basis: weitere (nötige) anmerkungen zu psychiatrischen diagnosen - und ein "fallbeispiel"
der angekündigte beitrag zu den verschiedenen autismusdiagnosen bzw. -definitionen ist in arbeit, wird aber noch etwas dauern. was andererseits auch die möglichkeit eröffnet, sich vorher noch einmal mit den grundsätzlichen problematiken psychiatrischer diagnosen zu beschäftigen. das folgende ist also als lockere fortsetzung dieses eintrages zu verstehen.
*
wahrscheinlich hat sich der eine oder die andere von denjenigen leserInnen, welche sich schon - aus welchen gründen auch immer - näher mit solchen diagnosen beschäftigt haben, darüber gewundert, warum ich zwar die diagnosenklassifikation icd-10 erwähnt, bisher aber das für die tatsächliche diagnosenstellung in der psychiatrie womöglich relevantere "diagnostische und statistische manual psychischer krankheiten" dsm-IV der "american psychiatric association" aussen vor gelassen habe. dieses versäumnis soll hiermit beseitigt werden. es ist dabei imo schon bezeichnend, dass in diesem zweig der medizin gleich zwei diagnostische klassifikationen nebenher existieren (die inhaltlich durchaus längst nicht immer konform gehen), wobei formal in deutschland die icd die relevante ist. dementsprechend werden Sie, wenn Sie einmal auf irgendwelchen überweisungen oder unterlagen für die krankenkasse diagnostische codes sehen, immer nur die icd-codierung vor sich haben. das gilt letztlich auch für die psychiatrie, wobei hier manchmal auch dsm-codes in entsprechenden unterlagen zu finden sind, dann aber sozusagen "inoffiziell" (ich selbst habe in psychiatrischen krankengeschichten nur sehr selten entsprechendes gefunden).
trotzdem spielen die diagnostischen modelle des dsm-III-R (veraltet) und des aktuellen dsm-IV gerade in dem bereich von diagnosen, der mich vornehmlich interessiert - das, was ich im älteren artikel zum thema als beziehungskrankheiten bezeichnet habe (der begriff stammt nicht von mir, trifft es aber imo ziemlich genau) - eine wichtige rolle in dem sinne, dass durch diese modelle wesentliche inhalte und grenzen der betreffenden krankheitsbilder definiert werden (und insgesamt die diagnostischen konstrukte differenzierter dargestellt werden).
von daher also werde ich zukünftig auch die dsm-modelle heranziehen, um bestimmte dinge zu verdeutlichen. (vielleicht ist es für die leserInnen auch einmal interessant, selbst die bereits mit ihrer icd-codierung vorgestellten diagnosen mit den inhalten des dsm-IV zu vergleichen.)
*
um aber nun nochmal auf ein grundsätzliches problem psychiatrischer diagnosen zurückzukommen, möchte ich ein recht langes beispiel aus dem buch "Die Neurosen der Chefs" zitieren, welches in eindrucksvoller weise auf einen schlag sowohl diagnostische probleme deutlich macht als auch weitere fragen zur psychophysischen verfassung derjenigen, die sich in dieser gesellschaft als "eliten" fühlen (und auch so aufspielen) aufwirft. das buch von jürgen hesse und hans schrader ist dabei, wenn ich es nun schon erwähne, als materialsammlung ganz brauchbar, von terminologie und auch teilweise den inhalten her aber schwer kritikwürdig, was imo größtenteils daran liegt, dass sich die autoren hauptsächlich an einer sehr orthodoxen art der v.a. psychoanalytischen krankheitslehre orientieren, die sich leider auch im dsm bis heute wiederfinden lässt. alleine der titel ihres buches ist imo bereits eine verharmlosung, weil es bei den thematisierten phänomenen - diversen persönlichkeitsstörungen - nur sehr begrenzt bis überhaupt nicht um neurosen geht. das mag als definitionsfrage betrachtet werden, dahinter stehen jedoch grundsätzlich verschiedene ansichten und konzepte über die betreffenden störungen, die es in sich haben. aber nun erstmal zum erwähnten fallbeispiel, bei dem es sich um eine authentische geschichte handelt - ich sehe keinen grund, den autoren hier keinen glauben zu schenken, auch wenn mir die originalquelle selbst nicht vorliegt.
im kapitel "Die Vielfalt der Persönlichkeitsstörung - Eine Anmerkung zur Fragwürdigkeit von Typologien" schreiben die beiden u.a.:
"Jede Typologie hat ihre Schwächen. (...) Die Komplexität und Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen entzieht sich einem eindeutigen, einfachen Ordnungsversuch"
was einerseits sicher zutreffend ist, aber als dogma imo genauso gefahren birgt wie das andere extrem der zwanghaften zuordnungen. im obigen zitat steckt u.a. bereits eine extreme symptomfixiertheit, die unter umständen ein erkennen von grundsätzlichen strukturellen phänomenen bei einer persönlichkeit verhindert.
um das, was sie als "mischformen" von verschiedenen persönlichkeitsstörungen begreifen, deutlich zu machen, erwähnen sie
"...ein Fallbeispiel aus einer psychotherapeutischen Praxis, über das Johannes Cremerius , einer der renommiertesten Psychoanalytiker in Deutschland, in seinem Aufsatz `Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen´ berichtet:
Ein großer, kräftiger Patient, Mitte fünfzig, betritt das Sprechzimmer (..) Er beginnt mit der Klage: Er könne einfach nicht mehr, wisse nicht mehr weiter, es habe alles keinen Sinn.
Der Patient berichtet von einem (...) Besuch bei seiner Frau, die seit Jahren von einer Nervenklinik zur anderen zöge und nicht wieder gesund werde (mit der diagnose einer depression, anm. mo). Seine Frau mache ihm Vorwürfe wegen der zerstörten Ehe und schöbe ihm alle Schuld zu - auch habe sie ihn angeklagt, für ihre Krankheit verantwortlich zu sein.
Am Abend nach diesem Besuch sei es dann noch zu einer dramatischen Auseinandersetzung zwischem ihm und seinem Sohn (dem einzigen kind, mo) gekommen, einem Studenten, der seit Jahren erfolglos studiere, dreimal das Fach wechselte, zuviel Alkohol trinke und linken Gruppen angehöre.(...)"
der patient beschreibt in der folge verschiedene vorwürfe des sohnes, der auf sein erbe verzichte und ihn nie wieder sehen wolle, dazu den vater sowohl für die eigenen als auch die probleme der mutter verantwortlicht macht, insgesamt den väterlichen egoismus und die neigung, alle probleme mit geld lösen zu wollen, für die zerstörung der familie schuldig spricht. der patient sieht sein lebenswerk - eine fabrik - sinnlos geworden ohne erben, weint heftig und lange und bitte den therapeuten um hilfe.
die folgenden ereignisse verdienen es, ungekürzt zitiert zu werden:
"Am nächsten Morgen - er hat nachts mit Hilfe eines Beruhigungsmittels geschlafen - ist er gefaßter, die Beichtstimmung hält jedoch an: Nach dem Krieg habe er den Betrieb aus dem Nichts aufgebaut, wobei ihm seine Frau geholfen habe. Aus Andeutungen ist herauszuhören, daß er zu den Menschen gehört, die in jener Zeit alle Maschen im Netz der Gesetzgebung benutzt und ausgenützt haben, um ihr Ziel zu erreichen. Seine unreflektierte Maxime ist: Es gibt nichts, was nicht geht, nichts, was ich nicht erreichen kann.
Als er es endlich geschafft hat, wirtschaftlich `ganz oben´ zu sein, übertrug er diese Philosophie auf sein Privatleben. Er befriedigte nun seine Machtansprüche auch in der Familie, nahm sich das Privileg heraus, seine sexuellen Bedürfnisse außerhalb der Ehe zu befriedigen.
Der Patient kann nicht verstehen, warum seine Maxime in der Familie versagt, daß die Ausnutzung aller Chancen und Vorurteile auf Schwierigkeiten stößt. Er, der das unmöglich scheinende möglich gemacht hat, soll jetzt an der Bagatelle scheitern, daß seine Frau und sein Sohn nicht manipulierbar sind.
Zum nächsten vereinbarten Gespräch kommt der Patient nicht, sondern läßt durch sein Sekretariat telefonisch mitteilen, daß er geschäftlich ins Ausland mußte. Einige Zeit später meldet er sich wieder, braungebrannt, jugendlich straff und voller Vitalität"
kleiner einschub: therapeutisch arbeitende jeglicher coleur würden wahrscheinlich - ohne weiteres wissen von diesem mann - in dieser situation anhand der anscheinend real und objektiv vorhandenen arbeitsfähigkeit und realitätstüchtigkeit fragen, was er denn überhaupt wolle...es wird aber noch deutlich werden, das gerade diese beiden eigenschaften, die tatsächlich wesentliche "offizielle" kriterien sog. psychischer gesundheit bilden, in einem fall wie diesem völlig in die irre bzw. am wesentlichen vorbei führen.
"Auf der Messe in M. habe er eine 17jährige Hostess kennengelernt, und sich heftig verliebt. Jetzt sei er gerade dabei, ihr eine Wohnung einzurichten, aber in einer anderen Stadt, weil er in seiner Heimatstadt bereits für eine andere Freundin eine Wohnung unterhält. Seine Sorgen und das Niedergeschlagensein sind verflogen. Nun wünscht er, mit dem Analytiker über die Möglichkeiten einer Psychotherapie für seine depressiv erkrankte Frau zu sprechen.
Einen derartigen Wechsel zwischen Depression und rascher Erholung gab es schon oft in seinem Leben. Seine Art, Menschen zu behandeln, dokumentiert sich auch in seinen Betrieben: Er zieht Menschen heran, wenn er sie braucht und läßt sie fallen, wenn er sie nicht mehr braucht, fördert sie, wenn es ihm nützt, wirft sie hinaus, wenn sie ihn enttäuschen.
Einen Monat später meldet er sich bei dem Psychoanalytiker wieder, diesmal mit deutlich angstgeprägter Stimmung - aber nicht in Bezug auf das, worüber er zunächst berichtet: Gegen ihn sei ein Gerichtsprozeß im Gange. Er soll dazu verurteilt werden, eine Entgiftungsanlage für die giftigen Abfallprodukte seines Betriebes zu bauen, die bisher ungefiltert in einen Fluß abgeleitet wurden. Diese Anlage koste einige Millionen, ihn aber nur ein Lächeln, berichtet er. Seine Anwälte zögen das Verfahren nämlich in die Länge, so daß er, wenn der Prozeß verlorenginge - womit er rechne - , bis dahin die Kosten für die Entgiftung eingespart habe. Mit diesem Betrag ließe sich dann die Anlage finanzieren, ohne Betriebskapital angreifen zu müssen.
Sein Problem läge ganz woanders: Seine Frau und sein Sohn hätten sich zusammengetan, um - so glaube er - gegen ihn zu operieren. Sie hätten in derselben Stadt, in der die Familie seit mehr als 20 Jahren lebt, eine gemeinsame Wohnung bezogen. Damit seien die internen Familienkonflikte offenkundig geworden. Er habe gehört, daß beide schlecht über ihn sprächen und alte Freunde gegen ihn aufbringen.
Es mache ihm Angst, daß er dies nicht beeinflussen könne, daß Frau und Sohn sich einfach seiner Macht entziehen. Ein Gefühl von Ohnmacht breite sich bei ihm aus.
Bei der nächsten Sitzung - drei Monate später - erbittet er vom Analytiker ein Gutachten zur Vorlage bei Gericht. Seine Freundin - die Hostess, der er erst kürzlich die Wohnung eingerichtet hatte - habe ihn mit Tripper infiziert. In seiner Wut hat er sie daraufhin grün und blau geschlagen und aus der Wohnung geworfen. Sie prozessiert nun gegen ihn und verlangt eine sehr hohe Schmerzensgeldsumme. Entsprechend der Empfehlung seines Anwalts bitte er nun um ein Gutachten. Der so angesprochenen Psychotherapeut lehnt ab. Auch das Angebot eines größeren Geldbetrages - selbstverständlich ohne Quittung - erzielt nicht den vom Patienten gewünschten Effekt. Wütend verläßt er die Praxis.
Einige Zeit später bekommt der Psychotherapeut einen Brief seines Patienten, in dem dieser ihm mitteilt, der Prozeß sei zu seinen Gunsten ausgegangen. Der Brief schließt mit den Worten: `Ich hatte recht, alles ist käuflich, auch ein medizinischer Gutachter´."
soweit diese beschreibung eines realen "falles", die hesse/schrader wie folgt kommentieren:
"Der in der Fallskizze dargestellte Typus leidet nicht an seiner Neurose, weil er andere leiden läßt, indem er seine Neurose ausagiert anstatt zu erkranken."
damit beschreiben sie ein sehr wichtiges prinzip und eine fatale eigenschaft dessen, was ich als beziehungskrankheiten bezeichne. das wort "neurose" finde ich, wie schon gesagt, hier als ausdruck einer veralteten terminologie und symbol eines nicht genügend weitgehenden verständnisses der struktur dieses mannes unangemessen. aber das prinzip "ausagieren statt zu leiden" ist etwas, was sich u.a. als überlebenstechnik verstehen lässt - zumindest eine mögliche form. die nicht zwangsläufig bei einer beziehungskrankheit vorkommen muß, und dazu nach meinem eindruck unter anderem von sozialen einflüssen wie geschlechtsidentitäten und klassenzugehörigkeit abhängig ist. weiter im kommentar:
"Der von Cremerius beschriebene Patient hat Anteile verschiedener Persönlichkeitsstörungen: Es finden sich Züge einer passageren depressiven Verstimmung, vor allem aber deutlich ausgeprägte aggressiv-autoritäre und rücksichtslose Verhaltensweisen mit starkem Machtinstinkt und einer gehörigen Portion Narzißmus, aber auch Sexsucht, Umwelt-Wirtschaftskriminalität sowie paranoide Tendenzen."
die autoren arbeiten bei ihrer diagnostik noch mit dem damals aktuellen dsm-III-R, welche anscheinend weder borderline noch die antisoziale ps besonders thematisiert (dieses manual kenne ich nicht sehr gut). nach den dargestellten symptomen und auch ihrer schnellen "sprunghaftigkeit" zu urteilen, gäbe es wohl heute genug "professionelle", die in richtung dieser diagnosen urteilen würde. aber auch das wäre vermutlich nicht tatsächlich treffend. wie würden Sie die beziehungsfähigkeiten dieses mannes beurteilen, bzw.: was wird über seine tatsächliche "beziehungsgestaltung" deutlich? ich komme bei der zugegebenermaßen selektiven darstellung zu dem schluß, dass von menschlichen beziehungen, die diesen namen auch verdienen würden, weit und breit nichts zu sehen ist - selbst der analytiker bemerkt die vielfältigen manipulativen tendenzen, zieht aber aus der imo sehr offensichtlichen unfähigkeit dieses mannes zu nichthierarchischen beziehungen überhaupt nicht die möglichen schlüsse, die sich daraus ergeben. hier ist jemand am gange, der mit menschen - so wie es dargestellt wird und er auch selbst berichtet - nicht anders umgeht als mit irgendwelchen objekten, was sich besonders, aber nicht nur, an der skizzierung der verhältnisse zu den erwähnten verschiedenen frauen, aber auch zu seinen arbeitern, deutlich machen lässt. und daraus wiederum lässt sich auf eine bestimmte form der selbst- und weltwahrnehmung schliessen, die - was noch gezeigt werden wird - in einer quasi reinform im autistischen spektrum zu finden ist. die oben erwähnten verschiedenen symptome würden aktuell zur folge haben, dass - je nach therapeutischer schule und auch, wie schon erwähnt, nach aktueller symptomatik - ein und der gleiche mann eine ganze latte an diagnosen bekommen könnte (was in der psychiatrie sehr verbreitet ist, aber auch in der ambulanten psychotherapie imo nichts ungewöhnliches darstellt). dieses starren auf positive symptome aber verhindert z.b. in diesem fall die wahrnehmung dessen, was sich bei diesem mann als grundsätzlich vorhandene beziehungsunfähigkeit und empathielosigkeit wie ein strukturelles muster durch die ganze fallbeschreibung zieht. oder mit den worten von mertz:
"Der einzelne Patient wird klassifikatorisch zerstückelt, man verteilt die Gesamtperson im vertikalen Querschnitt auf beliebig viele klassifikatorische Schubladen und lässt ihn auf der horizontalen Zeitachse von einer Schublade in die andere fallen."
(J.E.Mertz, "Borderline...", S.178, siehe literaturliste)
genau dieses vorgehen wird in der vorgestellten geschichte zumindest von hesse und schrader praktiziert, wenn sie am ende aus den zu beobachtenden symptomen schließen, dass es eine ganze vielzahl von persönlichkeitsstörungen in unterschiedlichem ausmaß bei diesem mann gibt. und diese art des diagnostischen blicks stellt bis heute den mainstream in der psychiatrischen oder auch psychotherapeutischen fachwelt dar. aber das bedeutet noch lange nicht, dass dieser blick tatsächlich in der lage ist zu fassen, was real vorhanden ist!
*
immer, wenn ich dieses fallbeispiel lese und mir klar mache, dass solch ein mann real existiert und dazu auch noch als vermutlich angesehenes mitglied der gesellschaftlichen "elite" unterwegs ist, wird mir jedenfalls ziemlich übel. erst recht, wenn sich jeden tag in x-beliebigen nachrichten verdammt ähnliche leute bei ihrem tun bzw. durch die konsequenzen ihres tuns wahrnehmen lassen.
es bleiben fragen: wieviele solcher leute sind unterwegs, wieviele sind in den hiesigen machtpositionen diverser art gelandet - und ist das, was dieser mann an eigenschaften präsentiert, die ihn zu einem wahren antisozialen musterbeispiel machen, womöglich eine vorbedingung oder nötige austattung an eigenschaften, in den bei uns vorhandenen gesellschaftlichen hierarchien überhaupt nach "oben" kommen zu können? das sind so fragen, bei denen mir ganz anders wird...
hesse und schrader beschliessen dieses kapitel mit der bemerkung:
"Jeder von uns hat Züge der genannten Persönlichkeitsstörungen, nur auf das mehr oder weniger kommt es eben an..."
(alle zitate aus: Hesse/Schrader, "Die Neurosen der Chefs", S. 159 - 162;
Piper TB, München 1996, ISBN 3-492-22229-3)
mal von der tatsache abgesehen, dass sie in ihrem buch die sich aufdrängenden implikationen aus dem thema nur am rande streifen, und stattdessen nicht mit ratschlägen für den individuellen umgang mit solchen leuten geizen, ist die obige bemerkung zwar auf den ersten blick einleuchtend - auf den zweiten jedoch wird darin ein menschenbild sichtbar, welches faktisch keinerlei qualitative, sondern nur quantitive unterschiede zwischen mir, Ihnen und dem dargestellten mann macht. und ich denke, es ist notwendig und berechtigt, sich dagegen grundsätzlich zu verwahren - ohne zu verdrängen, dass dabei tatsächlich ein realer kern enthalten sein wird - letztlich könnte sich selbst der ärgste soziopath niemals gegen den widerstand von vielen in irgendeiner machtposition halten, wenn er nicht mindestens toleriert werden würde - selbst von denen, die unter seinen handlungen leiden.
gleichzeitig macht das zitat auch unfreiwillig etwas über das grundsätzlich negative menschenbild der klassischen psychoanalyse deutlich - aber das ist eine andere baustelle.
*
wahrscheinlich hat sich der eine oder die andere von denjenigen leserInnen, welche sich schon - aus welchen gründen auch immer - näher mit solchen diagnosen beschäftigt haben, darüber gewundert, warum ich zwar die diagnosenklassifikation icd-10 erwähnt, bisher aber das für die tatsächliche diagnosenstellung in der psychiatrie womöglich relevantere "diagnostische und statistische manual psychischer krankheiten" dsm-IV der "american psychiatric association" aussen vor gelassen habe. dieses versäumnis soll hiermit beseitigt werden. es ist dabei imo schon bezeichnend, dass in diesem zweig der medizin gleich zwei diagnostische klassifikationen nebenher existieren (die inhaltlich durchaus längst nicht immer konform gehen), wobei formal in deutschland die icd die relevante ist. dementsprechend werden Sie, wenn Sie einmal auf irgendwelchen überweisungen oder unterlagen für die krankenkasse diagnostische codes sehen, immer nur die icd-codierung vor sich haben. das gilt letztlich auch für die psychiatrie, wobei hier manchmal auch dsm-codes in entsprechenden unterlagen zu finden sind, dann aber sozusagen "inoffiziell" (ich selbst habe in psychiatrischen krankengeschichten nur sehr selten entsprechendes gefunden).
trotzdem spielen die diagnostischen modelle des dsm-III-R (veraltet) und des aktuellen dsm-IV gerade in dem bereich von diagnosen, der mich vornehmlich interessiert - das, was ich im älteren artikel zum thema als beziehungskrankheiten bezeichnet habe (der begriff stammt nicht von mir, trifft es aber imo ziemlich genau) - eine wichtige rolle in dem sinne, dass durch diese modelle wesentliche inhalte und grenzen der betreffenden krankheitsbilder definiert werden (und insgesamt die diagnostischen konstrukte differenzierter dargestellt werden).
von daher also werde ich zukünftig auch die dsm-modelle heranziehen, um bestimmte dinge zu verdeutlichen. (vielleicht ist es für die leserInnen auch einmal interessant, selbst die bereits mit ihrer icd-codierung vorgestellten diagnosen mit den inhalten des dsm-IV zu vergleichen.)
*
um aber nun nochmal auf ein grundsätzliches problem psychiatrischer diagnosen zurückzukommen, möchte ich ein recht langes beispiel aus dem buch "Die Neurosen der Chefs" zitieren, welches in eindrucksvoller weise auf einen schlag sowohl diagnostische probleme deutlich macht als auch weitere fragen zur psychophysischen verfassung derjenigen, die sich in dieser gesellschaft als "eliten" fühlen (und auch so aufspielen) aufwirft. das buch von jürgen hesse und hans schrader ist dabei, wenn ich es nun schon erwähne, als materialsammlung ganz brauchbar, von terminologie und auch teilweise den inhalten her aber schwer kritikwürdig, was imo größtenteils daran liegt, dass sich die autoren hauptsächlich an einer sehr orthodoxen art der v.a. psychoanalytischen krankheitslehre orientieren, die sich leider auch im dsm bis heute wiederfinden lässt. alleine der titel ihres buches ist imo bereits eine verharmlosung, weil es bei den thematisierten phänomenen - diversen persönlichkeitsstörungen - nur sehr begrenzt bis überhaupt nicht um neurosen geht. das mag als definitionsfrage betrachtet werden, dahinter stehen jedoch grundsätzlich verschiedene ansichten und konzepte über die betreffenden störungen, die es in sich haben. aber nun erstmal zum erwähnten fallbeispiel, bei dem es sich um eine authentische geschichte handelt - ich sehe keinen grund, den autoren hier keinen glauben zu schenken, auch wenn mir die originalquelle selbst nicht vorliegt.
im kapitel "Die Vielfalt der Persönlichkeitsstörung - Eine Anmerkung zur Fragwürdigkeit von Typologien" schreiben die beiden u.a.:
"Jede Typologie hat ihre Schwächen. (...) Die Komplexität und Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen entzieht sich einem eindeutigen, einfachen Ordnungsversuch"
was einerseits sicher zutreffend ist, aber als dogma imo genauso gefahren birgt wie das andere extrem der zwanghaften zuordnungen. im obigen zitat steckt u.a. bereits eine extreme symptomfixiertheit, die unter umständen ein erkennen von grundsätzlichen strukturellen phänomenen bei einer persönlichkeit verhindert.
um das, was sie als "mischformen" von verschiedenen persönlichkeitsstörungen begreifen, deutlich zu machen, erwähnen sie
"...ein Fallbeispiel aus einer psychotherapeutischen Praxis, über das Johannes Cremerius , einer der renommiertesten Psychoanalytiker in Deutschland, in seinem Aufsatz `Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen´ berichtet:
Ein großer, kräftiger Patient, Mitte fünfzig, betritt das Sprechzimmer (..) Er beginnt mit der Klage: Er könne einfach nicht mehr, wisse nicht mehr weiter, es habe alles keinen Sinn.
Der Patient berichtet von einem (...) Besuch bei seiner Frau, die seit Jahren von einer Nervenklinik zur anderen zöge und nicht wieder gesund werde (mit der diagnose einer depression, anm. mo). Seine Frau mache ihm Vorwürfe wegen der zerstörten Ehe und schöbe ihm alle Schuld zu - auch habe sie ihn angeklagt, für ihre Krankheit verantwortlich zu sein.
Am Abend nach diesem Besuch sei es dann noch zu einer dramatischen Auseinandersetzung zwischem ihm und seinem Sohn (dem einzigen kind, mo) gekommen, einem Studenten, der seit Jahren erfolglos studiere, dreimal das Fach wechselte, zuviel Alkohol trinke und linken Gruppen angehöre.(...)"
der patient beschreibt in der folge verschiedene vorwürfe des sohnes, der auf sein erbe verzichte und ihn nie wieder sehen wolle, dazu den vater sowohl für die eigenen als auch die probleme der mutter verantwortlicht macht, insgesamt den väterlichen egoismus und die neigung, alle probleme mit geld lösen zu wollen, für die zerstörung der familie schuldig spricht. der patient sieht sein lebenswerk - eine fabrik - sinnlos geworden ohne erben, weint heftig und lange und bitte den therapeuten um hilfe.
die folgenden ereignisse verdienen es, ungekürzt zitiert zu werden:
"Am nächsten Morgen - er hat nachts mit Hilfe eines Beruhigungsmittels geschlafen - ist er gefaßter, die Beichtstimmung hält jedoch an: Nach dem Krieg habe er den Betrieb aus dem Nichts aufgebaut, wobei ihm seine Frau geholfen habe. Aus Andeutungen ist herauszuhören, daß er zu den Menschen gehört, die in jener Zeit alle Maschen im Netz der Gesetzgebung benutzt und ausgenützt haben, um ihr Ziel zu erreichen. Seine unreflektierte Maxime ist: Es gibt nichts, was nicht geht, nichts, was ich nicht erreichen kann.
Als er es endlich geschafft hat, wirtschaftlich `ganz oben´ zu sein, übertrug er diese Philosophie auf sein Privatleben. Er befriedigte nun seine Machtansprüche auch in der Familie, nahm sich das Privileg heraus, seine sexuellen Bedürfnisse außerhalb der Ehe zu befriedigen.
Der Patient kann nicht verstehen, warum seine Maxime in der Familie versagt, daß die Ausnutzung aller Chancen und Vorurteile auf Schwierigkeiten stößt. Er, der das unmöglich scheinende möglich gemacht hat, soll jetzt an der Bagatelle scheitern, daß seine Frau und sein Sohn nicht manipulierbar sind.
Zum nächsten vereinbarten Gespräch kommt der Patient nicht, sondern läßt durch sein Sekretariat telefonisch mitteilen, daß er geschäftlich ins Ausland mußte. Einige Zeit später meldet er sich wieder, braungebrannt, jugendlich straff und voller Vitalität"
kleiner einschub: therapeutisch arbeitende jeglicher coleur würden wahrscheinlich - ohne weiteres wissen von diesem mann - in dieser situation anhand der anscheinend real und objektiv vorhandenen arbeitsfähigkeit und realitätstüchtigkeit fragen, was er denn überhaupt wolle...es wird aber noch deutlich werden, das gerade diese beiden eigenschaften, die tatsächlich wesentliche "offizielle" kriterien sog. psychischer gesundheit bilden, in einem fall wie diesem völlig in die irre bzw. am wesentlichen vorbei führen.
"Auf der Messe in M. habe er eine 17jährige Hostess kennengelernt, und sich heftig verliebt. Jetzt sei er gerade dabei, ihr eine Wohnung einzurichten, aber in einer anderen Stadt, weil er in seiner Heimatstadt bereits für eine andere Freundin eine Wohnung unterhält. Seine Sorgen und das Niedergeschlagensein sind verflogen. Nun wünscht er, mit dem Analytiker über die Möglichkeiten einer Psychotherapie für seine depressiv erkrankte Frau zu sprechen.
Einen derartigen Wechsel zwischen Depression und rascher Erholung gab es schon oft in seinem Leben. Seine Art, Menschen zu behandeln, dokumentiert sich auch in seinen Betrieben: Er zieht Menschen heran, wenn er sie braucht und läßt sie fallen, wenn er sie nicht mehr braucht, fördert sie, wenn es ihm nützt, wirft sie hinaus, wenn sie ihn enttäuschen.
Einen Monat später meldet er sich bei dem Psychoanalytiker wieder, diesmal mit deutlich angstgeprägter Stimmung - aber nicht in Bezug auf das, worüber er zunächst berichtet: Gegen ihn sei ein Gerichtsprozeß im Gange. Er soll dazu verurteilt werden, eine Entgiftungsanlage für die giftigen Abfallprodukte seines Betriebes zu bauen, die bisher ungefiltert in einen Fluß abgeleitet wurden. Diese Anlage koste einige Millionen, ihn aber nur ein Lächeln, berichtet er. Seine Anwälte zögen das Verfahren nämlich in die Länge, so daß er, wenn der Prozeß verlorenginge - womit er rechne - , bis dahin die Kosten für die Entgiftung eingespart habe. Mit diesem Betrag ließe sich dann die Anlage finanzieren, ohne Betriebskapital angreifen zu müssen.
Sein Problem läge ganz woanders: Seine Frau und sein Sohn hätten sich zusammengetan, um - so glaube er - gegen ihn zu operieren. Sie hätten in derselben Stadt, in der die Familie seit mehr als 20 Jahren lebt, eine gemeinsame Wohnung bezogen. Damit seien die internen Familienkonflikte offenkundig geworden. Er habe gehört, daß beide schlecht über ihn sprächen und alte Freunde gegen ihn aufbringen.
Es mache ihm Angst, daß er dies nicht beeinflussen könne, daß Frau und Sohn sich einfach seiner Macht entziehen. Ein Gefühl von Ohnmacht breite sich bei ihm aus.
Bei der nächsten Sitzung - drei Monate später - erbittet er vom Analytiker ein Gutachten zur Vorlage bei Gericht. Seine Freundin - die Hostess, der er erst kürzlich die Wohnung eingerichtet hatte - habe ihn mit Tripper infiziert. In seiner Wut hat er sie daraufhin grün und blau geschlagen und aus der Wohnung geworfen. Sie prozessiert nun gegen ihn und verlangt eine sehr hohe Schmerzensgeldsumme. Entsprechend der Empfehlung seines Anwalts bitte er nun um ein Gutachten. Der so angesprochenen Psychotherapeut lehnt ab. Auch das Angebot eines größeren Geldbetrages - selbstverständlich ohne Quittung - erzielt nicht den vom Patienten gewünschten Effekt. Wütend verläßt er die Praxis.
Einige Zeit später bekommt der Psychotherapeut einen Brief seines Patienten, in dem dieser ihm mitteilt, der Prozeß sei zu seinen Gunsten ausgegangen. Der Brief schließt mit den Worten: `Ich hatte recht, alles ist käuflich, auch ein medizinischer Gutachter´."
soweit diese beschreibung eines realen "falles", die hesse/schrader wie folgt kommentieren:
"Der in der Fallskizze dargestellte Typus leidet nicht an seiner Neurose, weil er andere leiden läßt, indem er seine Neurose ausagiert anstatt zu erkranken."
damit beschreiben sie ein sehr wichtiges prinzip und eine fatale eigenschaft dessen, was ich als beziehungskrankheiten bezeichne. das wort "neurose" finde ich, wie schon gesagt, hier als ausdruck einer veralteten terminologie und symbol eines nicht genügend weitgehenden verständnisses der struktur dieses mannes unangemessen. aber das prinzip "ausagieren statt zu leiden" ist etwas, was sich u.a. als überlebenstechnik verstehen lässt - zumindest eine mögliche form. die nicht zwangsläufig bei einer beziehungskrankheit vorkommen muß, und dazu nach meinem eindruck unter anderem von sozialen einflüssen wie geschlechtsidentitäten und klassenzugehörigkeit abhängig ist. weiter im kommentar:
"Der von Cremerius beschriebene Patient hat Anteile verschiedener Persönlichkeitsstörungen: Es finden sich Züge einer passageren depressiven Verstimmung, vor allem aber deutlich ausgeprägte aggressiv-autoritäre und rücksichtslose Verhaltensweisen mit starkem Machtinstinkt und einer gehörigen Portion Narzißmus, aber auch Sexsucht, Umwelt-Wirtschaftskriminalität sowie paranoide Tendenzen."
die autoren arbeiten bei ihrer diagnostik noch mit dem damals aktuellen dsm-III-R, welche anscheinend weder borderline noch die antisoziale ps besonders thematisiert (dieses manual kenne ich nicht sehr gut). nach den dargestellten symptomen und auch ihrer schnellen "sprunghaftigkeit" zu urteilen, gäbe es wohl heute genug "professionelle", die in richtung dieser diagnosen urteilen würde. aber auch das wäre vermutlich nicht tatsächlich treffend. wie würden Sie die beziehungsfähigkeiten dieses mannes beurteilen, bzw.: was wird über seine tatsächliche "beziehungsgestaltung" deutlich? ich komme bei der zugegebenermaßen selektiven darstellung zu dem schluß, dass von menschlichen beziehungen, die diesen namen auch verdienen würden, weit und breit nichts zu sehen ist - selbst der analytiker bemerkt die vielfältigen manipulativen tendenzen, zieht aber aus der imo sehr offensichtlichen unfähigkeit dieses mannes zu nichthierarchischen beziehungen überhaupt nicht die möglichen schlüsse, die sich daraus ergeben. hier ist jemand am gange, der mit menschen - so wie es dargestellt wird und er auch selbst berichtet - nicht anders umgeht als mit irgendwelchen objekten, was sich besonders, aber nicht nur, an der skizzierung der verhältnisse zu den erwähnten verschiedenen frauen, aber auch zu seinen arbeitern, deutlich machen lässt. und daraus wiederum lässt sich auf eine bestimmte form der selbst- und weltwahrnehmung schliessen, die - was noch gezeigt werden wird - in einer quasi reinform im autistischen spektrum zu finden ist. die oben erwähnten verschiedenen symptome würden aktuell zur folge haben, dass - je nach therapeutischer schule und auch, wie schon erwähnt, nach aktueller symptomatik - ein und der gleiche mann eine ganze latte an diagnosen bekommen könnte (was in der psychiatrie sehr verbreitet ist, aber auch in der ambulanten psychotherapie imo nichts ungewöhnliches darstellt). dieses starren auf positive symptome aber verhindert z.b. in diesem fall die wahrnehmung dessen, was sich bei diesem mann als grundsätzlich vorhandene beziehungsunfähigkeit und empathielosigkeit wie ein strukturelles muster durch die ganze fallbeschreibung zieht. oder mit den worten von mertz:
"Der einzelne Patient wird klassifikatorisch zerstückelt, man verteilt die Gesamtperson im vertikalen Querschnitt auf beliebig viele klassifikatorische Schubladen und lässt ihn auf der horizontalen Zeitachse von einer Schublade in die andere fallen."
(J.E.Mertz, "Borderline...", S.178, siehe literaturliste)
genau dieses vorgehen wird in der vorgestellten geschichte zumindest von hesse und schrader praktiziert, wenn sie am ende aus den zu beobachtenden symptomen schließen, dass es eine ganze vielzahl von persönlichkeitsstörungen in unterschiedlichem ausmaß bei diesem mann gibt. und diese art des diagnostischen blicks stellt bis heute den mainstream in der psychiatrischen oder auch psychotherapeutischen fachwelt dar. aber das bedeutet noch lange nicht, dass dieser blick tatsächlich in der lage ist zu fassen, was real vorhanden ist!
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immer, wenn ich dieses fallbeispiel lese und mir klar mache, dass solch ein mann real existiert und dazu auch noch als vermutlich angesehenes mitglied der gesellschaftlichen "elite" unterwegs ist, wird mir jedenfalls ziemlich übel. erst recht, wenn sich jeden tag in x-beliebigen nachrichten verdammt ähnliche leute bei ihrem tun bzw. durch die konsequenzen ihres tuns wahrnehmen lassen.
es bleiben fragen: wieviele solcher leute sind unterwegs, wieviele sind in den hiesigen machtpositionen diverser art gelandet - und ist das, was dieser mann an eigenschaften präsentiert, die ihn zu einem wahren antisozialen musterbeispiel machen, womöglich eine vorbedingung oder nötige austattung an eigenschaften, in den bei uns vorhandenen gesellschaftlichen hierarchien überhaupt nach "oben" kommen zu können? das sind so fragen, bei denen mir ganz anders wird...
hesse und schrader beschliessen dieses kapitel mit der bemerkung:
"Jeder von uns hat Züge der genannten Persönlichkeitsstörungen, nur auf das mehr oder weniger kommt es eben an..."
(alle zitate aus: Hesse/Schrader, "Die Neurosen der Chefs", S. 159 - 162;
Piper TB, München 1996, ISBN 3-492-22229-3)
mal von der tatsache abgesehen, dass sie in ihrem buch die sich aufdrängenden implikationen aus dem thema nur am rande streifen, und stattdessen nicht mit ratschlägen für den individuellen umgang mit solchen leuten geizen, ist die obige bemerkung zwar auf den ersten blick einleuchtend - auf den zweiten jedoch wird darin ein menschenbild sichtbar, welches faktisch keinerlei qualitative, sondern nur quantitive unterschiede zwischen mir, Ihnen und dem dargestellten mann macht. und ich denke, es ist notwendig und berechtigt, sich dagegen grundsätzlich zu verwahren - ohne zu verdrängen, dass dabei tatsächlich ein realer kern enthalten sein wird - letztlich könnte sich selbst der ärgste soziopath niemals gegen den widerstand von vielen in irgendeiner machtposition halten, wenn er nicht mindestens toleriert werden würde - selbst von denen, die unter seinen handlungen leiden.
gleichzeitig macht das zitat auch unfreiwillig etwas über das grundsätzlich negative menschenbild der klassischen psychoanalyse deutlich - aber das ist eine andere baustelle.
monoma - 6. Sep, 12:54
Suchen Sie sich in einer größeren Abteilung eines Unternehmens/in einem Unternehmen den Mitarbeiter mit der geringsten sozialen Kompetenz, ernsthaften narzistischen Störungen und unkollegialsten Verhalten raus und Sie wissen, wer als nächster einen Posten mit Mitarbeiterführung angeboten bekommt. Insofern deckt sich das mit Ihrem Artikel und Ihren Befürchtungen. Ich denke, dass die von Ihnen oben beschrieben Eigenschaften tatsächlich eine der Vorraussetzungen ist in Machtpositionen vorzudringen. Das deckt sich auch mit der populären Kommentierung von Frauen in solchen Positionen. Bei den durchschnittlichen Erwartungshaltungen gegenüber dem "idealtypischen" Verhalten von Frauen, ist eine Frau, die diesen Voraussetzungen entspricht, vermutlich ein echter Schock.
dito
Zum Einen habe ich mir - leider auch auf Deine Empfehlung hin- dieses Buch besorgt- nachdem ich allerdings schon mannigfaltig tiefsinnigeres Material durchgearbeitet hatte- und fand es auch sehr oberflächlich und eben- für meine spezielle Situation gar kontraproduktiv:
ich soll mir überlegen, wie ich damit am besten umgehe? wie ich auf welchen meiner divers gearteten und persönlichkeitsstörungstechnisch gesehen unterschiedlich bestückten vorgesetzten am besten eingehe?
Und dann? wofür? um welchen Preis?
Nur um letztlich denjenigen eine Bestätigung ihres Verhaltens zu spiegeln, als daß sie es sicherlich und in jedem Fall auslegen werden und damit ich "in Ruhe" arbeiten kann?
Immer einen Schritt voraus?
Bedenklich, eigentlich, sehr bedenklich.
liebe Grüße an den Seelenretter, bibi
@somlu: