basis: traumageschichte(n) 4 - über die pränatale phase (und einiges zur propriozeptiven wahrnehmung)
"Das menschliche Leben beginnt in der Gebärmutter. Dies bedeutet, das menschliche Dasein einschließlich des persönlichen, psychischen und Beziehungslebens beginnt vollständig vor der Geburt. Das Fundament unserer grundlegenden Gefühle von Sicherheit und Vertrauen wird während dieser Periode gelegt. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Gesellschaft werdende Eltern darin unterstützt, ihrem Kind die für seine Entwicklung erforderliche Liebe zu geben. Das Elternsein beginnt ab dem Bewusstwerden des Kinderwunsches, spätestens aber zum Zeitpunkt der Empfängnis. Dies ist der Ausgangspunkt der Beziehung der Eltern mit ihrem Kind.
Die wissenschaftliche Beobachtung hat den Nachweis einer das vorgeburtliche und das nachgeburtliche Leben überspannenden Kontinuität der Entwicklung erbracht. Diese frühen Erfahrungen beeinflussen ganzheitlich die Entwicklung des heranwachsenden Kindes. Die Grundstrukturen unseres Zentralnervensystems werden durch die Interaktion unserer Gene mit den frühen Entwicklungsfaktoren ausgestaltet. Das Band zwischen den Eltern und dem Kind in der Gebärmutter ist einer dieser Faktoren. Es bildet die Grundlage für die Entstehung späterer Bindungen. Von den Eltern nicht zu bewältigender Stress kann schädigende Auswirkungen auf das Kind haben. Folglich können ungeborene Kinder auf viele Arten geschädigt werden und jede Anstrengung sollte unternommen werden, um ihnen eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Die Grundwerte einer Gesellschaft werden an das Kind durch seine Erfahrungen in der frühesten Lebensphase weitergegeben"
(aus der einleitung der wiener resolution 2001 der "Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)"
***
mit dem obigen zitat möchte ich einen weiteren beitrag in der basisreihe zum thema trauma einleiten, dieses mal zu einem aspekt, der mich persönlich seit dem moment, in dem ich mich das erste mal mit dem thema der pränatalen menschlichen entwicklungsphase beschäftigt habe, intensiv beschäftigt und auch fasziniert. nach meinen eigenen erfahrungen ist das wissen, welches im folgenden skizziert wird, den meisten menschen kaum bis gar nicht bekannt - und damit ist auch keinerlei bewußtsein über die teils dramatischen individuellen und kollektiven konsequenzen möglich, die sich aus der realität von pränatalen (die perinatalen lasse ich hier außen vor, da der abschnitt der geburt einen eigenen bereich bildet) traumatisierungen ergeben können. ich glaube inzwischen, dass wir alle in unserem leben bereits vielfach und auf diversen ebenen mit den erwähnten konsequenzen konfrontiert worden sind. und nicht zuletzt liegen in diesem wissen auch mögliche schlüssel zu einem erweiterten verständnis unserer jeweils eigenen biographie verborgen.
das einleitende zitat bringt dabei die meisten wesentlichen aspekte schon ganz gut auf den punkt. einen überblick zu den dort erwähnten wissenschaftlichen beobachtungen hat lloyd deMause in seinem "emotionalen leben der nationen" (siehe literaturliste, oder auch hier) veröffentlicht, aus dem ich im folgenden kommentierend zitiere (die zitate stammen dabei aus den seiten 56 bis 59 des buches). einige vermutlich vielen leserInnen nicht geläufige medizinische begriffe habe ich zur erklärung verlinkt.
*
"Es hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles in unserem Wissen über den Fötus geändert, seitdem Pioniere erste Forschungen in der perinatalen Psychologie betrieben haben. Neurobiologen erzielten überraschende Fortschritte im Verständnis darüber, wie sich das Gehirn im Mutterleib entwickelt, die Experimentalpsychologie fand viel über fötales Lernen heraus, Kinderärzte verbanden alle möglichen späteren Probleme mit fötaler Not, und ein Psychoanalytiker begann sogar damit, tausende Stunden von Ultraschallbeobachtungen einzelner Föten mit deren Problemen während der Kindheit in ihrer Therapie zu vergleichen. Es gibt mittlerweile tausende Bücher und Beiträge zu diesem Thema, und es gibt zwei internationale Gesellschaften zu prä- und perinataler Psychologie mit ihren jeweils eigenen Journalen."(...)
und wenn Sie selbst einmal darüber recherchieren, wie und was der medizinische mainstream noch vor hundert jahren über die (un)fähigkeiten von neugeborenen - und erst recht den föten - dachte, z.b. den unheilvollen mythos der angeblichen schmerzunempfindlichkeit von babys, der eine teils entsprechend rücksichtslose und potenziell traumatische behandlung derselben zur folge hatte, werden Sie vermutlich eine ahnung davon bekommen können, wie dieses wissen uns zu einer geradezu revolutionär neuen betrachtungsweise unserer allerersten lebensphasen zwingen wird - denn weitere ignoranz wäre hier, wie in vielen anderen bereichen auch, schlicht suizidal.
"Biologen dachten, Föten hätten eine unfertige Myelinisierung der Neuronen und könnten daher keine Erinnerungen haben. Diese Vorstellung wurde widerlegt. Vielmehr fand man heraus, dass der Fötus, weit davon entfernt, ein nicht fühlendes Wesen zu sein, äußerst fein auf seine Umgebung reagiert, und dass unsere ersten Gefühle in unserem frühen emotionalen Gedächtnissystem abgespeichert werden, das im Zentrum der Amygdala liegt, dem zentralen Angstsystem, ganz im Unterschied zum Deklarativen (Expliziten) Gedächtnissystem im Zentrum des Hippocampus, dem Zentrum des Bewusstseins, welches erst spät in der Kindheit voll funktionsfähig wird.
Das fötale Nervensystem ist gegen Ende des ersten Trimesters so gut entwickelt, dass es auf die Berührung der Handfläche mit einem feinen Haar mit Zugreifen, der Lippen mit Saugen, und der Augenlider mit Blinzeln reagiert. Der Fötus hüpft, wenn von der Nadel der Fruchtwasseruntersuchung berührt, und wendet sich vom Licht ab, wenn der Arzt ein hell leuchtendes Fötoskop einführt. Im zweiten Trimester kann der Fötus nicht nur sehen und hören, sondern tastet auch aktiv, fühlt, erkundet und lernt von seiner Umgebung, schwimmt im einen Moment friedlich, dann wieder heftig tretend, schlägt Saltos, uriniert, ergreift seine Nabelschnur, wenn er sich ängstigt, strampelt und tritt gegen die Plazenta, veranstaltet kleine Boxspiele mit seinem Pendant, wenn es Zwillinge sind, und reagiert auf Berührungen oder Stimmen durch den Unterleib der Mutter. Jeder Fötus entwickelt seine eigenen Aktivitätsmuster, sodass Ultraschalltechniker rasch lernen, jeden Fötus als eigene Persönlichkeit zu erkennen."(...)
ich hatte früher an anderen stellen hier schon geschrieben, dass sich die taktile und v.a. auch die propriozeptive wahrnehmung als eine ganz grundlegende basis des späteren, körperlich fundierten identitäts- und selbstgefühls als erste wahrnehmungsmodi des menschen entwickeln - das lässt sich inzwischen präzisieren:
(...)"Der Embryo nimmt schon ab der 12. Schwangerschaftswoche seine Umgebung über Berührung wahr. Auch das Kleinkind macht über Berührungen seine ersten Erfahrungen, über positive Berührung kann vor allem auch die Entwicklung gefördert werden"(...)
und aus einer weiteren quelle:
(...)"Auch Berührungen werden zum Teil über das propriozeptive System wahrgenommen. Festere Berührungen - wie bei manchen Massagetechniken oder Druck, wie beim Shiatsu oder in der Akupressur - regen auch die Propriozeption an. Außerdem spielt Propriozeption eine wichtige Rolle bei aktivem Berühren und Ertasten (...).
Die Propriozeption spielt eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der Entwicklung eines Körperbildes oder Körperschemas. Sie vermittelt uns unsere Stellung im Raum und ist insofern zentral für die Beziehung zur Außenwelt. Welch eine einschneidende Bedeutung Störung oder gar Ausfall propriozeptiver Wahrnehmung für einen Menschen haben, wird sehr eindrücklich von (Oliver) Sacks (...) beschrieben:
`Sie - die Patientin - hat mit ihrer Eigenwahrnehmung auch die grundlegende, organische Verankerung der Identität verloren - jedenfalls die der körperlichen Identität´"(...)
(wenn Ihnen das nächstemal also ein konstruktivistisch argumentierender mitmensch wiedermal einreden möchte, dass das beharren auf authentizität und authentischer - d.h. körperlich basierter - identität in der postmoderne doch ein hoffnungslos rückständiger anachronismus sei - fragen Sie einmal zurück, wie´s denn so mit der propriozeptiven wahrnehmung bei dem/der betreffenden ausschaut...).
ich schweife gerade anscheinend etwas vom "eigentlichen" thema ab, aber dieser aspekt erscheint mir so interessant und bedeutsam, dass ich ihn weiter vertiefen möchte - immer vor dem hintergrund der heute bekannten und möglichen pränatalen schädigungen, auch und gerade durch psychosoziale, d.h. gesellschaftliche einflüsse. ich vermute aus verschiedenen gründen, darunter z.t. auch eigenen erfahrungen, bekanntlich enge zusammenhänge mit den denjenigen psychiatrischen diagnosen, bei denen ein gestörtes identitätsgefühl sowie ein oppositionelles und problematisches verhältnis zum "eigenen" körper eine große rolle spielen - wie zb. bei borderline und auch dem autistischen spektrum. darum jetzt nochmal etwas mehr informationen zu vermutlich genau der patientin, die oben im zitat von o. sacks schon erwähnt worden ist - aus einer weiteren quelle:
(...)"Es gibt jedoch auch komplette Verluste der undifferenzierten somatischen Hintergrundempfindung, auf der die eben genannte Form innerer Aufmerksamkeit überhaupt erst operieren kann. Ein scharf umgrenzter Ausfall der Propriozeption führt zum Ausfall des Körpergefühls, desjenigen Teils unseres phänomenalen Selbstmodells, der uns subjektiv als der sicherste und gewisseste überhaupt erscheint. Oliver Sacks beschreibt den seltenen Fall einer sehr selektiven sensorischen Polyneuropathie, der ausschließlich propriozeptive Nervenfasern betraf.
`Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände „machten sich selbständig“, und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.
Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper „gab nach“. Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.
„Es ist irgend etwas Furchtbares passiert“, stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. „Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos.“
...
Christina hörte genau zu, mit einer Aufmerksamkeit, die nur die Verzweiflung hervorbringt.
„Ich muß also“, sagte sie langsam, „mein Sehvermögen, meine Augen in all den Situationen einsetzen, in denen ich mich bis jetzt auf meine - wie haben sie das genannt? - Eigenwahrnehmung verlassen konnte. Ich habe schon bemerkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, „daß ich meine Arme . Ich meine, sie seien hier, aber in Wirklichkeit sind sie dort. Diese ist also wie das Auge des Körpers - das, womit der Körper sich selbst wahrnimmt -, und wenn sie, wie bei mir, weg ist, dann ist es, als sei der Körper blind. Mein Körper kann sich selbst nicht , weil er seine Augen verloren hat, stimmt's? Also muß ich ihn jetzt sehen und diese Augen ersetzen. Hab ich das richtig verstanden?“
Sacks berichtet über den weiteren Verlauf der Erkrankung:
`Unmittelbar nach dem Zusammenbruch ihrer Eigenwahrnehmung und noch etwa einen Monat später war Christina so schlaff und hilflos wie eine Puppe. Sie konnte sich nicht einmal selbst aufsetzen. Aber schon drei Monate später stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie sehr gut sitzen konnte - zu gut vielleicht, zu graziös, wie eine Tänzerin, die mitten in einer Bewegung innegehalten hat. Und bald merkte ich, daß dies tatsächlich eine Pose war, die sie, sei es bewußt oder automatisch, einnahm und aufrecht erhielt, eine gezwungene oder schauspielerhafte Positur, die das Fehlen einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem „Kunstgriff“, aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur „zweiten Natur“.
es klingt schlicht und einfach verblüffend: eine art als-ob-sitzen also? haben wir hier vielleicht in einem eng umgrenzten bereich ein sehr nachdrückliches beispiel dafür, wie wahrnehmungsausfälle von anderen funktionen kompensiert werden, und zwar mittels mehr oder weniger gelungener - simulationen des authentischen?
"Mit jeder Woche wurde das normale, unbewußte Feedback der Eigenwahrnehmung immer mehr von einer ebenso unbewußten Rückmeldung durch visuelle Wahrnehmung, einen visuellen Automatismus und zunehmend integriertere und flüssigere Reflexabläufe ersetzt. Fand bei ihr eine grundlegende Entwicklung statt? Erhielt möglicherweise das visuelle Modell des Körpers, das Körperbild des Gehirns - das gewöhnlich recht schwach (und bei von Geburt an Blinden überhaupt nicht) ausgeprägt und normalerweise dem propriozeptiven Körperschema untergeordnet ist - jetzt, da dieses propriozeptive Körperschema verlorengegangen war, infolge von Kompensation und Substitution in zunehmendem, ungewöhnlichem Maße Gewicht?...´
Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst. An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern (!!! mo). In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.
`...Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, nicht wirklich, gehöre nicht zu ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf andere Sinnesorgane beziehen: „Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub...Er hat kein Gefühl für sich selbst.“...
...“Es ist, als hätte man mir etwas entfernt, etwas aus meinem Zentrum. Das macht man doch mit Fröschen, stimmt's? Man entfernt ihnen das Rückenmark, man höhlt sie aus...Genau das ist es: Ich bin ausgehöhlt, wie ein Frosch...Kommen Sie, meine Herrschaften, treten Sie ein, sehen Sie Chris, das erste ausgehöhlte menschliche Wesen. Sie hat keine Eigenwahrnehmung, kein Gefühl für sich selbst - Chris, die ausgehöhlte Frau, die Frau ohne Körper!“ Sie bricht in ein haltloses, fast hysterisches Lachen aus. Ich beruhige sie, während ich denke: Hat sie vielleicht recht?´(...)
es ist nicht allzu abwegig anzunehmen, dass ein oder mehrere gleichartige prozesse bzgl. dieser elementaren wahrnehmungsebenen im zusammenspiel mit weiteren einflüssen auch eine große rolle bei der ätiologie von autistischen störungen im weitesten sinne eine rolle spielen - schauen Sie sich nochmal die selbstbeschreibungen betroffener bezgl. ihrer körperwahrnehmung im basisbeitrag autismus an.
dazu scheint mir ein weiterer aspekt auffällig zu sein: sowohl christina als auch die zitierten autistischen menschen berichten einhellig darüber, dass sie ihren visuellen sinn als primäres werkzeug zur korrektur ihrer bewegungsabläufe benutzen. ist Ihnen der gedanke geläufig, dass die westliche zivilisation eine ungeheuer visuelle kultur darstellt, und zwar im einseitigsten sinne, mit entsprechender ständiger überforderung unserer sehorgane unter starker vernachlässigung der meisten anderen sinne? es ist nur eine gerade entstandene assoziation meinerseits, aber die permanente kulturelle überbetonung des sehens könnte durchaus einige überraschende hintergründe besitzen.
*
zurück zur pränatalen phase, und da jetzt zu den fakten, die deMause über Emotionale Reaktionen auf fötalen Stress gesammelt hat:
(...)"Zusätzlich zu dem, was wir über die verheerenden Folgen durch die Einwirkung von Drogen und Alkohol auf den Fötus wissen, besitzen wir jetzt bedeutende Belege dafür, wie maternaler Stress und andere Gefühle auf den Fötus übertragen werden. Der Fötus, so fand man heraus, reagiert sensibel auf eine große Anzahl von maternalen Emotionen, zusätzlich zu jeglicher Droge, die die Mutter einnimmt, oder physischen Traumata, welche die Mutter erleidet.
Wenn die Mutter Angst verspürt, werden ihre erhöhte Herzfrequenz, ihr schreckhaftes Sprechen und die Änderungen der Neurotransmitterniveaus unmittelbar an den Fötus weitergeleitet, und ihrem Herzjagen folgt binnen Sekunden das des Fötus; wenn sie Angst hat, kann der Fötus innerhalb von 50 Sekunden unter Sauerstoffunterversorgung leiden. Bei schwangeren Affen, durch simulierte Angriffe gestresst, wurde die Blutversorgung zur Gebärmutter derart beeinträchtigt, dass die Föten schwere Erstickungserscheinungen aufwiesen.
Auch Veränderungen der Niveaus von Adrenalin, Epinephrinplasma und Norepinephrin, hohe Konzentration von Hydroxycorticosteroiden, Hyperventilation und viele andere Folgen maternaler Angst kennt man als direkt den menschlichen Fötus beeinflussend. Zahlreiche andere Studien dokumentieren sensorische, hormonelle und biochemische Mechanismen, durch die der Fötus mit den Gefühlen der Mutter und der Außenwelt kommuniziert. An Babyaffen sah man, dass sie nach der Geburt hyperaktiv waren und höhere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol aufwiesen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft experimentell gestresst worden war."
(einer der vermittlungswege, mittels derer der psychophysische zustand der mutter auf den embryo weitergegeben wird, besteht in den sog. neuropeptiden, von denen besonders das oxytocin in letzter zeit etwas bekannter geworden ist und bei der mutter-kind-beziehung eine herausragende rolle zu spielen scheint.)
"Es zeigte sich, dass maternale Stress- und Angstzustände niedrige Geburtsgewichte, höhere Geburtensterblichkeit, Atemwegsinfektionen, Asthma und eine verminderte Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten verursachen. Eine Studie über 120 ungewollte schwedische Babies zeigte, dass diese aggressiver waren, von Altersgenossen stärker abgelehnt wurden, niedrigere akademische Leistungen erbrachten, hyperaktiv waren und eine dreimal höhere Kriminalisierungsrate aufwiesen als Babies, die »gewollt waren«.
Ultraschallstudien erkennen die fötale Not klar, wenn der Fötus sich in Schmerzen während der Hypoxämie und anderen Zuständen herumwirft und um sich tritt. Eine Mutter, deren Ehemann ihr gerade verbal Gewalt angedroht hatte, kam in eine Arztpraxis mit einem, was auch für sie schmerzhaft war, sich derartig heftig herumwerfenden und um sich tretenden Fötus, dessen Herzschlagfrequenz erhöht war und über Stunden blieb. Das gleiche wilde Sichherumwerfen von Föten konnte bei Müttern beobachtet werden, deren Partner plötzlich verstarben. Maternale Angst kann tatsächlich den Tod des Fötus verursachen. Ehezwietracht korreliert »mit fast 100-prozentiger Sicherheit... mit Kindersterblichkeit in Form von schlechter Gesundheit, neurologischer Dysfunktion, zurückgebliebener Entwicklung und Verhaltensstörungen«.
Margaret Fries leitete eine über 40 Jahre dauernde Langzeitstudie, die bei den Untersuchten lebenslang konstant bleibende emotionale Muster vorhersagt, so man diese mit der Einstellung zum Fötus während der Schwangerschaft verbunden sieht. Maternaler emotionaler Stress, Ablehnung des Fötus und fötale Not sind in verschiedenen Studien statistisch mit Frühgeburten, niedrigen Geburtsgewichten, höherer Unausgewogenheit von Neurotransmittern, stärkerem infantilen Klammern, höherer Kindheitspsychopathologie, häufigerer physischer Erkrankung, höherer Rate an Schizophrenie, niedrigeren Intelligenzquotienten in der Kindheit, größerem Misserfolg in der Schule, höherer Kriminalität, einer größeren Neigung zum Suchtmittelkonsum im Erwachsenenalter, der Ausübung von Gewaltdelikten und der Begehung von Selbstmord in Verbindung gebracht worden.
Der Anstieg sozialer Gewalt durch prä- und perinatale Umstände wurde von einer wichtigen dänischen Studie bestätigt, die zeigt, dass Buben von Müttern, die diese nicht haben wollten (25 Prozent der schwangeren Mütter geben zu, ihre Babys nicht zu wollen) und die auch Komplikationen bei der Geburt erleben, mit viermal höherer Wahrscheinlichkeit als Jugendliche gewalttätige kriminelle Taten verüben als Kontrollgruppen. Amerikanische Studien zeigen ähnlich höhere Kriminalität bei maternaler Ablehnung während der Schwangerschaft."(...)
und die in den letzten absätzen genannten fakten werden auch durch eine sozusagen andersherum gedrehte sichtweise unterstützt:
(...)"Die Neunzigerjahre bescherten den Amerikanern eine glückliche Überraschung. Eine Gesellschaft, die vom Gedanken an die Kriminalität regelrecht besessen ist, durfte plötzlich einen dramatischen Rückgang der Verbrechen erleben. Kein Experte hatte ihn vorausgesagt, mancher das Gegenteil prophezeit. Für den Rückgang wurden viele Gründe genannt: Neue Polizeistrategien, schärfere Haftstrafen (die die Zahl der Gefangenen auf 2 Millionen Ende 2000 erhöhten!), das Ende des Crack-Drogenbooms, der Wirtschaftsaufschwung, strengere Waffenkontrollen, die Alterung der Bevölkerung.
Die Ökonomen Steven Levitt und John Donohue überraschten die Öffentlichkeit gegen Ende des Jahrzehnts mit einer völlig neuen Erklärung. Die bisher genannten Gründen ließen sie kaum gelten. Einen Wirtschaftsaufschwung etwa gab es auch in den 1960ern - damals stieg die Gewaltkriminalität. Die gefeierte "Zero Tolerance"-Strategie der Polizei wurde nur in New York eingeführt - die Kriminalität sank überall. New York profitierte eher davon, dass einfach viele Polizisten eingestellt wurden. Diese Aufstockung und der Verfall des Kokainpreises, der das Geschäft der Crack-Dealer zerstörte, haben vielleicht ein Viertel des Rückgangs der Kriminalität in den USA bewirkt, die schärferen Haftstrafen ein weiteres Drittel, schätzt Levitt.
Weit wichtiger sei aber etwas gewesen, das kaum je erwähnt wurde: die Legalisierung der Abtreibung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs am 22. Januar 1973. Dies habe die Zahl der ungewollten Geburten drastisch gesenkt. Da ungewollte Kinder statistisch gesehen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kriminell würden, seien fortan viele potenzielle Straftäter gar nicht erst auf die Welt gekommen. Das aber habe sich erst ab dem Moment auswirken können, als die ersten nach 1973 geborenen Jahrgänge in die späten Teenagerjahre kamen - also ab Anfang der 1990er."(...)
diese aussage, nach der ungewollte kinder also in der größten gefahr sind, später antisoziales verhalten zu entwickeln (und dazu unter vielfältigsten weiteren beeinträchtigungen leiden) ist nach dem heutigen wissenstand ganz gut untermauert. und vor allem: ist eine solche entwicklung nicht eigentlich auch sehr logisch in dem sinne, dass menschen, die bereits im mutterleib überwiegend ablehnung erfahren haben, die sich in ihrer psychophysischen struktur über die oben skizzierten mechanismen in diverser art und weise materiell eingeschrieben hat, dieser welt gar nicht anders begegnen können als nun mit ablehnung ihrerseits?
*
soviel also erstmal zur einführung in ein gleichermaßen bedrückendes wie auch faszinierendes thema, welches hier noch öfter zur sprache kommen wird. mir ging es vor allem darum, dass Sie die möglichkeit bekommen, eine ahnung von der komplexität und den konsequenzen zu bekommen, die mit der pränatalen phase - und all dem, was dort schiefgehen kann - verbunden sind. ich hoffe, dass das einigermaßen gelungen ist. für diejenigen, die sich vertiefend mit einigen aspekten des themas beschäftigen möchten, gibt es hier noch einen text des neurowissenschaftlers gerald hüther, der u.a. speziell auf die pränatale hirnentwicklung sowie die wichtigkeit von beziehungen für das gehirn eingeht.
den teil zur propriozeption hatte ich ursprünglich gar nicht vorgesehen, aber beim abschließenden lesen fand ich, dass er dann doch ganz gut hierher passt - denn mögliche schädigungen bis hin zum totalen ausfall dieser wahrnehmungsebenen können sehr wahrscheinlich bereits pränatal auftreten, und zwar aufgrund der sehr materiellen wirkungen auf den embryo seitens müttern, die aus was für gründen auch immer nicht in der lage sind, die eigentlich grundsätzliche vorhandene beziehungsebene zum embryo wahrzunehmen - oder das nur sehr eingeschränkt können, sich in einem überwiegenden (!) zustand der ablehnung befinden und/oder selbst in einer verdinglichenden wahrnehmung feststecken, die wiederum - und das ist eine persönliche hypothese - einiges mit dem ausfall der erwähnten wahrnehmungsebenen zu tun haben dürfte.
es geht hier aber keinesfalls - wie ich an anderen stellen schon oft betont habe - um mütterbashing oder schuldzuweisungen. die bedingungen für schwangere und kinder grundlegend zu verbessern, ist eine gesamtgesellschaftliche und hochpolitische aufgabe, die weitergedacht einiges an fundamentalen änderungen der derzeitigen lebensumstände überhaupt erfordern wird. da diese grundsätzlich lebensfeindlich und dingorientiert sind, sind die beschriebenen - in vielfältigster form als traumatisch zu begreifenden - destruktiven phänomene der pränatalen phase nicht verwunderlich. was aber potenzielle mütter, und auch väter, dringend entwickeln müssen, ist ein entsprechendes verantwortungsgefühl, zu dem auch gehört, dass bei erkannten störungen und defiziten der eigenen wahrnehmung bzw. im eigenen umgang mit sich selbst kinderwünsche vor der veränderung der genannten zustände erstmal zurückstehen sollten - im interesse des kindes genauso wie letztlich im interesse der gesamten gesellschaft. aber auch dieses verantwortungsgefühl setzt fundamentale individuelle und kollektive veränderungen voraus, so dass sich die katze letztlich in den eigenen schwanz beißt. was hier, genauso wie in vielen anderen bereichen, nötig ist, wäre mit dem wort "revolution" durchaus unzureichend beschrieben. wir werden letztlich nicht um eine ungeheuer tiefgreifende veränderung unseres gesamten lebens herumkommen, die diesmal - und historisch überhaupt das erstemal - mit einer ebenso tiefgreifenden veränderung unserer allgemein verkorksten psychophysischen struktur parallel zu gehen hat, ja letztere überhaupt erst zur voraussetzung haben kann.
Die wissenschaftliche Beobachtung hat den Nachweis einer das vorgeburtliche und das nachgeburtliche Leben überspannenden Kontinuität der Entwicklung erbracht. Diese frühen Erfahrungen beeinflussen ganzheitlich die Entwicklung des heranwachsenden Kindes. Die Grundstrukturen unseres Zentralnervensystems werden durch die Interaktion unserer Gene mit den frühen Entwicklungsfaktoren ausgestaltet. Das Band zwischen den Eltern und dem Kind in der Gebärmutter ist einer dieser Faktoren. Es bildet die Grundlage für die Entstehung späterer Bindungen. Von den Eltern nicht zu bewältigender Stress kann schädigende Auswirkungen auf das Kind haben. Folglich können ungeborene Kinder auf viele Arten geschädigt werden und jede Anstrengung sollte unternommen werden, um ihnen eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Die Grundwerte einer Gesellschaft werden an das Kind durch seine Erfahrungen in der frühesten Lebensphase weitergegeben"
(aus der einleitung der wiener resolution 2001 der "Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)"
***
mit dem obigen zitat möchte ich einen weiteren beitrag in der basisreihe zum thema trauma einleiten, dieses mal zu einem aspekt, der mich persönlich seit dem moment, in dem ich mich das erste mal mit dem thema der pränatalen menschlichen entwicklungsphase beschäftigt habe, intensiv beschäftigt und auch fasziniert. nach meinen eigenen erfahrungen ist das wissen, welches im folgenden skizziert wird, den meisten menschen kaum bis gar nicht bekannt - und damit ist auch keinerlei bewußtsein über die teils dramatischen individuellen und kollektiven konsequenzen möglich, die sich aus der realität von pränatalen (die perinatalen lasse ich hier außen vor, da der abschnitt der geburt einen eigenen bereich bildet) traumatisierungen ergeben können. ich glaube inzwischen, dass wir alle in unserem leben bereits vielfach und auf diversen ebenen mit den erwähnten konsequenzen konfrontiert worden sind. und nicht zuletzt liegen in diesem wissen auch mögliche schlüssel zu einem erweiterten verständnis unserer jeweils eigenen biographie verborgen.
das einleitende zitat bringt dabei die meisten wesentlichen aspekte schon ganz gut auf den punkt. einen überblick zu den dort erwähnten wissenschaftlichen beobachtungen hat lloyd deMause in seinem "emotionalen leben der nationen" (siehe literaturliste, oder auch hier) veröffentlicht, aus dem ich im folgenden kommentierend zitiere (die zitate stammen dabei aus den seiten 56 bis 59 des buches). einige vermutlich vielen leserInnen nicht geläufige medizinische begriffe habe ich zur erklärung verlinkt.
*
"Es hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles in unserem Wissen über den Fötus geändert, seitdem Pioniere erste Forschungen in der perinatalen Psychologie betrieben haben. Neurobiologen erzielten überraschende Fortschritte im Verständnis darüber, wie sich das Gehirn im Mutterleib entwickelt, die Experimentalpsychologie fand viel über fötales Lernen heraus, Kinderärzte verbanden alle möglichen späteren Probleme mit fötaler Not, und ein Psychoanalytiker begann sogar damit, tausende Stunden von Ultraschallbeobachtungen einzelner Föten mit deren Problemen während der Kindheit in ihrer Therapie zu vergleichen. Es gibt mittlerweile tausende Bücher und Beiträge zu diesem Thema, und es gibt zwei internationale Gesellschaften zu prä- und perinataler Psychologie mit ihren jeweils eigenen Journalen."(...)
und wenn Sie selbst einmal darüber recherchieren, wie und was der medizinische mainstream noch vor hundert jahren über die (un)fähigkeiten von neugeborenen - und erst recht den föten - dachte, z.b. den unheilvollen mythos der angeblichen schmerzunempfindlichkeit von babys, der eine teils entsprechend rücksichtslose und potenziell traumatische behandlung derselben zur folge hatte, werden Sie vermutlich eine ahnung davon bekommen können, wie dieses wissen uns zu einer geradezu revolutionär neuen betrachtungsweise unserer allerersten lebensphasen zwingen wird - denn weitere ignoranz wäre hier, wie in vielen anderen bereichen auch, schlicht suizidal.
"Biologen dachten, Föten hätten eine unfertige Myelinisierung der Neuronen und könnten daher keine Erinnerungen haben. Diese Vorstellung wurde widerlegt. Vielmehr fand man heraus, dass der Fötus, weit davon entfernt, ein nicht fühlendes Wesen zu sein, äußerst fein auf seine Umgebung reagiert, und dass unsere ersten Gefühle in unserem frühen emotionalen Gedächtnissystem abgespeichert werden, das im Zentrum der Amygdala liegt, dem zentralen Angstsystem, ganz im Unterschied zum Deklarativen (Expliziten) Gedächtnissystem im Zentrum des Hippocampus, dem Zentrum des Bewusstseins, welches erst spät in der Kindheit voll funktionsfähig wird.
Das fötale Nervensystem ist gegen Ende des ersten Trimesters so gut entwickelt, dass es auf die Berührung der Handfläche mit einem feinen Haar mit Zugreifen, der Lippen mit Saugen, und der Augenlider mit Blinzeln reagiert. Der Fötus hüpft, wenn von der Nadel der Fruchtwasseruntersuchung berührt, und wendet sich vom Licht ab, wenn der Arzt ein hell leuchtendes Fötoskop einführt. Im zweiten Trimester kann der Fötus nicht nur sehen und hören, sondern tastet auch aktiv, fühlt, erkundet und lernt von seiner Umgebung, schwimmt im einen Moment friedlich, dann wieder heftig tretend, schlägt Saltos, uriniert, ergreift seine Nabelschnur, wenn er sich ängstigt, strampelt und tritt gegen die Plazenta, veranstaltet kleine Boxspiele mit seinem Pendant, wenn es Zwillinge sind, und reagiert auf Berührungen oder Stimmen durch den Unterleib der Mutter. Jeder Fötus entwickelt seine eigenen Aktivitätsmuster, sodass Ultraschalltechniker rasch lernen, jeden Fötus als eigene Persönlichkeit zu erkennen."(...)
ich hatte früher an anderen stellen hier schon geschrieben, dass sich die taktile und v.a. auch die propriozeptive wahrnehmung als eine ganz grundlegende basis des späteren, körperlich fundierten identitäts- und selbstgefühls als erste wahrnehmungsmodi des menschen entwickeln - das lässt sich inzwischen präzisieren:
(...)"Der Embryo nimmt schon ab der 12. Schwangerschaftswoche seine Umgebung über Berührung wahr. Auch das Kleinkind macht über Berührungen seine ersten Erfahrungen, über positive Berührung kann vor allem auch die Entwicklung gefördert werden"(...)
und aus einer weiteren quelle:
(...)"Auch Berührungen werden zum Teil über das propriozeptive System wahrgenommen. Festere Berührungen - wie bei manchen Massagetechniken oder Druck, wie beim Shiatsu oder in der Akupressur - regen auch die Propriozeption an. Außerdem spielt Propriozeption eine wichtige Rolle bei aktivem Berühren und Ertasten (...).
Die Propriozeption spielt eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der Entwicklung eines Körperbildes oder Körperschemas. Sie vermittelt uns unsere Stellung im Raum und ist insofern zentral für die Beziehung zur Außenwelt. Welch eine einschneidende Bedeutung Störung oder gar Ausfall propriozeptiver Wahrnehmung für einen Menschen haben, wird sehr eindrücklich von (Oliver) Sacks (...) beschrieben:
`Sie - die Patientin - hat mit ihrer Eigenwahrnehmung auch die grundlegende, organische Verankerung der Identität verloren - jedenfalls die der körperlichen Identität´"(...)
(wenn Ihnen das nächstemal also ein konstruktivistisch argumentierender mitmensch wiedermal einreden möchte, dass das beharren auf authentizität und authentischer - d.h. körperlich basierter - identität in der postmoderne doch ein hoffnungslos rückständiger anachronismus sei - fragen Sie einmal zurück, wie´s denn so mit der propriozeptiven wahrnehmung bei dem/der betreffenden ausschaut...).
ich schweife gerade anscheinend etwas vom "eigentlichen" thema ab, aber dieser aspekt erscheint mir so interessant und bedeutsam, dass ich ihn weiter vertiefen möchte - immer vor dem hintergrund der heute bekannten und möglichen pränatalen schädigungen, auch und gerade durch psychosoziale, d.h. gesellschaftliche einflüsse. ich vermute aus verschiedenen gründen, darunter z.t. auch eigenen erfahrungen, bekanntlich enge zusammenhänge mit den denjenigen psychiatrischen diagnosen, bei denen ein gestörtes identitätsgefühl sowie ein oppositionelles und problematisches verhältnis zum "eigenen" körper eine große rolle spielen - wie zb. bei borderline und auch dem autistischen spektrum. darum jetzt nochmal etwas mehr informationen zu vermutlich genau der patientin, die oben im zitat von o. sacks schon erwähnt worden ist - aus einer weiteren quelle:
(...)"Es gibt jedoch auch komplette Verluste der undifferenzierten somatischen Hintergrundempfindung, auf der die eben genannte Form innerer Aufmerksamkeit überhaupt erst operieren kann. Ein scharf umgrenzter Ausfall der Propriozeption führt zum Ausfall des Körpergefühls, desjenigen Teils unseres phänomenalen Selbstmodells, der uns subjektiv als der sicherste und gewisseste überhaupt erscheint. Oliver Sacks beschreibt den seltenen Fall einer sehr selektiven sensorischen Polyneuropathie, der ausschließlich propriozeptive Nervenfasern betraf.
`Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände „machten sich selbständig“, und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.
Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper „gab nach“. Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.
„Es ist irgend etwas Furchtbares passiert“, stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. „Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos.“
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Christina hörte genau zu, mit einer Aufmerksamkeit, die nur die Verzweiflung hervorbringt.
„Ich muß also“, sagte sie langsam, „mein Sehvermögen, meine Augen in all den Situationen einsetzen, in denen ich mich bis jetzt auf meine - wie haben sie das genannt? - Eigenwahrnehmung verlassen konnte. Ich habe schon bemerkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, „daß ich meine Arme . Ich meine, sie seien hier, aber in Wirklichkeit sind sie dort. Diese ist also wie das Auge des Körpers - das, womit der Körper sich selbst wahrnimmt -, und wenn sie, wie bei mir, weg ist, dann ist es, als sei der Körper blind. Mein Körper kann sich selbst nicht , weil er seine Augen verloren hat, stimmt's? Also muß ich ihn jetzt sehen und diese Augen ersetzen. Hab ich das richtig verstanden?“
Sacks berichtet über den weiteren Verlauf der Erkrankung:
`Unmittelbar nach dem Zusammenbruch ihrer Eigenwahrnehmung und noch etwa einen Monat später war Christina so schlaff und hilflos wie eine Puppe. Sie konnte sich nicht einmal selbst aufsetzen. Aber schon drei Monate später stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie sehr gut sitzen konnte - zu gut vielleicht, zu graziös, wie eine Tänzerin, die mitten in einer Bewegung innegehalten hat. Und bald merkte ich, daß dies tatsächlich eine Pose war, die sie, sei es bewußt oder automatisch, einnahm und aufrecht erhielt, eine gezwungene oder schauspielerhafte Positur, die das Fehlen einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem „Kunstgriff“, aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur „zweiten Natur“.
es klingt schlicht und einfach verblüffend: eine art als-ob-sitzen also? haben wir hier vielleicht in einem eng umgrenzten bereich ein sehr nachdrückliches beispiel dafür, wie wahrnehmungsausfälle von anderen funktionen kompensiert werden, und zwar mittels mehr oder weniger gelungener - simulationen des authentischen?
"Mit jeder Woche wurde das normale, unbewußte Feedback der Eigenwahrnehmung immer mehr von einer ebenso unbewußten Rückmeldung durch visuelle Wahrnehmung, einen visuellen Automatismus und zunehmend integriertere und flüssigere Reflexabläufe ersetzt. Fand bei ihr eine grundlegende Entwicklung statt? Erhielt möglicherweise das visuelle Modell des Körpers, das Körperbild des Gehirns - das gewöhnlich recht schwach (und bei von Geburt an Blinden überhaupt nicht) ausgeprägt und normalerweise dem propriozeptiven Körperschema untergeordnet ist - jetzt, da dieses propriozeptive Körperschema verlorengegangen war, infolge von Kompensation und Substitution in zunehmendem, ungewöhnlichem Maße Gewicht?...´
Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst. An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern (!!! mo). In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.
`...Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, nicht wirklich, gehöre nicht zu ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf andere Sinnesorgane beziehen: „Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub...Er hat kein Gefühl für sich selbst.“...
...“Es ist, als hätte man mir etwas entfernt, etwas aus meinem Zentrum. Das macht man doch mit Fröschen, stimmt's? Man entfernt ihnen das Rückenmark, man höhlt sie aus...Genau das ist es: Ich bin ausgehöhlt, wie ein Frosch...Kommen Sie, meine Herrschaften, treten Sie ein, sehen Sie Chris, das erste ausgehöhlte menschliche Wesen. Sie hat keine Eigenwahrnehmung, kein Gefühl für sich selbst - Chris, die ausgehöhlte Frau, die Frau ohne Körper!“ Sie bricht in ein haltloses, fast hysterisches Lachen aus. Ich beruhige sie, während ich denke: Hat sie vielleicht recht?´(...)
es ist nicht allzu abwegig anzunehmen, dass ein oder mehrere gleichartige prozesse bzgl. dieser elementaren wahrnehmungsebenen im zusammenspiel mit weiteren einflüssen auch eine große rolle bei der ätiologie von autistischen störungen im weitesten sinne eine rolle spielen - schauen Sie sich nochmal die selbstbeschreibungen betroffener bezgl. ihrer körperwahrnehmung im basisbeitrag autismus an.
dazu scheint mir ein weiterer aspekt auffällig zu sein: sowohl christina als auch die zitierten autistischen menschen berichten einhellig darüber, dass sie ihren visuellen sinn als primäres werkzeug zur korrektur ihrer bewegungsabläufe benutzen. ist Ihnen der gedanke geläufig, dass die westliche zivilisation eine ungeheuer visuelle kultur darstellt, und zwar im einseitigsten sinne, mit entsprechender ständiger überforderung unserer sehorgane unter starker vernachlässigung der meisten anderen sinne? es ist nur eine gerade entstandene assoziation meinerseits, aber die permanente kulturelle überbetonung des sehens könnte durchaus einige überraschende hintergründe besitzen.
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zurück zur pränatalen phase, und da jetzt zu den fakten, die deMause über Emotionale Reaktionen auf fötalen Stress gesammelt hat:
(...)"Zusätzlich zu dem, was wir über die verheerenden Folgen durch die Einwirkung von Drogen und Alkohol auf den Fötus wissen, besitzen wir jetzt bedeutende Belege dafür, wie maternaler Stress und andere Gefühle auf den Fötus übertragen werden. Der Fötus, so fand man heraus, reagiert sensibel auf eine große Anzahl von maternalen Emotionen, zusätzlich zu jeglicher Droge, die die Mutter einnimmt, oder physischen Traumata, welche die Mutter erleidet.
Wenn die Mutter Angst verspürt, werden ihre erhöhte Herzfrequenz, ihr schreckhaftes Sprechen und die Änderungen der Neurotransmitterniveaus unmittelbar an den Fötus weitergeleitet, und ihrem Herzjagen folgt binnen Sekunden das des Fötus; wenn sie Angst hat, kann der Fötus innerhalb von 50 Sekunden unter Sauerstoffunterversorgung leiden. Bei schwangeren Affen, durch simulierte Angriffe gestresst, wurde die Blutversorgung zur Gebärmutter derart beeinträchtigt, dass die Föten schwere Erstickungserscheinungen aufwiesen.
Auch Veränderungen der Niveaus von Adrenalin, Epinephrinplasma und Norepinephrin, hohe Konzentration von Hydroxycorticosteroiden, Hyperventilation und viele andere Folgen maternaler Angst kennt man als direkt den menschlichen Fötus beeinflussend. Zahlreiche andere Studien dokumentieren sensorische, hormonelle und biochemische Mechanismen, durch die der Fötus mit den Gefühlen der Mutter und der Außenwelt kommuniziert. An Babyaffen sah man, dass sie nach der Geburt hyperaktiv waren und höhere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol aufwiesen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft experimentell gestresst worden war."
(einer der vermittlungswege, mittels derer der psychophysische zustand der mutter auf den embryo weitergegeben wird, besteht in den sog. neuropeptiden, von denen besonders das oxytocin in letzter zeit etwas bekannter geworden ist und bei der mutter-kind-beziehung eine herausragende rolle zu spielen scheint.)
"Es zeigte sich, dass maternale Stress- und Angstzustände niedrige Geburtsgewichte, höhere Geburtensterblichkeit, Atemwegsinfektionen, Asthma und eine verminderte Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten verursachen. Eine Studie über 120 ungewollte schwedische Babies zeigte, dass diese aggressiver waren, von Altersgenossen stärker abgelehnt wurden, niedrigere akademische Leistungen erbrachten, hyperaktiv waren und eine dreimal höhere Kriminalisierungsrate aufwiesen als Babies, die »gewollt waren«.
Ultraschallstudien erkennen die fötale Not klar, wenn der Fötus sich in Schmerzen während der Hypoxämie und anderen Zuständen herumwirft und um sich tritt. Eine Mutter, deren Ehemann ihr gerade verbal Gewalt angedroht hatte, kam in eine Arztpraxis mit einem, was auch für sie schmerzhaft war, sich derartig heftig herumwerfenden und um sich tretenden Fötus, dessen Herzschlagfrequenz erhöht war und über Stunden blieb. Das gleiche wilde Sichherumwerfen von Föten konnte bei Müttern beobachtet werden, deren Partner plötzlich verstarben. Maternale Angst kann tatsächlich den Tod des Fötus verursachen. Ehezwietracht korreliert »mit fast 100-prozentiger Sicherheit... mit Kindersterblichkeit in Form von schlechter Gesundheit, neurologischer Dysfunktion, zurückgebliebener Entwicklung und Verhaltensstörungen«.
Margaret Fries leitete eine über 40 Jahre dauernde Langzeitstudie, die bei den Untersuchten lebenslang konstant bleibende emotionale Muster vorhersagt, so man diese mit der Einstellung zum Fötus während der Schwangerschaft verbunden sieht. Maternaler emotionaler Stress, Ablehnung des Fötus und fötale Not sind in verschiedenen Studien statistisch mit Frühgeburten, niedrigen Geburtsgewichten, höherer Unausgewogenheit von Neurotransmittern, stärkerem infantilen Klammern, höherer Kindheitspsychopathologie, häufigerer physischer Erkrankung, höherer Rate an Schizophrenie, niedrigeren Intelligenzquotienten in der Kindheit, größerem Misserfolg in der Schule, höherer Kriminalität, einer größeren Neigung zum Suchtmittelkonsum im Erwachsenenalter, der Ausübung von Gewaltdelikten und der Begehung von Selbstmord in Verbindung gebracht worden.
Der Anstieg sozialer Gewalt durch prä- und perinatale Umstände wurde von einer wichtigen dänischen Studie bestätigt, die zeigt, dass Buben von Müttern, die diese nicht haben wollten (25 Prozent der schwangeren Mütter geben zu, ihre Babys nicht zu wollen) und die auch Komplikationen bei der Geburt erleben, mit viermal höherer Wahrscheinlichkeit als Jugendliche gewalttätige kriminelle Taten verüben als Kontrollgruppen. Amerikanische Studien zeigen ähnlich höhere Kriminalität bei maternaler Ablehnung während der Schwangerschaft."(...)
und die in den letzten absätzen genannten fakten werden auch durch eine sozusagen andersherum gedrehte sichtweise unterstützt:
(...)"Die Neunzigerjahre bescherten den Amerikanern eine glückliche Überraschung. Eine Gesellschaft, die vom Gedanken an die Kriminalität regelrecht besessen ist, durfte plötzlich einen dramatischen Rückgang der Verbrechen erleben. Kein Experte hatte ihn vorausgesagt, mancher das Gegenteil prophezeit. Für den Rückgang wurden viele Gründe genannt: Neue Polizeistrategien, schärfere Haftstrafen (die die Zahl der Gefangenen auf 2 Millionen Ende 2000 erhöhten!), das Ende des Crack-Drogenbooms, der Wirtschaftsaufschwung, strengere Waffenkontrollen, die Alterung der Bevölkerung.
Die Ökonomen Steven Levitt und John Donohue überraschten die Öffentlichkeit gegen Ende des Jahrzehnts mit einer völlig neuen Erklärung. Die bisher genannten Gründen ließen sie kaum gelten. Einen Wirtschaftsaufschwung etwa gab es auch in den 1960ern - damals stieg die Gewaltkriminalität. Die gefeierte "Zero Tolerance"-Strategie der Polizei wurde nur in New York eingeführt - die Kriminalität sank überall. New York profitierte eher davon, dass einfach viele Polizisten eingestellt wurden. Diese Aufstockung und der Verfall des Kokainpreises, der das Geschäft der Crack-Dealer zerstörte, haben vielleicht ein Viertel des Rückgangs der Kriminalität in den USA bewirkt, die schärferen Haftstrafen ein weiteres Drittel, schätzt Levitt.
Weit wichtiger sei aber etwas gewesen, das kaum je erwähnt wurde: die Legalisierung der Abtreibung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs am 22. Januar 1973. Dies habe die Zahl der ungewollten Geburten drastisch gesenkt. Da ungewollte Kinder statistisch gesehen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kriminell würden, seien fortan viele potenzielle Straftäter gar nicht erst auf die Welt gekommen. Das aber habe sich erst ab dem Moment auswirken können, als die ersten nach 1973 geborenen Jahrgänge in die späten Teenagerjahre kamen - also ab Anfang der 1990er."(...)
diese aussage, nach der ungewollte kinder also in der größten gefahr sind, später antisoziales verhalten zu entwickeln (und dazu unter vielfältigsten weiteren beeinträchtigungen leiden) ist nach dem heutigen wissenstand ganz gut untermauert. und vor allem: ist eine solche entwicklung nicht eigentlich auch sehr logisch in dem sinne, dass menschen, die bereits im mutterleib überwiegend ablehnung erfahren haben, die sich in ihrer psychophysischen struktur über die oben skizzierten mechanismen in diverser art und weise materiell eingeschrieben hat, dieser welt gar nicht anders begegnen können als nun mit ablehnung ihrerseits?
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soviel also erstmal zur einführung in ein gleichermaßen bedrückendes wie auch faszinierendes thema, welches hier noch öfter zur sprache kommen wird. mir ging es vor allem darum, dass Sie die möglichkeit bekommen, eine ahnung von der komplexität und den konsequenzen zu bekommen, die mit der pränatalen phase - und all dem, was dort schiefgehen kann - verbunden sind. ich hoffe, dass das einigermaßen gelungen ist. für diejenigen, die sich vertiefend mit einigen aspekten des themas beschäftigen möchten, gibt es hier noch einen text des neurowissenschaftlers gerald hüther, der u.a. speziell auf die pränatale hirnentwicklung sowie die wichtigkeit von beziehungen für das gehirn eingeht.
den teil zur propriozeption hatte ich ursprünglich gar nicht vorgesehen, aber beim abschließenden lesen fand ich, dass er dann doch ganz gut hierher passt - denn mögliche schädigungen bis hin zum totalen ausfall dieser wahrnehmungsebenen können sehr wahrscheinlich bereits pränatal auftreten, und zwar aufgrund der sehr materiellen wirkungen auf den embryo seitens müttern, die aus was für gründen auch immer nicht in der lage sind, die eigentlich grundsätzliche vorhandene beziehungsebene zum embryo wahrzunehmen - oder das nur sehr eingeschränkt können, sich in einem überwiegenden (!) zustand der ablehnung befinden und/oder selbst in einer verdinglichenden wahrnehmung feststecken, die wiederum - und das ist eine persönliche hypothese - einiges mit dem ausfall der erwähnten wahrnehmungsebenen zu tun haben dürfte.
es geht hier aber keinesfalls - wie ich an anderen stellen schon oft betont habe - um mütterbashing oder schuldzuweisungen. die bedingungen für schwangere und kinder grundlegend zu verbessern, ist eine gesamtgesellschaftliche und hochpolitische aufgabe, die weitergedacht einiges an fundamentalen änderungen der derzeitigen lebensumstände überhaupt erfordern wird. da diese grundsätzlich lebensfeindlich und dingorientiert sind, sind die beschriebenen - in vielfältigster form als traumatisch zu begreifenden - destruktiven phänomene der pränatalen phase nicht verwunderlich. was aber potenzielle mütter, und auch väter, dringend entwickeln müssen, ist ein entsprechendes verantwortungsgefühl, zu dem auch gehört, dass bei erkannten störungen und defiziten der eigenen wahrnehmung bzw. im eigenen umgang mit sich selbst kinderwünsche vor der veränderung der genannten zustände erstmal zurückstehen sollten - im interesse des kindes genauso wie letztlich im interesse der gesamten gesellschaft. aber auch dieses verantwortungsgefühl setzt fundamentale individuelle und kollektive veränderungen voraus, so dass sich die katze letztlich in den eigenen schwanz beißt. was hier, genauso wie in vielen anderen bereichen, nötig ist, wäre mit dem wort "revolution" durchaus unzureichend beschrieben. wir werden letztlich nicht um eine ungeheuer tiefgreifende veränderung unseres gesamten lebens herumkommen, die diesmal - und historisch überhaupt das erstemal - mit einer ebenso tiefgreifenden veränderung unserer allgemein verkorksten psychophysischen struktur parallel zu gehen hat, ja letztere überhaupt erst zur voraussetzung haben kann.
monoma - 19. Mär, 14:47
Danke
Leider hat die moderne Apparatemedizin bislang wenig Rücksicht auf die Empfindungen des Fötus und Säuglings genommen (damit ist noch lange nicht gesagt, dass traditionellere Verfahren hier rücksichtsvoller wären). Ein klinisch-kalter Umgang mit dem Ungeborenen und die dazugehörige Geburtenpraxis, bei der verletzliche Föten in einen kalten Raum mit grellem Licht entbunden und danach vielleicht sogar noch von der Mutter getrennt werden, beeinträchtigen und beschädigen die grundsätzlichen emotionalen und somatischen Muster einen Menschen oft lebenslang. Es steht zu vermuten, dass die Erfahrung dieses Umgangs eine ganze Generation geprägt hat und in der Errichtung einer klinisch-kalten und sterilen Geschäfts- und Arbeitswelt wiederinszeniert wird.
Mit dieser ersten Andeutung und einem Buchtipp (Ludwig Janus: Wie die Seele entsteht) bedanke ich mich noch einmal für das Aufgreifen dieses Themas, das allzu oft im Hintergrund bleibt, vielleicht weil es selbst den großen Hintergrund unseres Lebens darstellt.
gruß, s