assoziation
ich bin immer noch innerlich sehr beschäftigt mit den neulich hier vorgestellten thesen von lloyd deMause und ihren möglichen konsequenzen in ganz verschiedenen richtungen. eine davon möchte ich im folgenden näher vorstellen.
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die idee eines bedingungslosen grundeinkommens oder „bürgergelds“ (wobei es für das letztere auch konzepte gibt, die nicht mit dem gedanken des ersteren gleichzusetzen sind), taucht immer mal wieder am rande des medialen mainstreams auf und wurde vor ein paar wochen von einer eher unerwarteten seite etwas breiter popularisiert: der chef der „dm“-drogeriemarktkette, götz werner, ein angehöriger der ökonomischen – und damit auch gesellschaftlichen – elite also, finanzierte auf eigene rechnung eine halbseitige anzeige in der “zeit“, um für das bedingungslose grundeinkommen zu werben. dazu betreibt er eine eigene homepage zum thema, auf der u.a. die sätze zu lesen sind:
"Deutschland geht es ausgezeichnet! Wir haben noch nie so viel Wohlstand produziert wie heute. Unsere Wirtschaft hat jedoch nicht die primäre Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern die Versorgung der Menschen mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen – und das möglichst wirtschaftlich, mit möglichst geringem Verbrauch von Ressourcen, also auch der äußerst knappen Ressource menschlicher Arbeits- und Lebenszeit!“
womit er etwas anspricht – die tatsächliche ökonomische lage im land, besonders die gewinne und profitraten für große unternehmen – was aus so einer ecke eh bereits ungewöhnlich ist und noch ungewöhnlicher wird durch seine in einem interessanten interview geäusserten ansichten zur schaffung von arbeitsplätzen (fetisch und mantra zugleich!), was nicht aufgabe eines unternehmers sei, und seine schon gar nicht. erfrischende wahrheiten also, die innerhalb der täglichen medienproduktion aus dreisten lügen, puren behauptungen und unverstellter manipulationsabsicht sofort wie ein emotionaler peak auffallen.
sicher sind seine motive dabei nicht von purem altruismus bestimmt, aber darum soll es jetzt nicht gehen. und ebensowenig ist es hier meine absicht, die ökonomische umsetzbarkeit eines solchen projektes zu diskutieren – die halte ich nach allem, was darüber bisher öffentlich bekannt ist, für gegeben (wen diese diskussionen näher interessieren, sei z.b. ans archiv grundeinkommen verwiesen.)
nein, nicht nur mir ist etwas anderes aufgefallen: in den debatten zu diesem thema kommt auffallend häufig und sehr schnell die rede auf den „egoismus“, die angebliche wolfsnatur des menschen sowie die ansicht, dass ohne einen materiellen zwang doch niemand mehr arbeiten würden wolle und alles zusammenbrechen würde.
ich halte diese ansichten für den ausdruck von ganz bestimmten mentalen oder, präziser formuliert, psychophysischen zuständen bei denjenigen, die sie äussern – das gilt natürlich auch für diejenigen mit konträren ansichten. in den diskussionen auf der oben verlinkten website von g. werner lässt sich meiner meinung die existenz unterschiedlicher psychoklassen im sinne von deMause – gruppen von menschen, die ähnliche kindheitserfahrungen gemacht haben und im extremfall durch gewalt diverser art mehr oder weniger determiniert/eng begrenzt sind in dem, was sie an neuem, „fremden“ und überhaupt lebendigen tolerieren können ohne gefahr für ihr inneres gleichgewicht – sehr deutlich beobachten und macht auch schlagartig die hinter derartigen, als angeblich rational-politisch angesehenen diskussionen stehende struktur klar. verschiedene diskussionsbeiträge können das deutlich machen:
„Das *bedingungslose Grundeinkommen*(BGE) geht aus von und orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen. An einer Welt der Genügsamkeit,des Genug-seins. Und schenkt Frauen wie Männern die Wahl,sich - angstfrei - zu fragen:
Was will ich wirklich, wirklich ? Mit meinem Leben. Anfangen! Den Ausgang zu suchen. Aus der Unmündigkeit.“
es ist dabei gerade die frage, ob das wirklich angstfrei geschehen kann – sehr gerafft komprimiert: bei bestimmten erlebnissen in der eigenen biographie kann die folge von ständiger und chronischer anspannung des zentralen nervensystems mit damit verbundener angst bis hin zu paranoiden zuständen auftreten. um diese angst in schach zu halten und derart ein, wenn auch fragiles, inneres gleichgewicht aufrechterhalten zu können, muss die jeweilige persönlichkeit eine gewisse rigidität und starrheit entwickeln, was unvermeidlich mit wahrnehmungsverengungen gekoppelt ist. und alles, was die ursprünglich angstauslösenden momente wieder aktualisieren könnte – bei kindern sind das z.b. eigene wachstums- und unabhängigkeitsimpulse, die von den eltern nicht toleriert werden (können) – wird innerhalb einer solche persönlichkeitsstruktur als bedrohung empfunden. und möglicherweise aktiv bekämpft werden. übersetzen Sie diesen prozess einmal auf die sog. politische ebene.
“Die psychologischen und mentalen Hürden bei vielen Menschen sind ungeheuer, kommt das ganze doch einem Systemumbruch gleich, gegen den die Wende in der DDR wie ein Spaziergang erscheint.“
korrekt. das haupthindernis ist hier deutlich ausgesprochen. ebenso wie im nächsten statement:
“Leider befürchte ich, dass auf dem Weg zum Grundeinkommen noch ein paar tiefsitzende (z.T. religiös fundamentierte) Konditionierungen zu überwinden sind, insbesondere: "Was?! Ich arbeite hart und die Faulenzer sollen auch noch Geld kriegen?" An die Kosten des ganzen Kontroll- und Überwachungsapparates, mit denen wir Menschen zur Arbeit "anreizen" wollen, denkt kaum wirklich jemand.“
der bezug auf religiöse „konditionierungen“ ist hier interessant. ebenso ist hier der offensichtliche ökonomische wahnsinn der heutigen verhältnisse angesprochen – unsere sog. rationale ökonomie ist bei näherer betrachtung, was ihre versteckten kosten und ihre tatsächliche uneffektivität anbelangt, alles andere als vernünftig.
ein evergreen jeder „rechten“ „politik“:
“Alle Hochkulturen, angefangen im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, haben sich nur als Reaktion auf Not, Herausforderung, Bedrohung entwickelt und nicht durch Nichtstun und Müßiggang.
Der Evolution liegt das gleiche Prinzip zugrunde: Kampf, Wettbewerb, Überleben.
Der Denkfehler von Herrn Werner liegt m.E. in der Annahme, dass die Menschen die frei sind von Arbeit und versorgt, im p o s i t i v e n Sinn Initiative entwickeln.“
„natürlicher“ kampf, auslese, überlebenmüssen führt automatisch zu einem „du musst“ in form von zwanghaftigkeit. abgesehen davon, dass in solchen a-sozialen vorstellungen bereits behauptungen über die menschliche geschichte und die menschlichen eigenschaften drinstecken, die höchst fragwürdig sind und möglicherweise eher durch die eigenen erfahrungen derjenigen erklärt werden können als durch als determiniert gedachte tatsächliche menschliche möglichkeiten und gegebenheiten – abgesehen davon also ist hier die vorstellung interessant, dass ein mensch ohne materiellen zwang sofort zu einem initiativlosen etwas werden würde. ein anderer kommentar darauf:
„Was mich immer wieder verblüfft, ist die Vorstellung,daß auf der faulen Haut liegen als ein begehrenswerter oder beneidenswerter Zustand angesehen wird.Ich kenne niemanden,der Nichtstun auf Dauer als befriedigend empfindet.“
das „nichtstun“ im sinne von purer faulheit kann eigentlich nur jemand als echte alternative empfinden, der/die noch nie die erfahrung von tatsächlich erfüllender arbeit – ohne zwang, leistungsstress, suchtcharakter und in eigener verantwortung – gemacht hat. die propagandisten der zwangs(lohn)arbeit im wortwörtlichen sinne scheinen hier ihre eigenen geheimen wünsche – nämlich selbst in der anderen unterstellten, halluzinierten art „faul“ sein zu dürfen – lediglich auf andere zu übertragen. erstaunlich immer wieder die spontanen vorstellungen vieler leute bei der frage, was sie mit einem unverhofften lottogewinn machen würden: nichtstun am strand, in der sonne aalend – was ja manchmal ganz nett sein kann, aber tatsächlich so ein leben dreißig, vierzig, fünfzig jahre lang? ganz schön stumpf. könnte es eher sein, das diejenigen, die derartiges von sich geben, niemals selbst einen entwicklungsstand erreicht haben, in dem sie „arbeit“ anders denn als inneren/äusseren zwang empfunden haben?
es geht auch anders:
“Ich arbeite gerne. Es spornt mich an mit anderen Menschen etwas zu schaffen. Es schreckt mich aber zunehmend ab mich "prostituieren" zu müssen. Ein Grundeinkommen würde Mut machen nicht alle korrupten und unsauberen Methoden der Auftraggeber und der Vorgesetzten mittragen zu müssen. Heute höre ich den folgenden Satz fast täglich :" Wenn Du es nicht machst, dann macht es eben ein anderer". Ein Grundeinkommen könnte die Unabhängigkeit und die Würde eines engagierten Mitarbeiters schützen und somit langfristig zu einem besseren Miteinander als zu grenzenloser Konkurrenz beitragen.“
und damit ist eher ein weiteres hindernis benannt. warum? weil es indizien dafür gibt, anzunehmen, dass unsere derzeitigen hierarchischen strukturen bestimmten persönlichkeitsstrukturen (bzw. –defekten) zu einem großen teil sowohl entspringen als auch eine bedürfniserfüllung für die betroffenen darstellen. anders: die realistische möglichkeit muss in betracht gezogen werden, dass ein großteil an heute existierenden gesellschaftlichen strukturen nicht tatsächlich ausdruck von rational-emotionalen, sondern irrational-emotionalen bedürfnissen darstellt. eine bühne zum idealen ausagieren eigener persönlichkeitsdefekte, wie es z.b. hier beschrieben wird. das legen die thesen von deMause, aber nicht nur von ihm, nahe. und das wäre weit jenseits aller „politik“, wie sie hier immer als „rational“ und „notwendig“ verkauft wird (notwendig höchstens in der wahrnehmung der gestörten protagonistInnen.)
das würde aber auch bedeuten, dass von dieser seite aus jeder tatsächlichen verbesserung der sozialen situation enormer widerstand entgegengesetzt werden würde – was ja auch regelmässig passiert. die „unsauberen methoden“, die korruption und die grenzenlose konkurrenz stellen keine beklagenswerten nebeneffekte dieses systems dar, nein, sie erfüllen direkt pathologische bedürfnisse bzw. stellen einen ausdruck dieser bedürfnisse dar.
“Leider hat sich in den Köpfen der Politiker, ob es nun Merkel, Clement Müntefering, oder Stoiber ist, manifestiert, dass den Armen( z.b Sozialschwache oder Arbeitslose) nicht nur kein Geld zusteht, sondern diese es verdienen unterzugehen. In Ihren Köpfen herrscht noch die Meinung: "Wer faul ist, verdient zu hungern" Wer arbeitslos ist, bekommt nur keine Arbeit weil er zu faul ist.
Deshalb auch der erneute Vorschlag, Hartz IV, weiter zu kürzen. Diesen Politikern sind die Armen ein Dorn im Auge, die es am besten verdienen würden, zu sterben.
Nun sollen diese ihnen auch noch, ein Bügergeld zukommen lassen. Unvorstellbar.“
dass die „parasiten“ es verdienen, unterzugehen, müssen wir wohl als realistische option in der psychophysischen struktur gerade unserer sog. „eliten“ annehmen. allerdings: wer wählt sich quer durch die vergangenheit bis heute diese eliten wieder und wieder und lässt dann stellvertretend die „bild“-zeitung endlose beschwerdelitaneien ablassen? wer duldet dieses treiben nicht nur, sondern nickt auch meistens beifällig zu klar antisozialen bis mörderischen „maßnahmen“ und sieht sich bei alldem noch als „realistisch“ und „nüchtern denkend“ an? wer klatscht dem gerede vom harten durchgreifen gegen die „schmarotzer“ beifall, ist unterwürfig-kriecherisch im angesicht angemaßter autorität und verächtlich-brutal bei vermeintlicher schwäche?
wilhelm reich hat einmal sinngemäß hinsichtlich der mehrheit der deutschen bevölkerung im nationalsozialismus gesagt, die deutschen wären keinesfalls verführt worden, sie hätten sich im gegenteil hitler und die nazis gewünscht. nicht aus „genetischen“ gründen, aber schon aus nachvollziehbaren ursachen heraus, die ich bei deMause hinsichtlich der nur noch in großen teilen als folter zu bezeichnenden art des umgangs mit den allermeisten deutschen kindern der vergangenheit heraus durchaus plausibel beschrieben finde.
im spruch „jedes volk bekommt die regierung, die es verdient“, steckt eine ganze menge wahrheit. aber anders, als gedacht.
ein weiterer kommentar stellt sehr interessante fragen:
“Macht es den Menschen aus, dass er als Anreiz "Zwangreiz" braucht? Nimmt uns ein Grundeinkommen einen notwendigen Anteil an Armen weg?
"... in einem freien Volke, wo die Sklaverei verboten ist, [besteht] der sicherste Reichtum in einer großen Menge schwer arbeitender Armer. Denn ... ohne sie [würde] es keinen Lebensgenuß geben, und kein Erzeugnis irgendeines Landes hätte mehr einen Wert. Um die Gesellschaft glücklich und die Leute selbst unter den niedrigsten Verhältnissen zufrieden zu machen, ist es notwendig, daß ein beträchtlicher Teil davon sowohl unwissend wie auch arm sei. Kenntnisse vergrößern und vervielfachen unsere Bedürfnisse, und je weniger Dinge ein Mensch begehrt, um so leichter kann er zufriedengestellt werden."
Bernard de Mandeville, 1714
Bildung, die uns über Arbeit nachdenken lässt, ist also mindestens genauso gefährlich, wie ein Grundeinkommen, das den "Anreiz" schwächt, an die Arbeit zu gehen. Ist das so?
Die Diskussion über ein Grundeinkommen ist schon deswegen wichtig, weil den Menschen dadurch ihre Menschenbilder klarer werden.“
was im letzten absatz steht, ist eine option. nicht mehr und nicht weniger, was keinesfalls heissen soll, sie nicht umsetzen zu versuchen. aber in diesem zitat von de mandeville (der name sagt mir nichts weiter), ist imo etwas beschrieben, was bis heute gültig ist: das bedürfnis eines mehr oder weniger großen teils einer bevölkerung nach hierarchien und zwang – „alle sollen gleich leiden“, so die rede von den einen, während ein anderer typ von defekt eher das bedürfnis produziert, selbst auf andere herunterzuschauen und sich als gnadenlos überlegen vorkommen zu dürfen.
und darüber genauer nachzudenken, ist tatsächlich eines der gefährlichsten dinge, die Sie unter den heutigen umständen überhaupt tun können. es kann Ihnen den boden unter den füßen wegziehen...stellen Sie sich vor, was wäre denn, wenn „der mensch“ gar nicht schlecht und böse wäre, sondern in zu vielen fällen schlecht und böse gemacht worden ist? oh graus, dann müssten leute wie der folgende kommentator ja gründlich beginnen, sich selbst besser kennenzulernen, am ende sich gar selbst – lieben lernen? und womöglich beginnen, die eigenen eltern zu kritisieren.
“Nach dem Niedergang des Kommunismus in seiner gelebten Form sollten wir uns als Menschen besser kennen! Schon allein der Egoismus *ich bin besser als Der* läßt ein solches Zusammenleben scheitern. Heute brauchen wir diesen Egoismus in unserem Wirtschaftsystem sogar.“
wer soetwas ernst meint und ernsthaft vertritt, muss sich, völlig unabhängig von den gründen für die entwicklung dieser einstellung, das attribut „antisozial“ gefallen lassen. und „denkfaul“ noch dazu, denn der „egoismus“ wird hier quasi wie ein naturphänomen hingenommen. was dann auch bedeuten würde, den schreiber selbst als egoistisch einzugruppieren – er steckt sich ja gleichfalls in diese schublade. so ähnlich wie der folgende, dessen kommentar ich mir für den schluß aufgehoben habe:
„Ich werde natürlich gewaltig Haue kriegen,von all den hochmögenden Damen und Herren,die sich äusserten oder Gedanken machen. Als Jesuitenzögling und gelernter Jurist,
der aber was ganz anderes macht,gerne macht,sage ich nur: diese Debatten sind gefährlich,weil sie Begehrlichkeiten weckt.Zu gross ist die Versuchung vieler,auf der faulen Haut liegen zu bleiben,Dank BGE.
Obwohl ich Katholik bin favorisiere ich eher in Sachen Lebensunterhalt den Calvinismus,oder meinetwegen die protetantische Arbeitsethik.“
einfach nur in kurzform: „die haue“ scheint als erwartung fest verankert zu sein, und das wird seine gründe haben, die allerdings sehr wahrscheinlich eher in den ganz persönlichen erfahrungen des kommentators liegen – kritik als „haue“ zu empfinden, ist bemerkenswert, allerdings recht verbreitet. dann: „gefährliche begehrlichkeiten“ und „versuchungen“ – wann, wo und von wem hat dieser mann gelernt, dass es gefährlich ist, eigenen begehrlichkeiten und fremden versuchungen nachzugeben? als „jesuitenzögling und gelernter jurist“ dann auch noch gleich in zwei institutionalisierten und organisierten produktionen (im sinne von abstrakten konstrukten, die sowohl religion als auch justiz bis heute primär darstellen) des objektivistischen bewusstseins involviert zu sein, macht das trostlose bild eines wahrhaft unfreien menschen, der seinen käfig allerdings für die einzige „freiheit“ halten muss, komplett. „unter zwängen sollst du leben“, könnte das (uneingestandene) motto solcher leute sein.
„alte psychoklassen aller länder, ihr habt nichts zu verlieren als eure ängste und wahnvorstellungen!“
in viel zu vielen fällen wird allerdings die gesamte existenz rund um diese ängste und wahngebilde herum organisiert (bzw. organisiert sich selbst). das wäre alleine für sich schon eine tragödie, hat allerdings bis heute für millionen wahrhaft tödliche folgen. und ist als womöglich primär gestaltendes element unserer sozialen verhältnisse schlicht völlig unakzeptabel.
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einen nachtrag habe ich noch, und zwar ein zitat aus der sog. politischen klasse zur idee des grundeinkommens, das einiges deutlich macht:
Peter Glotz, ehemaliger SPD-Bundesgeschäftsführer, formulierte es für die politischen Parteien so: "Keine Partei findet das gut. Denn an der Arbeit hängt auch die Macht der Parteien und Organisationen."
dem ist nichts hinzuzufügen. machtmenschen brauchen hierarchien, ängste und zwänge.
so lassen sich die im bereits neulich hier kurz vorgestellten buch "Das emotionale Leben der Nationen" des us-amerikanischen psychohistorikers lloyd deMause präsentierten thesen kurz und prägnant auf den punkt bringen. ich konnte es mir (auch mithilfe der ersten spende, vielen dank nocheinmal!) inzwischen anschaffen, habe es zum großteil gelesen und nun das dringende bedürfnis, es vorzustellen. der verlag wirbt auf der rückseite mit dem satz "wer sich auf dieses buch einlässt, wird die welt mit anderen augen lesen als zuvor", was für mich normalerweise einer dieser sätze ist, welche sofort eine gewisse skepsis auslösen - in diesem fall kann ich der aussage aber größtenteils zustimmen, und auch das wort "lesen" macht einen tieferen sinn: deMause schlägt nämlich vor - ober besser: fordert -, diejenigen sozialen strukturen/ereignisse, die wir uns angewöhnt haben, als "politik" oder "religion" zu bezeichnen, völlig anders zu begreifen bzw. endlich zu dechiffrieren: nämlich als re-inszenierungen, oder auch endlosschleifen der wiederaufführungen von eindeutig traumatischen prä-, peri-, und postnatalen kindheitserfahrungen. ich zitiere einfach mal einen längeren auszug aus dem vorwort, um das besser deutlich zu machen:
"Dieses Buch macht deutlich, dass die Ursachen von sozialer Gewalt und menschlichem Leid zu einem nicht geringen Teil in einem versteckten Holocaust an Kindern zu suchen sind, der sich quer durch die Geschichte zieht: Routinemäßig und zu Milliarden wurden menschliche Wesen von ihren Eltern oder von anderen Autoritätspersonen ermordet, gefesselt, ausgehungert, missbraucht, verstümmelt, geschlagen und gequält, sodass sie zu emotional verkrüppelten Erwachsenen heranwuchsen, zu rachsüchtigen Zeitbomben, die ihre frühen Traumata in Opferriten, die man Kriege nennt, periodisch wieder aufführen.
Einiges in diesem Buch wühlt auf und ist trotz der zahlreichen historischen, anthropologischen, klinischen und neurobiologischen Beweise, die ich anführe, schwer zu glauben. Gezeigt werden soll damit, warum die bisherige Geschichte eine Schlachtbank war; warum sozialen Veränderungen stets ein Wandel in der Kindererziehung vorausgeht; wo wir heute in der Evolution der menschlichen Natur stehen; und was wir tun können, um das Leben von Kindern zu verbessern und eine friedlichere, auf Vertrauen gegründete Welt schaffen. Das Buch will
- eine psychogene Geschichtstheorie zur Verfügung stellen, welche die Frage nach dem "Warum" beantwortet - eine Theorie der historischen Motivation als psychohistorische Alternative zu den soziogenen Theorien anderer Sozialwissenschaften.
- zeigen, dass die Evolution der Kindererziehung eine eigenständige Ursache historischer Veränderung ist, wobei zunehmend auf Liebe und Vertrauen begründete Eltern-Kind-Beziehungen einen zentralen Faktor für historischen Fortschritt darstellen, für die Herausbildung neuer Erscheinungsformen der menschlichen Natur, die ich als neue Psychoklassen bezeichne, und die ihrerseits die sozialen Institutionen verändern.
- darlegen, dass der historische Fortschritt weniger von politischen Veränderungen oder militärischen Eroberungen als von den alltäglichen Lebensumständen beeinflusst wird - vor allem von dem, was innovative Mütter und ihre verheißungsvollen Töchter leisten.
- darauf hinweisen, dass eine psychohistorische Betrachtung politisches, religiöses und soziales Verhalten als Wiederaufführung früher Traumata erkennen lässt, die im Gehirn in eigenen neuronalen Netzwerken abgespeichert sind.
- nahe legen, dass soziale Institutionen nicht nur zweckmäßig sind, sondern darüber hinaus den Ansatz zu einem kollektiven Umgang mit emotionalen Problemen bilden, die auf Ängste im Zusammenhang mit unserer Suche nach Liebe zurückzuführen sind.
- erklären, wie eine neues psychohistorisches Werkzeug - die Fantasie-Analyse - bei der schwierigen Dekodierung unserer kollektiven Emotionen und historischen Gruppenfantasien helfen kann
- zeigen, dass Gruppen sowohl aus Rache für erlittene Kindheitstraumata als auch um sich von Gefühlen der eigenen Sündhaftigkeit zu befreien, in den Krieg ziehen - in der Hoffnung auf Reinigung und Wiedergeburt durch die Opferung dessen, was den "schlechten" Teil ihres Selbst repräsentiert.
- darlegen, dass Kriege und Rezessionen periodisch wiederkehrende manisch-depressive Gruppenpsychosen sind, die einer emotionalen Wachstumspanik entspringen.
- Antwort darauf geben, warum Empathie für Kinder sich historisch gesehen spät und ungleichzeitig durchgesetzt hat und aufzeigen, wie die Welt sich in einem Wettrennen zwischen der sich langsam verbessernden Kindererziehung und einer sich rapid entwickelnden destruktiven Technologie befindet
- eine neue Hoffnung für die Menscheitsgeschichte sichtbar machen, einen Weg, den Gesellschaften gehen könnten, indem sie Eltern helfen, ihren Kindern liebevoller zu begegnen, damit der Gewalt gegen Kinder ein Ende gesetzt wird - und damit letztendlich auch Kriegen und sozialer Gewalt. (...)
(lloyd deMause, "das emotionale leben der nationen", drava, klagenfurt 2005; s.6/7; isbn 3-85435-454-1)
der begriff "milliarden" zu beginn ist keine übertreibung vor dem hintergrund der schätzung, dass es in der menschlichen geschichte bis heute etwa 80 milliarden (!) geburten gegeben haben soll, wobei die weitaus meisten dieser babys aber nur tage oder stunden überlebt haben - und zwar größtenteils aufgrund von aktivem oder passiven (durch schlichte extremvernachlässigung) mord.
das buch ist insgesamt, gerade durch die fundierte material- und belegfülle bzw. die art dieser belege, extrem verstörend ("aufwühlend" ist eine untertreibung) - ich habe nun bestimmt schon viel gräßliches zeug aus der menschlichen historie in worten und bildern beschrieben gesehen (und bei mir und anderen die unterschiedlichen folgen erlebt) - aber das, was hier beschrieben wird, hat mich beim lesen immer wieder zu pausen veranlasst und der frage, ob ich mir jetzt lieben die decke über den kopf ziehe, oder doch lieber vor wut an die decke gehen soll. extreme hard stuff, und schwer triggernd! das meiste ist dabei imo vom reinen wissen her noch nicht mal so neu, aber bis heute offensichtlich lediglich im bewußtsein von spezialistInnen auf dem gebiet der historischen kindererziehung und -behandlung präsent. und es wird höchste zeit, dass sich das ändert! auch, wenn das für die meisten mitmenschen ebenfalls schwer verstörend sein wird - und etliche es ebenfalls "schwer zu glauben" finden werden. wobei gerade diese reaktion bereits zum thema gehört...
ebenfalls ist zu wünschen, dass sich auch die bisher hier im blog nur angedeuteten erkenntnisse über das pränatale menschliche leben rasch herumsprechen - deMause präsentiert da eine imo sehr gelungene und kompakte zusammenfassung dieses wissens, auf die ich zukünftig auch zurückgreifen werde (im netz war bis zu jahresbeginn eine pdf-datei aus österreich zum thema vorhanden, die aber leider nicht mehr auffindbar ist).
anhand der oben zitierten zehn punkte möchte ich kurz meinen sonstigen eindruck und auch kritik loswerden:
1. der anspruch ist unbescheiden, und ich bin gespannt auf reaktionen gerade aus den benannten "anderen sozialwissenschaften". ich selbst finde den psychohistorischen zugang inspirierend, gerade weil er einen plausiblen sinn bzw. eine innere - und nachvollziehbare! - logik besonders hinter schwer destruktiven ereignissen erkennen lässt, bei denen die erklärungsansätze anderer wissenschaftsbereiche entweder unbefriedigend ("es sind die gene" oder wahlweise "die menschliche natur") oder schlicht nicht vorhanden sind. ergänzend macht dieser ansatz auf jeden fall sinn - ob es mehr sein wird, wird die zukunft zeigen müssen. speziell problematisch finde ich - trotz der durch seine arbeit entstandenen distanz, die er selbst thematisiert - den bezug von deMause auf verschiedene psychoanalytische ansätze. dazu mehr unten.
2. das gelingt ihm recht überzeugend, wie ich finde. und diese these ist für sich sehr interessant.
3. etwas unvollständig, zumal gerade die genannten faktoren ständig neue traumata in epidemischen dimensionen produzieren, und gerade dadurch das alltägliche leben wiederum negativ beeinflussen. dann aber: die mütter und ihre töchter. gerade für mütter wird dieses buch an vielen stellen unerträglich sein, kann ich mir vorstellen - einmal durch die schiere wucht der destruktivität, die hier dokumentiert wird; zum anderen aber gerade dadurch, dass deMause soetwas wie eine täterin-opfer-dialektik gerade bei müttern sichtbar werden lässt. hier hilft es nur, sich klarzumachen, dass es nicht um "schuld"zuweisungen oder moralische verurteilungen gehen kann (die sind selbst nach meinem eindruck bereits ein teil der erwähnten re-inszenierungen), sondern mütter sollten sich eher über die enorme macht klarwerden, die ihnen ihre position gibt. für sog. "maskulinistische" männer gibt es keinerlei gründe, sich die hände zu reiben - mütter UND väter sind in unterschiedlichem ausmaß an dem desaster beteiligt, und frauen und männer allgemein in dieser dynamik zu einem destruktiven knäuel verwoben. jeder täter war einmal opfer!, das gilt selbst für die so called echten psychopathen, bei denen ihre verheerende entwicklungsvariante sehr wahrscheinlich bereits pränatal vorherbestimmt wurde. indirekt aber wiederum auch durch die lebensbedingungen ihrer mütter, die wiederum...die endlosspirale des grauens.
4. ein kräftiges "ja"! hieraus lassen sich auch notwendige ansätze eines realistischen und tatsächlich diesen namen verdienenden politisch-emanzipatorischen programms entwickeln, welches die auflösung der ursachen und folgen der vorhandenen und belegbaren epidemischen traumastörungen auf allen kontinenten als beseitigung des absoluten hindernisses nr.1 für jeglichen sozialen fortschritt zu betrachten hat. ohne verständnis der dynamik von traumatischen strukturen ist bspw. der ewige israelisch-palästinensiche konflikt nicht einmal ansatzweise zu verstehen, geschweige denn zu lösen! und das gilt für die allermeisten derjenigen krisen und konflikte, die Sie heute abend in der tagesschau oder morgen in Ihrer zeitung vorgeführt bekommen. und das bisherige wissen über die neurobiologischen prozesse bei zwischenmenschlicher gewalt jedweder art zwingt auch auch dazu, sich z.b zu fragen, auf was für einem menschenbild eigentlich die institution justiz aufbaut - die begriffe "freier wille", "verantwortlichkeit" und "determinierung" werden über kurz oder lang neu definiert werden m ü s s e n, so meine prognose. warum? weil unter dem terror des traumas solche konstrukte erstens absolut keinen sinn machen - dissoziative trancezustände in massendimensionen (die zb. gerade bei den unruhen in frankreich eine hauptrolle spielen) sowie zwanghafte und suchtartige handlungen aller art relativieren jedwedes konstrukt von "verantwortlichkeit" und "freier entscheidung" auf das nachdrücklichste -, sondern selbst als abwehrkonstruktionen gerade des bereiches im menschen zu sehen sind, der sich bei nicht mehr anders zu verarbeitender überwältigender bedrohung selbst aktiviert: das objektiv(istisch)e bewußtsein, welches die "heimat" aller geistigen konstruktionen bildet - und eben auch die "verantwortlichkeit", unabhängig von jedem gegebenen materiellen (neuropsychologischen) zustand, kreiert hat. diese art von "verantwortlich-sein-fühlen-müssen" jedoch ist nichts weiter als ein knüppel, und produziert unter traumabedingungen bestenfalls letztlich nur erzwungene simulationen von verantwortlichkeit, ohne das die betroffenen tatsächlich etwas derartiges spüren würden - "als-ob". dahinter steckt u.a. auch eine fiktion von autonomie, gerade im "bürgerlichen" bewusstsein, welches sich auf diese art auch um die erkenntnis der eigenen realen determiniertheit und der vielfältigen abhängigkeiten herum"lügen" kann.
5. ja. institutionen sind von multidimensionaler funktionalität, und erfüllen gerade für die emotionalen bedürfnisse ihrer angehörigen wichtige zwecke. schwierig wird´s mit der postulierten allgemeingültigen suche nach liebe - möglicherweise existieren unter uns zunehmend mutationen, bei denen ihre gene und die neuronalen netzwerke dafür gesorgt haben, dass die jahrtausendealte erfolglose und lebensgefährliche suche nach liebe aufgegeben wurde zugunsten eines ganz neuen existenzmodus, bei dem das subjekt (oder, in diesem fall, besser objekt!) anscheinend (!) nicht mehr auf soziale beziehungen jeder art angewiesen ist - ein name für eine derartige mutation könnte autismus lauten.
6. das macht sein buch "reagans amerika" besser klar, wie ich finde.
7. hier wird einiges über den begriff des opfer deutlich, gerade im religiösen kontext, was ich sehr aufschlussreich finde.kriege sind für deMause generell als opferrituale zu verstehen, die ihre wurzel allerdings im religiösen haben. und dazu laufen seine thesen darauf hinaus, dass jede (!) religion auf dissoziativen zuständen mitsamt den diese zustände begleitenden "alter egos" - ausdruck hochorganisierter neuronaler sub-netzwerke, wie sie bspw. auch bei multiplen persönlichkeiten eine rolle spielen - basiert, also einen verarbeitungsversuch traumatischer erlebnisse, darstellt. bin sehr gespannt, was der olle papst dazu sagen wird.... (das belegmaterial dazu von deMause stammt aus allen kontinenten und allen möglichen kulturellen phasen, und umfasst sog. naturreligionen ebenso wie die "großen" weltreligionen).
8. der punkt mit den tatsächlich recht sonderbaren periodischen ökonomischen rezessionen innerhalb "entwickelter" gesellschaften dürfte nicht nur für bwl´er interessant sein. er klärt auch darüber auf, warum trotz allgemeinen reichtums einer gesellschaft ungerechte verteilung und die existenz von armen und reichen ein zwingendes kollektives bedürfnis darstellen könnten, und soziale rasiermesser alá "hartz IV" ebenso als opferwerkzeuge begriffen werden können wie ein krieg.
9. "ungleichzeitig" ist ein gutes stichwort - habe mir heute seit langem mal wieder ein boulevard-blättchen, und zwar die hamburger morgenpost gekauft - wegen der folgenden schlagzeilen: Senatorin rechtfertigt sich, und Ließen sie ihr Kind krepieren?
erinnern Sie sich...? ein regelrechter schock nach der lektüre von deMause war für mich die erkenntnis, dass derartig abgrundtief-gefühllose, sinnlos-brutale und bösartig-niederträchtige behandlung von kindern alleine wegen ihrer bloßen - störenden - existenz über jahrtausende den normalfall in fast allen menschlichen kulturen dargestellt hat. das war mir so nicht klar, und ich finde diesen brocken immer noch unverdaulich. was in den hier im blog bisher dokumentierten geschichten von kindermorden und -misshandlungen sichtbar wird, war bis vor ein paar jahrzehnten mainstream im umgang mit kindern, besonders in deutschland! auch und gerade in solchen extremen formen, wie sie heute - was ein ausdruck von echtem sozialen fortschritt ist - bei vielen menschen entsetzen hervorrufen. und trotzdem existieren die verschiedenen historischen modi von kinderbehandlung in einer gesellschaft gleichzeitig fort - wie finden Sie diese vorstellung? und wundern Sie sich vor diesem hintergrund noch wirklich darüber, warum ein ganz offensichtlich schwer soziopathischer mann wie hitler in diesem land an die macht kommen konnte? ein land, in dem kinder immer noch nach den vorstellungen einer nicht geringen zahl von leuten alles andere als kinder sein dürfen/sollen? aus kindern werden erwachsene, die nichts wirklich vergessen. punkt.
10. ach, wie gerne würde ich die hoffnung teilen können...alleine: es gibt da eine sache, oben schon angesprochen, namens autismus. und hier komme ich auch auf einen anderen punkt von oben zurück: mein hauptkritikpunkt - bisher - ist der imo von deMause unreflektierte bezug auf psychoanalytische ansätze bei seinen interpretationen. der bereits oft erwähnte j.e. mertz hat in seinem buch eine begründete schwere kritik an der psychoanalyse als ganzes geübt, die u.a. deren ignoranz gegenüber "als-ob"- und anderen simulationsphänomenen thematisiert. bei deMause kommt diese ignoranz dann zum vorschein, wenn er zwar dauernd die offensichtliche empathie- und allgemeine gefühllosigkeit bei den erwachsenen erzieherInnen korrekt wahrnimmt und beschreibt, aber dennoch äusserungen wie "erst schläge, dann liebe" oder auch "wer sein kind liebhat, der züchtigt es" unkommentiert hinnimmt - und es damit unterlässt, auf die unmöglichkeit des vorhandenseins von liebe vor dem hintergrund realer brutalität hinzuweisen. von liebe kann in den dargestellten szenarien absolut keine rede sein. er thematisiert stattdessen die mögliche angst vor liebe, was ein alternativer ansatz sein kann. aber nicht die sehr ungute möglichkeit, dass es sich zumindest bei einem teil der dargestellten erwachsenen um funktionell oder strukturell autistische personen handeln könnte, die aufgrund ihrer eigenen gewalterlebnisse (auch die von mertz als hypothese eingeführte "pränatale umprogrammierung" wäre als eine sehr spezifische art von gewalt aufzufassen!) in dem sinne quasi-mutiert sind, wie ich es unter punkt 5 kurz umrissen habe. der heutige wissensstand um genetik und neurobiologie, von ihm gut in teilen wiedergegeben, gibt für die möglichkeit einer solchen entwicklung durchaus material her, wie ich finde - und alleine eine solche verheerende perspektive als möglichkeit unserer kollektiven entwicklung müsste allgemeinen alarm auslösen!
soweit für den moment - lesenswert ist dieses buch auf alle fälle, und mich würden andere meinungen hier sehr interessieren.
in einer dieser typischen kostenlosen sonntagszeitungen, von denen sich in bremen eine "weser-report" nennt und sowohl als cdu-nah gilt als auch diese annahme immer wieder durch entsprechende redaktionelle beiträge bestätigt, fand sich am wochenende diese schlagzeile auf seite 1 als aufmacher: "Aus Kindern Patrioten machen". mal ganz davon abgesehen, dass derlei so ziemlich im gesamten nationalistischen bis offen nationalsozialistischen spektrum auf beifall stoßen wird - in meiner vorstellung zumindest wäre es aus allen denkbaren emotional-rationalen gründen zu allererst angebracht, kindern jede mögliche unterstützung hin zur entwicklung als liebes- und beziehungsfähige, selbstbewußte und wahrnehmungsfähige menschen zu geben, wovon ein teil eben auch in der sicherheit der materiellen existenzgrundlagen liegt. nun stellt sich nicht nur die cdu, aber sie auch ideologisch und praktisch am deutlichsten in eine jahrhundertealte unsägliche tradition der weitergabe von defekten und wahnsinn der jeweiligen aktuell bestimmenden teile der verkorksten "erwachsenen"-generationen an die eigenen kinder. und aus gründen, über die eher die psychohistorie und psychotraumatologie aufschluß geben können als politikwissenschaft und soziologie, (emp-)finden die anhängerInnen dieser tradition das auch meistens noch als völlig richtig und in ordnung so (die streitbarsten und am schwersten verdaulichen thesen des in anderen beiträgen weiter unten vorgestellten lloyd deMause laufen daraus hinaus, dass es bisher in den meisten - nicht allen! - menschlichen kulturen regelmäßige opferrituale mit offen oder versteckt vorhandenen religiösen bezügen gibt, in denen die älteren - was schlicht bedeutet, mit mehr gewalt aufgewachsenen - psychoklassen regelmäßig in offenen kriegen oder eben versteckt durch finanzielle austrocknung und nachfolgende todesfälle durch schlichte allgemeine verelendung/mangelversorgung den eigenen nachwuchs opfern, und zwar aus mehreren motiven: einmal, um damit die eigenen demütigungen und schmerzen in einem akt der rache an menschen in einem ebenso weitgehend hilflosen status zu exekutieren, wie die täterInnen ihn einmal selbst erfahren haben [und sich für diese hilflosigkeit selbst verachten; eine verachtung, die später auf ihre opfer übertragen wird]. und zum anderen, und unmittelbar damit zusammenhängend, erspart ihnen diese re-inszenierung die auseinandersetzung mit den eigenen autoritären tyrannen, die sie mittels der opferungen gnädig zu stimmen hoffen, immer noch und immer wieder - "schaut her, wir sind gehorsame kinder und werden nicht von euren wegen abweichen" - die eigene unterwerfung wird gleichzeitig im innen wiederholt , aber auch im außen an anderen praktiziert, mit dem unmittelbaren psychophysischen doppelten gewinn einer art befreiung von eigener scham [danke an somlu für ihre gedanken dazu] und schmach bei halluzinierter anerkennung durch die diktatoren in der eigenen biographie [eine erhoffte anerkennung und akzeptanz für das pure eigene sein, die real nie bis zu selten stattgefunden hat und immer an leistung und unterwerfung geknüpft gewesen ist]. das ist vielleicht einer der wichtigsten faktoren, der dafür disponierte personen so empfänglich für machthierarchien und ihre aufstiegsmöglichkeiten werden lässt - der "normalbürger" hat in dieser hierarchie lediglich das engste umfeld - partnerInnen und kinder - zur verfügung, kann im beruf aber noch einiges an möglichkeiten der tyrannei dazugewinnen - erinnern Sie sich...? oder auch durch abreaktion an entsprechend von den "autoritäten" vorgegebenen feindbildern, seien es nun "asylanten / wirtschaftsflüchtlinge" oder "parasiten" .)
ich persönlich empfinde die thesen von deMause als weitgehend einleuchtend und ergänzend-vervollständigend zu den erkenntnissen von anderen hier vorgestellten autoren wie gruen,mertz und theweleit, auch wenn es, bedingt durch zeitliche abstände hinsichtlich des wissenstands und unterschiedliche schwerpunkte natürlich widersprüche und reibungspunkre gibt - aber im zusammenhang ergeben sich doch schon recht deutliche tendenzen, die leider weder beruhigend noch hoffnungsfroh wirken können. klaus theweleit hat in seinen männerphantasien einmal sinngemäß geschrieben, es habe in deutschland mindestens bis 1945 ein paar generationen von (jungen) männern (für frauen gilt im prinzip das gleiche, nur sind ihre destruktiven strukturen durch u.a. andere rollenzuweisungen eher widersprüchlich-verschleierter) gegeben, die lieber eher sich selbst und halb europa in die luft gesprengt hätten, als auch nur einmal ihren verschiedenen tyrannischen erziehern (nicht nur, aber auch den eltern) widerstand entgegenzusetzen - und damit eine grundvoraussetzung der entwicklung zu einer tatsächlich erwachsenen (im sinne von reifen) persönlichkeit zu er-leben. sie fanden ihr morden und plündern sogar richtiger und weniger bedrohlich (für sie selbst) als eben diese option des widerstands. damit umschreibt er ziemlich genau das, was ich im obigen absatz "doppelten psychophysischen gewinn" genannt habe. und er beschreibt die harte faschistische kerngruppe dieser männer als quasiautistisch, und nicht nur als metapher: sie waren selbstlos im schlechtesten sinne und haben ihre surrogatidentitäten einerseits auf unmittelbar körperlicher ebene durch prügel und drill (in d-land bis mindestens 1945 allgemein gültige und akzeptierte "erziehungsmittel"), andererseits ergänzend im eher "geistigen" bereich besonders durch den nationalismus ("nationen" sind rein fiktionale konstrukte des objektiven bewußtseins, die sekundär allerdings stark emotional besetzt werden können) bekommen - ein sehr merkwürdiges "ich", welches lediglich durch äußere autoritäten zusammengehalten wurde und stark zum fragmentieren incl. dissoziativer phasen sowie paranoia neigte, aber eben im gegensatz zum "offenen" autisten "realitätstüchtig" war, wenn auch eigentlich nur innerhalb zwanghaft hierachischer strukturen, besonders dem militär (die "volksgemeinschaft" mit ihrer strikten hierarchie vom "führer" bis hin zum blockwart spiegelte diese militärische hierachie 1:1 wieder). heute sind diese drill- und prügelmaßnahmen zwar nicht mehr im gesellschaftlichen mainstream vorhanden, werden aber besonders gegenüber frauen und kindern immer noch individuell eingesetzt und prägen auch mittels tradierung weiterhin einen teil unseres sozialen lebens. der nationalismus als "offizielles" angebot der herrschenden "autoritäten" zur bildung von surrogatidentitäten ist hingegen nachwievor im programm, wie die anfangs erwähnte schlagzeile deutlich macht (und die pseudodifferenzierungen zwischen dem nationalismus light - "patriotismus" - und dem offenen nationalismus von ganz rechts sind nicht das papier wert, auf dem sie immer wieder zum besten gegeben werden).
zum erwähnten aspekt der (selbst-)verachtung und unterwerfung findet sich bei arno gruen einiges, während j.e. mertz sich grundsätzliche gedanken zur dahinterliegenden struktur sowie besonders zum aspekt der rache macht. und auch die frage aufwirft, was eigentlich passieren kann (im mittelteil) , wenn bereits pränatal besonders schwangere frauen ihren künftigen kindern nur innerhalb einer oben-unten-hierachie (einer machtstruktur) und mit existenzieller ablehnung und paranoia begegnen können.
was das jetzt alles mit dem anfangs erwähnten artikel zu tun hat?
das wird dieser artikel (und ein redaktioneller kommentar dazu) selbst beantworten (alle folgenden zitate aus dem "weser-report" vom 23.10.05, s. 1/2):
"Die Patriotismus-Debatte ist neu entfacht und wird voraussichtlich noch im Winter die Bremer Bürgerschaft erfassen. So wünscht es sich Claas Rohmeyer, bildungspolitischer Sprecher der CDU, der einen entsprechenden Antrag vorbereitet. Er will Nationalstolz wecken, indem Erst- bis Viertklässler das Lied der Deutschen lernen: `So kann man einerseits Nazis das Wasser abgraben und andererseits die Integration fördern´, begründet er."
erstmal: machen Sie sich klar, dass diese "debatte" keine regionale, sondern eine bundesweite angelegenheit ("du bist deutschland") darstellt und sehr deutlich aus richtung unserer sog. "eliten" initiiert wird. zweitens: machen Sie sich den zeitpunkt klar - gleichzeitig mit identitätskonstruktionen von per "sozialromantik-" und "parasiten"-vorwürfen auszuschließenden. drittens aber: was bedeutet es in diesem kontext, mit dem "wecken von nationalstolz" den "nazis das wasser abzugraben"?
diese vorstellung, das singen sog. "nationalhymnen" oder auch das unbeschwerte daherschwätzen des satzes "ich bin stolz, deutscher zu sein" (ein satz, der noch in den 1980er jahren lediglich auf propagandamaterialien bspw. der "deutschen volksunion" auftauchte und schon damals alleine den inhalt hatte, "stolz" auf eine eingebildete - konstruiertes surrogat - "identität" zu sein, die sich vor allem per abgrenzung und ausschluß konstruiert), würde gegen nationalsozialistische tendenzen quasi "immun" machen, ist eine der beliebtesten wahnvorstellungen sog. demokratischer rechter. und wahnvorstellung deshalb, weil Sie ebensogut einen alkoholiker damit zu kurieren versuchen könnten, indem Sie ihm den ganz harten sprit auszureden versuchen, und stattdessen bier und wein empfehlen - auf diesem niveau bewegt sich dieser unsinn. vielleicht hatte herr rohmeyer aber auch nur wahlstimmen im sinn - so lässt sich das nämlich auch deuten. völlig rätselhaft wird es dann, wenn es "die integration fördern" heißt - auf wen bezieht sich dieser satz? auf kinder von flüchtlingen und migrantInnen, die hier zur schule gehen und teils hals über kopf aus dem land deportiert werden (immerhin könnten sie während ihrer abschiebung dann die hymne singen)? und die dem alltagsrassismus genau derjenigen ausgesetzt sind, die das geschwätz von "nationaler identität" aufgrund ihrer eigenen defekten psychophysischen struktur für bare münze nehmen und sich ihre selbstverachtung und minderwertigkeitsgefühle darüber erträglich machen, dass sie sich mit autoritärer billigung als etwas "besseres" halluzinieren? wer soll hier wohin "integriert" werden?
"Ausgangspunkt der Debatte ist Sachsen. Dort werden die Christdemokraten auf ihrem Landesparteitag im November über einen zehnseitigen Leitantrag mit dem Titel `Deutscher Patriotismus in Europa´abstimmen. Ist die Mehrheit der Delegierten dafür, wird das Lied in den Lehrplan aufgenommen."
sachsen, sachsen...da war doch was bei den letzten wahlen? die "auseinandersetzung" der cdu mit den nazis der npd sieht also offensichtlich so aus, das mittels singen der nationalhymne den "nazis das wasser abgegraben" werden soll. wäre das nicht gleichzeitig so derart dumm, gefährlich, ignorant und auch bezeichnend, wäre das höchstens ein anlaß für lautes gelächter.
aber weiter:
"In dem Papier steht weiter: `Das Singen der Hymne muss eine Selbstverständlichkeit bei öffentlichen Veranstaltungen werden, dient der Identifikation der Bürger mit ihrem Gemeinwesen (das ist, schön klar und deutlich gesagt, auch der sinn dahinter - ein konstrukt wird mit "inhalt" gefüllt; anmerk. mo) und wird von jedem Politiker als Bekenntnis zu unserem demokratischen Staat erwartet."
was soll hier "selbstverständlichkeit bei öffentlichen veranstaltungen" bedeuten? bei großen sportevents z.b. und bei staatlichen veranstaltungen ist das gesinge ja eh schon obligatorisch - mich würde sehr interessieren, wie das von der cdu definiert wird.
der artikel geht dann weiter mit stellungnahmen von spd- und grünenpolitikerInnen, die ihre bekannte "ja schon, aber..."-schiene fahren: so befürwortet die befragte grüne zwar die inhaltliche auseinandersetzung mit der hymne (ich würde gerne wissen, ob sie das singen selbst schon als "inhaltliche auseiandersetzung" betrachtet), aber, zitat, "...nicht unter Zwang."
"Das sieht selbst der als Hardliner bekannte CDU-Innenpolitiker Rolf Herderhorst so. `Grundsätzlich ist es nicht falsch, wenn Deutsche zu ihrem Land stehen. Dazu gehört auch die Nationalhymne. Unter Zwang wäre das aber nicht richtig´, sagt er."
heisst also, dass selbst ein cdu-hardliner den geplanten vorstoß aus der eigenen partei als zwangsmaßnahme ansieht - wie wäre dann die umsetzung an den schulen? wird der text gegen noten abgefragt? wird eine falsche intonation als verfassungsfeindlicher akt gewertet und in der folge die eltern heranzitiert? schauen Sie sich nur mal das beispiel für "patriotismus" in den usa an.
"Claas Rohmeyer, der im vergangenen Jahr schon die ständige schwarz-rot-goldene Beflaggung von Schulen gefordert hatte, bekräftigt zum Vorstoß der Sachsen-CDU: `Der Ansatz ist richtig.´"
das findet dann auch ein kommentator namens gunnar meister, der auf seite 2 schreibt:
"Was wären die Dänen ohne ihre Nationalflagge am hauseigenen Mast? Oder die Franzosen ohne ihren Hochmut, auch im entlegendsten Winkel der Welt ausschließlich Französisch zu sprechen? Unsere Nachbarn haben Profil, das Deutsche auch entwickeln sollten, finden CDU-Politiker. Ihr Vorstoß ist passend, schwappt doch die Patriotismus-Welle schon seit Wochen durch die Republik."
erstens: wenn meine nachbarn irgendwelchen quatsch machen, ist es eher ein beleg der eigenen urteilsfähigkeit und intelligenz, eben nicht jeden unsinn (der auch in dänemark oder frankreich unsinn bleibt) mitzumachen. zweitens: das bewundernd-genervte versteckte bashing des franzmanns´ ("hochmut") sagt einiges über die möglichen wünsche des schreibenden aus - selbst mal wieder drauf spucken zu können, was die anderen von einem halten (und ich halte das, was ich von der sprachlichen selbstisolation frankreichs auch in europa mitbekomme, eher für mitleiderregend - ein versuch der abschottung, der weder sinn macht noch unterstützung verdient, und französische teilnehmerInnen bspw. im wissenschaftsbereich von internationalen diskussionen sehr häufig abschneidet. nicht, das ich die englische sprache unbedingt sympathischer finde würde - aber solange es noch kein breites bedürfnis nach einer sprache wie bspw. esperanto gibt, die niemanden bevorzugen oder benachteiligen würde, macht die pure verbreitung das englische nun mal zur derzeitigen weltsprache.)
drittens aber wird aus einer medial und elitär inszenierten kampagne sowie dem zitierten leitantrag eines cdu-landesverbandes ruck-zuck gleich mal eine welle, die "durch das land schwappt" - haben Sie auch schon nasse füße? und viertens unterschlägt der kommentator in seiner amnesie, dass das "deutsche profil" untrennbar mit einem kleinen örtchen im heutigen polen verbunden ist: oswiecim.
"Beispielhaft dafür ist die Fernseh-Kampagne `Wir sind Deutschland´. Prominente wie Fernseh-Moderator Günther Jauch oder Nationaltorwart Oliver Kahn appellieren an das Selbstwertgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen in Zeiten der zunehmenden Armut stark und in der großen Arbeitslosigkeit Mut machen."
wenn Sie sich also mit den "hartz-IV"-almosen durch die billigdiscounter schleppen, zuhause wieder mal die "agentur" mit kontrollanrufen aufwartet, und die größte sog. "zeitung" im land Sie implizit mit den freundlichen bezeichnungen aus "mein kampf" ("schmarotzer, parasiten") belegt - dann denken Sie an günther jauch oder oliver kahn oder gunnar meister, und seien Sie einfach stolz! - stolz auf all die millionäre, stolz auf fähige politikerInnen, stolz auf schwarz-rot-gold, stolz auf unsere glorreiche wirtschaft, der wir alle opfer bringen müssen, um in den stürmischen winden der globalisierung bestehen zu können. und wenn dieser manager abstriche bei seiner abfindung machen muss und jener aktionär nicht mehr die ganz große rendite einfahren kann, dann schauen Sie auf Ihre kaputten schuhe (zitat zu hartz IV: "Die monatlichen Ausgaben für Freizeitgeräte und Musikinstrumente in Höhe von 4,71 Euro wurden um 30% gekürzt, weil darin theoretisch auch die Ausgaben für Sportboote und Segelflugzeuge enthalten sein könnten, die einem Sozialhilfeempfänger ebenfalls nicht zustünden. Mit der gleichen Argumentation wurden die Ausgaben für Schuhe von 7,61 Euro auf 6,09 Euro pro Monat zusammengestrichen, bei Kindern von 4,57 Euro auf 3,66 Euro.") und denken: "jeder an seinem platz - wir alle sind deutschland!" am besten wiederholen Sie dieses mantra jeden abend und jeden morgen fünfmal, damit sich Ihre neuronalen strukturen dran gewöhnen können.
"Ob Prominente oder Politiker, eines zeigen sie uns alle:"
ja, was? ist jetzt endlich die rede von den schweren psychopathologischen auffälligkeiten dieser bande? indirekt schon:
"Im zusammenwachsenden Europa muss niemand seine Identität aufgeben."
besonders diejenigen nicht, die sich von beginn ihres lebens sowieso mit surrogatidentitäten beholfen haben und dabei u.a. auf die variante "nationalität" dressiert worden sind. aber weder diese form noch das surrogat namens "globalisierung" anstelle für ein aus einsicht und lebendiger empathie gewachsenes bewußtsein für die globalen lebendigen zusammenhänge auf diesem planeten haben etwas mit authentischer menschlichkeit zu tun, die sich in gelebter individualität und einem damit verbundenen bedürfnis nach und einsicht in die notwendigkeit von kollektivität darstellt und sich keine ersatzidentitäten konstruieren muss - das ist weltenweit von den heutigen gesellschaftlichen verhältnissen entfernt.
"Richtig verstandener Nationalstolz ist etwas Gutes."
mit anderen worten: "falsch" verstandener nationalstolz führt zu derartigen ereignissen (=pogromen) wie in rostock und hoyerswerda, während sich "richtiger" nationalstolz der verheerenden folgen derartiger ereignisse für das "image deutschlands" und den "standort" bewußt ist, und die regelung der fragen, wieviel fremdes unter welchen umständen hier im land sein darf, den dafür zuständigen qualifizierten staatsorganen überlässt, die sich dabei selbstverständlich primär von nützlichkeitserwägungen und den interessen der wirtschaft leiten lassen. das ist tatsächlich für die sog. "elite" hier der einzige grund, warum nazis eher als störfaktoren angesehen werden.
aber ganz unabhängig davon: nationalstolz, egal wie er daherkommt, ist ungefähr genauso etwas "gutes" wie vertrocknete hundescheiße aus dem letzten jahr am schuh.
"Die Grundlagen für dieses Verständnis sollten früh gelegt werden."
das könnte euch so passen, bereits kleinkinder in euer wahnsystem hereinzuziehen. kinder in diesem land haben ganz andere dinge nötig als nationalistische indoktrination:
Kinderarmut hat mit Hartz IV Rekordniveau erreicht
Die Kinderarmut hat in der Bundesrepublik eine historisch neue Größenordnung erreicht. Nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) hat die Einführung von Hartz IV zum Beginn des Jahres 2005 die Zahl der von Armut betroffenen Kinder auf eine Rekordsumme von 1,7 Millionen hochschnellen lassen. "Hartz IV heißt zu wenig für zu viele", so faßt Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des DPWV, die Studie zusammen.
Nach Berechnungen des DPWV leben über 1,5 Millionen Kinder auf dem Niveau der Sozialhilfe. Die Dunkelziffer wird auf weitere 200.000 geschätzt. Das sind solche Kinder, die zwar ein Anrecht auf eine Leistung der Sozialhilfe bzw. Hartz IV hätten, diese jedoch nicht in Anspruch nehmen. Insgesamt leben 14,2 Prozent der Kinder in Deutschlandin Armut - das ist jedes 7. Kind. In Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich die Zahlen stark:
12,4 % beträgt die Kinderarmutsquate in Westdeutschland,
23,7 % beträgt sie in Ostdeutschland.
In etlichen Städten wird sogar die 30-Prozent-Marke deutlich überschritten. Auch in Westdeutschland sind für einige Städte horrende Zahlen zu registrieren. Extreme Beispiele aus Ost und West sind: Berlin (29,9 Prozent), Schwerin (34,3), Görlitz (35), Halle (34,6), Offenbach am Main (28,7), im bayerischen Hof (20 Prozent), Pirmasens (25,3), Bremerhaven (38,4), Kiel (29,6), Hamburg (20,4).
"Es ist verheerend für ein Gemeinwesen, wenn ein Drittel der Kinder vom normalen gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind", erklärt Dr. Ulrich Schneider. "Für Kinder, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe leben müssen, ist vieles Tabu, was für andere selbstverständlich ist: Musikunterricht, Turnen im Sportverein, Zoobesuch oder Computerkurs."
(quelle: kinder-armut.de
vor dem hintergrund der thesen von deMause ließe sich sagen, es ist mal wieder opferzeit...
und einen zusammenfassenden kommentar zum ganzen thema hat klaus theweleit bereits 1992, damals vor dem aktuellen hintergrund der pogrome und noch lange vor der ersten deutschen kriegsbeteiligung nach wk2, vor hartz IV, vor dem ständigen terroralarm nach dem 11.09.2001, vor all den heutigen zuständen, gegeben:
"National werden heißt (zumal in Deutschland) immer: die Gesellschaft stärker hierarchisieren (...) Wir erleben lauter gesteigerte Gewaltvorgänge: wie Leute aus der Arbeit rausfliegen, besonders Frauen, wie mit bestimmten Lebenszusammenhängen Tabula Rasa gemacht wird (...)...wie umgesprungen wird mit Behinderten...
Die Gewalt der Feuer- und Knüppelskins ist, neben ihrer eigenen Dynamik, auch der (willkommene) Ausdruck all dieser `zivilen´ Gewalttätigkeiten, weil er von der staatlich/polizistischen, der industriellen wie der steuerlichen Gewaltschraube ablenken kann und vom laufenden Krieg `Jeder gegen Jeden´. Aber der Begriff der `Nation´ selber ist violent-männlich und braucht ein Oben und ein Unten. Wo er auftaucht in Deutschland, werden Zügel angezogen, und zwar kräftig."
(auszug aus einem interview in der taz, in: "das land, das ausland heißt"; dtv, münchen 1995; s. 177/178; isbn 3-423-30449-9)
wie kräftig, lässt sich derzeit jeden tag studieren.
wer aber ein bedürfnis nach oben-unten-verhältnissen hat, und wie dessen entstehung vor sich gehen könnte, und was für eine wichtige rolle dabei eine verdinglichende wahrnehmung spielt - nun, das ist u.a. thema dieses blogs. was bekämpft (und dieses wort scheint mir hier angebracht) werden soll, muss zunächst verstanden werden, auch intuitiv. verständnis in diesem sinne für die täterInnen, selbst für die teils "scheusale", die hier schon thema waren, also schon - akzeptanz aber auf keinen fall. und erst recht nicht für die strukturen, die einen solchen wahnsinn immer wieder neu reproduzieren.
...so heißt es in einem absatz des jüngst veröffentlichten potsdamer manifestes 2005 , auf das ich durch wednesday aufmerksam wurde (an dieser stelle danke dafür ;-). dieses manifest , u.a. initiert und unterschrieben von hans-peter duerr , lässt sich als allgemeine anmerkung zur globalen misere lesen. dem meisten kann ich weitgehend zustimmen, allerdings würde ich mir eine genauere analyse einiger wichtiger punkte wünschen. auszüge:
“Wir erleben eine Eskalation von struktureller Gewalt mit politischen und vor allem wirtschaftlichen Komponenten. Geopolitische, soziokulturell wie ökonomische Machtstrategien, die unbegrenzte Expansion globalisierter Marktwirtschaft und ihrer Produktivitätszwänge bedrohen und zerstören die räumliche und stoffliche Begrenztheit unserer Erde. Die zerstörerischen Auswirkungen einer hemmungslosen und unreflektierten Zivilisation im Zusammenleben der Völker, in den Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Natur und, nicht zuletzt, in den einzelnen Menschen sind offenkundig.“
beispiele für die erscheinungsformen und auswirkungen struktureller gewalt sind hier im blog mittlerweile bereits massiert gesammelt. schauen Sie nur einmal bspw. unter „notizen“ nach.
“Diese vielfältigen Krisen, mit denen wir heute konfrontiert sind und die uns zu überfordern drohen, sind Ausdruck einer geistigen Krise im Verhältnis von uns Menschen zu unserer lebendigen Welt. Sie sind Symptome tiefer liegenden Ursachen, die wir bisher versäumten zu hinterfragen und aufzudecken. Sie hängen eng mit unserem weltweit favorisierten materialistisch-mechanistischen Weltbild und seiner Vorgeschichte zusammen.“
aber hallo. und wer die beiträge hier aufmerksam gelesen hat, besonders zum autismus , hat möglicherweise bereits eine ahnung davon, was sich unter „tiefer liegenden Ursachen“ zumindest meiner meinung nach verbergen könnte. ansonsten wird hier irgendwann auch zukünftig isaac newton als ein wesentlicher „begründer“ des mechanistischen weltbildes thema sein, speziell seine nicht allzu bekannte biographie, die ich sehr aufschlußreich finde.
„Wir müssen lernen, auf neue Weise zu denken.“ Wenn wir diese Forderung radikal ernst nehmen, müssen wir neue oder ungewohnte Wege des Lernens beschreiten. Aus neuer Sicht stellt sich die Welt, die Wirklichkeit, nicht mehr als ein theoretisch geschlossenes System heraus. Dies führt zu einer eingeprägten Unschärfe, die aus der fundamentalen Unauftrennbarkeit resultiert und in einer prinzipiellen Beschränkung des ‚Wissbaren’ zum Ausdruck kommt. Wir sind dadurch gezwungen über die Wirklichkeit, streng genommen, nur in Gleichnissen sprechen zu können. Es gibt prinzipiell nicht mehr auf alle Fragen, die wir aus unserer menschlichen Sicht glauben stellen zu können, Antworten, da diese ins Leere stoßen. Der einzelne Mensch, wie alles Andere auch, bleibt prinzipiell nie isoliert. Er wird im allverbundenen Gemeinsamen in seiner nur scheinbaren Kleinheit zugleich unendlich vielfältig einbezogen und bedeutsam.“
hier würde ich ergänzen wollen: nicht nur neu denken, sondern auch neu – oder vielleicht überhaupt erst - fühlen lernen ist die parole der stunde. und möglicherweise ist sogar bereits die trennung von beidem ein hinweis auf pathologische prozesse solcher art, wie sie dieses blog thematisiert. das ohne gesunde emotionale basis jedenfalls kein vernünftiges denken im menschlichen sinne möglich ist, lässt sich mittlerweile vielfältig belegen.
“In all unserem Handeln wirkt die Vielzahl von Einflüssen und Impulsen anderer Menschen und unserer Geobiosphäre mit, und nicht nur über die durch unsere Sinne vermittelte Brücke materiell-energetischer Wechselwirkungen, sondern auch direkt über die allen gemeinsame immaterielle potenzielle Verbundenheit.“
mit anderen worten: die menschliche welt ist ganz elementar eine beziehungswelt. in der es diverse beziehungskrankheiten gibt.
“Das materialistisch-deterministische Weltbild der klassischen Physik wurde mit seinen starren Vorstellungen und reduktiven Denkweisen zur vorgeblich wissenschaftlich legitimierten Ideologie für große Bereiche des wissenschaftlichen und politisch-strategischen Denkens. Die fortschreitende Gleichschaltung aller Wert- und Wohlstandsvorstellungen, Konsumgewohnheiten und Wirtschaftsstrategien nach dem Muster einer westlich-nordamerikanisch-europäischen Wissensgesellschaft wird weiterhin noch über ein Denken legitimiert, welches auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Fundamente für eine rationale ‚Objektivierbarkeit’ der Wirklichkeit argumentiert. Wo Konflikte auftreten, wird ein Mangel an Verfügungswissen konstatiert, das nachgeliefert werden muss. Nach den Grundlagen der Orientierung wird wenig gefragt, obwohl es Anlass genug dazu gibt.“
ein denken, dessen ergebnisse ich ebenso hier im blog, in gestalt der software und des computers, die ich gerade nutze sowie auch in meinen analyseversuchen selbst verwende, was sich imo bis zu einem bestimmten grad nicht vermeiden lässt. zumindest nicht in diesem medium. anders sieht´s im sogenannten real life aus, wo z.b. künstlerische produktionen jeglicher art wahrscheinlich die gleiche kritik, mit der ich mich hier auf „klassische“ weise beschäftige, sehr viel vielfältiger ausdrücken könnten. anders: sie könnte mehr wahrnehmungskanäle „fluten“, als es das internet aufgrund seiner virtuellen und entkörperlichten struktur zulässt. autismuskritik, um mal bei diesem wort zu bleiben, muss sich folglich auch selbst in der eigenen form einer bestimmten art von rationalem denken kritisieren. („Ein Paradox, ein Paradox, ein wunderschönes Paradox!“ hieß es dazu einmal ganz passend in einem roman von robert anton wilson, wenn mich meine erinnerung gerade nicht total täuschen sollte. aber ich halte paradoxien sowieso für ein ganz zentrales merkmal des menschlichen lebens).
“Die Quantenphysik – und nicht nur sie – fordert uns auf, unser Denken in starren Strukturen grundsätzlich so zu emanzipieren, dass flexible Beziehungen an deren Stelle treten können. Auflockerung und sanfte Auflösung monostruktureller, zentralistischer Konstruktionen, die bevorzugte Ausdrucksformen des materialistisch-mechanistischen Weltbildes sind, werden möglich. Die Vernichtung aller anderen Werte durch den Mechanismus der Märkte, wo machtförmige Stärke absoluten Vorrang fordert vor Entfaltung und Gerechtigkeit, verliert endgültig ihre liberale Legitimation. Im neuen Denken verbindet sich die Fülle unserer Wahrnehmungsvermögen und geistigen Bewegungen; bewußte wie unbewußte Motive für menschliches Denken und Handeln werden gleichermaßen anerkannt. Damit zeichnet sich eine neue evolutionäre Ebene ab, in der eine komplexe, nicht fragmentierte Wirklichkeitswahrnehmung, so etwas wie ‚Ahnung’, das Fundament unseres Denkens, Fühlens und Handelns bildet.“
klingt ja fast wie der in den 1980er jahren viel zitierte physiker fritjof capra, dessen „wendezeit“ ich auch noch zuhause herumstehen habe. und bei dessen namen mein guter freund a., selbst physiker, immer eine leichte krise bekam – von wegen unzulässiger analogschlüsse und so von der ebene der mikrowelt der quanten auf unsere lebenswelt. (@a.: falls du dieses manifest mal liest, würde ich sehr gerne deine meinung dazu hören, gerade was die rückführungen auf die quantenphysik angeht.)
aber im letzten satz oben steht etwas sehr spannendes: „nicht fragmentierte Wirklichkeitswahrnehmung“. hatte ich schon mal erwähnt, dass fragmentierte wirklichkeitswahrnehmung mit fug und recht als ein sehr wesentliches kennzeichen gerade derjenigen psychophysischen störungen angesehen werden darf, die unter dem begriff „beziehungskrankheiten“ summiert werden können? und „ahnung“ darf hier imo ruhig durch „intuition“ ersetzt werden, was ich treffender finde.
“Wir müssen verengte und mechanistische Strategiemuster, Reduktionen, Mittelwertsbildungen fallen lassen und sie ersetzen durch Beweglichkeit, Offenheit und Empathie, um neue offen gestaltbare Schöpfungs- und Handlungsräume zu ermöglichen.“
ohja. aber empathie wie auch geistige und emotionale beweglichkeit/offenheit fallen nicht vom himmel, sozusagen – dazu gleich mehr unten.
“Wenn wir die eskalierenden Probleme betrachten, welche heute die Menschheit belasten, so sind sie im überwiegenden Maße eine Folge extremer Machtballungen und wirtschaftlicher Ungleichheit, dirigiert und forciert von einem lebensfeindlichen finanziellen Netzwerk, das, anstatt das Beziehungsgefüge zwischen den Menschen zu Gunsten der Menschen zu stärken, zum ‚unersättlichen’ Selbstzweck verkommen ist.“
hier möchte ich fragen: ist es wirklich selbstzweck? und wenn ja, in welchem sinne? selbstzweck wörtlich genommen, kann ja auch bedeuten, dass es sich um ein überlebensinteresse handelt, welches eigenschaften hervorbringt, die z.b. vielleicht durch zwanghafte kontrolle von welt und mitmenschen das eigene überleben partiell möglich, ein tatsächlich menschliches leben jedoch durch ihre auswirkungen mittel- und langfristig unmöglich machen.
“Ein neues, doch uns wohl vertrautes Menschenbild wird sichtbar, das von empathischen Menschen ausgeht..“
und hier muss ich einhaken: wie schon gesagt fällt empathie erstens nicht vom himmel, lässt sich zweitens als menschliche wahrnehmungsoption begreifen, die drittens geschädigt sein oder auch ganz ausfallen kann – letzteres eben z.b. bei den krankheiten, die unter dem label „autismus“ geführt werden (und bei einigen als solchen definierten persönlichkeitsstörungen ebenso). es spricht einiges dafür, davon auszugehen, dass unter unseren heutigen lebenbedingungen empathische fähigkeiten eher hinderlich sind – wenn Sie sich die bedingungen einer konkurrenz- bzw. sog. leistungsgesellschaft einmal vor augen führen. und dazu noch dieses: empathie basiert auf körperlich-materiellen grundlagen, jedenfalls nachdem, was wir heute wissen können. einmal wären da die bereits schon öfter genannten spiegelneurone, zum anderen aber auch das hier:
“Wie kann man sich in die Empfindungswelt anderer Personen versetzen? Bisher nahm man an, dass bei diesem Vorgang in unserem Gehirn eine Art Simulation abläuft, sobald wir eine handelnde Person beobachten. Demzufolge sollte die Handlung der beobachteten Person gewissermaßen innerlich imitiert werden. Ein internationales Forscherteam konnte nun hingegen zeigen, dass wir Handlungen anderer Personen offenbar auf der Basis unseres eigenen "Handlungsinventars" nachvollziehen.
Der eigene Geist und der eigene Körper liefern uns also die Grundlage, um zu verstehen, was andere Menschen gerade tun, fühlen oder denken, berichten die Forscher um Simone Bosbach vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in München. „
ich finde ja, dass dieser ansatz das konzept der spiegelneuronen (mit deren maßgeblicher hilfe die erwähnte „simulation“ ablaufen soll) eher unterstützt bzw. ergänzt – die hier thematisierten körperlichen erfahrungen werden im gehirn zu einer vollen gestalt „simuliert“ (ein etwas unglücklicher begriff, weil er sogleich assoziationen zu „fake“ und „täuschung“ hervorruft – aber vielleicht sollte mensch sich klarmachen, dass es hier um eine prozeßbeschreibung geht).
aber woran machen sich die betrffenden körperlichen erfahrungen denn nun fest, was für eine basis besitzen sie? ein anderes wort taucht wieder einmal auf, eines, welches auch schon öfter im blog hier eine rolle gespielt hat und weitgehend unbekannt ist – obgleich wir ohne die damit bezeicheten fähigkeiten nur sehr eingeschränkt lebensfähig sind:
“Beide Patienten berichten, dass sie vor allem zu Beginn ihrer Erkrankung das Gefühl hatten, ihren Körper gänzlich "verloren" zu haben. Zwar haben sie mittlerweile wieder gelernt, einfache Körperbewegungen auszuführen - dabei sind sie jedoch darauf angewiesen, ihren Körper zu sehen.
In der Dunkelheit würden die Patienten dagegen vollständig die Kontrolle über ihren Körper verlieren, weil sie nicht mehr in der Lage sind, mit Hilfe der Sinneszellen in den Gelenken und Muskeln beispielsweise die Position ihrer Arme und Beine relativ zum Körper zu bestimmen.
Wie man den Körper wahrnimmt
Gesunde Menschen können dies dagegen dank der Eigenwahrnehmung ihres Körpers (so genannte propriozeptive Rückmeldungen) problemlos. Die Eigenwahrnehmung vermittelt unserem Gehirn außerdem, wann und in welchem Umfang sich Muskeln zusammenziehen oder strecken und in welchem Ausmaß sich Gelenke beugen oder strecken. Erst dieser Sinn befähigt uns, bestimmte Körperhaltungen einzunehmen, Bewegungen auszuführen und ist entscheidend für das psychologische Bewusstsein, einen Körper zu haben.“
ja, die propriozeptive wahrnehmung hat sich bei mir in der letzten zeit zu einem lieblingsbegriff gemausert – vor allem deswegen, weil die reaktionen darauf immer so vorhersagbar sind: „prop-was?!??“ ich finde ja, wir wissen verdammt wenig darüber, wie wir selbst funktionieren, gerade was unsere sozialen fähigkeiten anbelangt. aber vielleicht gibt es auch gewisse tendenzen und einflüsse, die genau das verhindern (nicht im sinne einer verschwörungstheorie zu verstehen!)
das ergebnis der thematisierten studie jedenfalls wird so zusammengefasst:
“Bewegungsmuster, die im Gehirn aktiviert werden, wenn wir Handlungen einer anderen Person beobachten, enthalten auch Informationen und Wissen über die Funktionsweise unseres eigenen Körpers.
Die Bewegungsmöglichkeiten und -beschränkungen unseres eigenen Körpers sind also die Referenz, von der ausgehend wir die Handlungen anderer Personen verarbeiten und interpretieren.
Anders ausgedrückt: Was wir selbst können, verstehen wir auch bei anderen und umgekehrt, was wir selbst nicht können, verstehen wir auch bei anderen nicht. Rückmeldungen von unserem eigenen Körper tragen also offenbar zu unserem intuitiven Wissen über die Absichten anderer Personen bei.
Auf diese Weise können wir nicht nur Handlungsfolgen vorhersagen, sondern uns sogar in die andere Person "hineinversetzen". Ein solcher Mechanismus ist die Basis für Mitgefühl und Empathie und somit entscheidend für das Gelingen und Fortbestehen sozialer Beziehungen.“
ich hätte mir sehr gewünscht, dass sich die autoren des „manifestes“ einmal mit diesen grundlagen genauer beschäftigen würden – auch, wenn ich die von ihnen eingeschlagene richtung für positiv halte. aber mit ein wenig psychiatrisch-neurologischem wissen könnten sie die von ihnen thematisierten entwicklungen noch einmal viel differenzierter begreifen und benennen. diesen schluß traue ich mir durchaus zu.
ein begriff, der jetzt auch schon gut zehn jahre alt ist, und sich trotz oder wegen der tatsache, dass er eine zynische (und treffende) neuformulierung des alten "brot & spiele" darstellt, nicht durchsetzen konnte. bin vorhin wieder einmal drüber gestolpert. und frage mich ebenso wieder einmal nach der mentalität oder der inneren verfassung dieser leute. erste hinweise auf mögliche antworten stehen in diesem blog.
auszugsweise beschrieben wird im folgenden eine konferenz von ca. 500 politikern, wirtschaftsführern und wissenschaftlern, die im september 1995 in san francisco stattgefunden hat und sich mit den "perspektiven" der welt im 21. Jahrhundert beschäftigte. ist vielleicht ganz nützlich, das im hinterkopf zu haben, wenn einen politik & medien mal wieder mit ihrem fetisch "arbeitsplätze-schaffen-und-bruttosozialprodukt-steigern-um-jeden-preis-dann-wird-alles-gut" in den heulenden wahnsinn treiben wollen.
"Kein Raunen geht da durch den Raum, den Anwesenden ist der Ausblick auf bislang ungeahnte Arbeitslosenheere eine Selbstverständlichkeit. Keiner der hochbezahlten Karrieremanager aus den Zukunftsbranchen und Zukunftsländern glaubt noch an ausreichend neue, ordentlich bezahlte Jobs auf technologisch aufwendigen Wachstumsmärkten in den bisherigen Wohlstandsländern - egal, in welchem Bereich.
Die Zukunft verkürzen die Pragmatiker im Fairmont auf ein Zahlenpaar und einen Begriff: "20 zu 80" und "tittytainment".
20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung würden im kommenden Jahrhundert ausreichen, um die Weltwirtschaft in Schwung zu halten. "Mehr Arbeitskraft wird nicht gebraucht", meint Magnat Washington SyCip. Ein Fünftel aller Arbeitssuchenden werde genügen, um alle Waren zu produzieren und die hochwertigen Dienstleistungen zu erbringen, die sich die Weltgesellschaft leisten könne. Diese 20 Prozent werden damit aktiv am Leben, Verdienen und Konsumieren teilnehmen - egal, in welchem Land. Das eine oder andere Prozent, so räumen die Diskutanten ein, mag noch hinzukommen, etwa durch wohlhabende Erben.
Doch sonst? 80 Prozent der Arbeitswilligen ohne Job? " Sicher", sagt der US-Autor Jeremy Rifkin, Verfasser des Buches "Das Ende der Arbeit", "die unteren 80 Prozent werden gewaltige Probleme bekommen." Sun-Manager Gage legt noch einmal nach und beruft sich auf seinen Firmenchef Scott McNealy: Die Frage sei künftig, "to have lunch or be lunch", zu essen haben oder gefressen werden.
In der Folge beschäftigt sich der hochkarätige Diskussionskreis zur "Zukunft der Arbeit" lediglich mit jenen, die keine Arbeit mehr haben werden. Dazu, so die feste Überzeugung der Runde, werden weltweit Dutzende Millionen Menschen zählen, die sich bislang dem wohligen Alltag in San Franciscos Bay Area näher fühlen durften als dem Überlebenskampf ohne sicheren Job. Im Fairmont wird eine neue Gesellschaftsordnung skizziert: reiche Länder ohne nennenswerten Mittelstand und niemand widerspricht.
Vielmehr macht der Ausdruck "tittytainment" Karriere, den der alte Haudegen Zbigniew Briezmski ins Spiel bringt. Der gebürtige Pole war vier Jahre lang Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, seither beschäftigt er sich mit geostrategischen Fragen. "Tittytainment", so Brzezinski, sei eine Kombination von " entertainment" und "tits", dem amerikanischen Slangwort für Busen. Brzezinski denkt dabei weniger an Sex als an die Milch, die aus der Brust einer stillenden Mutter strömt. Mit einer Mischung aus betäubender Unterhaltung und ausreichender Ernährung könne die frustrierte Bevölkerung der Welt schon bei Laune gehalten werden."
(zitat aus "Die Globalisierungsfalle", s. 12)
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edit: weil´s zum obigen inhaltlich passt...
"Es ist übrigens gar nicht gesagt, dass es den Insassen in einem privat geführten Knast schlechter ginge, und die JVA Köln scheint sich schon jetzt auf diese Zukunft einzurichten, wenn sie sich als ein »Dienstleistungsunternehmen« beschreibt, das »der Öffentlichkeit und den Inhaftierten verpflichtet« sei. Das weckt Hoffnung bei den Kunden, die vorerst nicht befriedigt werden kann: »Eigentlich ist es nicht zu begreifen«, schreibt eine Inhaftierte, »dass Staatsanwälte und Richter den Delinquenten gegenüber so oft einen frechen und pampigen Ton anschlagen. Sie vergessen ganz, dass diese Leute die Grundlage ihrer Existenz bilden und sozusagen ihre Kundschaft sind.« Eine andere fordert – die Kundin ist Königin – mehr Freundlichkeit von den Vollzugsbeamten: »Ich bin keine Mörderin, ich bin Hotelfachfrau …« Gericht und Gefängnis als Dienstleister, das gibt dem Schlagwort »Service-Hölle« einen neuen Sinn (und der Vollzug ist übrigens nicht die einzige Dienstleistung, die nicht zu erhalten ein Vorzug sein könnte).
Das endgültige Absinken und Unbrauchbarwerden eines ganzen Drittels der Gesellschaft sorgt aber noch auf andere Weise dafür, dass sich auch die Wirklichkeit des Gefängnisses verändert. Es verliert seinen Schrecken, wenn draußen eine noch schlimmere Welt wartet. Im Gefängnis hat sich vorläufig noch, wenn auch auf oft groteske Weise, der alte Sozialstaat erhalten, was manch eine begrüßt. »Ein Gefängnis ist eigentlich ein schrecklicher Ort, für mich ist es ein Ort der Sicherheit«, schreibt eine Frau, die zu 15 Jahren Haft verurteilt ist. »Irgendwie bin ich froh, dass ich hier drin bin«, schreibt eine andere. Sie könne nun wieder ruhig schlafen. »Sie fühlen sich hier zum Teil sicherer als in ihrem Umfeld draußen«, berichtet eine »Bedienstete für Sicherheit und Ordnung«. Mit einer allgemeinen Verelendung sind Gewalt und Zwang gewachsen und Chancen gesunken. Bei aller Dürftigkeit der Anstalt sind die in ihr eingeschlossenen Frauen nicht nur einiger Existenzsorgen ledig, sie sind auch vor Nachstellungen, Bedrohungen und Misshandlungen durch Mann, Zuhälter und Familie einigermaßen gesichert; anders als bei den männlichen Gefangenen kommt das »Klatschen« unter Frauen selten vor. Und die meisten von ihnen verpassen draußen keine Karriere mehr."
an anderer stelle dieses artikels ist auch zu lesen, dass u.a. frauen mit borderline-diagnose unter den gefangenen eine größere zahl ausmachen. nun ist mein persönlicher eindruck der, dass bei vorliegen offen traumatischer gewalterlebnisse (der zusammenhang ist bei borderline nicht zwingend, aber überdurchschnittlich häufig zu beobachten) diese diagnose eher zu den in der psychiatriegeschichte schon häufiger zu beobachtenden quasi vertuschungsdiagnosen zu zählen ist, mit denen die konsequenzen gesellschaftlich produzierter gewalt quasi unsichtbar gemacht werden. im oben erwähnten kontext ist es nicht unwahrscheinlich, dass traumatisierte frauen, die sich mittels einer gewalttat aus einer unerträglichen lebenssituation befreien wollten, dann einen großteil ihres restlichen lebens im knast verkümmern. natürlich ohne jegliche chancen auf qualitative verbesserungen.
und wenn die knastsituation schon als "verbesserung" gegenüber draussen erlebt wird ("schutzhaft" im wahrsten sinne des wortes?) - was für ein erbärmliches "draussen" ist das dann eigentlich? und die idee der privatisierten knäste (die sehr wahrscheinlich auch hier kommen werden, wenn grundlegende fehlentwicklungen nicht gestoppt werden) - sind wir schon so abgestumpft, um nicht mehr wissen zu wollen, dass diese knäste innerhalb einer kapitalistischen logik auf möglichst hohen "umsatz" konzipiert sein werden? und jene organisierte kriminalität, die da z.b. 1995 das erwähnte treffen veranstaltet hat, genau die bedingungen dafür schafft, dass dieser "umsatz" auch real werden wird?
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und nochmal edit: "tittytainment" mal in anderer (wenn auch nicht ganz anderer) bedeutung, vorgeführt von einem gewissen herrn hartz und seinen kumpanen - "Es wurde die entsprechende Zahl Frauen geliefert"
frauen, arbeitskräfte, menschliche verhältnisse - alles nur noch dinge, abrechenbar, kalkulierbar, manipulierbar.
Donnerstag, 1. September 2005
das, was z.b. in diesem artikel an theoretischen fragmenten dargestellt wird - das ist etwas, was ich mittlerweile ebenso wenig als nette intellektuelle spielerei verstehe wie die entsprechenden entwürfe in science fiction oder auch in den einschlägigen wissenschaftlichen sparten, hier v.a. die gen- und biotechnologien sowie der bereich "künstliche intelligenz".
woher kommt dieser wunsch, sich selbst in etwas anderes zu verwandeln? unter welchen sozialen bedingungen entstehen derlei - hm, bedürfnisse?
etwas, was ich selbst vor ca. 5 bis 6 jahren geschrieben habe:
Ich möchte ein Cyborg sein
in all diesen Welten
in all m e i n e n Welten
Völlig synthetisch
zwischen Quecksilberbergen
an Cadmiumstränden
bestrichen von Wellen aus purer Säure
Einsam und stolz
stände ich da
mit Infrarotblick
und Ultraschallgehör
Frostklare Wahrnehmung
präzisester Ordnung
Wandelnd auf Stahlgelenken
in unendlich leerer Weite
Ohne Schmerzen
Ohne Hunger
Ohne Gefühle
Endlich FREI!
raten Sie mal, wie´s mir in dieser phase ging - richtig, beschissen. viele "psychos", und ein grundsätzliches unwohl-fühlen in mir selbst, mit mir selbst, in letzter konsequenz natürlich mit meinem körper, der ich bin. ich kann diese tendenz jetzt verstehen als quasi impulsiven versuch, das, was mir in solchen momenten unerträglich scheint, grundsätzlich zu verlassen. unsere wahrnehmung, auf der die welt letztlich basiert - in dem sinne, das die menschliche wahrnehmung die pforte, das nadelöhr darstellt, durch das wir quasi "in die welt" und umgekehrt kommen - unsere wahrnehmung ist voll und ganz gebunden an unsere materielle körperlichkeit. und das bedeutet nicht nur nase, ohren und augen, sondern eben auch solche eher unbekannten, nichtsdestotrotz elementaren wahrnehmungsarten wie die propriozeptive und vestibuläre wahrnehmung, die nach allem, was wir heute wissen können, einen wesentlichen teil der grundlagen unseres selbstgefühls ausmacht. das, was als "psychische störungen" bekannt ist, dürfte real tatsächlich in einer absoluten mehrzahl aller fälle damit zu tun haben, das aus bestimmten gründen diese körperliche basis, v.a. die grundlegenden wahrnehmungsfähigkeiten (die propriozeptive form ist aus heutiger perspektive vermutlich die allererste wahrnehmungsebene, die sich in der pränatalen phase zuerst entwickelt), nicht (mehr) "erreichbar", nicht (mehr) bestandteil der eigenen erlebten subjektivität sind. und wenn das passiert, wird die welt im wahrsten sinne des wortes un-sicher. (btw: bei menschen mit klassisch autistischen störungen sind immer auch genau diese elementaren wahrnehmungsebenen mehr oder weniger stark in ihrer funktion, vermutlich sogar strukturell, eingeschränkt.)
als ausweichoption bietet sich dann mehr oder weniger zwangsläufig der eigene kopf an, mit den spezifisch menschlichen fähigkeiten der instrumentellen vernunft und des verstandes - das reich der grenzenlosen intellektualität, mit deren hilfe sich erklärungen, fiktionen etc. zusammenkonstruieren lassen - quasi als ersatz für die ausgefallene realitätsgewißheit, die uns ansonsten eben über unseren körper quasi selbstverständlich vermittelt wird. fluchtpunkt und refugium (wie bspw. in tagträumen), wenn das, was über die wahrnehmungskanäle hereinströmt, entweder völlig unerträglich oder aber aus sonstigen gründen nicht mehr zu bewältigen ist (zu diesen sonstigen gründen zählen im übrigen auch strukturelle schäden in gehirn und nervensystem(-en), wo der "korrekte" empfang und die verarbeitung der wahrnehmungsimpulse stattfindet).
ich habe selbst einige therapieerfahrung, wobei eben gerade die körpertherapeutischen ansätze mir am meisten geholfen haben. das ich hier und anderen stellen im netz für etliche sehr intellektuell und rational rüberkomme, hat einfach damit zu tun, dass das in meinen augen die dem netz angemessene darstellungsebene bildet - als quasi autistisches, weil komplett virtuelles, d.h. "kopfgebundenes" medium, ist das internet völlig ungeeignet, tatsächlich sinnliche erfahrungen zu transportieren. das geht einfach nicht, weil dafür die grundvoraussetzungen schlicht fehlen, wie z.b. die körperlich-sinnliche anwesenheit anderer menschen. und alles, was im netz an kontakten stattfindet, kann letztlich nur einleitenden charakter für reale begegnungen besitzen. mit einer ausnahme: diese ausnahme sind diejenigen, für die sich ihre ganze existenz quasi sowieso bereits im kopf, d.h. virtuell, abspielt. für diese bilden die elektronischen beziehungssurrogate, die sich hier finden lassen, in einem teils erschreckenden ausmaß ihre ganze realität. eine defekte form der realität, um es genau zu sagen. es sind die, die in der matrix leben - mit weitgehend lahmgelegtem körper, der nicht wirklich als identisch mit dem eigenen selbst empfunden werden kann.
und damit bin ich wieder beim cyborg angelangt, bzw. bei den wünschen und bedürfnissen, die sich u.a. auch in meinen eigenen zeilen oben widerspiegeln. ich bin inzwischen der meinung, dass die grundlegende motivation, die sich in solchen kulturellen produktionen zeigt, tatsächlich etwas mit der real vorhandenen zwischenmenschlichen gewalt zu tun hat - gewalt u.a. solcher "qualität", wie sie hier in anderen beiträgen inzwischen oft genug beschrieben und dargestellt wurde. konkret und real ist gewalt
- tatsächlich für uns menschen unerträglich
- greift die volle subjektivität an
- zwingt - um zu überleben - zur wahrnehmungsreduktion ("das ist nicht wirklich mir passiert", eine ausgangsposition für das, was in der psychologie als dissoziation bekannt ist)
- greift direkt oder indirekt die menschliche körperlichkeit an (gerade mit verheerenden folgen bei sexualisierter gewalt - aber nicht nur dort)
- und darüber kann es eben auch zu beeinträchtigungen bis schweren störungen der gesamten wahrnehmungsfähigkeiten kommen
die mögliche - und oft zu beobachtende - folge ist eine quasi unfreiwillige und teils extreme distanzierung vom eigenen körper - "aus sich selbst vertrieben worden sein", so ist z.b. mein spontaner eindruck von vielen menschen, von denen ich weiß, dass sie selbst gewalt in verschiedensten formen erleben mussten (und auch eine, glücklicherweise seltener werdende, eigene wahrnehmung meiner selbst).
es dürfte auch kein zufall sein, dass einer der vorläufer der heutigen cyborgs - der golem der jüdischen mythologie - von seinen erschaffern als mächtiger helfer gegen die damalige real verfolgende mitwelt gedacht war. von hier bis zur konsequenz, selbst zu einer art unbesiegbarem und unverwundbaren geschöpf zu werden, ist es nur noch ein kleiner schritt.
warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar. und das ist eben vielleicht auch am besten in jenen feministischen strömungen zu sehen, die ernsthaft in der "befreiung" von der eigenen körperlichkeit letztlich eine tendenz weiterführen, die ebenso ein nietzsche in seinem konzept vom "übermenschen" bereits entwirft. zufällig ist das weder im einen noch im anderen fall - gerade frauen haben eine vielfältige und leidvolle erfahrung mit angriffen auf die eigene subjektivität und körperlichkeit (bei männern dürfte das imo ebenfalls eine rolle spielen, wobei hier die bereits sowieso weiter fortgeschrittene entfremdung von eigener körperlichkeit und sinnlichkeit eine rolle spielt).
eine kultur aber, die derartige erlösungsphantasien produziert bzw. überhaupt als bedürfnis entstehen lässt - eine solche kultur verweist selbst auf grundsätzliche fehler in ihrem begriff vom menschsein und leben überhaupt. und ich persönlich würde das zuspitzen: eine solche kultur hat ausgespielt und ist erledigt - quasi ein zombie, der noch nicht bemerkt hat, dass er bereits mausetot ist.
Freitag, 19. August 2005
...als neue rubrik - mir selbst fehlt hier ein teil, und zwar schlicht all das, was meine ganz eigenen erfahrungen mit dem ganzen hier thematisierten ausmacht. sicher mögen die bisherigen beiträge für viele informativ sein und bestenfalls die eigene neugier motivieren, sich mit den dargestellten bereichen näher zu beschäftigen (was imo bitter, bitter, bitter notwendig ist!) - aber wirklich relevant wird etwas nur dann, wenn es sich mit den ganz eigenen erfahrungen sozusagen kurzschließen lässt. und dafür braucht es platz, den diese rubrik bieten soll.
gleichfalls möchte ich für mich über das stadium des dezenten zynismus herauskommen, mit dem ich viele beiträge ganz bewußt einfärbe - es ist schlicht selbstschutz, um etwas abzuwehren, was ich als zunehmend bedrückend und eindeutig bedrohlich empfinde. dieser blog beschäftigt sich letztlich nicht mit intellektuellen spielereien, sondern versucht, einige gleichzeitig sehr offensichtliche und dennoch auf eigenartige weise im verborgenen ablaufende soziale prozesse zu reflektieren. soziale prozesse, die eine eindeutig destruktive tendenz besitzen. und solches lässt sich nicht wirklich von einem selbst fernhalten - nur zum preis des weitgehenden verlustes eigener wahrnehmungsfähigkeiten. aber an dieser stelle genug theoretisiert.
*
assoziationen können und sollten imo sogar einen "verrückten" anteil besitzen, wenn sie weiteres bewirken sollen - von daher also...
ich bin beim stöbern im netz auf einen artikel der frankfurter allgemeine vom 29.07.04 aufmerksam geworden, thema ist der "mensch nach hartz IV" - auzüge:
„Ökonomisch eigenverantwortlich betrachtet, zahlt es sich da für Langzeitarbeitslose und solche, die es werden können, nicht mehr aus, anders als im Augenblick und allein zu leben. (...) Alles Geld, das in einer ‚Bedarfsgemeinschaft‘ von Eltern, Kindern, Gatten oder Lebensgefährten verdient wird, geht von dem eigenen Anspruch ab. So kommen Ehen, Partnerschaften, Groß- und Kleinfamilien, Patchworkverhältnisse aller Art auf den Prüfstand (...). Das Familienmodell zahlt sich nur aus, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind.“ (...) "Hartz IV fördert die zeitliche und räumliche Zersplitterung der Gesellschaft. Seine Zielvorstellung ist die Monade. Der Menschentypus, den Hartz IV favorisiert, ist der Einzelkämpfer, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und weiter fortlaufend abbricht.“
"nicht anders als im augenblick und alleine"...."zersplitterung"...."monade"...."einzelkämpfer"
was für ein typ mensch wird da gefördert? welche eigenschaften sind z.b. gefragt, wenn gefordert wird, für die rein ökonomische existenz von heute auf morgen notfalls den ort zu wechseln, unter hinnahme des verlustes aller sozialen bezüge (was übrigens durchaus als traumatisch im strengen sinne erlebt werden kann)? welche psychophysischen züge sind dafür wohl am nützlichsten?
beziehungsfähigkeit z.b. wohl kaum - die dürfte für derlei eher hinderlich sein.
wie steht es noch in einem positionspapier des "arbeitskreises post-autistische ökonomie" zu lesen:
"Das Menschenbild des Homo Oeconomicus ist autistisch: Die sozialen und kooperativen Wesenszüge des Menschen bestimmen ebenfalls sein Handeln."
nicht anders als im augenblick und alleine...
in dem recht bekannten, schon etwas älteren buch "ich hasse dich - verlaß´ mich nicht", welches im deutschen sprachraum immer noch eines der populärsten bücher zum thema borderline ist, ist u.a. folgendes zu lesen (ich zitiere hier aus dem buch von mertz - siehe literaturliste -, s. 64, da mir das original von kreisman und strauß gerade nicht vorliegt):
"Für den Betroffenen gibt es kein Entrinnen aus dem `Jetzt´, auch nicht für eine kurze Pause und Neueinschätzung. Die Wirklichkeit ist...`ein endloser Augenblick...eine Treppe, die weder nach oben noch nach unten führt, wir bewegen uns nicht, heute ist heute, immer ist heute´...Wer sie (Borderline-Persönlichkeit) heute ist (und was sie tut) bestimmt ihren Wert...Da die Betroffene sich als statisch wahrnimmt, statt in einem dynamischen Zustand der Veränderung, kann sie jede Abweichung von diesem unbeweglichen Selbstbild als vernichtend ansehen. Umgekehrt kann die Borderline-Persönlichkeit Befriedigung in der entgegengesetzten Richtung suchen...durch den häufigen Wechsel von Beruf, Karriere, Zielen, Freunden und manchmal sogar des Geschlechts...Die Identität der Borderline-Persönlichkeit hat etwa die Form von Wackelpudding: Sie kann in jede beliebige Form gebracht werden, aber sie rinnt durch die Finger, wenn man versucht, sie festzuhalten".
der heutzutage allseits - oder besser, von unseren herrschenden sog. "eliten" - geforderte flexible, mobile, sich-selbst-managende mensch, der sich das prinzip "ich-ag" zum lebensmotto macht - und (sich) inszeniert, simuliert, anpassungsfähig an alle möglichen realitäten ist - aber das alles, ohne einen tatsächlichen bezug zu diesen realitäten zu besitzen - denn das würde diese im modernen kapitalismus geforderten eigenschaften grundsätzlich sabotieren - soziale bezüge, "verwurzelung" an einem als zuhause empfundenen ort, ein lebensrhytmus nach der eigenen (körper-)zeit und anderes - all das ist letztlich und in seiner konsequenz inkompatibel mit den anforderungen (ich würde eher sagen: zumutungen), die der offizielle westliche lebensstil stellt.
die "monade" ist dabei ein deutlicher hinweis auf etwas, was sich durchaus berechtigt als autistische kernlosigkeit bezeichnen lässt. (und in dieser richtung liegt auch das, was im zitat oben als "sich statisch wahrnimmt" bezeichnet wird. der "dynamische zustand der veränderung" ist von den autoren hier als veränderung innerhalb eines kontinuierlichen selbstgefühls gemeint, ein besserer begriff dafür ist imo "inneres wachstum" - nicht, dass das irgendjemand mit den heute gebräuchlichen ideologischen phrasen von "dynamik" und "veränderung" verwechselt).
borderline als eine zwar anders als die "klassischen" autistischen krankheitsbilder organisierte, aber ebenfalls im kern autistische störung betrachtet (das wird noch genauer ausgeführt werden), würde dabei eine art modellvorstellung (der begriff "borderline-gesellschaft" kommt nicht von ungefähr) abgeben für die geforderte quasi-mutation, die in diesem system heute verlangt wird. und das würde könnte wiederum bedeuten, dass die psychiatrisch erfassten borderline-menschen hauptsächlich aus denen bestehen, bei denen diese "mutation" nicht erfolgreich bzw. unauffällig vor sich gegangen ist (ganz davon abgesehen, dass sich viele traumatisierte menschen zu unrecht unter diesem diagnostischen label wiederfinden).
wie gesagt, ich assoziiere - aber ich fürchte aus vielerlei wahrnehmungen heraus, dass am obigen, so verrückt es auch klingen mag, ein sehr realer anteil tatsächlich existiert.