kontext

Dienstag, 22. Juni 2010

kontext 67: es gibt sachen, die sind so krass, die kannst du dir gar nicht ausdenken

heute titelt spon US-Richter kippt Obamas Öl-Bohrstopp. mal ganz abgesehen davon, dass dieser "bohrstopp" eh nur 33 projekte aktuell betraf (von ein paar tausend im golf), hätte spon einfach mal durch mitlesen in verschiedenen us-quellen (das lässt sich noch nicht mal recherche nennen) einige interessante details über

"US-Bundesrichter Martin Feldman"

herausfinden können. so zb., das dieser richter bereits seit 1983 in seinem amt sitzt und damals von der reagan-administration berufen wurde. alleine das ist in diesem kontext schon bezeichnend. das andere aber ist ein einblick in seine
finanziellen verhältnisse (pdf-file). da finden sich dann aus den letzten jahren hübsch säuberlich aufgelistet investments, anteile und aktiengeschäfte seinerseits u.a. mit und von
  • Transocean
  • Ocean Energy Notes
  • Peabody Energy
  • Provident Energy Corp
  • Hercules Offshore
  • Parker Drilling Company
  • TXCO Resources, Inc.
  • EV Energy Partners
  • BPZ Resources, Inc.
  • El Paso Pipeline Partners LP
  • Chesapeake Energy Corporation
  • ATP Oil & Gas Corp.
muss ich nichts mehr zu schreiben, oder? unites states of corporations - sollte die eigene gesetzgebung per lobbys mal schwächeln, so sitzen solch´ tapfere und total unabhängige juristen in den startlöchern, um die fiesen anschläge auf markt und freies unternehmertum zuverlässig zu vereiteln. hierzulande ist´s zwar grundsätzlich nicht anders, aber dieses beispiel macht mich nun doch etwas sprachlos. mit einem derartigen system und solchen protagonisten gibt es nichts mehr zu verhandeln.

Freitag, 18. Juni 2010

kontext 66: wenn die selbstwahrnehmung fremdelt...

... dann können sich u.a. so interessante phänomene manifestieren, wie sie hier leicht herablassend unter dem begriff "hirngespinste" thematisiert werden:

(...) "Wohin sie auch die Augen wendet, es ist schon da: ein Gesicht halb durchsichtig. Es schwebt vor ihr in der Luft, drängt sich beim Blick in die Handtasche dazwischen. Es äfft ihre Miene nach, denn es ist ihr eigenes Gesicht, das sie verfolgt.

Die junge Frau, die seit einem Schlaganfall von ihrem eigenem Gesicht verfolgt wurde, ist nur eines von Dutzenden Fallbeispielen für sogenannte Selbstwahrnehmungsstörungen, die der Wahrnehmungsforscher Olaf Blanke an der ETH Lausanne gesammelt hat. Er sagt: "Man muss nicht verrückt sein, um Dubletten des eigenen Körpers zu sehen." (...)


aber ich will nicht zu nörgelig sein; der artikel ist wirklich spannend und wirft ein weiteres mal aus der perspektive der neuroforschung auch schlaglichter der erkenntnis auf phänomene, die früher im allgemeinen verständnis eher der religiösen, mystischen oder auch parapsychologischen schiene zugeordnet wurden - alleine die "out-of-body"-erfahrungen haben bspw. generationen lang in den genannten bereichen für wildeste erklärungsversuche gesorgt, was immerhin ob ihrer oftmals spektakulären wirkung auf betroffene menschen nachvollziehbar erscheint.

(...) "Ich löse mich auf. Mein Bauch zerfließt, meine Arme und Beine verschwinden. Ich möchte schreien, aber da ist nichts mehr, was dem Willen gehorcht. Einsamer kann man nicht sein.

"Ein epileptischer Patient berichtete mir, dass sein Körper während der Anfälle verschwindet", sagt Heydrich. Die Epilepsie ging von dem Bereich aus, der von Singer als möglicher Sitz des Selbst verdächtigt wird, vom frontalen Cortex. Und sie weist auf ein damit verbundenes System, welches das Gefühl fürs Selbst mit der Analyse von Bewegungen verknüpft. Um uns zu versichern, dass wir existieren, beobachten wir offenbar sorgfältig unsere Bewegungen."


das wort "beobachten" führt in diesem zusammenhang auf eine falsche fährte, weil es implizit eine "bewusste" aktion nahelegt - dem ist durchaus nicht so. grundsätzlich passt das aber zu dem, was über eine ganz fundamentale menschliche wahrnehmungsart, die
propriozeption, inzwischen bekannt ist. und das bringt überfälligerweise den ganzen körper ins spiel und führt mich darüber zum letzten absatz, an dem ich dann doch kritik üben möchte:

"Bei allem, was man heute über den Weg weiß, auf dem das Gehirn die verschiedenen Aspekte unseres Selbstgefühls konstruiert, drängt sich der Verdacht auf, dass unser Eindruck, ein einziges und eindeutiges Ich zu besitzen, vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes ein Hirngespinst ist. Aber es ist offenbar nötig, um uns Sicherheit zu geben." (...)

um es kurz zu machen: natürlich stoße ich mich an dem wort "konstruiert", auch wenn das als ein beschreibendes attribut in diesem fall nicht unbedingt falsch ist. aber erstens ist das gehirn ein körperorgan, und eine hierarchiesetzung zu anderen organen ist weder hilfreich noch zwingend, selbst wenn man die spezifischen fähigkeiten des gehirns berücksichtigt. zweitens folgt daraus, dass das beschriebene "konstruieren" die vorgesehene art und weise des körpers ist, realität wahrzunehmen. auch, wenn diese art drittens eine durchaus breiter fließendes, wenn auch begrenztes spektrum an wahrnehmungen zulässt (die offen pathologischen wahrnehmungsarten zähle ich ebenfalls dazu). und viertens verweise ich hinsichtlich des "konstruierens" sowie die probleme, die dieses modell mit sich bringt, auf
diesen beitrag, in dem sich zusammenfassend meine grundsätzlichen kritikpunkte an konstruktivistischen weltbildern (und die werden in spezifischer ausprägung auch in großen teilen der hirnforschung benutzt) bzw. ihren implikationen finden lassen. wie gesagt: nicht, dass unser gehirn nicht auch im funktionalen sinne tatsächlich konstruiert. aber das kann eben keinesfalls als stütze für das gerede "jeder-konstruiert-sich-seine-eigene-realität" etc. herhalten.

dass die heute in der westlichen kultur verbreiteten ego-formen allerdings tatsächlich relativ sind, also auch qualitativ andere vorstellbar und möglich erscheinen, wird aus meiner sicht durch das eben skizzierte übrigens nicht negiert.

Freitag, 14. Mai 2010

kontext 65: "Ich möchte, dass du mich niemals vergisst. Dazu werde ich deine Zukunft ruinieren."

keine ausflüchte mehr, keine verbrämungen mehr: das IST krank, das ist ausdruck einer wie auch immer zu bestimmenden schweren pathologie im strengen klinischen sinne:

(...) "Der Bericht über die Gespräche mit den ehemaligen Heimkindern spart üble Einzelheiten nicht aus: "Herr Mixa zog ihm die Hose herunter und prügelte mit einem Stock auf den nackten Hintern. Nach fünf bis sechs Schlägen begann der Betroffene zu weinen. Danach brach der Stecken ab und Herr Mixa lockerte seinen Hosengürtel und schlug noch weitere fünf- bis sechsmal auf seinen Hintern." Der Mann, der 1982 als 15-Jähriger zu Mixa gerufen worden sei, sei später zum Alkoholiker geworden, so Knott.

Einem Mädchen habe der Ex-Bischof laut dem Bericht gesagt: "Ich möchte, dass du mich niemals vergisst. Dazu werde ich deine Zukunft ruinieren." Die von Knott als glaubhaft bezeichnete Frau benötige bis heute therapeutische Hilfe und sei nicht in der Lage, Beziehungen zu führen." (...)


so ziemlich alles weitere von mir aus nötige hatte ich in diesem früheren
beitrag zu diesem ganz speziellen herrn geschrieben. und es ist wirklich keinerlei entlastung in irgendeiner form für ihn, dass die staatsanwaltschaft die vorermittlungen wg. sexualisierter übergriffe jetzt eingestellt hat.

*

zum zitierten satz in der überschrift noch das: erstens war mixa bis vor allerkürzester zeit teil und repräsentant der sog. "eliten", und diese manifestation seines psychophysisch offensichtlich völlig zerrütteten zustands muss ebenfalls dringend als repräsentativ für diese schicht angesehen werden - gründe dafür sind hier zuhauf nachzulesen.

zweitens: legen Sie den satz mal gedanklich einem "bp"-manager, einem bankster, einem "politiker" in den mund .... genau. aus bestimmten gründen habe ich den verdacht, dass ein teil dieser leute letztlich tatsächlich aus ihrer persönlichen struktur heraus von rache motiviert ist (und die kapitalismusinternen zwänge diesen sachverhalt sehr gut maskieren können - per sog. rationalisierung). zu diesem punkt mehr im kommenden schwerpunkt "soziopathie".

Montag, 19. April 2010

kontext 64: und dann war da noch ein gewisser...

...norbert walter, als ehemaliger "chefvolkswirt" der "deutschen bank" und als mitglied im "zentralkomitee der deutschen katholiken" (welch´ name übrigens) gleich in zwei überaus systemrelevanten und allseits beliebten institutionen zugange, der im zusammenhang mit dem notorischen mixa höchst unfreiwillig etwas über die - hm, zugangsbedingungen in elitäre kreise deutlich machte:

(...) "Gefragt, ob der Bischof noch glaubwürdig sei, weil er zunächst jegliche Tätlichkeit abstritt und später doch zugab, Ohrfeigen verteilt zu haben, sagte Walter in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Nach meinem Urteil ist das glaubwürdig“. Es sei glaubwürdig, weil Bischof Mixa die Ohrfeigen nicht als Gewalt gegen Kinder interpretierte, sondern als Maßnahme der Kindererziehung.

Mixas Position wirke nur nicht sinnvoll in einer Öffentlichkeit, welche die Referenzmaßstäbe durcheinander bringe. Damit meinte Walter die Tatsache, dass vor einigen Jahrzehnten „die körperliche Züchtigung zu einer normalen gesellschaftlichen Wirklichkeit“ gehört habe. Es sei zudem sehr schwer, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Schläge von einst heute zu seelischen Schäden führen würden.

Die derzeitige Debatte sei seiner Einschätzung nach „ahistorisch und (sie) ist in einer Reihe von Fällen, das sage ich sehr schmerzhaft, von fundamentalistischen Aufklärern geführt.“ Auch er sei als Kind von seiner Mutter „verprügelt“ worden und „das hat mir nicht geschadet“. Denn: „Meine Mutter hat mich geschlagen, nicht weil sie mich vernachlässigt hat, sondern weil sie mich liebte“. (...)


mixa ist also deshalb "glaubwürdig", weil er seine schläge in kindergesichter (nichts anderes sind "ohrfeigen") nicht als gewalt, sondern als "maßnahme der kindererziehung" interpretiert? das ist höchst interessant, könnte doch auf ähnlichem level zb. ein vergewaltiger seine taten nicht als gewalt, sondern als maßnahme zum ausagieren höchst drängender sexueller bedürfnisse interpretieren. letzterer könnte sich ebenso auch auf "referenzmaßstäbe" berufen, war doch bspw. die vergewaltigung in der ehe bis mitte der 1990er jahre hierzulande kein strafbares delikt.

auch die phrase "fundamentalistische aufklärer" ist allerliebst; und dann kommen die letzten sätze.

sätze, die blitzartig beleuchten, wie die zusammenhänge innerhalb der traumatischen matrix, mit ihren re-inszenierungszwängen und ihren manifestationen innerhalb von gesellschaften - hierarchische oben-unten-verhältnisse, diverse symptome schwerer psychophysischer störungen auf allen ebenen etc. - tatsächlich beschaffen sind. dazu kommt die typische täter-opfer-dialektik, von der ein mechanismus auch dank walter sehr deutlich wird: die entschuldigung der tätereltern, hier der mutter. und das als "liebe" zu begreifen, ist in dem zusammenhang geradezu ein klassiker.

"Es sei zudem sehr schwer, im Einzelfall zu beurteilen, ob die Schläge von einst heute zu seelischen Schäden führen würden."

nein walter, ist es gar nicht - selbst ohne die psychotraumatologie zu bemühen, reicht für Sie zur bestätigung des zusammenhangs schon ein blick in den spiegel.

so werden tatsächlich die "stützen der gesellschaft" - "honorig, seriös, leistungstragend" und schwer gestört - produziert. bis heute. vielleicht mit der modifikation, dass es heute subtiler und scheinbar "körperloser" abläuft - scheinbar. aber das prinzip ist immer noch das gleiche.

Mittwoch, 17. März 2010

kontext 63: dopamin als kick für soziopathen ?

der neurotransmitter dopamin - hier ein geraffter überblick zum stoff und seinen wirkungsspektren bzw. -mechanismen - könnte eben aufgrund dieser eigenschaften zu jener klasse von (bio-)chemischen substanzen gehören, welche in der lage sind, in letzter konsequenz und per einfluss auf das menschliche gehirn auch unser gesellschaftliches bzw. soziales leben nicht nur massiv zu beeinflussen, sondern auch womöglich in teilbereichen regelrecht zu prägen. ein weiteres indiz für diese sichtweise liefert der folgende artikel, dessen inhalt noch zusätzliche brisanz durch die spezielle gruppe erhält, deren reaktionen auf dopamin hier beschrieben werden:

(...) "Neurobiologen haben einen besonders ausgeprägten Mechanismus im Gehirn krankhaft antisozialer Menschen entdeckt: Es dürstet nach Belohnung, um jeden Preis.

Essen oder Sex sind natürliche Belohnungsreize. Sie führen zur Ausschüttung des Hirnbotenstoffs Dopamin. Das ist gut so, denn dadurch kommen Glücksgefühle in uns hoch, die uns antreiben, dieses lebenswichtige Verhalten zu wiederholen.

Bei Psychopathen scheint dieser körpereigene Belohnungsmechanismus gesteigert zu sein. Das haben Untersuchungen von Hirnforschern der Vanderbilt University in den USA ergeben. (...)

Bisher ging es bei der Erforschung psychopathischen Verhaltens vor allem darum, was Psychopathen normalerweise fehlt - etwa Angst, Einfühlungsvermögen oder die Fähigkeit, normale soziale Kontakte zu pflegen. Wie die Neurobiologen im Fachmagazin "Nature Neuroscience" jetzt berichten, besitzen Psychopathen aber auch durchaus besonders stark ausgeprägte Eigenschaften: Ihren Ergebnissen zufolge strebt ihr Gehirn in unnatürlich gesteigerten Ausmaßen nach Belohnung.

Sowohl die Erregbarkeit als auch die Bereitschaft, dafür hohe Risiken einzugehen, sei bei Menschen mit krankhaft antisozialem und riskantem Verhalten besonders hoch, schreiben die Forscher. "Psychopathen werden oft als kaltblütige Kriminelle angesehen, die sich einfach das nehmen, was sie wollen - ohne dabei über die Konsequenzen nachzudenken", sagt Buckholtz. "Tatsächlich fanden wir heraus, dass ein hyperaktives Dopamin-Belohnungssystem die Ursache für einige der problematischsten Verhaltensweisen von Psychopathen sein kann, wie zum Beispiel Gewaltkriminalität, Drogenkonsum und eine hohe Anfälligkeit dafür, rückfällig zu werden." (...)


eine sehr grobe skizzierung des möglichen funktionierens von dopamin im soziopathischen hirn liefert der rest des artikels, aber die kernaussage ist sehr interessant, liefert ein weiteres puzzlestück zum ganzen thema der soziopathie und deutet dazu gleich in bestimmte gesellschaftliche bereiche - schön zusammengefasst vom
ersten kommentar im zugehörigen forum:

"Hier könnte man ja mal frech 1+1 zusammenzählen und sich fragen welcher "Personengruppe" unsere heutige aus den Fugen geratene Welt mit ihren anscheinend immer noch fest zementierten Leistungsprinzipien, Finanzblasen,Ellenbogenmentalität, willfährigen politischen Entscheidungen, Kriegs- und Abzockergeschäften, schwarzen und grauen Operationen am Meisten dient ?

Genau. Dazu kommt dass nach meiner Einschätzung in uns allen ein kleiner sozio- bzw. psychopathischer kleiner Kobold hockt der in einem organisch gesunden Hirn in der Regel an die Leine genommen wird- ausser ein anderer skrupelloser Koboldträger ermuntert ihn doch mal die Grenzen auszuloten.
Bei den richtig "Harten" (lt. "Team America" ist unsere Welt Schauplatz des ewigen Kampfes zwischen Pussies, Arschlöchern und Harten)stellt es sich wohl eher auch so dar, dass die Angst vor der Peitsche (Enttarnung, Erwischtwerden, Bestrafung) einen zusätzlichen Kitzel darstellt.Noch mehr Dopamin wenn man "das System" erfolgreich unterwandert/ausgetickst hat ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden ;)."


die erste frage trifft meiner meinung voll in die zwölf; und ebenfalls lässt sich der "kleine soziopathische kobold" durchaus als eine metapher für das bezeichnen, was ich hier im blog den objektivistischen modus nenne. und der ausdruck "das system" steht in diesem zusammenhang nach meinem verständnis nicht nur für die etablierten (und teils hoch fragwürdigen) staatlichen und gesellschaftlichen strukturen, sondern in der soziopathischen wahrnehmung vor allem für das, was wir als soziales leben betrachten.

zusammen mit den anderen typischen psychophysischen eigenschaften der soziopathen ergibt jener mögliche dopamin-induzierte "kick" jedenfalls ein bild, welches ich in nächster zukunft nochmals als ganzes versuchen will, darzustellen - auch wenn das thema schon in vielen anderen beiträgen eine hauptrolle spielte (siehe den
index). die soziopathie halte ich aber trotzdem in ihren konsequenzen für faktisch die ganze gesellschaft weiterhin für weitgehend unterschätzt, weil unbegriffen - und ein schon länger in der mache befindlicher basisbeitrag soll eben diese unterschätzung beenden. dann wird dieser mögliche dopamin-kick auch noch mal genauer zur sprache kommen.

Samstag, 20. Februar 2010

kontext 62: wenn eine gesellschaft das objektive...

...bzw. die sog. objektivität als fetisch behandelt, als götze anbetet und die wahrnehmung im objektivistischen modus mit seinen verdinglichenden wirkungen als "normalität" betrachtet, so wird sie erstens zwangsläufig auf die dauer ver-rückt, was sich dann zweitens u.a. in solchen beobachtungen manifestiert:

(...) "Und was beiden sowohl dort als auch bei den Hausbesuchen auffalle, sei der geistige Gesundheitszustand ihrer Klienten. "Wir haben es immer mehr mit jungen Menschen zu tun, die psychische Probleme haben", sagt Urfels. "Und wir reden hier nicht vom Liebeskummer, sondern von einem absolut massiven Anstieg von suizidgefährdeten Jugendlichen und Borderline-Patienten", fügt Zenner hinzu. Zudem gebe es immer häufiger Fälle von Wahrnehmungsstörungen, "sowohl im Selbstbild als auch in der Fremdwahrnehmung". (...)

anfügen möchte ich noch, dass ich eigentlich keine "psychischen probleme" kenne, die nicht auch mit selbst- und fremdwahrnehmungsstörungen einhergehen bzw. sich in symptomen innerhalb dieses bereiches manifestieren können. umgekehrt müssen funktionale wahrnehmungsstörungen nicht unbedingt gleich eine psychiatrische diagnose nach sich ziehen; eher könnten ihre auswirkungen auf die sozialen beziehungen des betroffenen dann eine solche nach sich ziehen. einige interessante abschnitte aus einem
buch zu kindlichen wahrnehmungsstörungen machen mögliche ausmaße und folgen ganz gut deutlich - wenn Sie ab der seite 34 runterscrollen, gibt es jeweils kurze und knappe zusammenfassungen aller relevanten möglichen wahrnehmungsstörungen und ihrer ursachen.

und nicht zufällig sind viele der beschriebenen auswirkungen einzeln oder in kombinationen auch in den symptombeschreibungen vieler psychiatrischer diagnostischer modelle zu finden - unruhig, ablenkbar, unkonzentriert, schnell in konflikte mit anderen ohne erkennbare ursache verwickelt, rückzugs- und isolationstendenzen etc.

es wäre zur abwechslung mal eine wirklich vernünftige politische forderung, selbst- und fremdwahrnehmungskompetenzen sowie entsprechendes training in möglichst vielen gesellschaftlichen bereichen - von den schulen angefangen - zu verankern und die strukturen und mittel dafür einzufordern. das wäre dann im weitesten sinne auch schon als beitrag einer lebensnotwendigen traumaprävention zu begreifen (immerhin scheint es bereits in vielen sportarten normal zu werden, speziell
propriozeptives training in ihren jeweiligen bereich zu integrieren. auch, wenn das meist unter dem aspekt der leistungssteigerung gesehen werden sollte, ist das aufgrund der elementaren bedeutung sehr begrüssenswert).

Freitag, 12. Februar 2010

kontext 61: "wes leer welt - welle west er"*

( *anagramme eines antisozialen)

*

vielleicht das einzige - natürlich ungewollte - "gute" an der prä-faschistischen (man betrachte sich die historische nutzung der attribute "geistig" und "dekadent", gerade in diesem land!) amok-rhetorik des w.ichtes liegt darin, dass ich bei betrachtung der reaktionen und kommentare in allen möglichen foren, egal ob mainstream oder nicht, es fast zum greifen finde, wie massiv polarisiert die ganze soziale situation hier ist - ich habe selten zuvor das gefühl gehabt, dass eine art grenze für viele erreicht ist - und zwar auch bei jenen, denen gegenüber aus ganz elementarer menschlicher emotionaler rationalität heraus eine entschiedene gegnerschaft auszusprechen ist - all jene, für die ein w. stellvertretend steht.

zwei postings nun, die das allermeiste von dem auf den punkt bringen, was ich selbst ebenfalls als eine art matrix im hintergrund begreife, welche die aktuellen konflikte aus der tiefe speist. zunächst eine variation der feststellung, dass die (meisten) menschen beziehungswesen und
keine monaden sind:

(...) "Ich bin dafür, Sie zu enteignen als Schadensersatz für von der Gesellschaft für Sie aufgebrachte Leistungen und irgendwo im nirgendwo z.B. in Afg. anzusiedeln. Die warten dort dringend auf Menschen, die wissen wo es lang gehen muß.

Jedenfalls sollten Sie erstmal eine Gebühr zahlen, für die Straße, die wir für Sie vorfinanziert haben, das Wasser, daß wir für Sie fördern, reinigen und zu Ihnen pumpen und für alles andere, was die Gesellschaft je für Sie getan hat! Dann, und wirklich erst dann, werden Sie feststellen, daß der Mensch ein Gemeinschaftstier und kein Einzelgänger ist." (...)


ja. es ist immer deutlicher zu sehen, dass sich all die visagen der selbsterklärten "elite" aus wirtschaftsterroristen / organisiert kriminellen / antisozialen bis echten soziopathen /narzisstisch gestörten sowie ihre "politischen" marionetten und claquere tatsächlich benehmen, als hätten sie selbst die strassen für ihre autos, ihre protzvillen, die flughäfen für ihre privatjets und eigentlich ihre gesamte materielle ausstattung erschaffen - rein durch ihre generelle halluzinierte "überlegenheit", die sich allerdings real nur in absoluter skrupel- und rücksichtslosigkeit manifestiert. wahrlich übermenschen, welche die deutlichste ausprägung jener pathologischen psychophysischen zustände im wahrsten sinne des wortes verkörpern, die hier als normalität angesehen und immer noch verklärt werden - die fiktion eines quasi "autarken", "bürgerlichen" "ichs", welches aller wahrscheinlichkeit nach doch nur eine art der kompensation darstellt - eine kompensation massiv gewalttätiger und traumatischer einflüsse auf die menschen, seit generationen und jahrhunderten.

und diese art "ich", besonders in seiner ausgeprägt
objektivistischen variante, ist tatsächlich von seinem wesen her strukturell oder funktionell autistisch (im sinne einer weitgehenden, psychophysisch begründeten beziehungsunfähigkeit).

ich vermute, ein großteil dieser leute würde selbst dann nichts verstehen können, wenn man sie aufforderte, sich doch dann bitte konsequent von aller sozialität abzuwenden und bspw. als einsiedler im wald zu belegen, dass sie tatsächlich - und zwar ohne jegliches, von anderen menschen produziertes hilfsmittel - in ihrem sinne so "autark" oder "frei" sind, wie sie es in ihren pathologischen ideologien immer wieder als angeblich menschliche höchste entwicklungsstufe anpreisen.

(und klar, natürlich können sie diesen beleg auf keinen fall liefern, wären sie doch ohne auch noch so rudimentäre bzw. meist nur materielle zuwendungen seitens anderer als baby oder kleinkind überhaupt nicht überlebensfähig gewesen. mir scheint, in ihrer verachtung und ihrem hass auf die menschliche sozialität an sich stecken auch - wieder wortwörtlich zu nehmen - unerhörte informationen über die verhältnisse, aus denen sie als quasi-mutanten entsprungen sind.

aber wie ich schon oft schrieb: verständnis ist nicht gleich akzeptanz.)

eine weiterer kommentar macht deutlich, was sich hinter der bezeichnung
quasi-mutanten verbergen könnte (von "dreizehn" am 12.02. um 20.45 h):

(...) "Ich glaub, so einer hat null Ich-Stärke. Der quasselt zwar ständig von sowas und macht die harte Nummer, aber wir wissen ja dass es die nackte Not ist und der Mangel an innerer Stärke, der solche Figuren anhält, wenigsten sowas ständig im Munde zu führen. Quasselt auch endlos von Verantwortung und ich möchte wetten, der kennt kein verantwortungsvolles Verhalten, vor allem nicht sich selbst gegenüber, weil es den im eigentlich Sinne gar nicht gibt.

Bei Leuten dieser Machart tritt das Geld, die nackte materielle Geltung, Status mit allem was dazugehört, an die Stelle .. ja von was? Wohl an die Stelle des Ich. Oder verdrängt die Seele oder so, die Figur existiert geradezu nur noch im Auftritt. Drinnen drin ist nix oder nur rudimentär was.

Sowas regiert uns als Außenminister und wir müssen nicht glauben, dass die in anderen Ländern anders wären, oder? Und nicht nur die Außenminister." (...)


*

"Drinnen drin ist nix" - dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
und das ist ihre welt , ihr natürliches habitat, ihr humus und ihr element - die wirkliche welt der "leistungsträger":

(...) "Man denkt immer noch, dass das organisierte Verbrechen von einer Minderheit bestimmt wird, die in einer kriminellen Unterwelt lebt und keinerlei Berührungspunkte mit der Welt und dem Leben der ehrlichen Bevölkerung hat. (...)

mit der "ehrlichen bevölkerung" ist das so eine sache, wobei das im vergleich mit der tatsächlich existierenden organisierten kriminalität immerhin eine gewisse berechtigung besitzt, diesen begriff so zu benutzen. aber egal, er wird jetzt eh geradegerückt:

(...) "Leider sieht die Realität ganz anders aus. Die Welt des internationalen Verbrechens und die Welt der normalen Bürger sind zwei Seiten derselben Medaille; tatsächlich sind sie voneinander abhängig. Was wir als den äußeren Feind bekämpfen, ist in Wahrheit schon längst im Innern und ist Teil unseres täglichen Lebens, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

Wir müssen uns nur vor Augen halten, welche Art von illegalen Waren und Dienstleistungen das organisierte Verbrechen ihren willigen Kunden anbietet. Das Geschäft floriert, weil es Millionen von Bürger gibt, die ein Interesse an den illegalen Waren und Dienstleistungen haben. Einen Großteil der kriminellen Aktivität muss man also als ein Phänomen der freien Marktwirtschaft einstufen, reguliert durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage." (...)


eine grosse wahrheit, im letzten satz gelassen ausgeprochen.

(...) "Die Einzelstaaten haben die Kontrolle über den Markt verloren, da die national beschränkte Gesetzgebung nicht auf eine globale, alle Grenzen überschreitende Marktwirtschaft angewendet werden kann. Die jüngste Krise, die 2008 die Weltwirtschaft zu Fall brachte, zeigte, welche katastrophalen Folgen eine Wirtschaft hat, die sich an keine Regeln hält und hauptsächlich von Leuten betrieben wird, die international operieren. Außerdem hat alle Welt gesehen, dass die Staaten unfähig sind, die Wirtschaft im Griff zu behalten - außer wenn es darum geht, großzügig öffentliche Gelder auszugeben, um einen weltweiten Zusammenbruch zu vermeiden. Neue Regulierungen, die angekündigt wurden, um die Ausgabe der Gelder zu rechtfertigen und die öffentliche Meinung zu beschwichtigen, sind nie in Kraft getreten. Auch daran sieht man die Machtlosigkeit der Politik gegenüber der Wirtschaft und die Umkehrung der Rangfolge.

Da der Markt weder reguliert wird noch transparent ist, muss man mit neuen Immobilien- und Finanzblasen rechnen, die wie Zeitbomben jederzeit platzen können und dann die Ersparnisse von vielen Bürgern in Rauch aufgehen lassen und Millionen von Arbeitslosen produzieren.

Die Auswüchse der Wirtschaftskriminalität in den Chefetagen der internationalen Konzerne, die die Weltwirtschaft bestimmen, verursachen weit größere und schwerer zu behebende Schäden als andere Verbrechen." (...)


ich empfehle sehr, den ganzen text ausgiebig zu studieren, und bringe noch ein langes zitat, welches die dinge auf ihren monströsen punkt bringt:

(...) "Man wird sich vielleicht fragen, warum ich bei einem Kongress über organisierte Kriminalität so ausführlich über makropolitische und makroökonomische Phänomene spreche. Ich bin der Meinung, dass Anwälte und Kriminologen es sich heutzutage nicht mehr leisten können, so naiv zu sein. Denn es ist tatsächlich naiv zu glauben, man könne die internationale Kriminalität mit den gängigen Sicherheitsmaßnahmen bekämpfen, wenn man diese nur international ausweite.

Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die international organisierte Kriminalität nicht damit in den Griff zu bekommen ist, wenn hin und wieder einzelne Täter gefasst und einige illegale Waren und Güter sichergestellt werden. Trotz aller Bemühungen sind die Fahndungserfolge doch verschwindend gering im Hinblick auf das Ausmaß der globalen kriminellen Aktivität. Wir versuchen, das Meer mit einem Teelöffel auszuschöpfen.

Betrachtet man den Zusammenhang zwischen dem exponentiellen Wachstum der internationalen Kriminalität und dem internationalen Restrukturierungsprozess der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, dann versteht man, dass die organisierte Kriminalität nicht nur ein Problem der Jurisprudenz darstellt, sondern auch eines der globalen Politik; es muss auf der makroökonomischen und auch auf der makropolitischen Ebene angegangen werden.

Kurz gesagt, der Kampf gegen das internationale organisierte Verbrechen ist nicht nur ein Kampf gegen eine kleine Gruppe von zwielichtigen Unterweltgestalten, sondern vor allem auch ein Kampf gegen zahlreiche unsichtbare Feinde von Demokratie und Gesetz, die über die verschiedenen Länder verteilt sind. Sie agieren nicht nur in den schwachen Demokratien Osteuropas oder in den neuen Wirtschaftsmächten; man findet sie auch inmitten der etablierten westlichen Demokratien, wo sie in den Führungspositionen der Wirtschaft sitzen - in den Büros der Hochfinanz und der Großkonzerne. Sie sind daran interessiert, die staatliche Macht immer mehr zu reduzieren, und sabotieren die Anstrengungen, die Politik und Rechtsstaatlichkeit auf globaler Ebene zu stärken.

Der Machtverlust der Politik gegenüber der Wirtschaft, der unkontrollierte Machtzuwachs der privaten Akteure gegenüber der Machteinbuße des Staates, die Gefahr einer versteckten Abhängigkeit des Staates von den Anforderungen des Marktes und seiner Akteure - das sind die Faktoren, denen das organisierte Verbrechen seine wachsende Macht verdankt. Achtet man darauf, wo die Interessen der kriminellen Wirtschaft und die von durch keinerlei Gesetze eingeschränkten Topmanagern zusammenlaufen, dann versteht man, warum eine Gesetzgebung gegen Geldwäscherei scheitern muss - trotz aller Bemühungen der UN und der EU.

Die beschriebene Zersetzung der politischen Macht trägt dazu bei, dass kriminelle Aristokratien eine strukturelle Komponente des neuen globalen Kapitalismus darstellen, an der Neubildung von Staaten beteiligt sind und die Struktur von schwachen Staaten infiltrieren. Internationale Anwälte nennen das "Staatsmafia", um zu beschreiben, wie eine kriminelle Elite langsam ganze Staaten unter ihre Kontrolle bringt. Das Phänomen ist zu beobachten in einigen ehemaligen Staaten der Sowjetunion, in Ex-Jugoslawien, auf dem afrikanischen Kontinent und in Südamerika." (...)


ich bin alleine an dem punkt anderer meinung, wo "demokratie und rechtsstaat" als quasi natürliche widersacher der ok hingestellt werden - die existenz von demokratiesimulationen, wie sie zb. nicht nur hier existieren, zeigt bereits an, wie weit die antisoziale front inzwischen vorgedrungen ist - und sie sind keinesfalls dumm, sondern besitzen strategische und instrumentelle intelligenz, die ihnen ganz nüchtern sagt, dass die form einer pseudo-demokratie immer noch am wirkungsvollsten ist, wenn es darum geht, ihren begriff von "freiheit" - die fiktive freiheit eines tumors, eines virus, eines killers - mit allerlei tricks und manipulationen vielfältig beschädigten menschen als erstrebenswertes ziel einzureden.

ohne weiteren kommentar dann noch
dieses:

"Die 1993 vom damaligen Medienunternehmer und nunmehrigen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconis gegründete Mitte-Rechts-Partei Forza Italia ist laut den Aussagen eines Zeugen in einem Mafia-Prozess in Palermo mit der Zustimmung der Cosa Nostra auf Sizilien entstanden. (...)

Erpresst von der Cosa Nostra, habe der italienische Staat jahrelang über einen "Waffenstillstand" mit der Mafia verhandelt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen sei die neue Berlusconi-Partei gewesen, die sich angeblich verpflichtet habe, die langjährige Nummer Eins der Mafia, Bernardo Provenzano, nicht zu verhaften und die Haftbedingungen für Mafiosi zu lockern, berichtete Ciancimino." (...)


glaubt diesbezgl. irgendjemand noch an qualitative unterschiede zwischen den staaten? ich nicht. es wird höchste zeit, sich absolut deutlich zu machen, mit wem wir es hier zu tun haben, was u.a. auch bedeutet, sich von einigen liebgewonnenen, aber gerade deshalb lebensgefährlichen illusionen über "demokratische politische prozesse und praktiken" zu verabschieden.

w. zeigt die richtung an: ein urteil des formal "höchsten" gerichts der brd wird einfach nicht akzeptiert. tun wir´s ihm hinsichtlich der anonymen institutionen, kalten mechanismen und tödlichen praktiken in unseren gesellschaften gleich - und hören auf, sie zu akzeptieren.

Montag, 28. Dezember 2009

kontext 60: impressionen aus der morgenwelt (gewidmet john brunner, 1934 - 1995)

"Ja, aber was hat´s denn heutzutage noch für´n Zweck, sich über Politik zu unterhalten ? Es gibt keine Politik mehr. Es existiert nur noch die Wahl zwischen verschiedenartigen Möglichkeiten des Zusammenklappens durch den Zwang der äusseren Umstände. Schauen Sie sich die Europäische Union an, schauen Sie nach Rußland, nach China, nach Afrika. Überall verläuft´s nach dem gleichen schietigen Muster, nur ist es mancherorts weiter als woanders."

(fragment aus einem partygespräch 2010, "morgenwelt", s. 316; heyne; münchen; neuausgabe 2000; isbn 3-453-16182-3)



*

die jetzigen tage zwischen den jahren standen früher mehr als heute in dem ruf, eine besondere atmosphäre mit sich zu bringen - das alte jahr faktisch beendet, das neue noch nicht begonnen, stehen sie für eine art zeitlicher entschleunigung, die ich bis heute immer wieder versuche, bewusst wahrzunehmen und auch zu genießen. zeit für rück- wie vorausblicke, möchte ich beides heute am beispiel eines der wichtigsten - und meiner meinung nach unterschätztesten - bücher der science fiction verbinden.



beschilderung eines testbezirks mit kuenstlicher dna in bremen / foto: privat


die idee für diesen beitrag kam bei mir irgendwann nach dem wiederholten anblick eines der nebenstehenden hinweisschilder - derart sind hier im viertel alle eingänge in einen testbezirk markiert, in dem ein
pilotprojekt zur diebstahlsicherung läuft - das mag zwar für den einen oder die andere im ersten moment ganz "vernünftig" klingen, wird aber meiner meinung nach im ergebnis einen ähnlichen effekt haben wie die verdrängung der offenen drogenszenen in vielen städten - gerade in zeiten zunehmender psychosozialer und ökonomischer verelendung wird sich die alltagskriminalität neue orte und opfer suchen, und zwar da, wo weder willen noch möglichkeiten noch die ressourcen vorhanden sind (alle gründe können für sich oder auch wahlweise untereinander gekoppelt stehen), derartige präventionsprojekte umzusetzen. im grunde lässt sich das als sehr abgespeckte version der idee ansehen, die auch hinter der existenz von gated communities steckt.

ich muss jedenfalls oft genug beim erwähnten anblick denken: "das ist wie - nein, das ist die morgenwelt". und ich vermute stark, dass john brunner beim anblick solcher schilder wissend mit dem kopf genickt hätte.

*

aber nicht nur bei solcher beschilderung - würde brunner heute noch leben, so fühlte er sich womöglich versucht, im angesicht der heutigen welt eine morgenwelt zwei, angesiedelt um 2050, zu konstruieren. denn bereits seine erste version darf eine verblüffende quote an zutreffenden und extrapolierten dargestellten trends für sich buchen, so dass er vielleicht der herausforderung nicht widerstehen könnte, sich nochmals als orakel zu betätigen.

brunner (zur
biographie) hat sich dabei mit "stand on zanzibar" (der originaltitel) an ein projekt gewagt, welches in der science fiction-literatur oft genug schwer in die hose gegangen ist: die beschäftigung mit möglichen zukünften nicht einer imaginierten, sondern der realen welt, und zwar sowohl in technologischer, aber vor allem in sozialer hinsicht. deswegen darf das buch auch als kreuzung zwischen science und social fiction verstanden werden, und dabei ist die möglichkeit, sich ziemlich zu blamieren, noch grösser als bei der beschränkung auf eine variante.

cover von morgenwelt

1968 erstveröffentlicht - nebenstehend ist das cover der deutschen neuausgabe von 2000 zu sehen, aus der hier auch zitiert wird -, lässt morgenwelt indirekt auch interessante einblicke in die intellektuelle atmosphäre der mittleren 1960er jahre zu - was damals diskutiert wurde und thematisch bewegt hat. im buch sind an verschiedenen stellen wie in einer rückschau damals aktuelle zeitungsberichte bspw. zu amoktaten, fortschritten in raumfahrt und genetik etc. eingeflochten, die durchaus schlüsse darauf zulassen, wie brunner bei seiner arbeit beeinflusst wurde.

nach "1984" von orwell ist morgenwelt ein weiteres wichtiges werk der sci fi, welches anhand des eintreffens des realen jahres, in dem seine handlung spielt, ganz konkret nach realitätsgehalt befragt werden kann. ein weiteres, welches im nächsten jahr fällig ist - "2010. das jahr, in dem wir kontakt aufnehmen", der "2001"-nachfolger von arthur c. clarke - , hat sich schon vor langer zeit als technische phantasie, nichtsdestotrotz lesenswert, herausgestellt. bezgl. "1984" kann ich mich zumindest im rückblick an das reale jahr an zwei persönliche erkenntnisse erinnern: erstens hat orwell in gewisser hinsicht bei seiner dystopie recht behalten, nämlich dahingehend, dass die tendenzen einer allumfassenden totalitären technischen kontrolle schon in den 1980ern selbst - und erst recht heute - tatsächlich eine handfeste bedrohung geworden sind. zweitens aber hat er falsch gelegen in seiner skizze der imaginären, "klassisch" totalitären gesellschaft - stalinismus und nationalsozialismus waren schon damals historische auslaufmodelle, in ihrer struktur als herrschaftsmodelle viel zu starr und daher instabil konzipiert. welche art von herrschaft sich wie in einem selektionsverfahren als "erfolgreich" durchgesetzt hat, erleben wir heute, bzw. Sie und ich versuchen darin zu leben.

jedenfalls möchte ich jetzt nicht eine weitere rezension oder auch nur darstellung des inhalts der morgenwelt versuchen - dergleichen gibt es zb.
hier oder hier zu lesen - , sondern will einmal ein gedankenspiel umsetzen, welches, wie ich vermute, alle leserInnen von sci fi schon gespielt haben, weil´s sich einfach aufdrängt: den abgleich der visionen und prophezeiungen mit der aktuellen realität.

*

eine darstellung des inhalts ist bei diesem buch schon deswegen eine herausforderung, weil es genau genommen einen inhalt nicht gibt, bzw. noch genauer: dieser auf viele verschiedene inhalte verteilt ist. brunner hat für sein projekt techniken der sprachlichen verfremdung bzw. des einsatzes ganzer neuer wörter ebenso genutzt wie die anwendung von konsequenter montage aus diversesten fragmenten - werbeeinblendungen, handlungsorte in realen und fiktiven ländern, partygespräche, fiktive fernsehsendungen, auszüge aus realer und imaginärer fachliteratur, dialoge und handlungstränge mit haupt- und nebenpersonen, die teils mitten im buch beginnen und auch mitten drin wieder enden oder aber offen bleiben (nebenbei bemerkt: auch die art der einteilung der rubriken im blog hier ist als kleine hommage an brunner zu verstehen).
ebenfalls hat er sich in figur des desillusionierten soziologen chad mulligan deutlich erkennbar ein alter ego geschaffen, dem es vorbehalten bleibt, grundsätzliche gesellschaftliche tendenzen der morgenwelt in meist zynischer art & weise zu kommentieren (einer der fiktiven bestseller von mulligan trägt den schönen titel "Sie sind ein ahnungsloser Idiot")

diese anfangs neue leserInnen schlicht verwirrende vielfalt von eindrücken dürfte zu einem teil für den effekt verantwortlich sein, den ich schon mehrmals miterlebt habe - leute kommen "nicht rein" ins buch, finden keinen zugang. der andere teil liegt in der exzentrischen sprache der brunnerschen gesellschaft des jahres 2010 - betrachten wir uns nur einmal dieses beliebige zitat:

"Quasseln hier von Startphase heißt doch bloß irgendein Schwabbelarsch von Bonzecke hat nicht alle auf dem Ladestreifen Salmanassar-Punzenfasser wieso im Arsch soviel Zeit verplempert um die ganze Strecke nach New York zu reisen besseres Wetter sogar ohne Kuppel worunter man sich fast den Sack abfriert bessere Klunten mit weniger Lumpen und besserer Pot verschönert den Schamott heute schon acht und hier ist noch nicht eins pappi-mammi und keine anständige Nudel zu haben in sämtlichen Nudelmühlen."

(morgenwelt, s. 45)


na, ich wette, Sie haben jetzt wirklich nichts verstanden - aber keine sorge, dieses sprachliche konzentrat ist durchaus nicht repräsentativ für den rest des buches, enthält aber viele relevante begriffe, die sich jedoch nach und nach von selbst erklären. gleichfalls ist die beleidigte - und beleidigende - attitüde vieler bewohnerInnen der fiktiven usa 2010 perfekt getroffen. und nein, es ist durchaus keine sympathische welt, in die man jubelnd hereinspringen wollte.

*

was vielleicht die älteren unter uns noch verstanden haben werden, ist der ausdruck "pot" für marihuana (als nudel wird ein industriell gefertigter joint aus genetisch hochgetuntem gras und high-tech-filter incl. rauchkühlung bezeichnet). und da sind wir schon mittendrin im realitätsabgleich:

"Ich finde diese Zigaretten scheußlich. Davon wird mir die Kehle rauh. Und in meinen Eingeweiden brennt und rumort es. Haben die Menschen früher davon tatsächlich zwanzig Stück geraucht ?"

(morgenwelt, s. 322)


yo, allgemeines rauchverbot - die aussage oben stammt ebenfalls von der eingangs erwähnten party, die als motto das "20. jahrhundert" hat, und entsprechend ausstaffiert ist - incl. echtem tabak als dekadenter kitzel für dekadente leute. hingegen ist cannabis in allen variationen gesellschaftsfähig und wird so beiläufig benutzt wie alkohol, und ebenso vermarktet. beim umgang mit tabak hat brunner also voll ins schwarze getroffen, während die legalisierung von cannabis durchaus als wunsch seiner zeit - die beginnende hippiekultur - zu erkennen ist und heute absehbar zwar nicht unmöglich, aber doch nicht in nächster nähe greifbar ist (wäre ja schliesslich auch ein vernünftiges projekt, wo kämen wir da hin ?!?)

ebenfalls von seiner zeit beeinflusst dürfte brunners vision des umgangs mit sonstigen psychoaktiven substanzen gewesen sein - so werden verschiedenste, industriell hergestellte drogen mit namen wie "triptin" oder "jaginol" vertrieben und recht gezielt zur beeinflussung der eigenen mentalen zustände genutzt - aber es handelt sich dabei durch die bank um relativ starke psychedelika, vergleichbar in etwa der klasse, in der psilocybin und lsd rangieren. trotzdem hat brunner eine gesellschaftskonforme nutzung dieser substanzen skizziert, die nicht von ungefähr aspekte der heutigen diskussion rund um das sog.
neuro-enhancement vorwegnimmt.

*

mitten im kalten krieg entstanden, weist die morgenwelt in ihrer global-geopolitischen ansicht interessante dinge auf: so existiert zwar der ostblock noch, spielt aber faktisch - bis auf ein paar nebensätze - keinerlei rolle mehr - als ob er schon nicht mehr da wäre. hingegen sind die hauptkonflikte im pazifik - usa vs. china - sowie überhaupt in asien und afrika (rohstoffe!) angesiedelt, was uns heutigen leserInnen durchaus vertraut vorkommt. die sich durch das ganze buch ziehenden grossen gesellschaftlichen konflikte der erde 2010 sind ebenfalls deutlich - und aus heutiger sicht vielleicht zu sehr - von den 60er jahren dominiert: einmal wäre da die "bevölkerungsexplosion", kombiniert mit in der gesamten westlichen und großen teilen der restlichen welt verbreiteten maßnahmen zur bevölkerungskontrolle und, wichtiger noch, genetischen optimierung mittels starker staatlicher kontrolle über alle schwangerschaften und geburten (incl. entsprechender repressiver bürokratie und globalem schwarzmarkt für kinderhandel, adoptionen und gebärmütter).

es wird also staatlicherseits massiv eugenik praktiziert, und brunner könnte sich als historisches vorbild dafür vielleicht die entsprechende praxis in ländern wie
schweden oder den usa, aber auch die tödliche "rassenhygiene" des ns, ausgewählt haben. in jüngster vergangenheit zielen quasi-eugenische massnahmen in einigen ländern ärgerlicherweise auf die pränatale prävention gegen - vom staat so definierte, also im sinne der jeweiligen strafgesetze - antisoziale persönlichkeiten. warum ich gerade solche absichten ärgerlich finde, habe ich hier versucht, zu begründen.

zum anderen ist global die herkömmliche mobilität durch das auto quasi ausgestorben, und das wird im buch implizit durch rohstoffmangel begründet, und dazu werden ein paar unerfreuliche szenarien der städte mit ehemals dominanter autoindustrie wie bspw. detroit gezeichnet - auch hier darf brunner eine prophetische sicht bescheinigt werden, siehe bspw. die letzten krisennews.

*

stichwort auto: wie sieht ein elektrifizierter streifenwagen in der morgenwelt aus ? wir begeben uns kurz in einen strassenkrawall...

"BRENNPUNKT: das Schupomobil. Ein weiß gespritztes, trapezförmiges Fahrzeug, vier Meter lang und zwei Meter breit, die Räder darunter ausser Sicht, um sie vor Beschuß zu schützen, verteilt um den flachen Schubbehälter mit den Batterien, die es antreiben, die vordere Kabine für vier Beamte mit Panzerglasscheiben (...)

Am Bug zwei grellweiße Scheinwerfer mit einem Leuchtbereich von 150°, einer davon aber erloschen, weil der Fahrer zu lange gezögert hatte, die Gitterhauben überzustülpen; an den Ecken des Dachs weitere verstellbare Leuchten; auf dem Dach ein kleiner Drehturm mit einer Gaskanone, woraus man mit einer Reichweite von sechzig Metern brüchige gläserne Gasgranaten verschießen kann; unter den Seitenschürzen (...) Öldüsen, mit denen sich die Straße ringsum in ein mittelmäßiges Flammenmeer verwandeln lässt, um Angreifer fernzuhalten, während die Insassen die Frist bis zum Eintreffen der Verstärkung abwarten müssen und unterdessen durch Atemmasken aus einem Sauerstofftank atmen." (...)

(s. 229)


kennen Sie übrigens schon den neuen
"wasserwerfer 10000 COBRA", der bis zum jahr 2019 die bisherigen wasserwerfer der bundesdeutschen polizei ersetzen wird und dessen bisher bestellte 78 exemplare u.a. Sie durch Ihre steuern mitfinanzieren ?

*

wo wir gerade schon bei waffen sind:

taser bei der us-army





"Blitzbolzer gibt´s als Handwaffen, die pro Ladung zwölf bis fünfzehn Blitze verschießen, und in der Gewehrklasse, wo sie bis zu vierzig hergeben. Zu den Vorteilen gehört die Tatsache, daß ein Volltreffer irgendwo am Leib tödlich ist und ein Fast-Treffer es ebenso sein kann, wenn das Ziel sich zum Beispiel gerade an einem metallenen Geländer festhält" (...)

(s. 401/402)


blitzbolzer=
taser.

*

die zustände in der morgenwelt lösen bei einigen ihrer bewohnerInnen entsprechende reaktionen aus...

"Auftritte von Mokkern in der gewohnten Häufigkeit: Gestern brachte es einer in Ober-Brooklyn auf einundzwanzig Opfer, ehe die Abführmittel ihm eins bolzten, und ein anderer betätigt sich immer noch in Evanston, Illinois, mit bis jetzt insgesamt elf Toten und drei Verletzten. Überm Meer in London machte ein weiblicher Mokker vier Leute und außerdem das eigene drei Monate alte Kind kalt, ehe ein geistesgegenwärtiger Augenzeuge der Frau eins auf die Birne matschte. Meldungen aus Rangun, Lima und Auckland erhöhen die mokker-bedingten Tagesabgänge auf neunundsechzig."

(s. 26/27)


ich bin ja der meinung, dass wir die begriffe "mokker" und erst recht das mehrfach treffende "abführmittel" in die heutige sprachwelt übernehmen sollten - das meiste andere zum thema steht hier:
ausweitung der kampfzone.

*

welche der folgenden varianten ist nun die morgenwelt?
diese?

(...) "Die ersten Prototypen von "intelligenter Bekleidung" wird das IZM auf seinem Festakt am Dienstag (3. Juni ) präsentieren, darunter auch einen Arbeits-Dress für Fahrrad-Kuriere. "Darin ist nicht nur ein Navigationssystem enthalten", erklärt Prof. Reichl, "sondern auch eine Nierenheizung und ein automatisches Sicherheitssystem, das über einen Transponder in der Kleidung den Besitzer des Rades erkennt und das Schloß öffnet". Die Energie für die IT-Systeme liefert der Fahrrad-Dynamo. Auch an die Journalisten haben die IZM-Entwickler gedacht. Ein Modell ihrer IT-Kollektion heißt "Rasender Reporter", bei dem Diktiergerät, Kamera und andere Ausrüstungsgegenstände in die Kleidung integriert und über ein zentrales Modul mit Display zu bedienen ist."

oder diese?

"Unmittelbar vor ihm blieben zwei Mädchen stehen, um ins Schaufenster eines Ladengeschäfts zu starren. Beide waren nach dem aktuellsten Stand der Mode gekleidet, eines in ein Radio-Kleidlett, dessen Außenmuster aus einem Druckschaltkreis bestand und an dem es durch Verschieben des Gürtelkoppels nach rechts oder links die Einstellung der Sender vornehmen konnte, die es durch den unterm purpurroten Haar verborgenen Ohrhörer empfing, das andere in ein Hauteng-Gewebe im harschen Metallglanz, den man sonst an Gehäusen wissenschaftlicher Instrumente sah. Beide hatten verchromte Fingernägel, die aussahen wie die Netzstecken von Apparaturen.

Im Schaufenster des Ladengeschäfts hatten genetisch gestaltete Schoßtierchen die Aufmerksamkeit der zwei Mädchen erregt. Verfahrensweisen, die sich bei Viren und Bakterien bereits gut bewährten, waren am Keimzellenplasma dieser Tiere angewendet worden, doch auf dieser Arbeitsebene mit überaus häufigen Nebenwirkungen; jedes derartige Haustier, das ins Angebot gelangte, stand wahrscheinlich für fünfhundert andere seinesgleichen, die nie das Labor verlassen hatten. Dennoch und trotz aller Pracht seines purpurnen Fells wirkte das übergroße, tiefsinnige Buschbaby im Fenster ganz jämmerlich unglücklich, und der Wurf leuchtroter Chihuahua-Welpen darunter torkelte ohne Ausnahme ununterbrochen wie am Rande zu epileptischen Anfällen.

Was jedoch die beiden Mädchen ausschließlich interessierte, war die Tatsache, daß die Farbe des Buschbabys fast genau zum Haar jenes im Radio-Kleidlett paßte."

(s. 85/86)


übrigens, genetisch manipulierte und daraufhin in einem speziellen licht
grün fluoreszierend leuchtende kaninchen existieren als produkt von "transgenic art" schon seit dem jahr 2001 ( hier direkt zu sehen.)

*

was bleibt nach diesen beispielreigen noch zu sagen? vielleicht, dass john brunner neben philip k. dick zu den absoluten visionären der sci fi zu zählen ist, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre ausgefeilten konstrukte sich immer um reale trends drehen und daher verankert erscheinen - und deshalb auch heute noch mit erkenntnisgewinn zu lesen sind. das beide aber durchweg dystopien beschreiben, ist ein umstand, der uns mehr zu denken geben sollte als bisher. brunner hat übrigens im bekannteren schockwellenreiter ebenfalls prophetisch die herrschaft der organisierten kriminalität im "seriösen" gewand ebenfalls korrekt vorhergesehen; und aus diesem buch stammt auch ein zitat, welches zwar schon bei anderen beiträgen hier zu lesen war, nichtsdestotrotz aber ewige gültigkeit besitzt:

"Wenn es ein Phänomen wie das absolut Böse überhaupt gibt, dann besteht es darin, einen Menschen wie ein Ding zu behandeln."

in diesem sinne sind wir schon längst in der morgenwelt gelandet, und der bevorstehende grössere datumswechsel vollzieht diese tatsache nun nur noch lediglich formal nach. falls wir uns vorher nicht mehr lesen sollten: kommen Sie gut rein. ich fürchte aber, dass es für viele alles andere als ein gutes jahr werden wird.

Sonntag, 15. November 2009

kontext 59: das große gesellschaftsspiel - simulationen und fakes allerorten

"Wir leben doch nur noch mit Lügen und belügen uns in Wirklichkeit selbst - mit allen Konsequenzen!"

*

so der letzte satz eines
kommentars, der nicht nur im kontext des suizids von robert enke eine absolut treffende realitätsbeschreibung darstellt. ich musste die letzten tage immer mal wieder an jene "empfehlungen" denken, die ich hier vor langer zeit unter ihrem titel "als-ob-strategie - hochstapeln für anfänger und schüchterne" thematisiert hatte. nach allem, was inzwischen von enkes umgang mit seinem zustand bekannt ist, könnte ich den verdacht formulieren, dass er - recht "erfolgreich" - intuitiv eine abwandlung dieser strategie zur täuschung des größten teils seiner sozialen umwelt angewendet hat. und nein, das hat ihn sicherlich nicht zu einer als-ob-persönlichkeit im sinne des hier im blog vertretenen modells gemacht - eher kann seine geschichte für ein extremes, aber dennoch exemplarisches beispiel dafür stehen, wie wir alle unsere simulativen fähigkeiten aka als-ob-modus nutzen, um alltäglich über die runden zu kommen.

das ich hinsichtlich dieser fähigkeiten, genauer bezgl. ihrer anwendung innerhalb sozialer beziehungen, bekanntlich eher skeptisch bin, ist nichts neues. und die ereignisse der letzten woche bestärken mich in meiner skepsis.

*

existenziell bedrohlich können diese simulationen nicht nur für einzelne werden, sondern auch für ganze kollektive - wenn diese sich nämlich innerhalb von fortgeschrittenen und ebenso existenziell bedrohlichen
systemkrisen dafür entscheiden, sich lieber mit fakes und simulationen zu "vergnügen" statt mit der öden und bedrückenden realität. das verhalten von individuen unter solchen bedingungen stimmt dabei meiner meinung nach in solchen situationen mit demjenigen von kollektiven weitgehend überein: fluchtverhalten, schönreden, den-schein-wahren, die maske bis zum letzten verteidigen - wenn das nicht mehr funktioniert, kommt es dann meist zu einem plötzlichen, sehr rapiden zusammenbruch - die karthasis (oder aber der tod) - erscheint.

das bspw. die bundesdeutsche erwerbslosenstatistik mittels statistischer tricks auf einer offensichtlich für bestimmte leute "erträglichen" höhe gehalten wird, hat sich mittlerweile selbst in eher desinteressierteren gruppen herumgesprochen. und das ist, gerade innerhalb der krise(n), kein einzelfall. zwei beispiele der letzten wochen dazu.

*

im als quellensammlung sehr empfehlenswerten blog
wirtschaftsfacts.de, welches ich bei dieser gelegenheit endlich mal vorstellen kann, erschien vergangenen montag ein beitrag, der unter dem titel "Schwachstelle in US-Datenpublizierung übertreibt Wachstum und Produktivität schlaglichtartig den hintergrund verschiedener "erfolgsmeldungen" über die angeblichen "erholungstendenzen" der us-ökonomie deutlich macht:

"Eine sich vergrößernde Lücke zwischen den publizierten Daten und der Realität verzerrt das Bild, welches sich die US-Regierung über den Gesundheitszustand des Landes macht, sowohl das Wachstum als auch die Produktivität in einer Weise überbewertend, welche die politische Debatte in Bezug auf den Handel, Löhne und Gehälter sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen beeinflussen könnte, wie cnbc.com berichtet. Die Unzulänglichkeit der publizierten Daten wurde am vergangenen Freitag und Samstag laut und deutlich kundgetan auf einem ersten Treffen seiner Art, an dem Ökonomen, Personen aus dem akademischen Spektrum und Mitglieder der Regierung teilnahmen, um ein genaueres statistisches Bild im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung zu entwerfen. Der fundamentale Grund für die Unzulänglichkeit der publizierten Daten basiert auf der Weise, wie Importe statistisch erfasst werden. (...)

Sich mit diesen Aspekten auseinandersetzend, stimmten nahezu alle 80 auf der Konferenz anwesenden Experten darin überein, dass die momentan publizierten Statistiken dazu tendieren, die ökonomische Stärke der Wirtschaft zu übertreiben. Diese Sichtweise wurde ebenfalls geteilt von den an der Konferenz teilnehmenden Personen des Amts für wirtschaftliche Analyse, dem Amt für Arbeitsmarktstatistik und der Federal Reserve, von denen alle Institutionen große Player in Bezug auf die Messung der wirtschaftlichen Aktivität sind. Das gesetzte Ziel unter den Konferenzteilnehmern basiert auf der Reparatur der publizierten Statistiken, allerdings wird dies mehrere Jahre und viel Geld (seitens des Kongresses) erfordern, um mehr Information darüber zu sammeln, was die Unternehmen tatsächlich machen." (...)


hier haben wir es also mit einen offensichtlichen fehler innerhalb der struktur basaler ökonomischer statistiken zu tun, der - und zwar von leuten, die einen großteil ihrer zeit mit nichts anderem als solchen statistiken, ihrer erstellung, bewertung etc. verbringen - angeblich erst jetzt "entdeckt" und verstanden wurde. und das zu einem zeitpunkt, an dem die realität in der usa - dazu können Sie bspw. verschiedenen krisennews hier nachlesen - jeglichem "aufschwungsgetöse" so derart hohnspricht, dass der widerspruch zwischen virtuellen (u.a. in form von zahlenreihen etc.) realitäten und authentischer wirklichkeit bei jenen, die diesen widerspruch direkt erleben müssen, salopp gesagt wie ein schlag in die fresse ankommen muss. wenn sich elitäre expertenklüngel also bereits genötigt sehen, ihre virtuellen realitätssimulationen faktisch zu widerrufen, sagt das einiges über die reale lage aus. und wenn wirtschaftsfacts als anmerkung schreibt: "Welchen Daten kann man also noch Glauben schenken?", so lässt sich zur antwort direkt der eingangs zitierte satz lesen.

*

insgesamt eine stufe bedrohlicher wird es meiner meinung dann, wenn es dann um fragen wie
peak oil geht, die global einschneidende konsequenzen nach sich ziehen werden (und die frage in der überschrift des verlinkten beitrags wird in gewisser hinsicht im folgenden auch beantwortet).

hatte die internationale energie-agentur iea noch
im sommer gewarnt, dass "die ölquellen im rekordtempo versiegen" würden - eine durchaus angemessene feststellung -, so klingt es in ihrem neuesten bericht auf einmal so:

(...) "Die IEA versichert jedenfalls, dass bis 2030 und darüber hinaus, die Ressourcen ausreichen würden, auch wenn es zu keinen weiteren Energieeinsparmaßnahmen oder dem Ausbau von Erneuerbaren Energien, der Atomenergie und der CCS-Technik kommt. Es hätte allerdings schwere Folgen für Umwelt, Klima und Wirtschaft, weil dann die Temperaturen um 6 Grad Celsius steigen würden. Von dem schon seit Jahren beschworenen Peak Oil (Ende des Ölförderwachstums) will die IEA also auch weiterhin nichts wissen."

haben sich nun plötzlich neue erkenntnisse aufgetan (zu den allseits gefeierten neuen ölfunden der letzten monate hatte ich zur damit betriebenen vernebelung schon geschrieben)? eine britische zeitung dürfte auf der richtigen spur sein:

"Angeblich resultiert der "Optimismus" der IEA, so berichtet der Guardian, aber nicht aus faktisch begründeten Erwartungen, sondern er soll sich dem Druck der USA Verdanken. Um Panik auf den Märkten zu verhindern, werde beispielsweise die Möglichkeit, neue Ölfelder zu finden, höher angesetzt, so dass auch in mittelfristiger Zukunft nicht mit Knappheit zu rechnen ist. Das habe ein hoher Angestellter der IEA der Zeitung berichtet, allerdings unter der Bedingung der Anonymität. Die Amerikaner würden auch das Ende der Vorherrschaft des Öls fürchten, weil sie damit auch ihre Macht, den Zugang zum Öl zu kontrollieren, schwinden würde. Das allerdings ist auch ohne Peak Oil der Fall, eher schon würde der Dollar noch stärker als Leitwährung gefährdet werden.

Während die IEA offiziell eine Fördermenge von 105 Millionen Barrel noch 2030 für möglich angibt, würden viele in der Behörde davon ausgehen, dass es höchsten 90 bis 95 sein werden. 2005 hatte die IEA 120 Millionen Barrel Fördermenge angegeben. Das sei Blödsinn, sagt der Whistleblower. Auch die jetzt angegebene Zahl sei nicht realistisch – und jeder wisse das in der IEA. Und ein weiterer Informant, der früher bei der IEA gearbeitet hat, soll dem Guardian bestätigt haben, dass es Devise gewesen sei, die USA nicht zu verärgern. Er meint, Peak Oil sei jetzt schon erreicht."


und was zu erwarten war, folgte auch prompt:

"Die IEA weist den Bericht des Guardian als "grundlos" zurück und betont, dass die Behörde unabhängig berichte: "Wir haben eine Menge Kritiker", sagte Birol dem Guardian. "Wir können nicht jeden glücklich machen."

den letzten satz darf man sich vor dem gesamten hintergrund auf der zunge zergehen lassen.

*

und wenn Sie demnächst mal wieder zu irgendeinem anlass jubelnde menschenmassen sehen, die sich vor freude über ihr leben in dieser "besten-aller-welten (TM)" schier nicht einkriegen und ihren elitären repräsentanten huldigen, dann denken Sie auch an
solche bizarren fakes, die nicht nur mich an die den vorbeiziehenden massen zuwinkenden starren greise des verblichenen "realen sozialismus" haben denken lassen...

Montag, 5. Oktober 2009

kontext 58: der antisoziale nachwuchs...

...macht dieser tage wieder vielfältig von sich reden:

"Spuren an der Jacke verrieten ihn: Ein 14-jähriger Förderschüler soll die neunjährige Kassandra brutal misshandelt und in einen Gully-Schacht gesteckt haben.(...)

Er wird verdächtigt, die Neunjährige brutal misshandelt und lebensgefährlich verletzt in einen Gully-Schacht geworfen zu haben. Ein Richter erließ am Samstag Haftbefehl wegen versuchten Mordes." (...)


ich habe gerade keine lust, die früheren beiträge zu anderen, ähnlich gearteteten "fällen" herauszusuchen, bei denen seitens polizei und/oder staatanwaltschaft fast wortwörtlich gleichlautende beobachtungen zu konstatieren waren:

(...) " Der 14-Jährige sei bereits am 15. September als Zeuge vernommen worden.

Damals habe er völlig gelassen und abgeklärt gewirkt und - wie die Ermittler inzwischen glauben - immer wieder "spontan gelogen". Der Leiter der Mordkommission, Wolfgang Siegmund, nannte das Verhalten und die Gefühllosigkeit des 14-Jährigen bei den Vernehmungen "in höchstem Maße beeindruckend".

Die Familienverhältnisse des Jugendlichen seien unauffällig. Sein Vater sei Geschäftsmann, seine Mutter Hausfrau. Er habe zwei Geschwister. (...)

Eltern hatten sich beschwert, dass der Jugendliche die kleineren Kinder ärgere und provoziere." (...)


die fatale kombination von stark ausgeprägten
simulativen fähigkeiten und der gesellschaftlich deutlich eingeforderten gefühls- und rücksichtslosigkeit - wobei beides bekanntlich derart zusammenhängt, dass erstere zur maskierung der letzteren fungieren, um einen allerletzten rest pseudosozialer tünche in der hinterhand zu behalten -drückt sich nicht nur in solchen taten und tätern aus - auch zum sog. "amok" von ansbach gibt es jetzt neuigkeiten aus seinen schriftlichen aufzeichnungen, welche die inkarnation der aktuellen gesellschaftlichen "werte" in die psychophysis gerade jüngerer leute eindrucksvoll belegen:

(...) " In seinem Tagebuch, in dem sich Briefe an eine fiktive Freundin namens »Summer« finden, schwärmt er vom »Töten im dreistelligen Bereich« und träumt von einem »Sturm auf die Schule«, der ihn als »Massenmörder« berühmt machen werde. Das Tagebuch beginnt am 26. April 2009, dem siebten Jahrestag des Massakers am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, das Georg R. sich zum Vorbild erkoren hatte.

Obwohl von den gut 80 Seiten umfassenden Aufzeichnungen, die der Gymnasiast hinterlassen hat, bislang nur Bruchstücke an die Öffentlichkeit gelangt sind, machen bereits diese deutlich, dass Georg R. weder ein Sonderling noch ein »Problemschüler« im üblichen Sinn gewesen ist, sondern weit besser als erfolgsorientierter Streber beschrieben werden kann, der sich seiner »sozialen Verantwortung« voll bewusst war: Als Ziel seiner Tat benennt er ausdrücklich, die Welt von »Unwürdigen säubern« zu wollen, zu denen er nicht nur seine Lehrer und Mitschüler, sondern alle »sozial Schwachen« rechnet. Sich nach seinem Gemetzel das Leben zu nehmen, lehnt er in vollem Einklang mit dem hierzulande üblichen Ehrenkodex als »Kapitulation« ab, stattdessen sei es seine Aufgabe als »überlegene Persönlichkeit«, möglichst viele der »Maden« auszutilgen, die sich heutzutage ohne jedes Recht an den Gymnasien tummelten. Obwohl er sich, im Gegensatz zu den Einschätzungen seines Umfelds, als »Außenseiter« fühlte, der bei »hübschen Mädchen« keine Chance habe, beschreibt er sich stolz als »klar denkenden Menschen«, der seiner Umgebung intellektuell überlegen sei.

Entsprechend monströs und minutiös scheint sein Planungseifer gewesen zu sein: Die Schule in Brand zu setzen, sollte nur der Anfang sein. Danach wollte er an strategisch günstigen Stellen auf Flüchtende warten, um sie mit den mitgebrachten Haushaltsutensilien der Reihe nach zu töten. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, er habe in seine Planungen ebenso viel Energie und Konzentration investiert wie ein konventioneller Streber in das exzellente Bestehen einer Klausur." (...)


ich stimme dabei einigen späteren schlußfolgerungen des artikels nicht zu: auch, wenn sich der täter ganz offensichtlich im vollen einklang mit einigen propagierten "grundwerten" der durchkapitalisierten gesellschaft befindet, so greift hier die klassische ideologiekritik meiner meinung nach eindeutig zu kurz. die ideologie ist etwas sekundäres, mit deren hilfe sich der täter seinen eigenen defekten wahrnehmungszustand in etwas "gesellschaftlich nützliches" umkonstruiert. die demonstrierte empathielosigkeit, die verachtung gegen alles "schwache" etc. sind bereits symptome einer pathologischen entwicklung, die zwar durch die entsprechenden ideologien in gewissem sinne gerechtfertigt wird, die ihre basis jedoch in den sozio- und psychookönomischen mikroverhältnissen besitzt, in denen solche leute aufwachsen und geprägt werden. und dazu gehört untrennbar die täter-opfer-dialektik.

nichtsdestotrotz müssen sich aber vor solchen hintergründen typen wie der unsägliche
sarrazin und seine gesinnungsgenossen berechtigt als geistige brandstifter bezeichnen lassen, die das tor weit für eine regelrechte eskalation antisozialer bis soziopathischer verhaltensweisen aufgestossen haben. wer solchen leuten zustimmt, stimmt deshalb auch immer letztlich seiner / ihrer eigenen zukünftigen opferung zu - die hoffnung, sich u.a. durch opportunismus aus der zielgruppe der loser entfernen zu können, wird in die irre führen.

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Danfu - 2. Sep, 21:15

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