Sonntag, 19. September 2010

assoziation: mehr körperkontakt!

diesen titel trägt ein ziemlich guter text auf einer mir bislang unbekannten seite - die für mich wesentlichen auszüge:

(...) "Das Problem, mit dem wir es angesichts des verkrampften Umgangs mit Sexualität in unserer Kultur zu tun haben, ist eigentlich nicht so sehr, dass der Sexualität die Liebe und Wertschätzung fehlt, sondern andersherum: dass den liebevollen und wertschätzenden Beziehungen jegliche körperliche Ausdrucksmöglichkeit fehlt.

Uns fiel nämlich auf, dass nicht nur Sexualität, sondern jede Art von körperlichem, liebevollem Kontakt zwischen Menschen in unserer Kultur stark tabuisiert ist, sobald sie außerhalb intimer Paarbeziehungen stattfindet. Niemand fasst sich an, niemand kuschelt miteinander, niemand hält sich im Arm, niemand streichelt sich gegenseitig – das alles ist nur unter expliziten Liebespaaren erlaubt. Was im Umkehrschluss heißt: Sobald es zu körperlicher Nähe kommt, steht die Frage nach einer Liebesbeziehung und damit nach expliziter Sexualität im Raum. (...)

Selbst bei guten Freunden und Freundinnen sind wir oft verkrampft, sobald es um einen körperlichen Kontakt geht, der über ein flüchtiges Küsschen zur Begrüßung hinausgeht. Sich gemeinsam auf ein Sofa kuscheln und einen Film schauen ist normalerweise nicht möglich. Auch nicht, gemeinsam in einem Bett zu übernachten, sich zu streicheln, Händchen zu halten, sich im Arm zu halten (von Extremsituationen wie großer Verzweiflung vielleicht abgesehen). Noch schlimmer ist es bei Bekannten: Sich bei einem Arbeitskollegen über die Schulter beugen, um auf seinen Bildschirm zu schauen, wird schnell zur heiklen Angelegenheit. (...)

Diese Kultur der Körperlosigkeit in Beziehungen läuft den menschlichen Bedürfnissen entgegen. Denn es ist kaum möglich, ohne körperliche Nähe, ohne Angefasst werden, Streicheln, Kuscheln, Umarmt werden, gut zu leben. Deshalb müssen wir alle so verzweifelt auf eine Zweierbeziehung hoffen. Deshalb ist die Einsamkeit alter Menschen so unerträglich. Wir stellten bei unserem Gespräch fest, dass das unsere größte Angst vor einem eventuellen Single-Dasein ist: auf die Möglichkeit körperlicher Nähe verzichten zu müssen. Nicht das Geld macht uns Sorgen, nicht das Ausgelastet sein, nicht das Eingebundensein in Freundschaften und ein soziales Netz, letztlich auch nicht der pure Sex – das alles ist auch außerhalb der klassischen Zweierbeziehung zu haben. Kuscheln, Küssen, Streicheln, sich Körperlich geborgen Fühlen aber nicht.

Eine Gesellschaft, die die menschliche Sehnsucht nach Körperkontakt so extrem einschränkt und mit Tabus gelegt, muss sich eigentlich nicht wundern, wenn sich destruktive und gewalttätige Formen von Sexualität entwickeln." (...)


letzteres ist allerdings mit wahrscheinlichkeit nicht nur auf die sexuelle ebene beschränkt. das fasste der us-amerikanische psychologe rollo may schon 1969 in seinem buch "love and will" in die folgenden worte:

"When inward life dries up, when feeling decreases and apathy increases, when one cannot affect or even genuinely touch another person, violence flares up as a daimonic necessity for contact."

(in sinngemäßer übersetzung: wenn das innenleben vertrocknet, gefühle verschwinden und sich apathie ausbreitet, wenn man andere menschen nicht mehr erreichen und sogar im tatsächlichen sinne nicht mehr berühren kann, dann flammt als ein letzter dämonischer versuch, eine berührung erzwingen zu wollen, gewalt auf.)

mir ist dieses zitat das erste mal als abschluß einer recht blutigen krimikurzgeschichte begegnet. und tatsächlich: wenn man dieses modell einmal als schablone über unsere gesellschaftliche realität legt, sieht es augenscheinlich etwas danach aus, als ob das motiv der erzwungenen berührung in vielen fällen untergründig beteiligt ist.

nun hat rollo may als vom
existentialismus beeinflusster psychologe seine sätze in einer epoche geschrieben, in der besonders diverse variationen der psychoanalyse - von freud angefangen bis hin zu den "dissidenten" wie erich fromm und auch wilhelm reich - ebenfalls noch up to date waren und ihren focus bekanntlich besonders auf die in ihren entstehungszeiten tatsächlich noch "klassisch" unterdrückte sexualität legten, die in einem fatalen sinne oft genug mit der gesamten körperlichkeit des menschen gleichgesetzt wurde (diesen verhängnisvollen fehler hat meiner meinung nach auch wilhelm reich begangen, so sehr ich ihn auch generell für wichtige arbeiten schätze).

heute haben wir es jedoch mit phänomenen zu tun, die sich unter dem begriff der verdinglichten (und verdinglichenden) selbst- und fremdwahrnehmung zusammenfassen lassen. da wäre einmal die heutige allgegenwärtige übersexualisierung der gesellschaft, in der, wie ich zum thema
amok früher einmal geschrieben hatte...

"... in der sexualität tatsächlich zu einer art alles dominierendem platzhalter für die mehr und mehr fehlende vielfalt von lebendigen und liebevollen menschlichen beziehungen geworden ist, zu allem überfluß auch noch zusehends unter die räder der "marktgesetze" geraten ist - äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden ..."

... und die sich heute zu einem sehr destruktiven gesellschaftlichen faktor entwickelt hat, zugespitzt in den diversen formen von (gewalt-)pornographie bis hin zu sexualisierter gewalt . im engen wechselspiel damit und sich mit der zwanghaften sexualisierung gegenseitig verstärkend/bedingend sind die schon erwähnten wahrnehmungsstörungen und -defizite zu sehen, auch hier an erster stelle die einbußen an empathiefähigkeit, die nicht nur für die eingangs im vorgestellten text erwähnten ebenen von nicht primär sexuellem körperkontakt eine grundlegende voraussetzung darstellt. und die eben auch für viele hier in der vergangenheit schon diskutierten phänomene wie bspw. kindsmorde, schulmassaker ("amok") und "happy slapping" eine basale grundlage bildet.

*

da sich die obigen themen allesamt um innere kernbereiche der menschlichen sozialität drehen, ist es aus meiner sicht schon dringend nötig, hier etwas orientierung zu gewinnen, weil sonst die agierenden destruktiven kräfte und prozesse nicht in ihrem wirken verstanden werden können. unter der realistischen annahme, dass wir es in den heutigen gesellschaften mit einer wahren epidemie von beziehungskrankheiten (prinzipiell besitzt jede "psychische" [psychophysische] störung/krankheit als kern eine beziehungsstörung, zuerst innerhalb des eigenen selbst, falls denn letzteres überhaupt vorhanden ist) zu tun haben, mal der versuch, ein paar der angerissenen punkte zu ordnen:
  • als erstes eine binse: nicht alles, was nach sex aussieht, ist tatsächlich sexuell. drastisches beispiel wären hier vergewaltigungen, bei denen es immer zentral um macht geht. und bei denen sekundär auch ein motiv wie dasjenige von rollo may beschrieben eine rolle spielen könnte.
  • beziehungskrankheiten können als symptome sowohl eine weitgehende sexuelle abstinenz als auch eine recht wahllose und teils massiv selbst- und fremdgefährdende komponente sexuellen ausagierens mit schon zwanghaften zügen aufweisen. am deutlichsten zu sehen ist beides (!) bei vorgeschichten sexualisierter gewalt, bei denen die opfer dann später auch dazu neigen, ihre traumata zu re-inszenieren (teils dann mit vertauschten rollen). dieser punkt ist auch genau derjenige, der mich solche zeitgeistphänomene wie "bdsm" mit einigem misstrauen betrachten lässt. selbst wenn den protagonisten ihre motivationen bewusst sein sollten, so lässt sich derart kein trauma wirklich auflösen. eher wird hier nur immer und immer wieder neu ausagiert, und gleichzeitig die fehlkoppelung von sex = machtposition = lust ständig reproduziert und ganz im wirksinne eines verhaltenspsychologischen verstärkers verankert. das hat mit irgendetwas emanzipatorischem nicht nur nichts zu tun, sondern arbeitet dem direkt entgegen.
  • wie auch die verbreitete trennung von sex und liebe. eine der fatalsten spaltungen überhaupt, die einerseits die sexualität mit einer bedeutung auflädt, unter der sie nur früher oder später kollabieren kann (weil sie zwangsweise umstandslos mit allgemeiner menschlicher erfüllung gleichgesetzt wird), während andererseits der allgemeine mangel an liebe (und das nicht im sinne der zweierbeziehung, sondern auf alle sozialen beziehungsebenen bezogen) vielleicht als das besorgniserregendste symptom unserer zeit überhaupt begriffen werden muss. gleichzeitig ist die spaltung auch mehrfach verräterisch: es ist auffällig, dass eine derart herausgehobene sexualisierung bevorzugt innerhalb quantifizierbarer dimensionen abgehandelt und wahrgenommen wird - wie oft, mit wievielen, "eroberungen" besonders begehrter "objekte" etc. - und so auch deutlich wird, dass es dabei keinesfalls um einen, vielleicht den intensivsten, ausdruck zwischenmenschlicher nähe geht, sondern um eine narzisstisch aufgeladene bestätigung des eigenen, objektivistisch konstruierten images, welches gleichzusetzen ist mit der gesellschaftlich präsentierten maske. andererseits steckt selbst in vielen dieser praktiken auch vermutlich das, was im may-zitat so treffend auf den punkt gebracht wurde. und nein, dazu muss nicht unbedingt "sichtbare" gewalt vorhanden sein. während die anonymität und kälte, mit der diese marktkonforme sexualität oft genug daherkommt, schon den kern offener gewalt impizit enthält, so ist doch gleichzeitig oft genug noch ein verzweifelter rest der suche nach authentischer menschlicher nähe vorhanden, die aber - weil weitgehend unbegriffen und im wortwörtlichsten sinne sprachlos - sich nur noch in deformierten ausdrücken manifestieren kann.
  • den sonderfall bei diesem ganzen komplex bilden wie so oft wiedereinmal die "echten" sozioapathen aka als-ob-persönlichkeiten. ganz kurz gesagt, kommt hier alles sexuelle völlig mechanistisch daher, wird einzig und alleine in quantifizierbaren mustern wahrgenommen und hat nicht mal einen hauch mit authentischer zwischenmenschlicher nähe zu tun. alle diese eigenschaften machen aber paradoxer- und bezeichnenderweise strukturell soziopathische leute auf dem heutigen sexmarkt zu bevorzugten objekten und konsumenten gleichzeitig, weil die motive des unverbindlichenden, der anonymität und verdinglichenden / verobjektivierenden wahrnehmung des gegenübers durchaus, nicht zuletzt durch die massenhaft verbreitete pornographie, bruchlos kompatibel mit den nachgefragten eigenschaften von "sexpartnern" im mainstream sind. das alles ist im wesentlichen nur die wiederspiegelung der sonstigen auffälligen kompatibilitäten von soziopathen mit den normen und praktiken des totalitären kapitalismus.
*

bei betrachtung all dieser punkte kommt mir auch wieder eine gerade laufende
diskussion bei kritik und kunst in den sinn, bei der ich mein unbehagen bisher nur teilweise fassen konnte. inzwischen aber scheint mir ein zentraler punkt darin zu liegen, dass hartmut finkeldey und ich jeweils unterschiedliche probleme als priorität ansehen: wenn er in seinem letzten statement u.a. schreibt...

"wir haben derzeit eine sehr unheilige Allianz zwischen Therapeuten (denen es zT auch nur um ABMs geht, die ein Interesse daran haben, möglichst viel "Fälle" zu haben - muss man so knallhart sagen!) und neuer Rechter mit ihrer Körperfeindlichkeit."

... dann ist das ziemlich genau die position, die auch leute wie katharina rutschky oder der bei diesem thema unsägliche wiglaf droste in der "mißbrauch-mit-dem-mißbrauch"-kampagne in den 1990ern verbreitet haben. und das fand ich damals schon daneben, weil hier einfach auf dem stand von "1968" argumentiert wird und die - in weiten teilen der politischen rechten bis heute zweifelsfrei vorhandene - tendenz zur sexuellen repression als hauptproblem gesehen wird. und eben das möchte ich in zeiten der allgemeinen übersexualisierung bestreiten. die taten, die bei "kritik und kunst" anlaß für den ausgangsbeitrag bildeten, fanden unter kindern/jugendlichen statt und machen durchaus einerseits die tatsache deutlich, dass in den heutigen jungen generationen die verfügbarkeit und der konsum von pornographie eine sehr negative rolle spielen kann (dazu zusammenfassend mehr beim
psychiatrie-heute-net, ebenfalls eine quasi "regierungsamtliche" studie dazu - beide quellen kommen zu einem ähnlichen, und zwar sowohl für "klassisch" linke wie rechte, unbequemen hauptergebnis: nämlich das das rechte schreckgespenst einer quasi hemmungs- und schamlosen sexualisierung von kindern und jugendlichen per pornokonsum erstens so nicht haltbar ist, während zweitens dieser konsum durchaus negative folgen mit sich bringt, als deren gravierendste die unmöglichkeit beschreiben wird, im vergleich zwischen den scheinwelten des pornos und dem realen eigenen leben quasi nicht den kürzeren zu ziehen. und das kann zu massiven schwierigkeiten für die jeweils eigene sexuelle entwicklung führen), wobei wir in diesem fall diesen möglichen einfluß nicht abschätzen können (es liegt aber nahe, einen solchen einfluß anhand der geschilderten praktiken anzunehmen. solche szenarien entwickeln sich keinesfalls "von selbst". die andere möglichkeit wäre die, dass die betroffenen jugendlichen hier eigene erfahrungen in vertauschten rollen re-inszeniert haben). zum anderen zeigen sich aber auch massive empathiedefizite bei gleichzeitigem sexualisieren von angewandter gewalt, und das spiegelt durchaus entwicklungen wieder, die hier in anderen zusammenhängen bei kindern und jugendlichen auch schon thema waren.

und letzteres betrachte ich inzwischen als zentrales problem - ganz im gegensatz zu vielen linken, die bei diesen fragen immer noch dem irrglauben anhängen, dass "die sexualität" aus den fängen einer rigiden und prüden, religiös beeinflussten bürgerlichen moral zu "befreien" wäre - und dabei völlig übersehen, dass die zeiten der totalen ökonomisierung mitsamt ihren verheerenden folgen für die menschlichen innenwelten die problemstellung massiv verschoben haben - heute ist "die sexualität" in ihrem eigentlichen wesen als ausdrucksmöglichkeit zwischenmenschlicher nähe und zuneigung eher als entkernt zu betrachten. sie hat sich, wie alles andere auch, in ein konsumierbares produkt verwandelt, und wandelt in dieser gestalt ständig in der nähe allerlei grenzverletzungen umher. und das betrachte ich als zentral, nicht das lächerliche gehabe irgendwelcher figuren von rechts, deren absurde thesen im allgemeinen nur noch anlaß zu gelächter geben (ein aktuelles beispiel dafür findet sich
hier).

das es den anschein hat, als würde derlei auf fruchtbaren boden fallen, hat nicht zuletzt auch mit der erwähnten falschen prioritätensetzung zu tun - die rechte greift in ihrer verzerrenden art und weise ein paar symptome der erwähnten produkthaftigkeit von sexualität auf und erweckt dadurch für etliche sich in dieser schwer durchschaubaren lage befindlichenden den eindruck, mittels ihrer rezepte einen ausweg zeigen zu können. das funktioniert analog anderen gesellschaftlichen bereichen aber nur dann und deshalb, weil es bislang keinerlei auf höhe der zeit befindlichen emanzipatorischen ansätze gibt, die hier angemessene antworten und wege aufzeigen könnten. und gerade deshalb finde ich den eingangs verlinkten text gut: weil hier durchaus der versuch sichtbar ist, in dieser situation etwas orientierung zu geben. auch, wenn sich der dortige autorenkreis vermutlich eher weniger als "links" begreift.

Dienstag, 14. September 2010

notiz: noch´n paar studien

(soziologische & psychologische) studien aller art scheinen ja schon geraume zeit zu den bevorzugten instrumenten zu gehören, mittels denen sich nicht nur diese gesellschaft versucht, mit mehr oder weniger erfolg sich selbst auf die schliche zu kommen. und die probleme damit, bspw. von der auswahl der fragen über die zielgruppe(n) bis hin zu den vielfach möglichen statistischen tricks bei der auswertung sollten allgemein bekannt sein. nichtsdestotrotz enthalten sie, wenn das "design" und die ausführung nicht von vorneherein allen einschlägigen standards hohn sprechen, meistens einige kerne der tatsächlichen gesellschaftlichen realität. und mit diesen aspekten im hinterkopf ist es interessant, sich die jüngst veröffentlichten ergebnisse zweier studien zur situation von jugendlichen in diesem land näher zu betrachten.

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da wäre einmal die schon notorische "shell"-jugendstudie, die jeweils mit einem abstand von drei bis vier jahren durchgeführt wird und in diesem jahr erneut vorliegt. deren ergebnisse führen derzeit im mainstream zu überschriften alá "Viele Jugendliche blicken optimistisch in die Zukunft" (afp), "Pessimistisch wegen Wirtschaftskrise? Iwo!" (stern) oder auch "Optimismus nur in der Mittel- und Oberschicht" (faz).

bereits diese drei beispiele bilden den grundsätzlichen tenor der intrepretationen ab: einmal wird der festgestellte optimismus mehr oder weniger bejubelt, zum anderen im gleichen atemzug
festgestellt, dass dieser optimismus an die klassenzugehörigkeit gekoppelt ist:

(...) "Allerdings klafft bei der Einschätzung der Zukunft die Schere zwischen den Milieus immer weiter auseinander - nicht jeder hält dem steigenden Druck stand. Ob Politikinteresse, Bildungschancen oder soziales Engagement: Die zwölf- bis 25-Jährigen aus sozial benachteiligten Familien zeigen in allen Bereichen deutlich weniger Zuversicht.

Insgesamt 59 Prozent blicken positiv in ihre persönliche Zukunft - 2006 waren es 50 Prozent. 35 Prozent sind unentschieden, sechs Prozent sehen ihre Zukunft düster. Bei sozial benachteiligten Jugendlichen sind nur 33 Prozent optimistisch. 71 Prozent insgesamt sind überzeugt, ihre beruflichen Wünsche verwirklichen zu können. Bei den Jugendlichen aus der Unterschicht sind es nur 41 Prozent." (...)


ich konnte bisher nichts darüber finden, wie im kontext dieser studie eigentlich der begriff "optimismus" definiert wird - auch die
kurzvorstellung der ergebnisse hilft da nicht wirklich weiter - oder soll man den zitierten begriff des "positiven denkens" wirklich dafür als synonym nehmen? das würde dann eher unter autosuggestionen laufen.

aus der ergebnisvorstellung unter "politik" auch das:

(...) "Stabil bleibt die politische Selbsteinschätzung der Jugendlichen: Die Mehrheit ordnet sich etwas links von der Mitte ein. Auch beim Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen hat sich wenig geändert: Hohe Bewertungen gab es für Polizei, Gerichte, Bundeswehr sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, niedrige für die Bundesregierung, die Kirche, große Unternehmen und Parteien. Kaum verwunderlich, dass in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise das Vertrauen in Banken am meisten gelitten hat. Entsprechend zeigt sich bei den Jugendlichen heutzutage nicht nur Politikverdrossenheit, sondern auch ein ausgeprägter Missmut gegenüber Wirtschaft und Finanzen." (...)

ich kann das, anders als die autoren und die mehrzahl der interpreten, nur als beleg für eine sichtbare fragmentierung der wahrnehmungsfähigkeiten bei vielen kids ansehen. die sog. staatliche exekutive und judikative - polizei, gerichte, militär - derart von der legislative (regierung und die involvierten parteien) zu trennen, macht ein meiner meinung nach absolut illusionäres verständnis von den realen verhältnissen in staat und gesellschaft deutlich, in denen diese trennung an vielen stellen keinesfalls mehr existiert, weil das primat der ökonomie, vermittelt u.a. durch lobbyismus und auch oft genug korruption, längst alle staatlichen sphären dominiert (und im kapitalismus staatliche apparate eh dazu neigen, sich zu reinen erfüllungsgehilfen dieses primates zu machen). in zeiten, wo transnationale konzerne aufgrund ihrer ungeheuren finanziellen macht oft genug ganze staaten in ihre tasche stecken können, mutet die dokumentierte trennung jedenfalls mehr als seltsam an, kann aber u.u. direkt den apolegeten eines "starken staates" in die hände spielen.

ebenfalls wird offenbar nicht gesehen, dass die regierung zwar die bundeswehr in kriegseinsätze schickt, letztere das aber auch vollig widerstandslos mit sich machen lässt und derart als mitverantwortlich gelten muss. erst recht, wenn diese einsätze zukünftig noch mehr als heute vom primat der versorgungssicherung in sachen rohstoffe bestimmt sein werden - und auch und gerade im interesse der scheinbar kritisierten "großen unternehmen" stattfinden werden.

vielleicht gibt es aber sowohl für den groß herausgestellten optimismus als auch für die sichtbar werdenden wahrnehmungsfragmentierungen auch noch einen ganz anderen hintergrund, und den hatte ich vor ein paar jahren schon mal
hier skizziert - würde mich wundern, wenn die studie auch nach diesen möglichen hintergründen bei den teilnehmerInnen gefragt hat.

und "links von der mitte" ist bei der realen position der sog. "mitte" immer noch ein ordentliches stück rechts. insgesamt aber auch kein wunder bei denjenigen generationen, die als gesellschaftliches leitbild nichts weiter als verschiedene grade des totalitären kapitalismus kennen.

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was diese studie aber auch wiederspielgelt, ist die sozioökonomische spaltung der gesellschaft in der hinsicht, dass sich die jugendlichen aus der unterklasse (aka "prekariat") durchaus über ihre eigene position und zukunft in dieser gesellschaft im klaren zu sein scheinen:

(...) "Einzig bei Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zeigt sich ein anderes Bild: Hier ist nur noch ein Drittel (33 Prozent) optimistisch. Diese soziale Kluft wird auch bei der Frage nach der Zufriedenheit im Leben deutlich. Während fast drei Viertel aller Jugendlichen im Allgemeinen zufrieden mit ihrem Leben sind, äußern sich Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen nur zu 40 Prozent positiv." (...)

das ist weder unerwartet noch überraschend, nur ist die große frage, was die betroffenen daraus für konsequenzen ziehen werden. die derzeitigen rassistischen diskurse und aktionen in vielen europäischen staaten sind ein indiz dafür, dass von interessierter seite aus versucht wird, massiv destruktive (und system und "eliten" nicht gefährdende) möglichkeiten für eine antwort zu schaffen. auch aus diesem grund ist es notwendig, diesem tun entgegenzutreten.

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es gibt noch eine weitere jugendstudie, die auf einer quantitativ massiv geringeren, aber möglicherweise (!) qualitativ wesentlich umfassenderen datenbasis beruht, weil hier die ergebnisse mittels tiefenpsychologischer interviews gwonnen werden - mir bisher unbekannt, kommt die
studie des rheingold-instituts - ausgerechnet im auftrag des axel-springer-verlages, abt. musikzeitschriften -, zu etwas anders klingenden ergebnissen. auszüge:

(...) "Das widersprüchliche Bild, das die heutige Jugend in den Berichten der verschiedenen Forschungsinstitute zeigt – für die einen ist sie fügsam, optimistisch, fortschrittsgläubig, für die anderen angstvoll, bedrückt verunsichert – spiegelt insgesamt genau das gespaltene Weltbild der Jugendlichen. Auf der einen Seite sehen sie die Winner, Normalos und Reichen – auf der anderen die Loser, Asis und Hartz IV.

Frühere Generationen hatten das Gefühl, durch Ausbildung, durch Arbeit oder wenigstens durch Beziehungs-Management (90er Jahre) eine eigenständige Position in der Welt erringen zu können. Heute sieht die Welt für Jugendliche so aus, dass sie zwischen „Superstar“ und „Hartz IV“ hilflos in der Mitte baumeln. „Werde reich oder stirb traurig“: auf diese Alternative verengt sich der gesellschaftliche Sinn-Horizont, wozu dann unterschwellig Empfehlungen geliefert werden, die soziales Handeln auf Kaufen, Tricksen, Blenden, Klauen, Hauen, Hocken beschränken."


der letzte satz drückt genau solche tendenzen aus, die ich zusammen mit anderen zusammenhängen hier im blog insgesamt als mehr oder weniger "schleichende" soziopathisierung der gesamten gesellschaft bezeichnen würde - egozentrisch und alleine auf den eigenen vorteil (in konsequenz das eigene überleben) bedacht, wird versucht, sich mittels vielfältiger simulativer strategien und fakes sowie direkter antisozialer aktion über die runden zu bringen. ebenfalls lässt sich die dargestellte "friß-oder-stirb"-wahrnehmung tendenziell als klassische borderline-position (im sinne der diagnostischen kriterien der borderline-ps) betrachten, was in diesem zusammenhang auch nicht überraschen kann.

"Viele Jugendliche sehen Erwachsene als Narren oder Heuchler, die so tun, als hätten sie die Lage im Griff, in Wahrheit aber die Kontrolle verloren haben. Auf ihre Vorteile bedacht, lassen Erwachsene die Jugendlichen im Stich: „Keiner kümmert sich um uns, schon gar nicht die Politiker, die kümmern sich nur um andere Länder.“ Erstaunlich! Trotz der von vielen Erwachsenen vorgetragenen Dauer-Bekümmerung fühlen sich heutige Jugendliche elternlos. Sie suchen daher Zweitfamilien auf: In Cliquen, in Gangs oder in Games finden sie die Auftrittsmöglichkeiten, die klaren Hierarchien und einfachen Regeln, die ihnen in „Multikultopia“ fehlen."

bei diesem als zitat dargestellten zentralen satz mir dem "kümmern" und "anderen ländern" frage ich mich ja, wie weit er repräsentativ ist - wobei ich nicht glaube, dass es diese position real tatsächlich nicht gibt. ist jedenfalls interessant zu sehen, wie gerade die springer-medien ganz im sinne dieser sätze agieren bzw. glauben, das zu tun.

auch der nächste befund ist keine überraschung:

"Eine andere Jugend-Strategie zielt auf den Erhalt eines Zustands permanenter Berieselung. Snacks und Drinks als Sinn-Lückenfüller, MP3-Player als Ohren-Schnuller, Events am laufenden Band, Handys und Messenger-Systeme verdrängen die eigenen Ohnmachtsgefühle zusammen mit dem ‚schwarzen Loch’, das aus der Zukunft auf die Einzelnen zukommt. Die Eltern sind nur zu gern bereit, diese Dauerbefütterung bis zum Konsumkoma zu unterstützen, um ihre Kinder zu ruhigen, artigen und verträglichen Geschöpfen zu machen und lästige Fragen aus der Welt zu schaffen, auf die sie selber keine Antwort wissen." (...)

eine der ausgeprägteren varianten von
sozialer trance, kombiniert mit den per werbung/pr vermittelten und übergriffigen normen des komsumimperiums - soll man die anwendung dieser herrschaftstechnologien bereits bei kindern und jugendlichen als besonders schändlich und niederträchtig hervorheben?

die folgend genannten vier eigenschaften, die lt. studie den jugendlichen besonders fehlen würden, hören sich im großen und ganzen plausibel an, auch wenn sie nicht vollständig sein dürften. jedenfalls ist das zusammenfassende fazit recht eindeutig:

(...) "Die Befunde der Jugendstudie sind alarmierend. Daher macht es auch keinen Sinn, die Situation zu beschönigen und eine werbliche Hurra-Jugend-Studie zu verfassen. Die Zeiten des ungebrochenen Jugendkults und der freudig bewegten Loveparade sind vorbei. Auch die Jugendlichen fordern von den Erwachsenen und den Medien Klartext – schonungslose Aufklärung und eindeutige Positionen." (...)

wäre interessant zu wissen - gerade im vergleich mit der "shell"-studie -, aus welchen milieus die befragten stammen. wobei sich die kritischen anmerkungen für mich so anhören, als ob sie auch aus mittel- und oberklasse stammen könnten - nur lässt sich dort die allgemeine und diesem system höchst immanente sinnleere aufgrund der materiellen ausstattung besser kompensieren, was aber auf die dauer eben keinesfalls glücklicher macht.

ganz am ende werden zwei mögliche perspektiven skizziert, und die eine, als pessimistisch benannte, enthält frappierend viele derjenigen befunde, die ich hier bei verschiedensten themen in der vergangenheit auch schon erhoben habe:

(...) "Die Jugendkultur wird im Jahre 2012 hauptsächlich von drei Gruppierungen bestimmt – von Gangs, Träumern und Schläfern. Sie sind Reaktionen gegen die erlebte Lebensangst, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht.

Die Gangs haben die liberalen Freundeskreise entweder ganz ersetzt oder sie tyrannisieren sie. Jenseits der bürgerlichen Ordnung tobt ein heimlicher Bürgerkrieg und beschwört anarchische Zustände. Die völlige Entpolitisierung der Jugend geht einher mit Markierung neuer Kampfzonen durch regionale, nationale oder religiöse Unterschieden. Die unzähligen Banden und Clans werden zu straff organisierten kleinen Parallel-Gesellschaften mit zum Teil fundamentalistischen Zügen.

Die Träumer sind friedlicher. Aufgrund ihre Lebensangst und ihrer Ressentiments gegen Banden oder gegen Frauen haben sie sich weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Sie leben isoliert in ihren virtuellen PlayStation-Welten. Das Internet ist ihr bevorzugtes Tor zur Wirklichkeit, hier versuchen sie, Karriere in ihrem second life zu machen.

Die Schläfer sind vereinzelte Jugendliche, die gewaltsam aus dieser autistischen Lebensführung ausbrechen. Die bisher im Konsumkoma oder in den künstlichen Paradiesen ruhig gestellte, eingekapselte Angst artikuliert sich in gewaltsamen Explosionen: In willkürlichen Gewaltakten, Straßenkämpfen, Randale an Schulen bis hin zu Anschlägen oder Amokläufen wird die erlebte Ohnmacht in Macht verwandelt." (...)


pessimismus? ich würde das entschieden realismus nennen, weil das alles bereits in regionen, die im prozeß der zerstörung der sozialen basis schon fortgeschrittener sind, punkt für punkt zu beobachten ist, allerdings mit einer deutlichen tendenz zu den gangs - mittel- und südamerika sind da nur ein beispiel für. während die "träumer" in den diversen simulativen aka virtuellen welten und die "schläfer" sich durchaus in der hiesigen realität bevorzugt nachweisen lassen (keywords für eine entprechende blogsuche hier wären in dem zusammenhang bspw. amok, maras, oder auch happy slapping).

und solange keinerlei grundsätzliche, qualitative und radikale änderung der prägenden gesellschaftlichen verhältnisse hier in sicht ist, brauchen wir uns über mögliche positive szenarien erst gar nicht weiter zu unterhalten. und das ist keine frage der "freien wahl", geschweige denn der eigenen vorlieben, sondern liegt u.a. an den aus den menschlichen psychophysischen gesetzmässigkeiten folgenden sozialen prozessen. und die dürften zumindest für alle, die noch über einigermaßen funktionierende wahrnehmungsfähigkeiten verfügen, ohne größere probleme aus der oben genannten "pessimistischen" variante im gemeinten sinne abzuleiten und in der realität ebenfalls wiederzufinden sein.

Montag, 13. September 2010

notiz: sarrazin und seine quellen

ich habe mich dagegen entschieden, die folgende info als update bspw. im letzten beitrag anzuhängen, weil mir selbst das bis gestern unbekannt war und ich auch bisher fast nirgendwo entsprechende hinweise gefunden habe. also: es gibt inzwischen eine art "sarrazin-watchblog", wobei die brandsätze generell gegen den "extremismus der mitte" anschreiben wollen. und vor ein paar tagen beschäftigte sich ein beitrag dort mit einer von sarrazins bezugspersonen, wobei mit diesem begriff eher eine derjenigen quellen bezeichnet wird, auf die s. in seinem buch zurückgreift. was da steht, finde ich hochinteressant, und eine kleine recherche ergab zunächst, dass dieser v. weiss bei s. direkt genannt wird (edit 14.09.: diese direkte nennung muss noch überprüft werden), und als weiteres ergebnis als erstes einen recht umfassenden wiki-eintrag:

"Weiss vertritt die These, dass menschliche Intelligenzunterschiede wesentlich durch die Variation eines Gens und die mendelschen Vererbungsregeln zu erklären seien. Soziale und polygenetische Faktoren hätten nur einen sekundären Einfluss. Soziale Klassen und Ethnien unterscheiden sich nach Weiss' Meinung durch verschieden hohe IQ-Mittelwerte, wofür er als Ursache u.a. die Verteilung von Genvarianten innerhalb dieser Gruppen annimmt. Weiss' Thesen haben in der Wissenschaft nur eine Randposition.

Aus den Ergebnissen seiner Intelligenzforschungen zieht er konkrete bildungs-, minderheits-, migrations- und ethnopolitische Schlußfolgerungen. Seine Ausführungen zum Verhältnis von Genetik und Biologie zur Gesellschaft rufen in der Öffentlichkeit überwiegend Ablehnung hervor, einschließlich des Vorwurfes, es handle sich um „Vererbungslehre in NS-Tradition“. Politisch bewegt Weiss sich in rechtsextremistischen Kontexten. Hier tritt er mit fachlichen und nichtfachlichen Aussagen gerne an die Öffentlichkeit. (...)

In der taz wurde Weiss beschuldigt, schon jahrelang „in trüben braunen Gewässern“ zu fischen und mit wissenschaftlich „mehr als umstrittenen“ und in „NS-Tradition“ stehenden Ansichten am rechten Rand Zustimmung zu erhalten. In einem Vortrag 2004 zur bevorstehenden „Rentenkatastrophe“ etwa hatte er die Sorge der Nationalsozialisten für eine „Bestandserhaltung der Deutschen“ als für die Gegenwart vorbildlich gelobt, anderseits Geburtenkontrolle gefordert. „Denn, so Weiss, sinnlose, unbegrenzte Vermehrung gebe es nur noch im Tierreich - und bei der Familie Ussama Bin Ladens sowie jüdischen Fundamentalisten.“ (...)


und so weiter und so fort. mir war der mann bisher völlig unbekannt, aber wenn ich mir seine thesen so anschaue, dann ist tatsächlich ein wesentlicher kern der sarrazinschen thesen quasi in verschärfter form zu finden. und der kontext, in dem sich weiss so bewegt, ist meiner meinung nach mehr als deutlich und eindeutig. das sollte dann doch alles etwas öffentlicher als bisher werden.

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nachtrag: wo ich gerade beim thema bin, finde ich, dass es noch eine information, und zwar eine positive, gibt, die verbreitet gehört (und in gewisser weise auch schon tendenziell das umfasst, was ich im gestrigen beitrag zum schluß als "ausagieren stoppen" bezeichnet hatte) - die gute alte tradition des
boykotts des schlimmsten hiesigen boulevardblattes wird in hamburg gerade wieder aufgenommen:

(...) az: Warum gibt es in Ihrem Kiosk beziehungsweise Ihrer Bäckerei seit einer Woche keine Bild-Zeitung mehr?

Winfried Buck: Das lag an der Ausgabe von vorletztem Samstag, mit Sarrazin auf dem Titel und dem, was man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfe. Die Aussagen waren so extrem rassistisch, populistisch und ausländerfeindlich, dass ich daraufhin die Bild-Zeitung wutentbrannt aus dem Programm genommen habe.

André Krause: Die Bild-Zeitung hat für mich Stürmer-Qualität. Es geht immer gegen die Hartz-4-Empfänger und die Migranten. Ich wollte die Zeitung schon vor zwei Jahren rausnehmen, aber da war ich relativ neu hier und habe sie mit geballter Faust in der Tasche weiter verkauft. Aber als ich die Aktion meines Nachbarn gesehen habe, war für mich klar: Jetzt ist Schluss. (...)


sehr erfreulich, zumal das gedruckte schlagwerkzeug mit den vier buchstaben seit jahrzehnten verlässlich auf seiten der "eliten" besonders alle arten von teile-und-herrsche-spielchen forciert, anheizt und teils auch initiiert.und u.a. diese funktion hat in früheren zeiten, beginnend 1968, auch schon mal mehr nötigen widerstand hervorgerufen als heute. aber das obige ist immerhin ein anfang, und ein sehr nötiger dazu.

Sonntag, 12. September 2010

aufgewärmt: sarrazin; die wirklichen machthaber; tradierte traumata

die gesellschaftliche szenerie hierzulande ist in diesen tagen wirklich bemerkenswert und lässt im wahrsten sinne des wortes (abgrund-)tief blicken: nicht nur erfreut sich der sarrazyniker weiter breiter ermunterung aus den reihen des "bild"-kontaminierten volksempfindens; nein, er hat auch gleichzeitig nochmal einen der heutigen elitären grundsätze konsequent umgesetzt: alles ist business:

(...) "Die Bundesbank hatte Sarrazin zunächst angeboten, für seine 17 Monate im Amt eine Pension ohne Abzug zu zahlen, wenn er sich freiwillig zurückzöge. Doch in den vom Bundespräsidialamt geführten Verhandlungen setzte Sarrazin in der vergangenen Woche eine noch höhere Forderung durch. Nun bekommt er eine Pension, wie sie ihm am Ende der regulären Laufzeit seines Vertrags im Jahr 2014 zugestanden hätte. "Der ist vom Stamme Nimm", sagte eine Führungskraft der Bundesbank." (...)

auf letzteres hatte ich schon im letzten artikel schon thema hingewiesen - mit welcher dreistigkeit dieser hybrid aus bankster, "politiker" und demagoge sich dann hinstellt und voller inbrunst auf diejenigen einprügelt, die nicht zuletzt aufgrund des wirkens von leuten wie ihm und seinen elitären gangmitgliedern die gesellschaftliche arschkarte zugeschanzt bekommen haben, ist schon bezeichnend - und zwar bezeichnend für ein größeres ausmaß an absolut verzerrter realitätswahrnehmung. er glaubt wirklich, er wäre etwas "besseres" und würde "wertvolles leisten" - und darum stünden ihm auch all seine privilegien quasi "natürlich" zu.

nicht nur diese gerade erwähnten inhalte, sondern auch die formalen kategorien wie quantifizierbare (!) "leistungen" selbst sind das problem, weil sie in den köpfen solcher leute quasi das einzige sinnstiftende element darstellen, was s. mit dem im letzten blogbeitrag erwähnten positiven bezug auf die pseudoidentitäre kategorie "deutsch" auch selbst unterstreicht. ohne das würden sie aller wahrscheinlichkeit nach in einem inneren chaos versinken. das ist eine erklärung, aber keine entschuldigung für derartiges treiben.

ebenfalls bezeichnenderweise stammt die in gewisser hinsicht bisher beste, weil inhaltlich und stilistisch treffendste öffentlich-mediale reaktion auf dieses treiben aus der krawallecke der politsatire, nämlich der "heute-show" im zdf - der kommentar von "hassknecht" (das wäre doch auch ein passendes synonym für s.) bringt alles wichtige auf den irrsinnigen punkt:



*

"ja habt ihr denn noch alle latten am zaun?" ist dabei nicht nur die passende frage an alle claquere des s., sondern auch an seine elitären mitäter und täterinnen, deren aktionen in diesen tagen ebenfalls immer wieder rekordverdächtige ausmaße in sachen frechheit, vermutlicher korruption und scheißegal-mentalität erreichen. nicht nur, dass täglich wie das murmeltier auch die in mehrfacher hinsicht als bad bank zu betrachtende "hypo real estate" wieder einmal ein paar
lumpige kröten braucht, natürlich "nur vorübergehend", "nur als garantie" (aka faktische bürgschaft durch steuergelder) und ganz bestimmt nicht wegen einer grundsätzlich und andauernden prekären lage dieser zombiebank im "staatsbesitz" (ein nichtssagendes bzw. vernebelndes wort, denn "der staat" sind keinesfalls "wir alle") - nein, auch in sachen atomkraft wurde durch die sog. regierung einmal mehr unter beweis gestellt, wer hierzulande der hund ist - und wer den schwanz darstellt:

(...) "Die Atomkonzerne haben sich in dem Vertrag mit der Bundesregierung weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen. So werden die Kosten für die mögliche Nachrüstung auf 500 Mio. Euro je Kernkraftwerk begrenzt, heißt es in der Vereinbarung. Zudem sollen die Energieversorger auch vor einem Regierungswechsel geschützt werden. Verlängert oder erhöht eine andere Regierung die 2016 auslaufende Brennelementesteuer, können Eon , RWE , EnBW und Vattenfall Europe ihre Zahlungen an den Ökostrom-Fonds verringern. Das gilt auch für Steuern und Abgaben aus der sich eine "Zahlungspflicht im Zusammenhang mit dem Kernbrennstoffkreislauf (einschließlich Entsorgung)" ergibt." (...)

das alles wird noch schöner, wenn man sich den letzten satz auf der zunge zergehen lässt - schließlich sieht "entsorgung" hierzulande nicht zufällig so aus wie in der
asse, wo über jahrzehnte und unter der "verantwortlichkeit" verschiedendster regierungen nach dem motto vorgegangen wurde: "hau weg den scheiß, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". was nur dann für solche leute eine überraschung sein kann, die immer noch und immer wieder an die demokratiesimulation glauben (wollen) - da kann als gegenmittel ein nochmaliger blick in die liste der lobbyisten in regierungsdiensten helfen, um sich darüber klar zu werden, wer der hund ist, der da mit seinem regierungsschwanz wedelt. das praktische wirken dieser überaus emsigen gestalten in den diversen ministerien lässt sich kaum besser als an solchen beispielen illustrieren, wie sie oben genannt sind. das fällt dann aufgrund der unverhohlenen sorglosigkeit der protagonisten selbst im mainstream unangenehm auf (via feynsinn).

der götze der profitmaximierung erhebt jedenfalls zusammen mit den masken der ihn anbetenden deformierten charaktere an allen ecken sein hässliches haupt und vergiftet mit seinem fauligen atem die soziale realität - was natürlich in der konsequenz für sich "deutsch fühlende" dann nur heissen kann: mit gebrüll auf "ausländer" und erwerbslose. ja habt ihr denn noch alle latten am zaun?!?

*

na, haben sie natürlich nicht (ich schreibe nicht "wir", weil es da durchaus noch relevante und qualitative unterschiede gibt, die nicht verwischt werden sollten). und das liegt gerade in diesem land, wie früher schon öfter thematisiert - z.b. anhand der
"vegetativen dystonie bzw. von tradierten traumata - an der unheilvollen und bis heute keinesfalls auch nur ansatzweise so wie nötig begriffenen, geschweige denn aufgearbeiteten, gewaltgeschichte. in diesem zusammenhang wurde auf telepolis vor ein paar tagen auf eine neue studie hingewiesen, deren ergebnisse und schlußfolgerungen meiner meinung nach durchaus relevant sind, wenn es darum geht, das aktuelle "politische" geschehen verstehen zu wollen:

(...) "In der Konsequenz hieße dies, dass traumatische Erfahrungen, die Kinder familiär oder auch gesellschaftlich etwa durch Kriege oder gewaltsame Konflikte erleben, in die zweite und dritte Generation weiter gegeben werden können, zumindest dann, wenn die Folgen nicht gezielt kompensiert werden. Und dies hieße, dass sich Verhaltensweisen, die sich durch Umweltbedingungen gebildet haben, eben auch über Generationen "genetisch" vererben, die sich auf diese Weise darauf einrichten, mit schlimmen Situationen zurechtzukommen." (...)

ähnliche studienergebnisse hatte ich vor längerer zeit schon mal
hier kurz vorgestellt. irgendwo an der grenze zwischen neuro- und hirnforschung sowie der epigenetik angesiedelt, widerlegt dieses wissen einerseits die thesen des s. vom quasi "determinierenden" gen und weist deutlich auf die entscheidende rolle auch der sozioökonomischen / psychosozialen zustände innerhalb einer gesellschaft hin (auf die oftmals problematische struktur dieser zustände in vielen islamischen ländern hatte ich im ersten beitrag zu s. kurz hingewiesen); andererseits eröffnet das auch eine verständnismöglichkeit für die art von resonanz, die der große fragmentierer sarrazin aus teilen der bevölkerung erfährt.

denn "mit schlimmen situationen" innerhalb einer traumatischen matrix zurechtkommen kann ganz verschiedenes heißen: es kann einen mehr oder weniger "reinen" opferstatus bedeuten, es kann aber auch - z.b. bei eigener unfähigkeit (aus welchen gründen auch immer) zur bearbeitung der eigenen situation kombiniert mit gewissen anpassungserwartungen und anforderungen zum gesellschaftlich-ökonomischen funktionieren von außen - zu einer individuellen struktur mit genau dem verhalten führen, welches ich hier in der vergangenheit als täter-opfer-dialektik bezeichnet habe. eigene schmerzen werden geleugnet / abgespalten; der oder die täter (meist in reihen des nächsten sozialen umfeldes zu finden) werden entschuldigt oder gar idealisiert; und die ganze traumatische situation wird in einem zwangsweise fehlschlagenen versuch der auflösung re-inszeniert, nun allerdings mit verteilten rollen.

an dieser stelle sollte ich vielleicht auch noch mal drauf hinweisen, dass es indizien dafür gibt, dass die vielfach unterschätzte bis nicht begriffene macht dieser strukturen wenigstens in teilen der "eliten" durchaus zumindest in ihren folgen begriffen, ins kalkül gezogen und instrumentalisiert wird - ein prominentes beispiel für entsprechende äußerungen wäre da
peer steinbrück.

große teile der heute lebenden bevölkerung in diesem land sind jedenfalls immer noch durch die traumatischen folgen von ns und wk2 schwer beeinflusst, und studien wie die oben genannte zeigen auch auf, wie das selbst mit über einem halben jahrhundert zeitlichen abstand noch der fall sein kann. und genau diese tatsache dürfte zu einem großen teil für die negative irrationalität vieler heutiger "debatten" mitverantwortlicht sein, bei denen es keinesfalls um "politik" im sinne der auch emotional rationalen kollektiven gestaltung und bestimmung der gemeinsamen lebensbedingungen geht, sondern eben oft genug primär ums ausagieren. und gerade für letzteres bildet die von s. initiierte suche nach "sündenböcken" ein passendes beispiel.

wenn man als experiment eine art "familiäres raster" über diese gesellschaft legt, lässt sich erkennen, dass sich große und relevante teile der "eliten" genauso verhalten wie niederträchtige, bösartige und machtsüchtige eltern in einer dysfunktionalen großfamilie: sie machen, was sie wollen und was ihnen gerade in den verdorbenen sinn kommt, nehmen keinerlei grenzen wahr, verspotten und verhöhnen, wiegeln auf und spalten ihre untergebenen - und die, "offiziell" im status von "erwachsenen, mündigen, selbstverantwortlichen staatsbürgern", werden davon in ihrer individuellen struktur angesprochen, die oft genug und in sehr verschiedenartigen variationen von dem geprägt ist, was ich traumatische matrix nenne - und verhalten sich dann so, wie ich es weiter oben unter dem punkt täter-opfer-dialektik skizziert habe.

*

auch das obige kann insgesamt nur eine sehr grobe und modellhafte skizze sein, die aber meiner meinung nach tendenziell durchaus ein großes stück der tatsächlichen realität abbildet. und wie man so etwas auflösen, durchbrechen, ändern kann?

da hilft vermutlich tatsächlich zuerst ein blick in die vorgehensweise vieler psychiatrischer und psychotherapeutischer institutionen, wie sie sich bezgl. individueller menschen zeigt: als erstes muss bei bedarf das jeweilige ausagieren der eigenen störung in seiner struktur bewusst gemacht und gestoppt werden. das ist eine wesentliche voraussetzung für alles weitere. mit der frage, was das auf gesellschaftlicher ebene bedeuten könnte, lasse ich Sie jetzt vorläufig an einem verregneten sonntagnachmittag alleine.

Mittwoch, 8. September 2010

"Das Öl-Zeitalter"

bezugnehmend auf die empfehlungen und meine eigenen anmerkungen zum inhalt hier weise ich gerne darauf hin, dass die dokumentation jetzt auch bei yt zu sehen ist - wie üblich gestückelt, und zwar in elf teile, aber besser als gar keine möglichkeit. wie gesagt: eine erhellende geschichtslektion.

Dienstag, 7. September 2010

kontext 68: ist "portugal" überall?

wer das, was ich hier als gedankenexperiment entworfen habe, hinsichtlich der unterstellten inneren verfassung von "eliten" zu übertrieben oder bösartig findet, darf sich gerne ausführlicher mit geschichten wie dieser beschäftigen:

(...) "Dies ist kein freudiger Tag, nicht nach all dem, was passiert ist. Aber Pedro Namora ist erleichtert. Endlich wird Recht gesprochen. Auch ihn hat seine Mutter einst in einem Kinderheim der staatlichen Wohlfahrtsorganisation Casa Pia untergebracht. In einer Institution, die mittellose, verwaiste und taubstumme Kinder schützen sollte und in der sie missbraucht wurden. Namora hat es miterlebt. (...)

In dem quälend langen Prozess berichteten sie, wie sie in dunklen Kellern vergewaltigt wurden, wie sie nachts zu abgelegenen Häusern gefahren wurden. Und wie sich die Mächtigen an ihnen, den Schwachen, vergingen.

Die Angeklagten waren Teil der portugiesischen Elite, unter ihnen der einst beliebteste Fernseh-Showmaster Portugals, Carlos Cruz, außerdem ein prominenter Arzt, ein Unternehmer, ein hochdekorierter Diplomat und früherer Unesco-Botschafter. Den Angeklagten wurden insgesamt mehr als 800 Straftaten zur Last gelegt.

"Als die Tatverdächtigen bekannt wurden, wurden aus den Opfern die Bösen", erinnert sich Namora. Aber es könne doch nicht sein, "dass jahrelang Kinder vergewaltigt werden, dass ihnen Dinge angetan werden, die Sie sich nicht vorstellen können, und dann gesagt wird, die Angeklagten sind angesehene Persönlichkeiten, wir lassen sie in Ruhe". (...)


das erinnert strukturell nicht zufällig besonders an die phase nach bekanntwerden des
"falles dutroux vor jahren in belgien, wobei es da den aller wahrscheinlichkeit nach involvierten angehörigen der "eliten" gelang, mit den gleichen mitteln, wie sie auch die mafia einsetzt, eine derartige entwicklung mit juristischen konsequenzen wie jetzt in portugal - selbst, wenn sie bezeichnend langsam vonstatten ging und die ergebnisse nicht angemessen sind, nicht sein können, und dabei noch nicht mal endgültig sind: (...) "Beobachter sagten, das Verfahren werde mit der ersten Urteilsverkündung noch längst nicht zu Ende gehen. Die Anwälte der Angeklagten würden auf jeden Fall Berufung einlegen, um irgendwann eine Verjährung der Taten geltend zu machen." - zu verhindern und selbst im dunkeln zu verbleiben. ich würde beide fälle keinesfalls als ausnahmen ansehen, dazu ist inzwischen die internationale faktenlage - man betrachte in dem zusammenhang auch die kirchen, ebenso die niedergeschlagenen ermittlungen hierzulande in sachsen - zu stabil. von daher ist das fragezeichen im titel sozusagen als rhetorisches zu betrachten.

*

ps: zum (nicht nur) von "spon" einmal mehr gedankenlos benutzten begriff "kinderschänder" nochmals der hinweis auf diese
anmerkungen.

Montag, 6. September 2010

assoziation: zum öligen menetekel (nicht nur) am golf (4)

(zum vorherigen dritten teil .)

*

weil es zeitlich etwas drängt, möchte ich mich als erstes ausdrücklich der
empfehlung von fk anschließen - "Das Öl-Zeitalter", noch bis zum 8. september online zu sehen, ist eine äusserst lehrreiche dokumentation, die u. u. auch dazu führt, das eigene geschichtsbild nochmal zu überarbeiten - es gibt jede menge aha-affekte zu registrieren, angefangen von der kriegsentscheidenden rolle des öls im ersten weltkrieg (der erste große einsatz von panzern und motorisierten truppentransportern auf seiten der westlichen alliierten war entscheidend - wobei "standard oil", ähnlich wie "krupp" in sachen waffen, an alle seiten verkaufte und sich dumm und dämlich verdiente), über die rolle des öls im nationalsozialismus und im zweiten weltkrieg - hier wird mehr als deutlich, dass ohne die hilfe der us-amerikanischen konzerne "standard oil" und "duPont" (für die gewinnung von synthetischem und für die nazis absolut kriegswichtigem öl aus kohle) sowie "general motors" bis weit in die frühen 1940er jahre hinein die grundsätzliche kriegsfähigkeit der wehrmacht mindestens massiv eingeschränkt gewesen wäre; bis hin zur kolonialgeschichte der global wichtigsten öl-region, dem nahen/mittleren osten, mit einem schwerpunkt auf den iran

bei betrachtung der rückblenden und interviews konnte ich mich des eindrucks nicht erwehren, dass auf dieser ebene menschlicher aktivität bei den protagonisten eine mentalität zu verzeichnen ist, die irgendwo auf der ebene eines mit existenzieller dringlichkeit gespielten hybrids aus "risiko" und "monopoly" angesiedelt ist. konferenzen, entscheidungen am "grünen tisch", geheimgespräche, intrigen, kartelle und militärisches strategisches kalkül prägen das überaus unerfreuliche, aber erhellende bild. zusammen mit der expliziten giftigkeit des stoffes erdöl selbst legt die geschichte des öls in der menschlichen welt die wertung nahe, das bislang kein anderer rohstoff (gleichrangig würde ich hier als einzige noch die radioaktiven ressourcen ansehen) bei seiner nutzung derart destruktive folgen für die gesamte spezies hervorgebracht hat. ich glaube, dass dieses urteil selbst dann gilt, wenn man die vielen, auf den ersten blick durchaus vorteilhaften, anwendungen des öls gegenüberstellt - primär natürlich der medizinische fortschritt, aber auch die erweiterten möglichkeiten der nahrungsmittelproduktion (wobei damit dann wieder andere schädliche folgen verbunden sind, die das ganze dann relativieren).

*

und gerade die letztgenannten beiden punkte weisen geradewegs auf etwas hin, was in der langsam in gang kommenden öffentlichen diskussion zu peak oil bisher kaum thematisiert wird: es gibt nämlich eine meiner meinung nach sehr nachvollziehbare und plausible direkte
verbindung zwischen ölförderung und globalem bevölkerungswachstum (die grafik ist in dem hier schon früher verlinkten oelschock-beitrag zur exponentialfunktion enthalten).

die - und hier ist das wort wirklich angebracht - brutalen schlußfolgerungen liegen auf der hand:

1. das öl hat durch die durch seine nutzung errungenen technologischen fortschritte in medizin & nahrungsmittelproduktion überhaupt erst das für uns heute gewohnte wachstum der population der spezies möglich gemacht.

2. durch diverse einflüsse hat sich das modell der auf fossilen rohstoffen basierenden und kapitalistisch organisierten westlichen industriezivilisation auf dem ganzen planeten faktisch selbst zum scheinbar alternativlosen vorbild in sachen lebensgestaltung und -stil stilisiert, was quasi alleine dem damit assoziierten materiellen wohlstand zuzuschreiben ist - für die absolute mehrheit der menschheit aufgrund ihrer erbärmlichen und teils nichtmal das nötigste existenzielle abdeckende lebensbedingungen eine nachvollziehbare verlockung.

3. peak oil (es ist offensichtlich immer noch notwendig zu betonen, dass es sich dabei um die abseh- und teils berechenbare verknappung billigen öls handelt, und nicht um das komplette materielle versiegen aller bekannten quellen; auch dieser aspekt kommt in der eingangs erwähnten doku zur sprache) wird nun beide vorherigen punkte grundsätzlich untergraben und angesichts der ansonsten im blog breit diskutierten psychophysischen verfassung großer teile der spezies, die eine sozusagen ganzheitliche (auch emotionale) rationalität in sachen organisierung unserer kollektiven lebensbedingungen (das wäre politik im eigentlichen sinne) als schwierig bis unmöglich erscheinen lässt, mit erhöhter wahrscheinlichkeit zu massiven verteilungskämpfen bis hin zu kriegen um die letzten erreichbaren ölreserven führen. solche kriege wurden in der vergangenheit schon geführt, werden aber zukünftig aufgrund des finalen charakters der ganzen geschichte ungeahnte ausmaße in jeder hinsicht annehmen.

damit ist auch gleichzeitig eine allgemeine globale reduktion des materiellen lebensstandards unausweichlich - was das bedeutet, zeigen u.a. die hungerrevolten des sommers 2008 in vielen trikontländern (es waren ungefähr 30 staaten betroffen) genauso an wie das langsame zerbröseln der - relativen - materiellen sicherheit für immer mehr menschen in den westlichen ländern. klar, das ist bisher auch eine folge der globalen ökonomischen krise (wobei diese bereits durch peak oil getriggert erscheint) - dabei ist es nicht mehr zulässig, ökonomische, hunger-, ressourcen- und ökologische krise in fragmentierender wahrnehmung jeweils "für sich" zu betrachten - die verzahnungen und gegenseitigen beeinflussungen sind unübersehbar und ich habe auf diesen umstand auch schon öfter hingewiesen, der alles ausserordentlich erschwert. wir haben allesamt eine fatale neigung zur komplexitätsreduktion, und das ist bei einer umfassenden fundamentalen und globalen krise wie derjenigen, in die wir inzwischen voll eingetreten sind, eine absolut schlechte voraussetzung für lösungswege aus dieser situation, die diesen namen auch verdienen würden.

4. ein weiteres ganz zentrales hindernis auf dem weg zu einem positiven umgang mit dem ganzen problemknäuel liegt in den selbsterklärten gesellschaftlichen "eliten" rund um den planeten, bzw. ihrem tun, lassen, denken und fühlen. sie tendieren dazu, sämtliche selbst (mit-)verursachten probleme alleine innerhalb ihrer tunnelhaften instrumentellen und objektivistischen wahrnehmung unter der prämisse des eigenen überlebens in ihren heutigen machtpositionen zu betrachten. das führt dann einerseits zu einer überbetonung der hoffnung auf technologischer alternativen (die aber beim öl unmöglich auf allen relevanten feldern greifen können, weil sie schlicht nicht vorhanden sind und auch zukünftig nicht sein werden - das hat u.a. etwas mit den unschlagbaren eigenschaften der energiebilanz von öl zu tun. dazu kommt noch, dass auch bei einer ganzen reihe anderer rohstoffe, von denen heute technologie, infrastruktur und versorgung abhängen, in relativ naher zukunft peaks zu erwarten sind - angefangen von
phosphor [für die landwirtschaft enorm wichtig] bis hin zu den sog. "seltenen erden" ), andererseits wird nach außen mit notorischer geheimniskrämerei gegenüber der bevölkerung agiert, wie verschiedene vorfälle der letzten jahre belegen - als letzter bekannt gewordener sei auf den im vorherigen beitrag zur peak oil-studie der bundeswehr verlinkten spon-artikel hingewiesen, wo es bezgl. der britischen regierung heisst:

(...) "Erst in der vergangenen Woche hatte der "Guardian" darüber berichtet, dass das britische Department of Energy and Climate Change (DECC) Dokumente unter Verschluss halte, wonach sich Großbritanniens Regierung weit größere Sorgen über eine künftige Versorgungskrise macht, als sie zugeben will.

Demnach arbeiten das DECC, die Bank of England, das britische Verteidigungsministerium und Vertreter der Industrie an einem Krisenplan, der sich mit den Folgen möglicher Versorgungsengpässe beschäftigt. Anfragen des sogenannten Peak Oil Workshops an Energieexperten liegen SPIEGEL ONLINE vor. Eine DECC-Sprecherin bemühte sich, den Vorgang herunterzuspielen. Die Anfragen seien "Routine", sagte sie dem "Guardian"; sie hätten keine politischen Implikationen." (...)


ein solches verhalten weist deutlich darauf hin, dass hier ganz heisse eisen im feuer sind. um die mögliche natur dieser eisen besser begreifen zu können, jetzt nochmals ein hinweis auf einen film - "collapse" nach dem buch des us-amerikanischen autors
michael c. ruppert dreht sich primär um seine - aus seiner biographie heraus interessante - sicht auf peak oil und die folgen, und ich sehe mich leider gezwungen, ihm im großen und ganzen zuzustimmen (wie ich andere thesen von ihm finde, ist ein anderes thema).



die anderen teile (acht insgesamt) sind auf yt zu finden.

wie ich finde, macht ruppert nochmals sehr eindringlich auf die wahrhaft umwälzenden konsequenzen des peaks für so ziemlich alle lebensbereiche aufmerksam. und lässt dadurch erahnen, was für "lösungen" möglicherweise den heutigen "eliten" diesbezgl. vorschweben könnten - unter den oben genannten prämissen natürlich.

ich möchte dazu ein kleines gedankenexperiment veranstalten: wie würden Sie denn als fiktives mitglied der "eliten" mit der sich abzeichnenden situation umgehen? Sie haben natürlich ein interesse daran, Ihre derzeitige position - materiell mehr als angenehm ausgestaltet; vor allem aber mit realen möglichkeiten der machtausübung ausgestattet (die Sie für Ihre psychophysische homöostase dringend benötigen) - nicht nur zu behalten, sondern wenn möglich noch auszubauen (denken Sie daran, dass Sie sich in einer ständigen überlebenskonkurrenz befinden, bei der es keine freunde gibt, sondern nur zeitweilige [pseudo-]verbündete, die sowohl von gemeinsamen ressentiments als auch kühlen nutzkalkulationen motiviert sein können).

und jetzt sind Sie also mit diesen problemen von grenzen konfrontiert, die Sie nicht wie gewohnt manipulieren können, wie´s Ihnen gerade in den kram passt, weil es sich dabei u.a. um die folgen solcher fundamentalen prozesse wie den gesetzen des exponentiellen wachstums und auch der thermodynamik -
entropie heißt hier das stichwort - handelt. womöglich begreifen Sie weder diese prozesse noch die folgen auch nur annährend; was Sie aber durchaus zu spüren vermögen, sind gefahr und bedrohung für die einzige Ihnen vorstellbar erscheinende lebensweise.

Sie nehmen das alles ernst und denken in Ihrer typisch instrumentellen rationalität darüber nach. als erstes fällt ins auge: es gibt da draussen entschieden zuviele artgenossen - bestenfalls nützliche verwertungsmasse, werden im zuge des sich beschleunigenden niedergangs gerade der ökonomischen strukturen immer mehr von diesem gerade noch erträglichen status zu überflüssigen und störenden dingen herabsinken, die kostbare ressourcen beanspruchen und möglicherweise, sofern nicht völlig verelendet, auch überhaupt ansprüche stellen - hunderte von millionen, ja milliarden unruheherde und -stifter. wer braucht die? Sie als allerletztes.

nun haben Sie es ja schon durchaus geschafft, in den letzten jahrhunderten zusammen mit Ihresgleichen verhältnisse zu etablieren, in denen z.b. der tägliche hungertod von ein paar zehntausend dieser überflüssigen und störenden als "normalität" begriffen wird und bei sehr vielen, etwas weiter oben in der hierarchie befindlichen, nichts weiter als ein desinteressiertes schulterzucken auslöst.

hungertod wird natürlich weiter ein verlässliches lösungsmittel darstellen, aber das wird absehbar nicht reichen. kriege bieten sich an, auch eine art der bevölkerungspolitischen kontrolle, allerdings auch in zeiten der nuklearwaffen mit einem gewissen risiko für Sie selbst behaftet. und Sie haben ein recht neues problem derart am hals, dass die reduzierung der massen seit längerer zeit auch wieder in Ihrer eigenen geographischen sphäre stattfinden muss, nämlich im "goldenen westen" selbst. was v.a. deshalb ein problem darstellt, weil Sie es dort mit einer in immer noch zu großen teilen verweichlichten bevölkerung zu tun haben, die sich über jahrzehnte angewöhnt hat, nicht nur einen gewissen lebensstandard, sondern auch das gerede von "demokratie", selbst innerhalb der grenzen der obligatorischen demokratiesimulationen, zu ernst zu nehmen. wie bringen Sie diesen störrischen leuten bei, dass jetzt andere töne angesagt sind? wie bringen Sie ihnen bei, mehr und mehr gruppen als fremd und schlecht zu betrachten, was dann die nötigen maßnahmen doch sehr erleichtern würde?

zuerst haben Sie natürlich den ganzen fundus bewährter machttechniken zur verfügung, als wichtigtes das "teile-und-herrsche"-spiel, neben den angejahrten klassikern wie nationalistische und rassistische spaltungslinien immer wieder brauchbar. aber das wird in dieser neuen situation nicht reichen, es müssen einfach noch viel mehr verschwinden. in Ihren kategorien natürlich nicht die leistenden, jung und stark - wobei es auch von denen eigentlich zu viele gibt -, sondern zuerst alles schwächliche und gebrechliche. rente mit 70? warum nicht, sollen die sich doch totarbeiten und sich dabei noch etwas nützlich machen. reduzierung der medizinischen versorgung? kein thema, wer schwach und krank ist, wird auch in der natur umgehend beseitigt. vielleicht ist auch eine wiederkehr schon ausgerottet geglaubter seuchen möglich, deren erreger jetzt natürlich modifiziert sind. daneben auch soviele definierte gruppen wie möglich aus dem land schaffen - sollen sich die anderen mit denen rumplagen. mehr grenzsicherungen deshalb, um das wiedereinsickern zu verhindern. ein schlagkräftiges und professionelles militär, weil der kampf um die noch verfügbaren ressourcen - an erster stelle, aber bald nicht mehr alleine, öl - ganz oben auf der agenda stehen wird. mehr kontrolltechniken nach innen, weil unruhe ein ständiger begleiter der neuen zeit sein wird.

*

ich breche dieses experiment an dieser stelle mal ab, weil klar sein sollte, worum es geht. es kann ganz lehrreich sein, sich mal die gegnerperspektive vor augen zu führen. was ich aber daran am frappierendsten finde, ist die zu beobachtende schrittweise verwirklichung dieser perspektive. nicht im sinne eines "masterplans", aber mit einiger wahrscheinlichkeit durchaus so zustandekommend, dass an verschiedensten schaltstellen - in staatlichen ministerien/behörden, konzernzentralen etc. - durchaus instrumentell intelligente leute sitzen, denen die probleme und ihre ausmaße in der skizzierten - antisozial - eingeschränkten art und weise durchaus bewusst sind. und die in ihren bereichen das reden und noch mehr das handeln anfangen, vielleicht mal da eine beeinflussung einer öffentlichen debatte, mal hier ein paar vorstöße für gewisse neue gesetze. ein regelrechter plan scheint sich dann zu formen, wenn dieses verhalten massiv die öffentliche wahrnehmungsschwelle durchbricht, aber selbst dann scheint das nur ein plan zu sein. ich würde bis auf weiteres - solange die entwicklung nicht absolut dramatische züge annimmt - durchaus mit den üblichen innerelitären fragmentierungen, machtkämpfen und intrigen rechnen, weil ein größerer teil dieser leute eben aufgrund ihres psychophysischen status dieses verhalten als normalen existenzmodus leben muss. was in der durch die krise (umfassend gemeint) bestimmten neuen situation nun vermutlich dazukommt, ist ein kleinster gemeinsamer nenner namens "eigenes überleben", so wie eingangs des gedankenspiels benannt. vergessen Sie nicht, dass sich ein relevanter teil derjenigen, die heute global an gesellschaftlichen schaltstellen sitzen, strukturell nicht von den mitgliedern einer beliebigen mafiösen organsiation unterscheidet.

und nochmal: betrachten Sie sich unter den genannten prämissen einmal die aktuellen gesellschaftlichen diskussionen und diskurse, von "hartz-IV" über den sarrazynismus (schöne wortschöpfung übrigens) bis hin zur umstrukturierung der bundeswehr, den veränderungen im gesundheitswesen und dem pseudo-atomausstieg. und schauen Sie nicht nur auf d-land. und vor allem: machen Sie sich den wahrscheinlichen inneren zustand vieler derjenigen klar, die Sie tag für tag im fernsehen und in zeitungen als entscheider und leistungsträger vorgeführt bekommen. aber ebenso jenen vieler sog. "normalmenschen"!

*

so, das ist jetzt erstens wieder einmal länger als gedacht geworden, hat zweitens nur indirekt etwas mit dem golf zu tun, und drittens bin ich jetzt nicht auf die bundeswehr-studie eingegangen. aber nun ja: da die krisenbegleitung schon länger ins blog integriert ist, kann ich sagen, dass peak oil dabei auch zukünftig eine zentrale rolle spielen wird. ich werde mich in den nächsten wochen nochmals direkt mit der situation am und im golf sowie anderen schauplätzen der störfälle der letzten zeit beschäftigen, und dann weiter schauen. die anderen zentralen blogthemen begreife ich dabei nicht als gegensätzlich, sondern ich finde durchaus, dass das alles möglichst oft zusammen betrachtet werden muss.

Dienstag, 31. August 2010

notiz: die bundeswehr macht sich gedanken über peak oil

auf diese studie, in voller länge einzusehen bei peak-oil.com, bin ich vor ein paar wochen aufmerksam gemacht worden und ich habe vor, sie in einer weiteren folge der menetekel-assoziationen ausführlicher zu kommentieren. da ich aber erst frühestens zum wochenende genügend zeit und ruhe für etwas längeres habe, würde ich allen interessierten leserInnen in der zwischenzeit die lektüre empfehlen - könnte eine art augenöffner der besonderen art sein. und ist besonders interessant bezgl. anderer gesellschaftlicher aktueller debatten, die anscheinend erstmal nichts mit diesem thema zu tun haben - betonung eben auf anscheinend.

"Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat im August 2010 eine Studie zum Thema Peak Oil veröffentlicht. "Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" ist die erste Teilstudie der Gesamtstudie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert". Das Papier und die darin gemachten Aussagen haben zwar einen militärischen Blickwinkel als Schwerpunkt, sind aufgrund der langfristigen und strategischen Sichtweise für nichtmilitärische Institutionen und Akteure besonders interessant. Erstellt wurde die Studie vom Dezernat Zukunftsanalyse, welches die Aufgabe hat, Szenarien in Hinblick auf den Zeitraum 2025 bis 2040 zu skizzieren." (...)

ps: auch "spon" hat die studie inzwischen
entdeckt.

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