bevor ich mich wieder den harrenden und fälligen fortsetzungen widme (btw: sollten Sie jemals selbst als blogautorIn arbeiten, würde ich Ihnen empfehlen, nicht zuviele baustellen auf einmal aufzumachen...), hier nun ein paar kommentierte links zu interessanten texten - und wie so oft bei derartigen zusammenstellungen finde ich, dass es durchaus rote fäden gibt, die alle gleich angesprochenen themen gar nicht mal so untergründig verbinden.
(...) "Wenn wie jetzt über die Höhe der Unterstützung für erwerbslose Menschen gestritten wird, hat sich seit der von Gerhard Schröder verkündeten "Agenda 2010" ein Glaubensdogma etabliert: Arbeitslose brauchten Anreize, so heißt es, damit sie wieder eine Arbeit annähmen.
Dieses Glaubendogma geht davon aus, dass Arbeitsplätze im Prinzip angeblich genügend vorhanden wären, das eigentliche Problem sei vielmehr die Lustlosigkeit der Arbeitssuchenden. Von sich heraus habe der Mensch, so die Unterstellung, auf gar nichts Lust - außer regungslos auf dem Sofa zu liegen. Erst wenn ein finanziell messbarer Anreiz vorliege, würden Gehirnzellen und Gliedmaße in Bewegung gesetzt. (...)
Dieses Menschenbild entspricht (...) jener Psychologie aus dem euphorischen Industriezeitalter, die das naturwissenschaftliche Kausalitätsgesetz umstandslos auf die Erforschung menschlichen Verhaltens zu übertragen versuchte. Sinnbild für dieses Denken ist der pawlowsche Hund, der auf einen akustischen Reiz so voraussehbar reagiert wie eine Maschine: ohne Reiz keine Reaktion.
Dieses Modell passte einst gut zum Regime der Arbeitshäuser und Besserungsanstalten, die für "umherziehendes Gesinde" eingerichtet wurden. Der Mensch sollte - mit Zuckerbrot und Peitsche - an den neuen Rhythmus der Maschine angepasst werden. Der Rückgriff auf den Verhaltensmodus von Tieren verwundert da kaum, denn die mechanische Psychologie kannte keine Seele. Zwischen der Wahrnehmung einer Information (Reiz) und dem darauf folgenden Handeln (Reaktion) fehlte die vermittelnde Persönlichkeit. Die neoklassische Ökonomie, auf der die Anreiz-These basiert, griff dieses Menschenbild auf, um zu begründen, warum der Mensch nur durch ständigen Wettbewerbsdruck zur Leistung bereit sei." (...)
interessanter text, auch wenn ich die kategorien, in denen da gegen diese erkennbarbehavioristischenstrategien argumentiert wird - aufklärung, kant, bibel - für zu kurz greifend halte. den befund hinsichtlich der "neoklassik" unterschreibe ich weitgehend (siehe auchzum "institutionellen autismus" der wirtschaftswissenschaften), finde aber vor allem auffällig, wie in diesem beschriebenen menschenbild eigentlich unübersehbar vor allem eine grundsätzlich soziopathische wahrnehmung aufschimmert.
der zugrundliegende objektivistische modus kann bekanntlich bzw. wie schon früher näher erläutert in der welt weder einen immanenten sinn wahrnehmen noch generieren, in bezug auf letzteres höchstens simulationen. neben anderen konsequenzen ergibt sich daraus eine gerne übersehene, nämlich eineexistenzielle langeweile- (auch angesprochen in den basisbeiträgen zur "als-ob-persönlichkeit"). diese spezifische langeweile, basierend auf einem fundamentalen wahrnehmungsdefekt, ist es unter anderem, die echte soziopathen zu ihren teils äusserst riskanten (auch für sie selbst) aktionen motiviert - ein surrogat für jene gleichfalls existenzielle zufriedenheit (oder vielleicht besser: das glücksgefühl), welches authentisch sein könnende menschen bei ihren bewegungen in der welt verspüren können. letzteres eben auch bei erfüllender arbeit.
das "Fehlen der vermittelnden Persönlichkeit" ist dabei ein schlüsselsatz, welches sowohl hinsichtlich der behavioristischen ansätze als auch der soziopathie entscheidend ist. hier wird letztlich eine unbestreitbare eigenwahrnehmung derjenigen sichtbar, die oben benannte ansätze und daraus folgende menschenbilder vertreten, ausformulieren und in "politische" forderungen umsetzen. im vorletzten absatz des artikels wird das wie folgt ausgedrückt:
(...) "Die Manager unserer Skandalbanken bestätigen ihr Menschenbild hingegen auf zynische Weise. Ohne sechsstellige Bezüge oder millionenschwere Boni hätte ihnen womöglich der Anreiz gefehlt, mit jenen aberwitzigen Finanzluftschlössern zu handeln, mit denen sie die Welt vor zwei Jahren bis an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds brachten. Heißt das, unsere Boni-Banker sind von Natur aus faul? Würden sie ohne Spitzengehälter nur träge auf dem Sofa liegen? Zumindest gesteht diese Anreizelite damit ein, dass sie selbst kein Konzept von Arbeit besitzt, das auf der Freiheit der autonomen Persönlichkeit beruht." (...)
das "von Natur aus" halte ich in diesem fall für eine unglückliche, da falsche assoziationen aufrufende, formulierung. aber die fragen dürften generell zu bejahen sein. mit einem fehlenden konzept beruhend "auf der Freiheit der autonomen Persönlichkeit" hat das allerdings ebenfalls weniger zu tun; in ihrer eigenen wahrnehmung sind die betreffenden durchaus "frei" und eher zu sehr "autonom", macht dieser begriff im kontext doch nur sinn, wenn er für eine weitgehende beziehungslosigkeit als synonym gesetzt wird.
auffällig ist aber nicht nur in diesem fall, sondern in vielen bereichen der gesellschaftlichen organisation dieses fast komplette leugnen der menschlichen fähigkeiten der selbstorganisation und -regulierung, für die stattdessen das bekannte bild des faulen, gierigen und letztlich bösen menschen als dominierende vorstellung breit installiert ist. ich halte das u.a. wie schon früher oft genug für eine deutliche projektion seitens derjenigen, die mit diesem mist operieren; und im falle der "wirtschafts-" und sonstigen experten, die u.a. für die hartz-iv-gesetze mitverantwortlich sind, dürfte es ähnlich aussehen wie bei den bankstern beschrieben.
ein weiteres (extremes) beispiel für das gemeinte bietet unser heutiges justiz- und strafwesen, welches belegbar durchgängig die situation nur ständig verschlimmert (beispiele dazu sind in etlichen früheren blogbeiträgen zu finden) und womöglich durch diese art der behandlung mit dazu beiträgt, (funktionelle) soziopathen zu erzeugen. insgesamt geht es hier um etwas, was in eineminterviewmit der autorin martha stout ("der soziopath von nebenan") wie folgt beschrieben wurde (ich greife das ganze interview zukünftig nochmal ausführlicher auf):
(...) "TR: Wie behandelt man einen Soziopathen?
Stout: Wenn er sich tatsächlich in Therapie befindet, ist das eine eher mechanische Sache, normale Therapieformen greifen kaum. Es geht darum, das Verhalten zu kontrollieren. Soziopathen werden ganz anders motiviert als normale Menschen. Es hat etwas Erzieherisches: "Wenn Du das machst, gehst Du ins Gefängnis" oder "Das Verhalten hat diese materiellen Konsequenzen für Dich". Es geht um sehr, sehr einfache, grundlegende Dinge – A folgt auf B, wie ein Lehrer vor kleinen Kindern.
Ich habe mich einmal mit einem Mann unterhalten, der ein Programm für Menschen leitet, die wegen Alkohol am Steuer mehrfach verhaftet wurden. Ihm wurde irgendwann klar, dass sich darunter viele Soziopathen befanden. Er stellte seinen Ansatz daraufhin um: Früher versuchte er den Leuten zu erklären, dass sie anderen Menschen durch ihr Verhalten Schaden zufügen oder sie sogar töten könnten. Es stellte sich aber heraus, dass das diesen Delinquenten ziemlich egal war.
Inzwischen erzählt er seinen Kandidaten einfach die kalten, harten Fakten: Sie werden jedes Mal verhaftet, verlieren ihren Führerschein, sie werden nicht mehr mobil sein und so weiter. Das war die einzige Chance, ihr Verhalten zu ändern."
sehen Sie das (tatsächlich behavioristisch anmutende) prinzip? und schauen Sie sich mal um, wo das überall angewendet wird oder aber durchschimmert (nebenbei: in den obigen sätzen von stout steckt auch die erklärung dafür, warum appelle an "ethik & moral" großen teilen unserer "eliten" so selbstverständlich an einem ohr hinein und sofort wieder am anderen hinaus gehen. es hilft auf dieser ebene wirklich nur, ihnen die "kalten, harten fakten" für sie selbst deutlich vor augen zu halten).
wenn man sich genauer anschaut, wer in den heutigen gesellschaften die macht hat, wirksame (nicht unbedingt positive) konzepte für das miteinanderleben zu entwickeln und vor allem durchzusetzen, wird sehr schnell deutlich, dass wir es mit einer entwicklung zu tun haben könnten, die anlässlich des themas "managergehälter" vor einiger zeit bei telepolis von einem userso umschriebenworden ist:
(...) "Scheint wohl ein kleines Problem mit unserem Anreizsystem zu geben. Wenn Skrupel Karrierekiller sind, brauchen wir uns nicht zu wundern,
wenn unsere Elite eine negative Selektion wird und sich aus immer
mehr Soziopathen zusammensetzt, die prompt anfangen, die ganze
Gesellschaft zu einem Biotop für sich und Ihresgleichen umzuformen."
und der letzte satz bringt es auf den fatalen punkt. ich behaupte, dass sich der kommentar in der "taz" letztlich um nichts anderes als eine der vielen konsequenzen der "versuchten umformung" dreht.
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die "zeit" hat eine recht interessante rezension einer offensichtlich ebenfalls interessanten neuen sammlung mit bislang unveröffentlichten materialien von norma jeane mortenson, besser bekannt alsmarilyn monroe:
»Allein!!!!!!
Ich bin allein – ich bin immer allein
egal was…«
wer das buch von mertz gelesen hat, dürfte sich an seinen abschnitt über die monroe (und romy schneider) erinnern; ebenfalls gilt "mm" schon seit längerem in vielen arbeiten der borderline-literatur als ein geradezu "paradigmatischer fall", sowohl was ihre traumatische biographie als auch ihren gesellschaftlichen "erfolg" (bei maximalem persönlichem unglück) anbelangt. zu ihren heutigen potenziellen nachfolgerinnen mehrhier.
(...) "Man dachte, Babys seien nicht in der Lage, zwischen Vorstellung und Realität zu unterschieden, und Zusammenhänge verstünden sie sowieso nicht. Das ist falsch." (...)
das zeichnete sich allerdings schon länger ab, aber es schadet keinesfalls, sich immer wieder von den hartnäckigen vorstellungen von babys als "hilflosen nichtsmerkern" zu verabschieden, zumindest vom letzteren (danke an w-day für den hinweis :-)
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zum ende ebenfalls schon bekanntes (und nicht zuletzt hier im blog schon oft thematisiertes), wieder einmal vonharald welzer:
(...) "Jetzt tritt etwas Unerwartetes auf den Plan, und das heißt Endlichkeit. Endlichkeit ist einer Kultur, die von der Fiktion unendlichen Wachstums besessen ist, unheimlich und fremd. So sehr, dass sie alle Energie darauf verwendet, die Fiktion eines Status quo zu schaffen, in dem die Gesetze der Zeit gelten, als alles noch funktioniert hat. Diese Gesetze hießen: Wachstum schafft Wohlstand, Bildung erlaubt Aufstieg, von allem gibt es für alle mehr, die Zukunft ist besser als die Gegenwart. Heute müssen sich gerade die frühindustrialisierten Länder wie Deutschland mit dem befremdlichen Gedanken anfreunden, dass ihre Zukunft vermutlich schlechter sein wird als die Gegenwart, weshalb die anderen Gesetze plötzlich auch alle nicht mehr gelten." (...)
file under "exponentielles wachstum" und "systemkrise".
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trotz allem: ich wünsche ein schönes herbstwochenende.
ich komme derzeit nicht wirklich dazu, die reihe der krisennews so weiterlaufen zu lassen wie in den vergangenen gut zwei jahren, in denen sich über vierzig folgen ergeben haben. das hat aber keinesfalls etwas damit zu tun, dass ich "die krise" (v.a. in ihrer ausprägung als ökonomischer absturz) nun etwa für "überwunden" o.ä. halten würde - nein, neben der erkennbaren strategie des reinen zeitgewinns von elitärer seite aus sowie der ebenfalls wahrnehmbaren vertiefung auf so ziemlich allen gesellschaftlichen ebenen (in dieser hinsicht gibt es allerdings - noch - länderspezifische unterschiede im verfallsprozeß), spielt hier hauptsächlich der umstand eine rolle, dass ich versuchen will, mehr das gleichgewicht zwischen dem "eigentlichen" focus dieses blogs einerseits und der wie gering auch immer vorhandenen möglichkeit des herstellens von gegenöffentlichkeit durch die weitergabe weitgehend unterschlagener informationen andererseits zu wahren. in den ersten und spektakulären phasen der (wirtschafts-)krise ist das im nachhinein aus meiner sicht etwas ins trudeln geraten.
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nun hatte ich ja öfter schon angemerkt, dass ich damit rechne, zukünftig auch reaktionen bzw. krisenfolgen zu sehen, die aus den bisher gewohnten wahrnehmungsrastern hinsichtlich politischer aktionen herausfallen. in diesen tagen jedoch scheint mich die realität diesbezgl. lügen zu strafen - ich fühle mich jedenfalls sehr an meine eigenen ersten erfahrungen mit demonstrationen in denfrühen 1980ernerinnert:
"damals war´s nicht nur in westdeutschland unruhig, sondern ebenso in holland, großbritannien, italien, der schweiz... - hausbesetzungen, anschläge, straßenunruhen, anti-akw-proteste und die startbahn west in frankfurt prägten ebenso wie die revolution in nicaragua und der guerillakrieg in el salvador eine länderübergreifende bewegung, deren stärke in ihrer vielschichtigkeit lag, die aber gleichzeitig viele - v.a. kulturelle - momente einer klassischen jugendbewegung nicht überschreiten konnte."
der letzte satz weist schon auf einen starken unterschied zur aktuellen lage hin - von einer (dazu noch inhaltlich eindeutig "links" ge- und bestimmten) "jugendbewegung" kann aktuell keine rede sein. ein zweiter wesentlicher, und vielleicht der für die zukunft entscheidende, unterschied liegt in der allgemeinen politisch-sozialen konstallation - damals waren die verhältnisse u.a. durch die blockkonfrontation west - ost bestimmt, die gesellschaften befanden sich dadurch in einer lage mit grundsätzlich begrenzten handlungsoptionen (wie gerade bei denjenigen ländern zu sehen, die sich in diesen jahrzehnten eine oft genug befreiungsnationalistische revolution erkämpften [nicaragua wurde oben schon genannt], damit aber nicht ihren eigenen weg gehen konnten, sondern durch die realen weltweiten machtbedingungen zur wahl zwischen den blöcken gezwungen wurden - die sich selbst "blockfrei" bezeichnenden staaten in dieser zeit waren das bestenfalls und ausnahmsweise in teilen; das damalige jugoslawien und auch cuba könnten dafür als beispiele stehen), weil so ziemlich alle relevanten themen irgendwann im strom der fixierung auf die erwähnte scheinbare systemkonkurrenz wahrgenommen wurden und irgendwann immer eine grundsatzentscheidung verlangt oder aber von außen getroffen wurde - auch die erwähnte bewegung der frühen 80er wurde sehr schnell vom mainstream in ihren meisten teilen als "moskauhörig" und "unterwandert" betrachtet, ein schicksal, was sie in dieser epoche mit eigentlich allen oppositionellen strömungen teilte, sobald diese eine gewisse relevanz erreichten.
aber wie gesagt: dieser spezielle und sehr dominierende umstand ist zwischenzeitlich bekanntlich komplett weggefallen; der totalitäre kapitalismus ist als einziges übriggeblieben und tritt gerade in seine finale phase ein (über die vielfältigen gründe für dieses urteil ist in anderen beiträgen hier ausgiebig zu lesen). das aber bedeutet, dass sich auch die innerhalb dieser situation entstehenden widerstandsbewegungen sehr anders verorten und begreifen müss(t)en als bisher gewohnt, ohne damit auf die erfahrungen und lehren ihrer vorläufer zu verzichten. anhand von drei beispielen aus diesen tagen möchte ich das mal versuchen, deutlicher zu machen.
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als ich mir donnerstagnacht die szenen aus stuttgart ansah ...
... musste ich sehr schnell an die großen konflikte in der alten brd der späten 1970er (damals begann der widerstand im wendland / gorleben) sowie den 80ern - startbahn west frankfurt, waa wackersdorf - denken. nein, das was da jetzt gerade in stuttgart passiert, ist in vielerlei hinsicht weder neu noch erst- oder einmalig. die drei obigen namen stehen ebenfalls für eine massive sog. bürgerliche beteiligung, in allen drei fällen sogar für eine u.a. durch die damaligen polizeieinsätze erzeugte unterstützung der militanten fraktionen bzw. auch eigene militanz bis hin zu oma und oppi. der erste schritt für eine solche entwicklung könnte seit donnerstag durch die reaktionen von politik und polizei eingeleitet worden sein. ebenfalls nichts neues ist die staatliche gewalt gegen kinder und jugendliche - stellvertretend sei hier nur der 16jährige olaf ritzmann genannt, der 1980 von der polizei nach einer demonstration in hamburg gegen den damaligen kanzlerkandidaten franz-josef strauss vor eine u-bahn getrieben wurde (mehr zu diesem und anderen fällen von tödlicher polizeigewalt auf demonstrationen in der brdhier). in diesem link wird auch auf zwei tote nach polizeieinsätzen in wackersdorf hingewiesen, von denen es sich in dem einen fall um eine 68jährige rentnerin handelte, die nach einem gasangriff einen herzinfarkt erlitt. es tauchen mittlerweile immer mehr berichte auf, nach denen entweder gestern oder aber bei einem früheren einsatz in sachen "s21" ebenfalls eine ältere frau eine herzattacke erlitt und auf dem weg ins krankenhaus verstarb. eindeutig verifizieren kann ich das bis zur stunde allerdings noch nicht, aber eine derartige parallelität der ereignisse würde mich zumindest nicht wundern - erst recht nicht, wenn man sich bspw. einen solchenaugenzeugenberichtmit den nichtreaktionen der zuständigen institutionen in medizinischen notfällen betrachtet.
solche berichte weisen auch schon auf einen wesentlichen unterschied zu früheren zeiten hin: damals war so etwas nur in (linken) printmedien mit geringer auflage und/oder flugblättern zu lesen; massive staatliche an- und übergriffe wurden nur - meist mit zeitlicher verzögerung - von einigen politmagazinen alá "monitor" oder "panorama" aufgegriffen; vielleicht klemmten sich noch "spiegel" und die "frankfurter rundschau" dahinter. massenwirksam war das alles nur begrenzt, und so konnten die unglaublichsten dinge ohne größeres aufsehen passieren. das ist im netzzeitalter so nicht mehr möglich, und nicht zuletzt aufgrund der präsenz von handykameras, twitter und co. sind selbst im mainstream texte zu lesen, an die ich mich aus früheren zeiten so nicht erinnern kann: als beispiele sei auf diesenkommentarbei "n-tv" verwiesen, und selbst eine explizite boulevardzeitung wie der "berliner kurier" ist amschimpfen:
"Staatsmacht völlig durchgeknallt? Bei der Räumung des Stuttgarter Schlossgartens am Donnerstagabend ging die Polizei mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor. Am Tag danach verschanzte sich die Politik gestern hinter Law-and-Order-Floskeln." (...)
da es wie gesagt in vergangenheit schon mehrfach ähnliche ereignisse mit allen und noch schlimmeren aspekten wie jetzt in stuttgart gab, bei denen die gleichen oder aber vorläufer der benannten medien zuverlässig und regelmässig ganz andere töne anschlugen, muss in diesem fall einiges anders sein - und das dürfte zumindest teilweise tatsächlich mit der schwierigkeit für die medien zusammenhängen, die massenhaft verbreiteten o-töne und szenen zu übergehen und so erfolgreich zu lügen und realität zu verdrehen wie in früheren zeiten. ein punkt, den die "neuen medien" trotz aller kritik durchaus für sich verbuchen können.
ein anderer punkt ist aber der, dass ähnlich wie im verlinkten "n-tv"-kommentar meistens explizit darauf hingewiesen wird, dass es sich ja bei den zielen der polizeilichen aufmerksamkeit eben nicht um "die sonstigen chaoten" bzw. den "schwarzen block" gehandelt hätte, sondern um "ganz normale bürgerInnen". implizit wird damit deutlich selektiert - die "chaoten" besitzen offensichtlich keine sog. "bürgerlichen rechte" mehr, und werden die knüppel und das gas schon irgendwie verdient haben (und ich schätze, eine nicht kleine zahl derjenigen, die da in stuttgart gerade ganz praktische lektionen in staatsbürgerkunde erhalten, dürfte eben bis zu den aktuellen erfahrungen für diese sichtweise beifall geklatscht haben). was aber fast in vergessenheit geraten ist bzw. den meisten überhaupt niemals bewusst gewesen sein dürfte: die form des "schwarzen blocks" hat sich über jahre entwickelt, und zwar als reaktion auf eben die vielfältig gemachten erfahrungen mit eben solchen polizeilichen angriffen wie jetzt auch in stuttgart. vermummung und identische klamotten verhindern eine identifizierung und damit verfolgende repression, helme und arm- sowie beinschoner dienen wie auf der anderen seite dem eigenen körperlichen schutz. der "schwarze block" ist also zunächst eine rein defensive reaktion auf staatliche gewalt (zu den durchaus vorhandenen problematischen seiten solcher blöcke mehrhier).
die starke betonung der eigenen gewaltlosigkeit seitens der "s21"-bewegung (was das generell und warum für ein fataler irrweg sein kann, ist im ersten link ganz oben genauer nachzulesen) sowie parolen wie "wir sind das volk" oder auch das absingen der nationalhymne während polizeilicher räumungen sind in dieser form ebenfalls etwas, was in früheren konflikten ähnlicher struktur so nicht nur nicht zu beobachten gewesen ist (es ist bis jetzt keinerlei ernsthafte militante fraktion erkennbar, nicht mal in dem sinne des ursprünglichen militanzbegriffs, der zunächst primär eine bestimmte einstellung / haltung meint, und nur sehr sekundär und nicht zwangsläufig daraus folgend mögliche aktionen auch mit einem gewissen gewaltfaktor), sondern geradezu als unvorstellbar erscheint. das könnte ein hinweis darauf sein, wie sehr sich die diskurse der vergangenen beiden jahrzehnte über "nötigen patriotismus" und "unverkrampftes nationalbewusstsein" bereits gesellschaftlich festgesetzt haben. und das ist durchaus eine gefahr: bereits in der vergangenheit haben sich rechte strömungen unter dem schlagwort "heimatschutz" bereits (erfolglos) an die anti-akw-bewegung anzudocken versucht. das könnte in diesem fall aufgrund der sehr veränderten gesamtgesellschaftlichen rahmenbedingungen (zu denen nicht nur der "neue patriotismus" sondern auch bspw. sarrazin gehört), anders als in der vergangenheit laufen.
die früher erfolgte intervention von linken und linksradikalen in solchen konflikten verlief dagegen oft genug nach einem denkmuster, welches verkürzt ungefähr so aus sah: man muss "die bürger" nur ausreichend aufklären und agitieren, um ein bewusstsein für die größeren zusammenhänge (in denen solche projekte wie die startbahn, wackersdorf oder auch s21 immer eingebettet sind) zu schaffen und derart (hoffentlich) irgendwann zusammen zur revolution schreiten zu können.
das das nicht funktioniert, dürfte historisch ausreichend belegt sein. und mehr als jedes flugblatt kann ein polizeiknüppel auf dem eigenen kopf zum ausgangspunkt für eine veränderte wahrnehmung der eigenen situation und rolle in diesem staat werden - betonung auf "kann", weil eine andere - und die staatlicherseits erwünschte und beabsichtigte - reaktion durchaus in verängstigung, einschüchterung und rückzug liegen kann. eine schock-strategie im kleinen sozusagen. in beiden fällen ist es für eine emanzipatorische politik nötig, angebote zu machen, die bei den ganz eigenen erfahrungen der aktivistInnen ansetzen und keine hierarchie installieren (was den möglicherweise vorhandenen erfahrungsvorsprung in vielen bereichen weder negiert noch entwertet - die eigenen erfahrungen sollten sehr wohl vermittelt werden, aber ohne es sich dabei auf einem fiktiven hochsitz gemütlich zu machen und von oben herab rezepte zu verteilen).
das sich gesellschaftlicher widerstand regelmässig anhand von in raum und zeit sehr konkret an einem ort oder in einer region verortbaren projekten entzündet, ist nicht schwer nachvollziehbar: im gegensatz zu abstrakten (im sinne von nicht direkt sinnlich erfahrbaren) schweinereien wie bankerboni und finanzkrisen sind monströse bauwerke und herausgerissene bäume sehr konkret erfahrbar und mit vielfältigsten emotionen verbunden, gerade wenn sie im ureigenen räumlichen lebensbereich stattfinden. die real vorhandenen verbindungen einer solchen ebene mit den abstrakten strukturen dahinter wahrnehmbar zu machen (im aktuellen fall wären das bspw. der klüngel von bauwirtschaft und landespolitik, der charakter der bahn als profitorientiertes unternehmen, die von elitärer seite verwendete begriffe von "fortschritt", "wachstum" und "mobilität" sowie die verachtung, die im umgang mit großen teilen der bevölkerung hier genauso sichtbar wird wie bspw. bei "hartz-IV") und sich dementsprechend selbst immer weiter zu bilden und nötige bündnisse zu anderen gesellschaftlichen oppositionellen kräften herzustellen, ist eine aufgabe, an der sich letztlich auch der weitere weg der "s21"-bewegung abzeichnen wird. wenn sie sich auch nur teilweise auf einen derartigen entwicklungsprozeß einlassen kann, wird sie trotz der wahrscheinlichen durchsetzung des ganzen projektes (inzwischen steht sowohl für landes- als auch bundesregierung zu viel auf dem spiel) als erfolgreich zu bezeichnen sein, weil derart der schritt von der "ein-punkt-bewegung" zur nötigen fundamentalopposition für viele beteiligte zumindest in die nähe rückt.
die staatlichen reaktionen besonders ab freitag sind dabei durchaus interessant - die beteiligten beginnen gerade ein schauspiel, das nicht ganz zufällig an das spielchen nach dem love-parade-desaster in duisburg erinnert - teile der bundespolitik beschuldigen die landespolitik und umgekehrt, letztere versucht immer noch, offen erkennbare absurde schuldzuweisungen an die demonstranten weiterzuschieben. die herrschaften sind offensichtlich auf dem falschen fuß erwischt worden und aufgrund ihrer defekten realitätswahrnehmung erkennbar unfähig, sich andere realitäten jenseits ihrer fiktionen vorstellen zu können (sie haben sogar bisher schwierigkeiten, als taktisches mittel auch nur einigermaßen überzeugende simulationen von möglichkeiten bürgerlicher partizipation zu entwicklen - das ist der hauptgrund, warum ich glaube, dass dieses projekt auf jeden fall durchgesetzt werden soll, selbst um den preis des verlustes einer landesregierung. es ist eine mischung aus kalten technokraten und gleichzeitig provinziellen politk-darstellern, die ausser ihren parteikarrieren und allerlei gutdotierten pöstchen nichts substanzielles vorzuweisen und also auch keinerlei relevante persönliche perspektiven haben. solche leute können nur einen als-ob-demokratiebegriff haben, sehen das als normalität an und nehmen proteste egal welcher art zwangsweise als persönlichen angriff wahr. und so verhalten sie sich auch, was die möglichkeit eröffnet, dass sich für einige bisher "brave staatsbürgerInnen" auch hier überraschende neue einsichten in das wesen nicht nur ihrer herrschaft auftun. wäre nicht das schlechteste, bei den nächsten demonstrationen in stuttgart auch mal delegationen aus dem wendland oder wackersdorf sprechen zu lassen. die erkenntnis des "oops, das ist ja anderswo genauso [gelaufen]" ist durchaus eine wertvolle).
zur zeit halte ich die entwicklung jedenfalls noch für ziemlich offen, und es wird spannend sein zu sehen, wie sich die dortige situation entwickelt.
sehr schön,das - greift gleich einen ganzen haufen an zusammenhängen nachvollziehbar auf:
(...) "Heute abend gegen 20 Uhr besuchten wir den größten Bio Supermarkt Europas; im Prenzlauer Berg (Berlin) gelegen. Die ca. 20 Personen betraten die LPG in der Kollwitzstraße und verlasen ein Flugblatt für die umstehenden, sich bewußt ernährenden Anwohner_innen. Gleichzeitig füllten, die sonst auf Discounter angewiesenen Besucher_innen, sich ihre Körbe an den „üppigen Bio-Fleisch-, Bio-Wurst-, Bio-Feinkost- und Bio-Käsetheken“ und spazierten anschließend unbehelligt aus dem „Bio-Paradies“.
Wir lassen uns nicht mehr länger durch „Regelsätze“ und „400 Euro Jobs“ vorschreiben, was wir essen und trinken dürfen, wie wir leben und wie wir unsere Zeit gestalten. Wir nehmen uns was wir brauchen, heute, morgen und jeden Tag...
Hier der Text der verlesen wurde:
Gesunde, regionale Lebensmittel für alle!
3,49 Euro pro Person sieht Hartz IV für Essen und Trinken am Tag vor. Je 1,58 Euro für Mittagessen- und Abendessen und 78 Cent für Frühstück, Getränke inklusive. Nicht vorgesehen ist eine Flasche Wein zum Abendessen. Alkohol und Zigaretten sind nach dem neuen Entwurf von Ursula von der Leyen ganz aus dem Regelkatalog gestrichen. Sind ja auch ungesund. Stattdessen bekommen Hartz IV Berechtigte monatlich 2,99 Euro für Mineralwasser. Denn der Flüssigkeitsverlust von gerechnet 12 Liter Bier muss laut den sorgenden Ministerialbeamten ja auch ausgeglichen werden. Gesund ernähren kann mensch sich davon nicht. Regionale, biologisch angebaute Produkte, wie sie in diesem Bio-Supermarkt zu finden sind, bleiben denen vorbehalten, die es sich leisten können. Begründet wird der niedrige Regelsatz auch damit, dass der Abstand zu den geringsten Löhnen nicht so groß sein darf. Klar - erstmal wird das Land zum größten Niedriglohnsektor in Europa umgestaltet, Jobs gibt es fast nur noch über Leiharbeitsfirmen, befristet und schlecht bezahlt. Und dann muss diese Entwicklung auch noch dafür herhalten, die Hartz IV-Bezüge niedrig zu halten.
Hartz-IV-Bezieher_innen und andere Überflüssige haben also nicht die Möglichkeit, für sich und ihre Kinder gesunde, biologisch und regional angebaute Lebensmittel zu kaufen. Sie werden abgespeist mit Lidl, Aldi und CO. und wenn nach drei Wochen das Geld alle ist, können wie ja auch zur Tafel gehen. Dort landen die Reste der Lebensmittelkonzerne, die unter unwürdigen Bedingungen produzieren lassen, die Gewinne steigern durch schlechte Löhne und sich mit der Tafel auch noch den Mantel der Barmherzigkeit umhängen. Auch Biosupermärkte nutzen übrigens das System, Lebensmittel in großen Mengen produzieren zu lassen und drängen damit kleinere Läden und Einzelanbieter vom Markt. Auch in Biosupermärkten gibt es schlechte Bezahlung, fragen Sie mal in ihrem Laden nach!
Wir wollen gesunde Lebensmittel für alle! Deshalb besuchen wir heute hier diesen Supermarkt. Die Überflüssigen lassen sich nicht mehr abspeisen mit dem abgeschmackten Versprechen künftiger Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Die Überflüssigen stehen für den Teil der Menschen auf der Erde, deren Alltag seit jeher aus Erwerbslosigkeit, Armut, Hunger und Krieg besteht. Die Überflüssigen sind Menschen in den Industriestaaten, die vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen werden. Sie sind das Ziel des Klassenkampfs von oben und der aktuelle Armutskampagne in Deutschland, sie sind Erwerbslose, deren Rechte weiter beschnitten werden, sie sind Flüchtlinge, die ins Asylbewerberleistungsgesetz fallen, sie sind allein erziehende Frauen, die in Niedriglohnjobs gedrängt werden, sie sind die Alten, die ihre Winterschuhe beim Sozialamt erbetteln müssen, sie sind die Kranken, die die weiter steigenden Ausgaben für Gesundheit nicht haben. Die Überflüssigen brechen aus der 2-Raum-Couchtisch-Haltung aus und machen selbst Programm. Sie stupsen sich aufmunternd zu, während sie auf die Trutzburgen der Kapitalfundamentalisten zustürmen - denn sie haben eine ganze Welt zu gewinnen.
Geschrieben „Die Überflüssigen“, Berlin am 1.Oktober 2010!"
(soziologische & psychologische) studien aller art scheinen ja schon geraume zeit zu den bevorzugten instrumenten zu gehören, mittels denen sich nicht nur diese gesellschaft versucht, mit mehr oder weniger erfolg sich selbst auf die schliche zu kommen. und die probleme damit, bspw. von der auswahl der fragen über die zielgruppe(n) bis hin zu den vielfach möglichen statistischen tricks bei der auswertung sollten allgemein bekannt sein. nichtsdestotrotz enthalten sie, wenn das "design" und die ausführung nicht von vorneherein allen einschlägigen standards hohn sprechen, meistens einige kerne der tatsächlichen gesellschaftlichen realität. und mit diesen aspekten im hinterkopf ist es interessant, sich die jüngst veröffentlichten ergebnisse zweier studien zur situation von jugendlichen in diesem land näher zu betrachten.
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da wäre einmal die schon notorische "shell"-jugendstudie, die jeweils mit einem abstand von drei bis vier jahren durchgeführt wird und in diesem jahr erneut vorliegt. deren ergebnisse führen derzeit im mainstream zu überschriften alá "Viele Jugendliche blicken optimistisch in die Zukunft" (afp), "Pessimistisch wegen Wirtschaftskrise? Iwo!" (stern) oder auch "Optimismus nur in der Mittel- und Oberschicht" (faz).
bereits diese drei beispiele bilden den grundsätzlichen tenor der intrepretationen ab: einmal wird der festgestellte optimismus mehr oder weniger bejubelt, zum anderen im gleichen atemzugfestgestellt, dass dieser optimismus an die klassenzugehörigkeit gekoppelt ist:
(...) "Allerdings klafft bei der Einschätzung der Zukunft die Schere zwischen den Milieus immer weiter auseinander - nicht jeder hält dem steigenden Druck stand. Ob Politikinteresse, Bildungschancen oder soziales Engagement: Die zwölf- bis 25-Jährigen aus sozial benachteiligten Familien zeigen in allen Bereichen deutlich weniger Zuversicht.
Insgesamt 59 Prozent blicken positiv in ihre persönliche Zukunft - 2006 waren es 50 Prozent. 35 Prozent sind unentschieden, sechs Prozent sehen ihre Zukunft düster. Bei sozial benachteiligten Jugendlichen sind nur 33 Prozent optimistisch. 71 Prozent insgesamt sind überzeugt, ihre beruflichen Wünsche verwirklichen zu können. Bei den Jugendlichen aus der Unterschicht sind es nur 41 Prozent." (...)
ich konnte bisher nichts darüber finden, wie im kontext dieser studie eigentlich der begriff "optimismus" definiert wird - auch diekurzvorstellung der ergebnissehilft da nicht wirklich weiter - oder soll man den zitierten begriff des "positiven denkens" wirklich dafür als synonym nehmen? das würde dann eher unter autosuggestionen laufen.
aus der ergebnisvorstellung unter "politik" auch das:
(...) "Stabil bleibt die politische Selbsteinschätzung der Jugendlichen: Die Mehrheit ordnet sich etwas links von der Mitte ein. Auch beim Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen hat sich wenig geändert: Hohe Bewertungen gab es für Polizei, Gerichte, Bundeswehr sowie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, niedrige für die Bundesregierung, die Kirche, große Unternehmen und Parteien. Kaum verwunderlich, dass in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise das Vertrauen in Banken am meisten gelitten hat. Entsprechend zeigt sich bei den Jugendlichen heutzutage nicht nur Politikverdrossenheit, sondern auch ein ausgeprägter Missmut gegenüber Wirtschaft und Finanzen." (...)
ich kann das, anders als die autoren und die mehrzahl der interpreten, nur als beleg für eine sichtbare fragmentierung der wahrnehmungsfähigkeiten bei vielen kids ansehen. die sog. staatliche exekutive und judikative - polizei, gerichte, militär - derart von der legislative (regierung und die involvierten parteien) zu trennen, macht ein meiner meinung nach absolut illusionäres verständnis von den realen verhältnissen in staat und gesellschaft deutlich, in denen diese trennung an vielen stellen keinesfalls mehr existiert, weil das primat der ökonomie, vermittelt u.a. durch lobbyismus und auch oft genug korruption, längst alle staatlichen sphären dominiert (und im kapitalismus staatliche apparate eh dazu neigen, sich zu reinen erfüllungsgehilfen dieses primates zu machen). in zeiten, wo transnationale konzerne aufgrund ihrer ungeheuren finanziellen macht oft genug ganze staaten in ihre tasche stecken können, mutet die dokumentierte trennung jedenfalls mehr als seltsam an, kann aber u.u. direkt den apolegeten eines "starken staates" in die hände spielen.
ebenfalls wird offenbar nicht gesehen, dass die regierung zwar die bundeswehr in kriegseinsätze schickt, letztere das aber auch vollig widerstandslos mit sich machen lässt und derart als mitverantwortlich gelten muss. erst recht, wenn diese einsätze zukünftig noch mehr als heute vom primat der versorgungssicherung in sachen rohstoffe bestimmt sein werden - und auch und gerade im interesse der scheinbar kritisierten "großen unternehmen" stattfinden werden.
vielleicht gibt es aber sowohl für den groß herausgestellten optimismus als auch für die sichtbar werdenden wahrnehmungsfragmentierungen auch noch einen ganz anderen hintergrund, und den hatte ich vor ein paar jahren schon malhierskizziert - würde mich wundern, wenn die studie auch nach diesen möglichen hintergründen bei den teilnehmerInnen gefragt hat.
und "links von der mitte" ist bei der realen position der sog. "mitte" immer noch ein ordentliches stück rechts. insgesamt aber auch kein wunder bei denjenigen generationen, die als gesellschaftliches leitbild nichts weiter als verschiedene grade des totalitären kapitalismus kennen.
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was diese studie aber auch wiederspielgelt, ist die sozioökonomische spaltung der gesellschaft in der hinsicht, dass sich die jugendlichen aus der unterklasse (aka "prekariat") durchaus über ihre eigene position und zukunft in dieser gesellschaft im klaren zu sein scheinen:
(...) "Einzig bei Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zeigt sich ein anderes Bild: Hier ist nur noch ein Drittel (33 Prozent) optimistisch. Diese soziale Kluft wird auch bei der Frage nach der Zufriedenheit im Leben deutlich. Während fast drei Viertel aller Jugendlichen im Allgemeinen zufrieden mit ihrem Leben sind, äußern sich Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen nur zu 40 Prozent positiv." (...)
das ist weder unerwartet noch überraschend, nur ist die große frage, was die betroffenen daraus für konsequenzen ziehen werden. die derzeitigen rassistischen diskurse und aktionen in vielen europäischen staaten sind ein indiz dafür, dass von interessierter seite aus versucht wird, massiv destruktive (und system und "eliten" nicht gefährdende) möglichkeiten für eine antwort zu schaffen. auch aus diesem grund ist es notwendig, diesem tun entgegenzutreten.
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es gibt noch eine weitere jugendstudie, die auf einer quantitativ massiv geringeren, aber möglicherweise (!) qualitativ wesentlich umfassenderen datenbasis beruht, weil hier die ergebnisse mittels tiefenpsychologischer interviews gwonnen werden - mir bisher unbekannt, kommt diestudie des rheingold-instituts- ausgerechnet im auftrag des axel-springer-verlages, abt. musikzeitschriften -, zu etwas anders klingenden ergebnissen. auszüge:
(...) "Das widersprüchliche Bild, das die heutige Jugend in den Berichten der verschiedenen Forschungsinstitute zeigt – für die einen ist sie fügsam, optimistisch, fortschrittsgläubig, für die anderen angstvoll, bedrückt verunsichert – spiegelt insgesamt genau das gespaltene Weltbild der Jugendlichen. Auf der einen Seite sehen sie die Winner, Normalos und Reichen – auf der anderen die Loser, Asis und Hartz IV.
Frühere Generationen hatten das Gefühl, durch Ausbildung, durch Arbeit oder wenigstens durch Beziehungs-Management (90er Jahre) eine eigenständige Position in der Welt erringen zu können. Heute sieht die Welt für Jugendliche so aus, dass sie zwischen „Superstar“ und „Hartz IV“ hilflos in der Mitte baumeln. „Werde reich oder stirb traurig“: auf diese Alternative verengt sich der gesellschaftliche Sinn-Horizont, wozu dann unterschwellig Empfehlungen geliefert werden, die soziales Handeln auf Kaufen, Tricksen, Blenden, Klauen, Hauen, Hocken beschränken."
der letzte satz drückt genau solche tendenzen aus, die ich zusammen mit anderen zusammenhängen hier im blog insgesamt als mehr oder weniger "schleichende" soziopathisierung der gesamten gesellschaft bezeichnen würde - egozentrisch und alleine auf den eigenen vorteil (in konsequenz das eigene überleben) bedacht, wird versucht, sich mittels vielfältiger simulativer strategien und fakes sowie direkter antisozialer aktion über die runden zu bringen. ebenfalls lässt sich die dargestellte "friß-oder-stirb"-wahrnehmung tendenziell als klassische borderline-position (im sinne der diagnostischen kriterien der borderline-ps) betrachten, was in diesem zusammenhang auch nicht überraschen kann.
"Viele Jugendliche sehen Erwachsene als Narren oder Heuchler, die so tun, als hätten sie die Lage im Griff, in Wahrheit aber die Kontrolle verloren haben. Auf ihre Vorteile bedacht, lassen Erwachsene die Jugendlichen im Stich: „Keiner kümmert sich um uns, schon gar nicht die Politiker, die kümmern sich nur um andere Länder.“ Erstaunlich! Trotz der von vielen Erwachsenen vorgetragenen Dauer-Bekümmerung fühlen sich heutige Jugendliche elternlos. Sie suchen daher Zweitfamilien auf: In Cliquen, in Gangs oder in Games finden sie die Auftrittsmöglichkeiten, die klaren Hierarchien und einfachen Regeln, die ihnen in „Multikultopia“ fehlen."
bei diesem als zitat dargestellten zentralen satz mir dem "kümmern" und "anderen ländern" frage ich mich ja, wie weit er repräsentativ ist - wobei ich nicht glaube, dass es diese position real tatsächlich nicht gibt. ist jedenfalls interessant zu sehen, wie gerade die springer-medien ganz im sinne dieser sätze agieren bzw. glauben, das zu tun.
auch der nächste befund ist keine überraschung:
"Eine andere Jugend-Strategie zielt auf den Erhalt eines Zustands permanenter Berieselung. Snacks und Drinks als Sinn-Lückenfüller, MP3-Player als Ohren-Schnuller, Events am laufenden Band, Handys und Messenger-Systeme verdrängen die eigenen Ohnmachtsgefühle zusammen mit dem ‚schwarzen Loch’, das aus der Zukunft auf die Einzelnen zukommt. Die Eltern sind nur zu gern bereit, diese Dauerbefütterung bis zum Konsumkoma zu unterstützen, um ihre Kinder zu ruhigen, artigen und verträglichen Geschöpfen zu machen und lästige Fragen aus der Welt zu schaffen, auf die sie selber keine Antwort wissen." (...)
eine der ausgeprägteren varianten vonsozialer trance, kombiniert mit den per werbung/pr vermittelten und übergriffigen normen deskomsumimperiums - soll man die anwendung dieser herrschaftstechnologien bereits bei kindern und jugendlichen als besonders schändlich und niederträchtig hervorheben?
die folgend genannten vier eigenschaften, die lt. studie den jugendlichen besonders fehlen würden, hören sich im großen und ganzen plausibel an, auch wenn sie nicht vollständig sein dürften. jedenfalls ist das zusammenfassende fazit recht eindeutig:
(...) "Die Befunde der Jugendstudie sind alarmierend. Daher macht es auch keinen Sinn, die Situation zu beschönigen und eine werbliche Hurra-Jugend-Studie zu verfassen. Die Zeiten des ungebrochenen Jugendkults und der freudig bewegten Loveparade sind vorbei. Auch die Jugendlichen fordern von den Erwachsenen und den Medien Klartext – schonungslose Aufklärung und eindeutige Positionen." (...)
wäre interessant zu wissen - gerade im vergleich mit der "shell"-studie -, aus welchen milieus die befragten stammen. wobei sich die kritischen anmerkungen für mich so anhören, als ob sie auch aus mittel- und oberklasse stammen könnten - nur lässt sich dort die allgemeine und diesem system höchst immanente sinnleere aufgrund der materiellen ausstattung besser kompensieren, was aber auf die dauer eben keinesfalls glücklicher macht.
ganz am ende werden zwei mögliche perspektiven skizziert, und die eine, als pessimistisch benannte, enthält frappierend viele derjenigen befunde, die ich hier bei verschiedensten themen in der vergangenheit auch schon erhoben habe:
(...) "Die Jugendkultur wird im Jahre 2012 hauptsächlich von drei Gruppierungen bestimmt – von Gangs, Träumern und Schläfern. Sie sind Reaktionen gegen die erlebte Lebensangst, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht.
Die Gangs haben die liberalen Freundeskreise entweder ganz ersetzt oder sie tyrannisieren sie. Jenseits der bürgerlichen Ordnung tobt ein heimlicher Bürgerkrieg und beschwört anarchische Zustände. Die völlige Entpolitisierung der Jugend geht einher mit Markierung neuer Kampfzonen durch regionale, nationale oder religiöse Unterschieden. Die unzähligen Banden und Clans werden zu straff organisierten kleinen Parallel-Gesellschaften mit zum Teil fundamentalistischen Zügen.
Die Träumer sind friedlicher. Aufgrund ihre Lebensangst und ihrer Ressentiments gegen Banden oder gegen Frauen haben sie sich weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Sie leben isoliert in ihren virtuellen PlayStation-Welten. Das Internet ist ihr bevorzugtes Tor zur Wirklichkeit, hier versuchen sie, Karriere in ihrem second life zu machen.
Die Schläfer sind vereinzelte Jugendliche, die gewaltsam aus dieser autistischen Lebensführung ausbrechen. Die bisher im Konsumkoma oder in den künstlichen Paradiesen ruhig gestellte, eingekapselte Angst artikuliert sich in gewaltsamen Explosionen: In willkürlichen Gewaltakten, Straßenkämpfen, Randale an Schulen bis hin zu Anschlägen oder Amokläufen wird die erlebte Ohnmacht in Macht verwandelt." (...)
pessimismus? ich würde das entschieden realismus nennen, weil das alles bereits in regionen, die im prozeß der zerstörung der sozialen basis schon fortgeschrittener sind, punkt für punkt zu beobachten ist, allerdings mit einer deutlichen tendenz zu den gangs - mittel- und südamerika sind da nur ein beispiel für. während die "träumer" in den diversen simulativen aka virtuellen welten und die "schläfer" sich durchaus in der hiesigen realität bevorzugt nachweisen lassen (keywords für eine entprechende blogsuche hier wären in dem zusammenhang bspw. amok, maras, oder auch happy slapping).
und solange keinerlei grundsätzliche, qualitative und radikale änderung der prägenden gesellschaftlichen verhältnisse hier in sicht ist, brauchen wir uns über mögliche positive szenarien erst gar nicht weiter zu unterhalten. und das ist keine frage der "freien wahl", geschweige denn der eigenen vorlieben, sondern liegt u.a. an den aus den menschlichen psychophysischen gesetzmässigkeiten folgenden sozialen prozessen. und die dürften zumindest für alle, die noch über einigermaßen funktionierende wahrnehmungsfähigkeiten verfügen, ohne größere probleme aus der oben genannten "pessimistischen" variante im gemeinten sinne abzuleiten und in der realität ebenfalls wiederzufinden sein.
ich habe mich dagegen entschieden, die folgende info als update bspw. im letztenbeitraganzuhängen, weil mir selbst das bis gestern unbekannt war und ich auch bisher fast nirgendwo entsprechende hinweise gefunden habe. also: es gibt inzwischen eine art "sarrazin-watchblog", wobei diebrandsätzegenerell gegen den "extremismus der mitte" anschreiben wollen. und vor ein paar tagen beschäftigte sich ein beitrag dort mit einer vonsarrazins bezugspersonen, wobei mit diesem begriff eher eine derjenigen quellen bezeichnet wird, auf die s. in seinem buch zurückgreift. was da steht, finde ich hochinteressant, und eine kleine recherche ergab zunächst, dass dieser v. weiss bei s. direkt genannt wird (edit 14.09.: diese direkte nennung muss noch überprüft werden), und als weiteres ergebnis als erstes einen recht umfassendenwiki-eintrag:
"Weiss vertritt die These, dass menschliche Intelligenzunterschiede wesentlich durch die Variation eines Gens und die mendelschen Vererbungsregeln zu erklären seien. Soziale und polygenetische Faktoren hätten nur einen sekundären Einfluss. Soziale Klassen und Ethnien unterscheiden sich nach Weiss' Meinung durch verschieden hohe IQ-Mittelwerte, wofür er als Ursache u.a. die Verteilung von Genvarianten innerhalb dieser Gruppen annimmt. Weiss' Thesen haben in der Wissenschaft nur eine Randposition.
Aus den Ergebnissen seiner Intelligenzforschungen zieht er konkrete bildungs-, minderheits-, migrations- und ethnopolitische Schlußfolgerungen. Seine Ausführungen zum Verhältnis von Genetik und Biologie zur Gesellschaft rufen in der Öffentlichkeit überwiegend Ablehnung hervor, einschließlich des Vorwurfes, es handle sich um „Vererbungslehre in NS-Tradition“. Politisch bewegt Weiss sich in rechtsextremistischen Kontexten. Hier tritt er mit fachlichen und nichtfachlichen Aussagen gerne an die Öffentlichkeit. (...)
In der taz wurde Weiss beschuldigt, schon jahrelang „in trüben braunen Gewässern“ zu fischen und mit wissenschaftlich „mehr als umstrittenen“ und in „NS-Tradition“ stehenden Ansichten am rechten Rand Zustimmung zu erhalten. In einem Vortrag 2004 zur bevorstehenden „Rentenkatastrophe“ etwa hatte er die Sorge der Nationalsozialisten für eine „Bestandserhaltung der Deutschen“ als für die Gegenwart vorbildlich gelobt, anderseits Geburtenkontrolle gefordert. „Denn, so Weiss, sinnlose, unbegrenzte Vermehrung gebe es nur noch im Tierreich - und bei der Familie Ussama Bin Ladens sowie jüdischen Fundamentalisten.“ (...)
und so weiter und so fort. mir war der mann bisher völlig unbekannt, aber wenn ich mir seine thesen so anschaue, dann ist tatsächlich ein wesentlicher kern der sarrazinschen thesen quasi in verschärfter form zu finden. und der kontext, in dem sich weiss so bewegt, ist meiner meinung nach mehr als deutlich und eindeutig. das sollte dann doch alles etwas öffentlicher als bisher werden.
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nachtrag: wo ich gerade beim thema bin, finde ich, dass es noch eine information, und zwar eine positive, gibt, die verbreitet gehört (und in gewisser weise auch schon tendenziell das umfasst, was ich im gestrigen beitrag zum schluß als "ausagieren stoppen" bezeichnet hatte) - die gute alte tradition desboykotts des schlimmsten hiesigen boulevardblatteswird in hamburg gerade wieder aufgenommen:
(...) az: Warum gibt es in Ihrem Kiosk beziehungsweise Ihrer Bäckerei seit einer Woche keine Bild-Zeitung mehr?
Winfried Buck: Das lag an der Ausgabe von vorletztem Samstag, mit Sarrazin auf dem Titel und dem, was man in Deutschland doch wohl noch sagen dürfe. Die Aussagen waren so extrem rassistisch, populistisch und ausländerfeindlich, dass ich daraufhin die Bild-Zeitung wutentbrannt aus dem Programm genommen habe.
André Krause: Die Bild-Zeitung hat für mich Stürmer-Qualität. Es geht immer gegen die Hartz-4-Empfänger und die Migranten. Ich wollte die Zeitung schon vor zwei Jahren rausnehmen, aber da war ich relativ neu hier und habe sie mit geballter Faust in der Tasche weiter verkauft. Aber als ich die Aktion meines Nachbarn gesehen habe, war für mich klar: Jetzt ist Schluss. (...)
sehr erfreulich, zumal das gedruckte schlagwerkzeug mit den vier buchstaben seit jahrzehnten verlässlich auf seiten der "eliten" besonders alle arten von teile-und-herrsche-spielchen forciert, anheizt und teils auch initiiert.und u.a. diese funktion hat in früheren zeiten, beginnend 1968, auch schon mal mehr nötigen widerstand hervorgerufen als heute. aber das obige ist immerhin ein anfang, und ein sehr nötiger dazu.
auf diese studie, in voller länge einzusehen beipeak-oil.com, bin ich vor ein paar wochen aufmerksam gemacht worden und ich habe vor, sie in einer weiteren folge dermenetekel-assoziationenausführlicher zu kommentieren. da ich aber erst frühestens zum wochenende genügend zeit und ruhe für etwas längeres habe, würde ich allen interessierten leserInnen in der zwischenzeit die lektüre empfehlen - könnte eine art augenöffner der besonderen art sein. und ist besonders interessant bezgl. anderer gesellschaftlicher aktueller debatten, die anscheinend erstmal nichts mit diesem thema zu tun haben - betonung eben auf anscheinend.
"Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat im August 2010 eine Studie zum Thema Peak Oil veröffentlicht. "Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" ist die erste Teilstudie der Gesamtstudie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert". Das Papier und die darin gemachten Aussagen haben zwar einen militärischen Blickwinkel als Schwerpunkt, sind aufgrund der langfristigen und strategischen Sichtweise für nichtmilitärische Institutionen und Akteure besonders interessant. Erstellt wurde die Studie vom Dezernat Zukunftsanalyse, welches die Aufgabe hat, Szenarien in Hinblick auf den Zeitraum 2025 bis 2040 zu skizzieren." (...)
ps: auch "spon" hat die studie inzwischenentdeckt.
trefflicher und prägnanter kann eineselbstdiagnosewie diese von einem gewissen thilo s. gar nicht ausfallen - vor allem dann, wenn noch die allzu typische und individuell angepasste symptompalette dieses zustands dazu kommt: dummschwätzerei, "rasse"hygienisches erbrechen, fulminante pseudowissenschaftlichkeit, verdinglichung als wahrnehmungsmodus und eine ordentliche egozentrik.
ich hatte die letzten tage großen widerwillen verspürt, an diesen wirklich deutschen sozialdemokraten - ich vermute, der espehdeh passt vor allem nicht, dass er ihr wirklich nur einen spiegel vor die nase hält - auch nur ein wort zu verschwenden. wozu? argumentativ ist gegen diese art von gehobenem stammtischgeschwätz nicht wirklich was zu machen, was nur z.t. daran liegt, dass das gerede von ganz weit rechtsaussen verlässlich abstrus daher kommt. eher ist entscheidend, dass solche typen und ihr anhang tatsächlich primär um das kreisen, was im zitat der überschrift zum ausdruck gebracht wird: sie "fühlen".. und zwar sich am liebsten in hierarchien, klaren oben-unten-verhältnissen und ganz allgemein gesprochen im binären modus: WIR und DIE.
zu den durchaus pathologischen bedeutungsebenen hinter einen aussage wie "ich fühle mich sehr deutsch" hat sich klaus theweleit vor jahrzehnten schon in seinen "männerphantasien" etliche, eher klassisch psychoanalytische gedanken gemacht. was ich von solchen attributen wie "deutsch" (wahlweise läst sich hier auch jedes andere adäquate wort einsetzen) halte, habe ich ausführlicherhierdargestellt. ansonsten bleibt anzumerken, dass s. genau wie seine claquere mit einem veralteten und rein instrumentell definierten begriff von intelligenz herumfuhrwerken und gerade dadurch belegen, dass sie selbstkeinesfalls als intelligentzu betrachten sind:
(...) "Nicht das bloße Vorhandensein von Gefühlen, Emotionen, Stimmungen und Affekten, sondern der bewusste Umgang mit ihnen macht eine hohe emotionale Intelligenz aus." (...)
auch in sachen genetik humpelt s. ungefähr ein halbes jahrhundert hinter demaktuellen standhinterher, und der wird maßgeblich durch dieepigenetikdefiniert:
(...) "Die neuen Entdeckungen erschüttern das bisherige Wissen über Genetik und gängige Vorstellungen von Identität. Stellen also infrage, was gemeinhin angenommen wird: dass die DNS unser Aussehen, unsere Persönlichkeit und unsere Krankheitsrisiken bestimmt. Die These "Die Gene sind unser Schicksal" ist bei vielen zur Überzeugung geworden. Solche eindimensionalen Vorstellungen aber sind nun obsolet. Denn selbst wenn Menschen exakt über die gleichen Gene verfügen, unterscheiden sie sich häufig in den Mustern der Genaktivität und damit auch in ihren Eigenschaften." (...)
und seine beiträge zur "völkerkunde" besitzen schon eine regelrecht humoristische qualität - wie war das mit"den basken" und ihrem gen, thilo?
"Die Geschichte der heutigen Europäer hat nach neuen Forschungsergebnissen Wurzeln im Baskenland und ist weit älter, als bislang angenommen. Mindestens drei Viertel der Europäer gehen demnach direkt auf Urahnen zurück, die schon in der Eiszeit auf dem Kontinent lebten, also vor mindestens 20.000 Jahren." (...)
ich ziehe die imaginäre (basken-)mütze vor Ihnen, das liegt nämlich irgendwo vergraben in meinen genen...
ganz großer sport ist natürlich auch die adäquate behauptung hinsichtlich "der juden", die in letzter konsequenz zwangsweise in der erstaunlichen erkenntnis mündet, dass die zugehörigkeit zu einer religiösen gruppe genetisch bedingt, wenn nicht gar determiniert ist - dann ist es nur noch eine frage der zeit, bis das christen-, hindu- oder buddha-gen gefunden ist. oder gar das scientology-gen? vom islam ganz zu schweigen, der ja eh das lieblingsthema solcher knallchargen der marke thilo s. darstellt. das problem ist nur wieder mal, dass sie in ihrer typischen manier aus einem restbestand an tatsächlicher realitätswahrnehmung (bezgl. der zustände in islamisch dominierten gesellschaften empfehle ich nochmalsdiesen beitrag, der einige gründe dafür aufzeigt, warum besonders männliche migranten aus islamischen gesellschaften tatsächlich in gefahr sind, egal an welchen orten auffälliges(!) antisoziales verhalten zu entwickeln. das hat aber nichts mit "dummheit" und nur sehr peripher etwas mit genetik zu tun) einen widerwärtigen mix aus ihren mit pseudowissenschaftlichkeit unterlegten als-ob-gefühlen brauen - in der wahl der zielgruppe(n) mutet das alles eher beliebig an, und ich würde mir zutrauen, mittelfristig aus eben diesem spektrum auch genügend anhängerschaft für, sagen wir mal eine kampagne zwecks erzeugung von "problembewusstsein" hinsichtlich der fragwürdigen rolle von leuten mit sommersprossen im gesicht (die gene!) in dieser gesellschaft zu mobilisieren. you know what i mean?
echte antisoziale wie hitler haben regelmässig mit ihrer fähigkeit "geglänzt", die sozusagen frei flottierenden ansammlungen von hass innerhalb einer gesellschaft zu bündeln und ihnen ausdruck zu verleihen. auf einer komplexeren ebene manipulieren sie u.a. die minderwertigkeitsgefühle vieler gesellschaftlicher verlierer (die es im kapitalismus zwangsweise gibt, ja geben muss) in richtung des oben erwähnten binären modus und konstruieren sich zusammen mit denen eine art pseudokollektiv ("nation", "volk", "gott" [in allen varianten]), in dem sich die verlierer bzw. alle unter ähnlichen ängsten leidenden dann aufgehoben fühlen können (und der begriff darf ruhig wortwörtlich verstanden werden).
das alles ist eigentlich ausdruck abgrundtief trauriger verhältnisse, und gleichzeitig brandgefährlich, wie ein blick in ein beliebiges geschichtsbuch belegt. aber wie gesagt: mit rationaler argumentation ist den für derartigen unsinn auf sarrazinischem niveau anfälligen genausowenig beizukommen wie klassischen nazis. es geht dabei nicht um "politik", sondern um kollektive wie individuelle pathologische zustände und die möglichkeiten zu derem ausagieren - das ist das eigentliche geschäft jeder faschistischen / faschistoiden mobilisierung.
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die säue, die seit geraumer zeit in ermüdender regelmässigkeit von leuten wie s., dem anderen s. (sogenannter philosoph) oder auch g. heinsohn durchs dorf getrieben werden, sind allerdings keine rein hiesige spezialität, wie ein blick auf die wahlergebnisse in so ziemlich allen europäischen ländern ebenso zeigt wie die an bizarrer weltwahrnehmung und expliziter dummheit sogar ihre europäischen brüder und schwestern im fundamentalistischen ungeiste noch übertreffende "teaparty"-bewegung in den usa. alles zusammengenommen bietet sich ein bild, welches ich öfter schon in den krisennews der vergangenen zwei jahre angesprochen hatte - ob es sich nun um berlusconis getöse gegen "ausländische vergewaltiger" in italien handelte, die pogrome offen faschistischer paramilitärischer gruppen gegen roma in osteuropa (v.a. ungarn), die "wilden streiks" in großbritannien gegen "ausländische" arbeiter oder auch die jagdszenen an der südgrenze der usa gegen die migranten aus mittel- und südamerika - in der großen und aufgrund vieler zusammenkommender einflüsse wahrscheinlich finalen krise nicht nur des kapitalismus, sondern auch des damit untrennbar assoziierten "way of life" ist es bei den bis auf weiteres ausbleibenden emanzipatorischen aktionen und massenwirksamen bewegungen eben alles andere als erstaunlich, dass sich "eliten" und die ahnungslos-vorahnenden ängstlichen bevölkerungsteile zusammen auf die suche nach sündenböcken machen, finanziert und moderiert natürlich von den ersteren.
sarazzin war "politiker" und ist jetzt banker, wenn auch im staatlichen sold, und damit real gesehen angehöriger zweier der antisozialsten und destruktivisten elitären schichten überhaupt (btw: er verhält sich übrigens ansonsten auch neben seiner ideologieproduktiongenau so:
(...) "Mit 46 Nebentätigkeiten war Sarrazin im Juni 2008 das Senatsmitglied mit den meisten Nebentätigkeiten. Er ist unter anderem Mitglied des Aufsichtsrats der Berliner Verkehrsbetriebe, der Charité, der Investitionsbank Berlin und der Vivantes GmbH. Im Rahmen der Tempodrom-Affäre wurde ihm vorgeworfen, Landesgelder regelwidrig vergeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhob im November 2004 Anklage. Ermittelt wurde außerdem gegen zwei weitere SPD- und zwei CDU-Politiker, drei Unternehmer und zwei Wirtschaftsprüfer. Gegen den ermittelnden Oberstaatsanwalt reichte Sarrazin eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Das Landgericht Berlin lehnte es im Dezember 2004 ab, das Hauptverfahren zu eröffnen, da die Anklage als unschlüssig angesehen wurde.
Seit August 2009 ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Sarrazin wegen Untreue. Er soll dem Golf- und Landclub Berlin-Wannsee e. V. einen Golfplatz zu günstig verpachtet und jenen so finanziell begünstigt haben. Sarrazin wies die Vorwürfe mit der Begründung zurück, er sehe keinen Vermögensschaden für das Land." (...))
kurz: vermutlich ist s. aufgrund seiner rein instrumentellen intelligenz (die böseste von allen formen) durchaus in der lage zu erkennen, dass der ganze laden hier absehbar den bach runter gehen wird, allem aufschwungsgetöse zum trotz. und das nicht erst in jahrzehnten, sondern in jahren. und da müssen aus elitärer sicht nicht nur nach innen ("teile und herrsche"), sondern auch nach aussen die zügel angezogen werden. eine im vergleich zum medialen auflauf um s. völlig untergegangene nachricht der letzten tage macht auch hier einigesdeutlicher:
(...) "Zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr gehöre auch die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, dem Nachrichtenmagazin Focus. Für den Exportvizeweltmeister Deutschland "wäre es eine Katastrophe, wenn die Handelswege, insbesondere nach Südostasien dauerhaft eingeschränkt oder bedroht wären", sagte Driftmann. "Die dürfen wir nicht Piraten überlassen." (...)
Driftmann hatte vor seinem Eintritt in das Unternehmen der Familie seiner Frau bei der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium Karriere gemacht und ist Vize-Vorsitzender der Expertenkommission zur Reform der Bundeswehr.
Mit ähnlichen Äußerungen zu den Zielen der Bundeswehr hatte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler scharfe Kritik auf sich gezogen." (...)
und trat dann bekanntlich beleidigt zurück. interessant, dass einer der führenden köpfe bei der "reform" der armee, für die sich von guttenberg gerade mächtig ins zeug legt, genau die gleiche vorstellung von den aufgaben einer berufsarmee hat. das finde ich ebenso interessant wie den verlag von sarrazins machwerk: die "deutsche verlagsanstalt" ist ein teil von bertelsmann, und dieser name steht in verbindung mit "stiftung" bekanntlich für genau jene extremistische neoliberale transformation des letzten jahrzehnts, die zur krise geführt hat. ich würde nun nicht soweit gehen, einen "masterplan" zu vermuten, aber die zeitliche und personelle abfolge der forderungen, dieses land nach innen quasi mit einem kapitalistisch-autoritären regime unter mobilisierung von nationalistischen und rassistischen affekten auszustatten bei gleichzeitiger umformung der bundeswehr in ein instrument zur imperialistischen intervention zwecks unterstützung der "deutschen wirtschaft" ist schon auffällig, von den personellen verquickungen ganz zu schweigen.
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all dieser destruktive und hochgefährliche quatsch wird natürlich nicht verhindern können, dass das ganze system sein verdientes und überfälliges ende finden wird. aber dazu mehr demnächst.
liebe insassen der geschlossenen station der milchstraße,
heute möchten wir in einer weiteren folge unserer beliebten medialen rundblicke wieder einmal einen blick auf das vielfältige treiben unserer mitpatientInnen wagen. betrübliche verrückt- und tollheiten allerorten sind weiter zu verzeichnen und aufgrund der fülle sehen wir uns zum wiederholten male gezwungen, den focus eher auf die zwischenzeitlich angesammelten und zu kurz gekommenen fälle zu legen. die themen peak oil/öl sowie alles rund ums klima werden in nächster zeit mit eigenen beiträgen fortgesetzt.
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zum tödlichen geschehen auf der diesjährigenloveparadegibt es eigentlich nur soviel anzumerken, dass das erwartetet schauspiel seinen trostlosen verlauf nimmt - der ob ist immer noch im amt, und bis dato geht das gegenseitige fingerzeigen zwischen stadt, veranstalter und polizei / innenbehörden fröhlich weiter. einer derjenigen gründe, warum diese katastrophe länger als sonst üblich zumindest in teilen der öffentlichen aufmerksamkeit präsent ist, liegt neben dem offen erkennbaren skandalösen versagen aller organisatorisch beteiligten auch darin, dass von beginn an quasi auch ausserinstitutionell "ermittelt" wurde, und zwar von direkt involvierten genauso wie von etlichen, denen aufgrund des schauspiels nach dem unglück der mund offen stehen blieb. die fülle von besonders im netz verfügbaren augenzeugenberichten und videomaterial machte das in diesem fall und in einem solchen ausmaß zumindest hierzulande zu einer premiere; ich kann mich jedenfalls an nichts vergleichsbares erinnern. exemplarisch für die relativ zahlreichen seiten und blogs, die in der zeit nach der katastrophe versuchten, zur aufklärung beizutragen, sei hier nur aufloveparade2010dokuhingewiesen, die sich mit der inzwischen so ziemlich alles öffentlich zugängliche material enthaltenen sammlung zu einer art portal für alle entwickelt hat, die sich jenseits der öffentlichen verlautbarungen selbst ein bild machen möchten. die seite sollte im gedächtnis bleiben, falls es irgendwann in ferner zukunft dann doch noch zu juristischen konsequenzen kommen sollte.
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da ich vermute (und hoffe ;-), dass ein größerer teil meiner leserInnenschaft hier auch oder gerade trotz virtueller präsenz gerne umgang mit altmodisch analogen büchern pflegt, sei hier auf das"Nichts"der autorin janne teller hingewiesen:
(...) "Kurz nach den großen Ferien beschließt Pierre Anthon, seine Klasse zu verlassen, weil ihm eben nichts etwas bedeutet. Er wird nie wieder in den Unterricht zurückkehren. Stattdessen sitzt er tagelang auf einem Pflaumenbaum in der Nähe der Schule und provoziert seine Kameraden mit Sprüchen: "In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist das mit allem." Oder er ruft ihnen nach: "Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob - und eben genau dabei der Beste zu sein." Und dazu wirft er mit reifen Pflaumen." (...)
ein stück sehr umstrittener, weil angeblich jugendverderbender, literarischer - nihilismus? klingt jedenfalls (und zwar nicht nur wegen den oben zitierten passagen) sehr interessant. als nachschlag gibt´s noch ein interview mit teller:"Lehrer sagten, dieses Buch ist schädlich".
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womöglich wird es auch etwas einfältige zeitgenossen geben, die solche bücher mitverantwortlich machen für etwas, was sich schon seit jahren als tendenz immer wieder in klinischen studien, krankenkassenreports etc. ablesen lässt:"Jedes vierte Kind wird krank":
(...) "Hoher Leistungsdruck führt bei Kindern und Jugendlichen zunehmend zu psychosomatischen und psychischen Problemen. Rund ein Viertel der bis zu 18-Jährigen in Deutschland leiden nach einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) etwa an Kopf- und Bauchschmerzen, Unruhe, Depression oder Ängsten. In den 90er Jahren lag der Anteil noch bei etwa 20 Prozent, wie der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Michael Schulte-Markwort sagte. (...)
"Kinder sind heute unglaublich diszipliniert und leistungsbereit", betonte Schulte-Markwort. "Im Prinzip ist das ja etwas Gutes - aber nicht, wenn sie nicht mehr merken, dass sie sich überfordern, oder wenn ihre Eltern überhöhte Anforderungen stellen." (...)
im prinzip ist das ja etwas gutes - pfff. für wen denn eigentlich? und warum?
(...) "Ein großes Problem dabei: Diese Beschwerden sind häufig die "Eingangssymptomatik" für psychische Auffälligkeiten. "Wenn man das nicht behandelt, bilden sich psychische Symptome oder Störungen aus", sagte der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik.
Ursachen für die zunehmenden psychosomatischen und psychischen Probleme seien Reizüberflutungen und hohe Anforderungen an Kinder - vor allem in den weiterführenden Schulen. "Das ist Ausdruck der veränderten Umweltbedingungen, unter denen Kinder heute groß werden." Eltern, Ärzte und Erzieher seien bei solchen Symptomen aber auch aufmerksamer geworden, betonte der Wissenschaftler: "Früher wurde das eher bagatellisiert und für unwichtig erklärt." (...)
letzteres würde ich eher noch mal differenzieren wollen, und zwar ungefähr so: 1. es gibt einen realen anstieg realer psychophysischer störungen. 2. es gibt eine tendenz (gründe gerade außenvorgelassen), früher eher als "normal" betrachtetes verhalten gerade von kindern im schlechten sinne zu pathologisieren 3. beides kann die bezugspersonen von kindern ins rotieren bringen. 4. letzteres dürfte besonders in bürgerlichen und materiell (noch) besser gestellten milieus der fall sein, weniger in der sog. unterklasse.
ich bin gerade unwillig, alles nochmal herauszukramen, aber gerade das thema vielfältig gestörter kinder / jugendliche hat hier in all den jahren im blog in verschiedensten zusammenhängen eine traurige rolle gespielt. bei interesse sehen Sie bitte imindexnach. dazu passt auch die folgende meldung im juni aus berlin:Immer mehr Erstklässler müssen zum Psychiater:
(...) "Besonders angespannt ist die Lage in den Problembezirken, in denen die Hälfte der Kinder zur sozialen Unterschicht gerechnet werden. Ausgerechnet hier sind die Ärzte so knapp, dass sich die Einschulungsuntersuchungen zum Teil bis in den August ziehen. In den Vorjahren war hier etwa jedem fünften Kind akuter Förderbedarf bescheinigt worden.
„Rund 20 Prozent der Kinder sind gefährdet“, bestätigt Michael Aster, Chefarzt am DRK-Klinikum Westend. Wenn man sie nicht „massenhaft opfern“ wolle, müssten sich die Schulen genau auf ihre Bedürfnisse einstellen. Das aber gelinge offenbar nicht überall, und dann würden „die Kinder, die scheitern, schnell in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen“. (...)
das ist nebenbei auch ein weiteres lehrstück darüber, wie in diesem land die ökonomischen prioritäten gesetzt werden.
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nicht nur bezgl. des obigen spielt dabei die entwicklung immer ausgefeilterer diagnostischer methoden und entsprechender technik ebenfalls eine rolle. das folgende lasse ich für den moment mal unkommentiert, halte es aber alsinformationfür durchaus wichtig:
"Es könnte eine Revolution in der Autismus-Diagnose sein: Forscher haben eine Methode entwickelt, die die psychische Störung per Hirnscanner aufspüren soll. Der Test soll binnen 15 Minuten ein zu 90 Prozent sicheres Ergebnis liefern. (...)
Das Team um Christine Ecker vom King's College London hat die Hirnstruktur von Freiwilligen mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen und einer speziellen Software präzise untersucht. Unter den Probanden befanden sich 20 Autisten, bei denen Diagnose zuvor anhand von IQ-Tests, psychiatrischen Interviews und physischen Übungen sowie Bluttests erfolgt war. Als Kontrolle dienten 20 gesunde Menschen und 19 Probanden mit Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die psychische Störung ähnelt in ihren Symptomen einigen Autismusformen.
Mit Hilfe des Magnetresonanztomografen und der Software untersuchten die Wissenschaftler die graue Hirnsubstanz der Freiwilligen auf bestimmte Veränderungen in Form, Struktur und Dicke. Das Computerprogramm war auf Basis von Daten aus Gehirnscans anderer Autisten erstellt worden, schreiben die Forscher im "Journal of Neuroscience" (Bd. 30, Nr. 32). Die Ergebnisse hätten sie sich als erstaunlich präzise erwiesen: Die Trefferquote habe bei 90 Prozent gelegen. (...)
Das Computerprogramm gebe sogar Hinweise auf die Schwere der Erkrankung. Schon in einem oder zwei Jahren könne man die Untersuchung klinisch einsetzen. Dazu müsste man nicht einmal neue Geräte kaufen, betonte Ecker. "Alles, was man braucht, ist ein Software-Update für die Hirnscanner." (...)
(die rechtschreibung des originals im ersten absatz habe ich mal korrigiert; den begriff "psychische störung" jedoch müsste man eigentlich aufgrund gleich mehrfacher unsinnigkeit in diesem zusammenhang rausschmeissen.)
(...) "Demnach habe sich das Volumen der verschriebenen Antidepressiva unter Deutschlands Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: Im Vergleich zum Jahr 2000 gebe es eine Steigerung von 113 Prozent.
Statistisch gesehen erhielt jeder Berufstätige 2009 für acht Tage Medikamente zur Behandlung von Depressionen. Frauen erhielten im Schnitt mit 10,5 Tagesrationen deutlich mehr Antidepressiva als Männer, die Medikamente für sechs Tage verschrieben bekamen.
Zwischen einzelnen Bundesländern gibt es gravierende Unterschiede. Während die Berufstätigen in Bayern mit neun Tageseinheiten bundesweit das höchste Pro-Kopf-Volumen verschrieben bekamen, erhielten die Sachsen-Anhaltiner nur knapp sechs Tage Antidepressiva." (...)
lustig-bizarr finde ich ja die zitierte verwunderung darüber, warum ausgerechnet in bayern die verschreibungsquote am höchsten ist, wo doch gleichzeitig dort die "wenigsten psychisch bedingten krankschreibungen" zu verzeichnen wären. tja, diese welt ist halt voller rätsel - besonders, wenn man den kopf tief und fest im sand stecken hat.
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die junge welt hatte neulich einen lesenswerten text rund um die zusammenhänge von medialer beeinflussung, schönheitsidealen, "selbstoptimierung" des "eigenen" körpers und essstörungen veröffentlicht - der eignet sich aufgrund der fülle an auslösenden assoziationen für eine ruhige stunde."Wow, das sieht aber geil aus". dazu empfehle ich nochmals verschiedene adäquate blogbeiträge hier - keywords sind dafür borderline, tattoos, piercing, models, popkultur und narzissmus.
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abteilung evolutionsbiologie: unter der überschriftSex macht einsamgibt es bei spon ein eindrucksvolles beispiel dafür, wie man mit fehl- und kurzschlüssen sowie unzulässiger analogiebildung vermutlich in ihrem rahmen durchaus zutreffende wissenschaftliche beobachtungen in ein schäbiges stück ideologie verwandelt. das wird besonders hübsch deutlich im letzten absatz:
(...) "Es gibt keinen Grund, warum der Grad der Treue nicht auch bei Säugetieren inklusive den Primaten die Ausbildung eines sozialen Netzwerks beeinflussen sollte", sagt Griffin. "Sex behindert, zumindest was die Evolution betrifft, tatsächlich das Sozialverhalten."
So könnte der Mensch etwa von der Blattschneiderameise noch eine Menge lernen. Zumindest, wenn es um Selbstlosigkeit geht. Tag für Tag arbeiten die Insekten unentwegt für ihren Staat, schleppen Blätter zum Bau, zerkauen sie und ernähren mit dem Brei ihre Nahrungsgrundlage, einen Pilz - eine perfekte Symbiose. Jede der Arbeiterinnen ist ein kleines Puzzlestück in einem großen Kollektiv. Das soziale Geflecht kann aus zwei Gründen bestehen: Die Insekten sind sich genetisch ähnlich - die Arbeiterinnen sind Schwestern. Und sie sind unfruchtbar. Sexabstinenz hält den Ameisenstaat zusammen."
das hier selbstlosigkeit und sexabstinenz umstandslos als (positive) grundlagen für ein (menschliches) staatswesen dargestellt werden, ist eine wertvolle erkenntnis, die ich jedoch aller wahrscheinlichkeit nach leicht *hüstel* anders begreife als spon. ansonsten hat es sich dort offensichtlich auch noch nicht herumgesprochen, dass es zwischen menschen und (staatenbildenden) insekten doch so ein paar nicht unwichtige unterschiede gibt. aber insgesamt passen die aussagen des artikels durchaus zum zeitgeist, in dem sich ja sowieso heuschrecken und parasiten tummeln...
der vollständigkeit halber sei aber auch noch angemerkt, dass ich den oben zitierten letzten satz des forschers nicht grundsätzlich für falsch halte - es gibt durchaus formen von sexualität bzw. von pseudosexuellem verhalten, die ich selbst als hochgradig antisozial betrachten würde. überall da nämlich, wo sich machtbedürfnisse in sexualisierter art und weise ausdrücken oder sich quasi sexuell "maskieren". ich fürchte aber, dass der satz nicht unbedingt in diesem sinne gemeint wurde.
"taz: Deopflicht am Arbeitsplatz - das fordert Ursula Frerichs, die Präsidentin des Unternehmerverbands mittelständische Wirtschaft. Herr Hatt, warum stört uns Schweißgeruch so sehr?
Hanns Hatt: Das ist ein kulturelles Problem. Es gibt keine genetische Disposition, Schweiß als unangenehm zu empfinden. Durch unsere Erziehung definieren wir Schweißgeruch als negativ. Eltern erzählen ihren Kindern, sie würden nach Schweiß "stinken". Das war nicht immer so. Vor 200 Jahren war Schweißgeruch für manche Nasen durchaus attraktiv. Napoléon hat seiner Joséphine immer geschrieben: "Wasche dich nicht, ich komme!" (...)
finde ich persönlich ein sehr spannendes thema - ich fühle mich durchaus nicht von schweißgerüchen belästigt (klar, es gibt da durchaus ausnahmen), sondern in aller regel von aufdringlich-betäubenden parfüm- und sonstigen duftwolken, gerade in öffentlichen räumen. ebenfalls verzichte ich seit jahrzehnten auf deos und kann nicht sagen, dass das von anderen groß als störend empfunden wird.
(...) "Botox für die Achseln, die Schweißdrüsen entfernen lassen: Die Methoden zur Schweißhemmung werden immer extremer. Herrscht in unserer Gesellschaft ein Hygienewahn?
Wir haben mit der Zeit sicher ein gestörtes Verhältnis zu den natürlichen Dingen entwickelt, die unser Körper produziert. Im Moment ist die Gesellschaft in einer gegenüber Düften sehr zurückhaltenden Phase. Ich persönlich finde es schade, dass wir diesen Sinn so ausklammern.
Warum ist das so?
Wir leben in einer technologischen Welt und denken, wir kommunizieren gar nicht mehr auf diese Weise. Wir gehen nicht mehr mit offener Nase durch die Welt, sondern nur noch mit offenen Augen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das ändern wird und wir uns in zehn oder zwanzig Jahren wieder mehr der Nase zuwenden. Man sieht das ja auch mit dem Rauchverbot in Lokalen. Da kommt wieder viel mehr Eigenduft zutage und plötzlich erstaunt es einen, was man alles wieder riechen kann.
Wenn unsere Gesellschaft Gerüchen so zurückhaltend gegenübersteht, verlernen wir dann auch das Riechen?
Riechen hat mit Übung zu tun und die Nase arbeitet 24 Stunden am Tag. Aber auch wenn wir nicht mehr so stark auf Gerüche achten, die Nase registriert sie trotzdem. Das heißt, die Duftinformation läuft ständig und verändert so unser Gehirn, beeinflusst unsere Erinnerungen und Emotionen. Würden wir die Düfte bewusst wahrnehmen, könnten wir mit den Informationen mehr anfangen. So entscheiden wir uns für etwas, wofür eigentlich der Duft die Ursache war, rechtfertigen unsere Entscheidung aber mit visuellen Faktoren." (...)
yo. das vergessen anscheinend die meisten, die sich da täglich einnebeln: gerüche sind informationen, und innerhalb unserer spezies auch und gerade im sozialen bereich relevant - ein satz wie "ich kann dich nicht riechen" verweist unmittelbar auf diese tatsache. es gibt da ja eine schon etwas ältere these, die sinngemäß ungefähr besagt, dass die verbreitung von synthetischen "wohl"gerüchen auch damit zusammenhängen würde, dass wir uns inzwischen bevorzugt auf relativ engem raum innerhalb großer städte tummeln und ein quasi "reiner" geruchstransfer von mensch zu mensch allerhand unerwünschte, weil das soziale leben sehr komplizierende, folgen haben würde; als herausgehobenes beispiel wurde dann immer etwas skizziert, was sich als territorialprobleme unter (männlichen) säugetieren bezeichnen ließe - fremdgerüche, die u.a. hormonell induziertes kampf- und revierverhalten induzieren würden. keine ahnung, wieviel da wirklich dran ist, wobei sich das teilweise für mich plausibel anhört. aber insgesamt finde ich, dass sich die abneigung nicht nur gegen fremde, sondern auch eigene körpergerüche bei vielen zeitgenossen durchaus als symptom der umfassenden entfremdung verstehen lässt. interessantes thema allemal.
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so. fast zum schluß noch etwas, was ich als eines der bisher wenigen erfreulichen ereignisse dieses jahres in erinnerung behalten werde. meinen persönlichen sommerhit nämlich, der heisst "tightrope", kommt von janelle monáe aus new york, und ist teil des letzten albums von ihr, "the archandroid" - ein heutzutage seltenes exemplar aus der spezies der konzeptalben, welches sich thematisch mit sci fi-haften visionen der kommenden interaktionen von menschen und maschinen beschäftigt. und zu allem überfluss passt das ambiente des videos auch noch perfekt zu diesem beitrag...
also, wer auch nur den hauch von gefallen an black music - funk, soul - findet, sollte sich das nicht entgehen lassen. mich persönlich treibt der bass immer in den lachenden wahnsinn, und dazu ist der song voll von verschiedensten stimmungen und hat schlicht einen umwerfenden groove (herrjeh, ich rede schon wie ein verdammter werbetexter ;-) - aber in diesem fall: sei´s drum.
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die musik ist auch durchaus als untermalung für das nun wirklich letzte fundstück für heute geeignet, welches mal wieder aus der beliebten rubrik "psychiatry meets popculture" stammt. und ganz im ernst:haben wir das nicht immer schon geahnt?
"Der Psychiater Eric Bui diagnostiziert bei Anakin Skywalker eine Borderline-Persönlichkeitsstörung - und sieht in der Krankheit einen Grund für den Erfolg der "Star Wars"-Filme." (...)
(und ich finde, da ist durchaus nicht alles nur an den haaren herbeigezogen).
...titelt aktuell die huffington post auf ihrer ersten seite, und bezieht sich damit auf dasgeschehender letzten tage in atlanta (bundesstaat georgia), wo es städtischerseits einen öffentlich angekündigten termin gab, bei dem sich menschen mit wohnungsproblemen auf eine warteliste (!) für ein diesbezgl. öffentliches hilfsprogramm setzen lassen konnten.
was dann folgte, waren szenen, die aktuell in teilen der us-amerikanischen (medialen) öffentlichkeit für echte verstörung sorgen:
nach allerletzten schätzungen waren es rund 30.000 menschen, die sich teils bereits am tag und in der nacht vor dem behördlich angesetzten termin in den straßen rund um die ausgabestelle (eine art shopping mall) zusammenfanden bzw. dort übernachteten. an den ausgabetagen (dienstag und mittwoch) selbst bildeten sich in den umliegenden straßen lange schlangen und es kam zu einem derartigen gedränge, dass am ende riot police angefordert wurde - da es auch in atlanta gerade sehr heiss ist, kam es nicht nur im gedränge, sondern auch durch die hitze zu dutzenden von verletzten, die in krankenhäuser gebracht werden mussten. gleichfalls kam es zu kaputten scheiben und die verteilung der berechtigungsscheine musste von polizei übernommen werden.
laut verschiedenen quellen war dort übrigens ein großer anteil der leute den "working poor" zugehörig, also menschen ohne wohnung (oder nur mit drecklöchern), aber durchaus mit schlecht bezahlten jobs.
wie nennt der reporter vor ort im video das? "this is a very disgusting scene..." - yo. land of the free, home of the brave...
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edit am 14.08.: das ursprüngliche video ist auf yt entfernt worden (danke für den hinweis @NIM), ist aber auf der eingangs verlinkten seite der huffpost noch zu sehen. ich hab´s jetzt ersetzt.
"Das Jahr 2010 ist voller Merkwürdigkeiten und es ist noch lange nicht beendet."
so drückt es ein fachlich durchaus versierter user in einemmeteorologischen forumam ende seines beitrages in einem thread zur aktuellen hitzewelle in russland aus, und bezieht sich damit primär auf atmosphärische strömungsmuster der ganzen letzten monate bis in den letzten winter hinein, die nicht nur in deutschsprachigen foren verbreitet als seltsam, wenn nicht gleich als anomalien bezeichnet werden.
nun hatten wir hier im blog ja schon in der vergangenheit längereauseinandersetzungenhinsichtlich eines möglichen anthropogenen klimawandels, aber ich finde, dass die derzeitigen globalenwetterextreme....
(...) "Kältewelle in Südamerika, Dürre und Hitzwelle in Russland, die verheerende Brände auslösen, Starkniederschläge in Pakistan, Afghanistan, Indien und China, die gewaltige Überschwemmungen und Zerstörungen verursachen, auch in Deutschland, Polen und Tschechien heftige Regenfälle und Überschwemmungen. Dazu schnell voranschreitende Schmelze des arktischen Eises, das erste Halbjahr 2010 war das wärmste seit Beginn der Messungen 1880, jedes der drei letzten Jahrzehnte war wärmer als das zuvorkommende gewesen …" (...)
...zumindest in ihrer objektivierbarenhäufunginnerhalb der letzten jahre jenseits aller streitereien um den menschlich verursachten anteil durchaus unterstreichen, dass etwas mit dem planetaren klima ( = ich verstehe das wort u.a. im sinne von statistischem wetter, wobei die statistik anhand von realen ereignissen über einen zeitraum von mindestens 30 jahren als klima gelten kann) passiert. da das globale klima lange nicht bis ins letzte verstanden ist und auch einflüsse wie die sonnenaktivität eine rolle spielen, erscheint es leicht, den möglichen (und für mich wahrscheinlichen) menschlichen einfluss als übertreibung, panikmache etc. abzutun. wir werden gerade diesen speziellen punkt hier im blog bestimmt nicht abschließend klären können; aber ich denke mir, dass selbst bei @sansculotte, der damals sehr klar und mit durchaus nachvollziehbarer argumentation (ansonsten eine seltenheit bei den "skeptikern") gegen einen relevanten einfluss gerade von co2 stellung bezogen hatte, ein minimalkonsens vorhanden sein könnte in der weise, dass wir uns darauf einigen können, dass wir aktuell die wirkungen von klimatischen anomalien besichtigen können - die ursachen sind ein anderes kapitel.
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das diese wirkungen nun v.a. in russland und pakistan so katastrophal wie selten zuvor ausfallen, hat natürlich sehr direkt auch mit menschlichem tun bzw. unterlassen zu tun. wenn die these des (anthropogenen) klimawandels aber zutrifft, dann haben wir heute die gelegenheit, so etwas wie eine mögliche blaupause dafür zu betrachten, was uns in zukunft noch alles blühen könnte, vor allem hinsichtlich der reaktion von regierungsoffizieller seite. und bezgl. dieser scheint es fast egal, in welchem land sich die wetterdramen abspielen - das russische desaster ähnelt für mich strukturell sehr dernichtreaktionder damaligen us-administration nach dem hurricane katrina 2005. sicher, formal unterschiedliche systeme und unterschiedliche ursachen - und doch erscheint die mentalität der jeweils handelnden "politischen eliten" nicht nur in diesen fällen gleich, und zwar gleich ausgeprägt antisozial.
bevor ich letzteres gleich speziell am beispiel russland näher deutlich machen will, nochmal direkt zum thema klima und den derzeitigenanomalien:
(...) "Die extremen Wetterereignisse stehen laut Atmosphärenforschern in einem direkten Zusammenhang.
Das stationäre Hoch über Russland sorgte für sehr hohe Temperaturen, die wiederum zu den Waldbränden geführt haben. Östlich des Hochs liegt ein Trog, und der verstärke den Jetstream über dem Himalaya, sagt Olivia Romppainen-Martius, Atmosphären-Forscherin an der ETH Zürich. Der starke Jetstream seinerseits begünstigte die starken Niederschläge. «In Kombination mit einem aussergewöhlich starken Monsun kam es zu heftigen Niederschlägen über Pakistan und Nordindien», so die Wissenschaftlerin. «Dieses Jahr ist der Jetstream über dem Himalaya anomal stark. Aussergewöhnlich ist auch, dass er genau über Pakistan beginnt. Normalerweise ist er im Sommer weiter nördlich gelegen.» Worauf die Anomalien zurückzuführen sind, kann Romppainen-Martius nicht mit Bestimmtheit sagen, es wäre Spekulation." (...)
und um die dimensionen auch in historischer hinsicht nochmal ganz deutlich zu machen:
(...) «Seit der Gründung unseres Landes, also in den vergangenen tausend Jahren, ist eine vergleichbare Hitzewelle weder von uns noch von unseren Vorfahren beobachtet worden», sagte der Chef des staatlichen Wetterdienstes Rosgidromet, Alexander Frolow. (...) «Das ist ein einzigartiges Phänomen, so etwas gibt es in den Archiven nicht», so Frolow.
Auch die Folgen der Flutkatastrophe in Pakistan werden immer dramatischer beschrieben. Bisher seien 13,8 Millionen Menschen betroffen, dies übertreffe vorangegangene Naturkatastrophen, sagte Maurizio Giuliano, ein Sprecher des UN-Büros für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten. «Dieses Desaster ist schlimmer als der Tsunami, das Erdbeben in Pakistan von 2005 und das Erdbeben in Haiti.»
hat aber weit weniger öffentliche aufmerksamkeit.
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nun ist es durchaus so, dass ein sommerliches hochdruckgebiet bzw. strömungsverhältnisse, die über wochen subtropische heisse luftmassen ununterbrochen richtung nordosten befördern - selbst teile von finnland hatten bisher schon viele tage mit temperaturen von weit über 30° C; eine stadt wie archangelsk am weißen meer hoch im nördlichen russland verzeichnete tropennächte, d.h. dass die temperatur nachts nicht unter 20 ° C fällt - , nicht unbedingt derartig verheerende auswirkungen auf die menschliche gesellschaft haben muss wie zurzeit. sicher, eine derartige hitze in regionen, die eigentlich eher mit schnee und eis assoziiert werden, trifft unvermeidlich auf eine solches ungewohnte bevölkerung und es sollte spätestens seit dem hitzesommer 2003 in mitteleuropa bekannt sein, dass ein derartiges wetter besonders in verstädterten gebieten nicht nur aufgrund der temperatur mehr herz-kreislauf-tode verursacht, sondern auch für eine starke luftverschlechterung sorgt. und das wochenlange hitze die waldbrandgefahr steigen lässt, ist ebenso eine binse.
das jetzige geschehen in russland jedoch hat eine vorgeschichte, aus der sich eigentlich direkt auch verantwortlichkeiten ableiten lassen. die zentralen punkte sind meines wissens nach die folgenden:
die nicht stattgefundene rekultivierung entwässerter moorgebiete besonders rund um moskau. die wurden teils schon in den 1920er jahren trockengelegt; einerseits zur brennstoffgewinung, andererseits aber auch, weil sie lediglich als brutstätten für moskitos und damit assoziierte krankheiten begriffen worden sind. innerhalb der frühen sowjetischen industrialiserung / modernisierung war allerdings eine andere als eine sehr technokratische, d.h. verdinglichende wahrnehmung von natur auch schier undenkbar
alles andere aber ist der post-sowjetischen phase zuzuordnen - da wäre die aushöhlung bzw.regelrechte zerschlagung jeglicher feuerprävention und - bekämpfung
ebenso wie die zerschlagung des staatlichen forstwesens (nicht nur wichtig zur hege des waldes, sondern auch zur früherkennung von bränden)
vor ein paar jahren wurde das umweltministerium faktisch aufgelöst und - ausgerechnet und bezeichnenderweise - dem rohstoffministerium eingegliedert
was sicher die neuen "besitzer" vieler wälder gefreut hat, oligarchen und großindustrielle, die in der einschlägigen holzverarbeitung tätig sind, und denen besonders unter putin die "privatisierung" ehemals öffentlichen gutes sehr leicht gemacht wurde - das lässt sich nicht ohne bezug zu den in russland zu beobachtenden quasi-mafiösen strukturen in politik & wirtschaft begreifen
zu schlechter letzt müssen aber auch große teile der russischen bevölkerung genannt werden, in denen so etwas wie umweltbewusstsein na sagen wir mal nicht allzusehr ausgeprägt ist. und die durch ihre weitgehende apathie auch das gesamte und auch in anderen bereichen destruktive treiben der alt-neuen russischen "eliten" faktisch duldet (was sie allerdings nicht groß von vielen anderen regionen der welt unterscheidet)
all das zusammengenommen führt dann zu jenen apokalyptischen bildern von feuerwalzen, vernebelten millionenstädten und hustenden menschen in masken, wie sie gerade täglich über die fernsehschirme flackern - bis hin zu vögeln, dietot vom himmel fallen:
(...) "Vor allem Exoten wie Papageien und Kakadus würden derzeit in großer Zahl sterben, schrieb die Zeitung "Moskowski Komsomolez" unter Berufung auf Tierärzte. Der Leiter der Moskauer Vogel-Klinik, Wladimir Romanow, sagte, dass Tierbesitzer zu Dutzenden ohnmächtiges Federvieh einlieferten. Bei einigen Tiere seien Blutgefäße geplatzt und schwere Kohlenmonoxidvergiftungen festzustellen.
Nur wenige Papageien hätten noch in speziellen Sauerstoffkammern gerettet werden können. In freier Wildbahn seien besonders Bussarde und Milane betroffen. Auch sonst fielen in der Stadt, in der seit Wochen eine Hitze um die 35 Grad herrscht, viele Vögel einfach tot vom Himmel, schrieb das Blatt. Gründe seien der Sauerstoffmangel in der Luft und der hohe Gehalt an giftigen Schadstoffen." (...)
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die "frankfurter rundschau" hat kürzlich aus einem russischem blog zitiert, in dem in einer sehr direkten sprache etliches von den obigen punktenaufgegriffen wurde:
(...) „Unter den perversen Dreckskommunisten, über die jetzt alle schimpfen, gab es drei Löschwasserbrunnen und eine Alarmglocke, die geschlagen wurde, wenn es brannte, und oh Wunder: ein Feuerwehrauto, zugegeben nur eines für drei Dörfer, aber es gab eines. Und dann kamen die demokratischen Herrschaften und die ganze Scheiße begann. Als erstes wurden die Löschwasserbrunnen zugeschüttet und das Land verkauft, das Feuerwehrauto ist auch irgendwohin verschwunden, wahrscheinlich von Außerirdischen geklaut, und die Alarmglocke wurde durch ein Telefon ersetzt (Drecksmodernisierung!) bei dem die Scheißkerle irgendwie vergaßen es anzuschließen.“
Diesen Beitrag übersendete am Mittwoch Alexei Wenediktow, der Chefredakteur des unabhängigen Radiosenders Echo Moskwa, mit einem Begleitschreiben an Putin. Ob dieser denn wisse, wie unzufrieden die Bevölkerung mit der Arbeit seiner Regierung sei? Dass sich die meisten nicht trauten, ihm ins Gesicht zu sagen, was sie denken, das Internet aber überquelle vor wütenden Beiträgen.
„Wohin fließen unsere Steuern?“ fragt der Blogger weiter, „befreit mich von meinen Steuern und Rentenbeiträgen, denn ich werde so eh nicht mehr lange leben, und ich kaufe dafür ein Feuerwehrauto. Wenn wir euch verehrten Abgeordneten und Beamten scheißegal sind, dann sind wir uns selbst nicht scheißegal. Nehmt eure Gesetze und lasst uns leben wie wir wollen. Und leben wollen wir glücklich und zufrieden. (…) Gebt mir meine Scheißalarmglocke zurück, ihr Schweine, und nehmt euer Dreckstelefon wieder mit.“
angeblich hat putin höchstpersönlich dem blogger geantwortet (im verlinkten artikel zu lesen) und sich dabei implizit an der benutzten sprache ergötzt:
(...) "Sie sind ein bewundernswert geradliniger und aufrichtiger Mensch. Einfach ein Prachtkerl. Und Sie sind zweifelsfrei ein begnadeter Autor. Der von seinem Schreiben ganz sicher ebenso gut wie Lenins Lieblingsschriftsteller Gorki leben könnte.“ (...)
das nun finde ich einen sehr interessanten punkt, weist er doch direkt auf eine tieferliegende spezifische struktur hin, die für das verständnis der heutigen russischen verhältnisse sehr hilfreich ist. im artikel wird das bezgl. der sprache nicht nur von putin so angerissen:
(...) "Er benutzt gerne die Schimpfwortsprache, die im Russischen oft als „nicht normative Sprache“ bezeichnet wird. Er möchte den georgischen Präsidenten an seinen primären Sexualorganen aufhängen, Terroristen auf der Toilette ertränken und widerspenstigen Wirtschaftsmagnaten mal einen Doktor vorbeischicken.
Die bildhafte Ausdrucksweise, derer sich Putin dabei bedient, ist der Ganoven- und Kriminellen-Jargon, der über die sowjetischen Lager in alle Teile der Gesellschaft vorgedrungen ist und von Alkoholikern und schimpfenden Waschweibern über Intellektuelle und Dissidenten bis zu Polizisten und Geheimdienstlern gesprochen wird." (...)
das könnte nun vor allem bei leserInnen von solschenizyns "archipel gulag" ein aha-erlebnis produzieren; zumindest mir ging es dabei so. solschenizyn hat sehr detailliert die entstehung einer privilegierten parallelgesellschaft im sowjetischen lagersystem beschrieben, bestehend aus all jenen, die als "normale kriminelle" (im gegensatz zu "politschen") verurteilt wurden. die strafen für diese kriminellen waren aus gründen, die rückblickend nur als völlig missverstandener pseudomarxismus bezeichnet werden können, i.d.r. weitaus geringer als für die "politischen" - "sozial nahestehende elemente", wie sie die kriminellen für die ideologen des stalinismus darstellten, wiesen mit einiger wahrscheinlichkeit genau jene persönlichkeitsstrukturen auf, die sich ausserhalb der lager auch bevorzugt in der sowjetischen "elite", aber auch im bürokratischen sowie polizeilich-militärischen apparat sammelten. mit stalin an der spitze eine gang von teils rücksichtslosen funktionärsgestalten, antisoziale vollstrecker eines pseudorevolutionären programmes ohne rücksicht auf verluste und widerstände. die sprache war dabei auf beiden seiten durchaus die gleiche; man verstand sich. putin stammt als ehemaliger kgb-funktionär selbst aus den späten formen dieser strukturen, und so kann seine begeisterung für diese sprache nicht erstaunen. es kann aber auch nicht erstaunen, dass ihm und seinen regime bei näherer betrachtung die not seiner untertanen schlicht am arsch vorbeigeht und like den finstersten stalinistischen zeiten alles dafür getan wird, um den schein von (be-)sorgnis und aktivität aufrechtzuerhalten. das drückt sich dann einerseits in solchen aktionen aus, wie ein paar offiziere hinauszuwerfen, die angeblich bei der brandbekämpfung an militärstützpunkten versagt hätten; andererseits ist bisher niemand von diesen herrschaften auf die idee gekommen, wenigstens in großstädten wie moskau während der schlimmsten smogtage ein fahrverbot für autos auszusprechen. stattdessen werdenmaulkörbeverteilt:
(...) " Moskauer Ärzte gaben gegenüber Reuters Africa an, dass sie es kaum wagten, bei Patienten Krankheiten zu diagnostizieren, die mit der Hitze und dem Rauch zusammen hängen, aus Angst, ihre Stelle zu verlieren.
Als Ärzte in Internet-Blogs klagten, dass sich die Leichenhallen mit Menschen füllten, die an den Folgen der Brände gestorben waren, und dass die Situation in allen Moskauer Spitälern ähnlich sei, stritt die Regierung dies erst einmal reflexartig ab." (...)
kurz: wir sehen auf so ziemlich allen ebenen, von der sprache bis hin zum verhalten, von den gesellschaftlichen "eliten" (ignorante antisoziale frechheit) bis hin zu großen teilen der bevölkerung (apathie, fatalismus, egozentrismus) das unheilvolle zusammenwirken von vergangenen kollektiven traumatisierungen (durch diktatur & kriege) und heutigen (die offen mafiöse struktur des russischen kapitalismus). ersteres hat letzteres in vielfacher hinsicht begünstigt und es ist ganz und gar kein zufall, dass diejenigen persönlichkeitsstrukturen, die auch in den stalinistischen phasen der sowjetunion in einer art negativen auslese bevorzugt in elitäre positionen gelangten, das gleiche nun auch heute unter formal entgegengesetzten ideologischen und realen prämissen schaffen. diese spezifisch russische traumatische matrix ist es, die im hintergrund einiges zur aktuellen situation beiträgt.
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wer nun vor dem hintergrund des oben stehenden auf die idee kommen sollte, mir "antirussische" ressentiments o.ä. vorwerfen zu müssen, sollte vorher seinen/ihren kopf geraderücken - russland lässt sich noch nicht mal als als-ob-demokratie des durchschnittlich mitteleuropäischen typs bezeichnen; es ist ein autoritäres system, und der kapitalismus dort zeigt deutlicher als anderswo (vielleicht ähnlich wie bestimmte zonen in mittel- und südamerika) seine direkte innere verwandschaft bzw. wesensgleichheit mit dem, was sich als organisierte kriminalität begreifen lässt. für die gesellschaft "als ganzes" wie auch das, was normalerweise als "politische kultur" bezeichnet wird, hat das die zu erwartenden folgen - exemplarisch zu sehen an einem sehr langen, aber empfehlenswertenbeitragauf indymedia, in dem anhand des widerstands gegen die abholzung von wäldern für eine autobahn in der nähe von moskau schlaglichtartig etliches der russischen verhältnisse besser erkennbar wird. lesetipp!
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ein ebenfalls sehr spezifischer aspekt der russischen katastrophe liegt in der gefahr möglicher radioaktiver kontaminationen durch neuen fall out, wenn nämlich die brände verstrahlte gebiete erreichen sollten, die es nicht nur rund um tschernobyl (in der ukraine) gibt, sondern auch rund um die russische wiederaufarbeitungsanlage und atomare lagerstätte inmajak, bei der nach einem schweren (und mir bisher unbekannten) störfall in den 1950er jahren zu einer bis heute andauernden verstrahlung eines ca. hundert quadratkilometer großen gebietes kam. es gibt tatsächlich eine gewissen wahrscheinlichkeit dafür, dass ein feuer in verstrahlten zonen radioaktive partikel in den obersten bodenschichten und auch innnerhalb von pflanzen wieder freisetzen, aufwirbeln und transportieren kann - die eigentliche gefahr jedoch könnte eine andere sein, wie es in dieseminterviewmit dem leiter des instituts für risikoforschung an der uni wien deutlich wird - da ich nicht weiß, wie lange das video beim orf noch online sein wird, in stichworten das wichtigste: er berichtet davon, dass durch brände auch viel stromtrassen zerstört worden sind, was bei zwei akw durch rückkoppelungseffekte zum brand und zur zerstörung der jeweiligen transformatorenstationen geführt habe. das aber bedeutet, dass die akw von jeglicher externen stromversorgung abgeschnitten seien, was zu schweren und sehr gefährlichen problemen führen kann, wenn die akw wg. der feuer im prozess des herunterfahrens seien - da muss nämlich für die brennstäbe eine dauernde kühlung gesichert sein. falls diese nicht mehr aufrechterhalten werden könne, dann...
tja. erstens: ein unglück kommt selten alleine. zweitens: alles, was schief gehen kann, wird auch schiefgehen. drittens: eine kernschmelze ist genau das, was diesem desolaten jahr als "krönung" noch fehlen würde. das wäre dann wirklich ein vernünftiger grund, sich mal hemmungslos zu betrinken... (bevor dann kollektiv zur abrechnung mit den "eliten" geschritten wird).
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wer sich fragt, warum ich das wort menetekel in der überschrift habe, sollte sich die beiträge der letzten wochen und monate zum ölGAU im golf noch mal betrachten. zur situation in pakistan fehlt es mir z.zt. noch an material, auch wenn beim oberflächlichen betrachten ähnliche strukturelle eigenschaften der dortigen administration zu erkennen sind wie in russland. ansonsten kann es sein, dass ich die nächste zeit wilde thematische sprünge mache: es ist zuviel material aufgelaufen, wie neulich schon mal angemerkt. und ich muss das für mich erst mal alles sortieren. auch für mich ganz persönlich - es werden insgesamt szenarien sichtbar und zur realität, die ich zwar befürchtet habe, aber deren ausmaß und eintreffen dann doch erst mal emotional verkraftet werden muss.