Mittwoch, 18. April 2007

notiz: eine spezielle frage zum amokmassaker in den usa (update)

zum jüngsten amok(?)lauf in den usa möchte ich neben einem hinweis auf den beitrag ausweitung der kampfzone für den moment nur eine spezielle frage loswerden, die sich mir nach dieser -

(...)"In Chos Zimmer fanden Ermittler nach dem Amoklauf verschreibungspflichtige Medikamente gegen Depressionen. Dass der 23-Jährige krank war, ahnten die Menschen in seinem Umfeld allenfalls."(...)

und auch dieser information gestellt hat:

(...)"Aus Sorge vor einer Selbstmordgefährdung des Studenten hätten Beamte Cho Seung Hui damals in eine psychiatrische Klinik gebracht."(...)

im gegensatz zu den bekannten(!) informationen zu den im oben verlinkten blogbeitrag erwähnten beispielen von amok in den letzten jahren gibt es aktuell offensichtlich tatsächlich eine involviertheit psychiatrischer institutionen in die biographie des täters. und meine spezielle frage lautet nun:

was waren das für verschreibungspflichtige antidepressiva?

wenn es sich nämlich um sog. serotonin-wiederaufnahmehemmer gehandelt hat (heute bei schwereren depressionen durchaus verbreitet angewandte psychopharmaka), wäre es meiner meinung nach wichtig, sich genauer mit den folgenden fakten zu beschäftigen - ich zitiere aus einem telepolis-artikel vom januar 2005:

(...)"Das British Medical Journal berichtet. ihm sei im vergangenen Monat anonym vertrauliches Material zugespielt worden, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen der Patienten-Medikation mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SRRI, z. B. Prozac) und erhöhtem Hang zu Aggressionen, Gewalt und Suizid belege. Das Material wurde der US-Behörde für Arzneimittelsicherheit (FDA) zur Prüfung übergeben.

Bei den entsprechenden Dokumenten handele es sich anscheinend um interne Memos, Produktstudien und Bewertungspapiere des Pharmariesen Eli Lilly aus dem Jahr 1988, aus welchen klar hervorgeht, dass der Firma bekannt war, dass die Einnahme von Prozac zu einer signifikanten Zunahme von nervösen "Erregungszuständen" führen könne, was diese bisher stets bestritten hatte. Klinischen Tests zufolge sind bei 38% der damaligen Prozac-Probanden derartige Symptome aufgetreten."(...)


und speziell die folgende passage rumorte in meiner erinnerung, als ich vom jüngsten amokfall hörte:

"Pikanterweise waren eben diese Dokumente während des Wesbecker-Prozesses im Jahre 1994 verschwunden, wo sie als wichtige Beweismittel hatten dienen sollen. Der Journalist Joseph Wesbecker war 1989 mit einer 47er Magnum (kleiner fehler im tp beitrag, es war eine ak47, anmerkg. mo) Amok gelaufen und hatte dabei 8 Menschen erschossen und ein Dutzend verletzt. Eine lange Leidensgeschichte von Depressionen und Angstzuständen fand mit dem Suizid ein Ende. Einen Monat vorher hatte er auf Empfehlung seines Arztes begonnen Prozac zu nehmen.

Das Unternehmen wurde zwar mit 9 zu 3 Geschworenenstimmen freigesprochen; später kam jedoch ans Licht, dass die Firma die Kläger, Angehörige der Opfer, bereits vorher in einem geheimen Deal großzügig abgefunden hatte."(...)


wie gesagt: ich stelle hier eine frage, die mich beschäftigt - was waren das für antidepressiva? leider ist meine zeit für genauere recherchen im moment arg begrenzt, aber vielleicht haben andere die möglichkeit?

speziell zu "prozac" sei auch nochmal auf ein interview verwiesen - im beitrag etwas weiter unten suchen.

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ich habe gerade auch nicht die nötige ruhe, um der folgenden - mir fällt kein passendes attribut mehr dafür ein - geschichte mehr aufmerksamkeit zu widmen, möchte sie jedoch nicht untergehen lassen: Arbeitsloser in Wohnung verhungert ( mehr auch hier)

zu diesem geschehen fallen mir ebenfalls eine menge fragen ein, die ich in der nächsten zeit nochmal hier aufgreifen möchte.


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edit. am 20.04.: etliche fragen wirft auch die folgende meldung im zusammenhang mit dem massaker auf:

(...)"Angehörige von Cho in Südkorea erklärten, bei ihm sei in den Vereinigten Staaten Autismus diagnostiziert worden. Chos Großtante Kim Yang Soon sagte, der Junge habe schon als Kind wenig gesprochen und immer sehr kalt gewirkt. In den USA sei den Eltern dann gesagt worden, dass Cho an Autismus leide. Cho war mit seinen Eltern 1992 in die Vereinigten Staaten ausgewandert."(...)

während in diversen medien von "paranoider schizophrenie" die rede ist, oder wahlweise mal wieder eine narzisstische ps herangezogen wird, scheint mir das obige aus dem direkten umfeld des täters vorläufig ewas fundierter zu sein. die verschiedenen herumgeisternden diagnosen jedoch machen unabängig von ihrem traurigen anlaß auch mal wieder eines der hier schon öfter angesprochenen probleme der orthodoxen psychiatrie mit ihen eigenen modellen deutlich: es gibt im spannungsfeld zwischen solchen diagnostischen modellen wie der schizophrenie, persönlichkeitsstörungen und dem autistischen spektrum so derart viele überlappungen, dass es letztlich sowohl stark vom welt- und menschenbild der jeweils diagnostizierenden person als auch von ihrer jeweils bevorzugten theoretischen schule abhängig ist, was für ein modell jeweils für plausibel gehalten wird.

das grundproblem einer falschen anthropologie und der ständig präsenten fragmentierung als grundprinzip westlicher wissenschaft wird dabei i.d.r. nicht wahrgenommen. auch bei den diagnosen einer paranoiden schizophrenie bzw. einer nps lässt sich mit einem entsprechenden - und begründbaren - perspektivenwechsel jeweils eine art autistischer kern (als wahrnehmungsmodus) feststellen. wenn im jetzigen fall der täter allerdings tatsächlich "hochoffiziell" eine diagnose aus dem autistischen spektrum bekommen haben sollte, dann ist es meiner meinung nach sehr geboten, dass sich diejenigen mediziner, die diese diagnose gestellt haben, zumindest partiell outen und begründen, warum sie zu dieser diagnose gekommen sind.

Dienstag, 17. April 2007

notiz: an ihrer sprache sollt ihr sie erkennen!

(...)"Die Bekämpfung von antisozialem oder kriminellem Verhalten, schlechten Schulleistungen, Schuleschwänzen und Teenagerschwangerschaften setzte die Regierung deshalb ganz oben auf ihre Agenda. Als „Humaninvestitionskapital“ müssten alle Kinder für den Markt der Zukunft fit gemacht werden, erklärte Tony Blair in unzähligen Stellungnahmen. Und da eine in die Krise geratene Gesellschaft ihre traditionellen Bindekräfte verloren habe (z.B. Religion, Gewerkschaften) und unfähige und unwillige Eltern an ihren Erziehungsaufgaben oft scheiterten, müsse der Staat einspringen und alle Kinder quasi unter seine Obhut – Beobachtung und Kontrolle – nehmen und Fehlverhalten entschieden entgegentreten („tough action“ nennen sie ihre Strategie).

Die Kinder- und Jugendhilfe verwandelt sich seitdem Schritt für Schritt in ein System des Risikomanagements aller Kinder in Großbritannien. Denn die Einführung von zentralen Kinderdatenbanken zielt vor allem darauf ab, auf der Basis formal definierter Risikoindikatoren vorherzusagen, welche selbst ganz kleinen Kinder und Jugendlichen sich zukünftig möglicherweise antisozial oder kriminell verhalten werden."(...)


zur bekämpfung von antisozialem und kriminellem verhalten setzen sich die angehörigen der selbsterklärten "eliten" am besten selbst auf ihre eigenen fahndungslisten. wer die selbstgeschaffenen zustände nur noch mit immer mehr der genau zu diesen zuständen führenden gleichen logik bekämpfen will, wird unausweichlich scheitern. und dabei alles in einen strudel der destruktion ziehen.

hier gibt es nur noch eins: die totale aufkündigung jeglicher loyalität zu einem derartigen system. im ganz eigenen überlebensinteresse.

ps: "beobachtung und kontrolle" sind nicht umsonst zwei der zentralen aspekte, mit denen sich der objektivistische modus im menschen charakterisieren lässt.

Montag, 9. April 2007

notiz: isolationsfolter in den usa

"Wenn es diese Techniken waren, die Padilla wahnsinnig gemacht haben, heisst das, dass die Regierung der Vereinigten Staaten hunderte, möglicherweise tausende Gefangene auf der ganzen Welt bewusst in den Wahnsinn getrieben hat. Was in Florida zur Verurteilung steht, ist nicht der Geisteszustand eines Mannes..., es ist das System der psychologischen Folter der USA."

so naomi klein in einem bericht für den britischen guardian (in der übersetzung bei indymedia findet sich ein sachlicher fehler über die zellenmaße - dort wurden statt "feets" meter benutzt.)
das ganze kommt via subfrequenz, deren forum ich hier nochmals wärmstens empfehlen möchte.

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"...bewusst in den Wahnsinn getrieben hat" - ist möglicherweise eine ebene dieses terroristischen staatlichen vorgehens darin zu sehen, dass die verantwortlichen ihre eigenen psychophysischen zustände mit allen mitteln zur normalität werden lassen wollen? das ganze erinnert mich mal wieder daran, dass auch das thema "sensorische deprivation" hier einen eigenen beitrag braucht.

notiz: von dissoziierter öffentlicher wahrnehmung, der rebellion der langschläferInnen und guerilla gardening

immer wieder finden sich eindrucksvolle mediale beispiele für fragmentierte bzw. fragmentierende wahrnehmung, die sich auch als typischer ausdruck dissoziativer zustände begreifen lässt. und das betrifft jeweils mehr oder weniger sowohl die produzenten als auch die konsumenten von nachrichten wie den folgenden - beispiel eins:

(...)"NRW-Ministerpräsident Rüttgers will härter gegen kriminelle Kinder vorgehen. Wenn nichts mehr hilft, sollen auch unter 14-Jährige in geschlossenen Heimen landen.

"Gegen die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen müssen wir härter durchgreifen - nach der Maßgabe: null Toleranz", schrieb der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vize Jürgen Rüttgers in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag". Dies gelte auch für Wiederholungstäter, die noch nicht strafmündig seien.

"Wenn Weisungen und alle Erziehungshilfen nicht mehr wirken, ist als letztes Mittel eine Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen erforderlich", schrieb Rüttgers. Nach seinen Vorstellungen soll das auch bei Kindern unter 14 Jahren in ganz Deutschland möglich sein.(...)

Nach Plänen des Bundesjustizministeriums sollen jugendliche Schwerstkriminelle in Zukunft wie Erwachsene mit Hilfe der Sicherungsverwahrung lebenslänglich eingesperrt werden können. Bislang dürfen sie maximal zehn Jahre eingesperrt werden."(...)


populistisches gerede eines durchschnittlichen angehörigen der selbsterklärten "eliten", die sich - siehe dazu auch den letzten und viele andere beiträge hier - mit den destruktiven folgen ihrer selbstproduzierten und durchgeführten "politik" zunehmend nur noch mittels offen gewalttätiger (re-)aktionen auseinandersetzen können und wollen. was das für konsequenzen hat, ist heute durchaus bekannt, wird aber weitgehend nicht wahrgenommen - wir kommen - im gleichen medium - zum beispiel zwei:

(...)"Stress kann einem nicht nur auf Herz und Magen, sondern auch auf den Kopf schlagen. Der Konstanzer Psychologie-Professor Thomas Elbert erforscht, wie sich unter sozialem Druck das Gehirn verändert. Die erschreckende Erkenntnis: Stress lässt das Hirn schrumpfen.(...)

"In gewissen Hirnbereichen schrumpft die Struktur und die Verästelungen werden weniger", sagt Elbert, Mitglied einer Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema Stress.(...)

"Ein wenig Stress ist gut, dann verästeln und vernetzen sich die Gehirnzellen besser." Bei Dauerstress oder extremen, traumatischen Ereignissen aber schlägt dies ins Gegenteil um. Zum Beispiel bei einem Professor, der ständig hin und hergerissen wird. "Am Anfang wirkt er nur zerstreut, am Ende reagiert er aus individueller Angst heraus", beschreibt Elbert.(...)

Ist das Hirn unter beständigem Beschuss von Stresshormonen, verändert es sich. Jener Teil des Hirns, der für Gedächtnisleistung zuständig ist, nimmt ab. Besser vernetzt werden jene Bereiche, die Furcht und Angst erzeugen, etwa die Kerne der Amygdala, und den Körper so in Alarmstimmung halten.(...)


die beschränkung des artikels auf den bereich "stress im job" ist dabei genauso wenig zulässig wie die dargestellten erkenntnisse grundsätzlich neu sind - aus der psychotraumatologie ist derlei wissen bereits seit einigen jahren gesichert.

die psychophysische struktur des menschen ist auf prä-, peri- und eben auch postnatalen stress nur bis zu einer individuell unterschiedlichen grenze ausgelegt - alles, was an stressenden einflüssen darüber auf uns einwirkt, lässt bestimmte prozesse soweit aus dem gleichgewicht geraten, dass tiefgreifende schäden extrem wahrscheinlich werden.

was das nun mit dem ersten beispiel oben zu tun hat? die "zielgruppe" von maßnahmen wie dem ein- und wegsperren ist mit hoher wahrscheinlichkeit auch durch (sozialen) stress gleich welcher art - die möglichkeiten sind leider vielfältig - überhaupt erst zur zielgruppe geworden. und der populistische vorschlag zur "lösung" besteht nun darin, dass staatlicherseits auf das augenscheinlich eh schon untolerierbare stresslevel bei den betroffenen nochmal was draufgesetzt wird - denn die psychophysischen wirkungen sowohl des bloßen einsperrens als auch innerhalb der totalen (totalitären) institutionen, die diese aufgabe übernehmen, bestehen primär im erzeugen von massivem stress bei denjenigen, die diesen praktiken ausgesetzt werden sollen (für diverse belege dieser these schauen Sie in den index oder recherchieren Sie mit den keywörtern "knast" und "gefängnis" in der bloginternen suche).

fragmentierende wahrnehmung bedeutet also in diesem fall, dass gleichzeitig (gestern waren beide meldungen auf der startseite) mit repressiven und destruktiven "lösungsvorschlägen" für gesellschaftliche probleme wissenschaftliche entwicklungen beschrieben werden, die eben genau diese "lösungsvorschläge" von vorne bis hinten als letztlich problemverschärfend kenntlich machen - ohne das dieser widerspruch auch nur ansatzweise zu stören scheint. wenn er überhaupt wahrgenommen wird, und das scheint das hauptproblem zu sein.

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es freut mich immer wieder zu sehen, dass dieses blog hier nicht das einzige ist, welches seine leserInnen mit längeren texten traktiert ;-) - aber nicht nur deshalb gibt es nun einen lesetipp: wildwuchs zu themen wie intelligent design und transhumanismus und tatsächlichen wie vorgeblichen konflikten zwischen solchen strömungen.

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so ein feiertag wie heute bietet ja u.a. sowieso die gelegenheit, mal in ruhe zu lesen - und das gelesene auch auf sich wirken zu lassen. und Sie werden hoffentlich auch einigermaßen ausgeschlafen sein? dann sind Sie bestens vorbereitet auf das folgende:

(...)"Lasst die Tyrannei der A-Zeit enden", heißt es auf der Webseite der B-Gesellschaft. "Warum stehen wir immer noch mit dem ersten Hahnenschrei auf und wenn die erste Kuh das Muhen beginnt, wenn nur noch fünf Prozent der Menschen in der Landwirtschaft und der Fischerei arbeiten?", fragt Vereinsgründerin Camilla Kring ihre Mitbürger.

Die 29-jährige Dänin hat den Kampf gegen die Herrschaft der Frühaufsteher zu ihrer Mission gemacht. Sie arbeitet als "Work-Life-Balance-Beraterin" und gründete im Januar mit 66 anderen Langschläfern die B-Gesellschaft - eine Art Lobbygruppe für B-Menschen. Will sagen: für notorische Langschläfer.

Der Erfolg ist beachtlich. Mehr als 3000 der gerade mal fünf Millionen Dänen haben sich dem Club schon angeschlossen. Große Zeitungen setzen sich in Leitartikeln mit dem B-Phänomen auseinander. Familienministerin Carina Christensen erklärte ihre Sympathie: "Wir leben alle besser, wenn unser Dasein nicht dauernd von einem Wecker fremdbestimmt wird."(...)


ein erstaunlich sympathischer satz aus dem munde einer politikerin - aber ausnahmen bestätigen bekanntlich die regel.

warum ich diese entwicklung hochinteressant finde? lesen Sie zum thema nochmal die geschichte von herr fusi und dem grauen herrn, wo ich zum ende hin geschrieben hatte:

(...) ich finde es durchaus ein gutes zeichen, wenn sich ein bewußtsein und auch ein gefühl dafür entwickelt, dass dem zugriff des objektivistischen und verdinglichenden wahnsinns, der sich - seinen inneren gesetzen folgend - totalitär auf raum und zeit erstreckt, eben auch auf allen betroffenen ebenen stoppschilder entgegengesetzt werden. die eigene zeit wiederzufinden, ist dazu noch etwas, was als aufgabe von jedem und jeder von uns angegangen werden kann - die eigenen - authentischen - rhythmen zu leben, bspw. was den schlaf angeht, kann in den heutigen sozialen umständen durchaus explosive qualitäten entwickeln.(...)

solche entwicklungen wie in dänemark dürfen vielleicht vorsichtig als hoffnungsschimmer betrachtet werden.

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was ein sehr passendes stichwort auch für das letzte thema von heute darstellt: eine andere welt ist pflanzbar (via morgaine) stellt einen ansatz vor, den ich in vielfältiger hinsicht für spannend halte - stöbern Sie einfach ausführlich auf der seite herum und lassen Sie sich inspirieren.

Samstag, 7. April 2007

notiz: fragmente einer pathologischen realität - heute mit klimawandel, überwachungsstaat, selbstverletzung, paul watzlawick und dem konstruktivismus

momentan bin ich mit diversen zuständen im real life so beschäftigt, dass ich hier nur sporadisch vorbeischauen kann. und das wird noch mindestens bis anfang nächsten monats andauern. was zur folge hat, dass es hier in den nächsten wochen eher wenig bis keine neuen schwerpunktbeiträge zu lesen geben wird. falls Sie hier regelmäßig lesen und selbst ideen bzw. anmerkungen zu den themen hier haben, die für Sie einer breiteren diskussion wert sind, wäre das jetzt eine besonders passende gelegenheit, hier als (gast-)autorIn mitzuschreiben - die kontaktmöglichkeit ist hier zu finden.

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nun eine weitere folge der kleinen medienumschau - mir fallen mittlerweile kaum noch passende attribute für das ein, was sich gesellschaftlich derzeit alles so tut - jegliche übertreibungen werden inzwischen vom objektivistischen wüten der herrschenden funktionseliten und ihrem anhang in der bevölkerung spielend leicht übertroffen.

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gestern wurde der zweite teil des uno-reports zur globalen klimaerwärmung vorgestellt - heute sind fast alle medien voll von den aufgezeigten konsequenzen, deshalb hier nur ein hinweis auf eine zusammenfassung der wichtigsten trends.

neben den verheerenden daten ist das eigentlich interessante aber die reaktion verschiedener regierungen:

(...)"Um den Bericht der Forscher hatte es bis zuletzt großes Gerangel gegeben. Die kurze »Zusammenfassung«, die am Freitag vorgelegt wurde, wurde seit Beginn letzter Woche zwischen Wissenschaftlern und Regierungsdelegationen in Brüssel ausgehandelt. Verschiedene Staaten, darunter die USA, China und Russland, hatten bei Verhandlungen bis weit in die Nacht zum Freitag hinein den Text entschärft. Die US-Delegation sperrte sich zum Beispiel dagegen, dass für Nordamerika schwere wirtschaftliche Schäden durch den Klimawandel vorhergesagt werden sollten."(...)

offene leugung der aufziehenden realität also - aber damit dürften sich die derart handelnden (noch) übereinstimmung mit relevanten teilen der bevölkerung v.a. der westlichen staaten befinden, für die die materielle eindringlichkeit von sich massiv verändernden lebensumständen das ende von allem bedeuten wird, was sie selbst sich als sinnstiftend zu betrachten angewöhnt hat: negativer und konkretistischer materialismus, verschwendung, ungebremster konsum (regelmäßig als "genuß" fehlwahrgenommen) und die pathologische dingwelt mit all ihren von tag zu tag sichtbarer werdenden existenziellen individuellen und kollektiven schädigungen.

diese völlig in die destruktion gekippte lebensweise hat auch in früheren jahrzehnten opfer gefordert - jetzt wird diese tatsache nur in einer derartigen dimension sichtbar werden, dass all jene in einem pathologischen wahrnehmungsmodus befindlichen leute bald vor der alternative stehen, sich entweder der realität zu stellen - oder aber noch mehr als jetzt schon in ihre konstruierten und virtuellen scheinwelten abzutauchen, und sich der fiktion zu überlassen, noch über irgendetwas und irgendwen die "kontrolle zu besitzen".

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in anbetracht der inzwischen ebenfalls in die offene paranoia eintretende staatlichen überwachungsambitionen ist leider zu befürchten, dass ein relevanter teil der "eliten" nicht mehr bereit und/oder fähig dazu ist, auch nur das kleinste fitzelchen selbstkritik zuzulassen - eher wird in den gewohnten pathologischen mustern weiterexistiert, mit entsprechend pathologischen folgen für die gesamte soziale welt. alleine die nachrichten der letzten beiden wochen beschämen jeden science fiction - autoren:

Mit Stimmanalyse gegen Sozialbetrüger; Vorsorgeuntersuchung - Strichcodes für Neugeborene; die sprechenden Überwachungskameras habe ich vor einiger zeit schon mal erwähnt, ich weiß allerdings nicht mehr, ob auch schon die in den usa bereits testweise eingesetzten und in der eu ebenfalls geplanten kamerabestückten drohnen?

die wahrscheinliche kombination der beiden letztgenannten tools - vergessen Sie nicht, wo Sie leben: hier wird alles, was machbar erscheint, auch irgendwann gemacht; v.a. dann, wenn´s der "sicherheit" und dem profit dient - dürfte in naher zukunft zu einiger verwirrung in psychiatrischen praxen führen: "herr doktor, ich höre stimmen in der luft..."

schluß mit lustig. die obigen entwicklungen genauer betrachtet, fällt zunächst die jeweilige argumentation ins auge, die sie angeblich "unverzichtbar" machen: gegen "sozialbetrug" (das aus dem mund von leuten, die eine wie entfesselt explizit antisoziale politik betreiben); für den "kinderschutz" (ein ebenfalls perfides argument, da die erwähnte antisoziale politik hauptverantwortlich für die weitere produktion von schweren schäden der beziehungsfähigkeiten ist, die wiederum für kinder in ihrer entwicklung eine hauptbedrohung darstellen); bis hin zum bereits wahnhafte züge annehmenden "kampf gegen den (islamistischen) terror" (der ja bekanntlich und mindestens so viele opfer fordert wie tabak, alkohol und die bei uns üblichen verkehrsverhältnisse zusammen. oder?)

dieser "kampf gegen den terror" führt inzwischen zu interessanten bündnissen:

(...)"Am heutigen Mittwoch trifft sich der amtierende Ratsvorsitzende der EU-Innenminister in Berlin mit dem US-Minister für Homeland Security, Michael Chertoff, Russlands Präsidentenberater Viktor Iwanow und dem russischen Innenminister Raschid Nurgalijew sowie EU-Justizkommissar Franco Frattini. Schwerpunkt der Beratungen sollen zuvorderst gemeinsame Interessen im Bereich der Terrorismusbekämpfung sein. Aber auch der Grenzschutz und der Kampf gegen die Drogenproblematik in Afghanistan als Beitrag zur Stabilisierung des Landes werden besprochen."(...)

im zugehörigen forum habe ich diese saubere gesellschaft so kommentiert:

- schäuble? ohne worte.
- chertoff? dessen behörde ist markantester ausdruck der prä-faschistischen entwicklungen in den usa.
- iwanow und nurgalijew? repräsentanten eines zunehmend autoritärer werdenden staates mit mafiösen strukturen.
- frattini? repräsentant einer "union", die sich nach außen hin inzwischen grenzen aufbaut, die die ehemaligen ddr-regierenden vor neid erblassen lassen würden - geschätzte 6000 tote (offizielle spanische zahl) alleine im letzten jahr an der eu-südgrenze. und die nach innen zunehmend alle masken fallen lässt, die ihre primäre aufgabe als schutzinstitution für den extremistischen kapitalismus in den letzten jahren noch verschleiert haben mögen.

solche treffen sind im prinzip nicht anders zu sehen als die zusammenkünfte der jeweils regional agierenden örtlichen mafiagrößen. nur sind die letzteren eine unliebsame konkurrenz und deshalb "illegal" - noch.


dem möchte ich vorläufig nur noch einen aspekt anfügen: ein user bei heise hat das in einem kommentar anläßlich einer der nicht abreißenden meldungen zu neuen forderungen von innenpolitikern so ausgedrückt:

"Vielleicht sollte man sich lieber über Psychotherapien unterhalten - Herr Schäuble niedergeschossen von einem begriffslosen Attentäter, Herr Schünemann traumatisiert von einem Familienangehörigen.

Die Leute haben persönliche Probleme, die sie auf aktuelle Tagespolitik projizieren. Krankhaftes Verhalten, meiner Meinung nach."


das dürfte nicht allzuweit von der realen lage entfernt sein - wobei ich bei schäuble, der mittlerweile neben vielen anderen "maßnahmen" auch danach trachtet, eine zentrale fingerabdruckdatei faktisch der gesamten bevölkerung der brd zu schaffen (es ist lediglich eine frage der zeit, wann nach dem reisepass auch der banale personalausweis die fingerabdrücke enthalten wird) -

"Die Union will künftig die Fingerabdrücke nicht nur im Chip des biometrischen Reisepasses speichern. Die Daten sollen vielmehr zusätzlich bei den Meldeämtern hinterlegt werden."

schon früher spekuliert hatte:

(...) sind hier nicht so langsam alle relationen verrutscht? ist ein herr schäuble eigentlich mal nach dem attentat auf ihn hinsichtlich in diesem speziellen fall sehr nachvollziehbarer paranoider symptome untersucht worden? (...)

wobei ich das modifizieren möchte: wenn Sie sich einmal die biographie dieses mannes betrachten, werden Sie zwar feststellen, dass der vermutlich größte teil seiner reaktionär-repressiven ansichten tatsächlich für die zeit nach dem attentat auf ihn verzeichnet wird. das sollte jedoch nicht den blick dafür trüben, dass er schon lange vorher bestimmte eigenschaften aufgewiesen haben muss, die für den aufstieg in den heutigen elitären hierarchien unverzichtbar erscheinen. diese tendenziell antisozialen eigenschaften können durchaus mittels einem klassischen trauma nochmals verschärft und in eine enger werdende - paranoide - tunnelrealität gelenkt worden sein.

ursächlich verantwortlich für die derzeit wie tägliche hagelschläge niedergehenden rufe nach mehr "sicherheit" aka überwachung von faktisch allem und jedem halte ich ihn jedoch nicht - eher wird es, wenn die obige hypothese zutrifft, so sein, dass sich schäuble aufgrund seines psychophysischen zustand besonders gut als bündler von trends eignet, die sowieso in der luft der verfallenden und sich als reaktion darauf zu repressiv-totalitären apparaten verwandelnden westlichen staaten liegen. was sein handeln allerdings kein stück besser macht.

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einem hinweis von sansculotte (danke dafür) folgend, bin ich wiedermal auf ein interessantes studienergebnis gestoßen - thema selbstverletzendes verhalten (svv):

"Nach Angaben von Ärzten gibt es «eine Welle des Ritzens unter den Jugendlichen». Mit «Ritzen» sei die häufigste Form der Selbstverletzung gemeint, bei der die Betroffenen sich selbst schneiden, erklärte Paul Plener, Arzt an der Ulmer Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, am Donnerstag. Wie aus ersten Ergebnissen einer Studie über das Problem hervorgeht, verletzen sich Mädchen häufiger absichtlich als Jungen.

In der Hauptschule gibt es demnach mehr junge Leute, die sich selbst Schmerzen zufügen als in den anderen Schultypen. Ein Unterschied zwischen Stadt und Land ließ sich nicht ausmachen.

«Die meisten fügen sich Schmerz oder Verletzungen zu, indem sie sich schneiden, kratzen oder schlagen», erklärte Plener, der die Studie leitet. «Die meisten beginnen mit dem selbstverletzenden Verhalten im Alter von 13 oder 14 Jahren.» Ein Viertel der Jugendlichen, die sich an der neuen Studie beteiligten, gab an, sich zumindest schon einmal absichtlich verletzt zu haben. Etwa neun Prozent der Befragten tue dies immer wieder."(...)


mir erscheint es ziemlich wichtig, die individuelle und kollektive wahrnehmung dahingehend ein stückchen gesünder werden zu lassen, indem die uns allen geläufige fragmentierte bzw. dissoziierte wahrnehmungsweise in möglichst vielen bereichen überwunden wird - und das kann u.a. dadurch geschehen, dass die eigene intuition als wahrnehmungsweise geschärft wird. in diesem konkreten fall behaupte ich, dass die obige meldung mit denjenigen weiter oben nicht nur zusammenhängt, sondern sich sogar als sehr logische fortsetzung lesen lässt:

wenn eine verdinglichende wahrnehmung dazu führt, die permanent vorhandenen und vielfältigen beziehungen des menschlichen lebens zur belebten und unbelebten umwelt nicht mehr wahrnehmen zu können u.a. mit der folge, dass diese umwelt in all ihren aspekten als tot und ausbeutbar betrachtet wird (eine der wesentlichen ursachen für jegliche umweltschäden, auch den klimawandel);

wenn die gleiche wahrnehmungsart dazu führt, dass potenziell alle lebensäußerungen als erstmal verdächtig angesehen werden (kontrollwahn, hängt mit der grundsätzlich paranoiden komponente zusammen, die der verdinglichen und objektivierenden wahrnehmung im dominanten zustand zu eigen ist), und damit besonders lebendiges und spontanes, auch positiv-aggressives verhalten mit mißtrauen beäugt wird (zugelassen ist mehr und mehr nur noch die eventförmige simulation von lebendigkeit, an der sich etwas verdienen und mittels des inszenierten charakters auch kontrollieren lässt), werden die objektivistisch-verdinglichenden anteile der menschlichen struktur, die sich eh bei vielen durch die gewaltförmige tradition des umgangs mit kindern breits in einer schieflage befinden dürfte, nochmals derart verstärkt, dass in der folge eine selbstverdingliche wahrnehmungsweise derart dominant werden kann, dass sie manifeste symptome hervorbringt - oder anders: dass sie selbst nach außen in den für sie typischen formen wahrnehmbar wird.

ich fürchte, das genau dieser fall bei den weitaus meisten derjenigen, die svv praktizieren, gegeben ist. warum ich eine selbstverdinglichung als voraussetzung dafür für unabdingbar halte, lässt sich hier nachlesen.

in einem interview mit dem autor eines neuen buches zum thema svv und verwandtes äußert sich dieser zur frage der normalität so:

Volksstimme : Was sind die Beweggründe von Menschen, diese Torturen auszuhalten oder sogar an sich vorzunehmen ?

Kasten : Die Motive diese Menschen sind so vielfältig wie die Formen der Körpermodifi - kationen selbst. Einige möchten so ihre körperliche Attraktivität erhöhen oder sind auf der Suche nach Identität. Andere signalisieren mit ihrem Aussehen Protest gegen die Gesellschaft. Manchmal sind auch sexuelle Motive im Spiel, Sadomasochismus oder das Bedürfnis nach Grenzerfahrungen. Andere treibt starker Leidensdruck. Mancher bizarre Eingriff geschieht auch als Folge psychischer Erkrankung.

Volksstimme : Lassen sich die die beschriebenen Eingriffe am Körper in normale und krankhafte Praktiken einteilen ?

Kasten : Auch, wenn einige außergewöhnliche Phänomene Staunen hervorrufen, ist eine Unterscheidung in kranke und normale Körpermodifi kationen schwierig. Denn was Menschen als normal ansehen, ist dem ständigen Wandel unterworfen. Noch vor hundert Jahren waren auch Schönheitsoperationen unvorstellbar."(...)


eine ausweichende antwort, wie ich finde. ich kann mich aus den 70er jahren definitiv nicht an solche praktiken im nahen und auch erweiterten sozialen umfeld als jugendlicher erinnern (was nicht heißt, diese zeit zu glorifizieren - versteckte selbstschädigung zb. mittels alkohol gab´s damals genauso wie heute. aber die jeweils dahinterliegenden psychophysischen strukturen weisen für mich qualitative unterschiede auf).

natürlich ist normalität relativ und wandelbar, aber hier geht es zu einem großen teil um destruktive praktiken, die sich zwingend als ganz massive folge massiver wahrnehmungsstörungen interpretieren lassen - wenn derartiges inzwischen als "normalität" betrachtet wird, gewinnt die these von um sich greifenden und zumindest funktionell autistischen wahrnehmungsmodi weiter an gewicht.

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die dominanz von geistigen strömungen wie dem konstruktivismus halte ich dabei bekanntlich ebenfalls für einen ausdruck des eben im letzten satz geschriebenen. einer seiner bekanntesten vertreter im bereich der psychologie, paul watzlawick, ist nun vor einigen tagen verstorben. und im blog von che gibt es einen kleinen nachruf, dessen inhaltlichen tendenzen ich mich allerdings nicht anschließen kann - ich vermute eher, dass eine zukünftige betrachtung von watzlawicks arbeiten nicht besonders positiv ausfallen wird.

warum? weil er sich mit etlichen seiner grundaussagen in die reihe der großen de-realisierer stellt - zur kritik an konstruktivistischen ansätzen ist hier einiges an wichtigen grundlagen zu lesen, spezieller dann - u.a. zum ständig falsch begriffenen angeblichen paar subjektivität/objektivität und zum entscheidenden unterschied zwischen konstruktion als funktion und als seinsweise - im beitrag zum "neurolinguistischen programmieren", welches sich nicht zufällig eben auch auf watzlawick beruft - und auch gleichzeitig mit watzlawick auf die "philosophie des als-ob" von hans vaihinger. wobei watzlawick gleich auch eine sog. therapie des als-ob" proklamiert hat:

(...)"Wir können also im Anschluss an Nietzsche und Vaihinger (Philosophie des Als Ob) sagen, dass alle Selbstdeutungen lebenserhaltende und lebenssteigernde Fiktionen sind. In diesem Sinne ist auch der Satz zu verstehen "es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit zu haben". Der fiktionale Charakter des so genannten as-if frames im NLP ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Gründer des NLP bewusst in die Tradition des Fiktionalismus à la Vaihinger gestellt haben. Und auch Watzlawick nennt seinen Ansatz eine "Therapie des als ob".(...)

das alles ist zum größten teil typisch westlich-pseudophilosophische - ja, kopfwichserei. da eine umfassende kritik des konstruktivismus mindestens noch einen eigenen beitrag erfordert (und auch zukünftig bekommen wird), für den moment nur ein komprimiertes konzentrat der antikonstruktivistischen kritik.

die zum konstruktivistischen leitsatz geronnene phrase "wahrheit ist die erfindung eines lügners" des heinz von foerster scheint auf den ersten blick einleuchtend zu sein, v.a. erscheint die begründung für diese aussage sympathisch:

(...)„Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, damit ist gemeint, dass sich Wahrheit und Lüge gegenseitig bedingen: Wer von Wahrheit spricht, macht den anderen direkt oder indirekt zu einem Lügner. Diese beiden Begriffe gehören zu einer Kategorie des Denkens, aus der ich gerne heraustreten würde, um eine ganz neue Sicht und Einsicht zu ermöglichen. Meine Auffassung ist, dass die Rede von der Wahrheit katastrophale Folgen hat und die Einheit der Menschheit zerstört. Der Begriff bedeutet - man denke nur an die Kreuzzüge, die endlosen Glaubenskämpfe und die grauenhaften Spielformen der Inquisitions - Kriege. Man muss daran erinnern, wie viele Millionen von Menschen verstümmelt, gefoltert und verbrannt worden sind, um die Wahrheitsidee gewalttätig durchzusetzen.“(...)

aber auf den zweiten blick: gehen Sie mit dieser aussage zu folteropfern, zu überlebenden des holocausts, zu vergewaltigten frauen und geprügelten kindern...na, fällt Ihnen was auf?

ich hatte es ebenso im nlp-beitrag schon geschrieben: all diejenigen, die zb. die realität des holocaust leugnen, agieren implizit konstruktivistisch. diese andere seite der angeblich so humanen medaille fällt den propagandistInnen der systematischen de-realisierung authentischer wahrnehmungen und der relativierung destruktiver verhaltensweisen natürlich niemals auf...

das hehre motiv von der "einheit der menschheit" wird in dieser logik damit versucht umzusetzen, indem letztlich gesagt wird: "schwamm drüber. alle haben ihre eigene realität, die irgendwo berechtigt ist, da jede realität eine konstruierte fiktion darstellt." vor allem die damit verbundene implizite konsequenz, dass damit jede verhaltensweise tolerierbar werden muss (es gibt ja durch den wegfall der kategorie wahrheit auch folglich keine maßstäbe für gut und böse mehr), ist eine ausdrücklich täterfreundliche fiktion.

das der begriff der wahrheit tatsächlich zur rechtfertigung von und für destruktive fiktionen benutzt wird und wurde, macht ihn deswegen absolut nicht überflüssig. wie üblich in den bekannten westlichen philosophischen strömungen, wird schlicht ihre eigene - und wichtigste - voraussetzung vergessen: sie stammen alle aus einer kultur mit verbreiteten traumatischen sozialstrukturen, die sie unreflektiert wiederspiegeln. die real nicht begründbare dominanz, die sie allesamt dem "geistigen" (aka objektivistischen) teil des menschen zusprechen, ist bereits teil einer traumainduzierten strukturellen fragmentierung auch und gerade bei denjenigen, die solche konstrukte entwickeln. sie tun das aus ihrer eigenen - bereits geschädigten - wahrnehmung heraus und setzen die ergebnisse dann als generelles und absolutes.

damit verbunden ist regelmäßig und zwangsläufig die verleugnung des körpers (wobei diese nicht platt wie bspw. im christentum (fiktion religiösen typs), sondern subtiler stattfindet - körperliche vorgänge gerade in sozialen beziehungen werden hier grundsätzlich als manipulierbar verstanden, eine konstellation, die nur bei einer bereits vorhandenen opposition (virtuelles) "geistiges ich" vs. körper überhaupt möglich ist) und der in ihm basierten möglichkeiten der authentischen wahrnehmung, auf der jede authentische - d.h. vollständige und auch gesunde - menschliche identität beruht. die durch die traditionellen erziehungspraktiken verhinderte bzw. gestörte entwicklung dieses identitätsgefühls führt zwangsläufig zu kompensationsversuchen in form von fiktionen und konstruktionen - zu als-ob-realitäten bzw. virtuellen simulationen. die von von foerster angeführten beispiele wie die kreuzzüge stellen letztlich materielle umsetzungen von als-ob-realitäten wie "göttern" (und auch "nationen") dar - und die werden nicht grundsätzlich mittels anderer simulationen aus der welt geschafft (was der konstruktivismus vorschlägt, und besonders watzlawick mit seiner "als-ob-therapie", die zb. bei traumatisierten, deren authentische gewalterfahrungen ganz real in neuronalen sub-netzwerken des gehirns und auch im körpergedächtnis gespeichert sind, dazu führt, dass die betroffenen diese erfahrungen verleugnen, als fiktion betrachten sollen), sondern einzig und alleine durch die in allen menschen grundsätzlich angelegte volle entfaltung bzw. wiedererlangung der authentischen, körperlich basierten wahrnehmung mit all ihren beziehungsoptionen

authentische wahrnehmung bedeutet auch, dass es ein untrügliches - intuitives - gefühl für wahr und falsch gibt. auch für das, was tatsächlich humanes verhalten betrifft (einfach die folge von funktionierenden empathischen fähigkeiten). wer empathiefähig ist, weiß um die wahrheit dessen, was folterüberlebende, geprügelte kinder... erleben mussten. und wer diese authentische realität durch alberne konstrukte und fiktionen entwerten und de-realisieren will, übt letztlich ein zweites mal gewalt aus, verbündet sich mit den tätern und macht eine pathologische wahrnehmung zur normalität.

und das letztere ist, auf den aus jeder emanzipatorischen perspektive betrachtet völlig unakzeptablen punkt gebracht, die wahrheit über den konstruktivismus. wie gesagt in situationsbedingter kurzform.

Mittwoch, 28. März 2007

notiz: betreff alexithymie (update)

ich habe mich gestern schon über die große zahl derjenigen gewundert, die hier über eine der bekannten suchmaschinen mittels der recherche nach dem begriff alexithymie gelandet sind - das hat mich nun neugierig gemacht, und mir scheint wieder mal, dass meine tv-abstinenz in seltenen fällen auch negative folgen haben kann - so entgehen mir bspw. reportagen wie diese:

(...)Sie ist blind für Gefühle, für die anderer, besonders aber für die eigenen. Wut, Trauer, Freude, Ekel, Angst sind ihr fremd. Statt zu fühlen, wird sie körperlich krank. Ein Phänomen, das keineswegs selten ist. Nach Schätzungen von Experten, die sich mit dieser Krankheit befassen, sind etwa zehn Prozent der deutschen Bevölkerung davon betroffen. Arme und Reiche, Frauen und Männer. Meist Menschen, die nüchtern betrachtet, perfekt "funktionieren."

"Ich will es immer allen recht machen", berichtet Frank. Ein groß gewachsener, gut aussehender, weit gereister Geschäftsmann. "Meine langjährige Lebensgefährtin hat mir zum Vorwurf gemacht, dass ich nichts fühle", sagt er. Frank erinnert sich konkret an den Tod eines Freundes, einer Situation, in der er keine Traurigkeit empfand. Anders äußert sich das Phänomen bei dem 22-jährigen Istvan. Er ist ehrgeizig und hart gegen sich selbst, geht aus Ungarn in die Fremde nach Deutschland, will immer nur der Beste sein. Er hat sein Leben voll im Griff, bis er einmal zuschlägt und wegen Körperverletzung verurteilt wird. Hinzu kommt der Unfalltod seines Bruders, der löst Chaos im Leben von ihm aus. Der junge Mann wird wegen eines epileptischen Anfalls in die Klinik eingeliefert. Hier, in der Abteilung für psychosomatische Medizin, finden die Ärzte heraus: Er ist körperlich gesund, doch auch er ist alexithym.(...)

Der Ursprung für diese Störungen liegt meist in einer traumatisierenden Kindheit. Alexithymie, Gefühlsblindheit, ist quasi über Nacht zu einem sehr aktuellen Thema der Hirnforschung geworden."(...)


im blog war die alexithymie bereits zweimal thema: eins und zwei. und immer noch ist zumindest mir die genaue abgrenzung zu anderen hier besprochenenen psychophysischen zuständen etwas unklar - neurophysiologisch begründete gefühlsblindheit findet sich als merkmal bei einer ganzen palette von diagnosen.

nichtsdestotrotz möchte ich die interessierten besucher und besucherInnen hier begrüßen - Sie werden hier zwar keine leichte lektüre vorfinden, dafür aber vielleicht im besten fall ein paar anregungen mitnehmen können, unser aller gemeinsame realität anders als bisher zu begreifen.

*

edit am 30.03.: der originaltext vom zdf, auf dem das oben zitierte beruht, enthält zusätzlich einige aufschlußreiche informationen:

(...)"In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das Phänomen in Amerika an Menschen festgestellt, die den Holocaust überlebt hatten. Jahrzehntelang blieb es ein Rätsel, wie diese psychologische Störung entsteht."(...)

wobei ich mich frage, ob es sich hier nicht im weitesten sinne um ein mögliches posttraumatisches symptom handelt, und eben nicht um eine eigenständige diagnose.

(...)"Der Ursprung für diese Störungen liegt meist in einer traumatisierenden Kindheit. Neueste Studien zeigen eindeutig, dass der Zugang zu der eigenen Gefühlswelt wie auch zu der anderer Menschen grundlegend durch die Beziehung von Mutter und Kind geprägt wird."(...)

und zwar bereits vorgeburtlich.

in einem interview mit einem auf alexithymie spezialisierten mediziner gibt´s dann einiges zu lesen, was regelmäßigen besucherInnen hier bekannt vorkommen dürfte:

(...)"ZDF: Spüren alexithyme Menschen, dass Ihnen sozusagen eine Ebene fehlt?

Franz: Manche spüren ein Stück weit, dass ihnen eine Ebene fehlt, die anderen Menschen zur Verfügung steht. So ähnlich wie Farbenblinde, die mit der Zeit lernen können, "Rotes Ampelmännchen ist oben und grünes Ampelmännchen ist unten", so können sehr aufmerksam registrierende alexithyme Menschen im Laufe des Lebens sekundär über den Umweg der Reaktion ihrer Umgebung lernen: "Aha, hier fehlt mir etwas, und ich werde versuchen, nach außen zu simulieren, dass es so wirkt als ob." Aber eine innerliche, authentische, eigene Emotionalität empfinden diese Menschen häufig trotzdem nicht."(...)


womit deutliche bezüge zu einigen, unter anderen namen bekannten psychophysischen zuständen bzw. diagnostischen modellen hergestellt wären. und das wird durch die folgenden aussagen untermauert:

(...)"Darüber hinaus wissen wir aus EEG-Untersuchungen, aber auch aus Wahrnehmungsexperimenten, dass es alexithymen Menschen beispielsweise schwerer fällt als Nichtalexithymen, schnell und sicher Gesichtsausdrücke zu definieren. Die schnelle Sicherheit - wie werde ich angeschaut, und wie verhalte ich mich dazu - dies ist bei Alexithymen nicht voll ausgeprägt. Es ist auch so, dass der eigene Affektausdruck - also wie fühle ich mich - gehemmt oder zumindest beeinträchtig ist. Überspitzt könnte man vielleicht sagen: Alexithyme Menschen betrachten ein menschliches Gesicht eher wie ein Ding."(...)

mir fiel dabei ein älterer beitrag wieder ein, den ich Ihnen vor den obigen hintergründen dringend empfehlen möchte - da ist zb. dieses zitat zu lesen:

(...)"Menschen mit Autismus und dem verwandten Asperger Syndrom nehmen Gesichter quasi wie unbelebte Objekte wahr. Das berichten Forscher der Universität Yale aufgrund von funktionellen Kernspinuntersuchungen (fMRI) des Gehirns. "Diese Ergebnis ist sehr überzeugend, da es mit unseren klinischen Erfahrungen mit Autismus zusammenpasst", erklärte Studienleiter Robert Schultz."(...)

tja. nur eine zufällige übereinstimmung oder doch eher eine strukturelle verwandtschaft?

sicher: die schweren formen des klassischen autismus ziehen i.d.r. so massive einschränkungen/behinderungen für die betroffenen nach sich, dass sich die beschriebene parallelität eher nicht als begründung eignet, um eine strukturelle verwandtschaft zwingend anzunehmen. anders sieht es da schon mit dem asperger-autismus aus. ich persönlich finde die beschreibungen von alexithymie und dem "realitätstüchtigen asperger-syndrom" teils so auffällig deckungsgleich, dass ich mich frage, warum das nicht breiter thematisiert wird. da mittlerweile bei beiden phänomenen auch einiges über beeinträchtigte bzw. anders funktionierende neurophysiologische strukturen bekannt ist, ließen sich unterschiede ebenso wie gemeinsamkeiten vermutlich am ehesten über diesen weg feststellen.

und dazu kommen noch einige oberflächliche bezüge zur klassischen soziopathie:

(...)"In den letzten Jahren meiner Tätigkeit als Business – Coach zeigte sich bei einigen meiner Klienten das Phänomen : Die Entwicklung alexithymischer Züge. Dieses Verhalten und die zugrundeliegende Denkstruktur ist gekennzeichnet durch nahezu absolut kalkulierendes, kühles Verhalten und einen daraus resultierenden schleichenden Verlust sozialer Kompetenzen und emphatischer Fähigkeiten, also einem Ungleichgewicht zwischen kühlem Intellekt und emotionaler Intelligenz."(...)

bei der in diesem link skizzierten beispieltherapie und ihrer erfolge bleibt jedoch die frage offen, ob es sich hier um wiedererlangte authentische oder aber gelernte simulierte fähigkeiten handelt. ich glaube durchaus, dass aufgrund der vorherrschenden verdinglichenden und objektivistischen kulturellen strömungen auch psychophysisch leidlich gesunde menschen gerade in bereichen wie zb. der wirtschaft verschärft in gefahr sind, entsprechende "anpassungsleistungen" zu entwickeln, die allerdings auch reversibel erscheinen. andererseits ließe sich auch sagen, dass derartig betroffene wie im beispiel sich als "als-ob-soziopathen" verstehen lassen, deren objektivistischer modus funktionell die dominanz übernommen hat - und die sich dann nur schwer von strukturellen soziopathen unterscheiden lassen, die nichts anderes als eine dingwelt kennen.

wenn diese ganzen bereiche beginnen, jetzt zu öffentlichen themen zu werden, lässt das jedenfalls durchaus vorsichtigen optimismus zu, was das bewußtsein über die konsequenzen verschiedener menschlicher psychophysischer zustände anbelangt. das finde ich zumindest.

Montag, 26. März 2007

kontext 32: "very important persons" dies- und jenseits der borderline (update)

die offensichtlich nicht nur metaphernhaft dem in verschiedenen formen und intensitäten auftretenden wahn verfallenen gesellschaftlichen "eliten" in politik, ökonomie, sport und dem sog. showbusiness - siehe auch hier - stellen mit ihrem handeln und in ihrem so-sein womöglich nur repräsentantInnen von zuständen dar, in denen sich eine mehrheit der bevölkerungen der westlich-kapitalistischen welt ständig befindet. wie anders lassen sich die mainstreamerfolge von offensichtlichen kunstfiguren wie paris hilton, britney spears oder auch angelina jolie plausibel erklären?

die beiden zuletzt genannten haben dabei in den vergangenen wochen für einige schlagzeilen gesorgt:

"Britney Spears ist in eine Entzugsklinik geflüchtet – und alle spekulieren darüber, was bloß in das einst so brave Mädchen gefahren sein mag. Ein Gerücht überschlägt das nächste: Hat sie sich die Haare nur abrasiert, weil sie Läuse hatte? Ist sie drogensüchtig? Einige meinen: Ihr „Zusammenbruch“ sei nichts weiter als ein Versuch, im Gespräch zu bleiben, gemäß Dieter Bohlens Popstar-Grundgesetz: Hauptsache, die Zeitung schreibt den Namen richtig.

„Das glaube ich nicht“, sagt Borwin Bandelow, Psychiater an der Universität Göttingen und Autor des Buchs „Celebrities“ (Rowohlt 2006), in dem er die Psyche von Stars wie Michael Jackson, Kurt Cobain und Marilyn Monroe zu ergründen versucht. Er meint: Nur wer einen kleinen Sprung in der Schüssel hat, schafft es im Showbusiness überhaupt an die Spitze. Britney Spears ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Sich nicht immer ganz normal zu verhalten, gehört eben zur Normalität eines Superstars.

Die meisten Stars, behauptet der Psychiater Bandelow, werden nicht labil, weil sie nicht mit dem Druck fertig werden oder es nicht mehr aushalten, im Rampenlicht zu stehen. Nein, es ist vielmehr umgekehrt: Gerade Superstars haben von Anfang an einen Knacks. Das erst treibt sie zu Höchstleistungen – und in den Abgrund.

So sind fast alle wirklich Großen im Showgeschäft krankhaft selbstverliebt. „Narzisstisch“, wie es im Fachjargon heißt. „Kritiker haben mir immer Britney Spears als Gegenbeispiel vorgehalten“, sagt Bandelow. Da war endlich mal ein Star, der sich normal verhielt, geradezu brav, eine, die keinen Sex vor der Ehe haben wolle. „Dabei gibt es bei ihr Hinweise für eine Persönlichkeitsstörung, wie ihre Impulsivität und ihre Sucht.“

Typisch für Narzissten sei außerdem die „Zurschaustellung des Körpers“, bei Britney Spears in Form immer knapper werdender Klamotten; zuletzt ließ sie sich in Posen fotografieren, in denen mehr oder weniger klar zu erkennen war, dass sie keinen Slip trug. Anderes Beispiel: Robbie Williams, der kaum eine Gelegenheit auslässt, der Welt seinen nackten Oberkörper zu zeigen. Williams, zurzeit ebenfalls auf Entzug, meint: Wer kein Narzisst ist, wird auch kein Star."(...)


zu bandelows thesen bzw. seiner umstrittenen ferndiagnostik habe ich in einem der oben verlinkten beiträge schon meine meinung gesagt, und mir scheint eine weitere these von ihm zwar plausibel, aber zu kurz zu greifen:

(...)"Bei vielen komme jedoch noch ein Hang zur Selbstzerstörung hinzu, sagt Bandelow. Wenn alles seinen normalen Gang geht, fühlen sich diese Menschen nicht normal, sondern leer. Der Psychiater glaubt sogar, dieses Gefühl der Leere biochemisch dingfest machen zu können: Die Empfindlichkeit für körpereigene Opiate, „Endorphine“ genannt, sei bei diesen Menschen heruntergefahren. Das heißt, sie brauchen stärkere Erfolgserlebnisse um das gleiche Glück zu erfahren, was unsereins schon bei geringeren Anlässen erfährt. „Sie wechseln ihre Sexpartner häufiger, suchen Kicks in Form von Drogen, und sogar ihr Hang zur Selbstzerstörung lässt sich darauf zurückführen“, sagt Bandelow. Gerade Schmerzen nämlich bringen die Endorphine auf Trab: Auf diese Weise versucht der Körper, den Schmerz zu stillen. Britney Spears ließ sich, unmittelbar nachdem sie sich die Haare abrasiert hatte, tätowieren, was ebenfalls ein Versuch sei, „die fehlende Endorphin- Empfindlichkeit zu kompensieren“.(...)

damit sind wir dann bei einem speziellen aspekt des "selbstverletzenden verhaltens" gelandet, nämlich der durchaus realistischen möglichkeit eines sehr spezifischen suchtprozesses, der tatsächlich auf den körpereigenen endorphinen beruhen dürfte. das sollte allerdings nicht den blick für das vernebeln, was ich im basisbeitrag borderline skizziert habe: svv muss zunächst zwingend als symptom einer (selbst-)verdinglichenden körperwahrnehmung begriffen werden, in der der körper als objekt manipuliert wird, um bestimmte, als erleichternd empfundene psychophysische effekte hervorzurufen. das ein solches verhalten dann zusammen mit mehr oder weniger ausgeprägten identitätsstörungen auftritt - im weiteren verlauf des zitierten artikels bezgl. britney spears zu lesen - ist dann vor dem hintergrund der simulierten identitäten von öffentlichen personen, die mehrheitlich narzisstische und/oder borderline-merkmale aufweisen, nicht mehr groß erstaunlich.

*

während britney spears offensichtlich irgendwo in den eiertänzen mit ihren als-ob-identitäten die kontrolle verloren hat und auch nach den herrschenden kriterien von realitätstüchtigkeit aus der normalität zumindest partiell und behandlungsbedürftig herausgefallen ist (als letztes angeblich mit den diagnosen manisch-depressiv und bulimie, schafft eine entfernte kollegin von ihr diesen drahtseilakt bisher scheinbar mühelos und mit großem erfolg - und dabei ist angelina jolie eigentlich ein perfektes beispiel für eine frau mit zumindest borderlineartigen strukturen, die als gesellschaftlich extrem erfolgreich gelten muss (das folgende foto mit condoleezza rice ist für die art dieses erfolges, der ihr sogar einige türen bei den politischen "eliten" geöffnet hat, ein passendes symbol).

erfolgreiche frauen. quelle: wikipedia

ich gebe zu, dass einer der anlässe für diesen beitrag jetzt in einer sammlung von selbstbeschreibungen seitens jolie aus den vergangenen jahren liegt, die ein namenloser autor zu einer art biographie verwurstet hat (zu den medialen wellen darum siehe auch das bildblog) - dabei bleibt aber unbestritten, dass diese zitate unwidersprochen existieren.

und was ist über jolie nun öffentlich bekannt?

zum praktizierten selbstverletzenden verhalten lassen sich hier originalaussagen von ihr (und nicht nur von ihr, nebenbei gesagt) finden. im verlinkten wiki-artikel dazu:

„Ich sammelte Messer und hatte immer bestimmte Dinge um mich. Aus irgendeinem Grund war das Ritual mich selbst zu schneiden und die Schmerzen zu spüren, vielleicht sich lebendig zu fühlen und ein Gefühl der Befreiung zu verspüren irgendwie therapeutisch für mich.“

das darf als durchaus repräsentativ für svv-praktizierende angesehen werden. das sie in jüngster zeit angegeben hat, dass die geburt ihres sohnes - und die damit verbundene mutterrolle - sie sowohl vom svv als auch von zeitweiligen suizidalen anwandlungen abgebracht hätte, ist meiner meinung durchaus eine zwiespältige sache - der mythos des heilenden effektes eines eigenen kindes für psychophysisch beeinträchtigte frauen spukt bis heute selbst in vielen köpfen sog. professioneller helfer, mit teils desaströsen folgen für die jeweiligen kinder, die in so einer konstellation immer in gefahr sind, als mittel zum zweck benutzt zu werden.

ihre tattoos sind schon fast legende (eines davon besteht in dem - lateinischen - spruch "was mich nährt, tötet mich") und sind damit womöglich eines der bekanntesten beispiele für das bereits früher thematisierte entsprechende kulturelle phänomen überhaupt.

lassen die beiden obigen merkmale schon aufhorchen - und sich zumindest als indizien in eine bestimmte richtung begreifen - so werden sie erst so richtig plausibel im zusammenhang mit den bekannt gewordenen vorlieben der jolie für sm-sex - nochmals aus dem wiki-artikel:

"„SM-Sex kann als Gewalt missverstanden werden. Es geht jedoch um Vertrauen. Ich mag es mit einer anderen Person meine Grenzen zu erweitern, sowohl emotional als auch sexuell. Dabei fühle ich mich am sexysten. Ich bin sowohl in devoten als auch dominanten Rollen gewesen, weil ich mehr möchte.“

auch das klingt durchaus bekannt, nämlich aus vielen öffentlichen stellungnahmen und - zumindest mir - auch privaten diskussionen zum thema sm. einfach eine weitere sexualpraktik halt, die nicht diskriminiert werden sollte - solange niemand zu schaden kommt und alle beteiligten frei entscheiden, was ist schon dabei? in einer aufgeklärten gesellschaft kann es doch nur heißen "anything goes".

von wegen. das thema sm wird hier irgendwann noch einmal gesondert besprochen, deshalb für den moment nur drei gedanken dazu: erstens bezweifle ich die freiwilligkeit bzw. freie wahl - wenn lust nur in einer position von unterwerfung und/oder beherrschung empfunden werden kann, sehe ich weit und breit keine freie entscheidung, sondern eine psychophysische determinierung.

zweitens - das ist allerdings mein persönlicher eindruck - finden sich sm-praktiken auffällig häufig bei bl-diagnostizierten menschen sowie - in kleinerem ausmaß - auch bei traumatisierten aufgrund sexualisierter gewalt. auch deshalb wäre ich vorsichtig, hier von "freier entscheidung" zu sprechen.

drittens aber: sm-sex ist eigentlich der fast perfekte ausdruck für verdinglichenden sex (dahinter käme als "perfekte" form nur noch die offene vergewaltigung, die allerdings berechtigt nicht mehr als sexualität begriffen werden kann und qualitativ etwas anderes ist). was das konkret bedeutet? in einer kultur, in der objektivierung und verdinglichung alltägliche praktiken darstellen, die uns bis in unsere innersten strukturen hinein prägen, besteht einfach eine enorm hohe wahrscheinlichkeit dafür, dass gerade einer der sensibelsten zwischenmenschlichen bereiche davon massiv beeinträchtigt wird - und sm stellt in meinen augen dafür ein klares indiz dar. zusätzlich kommt der aspekt, das hier auch ein geradezu typisches beispiel dafür vorliegt, wie sich machtstrukturen in menschen nicht mittels bloßer repression, sondern durch lust verankern und reproduzieren. und gerade das macht sie außerordentlich gefährlich.

meine deutliche kritik an sm will ich also nicht als moralistisches, womöglich noch kirchlich beeinflusstes reaktionäres unbd lustfeindliches gezeter verstanden wissen, sondern als versuch, einen der sozusagen tückischten tricks der macht kenntlich zu machen. genauer und mehr dazu aber wie gesagt in einem künftigen eigenen beitrag dazu.

zurück zu angelina jolie: all das obige zusammengenommen würde bei einer beliebigen anonymen frau - ohne geld, erfolg und daraus resultierender relativer machtstellung - vermutlich zu ganz anderen konsequenzen, wahrscheinlich sogar zu einer psychiatrischen behandlung, führen bzw. geführt haben. jolie erfüllt - oder hat zumindest erfüllt - gleich mehrere punkte der icd- und dsm-kriterien für borderline. die selbstverdinglichenden tendenzen sind unübersehbar, und dazu kommt noch die manipulation am eigenen körper durch ihre schönheits-op.

vor diesem hintergrund ist es auch keinesfalls zufällig, dass jolie für bl-betroffene junge frauen vielfach eine art vorbild darstellt - nicht zuletzt hat dazu ihre rolle in dem film durchgeknallt - girl, interrupted, zusammen mit der hauptdarstellerin winona ryder, der im film ausgerechnet ein borderline-syndrom diagnostiziert wird.

*

alle gerade aufgeführten aspekte gelten bei jolie nun nicht nur nicht als irgendwie bedenklich, sondern werden quasi spurlos aufgesogen von ihrer öffentlichen identität: als starke frau mit schauspielerischem talent, dazu ein - oder vielleicht sogar DAS - weltweite sexsymbol dieser zeit.. historisch vergleichbar in der wirkung, wenn auch mit einigen biographischen unterschieden, scheint nur noch marilyn monroe gewesen zu sein - auch die bekanntlich sehr borderline-verdächtig, und im gegensatz zu angelina jolie am ende auch öffentlich zutiefst unglücklich mit suchtsymptomen und suizidalen anwandlungen.

ich will nun weniger an jolie kritik üben - ihr politisches interesse und engagement kann ich ihr nach den zugänglichen informationen bisher nur abnehmen, und ihre biographie mit all den erwähnten destruktiven elementen ist keinesfalls einzigartig - als vielmehr an einer öffentlichkeit, deren stars vielfach züge von identitätsstörungen und objektivistischem wahn aufweisen. und diesen zustand als "normalität" mißzuverstehen, müssen wir uns dringend abgewöhnen.

*

edit am 27.03.: als das obige gestern schon eine weile geschrieben war, fiel mir eine zurückliegende diskussion bei che ein, in der es um ayn rand und ihre ideologie des objektivismus ging - und in derem verlauf ich damals auf einen text gestoßen bin, der u.a. die folgenden aussagen enthält:

(...)Es wird noch unheimlicher: Am 3. Oktober desselben Jahres trat Pitts damalige Noch-Nicht-Freundin Angelina Jolie in „Topic A“ auf, einer mittlerweile abgesetzten und von Tina Brown moderierten Sendung auf CNBC. Brown fragte Jolie, was sie in letzter Zeit so lesen würde. „Was ich gerade lese? Ich bin sehr mit Ayn Rand beschäftigt, ich habe also zuerst The Fountainhead und dann Atlas Shrugged gelesen“, antwortete Jolie. „Ich denke, dass sie eine sehr interessante Philosophie hat.“ Sie fügte hinzu: „Man bewertet sein eigenes Leben neu und das, was wichtig für einen ist.“(...)

so findet zusammen, was zusammen passt.

Montag, 19. März 2007

basis: traumageschichte(n) 4 - über die pränatale phase (und einiges zur propriozeptiven wahrnehmung)

"Das menschliche Leben beginnt in der Gebärmutter. Dies bedeutet, das menschliche Dasein einschließlich des persönlichen, psychischen und Beziehungslebens beginnt vollständig vor der Geburt. Das Fundament unserer grundlegenden Gefühle von Sicherheit und Vertrauen wird während dieser Periode gelegt. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Gesellschaft werdende Eltern darin unterstützt, ihrem Kind die für seine Entwicklung erforderliche Liebe zu geben. Das Elternsein beginnt ab dem Bewusstwerden des Kinderwunsches, spätestens aber zum Zeitpunkt der Empfängnis. Dies ist der Ausgangspunkt der Beziehung der Eltern mit ihrem Kind.

Die wissenschaftliche Beobachtung hat den Nachweis einer das vorgeburtliche und das nachgeburtliche Leben überspannenden Kontinuität der Entwicklung erbracht. Diese frühen Erfahrungen beeinflussen ganzheitlich die Entwicklung des heranwachsenden Kindes. Die Grundstrukturen unseres Zentralnervensystems werden durch die Interaktion unserer Gene mit den frühen Entwicklungsfaktoren ausgestaltet. Das Band zwischen den Eltern und dem Kind in der Gebärmutter ist einer dieser Faktoren. Es bildet die Grundlage für die Entstehung späterer Bindungen. Von den Eltern nicht zu bewältigender Stress kann schädigende Auswirkungen auf das Kind haben. Folglich können ungeborene Kinder auf viele Arten geschädigt werden und jede Anstrengung sollte unternommen werden, um ihnen eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Die Grundwerte einer Gesellschaft werden an das Kind durch seine Erfahrungen in der frühesten Lebensphase weitergegeben"

(aus der einleitung der wiener resolution 2001 der "Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)"


***

mit dem obigen zitat möchte ich einen weiteren beitrag in der basisreihe zum thema trauma einleiten, dieses mal zu einem aspekt, der mich persönlich seit dem moment, in dem ich mich das erste mal mit dem thema der pränatalen menschlichen entwicklungsphase beschäftigt habe, intensiv beschäftigt und auch fasziniert. nach meinen eigenen erfahrungen ist das wissen, welches im folgenden skizziert wird, den meisten menschen kaum bis gar nicht bekannt - und damit ist auch keinerlei bewußtsein über die teils dramatischen individuellen und kollektiven konsequenzen möglich, die sich aus der realität von pränatalen (die perinatalen lasse ich hier außen vor, da der abschnitt der geburt einen eigenen bereich bildet) traumatisierungen ergeben können. ich glaube inzwischen, dass wir alle in unserem leben bereits vielfach und auf diversen ebenen mit den erwähnten konsequenzen konfrontiert worden sind. und nicht zuletzt liegen in diesem wissen auch mögliche schlüssel zu einem erweiterten verständnis unserer jeweils eigenen biographie verborgen.

das einleitende zitat bringt dabei die meisten wesentlichen aspekte schon ganz gut auf den punkt. einen überblick zu den dort erwähnten wissenschaftlichen beobachtungen hat lloyd deMause in seinem "emotionalen leben der nationen" (siehe literaturliste, oder auch hier) veröffentlicht, aus dem ich im folgenden kommentierend zitiere (die zitate stammen dabei aus den seiten 56 bis 59 des buches). einige vermutlich vielen leserInnen nicht geläufige medizinische begriffe habe ich zur erklärung verlinkt.

*

"Es hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles in unserem Wissen über den Fötus geändert, seitdem Pioniere erste Forschungen in der perinatalen Psychologie betrieben haben. Neurobiologen erzielten überraschende Fortschritte im Verständnis darüber, wie sich das Gehirn im Mutterleib entwickelt, die Experimentalpsychologie fand viel über fötales Lernen heraus, Kinderärzte verbanden alle möglichen späteren Probleme mit fötaler Not, und ein Psychoanalytiker begann sogar damit, tausende Stunden von Ultraschallbeobachtungen einzelner Föten mit deren Problemen während der Kindheit in ihrer Therapie zu vergleichen. Es gibt mittlerweile tausende Bücher und Beiträge zu diesem Thema, und es gibt zwei internationale Gesellschaften zu prä- und perinataler Psychologie mit ihren jeweils eigenen Journalen."(...)

und wenn Sie selbst einmal darüber recherchieren, wie und was der medizinische mainstream noch vor hundert jahren über die (un)fähigkeiten von neugeborenen - und erst recht den föten - dachte, z.b. den unheilvollen mythos der angeblichen schmerzunempfindlichkeit von babys, der eine teils entsprechend rücksichtslose und potenziell traumatische behandlung derselben zur folge hatte, werden Sie vermutlich eine ahnung davon bekommen können, wie dieses wissen uns zu einer geradezu revolutionär neuen betrachtungsweise unserer allerersten lebensphasen zwingen wird - denn weitere ignoranz wäre hier, wie in vielen anderen bereichen auch, schlicht suizidal.

"Biologen dachten, Föten hätten eine unfertige Myelinisierung der Neuronen und könnten daher keine Erinnerungen haben. Diese Vorstellung wurde widerlegt. Vielmehr fand man heraus, dass der Fötus, weit davon entfernt, ein nicht fühlendes Wesen zu sein, äußerst fein auf seine Umgebung reagiert, und dass unsere ersten Gefühle in unserem frühen emotionalen Gedächtnissystem abgespeichert werden, das im Zentrum der Amygdala liegt, dem zentralen Angstsystem, ganz im Unterschied zum Deklarativen (Expliziten) Gedächtnissystem im Zentrum des Hippocampus, dem Zentrum des Bewusstseins, welches erst spät in der Kindheit voll funktionsfähig wird.

Das fötale Nervensystem ist gegen Ende des ersten Trimesters so gut entwickelt, dass es auf die Berührung der Handfläche mit einem feinen Haar mit Zugreifen, der Lippen mit Saugen, und der Augenlider mit Blinzeln reagiert. Der Fötus hüpft, wenn von der Nadel der Fruchtwasseruntersuchung berührt, und wendet sich vom Licht ab, wenn der Arzt ein hell leuchtendes Fötoskop einführt. Im zweiten Trimester kann der Fötus nicht nur sehen und hören, sondern tastet auch aktiv, fühlt, erkundet und lernt von seiner Umgebung, schwimmt im einen Moment friedlich, dann wieder heftig tretend, schlägt Saltos, uriniert, ergreift seine Nabelschnur, wenn er sich ängstigt, strampelt und tritt gegen die Plazenta, veranstaltet kleine Boxspiele mit seinem Pendant, wenn es Zwillinge sind, und reagiert auf Berührungen oder Stimmen durch den Unterleib der Mutter. Jeder Fötus entwickelt seine eigenen Aktivitätsmuster, sodass Ultraschalltechniker rasch lernen, jeden Fötus als eigene Persönlichkeit zu erkennen."(...)


ich hatte früher an anderen stellen hier schon geschrieben, dass sich die taktile und v.a. auch die propriozeptive wahrnehmung als eine ganz grundlegende basis des späteren, körperlich fundierten identitäts- und selbstgefühls als erste wahrnehmungsmodi des menschen entwickeln - das lässt sich inzwischen präzisieren:

(...)"Der Embryo nimmt schon ab der 12. Schwangerschaftswoche seine Umgebung über Berührung wahr. Auch das Kleinkind macht über Berührungen seine ersten Erfahrungen, über positive Berührung kann vor allem auch die Entwicklung gefördert werden"(...)

und aus einer weiteren quelle:

(...)"Auch Berührungen werden zum Teil über das propriozeptive System wahrgenommen. Festere Berührungen - wie bei manchen Massagetechniken oder Druck, wie beim Shiatsu oder in der Akupressur - regen auch die Propriozeption an. Außerdem spielt Propriozeption eine wichtige Rolle bei aktivem Berühren und Ertasten (...).

Die Propriozeption spielt eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der Entwicklung eines Körperbildes oder Körperschemas. Sie vermittelt uns unsere Stellung im Raum und ist insofern zentral für die Beziehung zur Außenwelt. Welch eine einschneidende Bedeutung Störung oder gar Ausfall propriozeptiver Wahrnehmung für einen Menschen haben, wird sehr eindrücklich von (Oliver) Sacks (...) beschrieben:

`Sie - die Patientin - hat mit ihrer Eigenwahrnehmung auch die grundlegende, organische Verankerung der Identität verloren - jedenfalls die der körperlichen Identität´"(...)


(wenn Ihnen das nächstemal also ein konstruktivistisch argumentierender mitmensch wiedermal einreden möchte, dass das beharren auf authentizität und authentischer - d.h. körperlich basierter - identität in der postmoderne doch ein hoffnungslos rückständiger anachronismus sei - fragen Sie einmal zurück, wie´s denn so mit der propriozeptiven wahrnehmung bei dem/der betreffenden ausschaut...).

ich schweife gerade anscheinend etwas vom "eigentlichen" thema ab, aber dieser aspekt erscheint mir so interessant und bedeutsam, dass ich ihn weiter vertiefen möchte - immer vor dem hintergrund der heute bekannten und möglichen pränatalen schädigungen, auch und gerade durch psychosoziale, d.h. gesellschaftliche einflüsse. ich vermute aus verschiedenen gründen, darunter z.t. auch eigenen erfahrungen, bekanntlich enge zusammenhänge mit den denjenigen psychiatrischen diagnosen, bei denen ein gestörtes identitätsgefühl sowie ein oppositionelles und problematisches verhältnis zum "eigenen" körper eine große rolle spielen - wie zb. bei borderline und auch dem autistischen spektrum. darum jetzt nochmal etwas mehr informationen zu vermutlich genau der patientin, die oben im zitat von o. sacks schon erwähnt worden ist - aus einer weiteren quelle:

(...)"Es gibt jedoch auch komplette Verluste der undifferenzierten somatischen Hintergrundempfindung, auf der die eben genannte Form innerer Aufmerksamkeit überhaupt erst operieren kann. Ein scharf umgrenzter Ausfall der Propriozeption führt zum Ausfall des Körpergefühls, desjenigen Teils unseres phänomenalen Selbstmodells, der uns subjektiv als der sicherste und gewisseste überhaupt erscheint. Oliver Sacks beschreibt den seltenen Fall einer sehr selektiven sensorischen Polyneuropathie, der ausschließlich propriozeptive Nervenfasern betraf.

`Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände „machten sich selbständig“, und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.

Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper „gab nach“. Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.

„Es ist irgend etwas Furchtbares passiert“, stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. „Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos.“
...
Christina hörte genau zu, mit einer Aufmerksamkeit, die nur die Verzweiflung hervorbringt.

„Ich muß also“, sagte sie langsam, „mein Sehvermögen, meine Augen in all den Situationen einsetzen, in denen ich mich bis jetzt auf meine - wie haben sie das genannt? - Eigenwahrnehmung verlassen konnte. Ich habe schon bemerkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, „daß ich meine Arme . Ich meine, sie seien hier, aber in Wirklichkeit sind sie dort. Diese ist also wie das Auge des Körpers - das, womit der Körper sich selbst wahrnimmt -, und wenn sie, wie bei mir, weg ist, dann ist es, als sei der Körper blind. Mein Körper kann sich selbst nicht , weil er seine Augen verloren hat, stimmt's? Also muß ich ihn jetzt sehen und diese Augen ersetzen. Hab ich das richtig verstanden?“

Sacks berichtet über den weiteren Verlauf der Erkrankung:

`Unmittelbar nach dem Zusammenbruch ihrer Eigenwahrnehmung und noch etwa einen Monat später war Christina so schlaff und hilflos wie eine Puppe. Sie konnte sich nicht einmal selbst aufsetzen. Aber schon drei Monate später stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie sehr gut sitzen konnte - zu gut vielleicht, zu graziös, wie eine Tänzerin, die mitten in einer Bewegung innegehalten hat. Und bald merkte ich, daß dies tatsächlich eine Pose war, die sie, sei es bewußt oder automatisch, einnahm und aufrecht erhielt, eine gezwungene oder schauspielerhafte Positur, die das Fehlen einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem „Kunstgriff“, aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur „zweiten Natur“.


es klingt schlicht und einfach verblüffend: eine art als-ob-sitzen also? haben wir hier vielleicht in einem eng umgrenzten bereich ein sehr nachdrückliches beispiel dafür, wie wahrnehmungsausfälle von anderen funktionen kompensiert werden, und zwar mittels mehr oder weniger gelungener - simulationen des authentischen?

"Mit jeder Woche wurde das normale, unbewußte Feedback der Eigenwahrnehmung immer mehr von einer ebenso unbewußten Rückmeldung durch visuelle Wahrnehmung, einen visuellen Automatismus und zunehmend integriertere und flüssigere Reflexabläufe ersetzt. Fand bei ihr eine grundlegende Entwicklung statt? Erhielt möglicherweise das visuelle Modell des Körpers, das Körperbild des Gehirns - das gewöhnlich recht schwach (und bei von Geburt an Blinden überhaupt nicht) ausgeprägt und normalerweise dem propriozeptiven Körperschema untergeordnet ist - jetzt, da dieses propriozeptive Körperschema verlorengegangen war, infolge von Kompensation und Substitution in zunehmendem, ungewöhnlichem Maße Gewicht?...´

Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst. An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern (!!! mo). In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.

`...Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, nicht wirklich, gehöre nicht zu ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf andere Sinnesorgane beziehen: „Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub...Er hat kein Gefühl für sich selbst.“...

...“Es ist, als hätte man mir etwas entfernt, etwas aus meinem Zentrum. Das macht man doch mit Fröschen, stimmt's? Man entfernt ihnen das Rückenmark, man höhlt sie aus...Genau das ist es: Ich bin ausgehöhlt, wie ein Frosch...Kommen Sie, meine Herrschaften, treten Sie ein, sehen Sie Chris, das erste ausgehöhlte menschliche Wesen. Sie hat keine Eigenwahrnehmung, kein Gefühl für sich selbst - Chris, die ausgehöhlte Frau, die Frau ohne Körper!“ Sie bricht in ein haltloses, fast hysterisches Lachen aus. Ich beruhige sie, während ich denke: Hat sie vielleicht recht?´(...)


es ist nicht allzu abwegig anzunehmen, dass ein oder mehrere gleichartige prozesse bzgl. dieser elementaren wahrnehmungsebenen im zusammenspiel mit weiteren einflüssen auch eine große rolle bei der ätiologie von autistischen störungen im weitesten sinne eine rolle spielen - schauen Sie sich nochmal die selbstbeschreibungen betroffener bezgl. ihrer körperwahrnehmung im basisbeitrag autismus an.

dazu scheint mir ein weiterer aspekt auffällig zu sein: sowohl christina als auch die zitierten autistischen menschen berichten einhellig darüber, dass sie ihren visuellen sinn als primäres werkzeug zur korrektur ihrer bewegungsabläufe benutzen. ist Ihnen der gedanke geläufig, dass die westliche zivilisation eine ungeheuer visuelle kultur darstellt, und zwar im einseitigsten sinne, mit entsprechender ständiger überforderung unserer sehorgane unter starker vernachlässigung der meisten anderen sinne? es ist nur eine gerade entstandene assoziation meinerseits, aber die permanente kulturelle überbetonung des sehens könnte durchaus einige überraschende hintergründe besitzen.

*

zurück zur pränatalen phase, und da jetzt zu den fakten, die deMause über Emotionale Reaktionen auf fötalen Stress gesammelt hat:

(...)"Zusätzlich zu dem, was wir über die verheerenden Folgen durch die Einwirkung von Drogen und Alkohol auf den Fötus wissen, besitzen wir jetzt bedeutende Belege dafür, wie maternaler Stress und andere Gefühle auf den Fötus übertragen werden. Der Fötus, so fand man heraus, reagiert sensibel auf eine große Anzahl von maternalen Emotionen, zusätzlich zu jeglicher Droge, die die Mutter einnimmt, oder physischen Traumata, welche die Mutter erleidet.

Wenn die Mutter Angst verspürt, werden ihre erhöhte Herzfrequenz, ihr schreckhaftes Sprechen und die Änderungen der Neurotransmitterniveaus unmittelbar an den Fötus weitergeleitet, und ihrem Herzjagen folgt binnen Sekunden das des Fötus; wenn sie Angst hat, kann der Fötus innerhalb von 50 Sekunden unter Sauerstoffunterversorgung leiden. Bei schwangeren Affen, durch simulierte Angriffe gestresst, wurde die Blutversorgung zur Gebärmutter derart beeinträchtigt, dass die Föten schwere Erstickungserscheinungen aufwiesen.

Auch Veränderungen der Niveaus von Adrenalin, Epinephrinplasma und Norepinephrin, hohe Konzentration von Hydroxycorticosteroiden, Hyperventilation und viele andere Folgen maternaler Angst kennt man als direkt den menschlichen Fötus beeinflussend. Zahlreiche andere Studien dokumentieren sensorische, hormonelle und biochemische Mechanismen, durch die der Fötus mit den Gefühlen der Mutter und der Außenwelt kommuniziert. An Babyaffen sah man, dass sie nach der Geburt hyperaktiv waren und höhere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol aufwiesen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft experimentell gestresst worden war."


(einer der vermittlungswege, mittels derer der psychophysische zustand der mutter auf den embryo weitergegeben wird, besteht in den sog. neuropeptiden, von denen besonders das oxytocin in letzter zeit etwas bekannter geworden ist und bei der mutter-kind-beziehung eine herausragende rolle zu spielen scheint.)

"Es zeigte sich, dass maternale Stress- und Angstzustände niedrige Geburtsgewichte, höhere Geburten­sterb­lich­keit, Atemwegsinfektionen, Asthma und eine verminderte Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten verursachen. Eine Studie über 120 ungewollte schwedische Babies zeigte, dass diese aggressiver waren, von Altersgenossen stärker abgelehnt wurden, niedrigere akademische Leistungen erbrachten, hyperaktiv waren und eine dreimal höhere Kriminalisierungsrate aufwiesen als Babies, die »gewollt waren«.

Ultraschallstudien erkennen die fötale Not klar, wenn der Fötus sich in Schmerzen während der Hypoxämie und anderen Zuständen herumwirft und um sich tritt. Eine Mutter, deren Ehemann ihr gerade verbal Gewalt angedroht hatte, kam in eine Arztpraxis mit einem, was auch für sie schmerzhaft war, sich derartig heftig herumwerfenden und um sich tretenden Fötus, dessen Herzschlagfrequenz erhöht war und über Stunden blieb. Das gleiche wilde Sichherumwerfen von Föten konnte bei Müttern beobachtet werden, deren Partner plötzlich verstarben. Maternale Angst kann tatsächlich den Tod des Fötus verursachen. Ehezwietracht korreliert »mit fast 100-prozentiger Sicherheit... mit Kindersterblichkeit in Form von schlechter Gesundheit, neurologischer Dysfunktion, zurückgebliebener Entwicklung und Verhaltensstörungen«.

Margaret Fries leitete eine über 40 Jahre dauernde Langzeitstudie, die bei den Untersuchten lebenslang konstant bleibende emotionale Muster vorhersagt, so man diese mit der Einstellung zum Fötus während der Schwangerschaft verbunden sieht. Maternaler emotionaler Stress, Ablehnung des Fötus und fötale Not sind in verschiedenen Studien statistisch mit Frühgeburten, niedrigen Geburtsgewichten, höherer Unausgewogenheit von Neurotransmittern, stärkerem infantilen Klammern, höherer Kindheits­psycho­pathologie, häufigerer physischer Erkrankung, höherer Rate an Schizophrenie, niedrigeren Intelligenzquotienten in der Kindheit, größerem Misserfolg in der Schule, höherer Kriminalität, einer größeren Neigung zum Suchtmittelkonsum im Erwachsenenalter, der Ausübung von Gewaltdelikten und der Begehung von Selbstmord in Verbindung gebracht worden.

Der Anstieg sozialer Gewalt durch prä- und perinatale Umstände wurde von einer wichtigen dänischen Studie bestätigt, die zeigt, dass Buben von Müttern, die diese nicht haben wollten (25 Prozent der schwangeren Mütter geben zu, ihre Babys nicht zu wollen) und die auch Komplikationen bei der Geburt erleben, mit viermal höherer Wahrscheinlichkeit als Jugendliche gewalttätige kriminelle Taten verüben als Kontrollgruppen. Amerikanische Studien zeigen ähnlich höhere Kriminalität bei maternaler Ablehnung während der Schwangerschaft."(...)


und die in den letzten absätzen genannten fakten werden auch durch eine sozusagen andersherum gedrehte sichtweise unterstützt:

(...)"Die Neunzigerjahre bescherten den Amerikanern eine glückliche Überraschung. Eine Gesellschaft, die vom Gedanken an die Kriminalität regelrecht besessen ist, durfte plötzlich einen dramatischen Rückgang der Verbrechen erleben. Kein Experte hatte ihn vorausgesagt, mancher das Gegenteil prophezeit. Für den Rückgang wurden viele Gründe genannt: Neue Polizeistrategien, schärfere Haftstrafen (die die Zahl der Gefangenen auf 2 Millionen Ende 2000 erhöhten!), das Ende des Crack-Drogenbooms, der Wirtschaftsaufschwung, strengere Waffenkontrollen, die Alterung der Bevölkerung.

Die Ökonomen Steven Levitt und John Donohue überraschten die Öffentlichkeit gegen Ende des Jahrzehnts mit einer völlig neuen Erklärung. Die bisher genannten Gründen ließen sie kaum gelten. Einen Wirtschaftsaufschwung etwa gab es auch in den 1960ern - damals stieg die Gewaltkriminalität. Die gefeierte "Zero Tolerance"-Strategie der Polizei wurde nur in New York eingeführt - die Kriminalität sank überall. New York profitierte eher davon, dass einfach viele Polizisten eingestellt wurden. Diese Aufstockung und der Verfall des Kokainpreises, der das Geschäft der Crack-Dealer zerstörte, haben vielleicht ein Viertel des Rückgangs der Kriminalität in den USA bewirkt, die schärferen Haftstrafen ein weiteres Drittel, schätzt Levitt.

Weit wichtiger sei aber etwas gewesen, das kaum je erwähnt wurde: die Legalisierung der Abtreibung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs am 22. Januar 1973. Dies habe die Zahl der ungewollten Geburten drastisch gesenkt. Da ungewollte Kinder statistisch gesehen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kriminell würden, seien fortan viele potenzielle Straftäter gar nicht erst auf die Welt gekommen. Das aber habe sich erst ab dem Moment auswirken können, als die ersten nach 1973 geborenen Jahrgänge in die späten Teenagerjahre kamen - also ab Anfang der 1990er."(...)


diese aussage, nach der ungewollte kinder also in der größten gefahr sind, später antisoziales verhalten zu entwickeln (und dazu unter vielfältigsten weiteren beeinträchtigungen leiden) ist nach dem heutigen wissenstand ganz gut untermauert. und vor allem: ist eine solche entwicklung nicht eigentlich auch sehr logisch in dem sinne, dass menschen, die bereits im mutterleib überwiegend ablehnung erfahren haben, die sich in ihrer psychophysischen struktur über die oben skizzierten mechanismen in diverser art und weise materiell eingeschrieben hat, dieser welt gar nicht anders begegnen können als nun mit ablehnung ihrerseits?

*

soviel also erstmal zur einführung in ein gleichermaßen bedrückendes wie auch faszinierendes thema, welches hier noch öfter zur sprache kommen wird. mir ging es vor allem darum, dass Sie die möglichkeit bekommen, eine ahnung von der komplexität und den konsequenzen zu bekommen, die mit der pränatalen phase - und all dem, was dort schiefgehen kann - verbunden sind. ich hoffe, dass das einigermaßen gelungen ist. für diejenigen, die sich vertiefend mit einigen aspekten des themas beschäftigen möchten, gibt es hier noch einen text des neurowissenschaftlers gerald hüther, der u.a. speziell auf die pränatale hirnentwicklung sowie die wichtigkeit von beziehungen für das gehirn eingeht.

den teil zur propriozeption hatte ich ursprünglich gar nicht vorgesehen, aber beim abschließenden lesen fand ich, dass er dann doch ganz gut hierher passt - denn mögliche schädigungen bis hin zum totalen ausfall dieser wahrnehmungsebenen können sehr wahrscheinlich bereits pränatal auftreten, und zwar aufgrund der sehr materiellen wirkungen auf den embryo seitens müttern, die aus was für gründen auch immer nicht in der lage sind, die eigentlich grundsätzliche vorhandene beziehungsebene zum embryo wahrzunehmen - oder das nur sehr eingeschränkt können, sich in einem überwiegenden (!) zustand der ablehnung befinden und/oder selbst in einer verdinglichenden wahrnehmung feststecken, die wiederum - und das ist eine persönliche hypothese - einiges mit dem ausfall der erwähnten wahrnehmungsebenen zu tun haben dürfte.

es geht hier aber keinesfalls - wie ich an anderen stellen schon oft betont habe - um mütterbashing oder schuldzuweisungen. die bedingungen für schwangere und kinder grundlegend zu verbessern, ist eine gesamtgesellschaftliche und hochpolitische aufgabe, die weitergedacht einiges an fundamentalen änderungen der derzeitigen lebensumstände überhaupt erfordern wird. da diese grundsätzlich lebensfeindlich und dingorientiert sind, sind die beschriebenen - in vielfältigster form als traumatisch zu begreifenden - destruktiven phänomene der pränatalen phase nicht verwunderlich. was aber potenzielle mütter, und auch väter, dringend entwickeln müssen, ist ein entsprechendes verantwortungsgefühl, zu dem auch gehört, dass bei erkannten störungen und defiziten der eigenen wahrnehmung bzw. im eigenen umgang mit sich selbst kinderwünsche vor der veränderung der genannten zustände erstmal zurückstehen sollten - im interesse des kindes genauso wie letztlich im interesse der gesamten gesellschaft. aber auch dieses verantwortungsgefühl setzt fundamentale individuelle und kollektive veränderungen voraus, so dass sich die katze letztlich in den eigenen schwanz beißt. was hier, genauso wie in vielen anderen bereichen, nötig ist, wäre mit dem wort "revolution" durchaus unzureichend beschrieben. wir werden letztlich nicht um eine ungeheuer tiefgreifende veränderung unseres gesamten lebens herumkommen, die diesmal - und historisch überhaupt das erstemal - mit einer ebenso tiefgreifenden veränderung unserer allgemein verkorksten psychophysischen struktur parallel zu gehen hat, ja letztere überhaupt erst zur voraussetzung haben kann.

Freitag, 16. März 2007

notiz: über verdinglichung (update)

lesestoff (rechts oben auf der seite ist der link zum download des manuskripts als .rtf-datei):

"Professor Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, also Adorno-Nachfolger, arbeitet seit langem an einem wichtigen Projekt: Zum einen hat er eine Intersubjektivitätstheorie ausgearbeitet, die zeigt, dass bei der Entwicklung des Menschen in erster Linie interpersonelle Dinge eine Rolle spielen und eben nicht kognitive: Es geht a priori um Vertrauen, Liebe, um gegenseitige Anerkennung. Der Säugling z. B. erwirbt erst - so Honneths These - auf Grundlage dieser Elemente geistige und emotionale Kompetenzen, die es ihm später ermöglichen, ein starkes Individuum zu werden. Zweitens mündet diese Theorie für Honneth zugleich in eine Gesellschaftskritik, die die Verdinglichungstheorie, die ja auch Adorno stark beeinflusst hat, aktualisiert. Verdinglichung meint: Im kapitalistischen System wird alles zum bloßen Objekt, zum Ding oder zur Ware reduziert, das gilt auch für den Menschen.

Honneth will nun zeigen, dass es auch in unserer Gesellschaft gefährliche Verdinglichungstendenzen gibt: Sie offenbaren sich genau dann, wenn das Prinzip der Anerkennung außer Kraft gesetzt wird, wenn Menschen im Umgang miteinander vergessen, dass sie nur deshalb miteinander kommunizieren können, weil sie sich im vorhinein als anerkennungswürdige Subjekte erfahren haben."


und in fortsetzung des obigen könnte ich vielleicht auch sagen, dass die weitaus meisten blogthemen hier antworten bzw. antwortversuche auf die frage enthalten, was alles passieren kann, wenn sich menschen nicht "im vorhinein als anerkennungswürdige subjekte erfahren haben".

*

edit am 17.03.: in den kommentaren zu einem beitrag weiter unten hat pete einen anonymen borderline-betroffenen zitiert, dessen aussagen eine art praktische anschauung davon geben können, was verdinglichung in ihren verschiedenen varianten in der menschlichen struktur anzurichten vermag:

(...)"Find so auch nicht zu euch, denn ein Spielzeug seit ihr nur so für mich. Seit ein Ding ohne Raum und Zeit, ohne Grenzen, ohne Gewicht. Benutzt, beschmutzt, belegt und abgelegt... Ich benutz euch und stolper nur über mich selbst."(...)

um mit anderen wie "spielzeug" umzugehen - was sich durchaus auch über das agieren diverser antisozialer "eliten" v.a. im wirtschaftlichen und militärischen bereich sagen lassen ließe - , sind gleichartige erfahrungen bezgl. der eigenen person voraussetzung. die aussage verrät also auch einiges über das schicksal des verfassers.

und sie verrät ebenso einiges darüber, was uns allen blüht, wenn die verdinglichung, objektivierung und ökonomisierung seitens des kapitalismus sich ungebremst als einzige variante des menschlichen sozialen lebens durchsetzen kann - die "subtile hölle des neuen menschen" ist dafür schon eine ganz gute metapher, die auch deutlich macht, das die bisher einzige - hm, ideologie, die es bisher geschafft hat, einen implizit totalitären anspruch auch materiell umzusetzen, tatsächlich auch die bisher einzige ist, die einen "neuen menschen" kreiert - nämlich über die wirkungen der von ihr geschaffenen gewalttätigen lebensbedingungen auf unsere psychophysische struktur, genauer auf unsere hirne/nervensysteme.

was in den "entwickelten" zonen des planeten über ein dauerbombardement von medien, werbung, pr und teils auch kunst (in allgemeinster art begriffen) von den subtilen arten der manipulation über deren gröbere varianten eine fließende grenze zur offenen und traumatisierenden gewalt mit ihren potenziell vereinzelnden und einschüchternden folgen besitzt. in diese prozesse sind natürlich auch der umgang mit kindern, die verhältnisse in familien und schulen verstrickt. ein weiterer entscheidender punkt ist die quasi materielle abhängigkeit, in die wir alle ebenso zur befriedigung der existenziellen grundbedürfnisse nach nahrung, wasser, wohnen etc. in die kapitalistische maschine verwoben sind.

insgesamt also wie gesagt ein - bisher und noch! - "erfolgreiches" totalitäres szenario, welches offensichtlich den punkt erreicht hat, an dem seine allgegenwart beginnt, die menschen in ihrem innersten umzuformen - ein symptom dafür bilden vermutlich viele derjenigen phänomene, die heute als "psychische krankheiten" begriffen werden. und als metapher für diesen prozeß...

"... könnten wir auch eine ganz spezifische art von invasion annehmen, die zu ihrem abschließenden erfolg unbedingt der zerstörung der elementarsten menschlichen fähigkeiten zum sozialen bedarf - an erster stelle wäre hier die liebesfähigkeit zu nennen.

genau diese findet in einem szenario entfesselter konkurrenz, in dem der "wert" eines menschen einzig an objektivistischen kriterien der "leistungsfähigkeit" festgemacht wird, nicht nur keine resonanz im sinne positiver beantwortung mehr, sondern wird in solchen verhältnissen sogar hinderlich und dysfunktional. ich hatte es früher ebenfalls schon mal geschrieben: wer hier "positiv" selektiert wird, d.h. am ende übrigbleibt, lässt sich nicht mehr als mensch nach unserem verständnis beschreiben - wer da übrigbleibt, ist eine totalitär vereinsamte und ständig paranoide figur, die ihre eigenen ununterbrochenen fiktionen mit der realität verwechselt, die aufgrund massiver psychophysischer schäden nicht mehr vollständig und v.a. nicht in ihrer sinnlichen qualität wahrgenommen werden kann. und falls sich dieses szenario so durchsetzen kann, würde es meiner meinung nach auch das definitive ende des "experiments mensch" bedeuten - nicht nur in dem sinne, dass den überlebenden wesen die wesentlichen und spezifischen menschlichen qualitäten fehlen würden, sondern auch deswegen, weil sie über kurz oder lang - und das ist heute bereits eindrucksvoll zu sehen - ihre eigenen lebensgrundlagen zerstören würden. ohne fähigkeiten zur wahrnehmung der eigenen untrennbaren verwobenheit in die planetare ökologie zb. werden sie ebenfalls nicht (mehr) in der lage sein, die vielfältigen warn- und gefahrenzeichen wahrzunehmen, die ökologische systeme vor dem kollaps noch abgeben."(...)


da wir es hier mit historisch bisher unbekannten ereignissen zu tun haben, wird auch der überfällige massive und wirkungsvolle widerstand gegen diese absolut alptraumhafte entwicklung wege, mittel, und züge aufweisen, die bisher ebenso unbekannt und überraschend sein werden. wir leben in interessanten zeiten.

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