notizen

Freitag, 25. Mai 2007

notiz: "Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke unterwegs sind!"

also, so sicher wäre ich mir da nicht - vor allem, wenn der satz etwas umformuliert wird:

"Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke an der Macht unterwegs sind!"

und wenn dann der veraltete und unpräzise begriff "geisteskrank" etwas genauer definiert wird, kommt aller wahrscheinlichkeit das ganze ausmaß des desasters zum vorschein:

"Wir sind k ein Land, in dem Leute mit Suchtproblemen und narzißtischen Störungen, die sich ohne weiteres in der Gesellschaft von Als-Ob-Persönlichkeiten wohlfühlen und ihre sog. "Politik" inzwischen ganz nach den Bedürfnissen von Soziopathen auszurichten scheinen, an der Macht unterwegs sind!"

wie gefällt Ihnen das?

Mittwoch, 23. Mai 2007

notiz: leute, die den unterschied zwischen simulierter und authentischer realität nicht (mehr) kennen...

...sind in der heutigen zeit unter umständen politiker und machen sich so bemerkbar:

(...)"Das Internet ist ein neuer Raum, die vierte Dimension, eine Welt, in der Menschen leben, lieben, sich wirtschaftlich betätigen",(...)

aber sicher doch. "leben" und "lieben". selten zuvor hat ein angehöriger der sog. "eliten" derart entblößend die eigene, pathologisch entgleiste realitätswahrnehmung auf den fatalen punkt gebracht.

Dienstag, 22. Mai 2007

notiz: lesestoff für eine sehr unruhige nacht

zum ersten:

"Die Aufrüstung findet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Bundeswehr und verschiedene Polizeibehörden planen die Einführung neuartiger "nicht tödlicher Waffen", die Widerstand fast unblutig brechen sollen. Zunächst geht es vor allem um Elektroschockwaffen wie den Taser, die Gegner noch auf mehrere Meter Entfernung mit Stromstößen lähmen. Aber die Rüstungsfirmen haben weit mehr im Angebot: Mikrowellen, die unerträglichen Schmerz verursachen, Akustikkanonen, um öffentliche Plätze zu räumen oder Fangnetze und Gasminen, mit denen Grenzen oder Lager gesichert werden können. Aus Sicht ihrer Befürworter sind die neuen Waffen die angemessene Antwort auf wachsende soziale Widersprüche, Gewalteruptionen in den Vorstädten, militante Globalisierungskritiker und Flüchtlingswellen am Grenzzaun von Ceuta."

das manuskript der ganzen sendung lässt sich auf der verlinkten seite als .pdf abrufen - ich empfehle da besonders die die dokumentierten ausführungen des früheren generalbundesanwaltes kay nehm sowie die gedanken zur traumatischen wirkung von nicht sichtbaren verletzungen und schmerzen.

*

zum zweiten:

"Und ganz allgemein kann man sagen, dass es in 60 bis 70 Prozent der Tagesnachrichten um Traumatisches geht. Das ist einfach Alltag."

diesen artikel möchte ich die tage nochmals aufgreifen, daher an dieser stelle nicht mehr dazu. aber lesen Sie den obigen satz ein paar mal in ruhe, und denken Sie über die aussage nach.

*

zum dritten:

(...)"Eingesetzt werden soll die Drohne zur Bekämpfung von "Verbrechen und antisozialem Verhalten" sowie zur Überwachung der "öffentlichen Ordnung", von Menschenmengen bei großen Ereignissen und Verkehrsstaus."(...)

das thema "drohnen" im polizeilichen auftrag hatte ich hier neulich schon mal angerissen - jetzt wird´s sehr konkret, und die alte und neue begründung von der notwendigkeit, gegen "antisoziales" verhalten vorzugehen, wird wieder einmal explizit genannt. das problem ist dabei nur: wer definiert, was darunter fällt? ausgerechnet die herrschenden antisozialen?

*

im gleiche kontext das folgende - zum vierten:

"Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter und Ärzte sollen in Großbritannien künftig gesetzlich verpflichtet werden, Informationen über mögliche Gewaltverbrecher an die Polizei weiterzugeben. Dies sehen Vorschläge aus dem britischen Innenministerium vor, die der Times zugespielt wurden. Zunächst soll mit dem Vorstoß von Simon King, dem Chef der für gewalttätige Straftaten zuständigen Abteilung im Innenministerium, der Informationsaustausch zwischen verschiedenen Behörden effizienter gestaltet werden. Damit wäre aber auch verbunden, dass eine große Menge an persönlichen Daten einschließlich besonders sensibler medizinischer Dossiers zwischen zahlreichen Ämtern und Sicherheitsbehörden herumgereicht würde. Begründete Verdachtsmomente über das potenzielle Risiko der betroffenen Personen müssten nicht nachgewiesen werden.(...)

Der Guardian fühlt sich an den Science-Fiction-Film Minority Report erinnert, in dem potenzielle Straftäter vor dem Begehen eines Verbrechens ausgemacht und verhaftet werden. Die Tageszeitung verweist zudem auf weitere Regierungspläne, wonach unter anderem ungeborene Babys auf das Risiko eines möglichen sozialen Ausschlusses und sich daraus ableitende Verbrechensneigungen hin eingeschätzt werden sollen. Ein weiterer Gesetzesentwurf, der bereits vom Parlament beraten werde, will eine ähnliche Untersuchung bei Menschen mit geistigen Störungen verpflichtend machen.(...)

Staatssekretär David Davis sieht die Polizei bereits heute mit Informationen überversorgt. Großbritannien sei bereits eine "Überwachungsgesellschaft", sodass in diesem Bereich nicht mehr nachgebessert werden müsse."(...)


gute nacht.

Samstag, 12. Mai 2007

notiz: bunt gemischt

für den moment nur ein kurzes vorbeischauen - obwohl - oder gerade - weil die realität derzeit mal wieder in vielfältigster hinsicht unakzeptabel ist - als stichwort mag da g8 ausreichen.

*

in eigener sache: ich freue mich sehr, das dieses blog ab sofort nicht mehr von mir alleine betreut wird - sansculotte und wednesday haben sich dankenswerterweise dazu bereit erklärt, hier als moderatorInnen tätig zu sein - was mir, der sich in diesen wochen mit etlichen widrigkeiten im real life herumzuschlagen hat, doch einiges erleichtert. von mir wird also bis auf weiteres nur sporadisch hier etwas neues kommen. aber wie schon früher gesagt, betrachte ich immer noch viele beiträge in gewisser weise als zeitlos, was ich primär an den themen festmache - und verweise besonders die neuen leserInnen hier daher ebenso zum wiederholten male auf den index.

dazu gibt´s jetzt auch eine höchst überfällige erweiterung der blogliste: aureliane aka wildwuchs ist ab sofort mit dabei.

*

in älteren beiträgen spielt der gedanke der menschlichen, psychophysischen selbstregulation eine besondere rolle - und ein projekt, welches diesen gedanken für mich in einer besonderen art und weise bis heute repräsentiert, ist die von a.s.neill begründete schule summerhill, zu der es aktuell einen spon-artikel gibt, der neben der anscheinend inzwischen unvermeidlichen bezugnahme auf neoliberalistische wahnvorstellungen - "Was für Menschen entlässt dieses britische Internat in die moderne Welt - Romantiker oder Global Player?" - doch auch einiges zur bemerkenswerten praxis von summerhill vermittelt:

(...)"14 Uhr, Vollversammlung im Gutshaus. 50 Kinder sitzen in der Halle, auf Treppenstufen und Fensterbrettern, aneinandergekuschelt, konzentriert. Sie stimmen ab, ob die Besucher teilnehmen dürfen. Sie dürfen. Tertius, der blonde Knirps, ist Vorsitzender und ruft die Fälle auf: Wer wann übers Wochenende weg darf, wer wie viel Milch bekommt. Dann wird verhandelt, ob ein Junge sein Holzgewehr mit sich herumtragen darf, obwohl das ein paar Kindern Angst macht. Sie melden sich, argumentieren geübt, lachen viel. Die Kinder beschließen eigene Gesetze, es ist der Höhepunkt jeder Woche, ein hartes Stück Arbeit. Sie lernen, Demokratie zu produzieren, nicht nur zu konsumieren. Sie haben eine Stimme, Rechte, aber auch Pflichten. Wer stiehlt, lärmt oder nervt, bekommt keinen Pudding oder wäscht ab."(...)

selbstregulation - mit allem darunter sollten wir uns als menschen nicht (mehr) zufriedengeben. ich kann mir kaum eine größere herausforderung vorstellen - selbst-verwirklichung im wahrsten und besten sinne - und nicht im sinne der diversen kapitalistischen institutionen, die mit dem fake "individualität" lediglich die verkaufszahlen von in aller regel schädlichen und überflüssigen produkten in die höhe schrauben wollen.

*

nur - "nur" - sind für selbstregulation bestimmte psychophysische voraussetzungen nötig, die nicht als grundsätzlich vorhandene option begriffen werden können - u.a. die nötigen fähigkeiten für soziales leben. und immer noch wird das am nachdrücklichsten von autistischen menschen demonstriert - temple grandin wird für stammleserInnen dieses blogs hier kein unbekannter name sein - nun gibt es ein relativ aktuelles interview mit ihr, in dem sie zum wiederholten male in ihrer ganz eigenen variante einige typische eigenschaften dieser - krankheit? seinsweise? - namens (asperger-)autismus deutlich macht:

(...)"Als Forscherin haben Sie Dutzende von Fachartikeln verfasst, und Sie wissen viel über Ihr Fachgebiet. Wie aber fühlen Sie?

Mein Hauptgefühl ist Furcht. Das hat erst aufgehört, seit ich mit 21 Jahren begann, Antidepressiva zu nehmen. Die Medikamente haben mein Leben verändert. Vorher war es etwa so, als müssten Sie in einem Büro voller Schlangen arbeiten.

Wissen Sie den Grund für Ihre Angst?

Das ist ein biologischer Defekt in meinem Nervensystem.

Kennen Sie Gefühlsabstufungen?

Ich musste erst lernen, Gefühle zu mässigen. Wenn ich ängstlich werde, werde ich sehr ängstlich. Wenn ich mich in einem Kinofilm amüsierte, habe ich schon so laut gelacht, dass sich die anderen Zuschauer nach mir umdrehten.

Und Ihr Spektrum an Gefühlen?

Ich kann wütend sein, ängstlich, traurig und glücklich. Komplexe Gefühle aber sind mir fremd. Ich verstehe zum Beispiel nicht, wie eine Frau einen Mann lieben kann, obwohl er sie schlägt. Oder Liebe und Eifersucht zur gleichen Zeit zu empfinden, das kapiere ich nicht. Meine Gefühle sind simpel, wie die eines Hundes.

Das kann ja auch ganz praktisch sein.

Der Vorteil ist, dass mir zum Beispiel unterschwelliger Zorn fremd ist. Meine Gefühle sind nur im Jetzt, deshalb bin ich nicht nachtragend. Manche Menschen verbringen so viel Zeit damit, mit ihrem Freund zu streiten. So etwas mache ich schlicht nicht. Auch diese romantischen, gefühlsduseligen Filme – das ist mir zu langweilig. Ich gehe lieber mit jemandem aus und rede mit ihm über das Verhalten von Tieren. Das ist so viel interessanter.
Sozialen Ereignissen oder gefühlvollen Situationen gewinnen Sie nichts ab?

Ich bin ein Sonderling. Ich bin nicht interessiert an komplexen sozial-emotionalen Dingen. Alles soziale, das ich mache, ist, als würde ich Theater spielen."(...)


ich bitte nochmals zu beachten, dass ich das klassische autistische spektrum als eine art paradigma für die gesamten antisozialen optionen der menschlichen existenz ansehe, und in dem punkt folge ich weitgehend der argumentation des hier oft erwähnten j. erik mertz. was im umkehrschluß nun nicht bedeutet, dass "klassisch" autistische menschen jetzt automatisch als schlimmste antisoziale anzusehen seien - eher verweist die art und funktion ihrer einschränkungen auf strukturen, die - eher unerkannt - bei vielen, oberflächlich "normalen" menschen gerade in den sog. führungseliten weiter verbreitet sein dürften, als uns allen lieb sein kann.

(...)"Viele Menschen halten autistische Menschen für nicht erreichbar. Sie sind das beste Beispiel, dass dies nicht immer stimmt.

Man muss sich im Klaren sein, dass Autismus ein Kontinuum ist. Es reicht von Menschen mit schwerer Behinderung, die nicht sprechen können, bis hin zu brillanten Wissenschaftlern wie Einstein. Gäbe es die Autismus-Gene nicht, hätten wir wohl viel weniger kreative Wissenschaftler und Künstler. Ich schätze, dass bis zu 25 Prozent der Leute, die in Computerfirmen arbeiten, milde Formen des Autismus haben. Was meinen Sie, wer den ersten Steinspeer hervorbrachte? Das waren nicht die sozial veranlagten Typen. Das war irgendein Asperger-Autist, der in der Ecke der Höhle sass und stundenlang versuchte, einen Stein auf einem Stecken zu befestigen."(...)


das problem dabei ist nur, dass diese art "kreativität" - kombiniert mit desinteresse an "komplexen sozial-emotionalen dingen (sic!)" - womöglich in vielen mörderischen prozessen eine nicht unwesentliche rolle spielt.

*

zum schluß zwei kleine fragen, mit denen Sie sich ganz gut das wochenende durch beschäftigen können:

1. was ist der unterschied zwischen schutzgeld und dem staatlichen eintreiben von steuern bzw. dem privaten eintreiben von miete, strom- und wassergebühren etc.?

2. denken Sie einmal genauer über die begriffe "arbeitgeber" und "arbeitnehmer" nach, wenn Sie´s nicht eh schon getan haben. nehmen Sie sie einmal wortwörtlich - das ergebnis war zumindest für mich schon beschämend verblüffend - und bezeichnend.

Montag, 7. Mai 2007

notiz: tolle geschenke zum überwachungsalltag...

...gibt´s im fraktallog. die kotztüte müssen Sie sich hingegen woanders besorgen.

Samstag, 28. April 2007

notiz: erklärung zur gestrigen aktion im "bundestag"

"Junge politische Menschen setzen ein Zeichen vor und in dem Bundestag. Die Betitelung der Aktivisten als „Humankapital“, das Verstreuen von Geld und das Entrollen von Bannern mit Sprüchen wie „Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar“ sollen verdeutlichen, dass der Bundestag lediglich das Ausführungsorgan der großen Unternehmen ist und keine freiheitliche, demokratische Institution darstellt. Dieses Bild wird dadurch verstärkt, dass auf dem Dach des Reichstags der Schriftzug „Dem deutschen Volke“ durch das Banner „Der deutschen Wirtschaft“ ersetzt wird. Ziel dieser Aktion ist es, einen Diskurs anzustoßen, der die Scheindemokratie kritisch hinterfragt und mit Vehemenz gesellschaftspolitische Veränderungen durchsetzt. Wir fühlen uns durch die Größe der Probleme zu dieser Aktion genötigt.

Wir üben harte und tiefgreifende Kritik am bestehenden politischen System."


weiterlesen.

Montag, 23. April 2007

notiz: sehr unvollständige liste bekanntgewordener todesfälle im zusammenhang mit antisozialer politik: es gibt viele arten, um einen menschen zu töten...(update)

in diesen tagen ist in denjenigen medien (incl. blogs), die sich überhaupt mit dem hungertod eines jungen, erwerbslosen und wahrscheinlich depressiven mannes in speyer beschäftigen, immer wieder davon zu lesen, dass das der "erste tote" durch die sog. "hartz-IV-reformen" oder treffender: die offen antisoziale politik eines kapitalistischen regimes - gewesen sei.

das ist natürlich völlig unzutreffend, alleine schon deswegen, weil auch vor "hartz-IV" in diesem land durch und an den folgen kapitalistisch-antisozialer "politik" bereits gelitten und gestorben wurde.

nach einer kleinen recherche bin ich einerseits sprachlos, was schon alles so ohne größere mediale aufmerksamkeit - damit ist gemeint: nachfragender journalismus, der sich nicht alleine auf eine mehr oder weniger ausführliche zitierung der örtlichen polizeiberichte beschränkt, was bei den nachfolgenden artikeln oft genug der fall ist - geschehen ist; und andererseits koche ich vor wut - wir sind auf dem besten wege, in diesem land die verdammte gleichgültigkeit und feigheit unserer vorfahren im klassischen sinne zu re-inszenieren.

die folgende zusammenstellung ist mit sicherheit unvollständig - weite verbreitung und inhaltliche ergänzungen sind ausdrücklich erwünscht! ich selber werde momentan nicht zu einer weiteren und nötigen - kommentierung kommen, andererseits spricht die liste auch schon für sich selbst.

***

november 2004:

"Ein Mann hat sich im baden-württembergischen Bietigheim-Bissingen vor der regionalen Arbeitsagentur selbst getötet. Er fuhr nach Angaben der Polizei am späten Dienstagabend mit seinem Auto gegen den Haupteingang des Gebäudes. Das Fahrzeug explodierte. Die Arbeitsagentur selbst blieb unbeschädigt, weil sich deren Räume im oberen Stockwerk des Hauses befinden.

Nach ersten Erkenntnissen hatte der Mann eine Gasflasche auf dem Beifahrersitz deponiert und den Gashahn geöffnet. Er verbrannte bis zur Unkenntlichkeit. Die Polizeidirektion Ludwigsburg geht davon aus, dass es sich bei dem Selbstmörder um einen 51 Jahre alten gelernten Fernmeldehandwerker aus Sachsenheim handelte.

Finanzielle Probleme
Er war seit einiger Zeit arbeitslos. Seit Ende Oktober habe ihm die Arbeitsagentur kein Geld mehr ausgezahlt, weil es Unklarheiten darüber gegeben habe, ob dem Mann überhaupt Arbeitslosengeld zustehe, hieß es.
Der geschiedene 51-Jährige wäre jedoch laut ersten Ermittlungen noch nicht unter die Hartz-IV-Regelungen gefallen. Als weiteres Motiv kommen laut der Polizei finanzielle Schwierigkeiten des Mannes in Frage."


*

januar 2005:

"Offenbar weil er von der Arbeitsmarktreform Hartz IV betroffen war, hat ein arbeitsloser Mann im nordrhein-westfälischen Höxter Selbstmord begangen. Die Polizei bestätigte am Freitag, daß sich der 54jährige im Keller eines Hauses erhängt hatte. Bei ihm habe ein Papier mit der Aufschrift "Harz IV" gelegen. Die Zeitung "Junge Welt", die mit Angehörigen des Opfers sprach, berichtet, daß der langzeitarbeitslose Familienvater in eine verzweifelte Lage gekommen war."

(mehr dazu auch hier).

*

januar 2005:

(...)"Timo Müller erfährt erst Wochen später vom Selbstmord seiner Nachbarn, aus einem Zeitungsartikel, der im Hausflur hängt. »Lieber tot als arm«, steht dort in dicken Buchstaben, die Zeitung zitiert aus einem Abschiedsbrief. »Wir krebsen durchs Leben und spulen monoton einen Tag nach dem anderen ab«, haben beide geschrieben. Und dann noch die Sozialreformen. Monika und Michael Stahl, die ersten Opfer von Hartz IV? Das Gesetz ist da gerade einen Monat alt.(...)

Das Paar hat die Wohnung am Ende nicht mehr oft verlassen. Monika nur, um zu ihrer Arbeit in einer Speditionsfirma zu fahren. Und Michael, um Billie, den Bullterrier, spazieren zu führen. Stahl war seit Jahren arbeitslos. Ausgegangen sind er und seine Frau selten. Zu teuer. Meist verbrachten sie ihre Abende vor dem Fernseher, zu zweit, allein. Die Stahls hielten Distanz. Ihr Heim wurde zum Rückzugsort, in das immer bedrohlichere Nachrichten von außen drangen. Seit Anfang des Jahres sorgten sie sich um ihre Wohnung. Die neuen Regeln von Hartz IV: 84 Quadratmeter – zu groß für ein Paar ohne Kinder, 60 seien »angemessen«. »Angemessen« bedeutete Unsicherheit. Der Abschiedsbrief, den sie an die Cousinen und Kollegen geschickt haben, zeigt: Sie haben sich vieles ausgemalt. Wie es wäre, Wohnung, Auto und Arbeit zu verlieren. Es muss ein Leben im Konjunktiv gewesen sein, ständig das Schlimmste erwartend. Die Cousine erinnert sich, wie leer die Wohnung bei ihrem letzten Besuch wirkte, eine Woche vor dem Tod der beiden. Monika Stahl hatte gesagt, sie miste aus. Hätte sie nachfragen sollen?(...)

Timo Müller hatte Michael Stahl noch ein paar Mal mit dem Hund auf der Straße gesehen. Er wirkte nicht besonders glücklich, hielt den Kopf eingezogen, bewegte sich langsam. Seine Frau war immer auf Arbeit. Das Paar schien allmählich unsichtbar zu werden, vor den Augen von Familie, Kollegen, Nachbarn zu verschwinden. »Unauffällig« ist das Wort, was am häufigsten im Zusammenhang mit ihnen fällt."(...)


*

aus der berliner zeitung vom 18.06.2006 stammt via ostblog die folgende meldung:

"Selbstmord vor den Augen des Gerichtsvollziehers

FRANKFURT (ODER). Die Fassade des fünfgeschossigen Hauses in der Valentina-Tereschkowa-Straße in Frankfurt (Oder) ziert ein tristes Grau. Es wird nicht mehr viel gemacht an dem Gebäude, das in naher Zukunft abgerissen werden soll. Vor etwa acht Wochen wurden die Mieter des Blocks von dem Abriss in Kenntnis gesetzt, Ausweichwohnungen angeboten. Doch einer erhielt keine Offerte: Tim S. Denn dem 34-Jährigen drohte wegen Mietschulden die Zwangsräumung.

Als der Gerichtsvollzieher am Mittwoch vor seiner Tür stand, stürzte sich der arbeitslose Mann aus dem Fenster seiner im fünften Stock gelegenen Wohnung. Tim S. starb auf den Gehwegplatten. Im Juni vorigen Jahres soll er es versäumt haben, einen neuen Arbeitslosengeld-Antrag zu stellen. Danach konnte er einige Monate seine Miete nicht mehr bezahlen. Sein Selbstmord wirft viele Fragen auf.

Es war kurz nach 8.30 Uhr, als der Gerichtsvollzieher, eine Angestellte des Hauseigentümers, der Wohnungswirtschaft Frankfurt (Oder), und ein Mann vom Schlüsseldienst an der Hauseingangstür bei Tim S. klingelten. Der junge Mann war zu Hause. Er öffnete aber nicht, sondern soll der Gruppe den Schlüssel aus dem Fenster vor die Füße geworfen haben. Als der Gerichtsvollzieher kurz darauf die Wohnungstür öffnete, saß Tim S. auf der Fensterbank und drohte, sich in die Tiefe zu stürzen. Daraufhin verließ der Gerichtsvollzieher die Wohnung und telefonierte im Treppenhaus mit der Polizei. Der Mann vom Schlüsseldienst wechselte bereits das Schloss aus, als er bemerkte, dass Tim S. nicht mehr auf dem Fensterbrett saß. Er hatte in seiner Verzweiflung seine Drohung wahr gemacht."(...)


*

mai 2006:

"Kurz vor der Zwangsräumung seiner Wohnung hat sich ein 62-jähriger Architekt das Leben genommen.

Die Polizei war gestern mit dem Sondereinsatzkommando im Gärtnerplatzviertel angerückt, weil bekannt war, dass der Mann als Jäger Waffen im Haus hatte. Als die Beamten in die Wohnung eindrangen, war der Mann bereits tot.(...)

Vor zwei Jahren musste er das Haus in der Corneliusstraße verkaufen. Der 62-Jährige sowie seine Frau waren noch in der 200-Quadratmeter-Wohnung unter dem Dach gemeldet.

„Er konnte seine Miete nicht mehr bezahlen“, sagt Polizeisprecher Markus Dengler. Deshalb habe der neue Eigentümer, eine Münchner Spenglerei, die Zwangsräumung durchgesetzt.(...)

Was die Einsätze bei Wohnungsräumungen anbelangt, „ist die Polizei sensibler geworden, nach den letzten Erfahrungen“, sagt Markus Dengler. Erst im Januar hatte eine 41-jährige Mieterin vor einer Zwangsräumung im Olympiadorf sich eine Waffe an den Kopf gesetzt und gedroht abzudrücken.

Ende März hatte in Obergiesing ein 59-Jähriger mit einem Messer auf einen Obergerichtsvollzieher eingestochen, weil dieser zuvor Wertgegenstände gepfändet hatte.

In München müssen immer mehr Mieter ihre Wohnung verlassen, weil sie nicht mehr zahlen können. Allein im vergangenen Jahr seien rund 10 000 Mieter wegen Zahlungsverzugs fristlos gekündigt worden, berichtet Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins.

„Die Zahl ist dramatisch angestiegen.“ Dasselbe gelte für die Zahl der Räumungsklagen, die 2005 bei rund 3500 lag – nach Schätzungen des Amtsgerichts eine Steigerung von rund 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Täglich bis zu fünf Zwangsräumungen
Und viele Zwangsgeräumte fürchten den Absturz in die Wohnungslosigkeit. In etwa jedem dritten Fall komme es zur Zwangsräumung – vier bis fünf pro Werktag, oft mit dramatischen Begleiterscheinungen, so Stürzer: „Es kommt immer öfter vor, dass der Mieter mit Suizid droht.“


*

november 2005:

"Selbstmord wegen Zwangsräumung
Schwerfen - Immer wieder stand der Gerichtsvollzieher in den vergangenen Monaten bei einer Frau (48) in Schwerfen (Eifel) vor der Tür, drohte mit Zwangsräumung. Jetzt war es soweit: Mit mehreren Umzugshelfern rückte er an. Die Frau nickte apathisch, sagte: "Warten Sie bitte einen Moment, ich will nur noch kurz ein paar persönliche Sachen holen." Während die Männer warteten, erschoss sich die Frau."


*

juni 2006:

"Kurz vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung hat sich eine Frau aus Taufkirchen bei München umgebracht und zuvor vermutlich auch ihr Kind getötet. Die Frau sei am Montagmorgen aus dem achten Stock eines Hochhauses gesprungen, nachdem eine Gerichtsvollzieherin bei ihr klingelte, sagte eine Sprecherin der Münchner Polizei.
Polizisten fanden später in der Wohnung die Leiche des dreijährigen Sohnes. Wie der Junge ums Leben kam, soll eine Obduktion zeigen."(...)


dazu auch ergänzend:

"Die 39-jährige Silvia W., die sich am Montagmorgen in Taufkirchen vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung aus dem achten Stock gestürzt hat, hatte offenbar in den letzten Wochen alle Hilfsangebote ausgeschlagen. Sozialamt sowie Gemeinde hatten der Frau Unterstützung angeboten, zumal die alleinerziehende Mutter ihre Arbeit verloren hatte und die Miete für die Zwei-Zimmer-Wohnung nicht mehr bezahlen konnte.

"Wir haben ihr Hilfe angeboten, haben die Frau angeschrieben. Wir versuchten vergebens, sie zuhause anzutreffen, haben ihr sogar einen Zettel in den Briefkasten geworfen. Sie hat auf nichts reagiert", heißt es bei der Gemeinde Taufkirchen.

Finanzielle Hilfe hat Silvia W. nur für ihr Kind in Anspruch genommen, für die Tagesbetreuung ihres Sohnes sowie dessen Unterhalt, den der leibliche Vater nicht leistete. Am Abend vor ihrem Suizid hatte Silvia W. noch ihren dreijährigen Sohn umgebracht. Von der dramatischen Zuspitzung der Situation habe das Jugendamt jedoch keine Kenntnis gehabt, so ein Sprecher des Landratsamtes.

Der Leichnam des Buben wurde am Montag im Institut für Rechtsmedizin obduziert. Nach Angaben der Polizei hatte die Mutter ihren Sohn bereits am Sonntagabend erdrosselt. Auslöser für die Verzweiflungstat dürften nicht nur die finanzielle Misere, sondern auch massive Beziehungsprobleme gewesen sein, so die Polizei.

Job verloren, monatelang die Miete nicht bezahlt
"Die 39-Jährige hat phasenweise mit dem Vater des Kindes, einem 25-Jährigen, zusammengelebt", sagt Polizeisprecherin Eva Völkl. Offenbar sei es aber immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen seinerseits gekommen. "Die Frau hat ein Kontaktverbot gegen ihren Freund erwirkt", erzählt Völkl. Dieses sei im Januar erlassen worden und noch bis 6. Juli wirksam gewesen.

Zu dem Schwierigkeiten mit dem Mann seien finanzielle Probleme gekommen: Silvia W. hatte ihren Bürojob verloren und konnte laut Polizei seit Monaten die Miete nicht mehr bezahlen."(...)


*

august 2004:

"In Burghausen erhängte sich ein arbeitsloser Mann. Als Motiv für den Selbstmord kommen finanzielle Sorgen in Betracht. Der Mann hatte sich vor einigen Tagen ausrechnen lassen, was er nach Einführung des AG 2 noch bekommen würde.
Bisher erhielt er 600 Euro vom Staat, ab Januar würden es nur noch 331 Euro sein. In seiner Hosentasche fand die Polizei einen Abschiedsbrief, aus dem zu erkennen war, wie verzweifelt er war.
Seine Lebensgefährtin ist sich sicher. Ihr Mann hat sich wegen Hartz IV umgebracht."


*

aus der taz hamburg vom 19.04.2004 stammt der folgende artikel, der sich speziell mit dem hungertod einer psychisch erkrankten frau beschäftigt - auszüge:

"Tod durch Sozialhilfeentzug?
Kranke, die später verhungerte, wurde Stütze eingefroren. Amt wollte Frau zwingen, sich bei Betreuerin zu melden. SPD wirft Sozialbehörde jetzt Mitverantwortung vor

Als kurz nach dem Hungertod der siebenjährigen Jessica aus Jenfeld bekannt wurde, dass am 1. Dezember 2004 bereits eine psychisch kranke Frau in einem Farmsener Hochhaus verhungert aufgefunden worden war, warf SPD-Fraktionschef Michael Neumann CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram vor, sie habe "ihre Behörde nicht im Griff". Die Senatorin wiederum ließ erklären, ihre Behörde habe mit dem Fall "nichts zu tun", denn psychisch Kranke würden durch das Amtsgericht betreut.

Der SPD-Sozialexperte Dirk Kienscherf stellte daraufhin eine kleine Anfrage an den CDU-Senat, um der Sache auf den Grund zu gehen. In der Antwort kommt nun zu Tage, dass die 40-Jährige seit dem 1. September, also drei Monate bevor ihre mumifizierte Leiche gefunden wurde, vom Sozialamt Wandsbek keine Sozialhilfe mehr ausgezahlt bekam. Denn die ihr vom Amtsgericht zugeteilte Betreuerin habe extra darum gebeten, mit der Auszahlung zu warten, bis der Kontakt wieder hergestellt sei. Laut Senatsantwort bemühte sich die Sozialarbeiterin seit Juli, ihre Klientin zu erreichen, da eine Gerichtsgutachterin klären sollte, ob die seit 1999 verfügte Betreuung noch nötig war. Als die an Schizophrenie erkrankte Frau dann am 13. August im Sozialamt erschien, habe man sie "eindringlich gebeten", sich bei ihrer Betreuerin zu melden, um die "Fortzahlung der Sozialhilfe über den 31. August hinaus sicherzustellen".

Was aber nicht geschah. Das Sozialamt nahm am 11. November wieder Kontakt zur Betreuerin auf, um zu fragen, ob das Geld gezahlt werden solle. Ob die Frau da noch lebte, ist nicht klar, da der Senat keinen Todeszeitpunkt nennen kann. Eine Woche später erstattete die Betreuerin Vermisstenanzeige, was zum Leichenfund führte. "Es gab hier also ein Zusammenspiel zwischen Betreuerin und Sozialdienststelle", schlussfolgert Kienscherf, der nun in einer neuen Anfrage klären will, ob häufiger psychisch Kranken Sozialhilfe gesperrt wird. Ferner wundert ihn, dass der Todeszeitpunkt unbekannt sein soll, was kriminaltechnisch ermittelbar wäre."(...)


*

etwas heraus fällt in dieser liste ein selbstmord in haft nach verweigerung des sog. offenbarungseides:

"Eine 61-jährige Untersuchungsgefangene hat sich in der Nacht zum gestrigen Freitag in ihrer Einzelzelle erhängt. Wie von einem Sprecher der Justizbehörde mitgeteilt wurde, war Heidemarie B. gegen 6.45 Uhr beim morgendlichen Aufschluss von einer Justizvollzugsbeamtin gefunden worden. Der Anstaltsarzt sei unverzüglich herbeigerufen worden, habe aber nur noch den Tod der Frau feststellen können. Hinweise auf eine Fremdeinwirkung liegen nicht vor, ein Motiv für den Selbstmord ist nicht bekannt. Dem Behördensprecher zufolge befand B. sich zur Vollstreckung einer Erzwingungshaft seit vergangenem Montag in der Untersuchungshaftanstalt. Dort hinein gebracht hatte sie laut NDR 90,3 die Weigerung, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen."

*
juli 2005:

"Mann wollte im Feuer sterben
Seine jahrelange Arbeitslosigkeit hatte ihn völlig zermürbt

POCKAU - Grausamer Selbstmordversuch im Erzgebirge: Thomas W. (38) setzte sich in sein Auto, übergoss sich mit Benzin und zündete sich an. Doch er überlebte schwer verletzt, torkelte stundenlang durch den Ort. Erst dann fand ihn die Polizei - vier Kilometer vom Brandort entfernt.

Mitten in der Nacht klingelten die Beamten an der Haustür von W.s Familie. „Ihr Mann wollte sich das Leben nehmen“, teilten sie der Ehefrau (38) mit. Die hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bemerkt, dass ihr Thomas das Haus verlassen hatte. 40 Polizisten waren mit Fährtenhunden im Einsatz, suchten Wälder und Wiesen nach dem Flüchtenden ab. Jugendliche hatten ihn laufen sehen und den Notruf gewählt. Polizeisprecherin Heidi Hennig: „Vermutlich stand der Mann unter Schock.“

Der Pockauer war schon seit Jahren ohne Arbeit, litt sehr darunter. Seine Frau, selbst arbeitslose Kindergärtnerin, gestern zur Morgenpost: „Dass er so verzweifelt war, hätte ich nicht gedacht.“ Thomas W. liegt jetzt in einer Spezialklinik in Halle. Mehr als 70 Prozent seiner Haut sind verbrannt."


*

februar 2005:

"Einen Tag nach der Zwangsräumung seiner Wohnung in Potsdam-Babelsberg ist ein 41-jähriger Mann erfroren. Wie die Polizei am Donnerstag mitteilte, entdeckten Spaziergänger den leblosen Mann am Mittwoch gegen 8.30 Uhr im Park Babelsberg. Andreas H. lag etwa 50 Meter vom Hauptweg entfernt hinter einer Böschung auf einem Teppich. Neben ihm wurden ein Rucksack und mehrere Bierflaschen gefunden. Ein Notarzt konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen. Die Polizei schließt ein Fremdverschulden aus.

Erste Ermittlungen ergaben, dass Andreas H. erst einen Tag zuvor auf Beschluss des Amtsgerichts seine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in der Tuchmacherstraße verlassen musste. Andreas H. lebte dort seit 1986. Seine Frau starb vor sechs Jahren an Krebs. Seit 2001 soll H. keine Miete und keine Betriebskosten mehr gezahlt haben. Daraufhin verklagte ihn der Wohnungseigentümer Ende April 2004. Die Mietrückstände von Andreas H. hatten sich zu diesem Zeitpunkt auf rund 9 000 Euro angehäuft. Da der Mann in dem Verfahren keinerlei Widerspruch einlegte, erging gegen ihn im November 2004 ein so genanntes Versäumnisurteil, in dem die Zwangsräumung angeordnet wurde. Auch dagegen wehrte sich Andreas H. nicht. Am Dienstag kam dann der Gerichtsvollzieher."(...)


*

edit am 24.04.: bei fast allen der dokumentierten geschichten fällt etwas besonders krass auf: die haltung des rückzugs, der apathie und letztlich gegen sich selbst gerichteten aggression bei den betroffenen. um das zu verstehen, gibt es verschiedene ansätze - einen davon bietet die relativ neue strömung der relationalen psychoanalyse:

(...)"Sie geht von einem Verständnis des Menschen als Beziehungswesen aus und bemüht sich, diese Bezogenheit des Menschen in seinen psychischen, sozialen und ökonomischen Verhältnissen angemessen zu begreifen. Ausgangspunkt der Intersubjektiven Psychoanalyse ist nicht mehr ein isoliertes Triebwesen wie in der klassischen Psychoanalyse, sondern ein in seiner inneren Entwicklung durch seine Beziehungserfahrungen geprägtes Kind. Von dem bedeutenden englischen Psychoanalytiker Winnicott stammt der geniale Satz "There is no such thing as a baby" — d.h. so etwas wie ein isoliertes Baby gibt es nicht, das Baby ist nur zu verstehen als Teil seiner primären Beziehungswelt"(...)

was einen wichtigen schritt darstellt, um endlich wegzukommen vom quasi autistischen menschenbild der vereinzelten monade, welches bis heute in fast allen mainstreamdiskursen dominiert.

bei den folgenden aussagen zur erwerbslosigkeit als traumatischer erfahrung ist zu berücksichtigen, dass sie in dieser totalität vor allem bei menschen zutreffen dürften, die sich voll und alternativlos dem herrschenden normen- und wertesystem mit seiner bevorzugung der eigenen identitätskonstruktion über arbeit, leistung und erfolg (mitsamt den materiellen bequemlichkeiten, die wie zur dressur eingesetzt werden) ergeben haben - und kaum bis niemals eine eigene authentische identität entwickeln konnten, die sich aus der selbstverständlichen und liebevollen annahme ihrer selbst seitens der frühesten und wichtigsten bezugspersonen hätte ergeben können und sollen. mit dieser wichtigen voraussetzung im hinterkopf gelesen, bietet das folgende durchaus eine plausible erklärung für die auffällige und tödliche apathie an:

(...)"Die Konzepte der Relationalen Psychoanalyse geben uns damit auch einen unseres kritischen Maßstab an die Hand. Von der Notwendigkeit einer guten frühen intersubjektiven Erfahrungswelt des Kindes für dessen persönliche Entwicklung führt eine Grundlinie zur Notwendigkeit einer psychisch konstruktiven Gestaltung sozioökonomischer Großstrukturen für alle Gesellschaftsmitglieder. Die Großstrukturen müssen sich an den zentralen Lebensbedürfnissen und -rechten der Menschen orientieren — vor allem am Recht auf Verwurzelung, auf soziale Sicherheit, auf Arbeit und Bildung, auf demokratische Mitbestimmung — sie bieten damit die Grundlage für eine autonome Existenzgestaltung und Lebensplanung.

Das Trauma Arbeitslosigkeit
Mit der sozialstaatlichen Bändigung des Nachkriegskapitalismus erkämpften sich die Menschen wichtige Ansätze für psychosozial stabilisierende sozioökonomische Großstrukturen: Vollbeschäftigung, steigender Lebensstandard und die Errichtung von Strukturen, die dem Solidarprinzip und dem sozialen Ausgleich verpflichtet waren, entsprachen einer sozialen Verallgemeinerung des Sich-Kümmern um andere — dies ist auch das Reifungsprinzip der intersubjektiven Psychoanalyse.

Die Wende zum Neoliberalismus bedeutet eine krasse Veränderung hin zu einem psychodestruktiven ökonomischen und politischen Regime. Die sozialstaatliche Einbindung des Kapitalismus wird immer radikaler als Hemmnis für die ungehinderte Entfaltung der Herrschaft der Aktionäre begriffen, d.h. für die Orientierung am kurzfristigen Renditeziel und am Anstieg des Börsenkurses. Durch beschleunigte Rationalisierungsprozesse kommt es zu einer Entkoppelung von ökonomischem Erfolg und Beschäftigung, zum Wachstum ohne Arbeitsplätze. Massenarbeitslosigkeit wird nicht nur in Kauf genommen, sondern im Zuge permanenter Kostensenkungsstrategien durch Arbeitsplatzvernichtung sogar gefördert. Die Massenarbeitslosigkeit stellt die zentrale Traumatisierung durch den Neoliberalismus dar.

Die Arbeitslosigkeit als individuelle Traumatisierung führt zu desaströsen psychischen Belastungen und Schädigungen, die von Auflehnung und ohnmächtiger Wut zu depressiver Verzweiflung, Erschöpfung und zum Gefühl der Wertlosigkeit führen. Die verinnerlichten negativen Erfahrungen der psychischen Frühphase, in der das werdende Selbst sich noch nicht abgrenzen und wehren kann, werden im hilflosen Erleben der Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der Erwerbstätigen reaktiviert. Nicht umsonst ist eines der am schwersten zu ertragenden Gefühle der Arbeitslosen das, überflüssig zu sein, nicht mehr gebraucht zu werden und daran selber schuld zu sein.

Das individuelle Trauma der Arbeitslosigkeit wird durch die neoliberalen Eliten zu einem sozialen Trauma gesteigert, vor allem vermittels der Ideologie der "freiwilligen Arbeitslosigkeit"; nach der neoliberalen Lehre kann es keine Arbeitslosigkeit geben, wenn man den Markt nur seiner Selbstregulation überlässt. Für die im Überfluss vorhandene Ware Arbeitskraft stellt sich der marktgerechte Preis automatisch her — und wenn er unter dem Existenzniveau liegt, haben ihre Besitzer eben Pech gehabt. Arbeitslosigkeit ist damit definitionsgemäß immer nur Folge eines zu hohen Preises der Ware Arbeitskraft und damit immer freiwillig. Die Ideologie der freiwilligen Arbeitslosigkeit ist ein Schlag ins Gesicht aller Opfer systematischer Arbeitsplatzvernichtung. Sie stellt eine Grundfigur traumatisierender Täter-Opfer-Verkehrung und Opferbeschuldigung dar. Sie bietet damit eine Legitimation ideologischer und sozialer Gewalt gegen die Opfer, die wahnhafte Züge trägt; zugleich stellt sie einen Anschlag auf deren moralische Persönlichkeit dar, der die Opfer entmenschlicht und dehumanisiert."(...)


entmenschlicht und dehumanisiert - die parasitenvergleiche seitens der herrschenden kriminellen zeigen ganz offensichtlich wirkung.

liebe leserin, lieber leser: ich fürchte, wir werden uns alle mit dem gedanken vertraut machen müssen, dass uns ein weiteres kapitel in der geschichte des kampfes gegen das bevorsteht, was letztlich auch die selektionsrampe von auschwitz hervorgebracht hat. nicht, dass es eine eins-zu-eins-wiederholung geben würde - die heutigen antisozialen haben viel raffiniertere techniken und methoden zur verfügung. das ergebnis bleibt jedoch immer gleich.

Samstag, 21. April 2007

notiz: "müssen erwerbslose frieren und hungern?"

so die eingangsfrage zu einer bemerkenswerten diskussion drüben bei unkreativ. hiermit empfohlen.

Mittwoch, 18. April 2007

notiz: eine spezielle frage zum amokmassaker in den usa (update)

zum jüngsten amok(?)lauf in den usa möchte ich neben einem hinweis auf den beitrag ausweitung der kampfzone für den moment nur eine spezielle frage loswerden, die sich mir nach dieser -

(...)"In Chos Zimmer fanden Ermittler nach dem Amoklauf verschreibungspflichtige Medikamente gegen Depressionen. Dass der 23-Jährige krank war, ahnten die Menschen in seinem Umfeld allenfalls."(...)

und auch dieser information gestellt hat:

(...)"Aus Sorge vor einer Selbstmordgefährdung des Studenten hätten Beamte Cho Seung Hui damals in eine psychiatrische Klinik gebracht."(...)

im gegensatz zu den bekannten(!) informationen zu den im oben verlinkten blogbeitrag erwähnten beispielen von amok in den letzten jahren gibt es aktuell offensichtlich tatsächlich eine involviertheit psychiatrischer institutionen in die biographie des täters. und meine spezielle frage lautet nun:

was waren das für verschreibungspflichtige antidepressiva?

wenn es sich nämlich um sog. serotonin-wiederaufnahmehemmer gehandelt hat (heute bei schwereren depressionen durchaus verbreitet angewandte psychopharmaka), wäre es meiner meinung nach wichtig, sich genauer mit den folgenden fakten zu beschäftigen - ich zitiere aus einem telepolis-artikel vom januar 2005:

(...)"Das British Medical Journal berichtet. ihm sei im vergangenen Monat anonym vertrauliches Material zugespielt worden, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen der Patienten-Medikation mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRRI, z. B. Prozac) und erhöhtem Hang zu Aggressionen, Gewalt und Suizid belege. Das Material wurde der US-Behörde für Arzneimittelsicherheit (FDA) zur Prüfung übergeben.

Bei den entsprechenden Dokumenten handele es sich anscheinend um interne Memos, Produktstudien und Bewertungspapiere des Pharmariesen Eli Lilly aus dem Jahr 1988, aus welchen klar hervorgeht, dass der Firma bekannt war, dass die Einnahme von Prozac zu einer signifikanten Zunahme von nervösen "Erregungszuständen" führen könne, was diese bisher stets bestritten hatte. Klinischen Tests zufolge sind bei 38% der damaligen Prozac-Probanden derartige Symptome aufgetreten."(...)


und speziell die folgende passage rumorte in meiner erinnerung, als ich vom jüngsten amokfall hörte:

"Pikanterweise waren eben diese Dokumente während des Wesbecker-Prozesses im Jahre 1994 verschwunden, wo sie als wichtige Beweismittel hatten dienen sollen. Der Journalist Joseph Wesbecker war 1989 mit einer 47er Magnum (kleiner fehler im tp beitrag, es war eine ak47, anmerkg. mo) Amok gelaufen und hatte dabei 8 Menschen erschossen und ein Dutzend verletzt. Eine lange Leidensgeschichte von Depressionen und Angstzuständen fand mit dem Suizid ein Ende. Einen Monat vorher hatte er auf Empfehlung seines Arztes begonnen Prozac zu nehmen.

Das Unternehmen wurde zwar mit 9 zu 3 Geschworenenstimmen freigesprochen; später kam jedoch ans Licht, dass die Firma die Kläger, Angehörige der Opfer, bereits vorher in einem geheimen Deal großzügig abgefunden hatte."(...)


wie gesagt: ich stelle hier eine frage, die mich beschäftigt - was waren das für antidepressiva? leider ist meine zeit für genauere recherchen im moment arg begrenzt, aber vielleicht haben andere die möglichkeit?

speziell zu "prozac" sei auch nochmal auf ein interview verwiesen - im beitrag etwas weiter unten suchen.

*

ich habe gerade auch nicht die nötige ruhe, um der folgenden - mir fällt kein passendes attribut mehr dafür ein - geschichte mehr aufmerksamkeit zu widmen, möchte sie jedoch nicht untergehen lassen: Arbeitsloser in Wohnung verhungert ( mehr auch hier)

zu diesem geschehen fallen mir ebenfalls eine menge fragen ein, die ich in der nächsten zeit nochmal hier aufgreifen möchte.


***

edit. am 20.04.: etliche fragen wirft auch die folgende meldung im zusammenhang mit dem massaker auf:

(...)"Angehörige von Cho in Südkorea erklärten, bei ihm sei in den Vereinigten Staaten Autismus diagnostiziert worden. Chos Großtante Kim Yang Soon sagte, der Junge habe schon als Kind wenig gesprochen und immer sehr kalt gewirkt. In den USA sei den Eltern dann gesagt worden, dass Cho an Autismus leide. Cho war mit seinen Eltern 1992 in die Vereinigten Staaten ausgewandert."(...)

während in diversen medien von "paranoider schizophrenie" die rede ist, oder wahlweise mal wieder eine narzisstische ps herangezogen wird, scheint mir das obige aus dem direkten umfeld des täters vorläufig ewas fundierter zu sein. die verschiedenen herumgeisternden diagnosen jedoch machen unabängig von ihrem traurigen anlaß auch mal wieder eines der hier schon öfter angesprochenen probleme der orthodoxen psychiatrie mit ihen eigenen modellen deutlich: es gibt im spannungsfeld zwischen solchen diagnostischen modellen wie der schizophrenie, persönlichkeitsstörungen und dem autistischen spektrum so derart viele überlappungen, dass es letztlich sowohl stark vom welt- und menschenbild der jeweils diagnostizierenden person als auch von ihrer jeweils bevorzugten theoretischen schule abhängig ist, was für ein modell jeweils für plausibel gehalten wird.

das grundproblem einer falschen anthropologie und der ständig präsenten fragmentierung als grundprinzip westlicher wissenschaft wird dabei i.d.r. nicht wahrgenommen. auch bei den diagnosen einer paranoiden schizophrenie bzw. einer nps lässt sich mit einem entsprechenden - und begründbaren - perspektivenwechsel jeweils eine art autistischer kern (als wahrnehmungsmodus) feststellen. wenn im jetzigen fall der täter allerdings tatsächlich "hochoffiziell" eine diagnose aus dem autistischen spektrum bekommen haben sollte, dann ist es meiner meinung nach sehr geboten, dass sich diejenigen mediziner, die diese diagnose gestellt haben, zumindest partiell outen und begründen, warum sie zu dieser diagnose gekommen sind.

Dienstag, 17. April 2007

notiz: an ihrer sprache sollt ihr sie erkennen!

(...)"Die Bekämpfung von antisozialem oder kriminellem Verhalten, schlechten Schulleistungen, Schuleschwänzen und Teenagerschwangerschaften setzte die Regierung deshalb ganz oben auf ihre Agenda. Als „Humaninvestitionskapital“ müssten alle Kinder für den Markt der Zukunft fit gemacht werden, erklärte Tony Blair in unzähligen Stellungnahmen. Und da eine in die Krise geratene Gesellschaft ihre traditionellen Bindekräfte verloren habe (z.B. Religion, Gewerkschaften) und unfähige und unwillige Eltern an ihren Erziehungsaufgaben oft scheiterten, müsse der Staat einspringen und alle Kinder quasi unter seine Obhut – Beobachtung und Kontrolle – nehmen und Fehlverhalten entschieden entgegentreten („tough action“ nennen sie ihre Strategie).

Die Kinder- und Jugendhilfe verwandelt sich seitdem Schritt für Schritt in ein System des Risikomanagements aller Kinder in Großbritannien. Denn die Einführung von zentralen Kinderdatenbanken zielt vor allem darauf ab, auf der Basis formal definierter Risikoindikatoren vorherzusagen, welche selbst ganz kleinen Kinder und Jugendlichen sich zukünftig möglicherweise antisozial oder kriminell verhalten werden."(...)


zur bekämpfung von antisozialem und kriminellem verhalten setzen sich die angehörigen der selbsterklärten "eliten" am besten selbst auf ihre eigenen fahndungslisten. wer die selbstgeschaffenen zustände nur noch mit immer mehr der genau zu diesen zuständen führenden gleichen logik bekämpfen will, wird unausweichlich scheitern. und dabei alles in einen strudel der destruktion ziehen.

hier gibt es nur noch eins: die totale aufkündigung jeglicher loyalität zu einem derartigen system. im ganz eigenen überlebensinteresse.

ps: "beobachtung und kontrolle" sind nicht umsonst zwei der zentralen aspekte, mit denen sich der objektivistische modus im menschen charakterisieren lässt.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

US-Depeschen lesen

WikiLeaks

...und hier geht´s zum

Aktuelle Beiträge

Es geht ihm gut? Das...
Es geht ihm gut? Das ist die Hauptsache. Der Rest...
Grummel (Gast) - 23. Jan, 21:22
Im Sommer 2016 hat er...
Im Sommer 2016 hat er einen Vortrag gehalten, in Bremen...
W-Day (Gast) - 23. Jan, 14:49
Danke, dir /euch auch!
Danke, dir /euch auch!
Grummel - 9. Jan, 20:16
Wird er nicht. Warum...
Wird er nicht. Warum auch immer. Dir und wer sonst...
Wednesday - 2. Jan, 09:37
Ich bin da, ein Ping...
Ich bin da, ein Ping reicht ;) Monoma wird sich...
Grummel - 15. Sep, 16:50
Danke, Grummel. Das Netzwerk...
Danke, Grummel. Das Netzwerk bekommt immer grössere...
Wednesday - 13. Sep, 10:02
Leider nicht, hab ewig...
Leider nicht, hab ewig nix mehr gehört.
Grummel - 12. Sep, 20:17
Was ist mit monoma?
Weiss jemand was? Gruß Wednesday
monoma - 12. Sep, 14:48
Der Spiegel-Artikel im...
Den Spiegel-Artikel gibt's übrigens hier im Netz: http://www.spiegel.de/spie gel/spiegelspecial/d-45964 806.html
iromeister - 12. Jun, 12:45
Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

Suche

 

Status

Online seit 7214 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Besuch

Counter 2


assoziation
aufgewärmt
basis
definitionsfragen
gastbeiträge
in eigener sache
index
kontakt
kontext
lesen-sehen-hören
notizen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren