und ihrer situation umgehen kann. dazu eine immer wieder durchschimmernde selbstironie - als mir das alles langsam bewusster wurde, war mir auf einmal auch klar, dass meine erwähnte verwirrung zu einem teil daher rührte, weil mir die gefühle, die ich bei der wahrnehmung der lena m-l spüre, nicht unbekannt sind. sehr ähnliche habe und hatte ich immer dann, wenn ich in meinem leben mit menschen zusammen gekommen bin, die ich als im einklang mit sich selbst (ein synonym für authentizität) wahrgenommen habe, mithin also als von der traumatischen matrix um uns herum relativ wenig be- und geschädigt. von solchen menschen gibt es offenbar so wenige hier, dass sie in meiner wahrnehmung regelmässig in form eines peaks auffallen. sie haben eine entspannte (und entspannende) ausstrahlung, vermitteln eine oft untergründige alltagsfreude, können sich einlassen und machen es einem bspw. auch leicht und selbstverständlich, in ihrer anwesenheit ohne angst eigene fehler und defizite einzugestehen.

ein user in einem fanforum bringt das wesentliche in eigenen worten auf den punkt (und nein, ich habe das nicht geschrieben, auch wenn ich es ähnlich formulieren würde):

"wenn ich auch mit recht von lena bezaubert bin, ist mir ihre art nichts fremdes oder gar verrücktes, wie man es oft bezeichnete. so wie sie zb. in dem ard-interview reagierte, verhält man sich unter guten freunden auch. mit ihrem charme macht sie jedes gegenüber zu ihrem freund und ist dabei so unbekümmert und present, das man ihr ihre gedanken, gefühle und worte einfach abnimmt.
ich kann lena auf den kopf zusagen das sie mit sehr viel liebe und nähe aufgewachsen ist und fühle mich da sehr an meine eigene kindheit erinnert. bis zum heutigen tag erlebe ich es immer mal wieder, das man lebens- und menschenliebe für naivität hält, mit der abschottung und ahnungslosigkeit vor der sogenannten realität zu erklären versucht. wer aber die wirkliche kraft von güte, liebe und weisheit erfahren durfte, erkennt das böse als traurige mangelfolge, die bedrohung in der dummheit.

sich selbst so annehmen zu können wie man ist und keine scheu davor zu haben damit bei jedem auch guten gewissens bestehen zu können, stünde uns allen gut zu gesicht. auch ich bin gross-geliebt worden, einfach dafür das es mich gab. das hat jedes kind verdient und jedes menschlein sehnt sich so sehr danach.
authentizität scheint mir in unserer gesellschaft ein rares gut zu sein. viel eher wird versucht sich seiner eigenen maske gerecht zu werden, statt tatsächlich sich selbst.

lena strahlt offensichtlich die liebe aus, die sie auch selbst erfahren durfte und bekommen hat. das sie ein sehr inniges verhältnis mit ihrer mama hat, hat mir das noch mal voll bestätigt." (...)


mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen - die vermutung, dass ihre familienverhältnisse im positiven sinne behütet (gewesen) sind, hatte ich ebenfalls bereits recht früh. und das sie diesen raum, wie ihre gesamte privatsphäre, in der öffentlichkeit freundlich, aber sehr bestimmt auf ihre eigene art versucht abzuschotten, ist nachvollziehbar und verständlich. mir würde als äquivalent auf der ebene der sog. stars am ehesten jodie foster einfallen, die mit ihrem privatleben ähnlich behutsam umgeht - und ebenfalls eine sehr warme und authentische ausstrahlung vermittelt.

*

neben ihrer - altersgemäßen- leichten überdrehtheit mit daraus folgenden komödiantischen momenten halte ich das obige für das zentrale moment beim phänomen "lena". das in dem erwähnten fanforum das jüngste mitglied meines wissens ein neunjähriges mädchen ist, während sich beim empfang in hannover auch 80jährige großmütter getummelt haben und sich in diversen onlineforen besonders häufig männer dies- und jenseits der 40 als "hingerissen" bezeichnen, unterstreicht meiner meinung nach diese these durch die unterschiedlichkeit der von lena m-l begeisterten noch.

(...) "Lena ist eine Art Antipode zur ernsten Biederkeit der 80er Jahre, zum oberflächlichen Hedonismus der 90er, zur Perspektivlosigkeit der 00er-Jahre. Dass Nachrichtensender wegen ihr die laufende Berichterstattung unterbrechen, dass ihr von allen Seiten verliebte Artikel zugetragen werden, dass sich ihre Singles verkaufen als käme nichts mehr nach ihr, hat auch damit zu tun, dass sie, wenigstens in diesem Frühjahr, die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft verkörpert. Insofern ist das, was in sie hineinprojiziert wird, vielleicht am Ende doch politisch.

Wenn heute von «der Jugend» die Rede ist, dann meist im negativen Kontext: Komasaufen, Ausbildungsplatzmangel, Jugendarbeitslosigkeit, Jugendarmut, Jugendkriminalität. Fast ist es, als habe die Gesellschaft die Hoffnung in die Jugend, die sie selbst hervorgebracht hat, etwas verloren. Und dann kommt eine wie Lena.

Eine, die so ist, wie man sich die Gesellschaft von morgen wünscht: gebildet, talentiert, aufrichtig und trotzdem fähig zur Selbstironie. Wahrhaftig. Sie könnte die Gunst der Stunde nutzen und mit Macht eine Karriere als Society-Sternchen vorantreiben. Stattdessen macht sie erst mal Abitur. Überdies ist sie mit einem Selbstvertrauen ausgestattet, das jeder Herausforderung standzuhalten scheint. Man könnte sie sich auch als Ärztin vorstellen, oder als Maybritt Illner." (...)


naja, das letzte würde ich nun nicht gerade als kompliment betrachten - und sicher fungiert sie auch als projektionsfläche. aber ich glaube, zumindest bisher resultiert ihre wirkung tatsächlich vorwiegend aus dem, was ich oben versucht habe zu skizzieren.

und das ist in mindestens zweifacher hinsicht erstaunlich: einmal in regelrecht niederschmetternder weise, weil die eigentlich schlichte selbstverständlichkeit, sich in der welt im einklang mit sich selbst bewegen zu können, offensichtlich in dieser gesellschaft so aufsehenerregend ist, dass dafür nachrichtensender ihr programm unterbrechen und sich diese eigenschaft massenhaft verkaufen lässt. für das zeitalter der fakes und simulationen eigentlich nichts überraschendes, aber dennoch unschön, mitansehen zu müssen, wie weit und tief sich das simulative bereits verbreitet hat.

(...) "In einem Land, dessen Prominenz aus Politik, Sport und Show im Wesentlichen aus Angepassten, Floskelmaschinen und Selbstdarstellern besteht, ist sie eine ziemliche Ausnahmeerscheinung. Es ist, als sehne sich das Land nach Wahrhaftigkeit, und Lena ist so etwas wie die vorübergehende Verkörperung dieser Sehnsucht." (...)

zum anderen aber: im gegensatz zum ganzen - ja, störungskatalog, der sich gerade im showbusiness nicht nur im pathologischen narzissmus, suchtproblemen und diversen anderen diagnostischen kriterien manifestiert, erscheint lena m-l im vergleich dazu von geradezu blühender gesundheit. und das sie trotzdem beliebt werden konnte, könnte vielleicht auf einen paradigmenwechsel in teilen der öffentlichen wahrnehmung hindeuten, den ich erstmal als unbestimmt positiv empfinden würde.

*

natürlich gibt es bei ihren öffentlichen auftritten auch schon unübersehbare ansätze einer maske für eben diese öffentlichkeit, und gerade bei auf die sekunde durchgeplanten events aller art kommt ihre persönlichkeit auch bereits unter die räder der verwertungsmaschinerie - umso erstaunlicher, dass sie´s - bisher - immer noch schafft, sich ihre räume, wenn auch teils nur noch fragmentarisch, irgendwie zurückzuholen. zu befürchten ist leider, dass sie gerade in ihrer rolle der quasi "nationalen delegierten" für den songcontest, ausgepresst wird wie eine zitrone bis zum letzten - nutzbaren - tropfen. entgegen aller vernunft würde ich mir wünschen, dass ihre geschichte in diesem fall ein echtes happy end bekommen würde.

*

bei alldem kein wunder, dass sie durchaus polarisierend wirkt und quasi als gegenpol zu aller bewunderung regelrecht hass hervorruft, bis hin zu wünschen, sie zu entführen und in einen keller zu sperren - den link zu diesem nicht zufällig an natascha kampusch erinnernden szenario spare ich mir an dieser stelle; wer will, kommt durch entsprechende recherche selbst drauf. ob das nur neid auf ihren - vergänglichen - kommerziellen erfolg ist (für den sie womöglich selbst einen zu hohen preis bezahlen muss), bezweifle ich; eher halte ich tiefere ebenen für beteiligt, bei denen primär auf ihre authentizität reagiert wird - die kann nicht nur im positiven extreme reaktionen auslösen.

noch ein anderes fass machte besonders die "welt" auf, das fachblatt für den gehobenen bürgerlichen sozialdarwinisten, in dem in den vergangenen monaten figuren wie westerwelle, sarrazin und gunnar heinsohn ihren ganz eigenen contest unter dem motto "wer ist deutschlands dümmster sozialrassist?" veranstalteten. dort wurde teils alle zwei tage ein artikel nach dem anderen über lena m-l herausgehauen, mit zwar verschwurbelt vorgetragenen, aber doch klaren
tendenzen:

(...) "Man könnte sagen: Lena Meyer-Landrut hat die Deutschen, ihre sogenannte bürgerliche Mitte, von der heute alle reden, ausgesöhnt mit Pop und Fernsehen. In der ARD und auf ProSieben. Nicht dass die verunsicherte Mitte sich nicht gern an „Deutschland sucht den Superstar“ ergötzte, an verzweifelt singenden Verlierern. „Unser Star für Oslo“ allerdings verbreitete die frohe Botschaft des gehobenen Milieus.

Das war zwar weniger unterhaltsam, aber ungemein beruhigend für kultiviertere Adressaten. „DSDS“ treibt die armen Schweine durchs mediale Dorf. „USFO“ zeigte, dass mit den Kindern alles stimmt, solange sie behütet aufwachsen, gefördert werden und geliebt wie Lena Meyer-Landhut. Trotz Privatfernsehen und Stefan Raab, trotz MySpace oder Facebook." (...)


einmal ist der aufgemachte gegensatz zwischen dem "proll-tv" ála "dsds" typisch; nicht, dass denen das nicht gefallen würde, aber es gleichzeitig auch irgendwie schmutzig, weil unkultiviert. schaut sie euch nur an, diese loser, wie sie sich erniedrigen - das ist perfide im quadrat und hat strukturell etwas vom gleichen herrenmenschenblick, mit denen im wk2 die nazis auf die kriegsgefangenen der roten armee schauten - "das sind unkultivierte schweine", und zwar nicht deswegen, weil sie unter erbärmlichen umständen zu hunderttausenden in die lager gepfercht wurden und buchstäblich vor hunger das gras fraßen, sondern weil die so sind. in anderen artikeln der gleichen zeitung kommt das noch etwas deutlicher zum vorschein.

zum anderen aber wird dort lena m-l konsequent alle authentizität als inszeniert ausgelegt. und das macht durchaus aus einer machtperspektive sinn - obwohl ständig als rhetorische forderung medial herausgeblasen - "eigenverantwortung", "mach dein eigenes ding", "tritt selbstbewusst auf" etc. - , ist eine natürliche selbstbewusstheit mit der entsprechenden fähigkeit zur verantwortlichkeit für sich selbst und andere, wie sie lena m-l in ihrem alter bereits ansatzweise verkörpert, doch zutiefst unerwünscht und suspekt - menschen mit dieser eigenschaft lassen sich nämlich unter umständen weder leicht in allgemein prekäre verhältnisse zwingen noch widerstandslos dazu abrichten, all die elitären verbrechen einfach so hinzunehmen. ihnen fehlen die minderwertigkeitsgefühle und elementaren selbstzweifel, mittels der so viele so gut manipuliert werden können. sie werden bei solchen zumutungen einfach schneller bereit und fähig sein, sich zu wehren.

lena m-l hatte dank ihrer herkunft offensichtlich noch keinen größeren kontakt zu dieser seite auch ihrer welt, wird die jetzt aber durch die vermarktungsmaschinerie, in der sie sich befindet, auf eine sehr spezielle art und weise kennenlernen. und fängt bereits an, grenzen zu setzen. das dürfte von etlichen leuten durchaus als unerwünschtes vorbild empfunden werden.

insofern: auch, wenn von lena m-l zukünftig nicht die kleinste "politische" äusserung zu vernehmen sein wird, so ist doch bereits die art und weise ihrer öffentlichen existenz per se tatsächlich im weiteren sinne politisch.

darum: viel erfolg auf Deine art, lena!

notiz: blanke inkompetenz bei gerichtsgutachten

aus österreich kommt die folgende meldung:

"Misshandeltes Baby: 20 Monate Haft für Vater
Am Freitag ist erneut jener Vater vor Gericht gestanden, der seiner sieben Woche alten Tochter 24 Knochen gebrochen haben soll. Das nicht rechtskräftige Urteil: 20 Monate unbedingte Haft. (...)

Das Baby wurde Anfang Dezember 2008 mehrmals untersucht. Am Freitag waren die beiden medizinischen Gutachter Regina Gatternig und Karl Fritz am Wort. Sie hatten sich die Befunde von Anfang Dezember genau angeschaut.

Der Mann gab zu, dem Säugling den Kopf verdreht zu haben, weil er nicht trinken wollte. Zudem gestand er, dem Mädchen den Brustkorb zusammengedrückt zu haben, und rechtfertigte sich mit Überforderung." (...)


so weit, so schlecht und trostlos - aber nicht um zustand und mögliche motivationen des täters soll es gerade gehen, sondern um eine bodenlose ignoranz von "professioneller" seite:

"Dass der Mann das Kind so stark geschüttelt hatte, dass es ein Schädel-Hirn-Trauma davontrug, schlossen die Mediziner aus, ebenso psychische Folgeschäden. Das Kind könne das noch nicht realisieren, sagte Gatternig."

bitte wie?!? "Das Kind könne das noch nicht realisieren". so ein satz von einer medizinerin und gerichtsgutachterin ist im jahr 2010 nichts weiter als eine persönliche bankrotterklärung und die öffentliche zurschaustellung eines katastrophalen informations- und wissensdefizites. jahrzehnte der pränatal- und säuglingsforschung sowie der psychotraumatologischen arbeit sollten eigentlich so eine absurde äusserung schlicht undenkbar gemacht haben - offensichtlich gibt es aber "professionelle", die sich ungefähr auf dem stand der 1950er jahre befinden.

das schlimme daran ist, dass sie damit nicht unbedingt alleine stehen könnte, sondern es womöglich eine kluft gibt zwischen der allgemein "erwachsenenmedizin" einerseits sowie der pädiatrie und den bereichen von psychiatrie und psychologie, die sich mit babys und (klein-)kindern beschäftigen, andererseits. während bei den letzteren i.d.r. der stand so ist, wie zb.
hier zwar sehr "populär", aber durchaus brauchbar, zusammengefasst:

(...) "Dachte man noch Anfang der fünfziger Jahre, ein Neugeborenes könne keinen Schmerz empfinden, so weiß man heute, daß der Schmerzsinn schon lange vor der Geburt ausgebildet ist. Bereits ab dem dritten Schwangerschaftsmonat reagieren Föten empfindlich auf Berührungsreize am Mund. Nicht viel später verfügen sie über eine differenzierte Geruchs- und Geschmackswahrnehmung. So kann man bei Neugeborenen feststellen, daß sie den Geschmack süßer gegenüber saurer Flüssigkeiten bevorzugen. Auch scheinen sie den Geruch des eigenen Fruchtwassers oder des Schweißes der eigenen Mutter gegenüber dem Geruch von fremdem Fruchtwasser bzw. Schweiß zu präferieren.

Die Hörfähigkeiten sind zum Zeitpunkt der Geburt ebenfalls gut entwickelt. Säuglinge interessieren sich für Geräusche und Musik, besonders aber für die menschliche Sprache." (...)


oder auch
hier:

(...) "Es ist ein Mythos, dass Früh- und Neugeborene keine Schmerzen haben oder sich nicht mehr an die Schmerzen erinnern können", sagt Professor Franz-Josef Kretz, Anästhesist am Klinikum Stuttgart. "Diese Märchen sind schuld daran, dass die Schmerztherapie in der Kinderheilkunde noch immer ein Stiefkind ist", klagt der Intensivmediziner.

Stattdessen ist bewiesen, dass Kinder bereits ab der 22. Schwangerschaftswoche im Mutterleib - also dann auch Frühchen - Schmerzen empfinden. Erfahrungen von Kinderärzten zeigen, dass Babys bei einer schmerzhaften Behandlung mit Schreien, Abwehr und Blaufärbung (Zyanose) reagieren. Studien belegen außerdem, dass Kinder ein Schmerzgedächtnis haben. Denn wer in den ersten Lebenswochen Schmerzen ausgesetzt war, zeigt später eine größere Schmerzempfindlichkeit." (...)


- , braucht es anscheinend für die ersteren und offensichtlich auch teile der pädiatrie sowie perinatalen medizin immer noch mehr beweise, um sich vom oben angesprochenen unheilvollen mythos zu verabschieden - anders lässt sich eine meldung wie
diese aus dem jahr 2008 nicht interpretieren:

(...) "Für Ärztinnen und Ärzte, die Frühgeborene, Säuglinge und Kleinkinder betreuen, ist nur annäherungsweise einschätzbar, ob und wie viel Schmerz die kleinen Patienten empfinden. Britische Wissenschafterinnen zweifeln nun im Fachjournal "PLoS Medicine" an, dass die gegenwärtig zur Anwendung kommenden Beurteilungskriterien ausreichend sind. Wie die Forscherinnen schreiben, wird der Schmerz derzeit hauptsächlich anhand von körperlichen Reaktionen und Verhaltensmerkmalen eingeschätzt – wie etwa einer Veränderung des Gesichtsausdrucks.

Das Team um Rebeccah Slater führte Messungen der Gehirnaktivität durch, um auf diesem Weg Aufschlüsse über das Auftreten von Schmerzen zu erhalten. Diese Messungen verglichen die Wissenschafterinnen mit den aktuellen Kriterien der Schmerzerfassung, also Hinweisen auf körperlicher und Verhaltensebene. Dabei kamen Slater und Kolleginnen zu dem Schluss, dass die Schmerzen von Säuglingen gegenwärtig möglicherweise unterschätzt werden." (...)


die gründe dafür genauer zu betrachten, wäre einmal ein lohnendes unterfangen - auch wenn ich fürchte, dass die ergebnisse alles andere als positiv für teile der "professionellen" zunft wären. für den moment aber bleibt mir nur, das angesprochene gutachten als das zu bezeichnen, was es real ist: ein ganz professionelles stabbrechen über ein kaum begonnenes leben - egal ob (bestenfalls) aus unwissenheit oder aber anderen, versteckten und destruktiven motiven.

das baby könnte mit entsprechender unterstützung wahrscheinlich selbst noch einiges von der massiv traumatischen gewalt zukünftig bewältigen - aber dazu müsste diese überhaupt erst einmal gesehen und anerkannt werden.

Sonntag, 21. März 2010

notiz: spieltherapie mit traumatisierten kindern

finde ich interessant, zumal spielerische elemente wie zb. der sceno-test schon seit jahrzehnten in der kinder- und jugendpsychiatrie, aber auch in ambulanten psychotherapien, eingesetzt werden - aber diese arbeit des italienischen psychologen claudio mochi war mir bisher unbekannt:

"Die Kinder plappern, malen mit Fingerfarben und spielen mit Puppen und Spielzeugautos. Eine Ambulanz jault durch bunte Glasmurmeln auf dem Boden. Ein Haus ist eingestürzt. Es muss schnell gehen, sonst sterben Menschen. Dann kommen Puppen herbeigeeilt. Sie helfen jedoch nicht, sondern schießen auf die Verletzten unter dem Blauklotz-Haus, welches in Trümmern liegt" – so ist es, erzählt der italienische Psychologe Claudio Mochi, wenn Kinder im Gaza-Streifen spielen. Mit zu ihrem Spiel gehört: das Wegschaffen von Leichen, knatternde Maschinengewehre, gebrüllte politische Slogans.

Der 38-jährige Mochi spielt schon seit über zehn Jahren mit Kindern aus der ganzen Welt: in Pakistan, Iran, Palästina, Afghanistan und im Libanon. Dazu bringt er alles mit, was nötig ist: Malbücher, Spielzeugautos, Barbies, Legosteine oder Knete. (...)

"Oft lassen die Kinder die Geschichten sehr abrupt enden. So kontrollieren sie die Tragödie, die über ihre Puppen hereinbricht", erklärt Mochi.

Das ist der Kern seiner "Playtherapy", die der römische Psychologe an traumatisierten Kindern anwendet. Spielen die Kinder ihr Unglück noch einmal nach, können sie selbst bestimmen, an welcher Stelle ihnen geholfen wird oder wann sie aus ihrer Geschichte aussteigen. Die Kinder erlangen dadurch die Kontrolle wieder. Das ermöglicht ihnen, auch die Freude wieder ins Leben zu holen. (...)


und da die neuronalen strukturen bei kindern flexibler sind als bei älteren, was bspw. hinsichtlich der beeinflussung von traumainduzierten neuronalen subnetzwerken im gehirn ein wichtiger aspekt ist, kann die erwähnte freude durchaus eine fundierte basis besitzen.

sehr sinnvolle und auch gesellschaftlich extrem wichtige arbeit, die der mann da macht.

Samstag, 20. März 2010

assoziation: weiteres zur gewalt in totalen institutionen [update]

zum thema der (sexualisierten) gewalt in totalen institutionen - religiösen, privaten und staatlichen heimen, schulen, internaten... habe ich aus meiner perspektive nichts grundsätzlich neues bzw. anderes zu dem nachzutragen, was ich in den letzten wochen schon geschrieben hatte - die sprache der berichterstattung ist fast ohne ausnahmen immer noch ein trauerspiel; der im vatikan thronende opus-dei-sympathisant bekommt nun zumindest imagemässig auch immer mehr wohlverdiente kratzer; natürlich werden auch bei seiner konkurrenz auf dem glaubensmarkt die mit tödlicher und zwangsweiser sicherheit vorhandenen gewaltstrukturen immer sichtbarer; und gleichfalls wird durch die fülle von meldungen praktisch jeden tag auch aus immer neuen ländern wie den niederlanden, österreich und der schweiz primär, aber nicht nur, in bezug auf die katholische kirche überdeutlich, dass wir es da mit einer wirklichen systemischen eigenart zu tun haben - von "einzelfällen" noch zu reden, traut sich immerhin kaum noch einer.

sehr, sehr langsam wird immerhin an einigen stellen im mainstream auch grundsätzlicher hingeschaut - als prägnante beispiele für diese begrüssenswerte tendenz können zb. der folgende kommentar, eher schon ein
essay, aus dem tagesspiegel dienen -

(...) "Jetzt wird gesprochen. Mit dem Fall Canisius war ein Schweigekartell gebrochen, nachdem am 28. Januar 2010 ein Brief des heutigen Schulleiters an ehemalige Schüler öffentlich wurde. Es kann sein, dass der Tag zum historischen Datum wird. Von dem Tag an geriet das gesamte Land in Aufruhr, eine gigantische Schleuse hatte sich geöffnet, der lange unterdrückte Aufstand der Ungeschützten setzte ein. Aus allen Winkeln der Republik quellen täglich neue Meldungen zu Fällen von Missbrauch und Misshandlungen an Internaten, auf Tagesschulen, in sozialen Einrichtungen. (...)

Kinder sind für Regierungen im Prinzip uninteressant, für Angehörige und Betreuer oft lästig. Mit Kindern als politischen Subjekten, als Rechtsträgern hat sich bisher keine Epoche der Menschheit jemals jenseits erwachsener Eigeninteressen („die zahlen später unsere Rente“) auseinandergesetzt. Gewalt gegen Kinder war historisch immer die Regel, nie die Ausnahme. Der Raum der Straffreiheit war und ist hier von unübersehbarer Weite. Die Geschichte der Kindheit kennt kaum eine Foltermethode, kaum eine Perfidie, die nicht an Kindern begangen wurde, bis hin zur modernsten Hightech-Variante, der Produktion und Ausstellung von brutaler Kinderpornografie, sogar mit Säuglingen, für das Internet.

Am Kind lässt sich am leichtesten abreagieren, was die Welt aus Frustrationen, Hierarchien und Demütigungen Erwachsenen zumutet, und Begriffe wie „Prügelknabe“ oder „Lustknabe“ zeugen von dieser Sündenbock- und Ventilfunktion der Kinder. Als Teil seines Hausstandes gehörten Frau, Gesinde, Vieh und Kind über Jahrhunderte zum dinglichen Besitz des Patriarchen. Und während sich der Patriarch an allen schadlos halten konnte, blieb der Frau nur der Nachwuchs. Mütter, Frauen als Täterinnen waren und sind ebenso die Regel – und noch mehr Tabu. Im Zentrum erwachsenen Interesses stand im Lauf der Geschichte nur selten, etwa bei einer Elitefamilie wie den Humboldts, die glückliche Entfaltung des Kindes." (...)


- nachgeholter geschichtsunterricht, realistisch, deutlich und notwendig. ebenso wie dieser bemerkenswerte
kommentar in der frankfurter rundschau, der nicht nur mit dem eigenen blatt und der eigenen journalistischen zunft hadert, sondern ebenso grundsätzliche wichtige und richtige dinge feststellt:

(...) "Es fehlt uns an Empathie.

Das ist eine Feststellung, kein Vorwurf. Wir lassen uns zum zehnten Mal erklären, warum Menschen traumatische Erfahrungen abkapseln. Wir haben immer noch nicht verstanden, dass wir es mit den Berichten von traumatischen Erfahrungen genauso machen. Sie erreichen und bewegen uns. Dann spinnen wir sie ein, bilden einen Kokon um sie und legen sie irgendwo ab, wo wir nicht wieder auf sie stoßen.

So können wir vergessen, dass die Orte, an denen mehr oder weniger hilflose Kinder und zu großen Autoritäten - Priester, Lehrer, Erzieher, Eltern - aufgeblasene Erwachsene aufeinander treffen, Weidegrund sind für Gewalttäter. Wir können dort sorglos sein, wo wir besonders sorgfältig beobachten, kontrollieren müssten.

Wir vergessen aber auch, dass nicht alle Erinnerungen stimmen. So können wir uns leichter ein Bild machen. Wir werfen gerne weg, was wir wussten. Die Zeitungsleute tun das, weil sie glauben, sie müssten immer Neues bringen, statt uns das Schrecklich-Vertraute in Erinnerung zu rufen. Wir alle tun es, weil wir wissen, wir müssten unser Leben ändern, wenn wir unser Wissen ernst nähmen. Davor aber haben wir mindestens so viel Angst wie vor diesem Wissen selbst."


"Wir alle tun es, weil wir wissen, wir müssten unser Leben ändern, wenn wir unser Wissen ernst nähmen."

ein schöner satz. weil er ein trauriger und treffender dazu ist, der sich umstandlos auf kriegs- und hungertote, auf die toten flüchtlinge an den eu-aussengrenzen undundund anwenden lässt. in diesem satz steckt ein ganzer berg an wahrheit.

im übrigen möchte ich das entsprechende
dossier der fr, trotz des sachlich falschen, weil reduktionistischen titels, schon empfehlen, um sich einen guten überblick zu verschaffen - einen überblick allerdings, der einem mehr als nur das wochenende restlos versauen kann. irgendwo darin, ich schätze mal so vor ca. zwei wochen erschienen, steckt übrigens auch eine geschichte, die meine these von der "echten" pädophilie als (relative) randerscheinung innerhalb der geschehnisse sehr untermauert - sobald ich den link wiederfinde, ergänze ich das hier.

*

edit am 21.03.: wie zur illustration
dieser sätze...

"staatliche repressionsorgane werden nicht von ungefähr regelmässig von apathie und lähmung befallen, wenn es darum geht, selbst schwere und schwerste gewaltdelikte in solchen institutionen zu verfolgen, und zwar nicht nur in staatlichen. das darf getrost als ausdruck davon verstanden werden, dass sie selbst - polizei und justiz - strukturell ähnlich organisiert sind bzw. solche institutionen selbst betreiben; und auch als ausdruck eines impliziten wissens, dass ohne solche institutionen im wahrsten sinne des wortes kein staat zu machen ist."

...lesen sich die folgenden
anmerkungen zur staatlichen (nicht-)reaktion in sachen "odenwaldschule" in hessen:

(...) "Von Anfang an also stand der Verdacht im Raum, dass es an der Schule zu deutlich mehr sexuellen Übergriffen gekommen war. Ein Verdacht, der 1999 durchaus strafrechtliche Konsequenzen hätte haben können. Becker nämlich war bis 1985 im Amt. Hätte man einen Schüler gefunden, der in diesem Jahr als 13-Jähriger von ihm missbraucht wurde, wäre dessen Fall erst im Jahr 2000 verjährt gewesen. Sexueller Missbrauch nämlich verjährt in der Regel erst zehn Jahre, nachdem das Opfer volljährig wurde. Aber nach solchen oder anderen Fällen wurde offenbar nicht gesucht.

Einer der Schüler, die den OSO-Skandal seinerzeit ins Rollen brachten, sagte der FR: "Bei uns hat sich 1999 niemand gemeldet, mit uns hat niemand gesprochen." Warum nicht? "Das ist nach zehn Jahren nicht mehr so einfach zu klären", sagte Klaus Reinhardt, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage. Die Akten seien vernichtet. Wieso die betroffenen Schüler seinerzeit nicht kontaktiert worden seien, sei ihm ein Rätsel: "Die hätten in dieser Situation vernommen werden müssen." (...)

Auch im Hessischen Kultusministerium kam 1999 anscheinend niemand auf die Idee, die beiden anklagenden Schüler persönlich befragen zu lassen. Bestätigen will das im Ministerium niemand, ob oder ob nicht gehe "aus den uns vorliegenden Akten nicht hervor". Die damalige Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hatte die FR in der vorvergangenen Woche wissen lassen, ihre Behörde habe seinerzeit "das Notwendige gemacht". Dem Schulamt habe man umgehend den Auftrag erteilt, die Odenwaldschule zu überprüfen.

Das soll auch geschehen sein, ohne dass weitere Anhaltspunkte gefunden wurden. Kein Wunder: Die wichtigsten Zeugen wurden ja nie gefragt. Unklar ist schließlich auch, was aus zwei Briefen geworden ist, die ein drittes Missbrauchopfer 1999 und 2003 an Ministerin Wolff geschrieben haben will. Sie sind wohl, wie so vieles, verschwunden.

Opferanwalt Kahl zeigte sich am Freitag fassungslos. Nicht nur die Odenwaldschule selbst, auch die Ämter und die Strafverfolgungsbehörden hätten von Anfang an die Aufklärung eines mittlerweile gewaltigen Skandals verhindert. (...)


interessant ist die frage danach, wer dadurch eventuell profitieren könnte, die sich keinesfalls nur im zusammenhang mit dieser schule stellt und auch bei anderen auffälligen staatlichen reaktionen zu stellen war und ist, wie bspw. bei den bis heute abgeblockten ermittlungen in sachen quasimafiöser strukturen (wo es u.a. auch um sexualisierte gewalt gegen kinder geht) in
sachsen. wer waren zb. die erwähnten "gäste" an der odenwaldschule ?

(...) "Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, dass sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen." (...)

fragen, auf die nicht nur die unmittelbaren opfer antworten erwarten können und sollten.

Mittwoch, 17. März 2010

kontext 63: dopamin als kick für soziopathen ?

der neurotransmitter dopamin - hier ein geraffter überblick zum stoff und seinen wirkungsspektren bzw. -mechanismen - könnte eben aufgrund dieser eigenschaften zu jener klasse von (bio-)chemischen substanzen gehören, welche in der lage sind, in letzter konsequenz und per einfluss auf das menschliche gehirn auch unser gesellschaftliches bzw. soziales leben nicht nur massiv zu beeinflussen, sondern auch womöglich in teilbereichen regelrecht zu prägen. ein weiteres indiz für diese sichtweise liefert der folgende artikel, dessen inhalt noch zusätzliche brisanz durch die spezielle gruppe erhält, deren reaktionen auf dopamin hier beschrieben werden:

(...) "Neurobiologen haben einen besonders ausgeprägten Mechanismus im Gehirn krankhaft antisozialer Menschen entdeckt: Es dürstet nach Belohnung, um jeden Preis.

Essen oder Sex sind natürliche Belohnungsreize. Sie führen zur Ausschüttung des Hirnbotenstoffs Dopamin. Das ist gut so, denn dadurch kommen Glücksgefühle in uns hoch, die uns antreiben, dieses lebenswichtige Verhalten zu wiederholen.

Bei Psychopathen scheint dieser körpereigene Belohnungsmechanismus gesteigert zu sein. Das haben Untersuchungen von Hirnforschern der Vanderbilt University in den USA ergeben. (...)

Bisher ging es bei der Erforschung psychopathischen Verhaltens vor allem darum, was Psychopathen normalerweise fehlt - etwa Angst, Einfühlungsvermögen oder die Fähigkeit, normale soziale Kontakte zu pflegen. Wie die Neurobiologen im Fachmagazin "Nature Neuroscience" jetzt berichten, besitzen Psychopathen aber auch durchaus besonders stark ausgeprägte Eigenschaften: Ihren Ergebnissen zufolge strebt ihr Gehirn in unnatürlich gesteigerten Ausmaßen nach Belohnung.

Sowohl die Erregbarkeit als auch die Bereitschaft, dafür hohe Risiken einzugehen, sei bei Menschen mit krankhaft antisozialem und riskantem Verhalten besonders hoch, schreiben die Forscher. "Psychopathen werden oft als kaltblütige Kriminelle angesehen, die sich einfach das nehmen, was sie wollen - ohne dabei über die Konsequenzen nachzudenken", sagt Buckholtz. "Tatsächlich fanden wir heraus, dass ein hyperaktives Dopamin-Belohnungssystem die Ursache für einige der problematischsten Verhaltensweisen von Psychopathen sein kann, wie zum Beispiel Gewaltkriminalität, Drogenkonsum und eine hohe Anfälligkeit dafür, rückfällig zu werden." (...)


eine sehr grobe skizzierung des möglichen funktionierens von dopamin im soziopathischen hirn liefert der rest des artikels, aber die kernaussage ist sehr interessant, liefert ein weiteres puzzlestück zum ganzen thema der soziopathie und deutet dazu gleich in bestimmte gesellschaftliche bereiche - schön zusammengefasst vom
ersten kommentar im zugehörigen forum:

"Hier könnte man ja mal frech 1+1 zusammenzählen und sich fragen welcher "Personengruppe" unsere heutige aus den Fugen geratene Welt mit ihren anscheinend immer noch fest zementierten Leistungsprinzipien, Finanzblasen,Ellenbogenmentalität, willfährigen politischen Entscheidungen, Kriegs- und Abzockergeschäften, schwarzen und grauen Operationen am Meisten dient ?

Genau. Dazu kommt dass nach meiner Einschätzung in uns allen ein kleiner sozio- bzw. psychopathischer kleiner Kobold hockt der in einem organisch gesunden Hirn in der Regel an die Leine genommen wird- ausser ein anderer skrupelloser Koboldträger ermuntert ihn doch mal die Grenzen auszuloten.
Bei den richtig "Harten" (lt. "Team America" ist unsere Welt Schauplatz des ewigen Kampfes zwischen Pussies, Arschlöchern und Harten)stellt es sich wohl eher auch so dar, dass die Angst vor der Peitsche (Enttarnung, Erwischtwerden, Bestrafung) einen zusätzlichen Kitzel darstellt.Noch mehr Dopamin wenn man "das System" erfolgreich unterwandert/ausgetickst hat ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden ;)."


die erste frage trifft meiner meinung voll in die zwölf; und ebenfalls lässt sich der "kleine soziopathische kobold" durchaus als eine metapher für das bezeichnen, was ich hier im blog den objektivistischen modus nenne. und der ausdruck "das system" steht in diesem zusammenhang nach meinem verständnis nicht nur für die etablierten (und teils hoch fragwürdigen) staatlichen und gesellschaftlichen strukturen, sondern in der soziopathischen wahrnehmung vor allem für das, was wir als soziales leben betrachten.

zusammen mit den anderen typischen psychophysischen eigenschaften der soziopathen ergibt jener mögliche dopamin-induzierte "kick" jedenfalls ein bild, welches ich in nächster zukunft nochmals als ganzes versuchen will, darzustellen - auch wenn das thema schon in vielen anderen beiträgen eine hauptrolle spielte (siehe den
index). die soziopathie halte ich aber trotzdem in ihren konsequenzen für faktisch die ganze gesellschaft weiterhin für weitgehend unterschätzt, weil unbegriffen - und ein schon länger in der mache befindlicher basisbeitrag soll eben diese unterschätzung beenden. dann wird dieser mögliche dopamin-kick auch noch mal genauer zur sprache kommen.

Sonntag, 14. März 2010

aufgewärmt: systemkrise; berlusconi; klima

heute drei ergänzungen bzw. updates in dieser rubrik:

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im februar letzten jahres hatte ich unter dem titel
es gibt systemkrise, baby! den versuch unternommen, krisenmodelle grundsätzlicherer art aus verschiedenen ecken zusammenzutragen und näher zu beleuchten. sehr passend dazu und mehr als ergänzend bin ich vor einiger zeit auf einen vortrag von christian schütze gestossen, der sich unter dem titel Perspektiven, Risiken und Grenzen des gegenwärtigen exponentiellen Wachstums aus der Sicht der Naturwissenschaften, der Ökologie und der Systemtheorie. Das Grundgesetz vom Niedergang – Ruiniert Arbeit die Welt? mit einem unüberwindlichen physikalischen hindernis für alle technokratischen versuche beschäftigt, dass auf exponentiellem wachstum beruhende system des von fossilen brennstoffen betriebenen industriellen kapitalismus irgendwie zu retten. der kernbegriff, um den schützes gedanken kreisen, heisst entropie, und dieser begriff ist untrennbar mit dem zweiten hauptsatz der thermodynamik verbunden. was das alles genau bedeutet und was dieses physikalische gesetz mit der heutigen art der kapitalistischen ökonomie zu tun hat, wird teils sehr anschaulich und gut nachvollziehbar im vortrag erläutert. sechzehn seiten lese- und gedankenfutter, die sich gerade an einem verregneten sonntagnachmittag sehr lohnen.

*

aus dem italien des berlusconi gab es in den letzten jahren immer neue beunruhigende botschaften zu vernehmen; so zb.
solche und solche. und das das keine zerrbilder darstellen, sondern berlusconi tatsächlich genau so gefährlich ist, wie es die verlinkten beiträge nahelegen, machte vergangene woche die folgende meldung deutlich:

(...) "Unter lautstarken Protesten genehmigte der Senat Mittwochabend ein Gesetz, das den italienischen Premier und seine Minister zur Ausübung ihrer Amtsgeschäfte für eineinhalb Jahre vor gerichtlicher Verfolgung schützt. Damit werden die gegen Silvio Berlusconi laufenden Gerichtsverfahren bis Herbst 2011 ausgesetzt. Dank Verjährungsfrist ist eine rechtskräftige Verurteilung des Premiers damit faktisch unmöglich." (...)

das passt ebenso nahtlos ins bisherige bild wie das wiederholte schweigen anderer eu-regierungen zu diesem treiben. und auch die hiesigen medien schweigen lieber, was ebenfalls für die gestrige
großdemonstration in rom gilt:

(...) "Rund 200.000 Menschen haben sich laut den Organisatoren am Samstagnachmittag in Rom an der Protestkundgebung gegen ein umstrittenes Dekret von Regierungschef Silvio Berlusconi beteiligt, mit dem seine von den Regionalwahlen am 28. und 29. März ausgeschlossene Wahlliste wieder zugelassen werden soll. Die Polizei zählte 30.000 Teilnehmer. "Hier ist das Italien versammelt, das eine Alternative zu dieser Regierung verlangt", betonte Oppositionschef Pierluigi Bersani in seiner Ansprache auf der zentralen Piazza del Popolo im Herzen der Ewigen Stadt." (...)

wenn sich italien in absehbarer zeit ökonomisch in einer sehr ähnlichen lage wie griechenland wiederfinden wird, wird schlimmstenfalls zu sehen sein, wie sich all das sammelsurium von autoritären bis offen faschistoiden und präfaschistischen regierungsoffiziellen machenschaften in einer offenen krise auswirken wird. vielleicht ist das schweigen der übrigen europäischen regierungen vor diesem hintergrund auch am besten verständlich: wollen die sehen, wie sich eine "politik" àla berlusconi innerhalb einer sozialen krise "bewährt"? eine art feldversuch?

*

die diskussionen rund um den
anthropogenen klimawandel sind weder hier noch anderswo abgeschlossen und werden uns auch zukünftig begleiten. in diesem zusammenhang sei hier noch der hinweis auf eine interessante tv-diskussion nachgetragen, in der sich vor dem hintergrund des gerade ausklingenden winters klimawissenschaftler und sog. skeptiker konfrontieren - tipp!

Donnerstag, 11. März 2010

veranstaltungstipp: "Psychosoziale Destruktion im Neoliberalismus" am 13.03. in düsseldorf

leider erst sehr kurz vor dem termin erreichte mich heute eine mail mit dem hinweis auf eine veranstaltung der rosa-luxemburg-stiftung in düsseldorf, die unter dem obigen motto steht - ich werde die aus diversen gründen nicht besuchen können, aber vielleicht gibt es ja leserInnen, die sich kurz entschlossen für einen informativen samstag entscheiden - hier ein paar details:

"Die Konferenz hat zum Ziel, den Zusammenhang von Kapitalismus im Allgemeinen und Neoliberalismus im Besonderen und die daraus folgenden psychosozial destruktiven Auswirkungen zu beleuchten. Das Expertenwissen von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, von Betroffenen sowie sozialverantwortlich Tätigen soll in drei Podiumsdiskussionen hierzu genutzt werden. (...)

Die eintägige wissenschaftlich-politische Konferenz thematisiert die Mechanismen psychosozialer Destruktion im Neoliberalismus und versucht, Zusammenhänge zwischen aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen und biopsychischen Funktionen Betroffener herzustellen, von dem psychischen Erleben und Befinden über Restriktionen der Handlungsfähigkeit bis hin zu basalen neurobiologischen Funktionen und Strukturen.

Es sollen im Kreise von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen (Psychologie, Philosophie, Sprachwissenschaften, Neurobiologie, Psychiatrie Erfahrene, Hartz IV-Betroffene, Sozialverbände, Politik) biopsychische Veränderungsprozesse unter den gegebenen Herrschaftsbedingungen kritisch diskutiert und Möglichkeiten des Widerstandes und der Entwicklung von Gegenstrategien aufgezeigt werden."(...)


die drei podien befassen sich mit folgenden inhalten:
  • "Psychosoziale Destruktion im Neoliberalismus: die Dialektik von Subjekt und Objekt im biopsychischen Produktionsprozess
    Ansatz der Kritischen Psychologie; wie Herrschaftssprache und Herrschaftsdenken in unsere Köpfe kommen
  • Psychosoziale Stressoren und Psychotrauma aus klinischer und neurobiologischer Perspektive
  • Möglichkeiten des Widerstandes: die Rolle von Sozialverbänden, Betroffenenorganisationen und Politik"
aus meiner perspektive überfällige fragestellungen; und sehr begrüßenswert, dass sich endlich "professionell" mit psychotraumatologie beschäftigte aus den bereichen psychiatrie, psychologie und auch der (relationalen) psychoanalyse an öffentlich-politischen diskussionen aus ihrer perspektive beteiligen - es gibt eigentlich keine relevanten gesellschaftlichen krisen- und konfliktbereiche, die ohne bezug auf unsere psychophysische struktur auch nur ansatzweise wirklich verständlich sind.

im ersten podium sitzt übrigens ein vertreter der relationalen psychoanalyse und mitautor des buches
"solidarisch mensch werden", welches sich ausführlich mit den fragestellungen der veranstaltung beschäftigt.

alle angaben zu ort und zeiten sind im ersten link oben enthalten - ja, und die veranstaltung ist kostenfrei.

Montag, 8. März 2010

notiz: bundesweite demonstration von (ehemaligen) heimkindern am 15. april in berlin

ergänzend zur gestrigen beitragsreihe möchte ich schon mal im vorlauf auf diesen termin hinweisen und auszugsweise einen der kursierenden aufrufe zitieren - diesen besonders, weil ich finde, dass er das ganze ausmaß dessen, worum es geht, wirklich gut benennt:

"Wir wollen ein Zeichen setzen. Wollen klarmachen, dass die Zeit des Stillhaltens vorbei ist !

Wir lassen uns nicht länger veralbern !

Ehemalige Heimkinder
Ehemalige Schulkinder
Ehemalige Jugendliche
klagen an !

Wir klagen an

weil wir geschlagen wurden
weil wir zwangsgefüttert wurden
weil wir sexuell missbraucht wurden
weil wir gefoltert wurden
weil wir in dunklen Kellerzimmern eingesperrt wurden
weil wir seelisch zu Grunde gerichtet wurden
weil wir isoliert wurden
weil wir unzureichend ausgebildet wurden
weil wir zu Zwangsarbeit gezwungen wurden
weil man Hunde auf uns hetzte
weil man uns aufeinander hetzte und uns für gegenseitige Misshandlungen lobte
weil man uns von unseren Geschwistern trennte
weil man uns in die Kirche zwang
weil uns ehemalige KZ-Aufseher erziehen sollten
weil man uns medizinische Hilfe versagte
weil man uns sogar in den letzten 4 Jahren immer beleidigte und die Gewalt und Verbrechen an uns leugnete oder verniedlichte

Wir klagen an

die heute noch lebenden Verbrecher, die unser Leben zerstört haben
die Katholische Kirche, die die Verbrechen unter Ihrem Dach duldete
die Evangelische Kirche, die ebenfalls die Augen fest zudrückte
die staatlichen Heimträger, die ebenso Verbrechen duldeten oder übersahen und die Akten fälschten
die Landschaftsverbände, die mit Ihren Landesjugendämtern die Aufsichtspflicht nicht ausgeführt hatte
die Kommunalverwaltungen, weil sie nicht sehen und hören und schon gar nicht sprechen wollten, wenn sie doch mit den Verbrechen konfrontiert wurden
die Menschen, die unser Leid sahen und feige schwiegen

Wir fordern

Entschädigung
Entschuldigung
Rentennachzahlungen
Schmerzensgeld
Kostenübernahme für medizinische und psychologische Maßnahmen
ein Lebensende in Würde ohne Angst vor weiterer Gewalt im Altenheim"


bereits seit dem letzten jahr liegt die geforderte höhe der
entschädigung auf dem (runden) tisch:

"Sie wurden erniedrigt, geschlagen und zu Schwerstarbeit gezwungen - und das vor allem in kirchlichen Einrichtungen im Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre. Jetzt fordern die Mitglieder des Vereins ehemaliger Heimkinder ein Entschädigung von 25 Milliarden Euro. (...)

"Auch wenn die Forderung auf den ersten Blick hoch erscheint, ist sie angesichts der großen Zahl der Betroffenen und der Schwere des erlittenen Unrechts, das ganze Biografien zerstört hat, maßvoll", erklärte VEH-Anwalt Gerrit Wilmans. "Auch im internationalen Vergleich liegt die Forderung bezogen auf den Einzelfall absolut im Schnitt." Die VEH-Vorsitzende Monika Tschapek-Güntner erklärte: "Jede dieser Taten ist eines zivilisierten Staates unwürdig und ist gleichermaßen zu entschädigen, unabhängig davon, wo sie geschehen ist."

Die Entschädigung soll dem VEH zufolge nicht vorwiegend vom Steuerzahler getragen werden. Verantwortlich seien in erster Linie die meist kirchlichen Heimträger sowie die beteiligten Betriebe, die von der Zwangsarbeit profitiert hätten.

Der VEH fordert neben der Entschädigung auch einen rentenversicherungsrechtlichen Ausgleich für die Zwangsarbeit sowie sofortige Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Behandlung der Traumata, unter denen viele ehemalige Heimkinder leiden." (...)


eine völlig berechtigte forderung, wenn man sich die hunderttausende von betroffenen betrachtet, von deren zwangsarbeit kirchen und private betriebe profitierten - und dazu kommt der aspekt, dass geld für ein zerstörtes leben wenig mehr als ein trostpflaster darstellt. gerade die kirchen könnten hier mal einiges von ihrem vermögen wirklich menschenfreudlich anlegen...

hier gibt es ein aufruf-flugblatt als .pdf zum download. und folgend noch einige seiten bzw. blogs von ehemaligen heimkindern:

verein ehemaliger heimkinder

heimkinder-überlebende

heimkinderopfer

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