was soll ich noch groß kommentieren? die nachrichtenlage spricht für sich selbst und macht das tägliche zerbröseln der (noch) herrschenden strukturen hör- und sichtbar:
globale krisenkaskade I: interview zum fetisch "wachstum"
globale krisenkaskade II: peak oil wird sichtbarer
deutschland I: lauter kleine häßliche testballons fliegen, oder was nach den bundestagswahlen passieren wird - von leistungskürzungen und steuererhöhungen
deutschland II: unterschlagene nachrichten - erstes "bossnapping" in osnabrück
spanien: schwere auseinandersetzungen zwischen metallarbeitern und polizei in vigo/galizien
usa I: kalifornien endgültig vor dem bankrott mit katastrophalen folgen
usa II: zur historie von "general motors" und den sozialen folgen der insolvenz
japan: organisierte kriminalität (yakuza) bekommt die krise zu spüren - ein personalabbau der besonderen art
in aller kürze: lettland vor staatsbankrott / griechenland: es kracht in jeder woche - anschläge gehen weiter / usa mit neuem rekord bei lebensmittelmarken / deutschland: werftinsolvenzen in meck-pomm / schienengüterverkehr bricht um über 20% ein / wie die erwerbslosenstatistik gefälscht wird
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ein interessantesinterviewmit einem so called "konservativen sozialwissenschaftler" macht die ganze aktuelle zwiespältigkeit des im weitesten sinne rechten krisendiskurses deutlich - neben durchaus realistischen und notwendigen einsichten...
(...)"Das Wachstum der letzten Dekaden hat für Sie aber auch eine andere Qualität als das Wachstum in den ersten Jahrzehnten der Republik?
Ja, es ist kaum noch wohlstandsmehrend. Erkrankungen, kaputte Familien, Autounfälle, Unwetter - das alles fördert das Wachstum, hebt aber nicht den Wohlstand. Und genau das ist die Art von Wachstum, die seit geraumer Zeit dominiert. Überall muss repariert werden: mehr Kranke, unterstützungsbedürftige Kinder und so weiter. Was heute Wohlstandsmehrung genannt wird, ist zunehmend nur der Versuch, Schäden zu beseitigen, die bei einem solideren Wachstum überhaupt nicht aufgetreten wären.
Wollen Sie darauf hinaus, dass Geld nicht glücklich macht?
Bis zu einem bestimmten Punkt macht es schon glücklich. Menschen, die Not leiden, werden deutlich glücklicher, wenn diese gelindert oder sogar überwunden wird. Doch es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass immer mehr Geld immer glücklicher mache. Die materiellen Bedürfnisse von Menschen sind endlich und lassen sich durchaus befriedigen. Was dann kommt, sind Ansehen, Macht und dergleichen."(...)
...schimmert nicht nur im letzten satz oben das grundsätzlich antisoziale menschenbild von rechts - das streben nach "ansehen und macht" wird als scheinbar anthropologische konstante suggeriert - durch, sondern ebenfalls werden kapitalistische mythen gehätschelt:
(...)"Viele sehen aber in der Krise ein Gerechtigkeitsproblem: Wenige haben einige Jahre sehr gut verdient, nun müssen alle Schulden aufnehmen.
Das ist auch ein Problem, obwohl die Zusammenhänge oft arg verkürzt dargestellt werden. Denn verloren haben ja zunächst einmal die Vermögensbesitzer, die zugleich in aller Regel weit überproportional die Steuerlasten zu stemmen haben."(...)
arg verkürzte zusammenhänge werden hier zuerst durch miegel geliefert - die vermögensbesitzer gehen nämlich in aller regel selbst bei verlusten - die nicht zuletzt durch ihre spielsucht bzw. die eigenartigen ausdrücke des zwangs zur profitakkumulation entstanden sind - nicht nur nicht am bettelstab, sondern wälzen diese verluste zunehmend erfolgreich auf die allgemeinheit ab. und das gejaule von den hohen steuern darf ruhig bei klüngeln wie der fdp u.ä. bleiben.
nichtsdestotrotz ist das ein interessantes interview, weil eine solche breitseite gegen den fetisch wachstum in einem konservativen "leitmedium" schlicht ungewöhnlich und möglicherweise ein zeichen dafür ist, wie die krise beginnt, die gesellschaftliche matrix in bewegung zu bringen. höchste zeit dafür ist´s ja allemal.
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inzwischen wird anhand der entwicklung der ölpreise auch etwas sichtbarer, wie sich die verschiedenen teile der krisenkaskade selbst rückkoppeln und beeinflussen - hartnäckig von den meisten immer noch ignoriert, wage ich die prognose, dass der begriffpeak oiluns in den nächsten monaten immer häufiger begegnen wird. und damit auch die ausweglose situation der heutigen kapitalistischen ökonomie unterstreichen wird. eine aktuellepressemitteilungbringt es auf den punkt:
(...)"Die Zeit billigen Erdöls ist endgültig vorbei!
Der Ölpreis steigt und steigt und kaum jemand will etwas merken.
Die einmalige Talfahrt des letzten Jahres war noch eine Folge der Welt-Wirtschaftskrise, die ihre Ursachen in der Bankenkrise und im hohen Ölpreise hatte. Die Wirtschaftskrise hält nun immer noch an, die Ölnachfrage ist weiter auf niedrigem Niveau, aber der Ölpreis klettert innerhalb eines Monats sogar schon um 20 Dollar nach oben; seit Anfang des Jahres hat er sich fast verdoppelt. Das sind Preissteigerungen, wie wir sie nur vom extremen ersten Halbjahr 2008 kennen!
Der Ölpreis steht heute bei fast 70 Dollar pro Barrel, ein Wert, der vor drei Jahren noch als höchste Bedrohung der Weltwirtschaft betrachtet wurde.
Erneut werden als Ursache nur Spekulanten genannt, wobei wie immer übersehen wird, dass Spekulanten den Ölpreis nur dann nach oben treiben können, wenn Knappheit im Ölmarkt herrscht.
Jahrelang ist das Fördermaximum von Erdöl (Peak Oil) ignoriert worden. Noch immer unterliegen viele dem Irrglauben, dass die Welterdölproduktion ausgeweitet werden könnte. Eine Strategie „Weg vom Öl“ hätte schon vor Jahren begonnen werden müssen. Dass eine solche Strategie von der Bundesregierung nicht umgesetzt wird, zeigten auch die Verhandlungen um Opel.
Anstatt Opel konsequent umzukrempeln, so dass sie ihre Produktpalette ökologisch ausrichten müssen, setzt die Bundesregierung mit dem russischen Zulieferer Magna weiter darauf, CO2-Schleudern zu produzieren, die dem Klima schaden und auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind, als wäre Erdöl ewig verfügbar."(...)
wer sich diese realität in all ihren konsequenzen deutlich macht, kann bei allem derzeitigen "aufschwungs"-gerede nicht mal mehr müde lächeln, aber sich vielleicht fragen über das ausmaß von wahrnehmungsstörungen bis hin zur realitätsverweigerung bei den handelnden "eliten", aber nicht nur bei denen, stellen. antwortversuche auf solche fragen finden sich einmal mehr beimölschock-blog:
"Einer der Faktoren, die eine angemessene Reaktion auf die Krise der Industriegesellschaft so schwer machen, hat seine Ursache darin, wie tief diese Krise in unserem grundlegendsten Weltverständnis verwurzelt ist. Albert Einsteins berühmter Ausspruch, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind, war nie zutreffender als heute. In besonderem Maße gilt dies für viele der derzeitigen Versuche, dem nahenden Ölfördermaximum zu begegnen, die auf derselben Art von Logik beruhen, die uns erst in unsere heutige Zwangslage gebracht hat, und deren „Lösungen“ bestens geeignet sind, unsere Lage noch wesentlich schlimmer zu machen, als sie ohnehin ist.
Aus den Dutzenden guter Beispiele dafür, die sich jeden Tag in den Nachrichten finden, muss man unbedingt den wirtschaftlichen Rückschlageffekt herausheben, der durch den Versuch der US-Regierung, die strauchelnde ölbasierte Wirtschaft des Landes durch Ethanol am Leben zu erhalten, verursacht wurde. Je mehr Mais und anderes Getreide aus der Lebensmittelversorgung in Autotanks umgelenkt werden, desto höher steigen die Preise für Verbrauchsgüter, desto stärker kommt es zu inflationären Kettenreaktionen über die gesamten wirtschaftliche Nahrungskette hinweg und desto wahrscheinlicher wird es mittelfristig zu tatsächlichen Nahrungsmittelknappheiten kommen. Vor mehr als zwanzig Jahren wies William Catton in seinem bahnbrechenden Werk Overshoot darauf hin, dass Menschen während des Niedergangs der Industriegesellschaft gezwungen sein würden, mit ihren eigenen Maschinen um Ressourcen zu konkurrieren. Seine Voraussage ist heute bereits Realität.(...)
Durch die Entdeckung und Ausbeutung der planetaren Ölvorkommen ist der Menschheit ein unerwartetes Geschenk an mehr oder weniger gratis verfügbarer Energie in fantastischem Umfang in den Schoß gefallen, und jetzt setzen wir alles daran, diesen Gewinn so schnell wie möglich zu verfeuern. Angesichts des drohenden Rückgangs der Ölversorgung geht es nun nicht mehr darum, irgendein anderes Geschenk ebenso schnell zu verfeuern oder eine andere Art der Energieversorgung für eine Zivilisation zu finden, deren Weiterbestehen unauflöslich an einen gargantuesken Energieverbrauch gekoppelt ist, sondern darum, unsere Erwartungen und unsere Technologie so drastisch zurückzufahren, dass beides zu dem wesentlich bescheideneren Energieangebot passt, das uns in Zukunft aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung stehen wird."(...)
ich tendiere mittlerweile ebenfalls mehr und mehr zur position, dass die derzeitige weltwirtschaftskrise auch bereits die tatsache von peak oil widerspiegelt. und alle versuche des "mehr-desselben" und zurück zum bisherigen status quo machen die ganze situation von tag zu tag nur noch schlimmer. mit dieser haltung werden wir zwangsweise umwälzungen in dimensionen erleben, dass uns möglicherweise hören und sehen vergehen wird.
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letzteres wird aller wahrscheinlichkeit nach bereits kurz nach der wahl im september für große teile der hiesigen bevölkerung eintreffen, wenn man sich denn einmal anschaut, was bereits jetzt medial so an etlichen planungen sichtbar wird, wenn es daran geht, die große rechnung für all die banken"rettungen", neuverschuldungen und sonstigen geschenke an diverse kapitalisten zu präsentieren - aus dem katalog des heulens und zähneklapperns ragen für mich bisher deutlich hervor:
-die mehrwertsteuererhöhung: (...)"Um das Steuerloch zu stopfen, schlagen Forscher eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Man müsse die Bürger ehrlich auf das Kommende vorbereiten, sagen sie." das wörtchen "ehrlich" macht sich in solchen zusammenhängen immer gut, nicht wahr? und der folgenden sentenz werden wir gleich wieder begegnen: "Obwohl den öffentlichen Kassen bis 2013 fast 320 Milliarden Euro fehlen, sind Steuererhöhungen in der Politik derzeit ein Tabuthema."(...)
-die (erhöhte) praxisgebühr bei jedem (!) arztbesuch: klar, das gerangel und gezänk zwischen ärzteverbänden, krankenkassen und pharmaindustrie spielt hier eine rolle, aber ebenso die grundsätzlichen versuche, die medizinische versorgung ebenso zur ware zu machen wie alles andere. im hintergrund lässt sich dazu eine perfide form der selektion durch medizinische unterversorgung in den reihen des sog prekariats erahnen, aus elitärer sicht handelt es sich bei den betroffenen eh um zunehmend überflüssigere (und dazu potenziell störende) esser:
(...)"Hansen, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, hatte angeregt, für jeden Arztbesuch eine Praxisgebühr von fünf bis zehn Euro zu verlangen, für einen Facharztbesuch ohne Überweisung bis zu 25 Euro. Hansen sagte der Rheinischen Post, den Versicherten fehle das Empfinden dafür, welche Kosten sie verursachten. "Die Hemmschwelle, ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, ist immer noch niedrig."(...)
und das echo auf dieses kostensenkende gedankengut? (...)"Der Vorstoß des Ärztefunktionärs Leonard Hansen, die Praxisgebühr drastisch zu erhöhen, stößt im Bundesgesundheitsministerium und beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) auf entschiedenen Widerspruch. Auch die SPD lehnte den Vorschlag umgehend ab. "Wir halten von solchen Vorschlägen nichts und werden sie auch nicht aufgreifen", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, der FR.(...) Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Klaus Vater, betonte, es werde weder höhere Zuzahlungen noch eine höhere Praxisgebühr geben. Dieser Beschluss stehe "felsenfest".(...)
so "felsenfest" wie die eh schon erbärmliche höhe des
-"hartz-IV"-regelsatzes? (...)"Die Zeiten in den Bundeshaushalten stehen auf Sturm. Nach Berechnungen der Kieler Wirtschaftsforscher wird sich die Anzahl der Hartz IV Betroffenen im Jahre 2010 um 1,5 Millionen Menschen erhöhen. Das würde bedeuteten, dass die Anzahl der Leistungsempfänger nach dem SGB II von derzeit 4,9 Millionen auf 6,4 Millionen Menschen sich erhöhen würde. Der Kieler IfW-Finanzexperte Alfred Boss berechnete, dass die Ausgaben für "Hartz IV" des Bundeshaushaltes und der kommunale Kassen von derzeit 37,7 Milliarden auf 44,6 Milliarden Euro ansteigen werden. Der Wirtschaftsforscher legte sogleich nach und forderte den Hartz IV Regelsatz entsprechend abzusenken. Für Boss wäre es "unverständlich", "Hartz IV-Kürzungen für alle Zeit auszuschließen". Wenn das Lohneinkommen durch die ausufernde Kurzarbeit sinke, müssten die Renten und der ALG II-Regelsatz "in gewissem Maß gekürzt" werden, so der IfW-Finanzforscher. Der Finanzexperte Rainer Kambeck schloss sich dieser Einschätzung an und sagte gegenüber der "WAZ": "Wenn die Bruttolöhne je Beschäftigten, wie es die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren, sinken, müssten Renten und Hartz-IV-Satz gekürzt werden."(...)
und bei diesem thema hören wir im gegensatz zu den beiden oben schon eine mischung aus wahlpropaganda und ehrlichen ansagen:
"Bislang halten sich Union und SPD bedeckt und versprechen sogar, die Renten und damit auch den Hartz IV Regelsatz per Gesetz nicht sinken zu lassen. Doch so mancher CDU Politiker mag diese Wahllüge nicht teilen. So sagte der Berliner sozialpolitische Sprecher der CDU Fraktion Gregor Hoffmann: Aufgrund des prognostizierten Anstiegs der Arbeitslosigkeit sei "bereits zum heutigen Zeitpunkt klar, daß der Status Quo der Leistungsangebote nicht beibehalten werden kann".(...)
vor den wahlen also: "man" hält sich "bedeckt", äussert sich nicht zu "tabuthemen", hält nichts von "solchen vorschlägen" und verweist auf "felsenfeste" beschlüsse. das alles lässt nur das allerschlimmste nach den wahlen befürchten. bis dahin versucht sich besonders die sog. politische klasse, noch schwer angeschlagen aufrecht zu halten. und dürfte es spätestens am wahlabend mit der sog. müntefering-maxime halten, wonach es "unfair" sei, die koalitionsparteien an ihrem wahlkampfversprechen zu messen (ein zitat aus dem "tagesspiegel" vom 29.08.2006)
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unfair dürften es auch die aufsichtratsmitglieder des insolventen autozulieferers "karmann" in osnabrück empfunden haben, als ihnendieseswiderfuhr:
(...)""Wir lernen Französisch" - Lektion I: Bereits am 7. Mai hatten Arbeiter des insolventen Automobilwerks Karmann in Osnabrück eine Versammlung des Aufsichtsrates (also auch die Eigentümer) eingesperrt. Die Aktion war spontan. Etwa 400 Arbeiter sollen sich beteiligt haben. Die Aktion war mit einer Arbeitsniederlegung verbunden. Das Zufahrtstor zur Eigentümerversammlung wurde dabei mit Kabelbindern verriegelt. Es kam zu einem Polizeieinsatz. Der Polizeibericht ist online nicht mehr einsehbar.(...)
Hintergrund des Protestes sind die Massenentlassungen beim Osnabrücker Autozulierer Karmann und die von den Gesellschaftern betriebene vorsätzliche Insolvenz um ihre Profite in der Krise zu sichern.
Fast 1900 Arbeiter sind von der Entlassungswelle betroffen, insgesamt sind es über 3000 die durch die Insolvenz und Entlassungen ihren Arbeitsplatz bedroht sehen. Vielen droht Hartz IV."(...)
schweigen im (medialen) walde.
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ähnlich wie bei den folgenden szenen aus spanien:
denn immer dann, wenn sich solche szenen nicht den üblichen "jugendlichen autonomen krawallmachern und randalierern" unterschieben lassen, bricht eine beredte schweigsamkeit aus - man möchte die herde hierzulande ja nicht auf dumme gedanken kommen lassen. zu denhintergründen der riotsin vigo schreibt das labournet:
"Galizien ist eine Region, deren Menschen schon lange daran gewöhnt sind, dass die kapitalistische Marktwirtschaft ihnen keine Perspektiven mehr bieten kann: die Werften sind das naheliegendste Beispiel. In der aktuellen Metalltarifrunde hatten die Unternehmer nur ein Angebot: Keinen neuen Tarifvertrag. Löhne also einfrieren, Arbeitszeiten unbestimmt lassen, so lautet das konkret - im übrigen das weltweit bekannte Kürzungspaket. Die Streikbewegung begann Anfang Mai in den kleineren und mittleren Metallbetrieben - die großen, wie etwa Citroen oder die Werften, haben eigene Tarifverträge. Dem begegneten die Arbeiter mit der Entsendung von Massendelegationen zu den Werkstoren, um Solidaritätsaktionen den Weg zu bahnen, was zunächst bei den Werften schneller passierte, im Verlauf der Tage kam es aber auch bei Citroen zu Aktionen. Der Isolierung in kleineren Betrieben - und im Angesicht der faktischen Nachrichtensperre der Kommerzmedien - begegneten die Belegschaften mit öffentlich zugänglichen Betriebsversammlungen auf Straßen und Plätzen der Stadt, die die ganze Zeit seit Beginn der Auseinandersetzung 10.000 und mehr TeilnehmerInnen hatten. Die offizielle gewerkschaftliche Taktik der drei großen beteiligten Gewerkschaften (Arbeiterkomissionen, UGT und die regionale CIG) liess sich nicht wirklich durchhalten. Seit dem 8. Mai - als Proteste am Bahnhof mit heftigen Repressionsversuchen zu kämpfen hatten - kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der offizielle Anlaß war die Tatsache, dass die Strassenversammlungen immer auch Verkehrsblockaden bedeuteten. Aber selbst eine kurze Nachrichtenschau aus Spanien zeigt in diesen Tagen, dass quer durchs Land Protesten und Widerstandsaktionen nur noch mit Polizeigewalt begegnet wird, egal wie der konkrete Anlaß jeweils genannt wird. Anfang Juni haben sich nun die Auseinandersetzungen verschärft, weil die Belegschaften einerseits dazu übergingen, die Betriebe zu blockieren und andererseits der Polizeirepression Widerstand zu leisten - was dann natürlich auch die Medienwirtschaft mobilisierte."(...)
solche und viele andere in vergangenen news dokumentierte berichte machen eines ganz deutlich: die sozialen verwerfungen schreiten in vielen ländern in einem tempo und mit ausmassen fort, von dem sich die meisten menschen hierzulande immer noch keinen begriff machen.
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der seit monaten drohende bankrott des us-bundesstaates kalifornien war in vergangenen news immer wieder thema (z.b.meet the borderline states); jetzt ist aber offensichtlich endgültigende im gelände:
(...)"Unser Geldbeutel ist leer, unsere Bank ist geschlossen, unser Kredit ist aufgebraucht."
Tatsächlich steht der einst so wohlhabende US-Bundesstaat vor der Pleite. Das Haushaltsdefizit beträgt nicht weniger als 24,3 Milliarden Dollar. Wenn Kaliforniens Parlament bis zur Mitte des Monats keinen Sparhaushalt verabschiedet, dann müssen die Behörden des Bundesstaates nach Berechnungen des kalifornischen Finanzministers spätestens am 29. Juli ihre Zahlungen einstellen."(...)
auch die absehbaren folgen hatte ich schon früher kommentiert, inzwischen sind die dimensionen noch sichtbarer:
(...)"Die Sozialhilfe für eine halbe Million Familien soll ersatzlos gestrichen werden. 38.000 Strafgefangene können auf ihre vorzeitige Entlassung hoffen. 220 staatliche Parks sollen schließen. Die CalGrants - eine Art Bafög - würden auslaufen. Den Schulen sollen 5,2 Milliarden Dollar gestrichen werden. In Los Angeles zum Beispiel wurden vorsorglich schon 1000 Lehrer gefeuert und alle Aktivitäten während der mehr als zwei Monate währenden Sommerferien gestrichen: 200.000 Kinder stehen dort nun auf der Straße. Fast alle Sparmaßnahmen gingen zu Lasten ärmerer Kalifornier."(...)
und letzteres dürfte bei der globalen "krisenbewältigung" bisher die allgemeine regel sein. wenn nicht endlich... aber auch das thema hatten wir schon häufiger. jedenfalls darf der terminator dann von sich behaupten, seinen namen zu recht zu tragen.
(...)"In dem knappen Jahrhundert der GM-Unternehmensgeschichte konnte man „GM“ auch mit „General Money“ übersetzen. Der Konzern machte Profite, wo und wie irgend möglich. Charles Edward Wilson war in den 1940er Jahren Vorsitzender des General-Motors-Verwaltungsrats und der Leiter der US-Heeresverwaltung im Zweiten Weltkrieg. Sein legendärer Spruch lautete: ″Was gut für General Motors ist, ist auch gut für die USA″.
Tatsächlich verdiente GM im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten: Als Hersteller von Rüstungsgütern und Jeeps für die US-Armee. Und als Lieferant für die Nazi-Armee. Die GM-Tochter Opel in Deutschland mit Werken in Rüsselsheim und Brandenburg lieferte – wie die Ford-Werke in Köln und bei Berlin – den Nazis ohne Zwang und unter einem von GM in Detroit bestimmten Management kriegswichtiges Material. Unter Anspielung auf die Debatte über die Rolle der Schweiz bei der NS-Unterstützung schrieb der US-Historiker Bradford C. Snell: „Die Nazis hätten ohne Hilfe der Schweiz in Polen und Russland einmarschieren können. Ohne General Motors wäre das nicht gegangen.“
Die Nazi-Wehrmacht bezog 85 Prozent ihrer Militär-Lkw von Ford und GM. In der Studie von B.C. Snell heißt es: “Von 1939 bis 1945 produzierte die GM-Tochter in Rüsselsheim 50 Prozent der Antriebssysteme für die JU-88 ... den wichtigsten Bomber der Luftwaffe. Das Rüsselheimer Werk produzierte auch zehn Prozent der Antriebssysteme für die Me-262, den ersten Kampfbomber mit Düsenantrieb (Strahltriebwerk), das wohl wichtigste Kampfflugzeug der Nazi-Armee“. Die Studie trägt den Stempel des US-Senats und stammt vom 26. Februar 1974 („American Ground Transport“).
Nicht nur – wie gelegentlich berichtet - Henry Ford, auch der Vize-Chef von GM, James D. Mooney, erhielten Ende der dreißiger Jahre für ihre Verdienste um die NS-Wirtschaft den höchsten Nazi-Orden, der Ausländern gegeben werden konnte: das „Verdienstkreuz des Ordens vom Deutschen Adler Erste Stufe“.
eine art us-pendant zukruppalso, ein konzern, der im ersten weltkrieg doppelt kassierte. ich frage mich, wie bekannt diese geschichte in den usa wohl sein mag. denn dann würden sich die aktuell betroffenenvielleicht ein paar grundsätzliche gedanken mehr zu ihrer situation machen:
(...)"Im Zuge der Roßkur sollen weltweit an die 35000 Arbeitsplätze verschwinden gehen, übrig blieben weniger als 200000. Laut New York Times müssen vor allem gewerkschaftlich Organisierte gehen. Mehr als 20000 Mitglieder der UAW könnten sich demnach bald auf der Straße wiederfinden, was bei einem »mit der Gewerkschaftsbewegung verbündeten demokratischen Präsidenten« nicht realisierbar wäre, so das Ostküstenblatt. Zudem muß die Gewerkschaft die Hälfte ihres Krankenversicherungsfonds, ursprünglich 20 Milliarden US-Dollar wert, gegen Aktien tauschen. Außerdem gebe es Überlegungen, »zwölf bis 20 Fabriken« zu schließen. Das Händlernetz soll massiv ausgedünnt werden, nahezu 40 Prozent aller 6000 GM-Autohäuser könnten betroffen sein. Schätzungen der Agentur MarketWatch zufolge würden an die 250000 Menschen aufgrund der Insolvenzen von GM und Chrysler ihre Arbeit verlieren."(...)
"proletarier aller länder, vereinigt euch!" nötig fände ich eher: "verarschte und ver-/ geblendete aller länder, lernt um himmelswillen endlich wahrzunehmen, was in, mit und um euch herum eigentlich passiert".
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hatte ich in einer der vergangenen news noch die (globale) mafia als eine der krisengewinner bezeichnet, so muss ich das offensichtlich hinsichtlich derjapanischen niederlassungder ehrenwerten gesellschaft korrigieren:
(...)"Jahrzehntelang waren Drogen, Glücksspiel, Schutzgelderpressung und Prostitution auch in Japan die Haupteinnahmequellen der organisierten Kriminalität. Doch nun werfen die Yakuza erstmals seit ihrem Bestehen hunderte Mitglieder hinaus, weil diese den geforderten Beitrag an ihr jeweiliges Kartell nicht zahlen können. Der Grund dafür scheint zunächst absurd: Es ist die Wirtschaftskrise. Wie kommt es dazu?
Wie die Camorra in Neapel oder die 'Ndrangheta in Kalabrien erlebten die Gruppen der japanischen Yakuza nach dem Zweiten Weltkrieg einen stetigen Aufschwung. Misha Glenny, britischer Journalist und Buchautor, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen. Er bescheinigt den genannten Gruppen sogar eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Kommunismus, den die USA unterstützt hätten.(...)
Sowohl die Yakuza in Japan als auch die Mafia in Italien sind in ihren Strukturen traditionalistisch geprägt. Plötzlich bekamen sie Konkurrenz in Gestalt von russischen, bulgarischen und anderen Mafiosi, die ihre Mitglieder aus arbeitslos gewordenen Angehörigen des Militärs und des Sicherheitsapparats rekrutierten. Diesen neuen Organisationen war nicht mehr die Loyalität gegenüber der „Familie“ am wichtigsten, sondern der Profit. So schnell und so viel wie möglich, berichtet Misha Glenny. Deshalb reagierten die Yakuza mit einer Abkehr von den Idealen der Samurai – Mut, Opferbereitschaft und Loyalität –, auf die sie sich traditionell berufen, und orientierten sich an den Gesetzen des Marktes."(...)
also eigentlich ein terrain, in dem die ureigendsten "tugenden" aller mafiösen organisationen zur geltung kommen. müsste nicht gerade ihnen dieses milieu besonders zusagen?
"Die Gangster konzentrierten sich daher statt auf Glücksspiel und Drogen vermehrt auf legale Geschäfte wie Aktien und Immobilien. Sie gingen auch mit eigenen Unternehmen an die Börse. Damit scheffelten die Yakuza bis vor eineinhalb Jahren Milliarden. Dem japanischen Yakuza-Experten Tomohiko Suzuki zufolge haben die einzelnen Yakuza-Gruppierungen heute rund 83.000 Mitglieder und besitzen etwa 50 Unternehmen, die an den Börsen in Tokio und New York notiert sind.
Nun trifft sie die Krise genauso wie „klassische“ Unternehmer und Anleger. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet von alten Kämpfern, die sich nach dem Yakuza-Ethos von früher sehnen: „Die heutige Geldversessenheit der japanischen Mafia ist falsch.“
ein satz zum einrahmen und an die an die wand hängen, wie ich finde - die mafia beschwert sich über mafiöses treiben, und das wirft durchaus ein grelles, wenn auch sicher unfreiwilliges licht über die grundstruktur des globalen "freien marktes" als kernelement des kapitalismus. und ebenso sagt es einiges über seine verteidiger aus.
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in aller kürze - das krisentelegramm + osteuropa ist eine besondere krisenregion, darin das baltikum nochmal besonders gebeutelt - und jetzt verdichten sich die anzeichen dafür, dasslettlandbald als erstes den finanziellen löffel abgibt: "Die lettische Regierung ist mit dem Versuch, Staatsanleihen an Investoren zu verkaufen, gescheitert. Das nährte Spekulationen an den Finanzmärkten, das einst boomende Land im Baltikum müsse seine Währung bald abwerten." eine solche fehlgeschlagene auktion von staatsanleihen darf als alarmzeichen allerersten ranges betrachtet werden + griechenland, die chronik der laufendenanschläge..."Ein Sprengstoffanschlag wurde gegen 3.00 Uhr in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gegen das Finanzamt des Athener Vorortes Psychiko an der Kifissias Straße 256 verübt. Durch die Explosion entstanden leichte Sachschäden an der Fassade des Gebäudes. Verletzt wurde niemand."...wird fortgeführt: "Unbekannte Täter haben in der Nacht mehrere Brandflaschen auf den Eingang einer Polizeistation der Athener Vorstadt Melissia geschleudert. Fast zeitgleich zündeten Unbekannte mehrere Gasflaschen vor drei Bankfilialen in der griechischen Hauptstadt. Dabei entstanden nach Angaben der Feuerwehr erhebliche Schäden." + währenddessen werden aus den usa über33 millionen bezieher von lebensmittelkartenvermeldet. das sind dimensionen, die sprachlos machen + ganz soweit sind wir hierzulande (noch) nicht, auch wenn sich inzwischen die summe der freigesetzten vonmeldung..."Die Wadan-Werften in Wismar und Rostock sind zahlungsunfähig. Seit einem Jahr ist das Unternehmen mehrheitlich in russischer Hand, jetzt hat es einen Insolvenzantrag gestellt. Tausende Arbeiter sind betroffen."...zumeldungmehr erahnen lässt: "Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat den Güterverkehr auf der Schiene im ersten Quartal 2009 kräftig nach unten gezogen. Von Januar bis März wurden im deutschen Schienennetz 74,7 Millionen Tonnen Güter transportiert und damit 21,2 Prozent weniger als vor einem Jahr." haben all die schwätzer vom baldigen aufschwung womöglich nur die kommenden erwerbslosenzahlen gemeint? + die bilden heute auch das allerletzte, genauer gesagt die tricks, mit denen die offiziellen zahlen generiert werden. die lassen sich komprimiert in diesemvideobetrachten. und wer da meint "alles nix neues", sollte sich nach dem grad seiner bzw. ihrer abstumpfung fragen +
das einladende motto der überschrift in den heutigen krisennews lässt sich trefflich als parole der stunde all der psychophysischen mutanten verstehen, die rund um den planeten an den finanzmärkten und börsenwettbüros dabei sind, mehr oder weniger fröhlich, aber in jedem fall offensichtlich unbeeindruckt, die nächsten blasen und quitschebunten ballons voller heisser luft aufzupumpen - auf das ihr spiel ewig weitergehe. was es nicht tun wird, und eingeladen sind eh nur dumme, aber dafür solvente, mitspieler. primär ihnen, aber sekundär auch all jenen statisten in den verschiedenen bevölkerungen rund um die welt, die ebenfalls nur weiter ihre kleinen ballons im sog. privatleben aufblasen möchten, ist der folgende song gewidmet (der nebenbei sicher auch den fans des gepflegten easy listenings freude bereiten wird):
wir werden am ende noch sehen, was das letzte schicksal jedes ballons ist, egal ob klein oder groß.
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global I: europäischer "thinktank" leap attestiert "eliten" totalen realitätsverlust - "die welt verlässt endgültig ihren seit 60 jahren gültigen bezugsrahmen"
global II: szenarios der weiteren krisenentwicklung
china: diverses zur ökonomischen situation und zur lage der wanderarbeiterInnen
japan: in der depression
spanien: generalstreik im baskenland
großbritannien: zur ökonomischen krise gesellt sich eine schwere politische systemkrise
in aller kürze: usa - erwerbslosenzahlen steigen weiter / deutsche manager beschweren sich öffentlich über (angedrohte) gehaltsbeschränkungen / griechenland: anschlagswelle hält unvermindert an
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die regelmäßigen bulletins aus der europäischen "denkfabrik" leap waren hier schon öfter (kommentiertes) thema; das neuestegeabenthält nun ein paar weitere bemerkenswerte einschätzungen der aktuellen lage:
"Die Entwicklung an den Aktienmärkten und bei den Finanzindizes sowie die Kommentare aus der Politik zur Krise und ihrer Bewältigung während der letzten zwei Monate sind surreal; wir erhören den Schwanengesang des Bezugssystems, in dem die Welt seit 1945 lebt.(...)
Heute stellen wir die Behauptung auf: In diesem Frühjahr 2009 hat die Welt das Koordinatensystem verlassen, mit dessen Hilfe sich die Entscheider in Wirtschaft, Finanzen und Politik in einem gegebenen Bezugsrahmen orientieren konnten. Dies gilt insbesondere, weil seit dem Zerfall des Ostblocks 1989 dieses Koordinatensystem ausgedünnt und auf die USA konzentriert wurde. Es war damit schon seit vielen Jahren nur noch bedingt in der Lage, die Wirklichkeit abzubilden. Nun aber, genauer ab dem Sommer 2009, navigieren die Entscheider in terra incognita. Das bedeutet, dass alle Orientierungshilfsmittel, alle Indikatoren, die bisher genutzt wurden, um Entscheidungen zu treffen über Investitionen, Rentabilität, Unternehmensansiedlungen, Eingehen von Joint venture etc., ihre Aussagekraft verloren haben. Sie funktionierten ausschließlich im bisherigen Koordinatensystem.(...)
Diese Entwicklung hat sich in den letzten Monaten unter der Wirkung von zwei wichtigen Trends verstärkt:
- Zum einen haben die verzweifelten Versuche zur Rettung des globalen Finanzsystems, und insbs. ihrer britischen und amerikanischen Bestandteile, wesentlich dazu beigetragen, die bisher noch verläßlichen „Navigationsinstrumente“ zu zerschlagen; sie wurden durch die verschiedenartigsten Manipulationen, die die Banken, die Regierungen und die Zentralbanken vornahmen, unbrauchbar und tragen nun mit ihren widersprüchlichen oder inkohärenten „Messergebnissen“ sogar noch zur Verunsicherung bei. Die Aktienmärkte sind dafür das beste Beispiel. Bisher galten sie noch als Indikatoren über den Zustand der Wirtschaft. Heute zweifeln alle, dass die Kurssprünge der letzten Wochen eine verläßliche Aussage über die Wirtschaftsentwicklung vermitteln könnten.(...)
- Zum anderen haben die astronomischen Summen, die in nur einem Jahr in das globale Finanzsystem und insbesondere in die US-Banken gepumpt wurden, dazu geführt, dass die Banker und Politiker den Bezug zur Realität vollständig verloren haben. Man hat den Eindruck, dass sie alle von der Taucherkrankheit befallen sind, bei der der Taucher das Gefühl für oben und unten verliert und statt, wie beabsichtigt, aufzusteigen, immer tiefer abtaucht. Die Geldkrankheit scheint identisch auf das Gehirn und den Organismus zu wirken."(...)
im großen und ganzen kein widerspruch, außer an den folgenden punkten: die notorische implizite verharmlosung der europäischen (finanz- und wirtschafts-) politik stellt in vielen bulletins von leap ein immer wiederkehrendes ärgernis dar, und darüber hinaus könnten die leap-leute ihre letztgenannte symptomfeststellung gerade an diesem punkt auch auf sich selbst anwenden. und das konstatierte wegfallen des "bisherigen bezugsrahmens" würde ich nicht grundsätzlich als etwas schlechtes ansehen, wenn man sich deutlich macht, was für monströse verbrechen innerhalb dieses rahmens immer und immer wieder vonstatten gingen und gehen. interessant finde ich aber die focussierung auf die "elitäre" wahrnehmung, wie sie auch im weiteren verlauf der zusammenfassung durchscheint:
(...)"Es bleibt natürlich jedem belassen, aus irgendwelchen monatlichen Abweichungen irgendwelcher Wirtschafts- oder Finanzindizes um ein oder mehrere Prozentpunkte rauf oder runter, die darüber hinaus auch noch von staatlichen oder Banken-Interventionen beeinflusst wurden, mehr über die Entwicklung der gegenwärtigen Krise ablesen zu wollen als aus Vergleichen mit Entwicklungen, die mehrere Jahrhunderte abdecken, und die nachweisen, dass eine solch Situation ein Novum ist. Natürlich ist auch jedem belassen zu glauben, dass die, die weder die Krise noch ihr Ausmaß vorher zu sehen vermochten, heute in der Lage sind, vorher zu sehen, wann die Krise überwunden sein wird.
All denen empfehlen wir aber, sich den Film « Matrix » zu Gemüte zu führen und sich Gedanken darüber zu machen, wie verzerrend und irreführend eine Umgebung wahrgenommen wird, wenn alle Wahrnehmungsmöglichkeiten und Sinnesorgane manipuliert wurden."(...)
da steckt durchaus einiges an realität drin; und mir ist beim lesen eine notiz aus dem jahr 2005 wieder eingefallen, in der ich ebenfalls bezug auf die "matrix" genommen habe -"...im Moment ist es sicherer, in eine virtuelle Wirtschaft zu investieren". die doppelbödigkeit der botschaft im zitat (ich empfehle auch nochmals die lektüre des verlinkten artikels, in dem das zitat am schluß steht) wird dann sichtbar, wenn man sich ihre hintergründe betrachtet: erstens gehörte 2005 noch zu den jahren des "aufschwungs", in denen allerseits kräftig all jene blasen produziert wurden, deren kollaps wir heute erleben. zweitens war der (kurzlebige) boom von online-welten wie"second life"bekanntlich anlaß für diverse prophezeiungen von zukünftiger zunehmender verlagerung auch wirtschaftlicher aktivitäten ins virtuelle; drittens waren letztgenannte prognosen in gewisser hinsicht durchaus realistisch (aber ganz anders als gedacht), wenn man sich die explosion quasi-virtueller finanz"produkte" und -konstrukte verdeutlicht (für die das obige zitat ebenfalls stehen kann), deren zunehmend heftigeren wirkungen in der realität einmal mehr deutlich machen, dass virtuelle welten (aka simulationen) nie und nimmer "unabhängig" von der authentischen realität existieren können (genau dieser trugschluß stellt sich bei einzelnen individuen oft genug in symptomen dar, die die definition der "beeinträchtigten wirklichkeitserfassung" erfüllen, eine zulässige klinische definition des wahnsinns).
ich assoziiere natürlich wieder mal, wobei mir der hintergrund der virtualität bei den ursachen der laufenden krise durchaus allgemein zu kurz kommt - da ich bei den handelnden akteuren aus politik & ökonomie mehrheitlich eine krankheitswertige dominanz objektivistischer innerer strukturen annehme, ist die ständige konstruktion virtueller "welten" als eine art der zwangsläufig fehlschlagenden versuchten realitätsbewältigung etwas, was nicht nur zur aktuellen beigetragen krise hat, sondern bis dato - und nichts anderes drückt das leap-bulletin im letzten zitat für mich aus - auch die versuche dominiert, sie zu "lösen". dabei halte ich die unterschiede zwischen den expliziten spiel-welten, wie sie 2005 thema waren, und den virtuellen sphären der finanzwelt lediglich für quantitativ; strukturell sehe ich hingegen sowohl bei denjenigen, die in ersteren in sachen persönlicher "wertschöpfung" aktiv sind und waren und den letzteren, die täglich an den sog. börsen ihre wetten u.a. auf sinkende oder steigende kurse abschließen, keinen großen unterschied.
"...would you like to ride in my beautiful balloon?"
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zu den bereits im geab angesprochenen "surrealen" (oder auch lächerlichen) angeblich positiven entwicklungen primär an den börsen hattetomasz koniczschon anfang mai u.a. angemerkt:
(...)"Die wiedererwachte Kauflust an den Aktienmärkten basiert laut Bloomberg »auf der Spekulation, daß die längste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg bald enden« werde. Doch nicht alle Marktteilnehmer sind dem irrationalen Kaufrausch verfallen. So zitierte Bloomberg die Ergebnisse einer Analyse der Informationsagentur »The Washington Service«, die sich darauf spezialisiert hat, Finanzinformationen an institutionelle Anleger zu verkaufen. Demnach würden Insider aus US-Konzernen, also Mitglieder der Führungselite, seit Beginn der Kurseinbrüche ihre Aktien im »schnellsten Tempo« auf den Finanzmärkten abstoßen.
Konkret haben die Vorstandsmitglieder und Direktoren von börsennotierten US-Unternehmen im Verlauf des April – der eigentlich durch starke Kurssteigerungen gekennzeichnet war – Aktien im Wert von 335 Milliarden US-Dollar veräußert. Diese Verkäufe waren demnach um den Faktor 8,3 größer als deren Aktienkäufe. Dies sei ein »Warnsignal«, da die Insider für gewöhnlich »mehr Informationen über ihre Unternehmen zur Verfügung haben als irgend jemand anders«, erläuterte der Analyst William Stone vom Finanzdienstleister PNC Financial Services Group gegenüber Bloomberg.
Der Analyse des »Washington Service« zufolge nahm der Insiderhandel bereits ein Ausmaß wie im Oktober 2007 an. Damals hatte der Börsenhandel seinen Höhepunkt überschritten und setzte zu einem Sturzflug an, der die »Hälfte des Marktwerts der US-Unternehmen« vernichtet hat."(...)
diese info zusammen mit einem realistischen blick auf die allgemeine wirtschaftliche lage sollte eigentlich ausreichend sein, die wöchentlich als "hoffnungsschimmer" bejubelten derzeitigen kursgewinne an vielen börsen richtig einordnen zu können. und generell ist bei allen derzeitigen "erfolgsmeldungen", die das "ende des abschwungs" verkünden, dreierlei zu beachten: einmal verläuft auch eine ökonomische depression dieses kalibers - wie ein blick auf die (bisherige) "great depression" der 1930er jahre klarmacht - in kurzfristigen (vielleicht ebenfalls zyklischen) auf- und abwärtsbewegungen, die sich dann in den diversen ökonomischen daten wiederspiegeln, bei allerdings grundsätzlicher tendenz aller relevanten daten nach unten. zweitens spricht - wie schon in vielen früheren news thematisiert - etliches dafür, dass wir uns nicht nur in einer "reinen" ökonomischen krise, sondern einer ganzen krisenkaskade befinden, die durch das zusammentreffen und gegenseitige durchdringen von wirtschaftskrise, ressourcenverknappung, ökologischer krise und dem allgemeinen zerfall der sozialen basis bzw. der entsprechenden menschlichen fähigkeiten, die diese basis größtenteils ausmachen, in (zu) vielen gesellschaften rund um den globus gekennzeichnet ist. und die aus diesem zusammentreffen resultierende umfassende systemkrise wird gerade bei den primär aufs "ökonomische" focussierten analysen schlicht abgespalten. und drittens spielt auch etwas eine rolle, was sich alsbewusste manipulationzwecks systemerhalt bezeichnen ließe:
"Wenn die Wirtschaftsleistung, der Export oder die Erwartungen an die Zukunft tief abgestürzt sind, wie jetzt, dann kommt einfach der Punkt, der als Talsole bezeichnet wird und von wo aus der Absturz aufhören muß, wenn nicht alles den Bach heruntergehen soll. Das ist genau der Augenblick, in dem von interessierter Seite aus den kleinsten Zacken nach oben frohe Botschaften gezimmert werden, die die Psychologie auf Aufschwung einstellen sollen. Eigentlich ist es ein durchsichtiges Spiel. Doch wer kann es den Menschen verargen, daß sie nach so vielen schlechten Nachrichten nun bereit sind, einigen positiv klingenden Vertrauen zu schenken?"(...)
nun, verstehen lässt sich dieser "mechanismus" sicher - aber die akzeptanz sollte im ganz eigenen interesse keinesfalls vorhanden sein. je mehr die situation schöngefärbt wird, desto schwerer werden nicht nur die anstehenden umwälzenden veränderungen fallen, sondern auch die negativen effekte werden sich durch die quasifluchten in rosarote virtuelle horizonte derart verstärken, dass die zerstörerischen kräfte der verschiedenen krisen am ende jeden ansatz zu positiven veränderungen zunichte machen könnte. an diesem punkt wäre angemessene angst und daraus resultierende grundsätzliche unruhe eigentliche erste "bürgerInpflicht".
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ein grundsätzlich interessanter versuch,drei szenariender weiteren entwicklung der wirtschaftskrise zu skizzieren, leidet dabei meiner meinung nach an der oben erwähnten focussierung mit nachfolgender abspaltung anderer krisenbereiche; nichtsdestotrotz ist er für eine diskussion durchaus brauchbar:
(...)"Für den weiteren Verlauf der Krise und ihre politische Verarbeitung sind drei idealtypische Szenarien vorstellbar.
Im ersten Szenario tritt eine schnelle Erholung ein. Die Krise endet noch in diesem Jahr und ihr folgt – wie auf die Asienkrise Ende der 1990er Jahre und die New Economy Krise ab 2004 – ein schneller und kräftiger Aufschwung. Dann würden – wie in den beiden vorangegangenen Fällen – der Finanzmarktkapitalismus weiter gestärkt und jede Konzeption einer weiterreichenden politischen Intervention – oder einer »neuen internationalen Finanzarchitektur« – in der Versenkung verschwinden, bereits ergriffene Reformschritte rückgängig gemacht und die Deregulierung fortgesetzt.
Den Eintritt eines solchen Szenarios halte ich jedoch für sehr unwahrscheinlich. Hiergegen sprechen die Gleichzeitigkeit und Heftigkeit der Rezessionen in den Industrieländern sowie die anhaltende Unsicherheit auf den Finanzmärkten. Die Regierungen aller großen Länder und alle internationalen Organisationen gehen davon aus, daß die Krise nicht schnell in einen Aufschwung umschlagen wird und daß daher großer politischer Handlungsbedarf besteht."
das im letzten satz genannte argument impliziert gleichzeitig, dass die "eliten" ihrer eigenen propaganda nicht trauen - und das bezweifle ich zumindest teilweise. ansonsten halte ich das szenario gleichfalls für unwahrscheinlich, wenngleich aus weiteren und anderen gründen.
"Das zweite Szenario geht von dem entgegengesetzten Fall aus: Die Finanzkrise führt zu einer massiven Beeinträchtigung der Basisfunktionen des Finanzsystems – Zahlungsverkehr, Einlagensicherung und Kreditversorgung –, und die Rezession weitet sich zu einer anhaltenden Depression mit Massenentlassungen, Arbeitslosenraten von 20 Prozent und mehr sowie massiv steigender Armut aus. Dieser Fall wird in einem relevanten Teil der öffentlichen Diskussion durchaus als realistisch angesehen, der behauptet, die Krise habe gerade erst begonnen und der eigentliche Zusammenbruch stehe noch bevor. Der Eintritt eines solchen Szenarios würde vermutlich dramatische politische Folgen haben, die allerdings nicht in Richtung auf mehr Demokratie und sozialen Fortschritt zielten. In Europa würde er vermutlich einerseits zu einem schnellen Zerfall der Europäischen Union führen und andererseits autoritärere Formen der Intervention zur Rettung des Systems befördern: Das würde einen härteren Abbau des Sozialstaats und verstärkte Versuche zu internationaler Expansion bedeuten. Zur längerfristigen Stärkung des Systems könnte es überdies zu einer neuen Welle massiver und längerfristiger staatlicher Interventionen kommen, zu denen nicht nur Investitionsprogramme in die Infrastruktur, sondern auch strategische Verstaatlichungen zur Stärkung der jeweiligen nationalen Wirtschaft und zur Unterstützung ihrer internationalen Positionen gehören. Mit demokratischer Wende hätte das nichts zu tun. Es ist zu vermuten, daß die Sozialdemokratie dabei mit von der Partie wäre, und die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, daß viele Gewerkschaften sich in eine solche autoritär-etatistische Strategie korporatistisch einbinden ließen.
Auch den Eintritt dieses Extremszenarios eines ungebremsten Absturzes der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft halte ich jedoch für unwahrscheinlich. Zum einen erzielen die großen Schwellenländer, vor allem China und Indien, aber auch Brasilien und Argentinien, die zwar auch vom Abschwung betroffen sind, immer noch erhebliche Wachstumsraten und bremsen den weltweiten Absturz. Zweitens wird auch in den großen Industrieländern in absehbarer Zeit ein neuer Zyklus von Ersatzinvestitionen einsetzen, die die Unternehmen trotz Krise vornehmen müssen, um überhaupt im Geschäft zu bleiben. Drittens stehen den Regierungen heute erheblich mehr und wirksamere wirtschaftspolitische Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung als damals. Wenn die Rezession sich weiter vertieft, werden vermutlich weitere und umfangreichere Konjunkturprogramme aufgelegt werden, die letztlich die Lage stabilisieren werden."(...)
das ist nun ein szenario, welches weitgehend den prognosen von leap und anderen entsprechen würde. und während ich das - leider - für weitgehend realistisch gezeichnet halte, finde ich die gründe des autors, die er für das nichteintreffen anführt, nicht fundiert. erstens sind die aktuellen meldungen und daten aus ländern wie china (s.u.) und auch brasilien alles andere als positiv (wenn man denn "wachstum" noch als positiv begreifen will); zweitens aber werden dynamische rückkoppelungseffekte, wie sie bspw. peak oil in einem eventuellen "aufschwung" bewirken würde, überhaupt nicht berücksichtigt. drittens werden auch die bereits jetzt vorhandenen und sich tag für tag verschärfenden verwerfungen im sozialen mit ihrem immer wahrscheinlicher werdenden übergreifen auf das sog. "politische" (s.u. das beispiel großbritannien) ebenfalls nicht gesehen. desweiteren wird bei den nicht zitierten zugehörigen gründen der als-ob-charakter besonders der jüngsten bank"gewinne" nicht als solcher wahrgenommen, und das erscheint mir bei einem autor dieses kalibers schlicht unverständlich. was ist also sein drittes szenario?
(...)"Aus diesen Gründen erscheint mir ein drittes Szenario am realistischsten. Die Krise wird zunächst anhalten und sich möglicherweise noch vertiefen, ohne jedoch in einen Absturz überzugehen. Sie mündet dann in eine Stagnationsphase ein, die nach einigen Jahren von einem schwachen Aufschwung abgelöst wird, in dem die fälligen und unverzichtbaren Ersatzinvestitionen die Führung übernehmen. Der weitere Anstieg der Arbeitslosigkeit wird – auf hohem Niveau – gestoppt. Für die Finanzmärkte geht das Szenario davon aus, daß die Unternehmen eine Wiederholung der spekulativen Exzesse der vergangenen Jahre in mittlerer Frist vermeiden. Möglicherweise werden auch die sehr bescheidenen Ergebnisse des G-20-Gipfels vom April 2009 in London dazu beitragen, hemmungslose, abenteuerliche und betrügerische Finanzakrobatik zurückzudrängen."(...)
neben einer überbewertung der handlungsfähigkeiten der "g20"-staaten (die sich allesamt im widerspruch zwischen gemeinsamen interesse an der erhaltung des status quo bei gleichzeitigem innerkapitalistischen konkurrenzgerangel befinden), muss ich hier nochmals die nichtberücksichtigung der diversen schon sichtbaren rückkoppelungseffekte kritisieren - eine weltweite und anhaltende erwerbslosigkeit auf hohem niveau - drastischer als heute, mit allen zugehörigen wirkungen - muss zu immensen sozialen verwerfungen führen, auf die sich die "eliten" - wie in vergangenen news aufgezeigt - bereits mit ihren repressionsapparaten vorbereiten. soziale destabilisierungen im globalen maßstab aber werden neben den auswirkungen von peak oil und anderen ressourcenknappheiten jeden noch so schwachen "aufschwung" gründlich und rasch abwürgen, mit jeweils weiteren eskalierenden rückkoppelungseffekten.
insgesamt ein schönes beispiel dafür, was bei der konstruktion einer "rein ökonomischen" struktur ohne einbettung in die gesamte menschliche realität so herauskommen kann. allerdings enthalten die szenarios trotzdem durchaus reale kerne, über die sich wie gesagt zu reden lohnt.
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china gilt - aus gründen, die bei näherer betrachtung durchaus mehr als fragwürdig sind - inzwischen ironischerweise für das globale kapitalistische system als eine art hoffnungsträger; das wachstum dort incl. der unterstellten konsumbegehrlichkeiten der dortigen milliarden menschen soll für eine weitere phase als motor der globalen ökonomie fungieren. aus sicht des sog. westens möglichst ohne größere veränderungen im globalen politischen machtsystem, was ich als erste unwahrscheinliche annahme betrachte. die zweite wird im folgenden ausgeführt, und hat selbst bei berücksichtigung des oppositionellen charakters der gleich zitierten positionen durchaus mehrrealitätsgehalt, als ich der pseudo"kommunistischen" diktatur in ihren verlautbarungen zutraue:
(...)"Ein jüngster Bericht zeigte, dass die Kapazität der chinesischen Wirtschaft, wieder auf die Beine zu kommen, nicht so groß ist, wie erwartet. Im vierten Quartal des letzten Jahres lag das vierteljährliche Wachstum fast bei Null. Im Februar dieses Jahres sank Chinas Export um 26 Prozent. Dieses hat einige Experten zu der Vermutung kommen lassen, dass nicht die Länder mit der höchsten Konsumrate, wie die Vereinigten Staaten und Großbritannien die wahren Opfer der globalen Finanzkrise sind, sondern eher Länder mit Überproduktion wie China. Cheng weist darauf hin, dass die „Statistiken", die verwandt werden, um Chinas Wirtschaft zu beurteilen, von Chinas National Bureau of Statistics herausgegeben werden und dass es auf Grund des autoritären Systems der KPCh nichts anderes tun kann, als mit der Täuschungspropaganda der KPCh zu kooperieren, um die Illusion von Wohlstand zu erzeugen.
Cheng Xiaonong sagte im Radio Sound of Hope: „Das National Bureau of Statistics ist das Sprachrohr der Regierung. Alle Daten, die das Büro heraus gibt, sind nur für Propagandazwecke bestimmt. Daten, von denen man annehmen muss, dass sie der Regierung schaden könnten, werden nicht herausgegeben oder sie werden manipuliert und dann als falsche Daten veröffentlicht. Unter diesen Umständen ist es sehr schwierig für das chinesische Volk zu erfahren, welche Probleme tatsächlich in der chinesischen Wirtschaft bestehen. Darum hat auch die große Mehrheit der Ausländer, die diese Daten beobachten, einen positiven Eindruck von Chinas Wirtschaft. In vielen Fällen sind solche Eindrücke durch die KPCh verstärkt worden, indem sie falsche Daten angibt, um die wahren Daten zu verbergen."
Cheng glaubt, dass man die Wahrheit über die chinesische Wirtschaft nicht herausfinden kann, wenn man sich auf die offiziellen Daten verlässt, die durch die KPCh herausgegeben werden. Der Grund, warum die chinesischen Behörden in höchsten Tönen von Vertrauen in die Wirtschaft des Landes reden, ist darin zu suchen, dass die KPCh die Medien kontrolliert, die öffentliche Meinung regelmäßig manipuliert und immer wieder falsche Informationen durch die Propaganda der Regierung verbreitet, um die ganze Welt zu täuschen."(...)
das dargelegte sollte erstens nun so überraschend nicht sein; zweitens sollten wir uns aber einmal fragen, ob sich die mediale propaganda hierzulande eigentlich strukturell wirklich von der chinesischen variante so grundlegend unterscheidet.
als sehr entscheidend für die weitere entwicklung der krise nicht nur in china, sondern letztlich auch global, wird von vielen die reaktion der abermillionen von wanderarbeiterInnen auf die situation gesehen. eineneindruckder diesbezgl. aktuellen lage vermittelt die folgenden interviewauszüge:
(...)"Kommt es jetzt häufiger zu Protesten?
Im Herbst wurden wegen der geringeren Exporte die ersten Fabriken dichtgemacht, bis März dieses Jahres verloren geschätzt 20 Millionen Wanderarbeiter ihren Job. Seither gab es eine Zunahme von Protesten und Streiks.
Protest und Widerstand hat es auch schon früher gegeben, was hat sich mit der Krise geändert?
Die Krise hat eine neue Situation geschaffen. Bisher herrschte in einigen Industriezonen Mangel an Arbeitskräften, selbst Ungelernte waren gefragt. Das ist vorbei, die Menschen lernen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung kennen. Es geht bei Protesten jetzt häufiger um die Auszahlung von Lohnrückständen und Abfindungen bei Entlassungen. Aber die meisten Probleme in den Betrieben und Wohnheimen gibt es schon seit langem: miese Arbeitsbedingungen, Nichteinhaltung der Arbeitsgesetze, Streß und Langeweile, Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle, beengte Wohnverhältnisse, schlechtes Essen, Disziplinierungen und Geldstrafen, Managerwillkür, Korruption.
Wie wird die Krise unter den Wanderarbeitern in China diskutiert?
Sie hatten bisher schon mit der alltäglichen Krise zu kämpfen, in Fabriken, auf Baustellen, in Haushalten. Auf den Einbruch der weltweiten Krise waren sie nach Jahren des Booms, in denen sie immer wieder einen Job gefunden haben, nicht vorbereitet. Wenn sie entlassen werden oder wenn Manager Abfindungen unterschlagen und Lohnrückstände nicht auszahlen, reagieren die Wanderarbeiter wütend. Immer wieder eskalieren die Auseinandersetzungen, werden Straßen blockiert oder Autos umgekippt. Aber mir wurde auch von Arbeitern berichtet, die ihre Lohnkürzung oder den Ausfall von Überstunden – und damit eines Teils des Lohnes – mit einem Schulterzucken akzeptieren. Viele interessieren sich wenig für die Hintergründe der Krise.(...)
Nicht alle entlassenen Wanderarbeiter gehen zurück in ihre Herkunftsorte. Was passiert, wenn sie in den Städten bleiben?
Es hat bisher keine soziale Explosion in den Städten gegeben, aber wenn die Krise anhält, noch mehr Leute ihre Arbeit verlieren und längere Zeit kein Einkommen mehr haben, könnte sich die Situation zuspitzen. Die Regierung selbst beschwört immer wieder diese Gefahr und versucht, die Lage durch Versprechungen und Drohungen im Griff zu behalten."(...)
das macht den eindruck, als könne sozusagen das pendel (noch) zur einen oder anderen seite hin ausschlagen. dabei werden aber neben den "rein" ökonomischen bedingungen eben auch die prozesse innerhalb der gruppe der wanderarbeiterInnen und auch die reaktionen der regierung eine ebenso relevante rolle spielen.
als letztes dazu noch einer der empfehlenswerten basisberichte vonwildcat, zwar schon aus dem februar, aber immer noch mit etlichen wichtigen fragen.
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ein kurzer, aber aussagekräftiger blick zum asiatischen nachbarn chinas, nachjapan- die querschüsse legen einen geradezu verheerenden ökonomischen absturz dar:
"Die japanische Wirtschaft schrumpft im 1. Quartal 2009 um die höchste jemals gemessene Rate seit dem 2. Weltkrieg! Sie brach im Vergleich zum Vorquartal um -4,0% ein und im Vergleich zum Vorjahresquartal um -9,1%! Saisonbereinigt und auf das Jahr hochgerechnet (SAAR) brach nach Angaben des japanischen Cabinet Office die Wirtschaftsleistung sogar um -15,2% ein!(...)
Japan ist eine stark exportorientierte Wirtschaft, deshalb trifft der Einbruch des Welthandels Japan besonders stark. Der schlechte Export schlug mit -26% zum Vorquartal und um unfassbare -70,1% (SAAR) im BIP zu Buche! Aber auch die heimische Nachfrage schwächelt gravierend, die privaten Konsumausgaben sanken um -3,4% zum Vorquartal und um -12,8% auf das Jahr hochgerechnet.(...)
In Folge der Finanzkrise bricht die japanische Realwirtschaft unvergleichbar ein und auch dort verpuffen die umfangreichen Liquiditäts- und Kreditprogramme der Notenbank und das Konjunkturpaket des Staates weitestgehend wirkungslos. Sie sichern weder Wachstum, noch Jobs und können auch nicht die weggebrochenen Exporte kompensieren!"
dem ist nichts hinzuzufügen. ausser vielleicht die frage, inwieweit japan als eine art modell für die entwicklung von hochindustrialisierten kapitalistischen staaten angesehen werden kann.
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die letztgenannte frage ist dabei meiner meinung nach selbst unter berücksichtigung der relevanten und diversen unterschiede zwischen ländern und regionen zulässig, weil sich die strukturen der kapitalistischen ökonomie überall angeglichen haben. so auch in spanien, welches allgemein als eines der hauptbetroffenen länder in (west-)europa angesehen wird. dafür ist es bisher dort vergleichsweise erstaunlich ruhig geblieben, die ausnahmen sind in vergangenen news nachzulesen. eine gewisse brisanz dürfte aber für die spanischen "eliten" darin liegen, dass jetzt - als erste region - ausgerechnet dasbaskenlandkrisenbedingt in bewegung gerät:
"Der gestrige Donnerstag war kein Feiertag im Baskenland. Trotzdem standen viele Räder still: Sechs linksnationale Gewerkschaften hatten in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV) und in der Foralen Gemeinschaft Nafarroa (Navarra) zum Generalstreik aufgerufen – ein Ereignis, das es seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 nicht mehr gegeben hatte. Die in den linksbaskischen Gewerkschaften organisierten Arbeiter gingen auf die Straße, um gegen die Madrider Wirtschaftspolitik sowie für einen sozialen und politischen Wandel zu demonstrieren.
Das hochindustrialisierte Baskenland bekommt die Folgen der Wirtschaftskrise besonders hart zu spüren. Im Februar lag die Arbeitslosenquote bei elf Prozent, die Zahl der Kurzarbeiter und Arbeitslosen wird laut Prognosen in der CAV bis 2010 um 33000 Betroffene ansteigen.(...)
Der ELA-Chef und seine Kollegin Ainhoa Etxaide von den linksnationalen Arbeiterversammlungen (LAB) werteten den Generalstreik als einen »Erfolg«. Vor allem in den ländlichen Regionen der Provinzen Bizkaia und Gipuzkoa wurde er weitgehend befolgt. Sogar der öffentlich-rechtliche Fernseh- und Radiosender der Autonomen Gemeinschaft, EiTB, beteiligte sich, indem er lediglich sein Nachrichtenprogramm aufrechterhielt und sonst nur ältere TV-Dokumentationen sowie Musik sendete.
Allerdings hatten die Regionalregierungen der CAV und Nafarroas vor Gericht durchgesetzt, daß in Hospitälern und im öffentlichen Nahverkehr mindestens 30 Prozent der »normalen Arbeit gewährleistet« sein müßten. An den Schulen und Bildungseinrichtungen durfte überhaupt nicht gestreikt werden. Dort, wo Arbeiter versuchten, Busdepots zu blockieren, griffen Prügelbrigaden der Polizei ein. Es kam zu Verhaftungen wegen »Widerstands gegen die Staatsgewalt«.(...)
die mixtur aus quasi schon "gewohnheitsmässig" vorhandener politischer unruhe mit den zunehmend spürbarer werdenden krisenfolgen könnte dort vielleicht in naher zukunft ähnliches wie in griechenland bewirken - eine breite soziale revolte. nur so ein gedanke.
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wie sich die "eliten" die zutaten für die eben erwähnte mixtur selbst herstellen, macht dieser tage ein blick nach großbritannien deutlich - aus dortiger elitärer sicht könnte das motto auch lauten "alles, was schiefgehen kann, geht auch schief" - und zwar verdientermaßen. die rede ist von einer ausgewachsenen krise des politischen systems dort, welche als"spesenskandal"begann - eine art von skandal, der ausgerechnet in der krise die meisten bewohnerInnen der insel in die haltung "not amused" geraten lässt:
(...)"Wohl niemandem im ganzen Land ist entgangen, in welchem Ausmaß die 646 Unterhausabgeordneten ihren Job als Selbstbedienungsladen benutzt haben, mit Spesenabrechnungen von insgesamt 490 Millionen Pfund (600 Millionen Euro) in den vergangenen acht Jahren. Es passt ins Klischee, wenn ein englischer Konservativer der Staatskasse 2.200 Pfund zur Reinigung des Wassergrabens rund um seinen Landsitz in Rechnung stellt und ein Labour-Schotte eine Aldi-Plastiktüte für fünf Pence. Aber es geht auch um systematischen Betrug, beispielsweise mit Modernisierungskosten für Häuser, die dann gewinnbringend verkauft wurden. Kein Tag vergeht, ohne dass irgendein Beschuldigter kleinlaut Geld zurückzahlt, seinen Posten verliert oder auf die Wiederaufstellung zu den nächsten Wahlen verzichtet.
Bei den Kommunal- und Europawahlen am 4. Juni könnte sich der öffentliche Unmut in einen beispiellosen Denkzettel verwandeln. Von zweistelligen Ergebnissen für rechtsradikale Protestparteien, einem Absturz Labours unter 20 Prozent bis zu einer massiven Wahlenthaltung reichen die Spekulationen, eventuell auch alles zusammen. Für den Zustand der Politik werden Vergleiche mit der Weimarer Republik vor dem Aufstieg der Nazis gezogen, für den Zustand der Öffentlichkeit Vergleiche mit dem Volkszorn gegenüber der Queen nach dem Tod Prinzessin Dianas 1997. Es scheint, als durchlebe das Land eine seiner periodisch wiederkehrenden Selbstzweifel, wo alles Bestehende und Beständige plötzlich aussieht wie Schall und Rauch und zu verschwinden droht.
Ohnehin haben die Unbeliebtheit der Labour-Regierung und die Finanz- und Wirtschaftskrise das öffentliche Vertrauen in die Institutionen schon vorher schwinden lassen. Der Volkszorn, der sich heute gegen Parlamentarier richtet, zielte noch vor wenigen Monaten auf Banker als Symbole ruinöser Arroganz auf Kosten der anderen. Das Gefühl, ein grundsätzlicher politischer Wandel sei überfällig, ist in dem Maße gewachsen, wie die Politik sich gegenüber der Krise als nur bedingt handlungsfähig erwiesen hat. Wenn sich dann noch die Politiker so raffgierig zu benehmen scheinen wie die Banker, ist das Bild komplett, und zwar komplett düster.
Die Krise des Parlaments ist dabei mehr als die Krise einer Institution. Es ist eine Krise der politischen Repräsentation."(...)
die "eliten" benehmen sich nicht nur dort ausser rand und band, ihre antisoziale und geradezu widerwärtig verhöhnende haltung giesst zwangsläufig noch öl ins feuer. weiteres entnehmen Sie demnächst den täglichen nachrichten - ich kann mir nicht vorstellen, dass eine derartige selbstoffenbarung der gesamten "politischen klasse" eines landes ohne gravierende folgen bleiben wird.
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in aller kürze - das krisentelegramm + nochmal die querschüsse mit ganz frischenzahlen zur erwerbslosigkeitin den usa. das sieht weiterhin nur desaströs aus, und führt zur frage, wann und ob sich aus all diesen freigesetzten eine kritische masse bildet + wie in vergangenen news häufig thema, finden in griechenland seit der sozialen revolte des dezembers quasi ständig anschläge in einem ausmaß statt, dass ich meine these von einer art der fortsetzung der massenrevolte auch in form der klassischen stadtguerilla zumindest teilweise bestätigt sehe -sprengstoffanschläge auf bankenfinden ebenso statt wie aufinvestmentgesellschaftenoder auchbrandanschläge auf supermärkte(alles aus den letzten tagen). die sprachliche mehrzahl benutze ich schlicht deshalb, weil es sich tatsächlich um ganze anschlagsserien handelt + um "eliten" ausser rand und band zu erleben, muss man nicht erst nach great britain schauen:Manager beschweren sich bei Merkel- und worüber? "In dem Brief bringen die zwölf Aufsichtsratsvorsitzenden ihr Missfallen darüber zum Ausdruck, «dass die Diskussion über Managergehälter ein falsches Bild der wirtschaftlichen Verantwortungsträger reflektiert». Die entsprechenden Pläne der Koalition seien unzulänglich, da sie «die Vertragsfreiheit der Unternehmen stark einschränken«. ach? na, da merken wir uns doch gleich mal die namen der unterzeichner: "Neben Cromme bringen in dem Schreiben auch Ulrich Hartmann (E.ON), Martin Kohlhaussen (Hochtief), Gerd Krick (Fresenius), Joachim Milberg (BMW), Manfred Schneider (Bayer, Linde und RWE), Gunter Thielen (Bertelsmann), Eggert Voscherau (BASF) sowie Albrecht Woeste (Henkel) ihren Protest zum Ausdruck." wie üblich eine höchst ehrenwerte gesellschaft also +
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um nochmal zum anfang zu gehen: was passiert mit all den (virtuellen) blasen und ballons voller konstrukte in der realität? richtig: sie platzen entweder von selbst, oder aber werden zum platzen gebracht. und gerade mit ausdrücklicher betonung der letzten worte möchte ich mich für heute verabschieden.
(...)"So ist es ja immer gewesen, dass die Deutschen entweder andere das Fürchten lehrten oder sich vor sich selber fürchteten. Nun merken wir, dass etwas sich verändert hat; das heißt, die anderen merken es. Roger Cohen, der Berlin-Korrespondent der New York Times, schrieb kürzlich in der Süddeutschen: »Die Welt steht Kopf – die Lage ist fürchterlich, aber die Deutschen sind glücklich!«(...)
ein kurzer auszug aus einemessay, der die frage stellt, "was eigentlich aus der german angst geworden ist". ich komme auf diesen artikel später nochmal zurück. vorher grabe ich nochmal imletzten herbst, genauer ende oktober, wo ich folgendes skizziert hatte:
(...)"es ist vor dem eben umrissenen eigentlich kein wunder, dass bei der aussicht auf derart gewaltige um- und zusammenbrüche eine mehrheit der hiesigen bevölkerung nichts mitbekommen will - ja, will. denn auch wenn die materie gerade bezgl. der ökonomie komplex ist, so sind doch für alle interessierten die nötigen informationen (noch) vorhanden, um sich ein wie rudimentär auch immer ausfallendes bild der situation machen zu können. bezgl. dieses punktes gibt es keine entschuldigung. es muss also etwas mit der eigenen motivation, den verbreiteten inneren strukturen und auch mit der eigenen wahrnehmung zu tun haben, wenn hier bisher weiter "alltag" gespielt wird. ein wichtiger punkt ist dabei sicherlich die schon neulich aufgegriffene soziale trance, zu der die propagierung von "privatheit" (in der form als synonym von vereinzelung) sicher viel beiträgt. will sagen: uns fällt jetzt die allgemeine schädigung der beziehungsfähigkeiten (und damit auch schädigung der fähigkeiten zum kollektiven handeln) voll auf die füße. und als eine folge davon werden wir im zuge der weiteren eskalation der krise mit zunehmend destruktiver werdenden ängsten und aggressionen rechnen müssen"(...)
jetzt, ein gutes halbes jahr später, scheint mir der zeitpunkt gekommen zu sein, um die im letzten satz genannte these erstmals auf ihre plausibilität zu überprüfen. das kann ich naturgemäß nur auszugsweise, weil ich weder über die möglichkeiten noch über die zeit verfüge, entsprechendes bundesweit gültiges datenmaterial zu sammeln und zu sichten. datenmaterial, welches ich vor allem in den rubriken der "unpolitischen", "privaten" und "alltäglichen" gewalt suchen würde, denn - und den zusatz hatte ich damals nicht gemacht - gerade in diesen bereichen vermute ich das erste sichtbarwerden der destruktiven kollektiven tiefendynamik, welche diese umfassende systemkrise innerhalb einer bevölkerung unfehlbar mit sich bringen wird, die mehrheitlich nicht (mehr) fähig erscheint, sich qualitativ andere lebens- und existenzbedingungen auch nur vorzustellen und den herrschenden kapitalismus plus seine totalitär verdinglichenden wirkungen im gesamten sozialen leben als quasi-"natürliches" ansieht.
fangen wir also mal an mit dem kleinen und nicht repräsentativen überblick von entsprechenden meldungen, die mir in den letzten wochen und monaten so im gedächtnis hängen geblieben sind. da wären zum einen etliche großereignisse wie bspw. derrheinische karnevalim februar:
"Nachdem es schon an Weiberfastnacht teils aggressiv und gewalttätig zuging, kam es auch am Rosenmontag vor allem in Köln zu zahlreichen Schlägereien. In den anderen Karnevalshochburgen des Landes wurde nach Angaben der Polizei weitgehend friedlich gefeiert."
aber:
(...)"An allen Karnevalstagen zusammen haben die Beamten weniger Einsätze absolvieren müssen als im Vorjahr. Nur an Weiberfastnacht sei es gewalttätiger als sonst zugegangen, resümiert Baldes.
Die Bundespolizei im Kölner Hauptbahnhof verzeichnet einen sprunghaften Anstieg der Gewalt. Von Weiberfastnacht bis zum Abend des Rosenmontags wurden 19 Körperverletzungen gemeldet."(...)
nur ein großstadtphänomen?
(...)"Doch nicht nur der Kölner Karneval wird von gewalttätigen Jecken massiv gestört. Auch die Polizei im Rheinisch-Bergischen Kreis bemerkte eine zunehmende Gewaltbereitschaft. "Mit von Jahr zu Jahr zunehmender Tendenz ist festzustellen, dass junge Leute kaum noch Interesse an Karneval selbst haben, sondern die Tage gemeinsam nutzen, um sich in jede Richtung auszuleben", erklärt Norbert Knappe von der Polizei in Bergisch Gladbach. Die Einsätze wegen körperlicher Gewalt sind von 69 Delikten im vergangenen Jahr auf 103 angestiegen."(...)
und als bewohnerin von köln hattesomludamals in bezug auf karneval einen aspekt erwähnt, der auch in allen folgenden meldungen fast immer eine nicht unwesentliche rolle spielen wird - alkohol.
von karneval in den april vor meine haustür nach bremen, wo bspw.folgendeszu verzeichnen war:
"Bei drei verschiedenen Einsätzen wurde am Wochenende Widerstand gegen die einschreitenden Polizeibeamten geleistet. Auf dem Vegesacker Bahnhofsplatz trat und schlug ein 23 Jahre alter Mann auf Polizisten ein und zertrümmerte die Scheibe eines Streifenwagens. Am Werdersee trat eine 14 Jahre alte Jugendliche mit Füßen nach den Beamten und beschädigte die Tür eines Streifenwagens und in Bremen-Burg widersetzte sich ein 29 Jahre alter Bremer seiner vorläufigen Festnahme mit Fußtritten gegen die Beamten."(...)
alle beteiligten waren im alter bis ca. 25, also nach allgemeinem verständnis noch jugendliche. bei zwei der fälle war ebenfalls alkohol im spiel. und bemerkenswert - selbst die polizeitypische überhöhung von "widerstandshandlungen" abgerechnet - fand ich vor allem das spontane attackieren der polizei seitens der verhafteten.
ostern war zumindest hier bisher eine art festivität, die nicht durch irgendwelche besonders exzessiven "feiern" geprägt war - bis zu diesem jahr. wer sich ein wenig mit der geschichte der straßenkrawalle in der (alten) brd beschäftigt hat, wird den namensielwallkreuzungvermutlich schon mal gehört haben:
"In den frühen Morgenstunden des Ostersonntages blockierten zirka 250 bis 300 zum Teil erheblich angetrunkene Menschen die Sielwallkreuzung. Es wurde unkontrolliert Fußball gespielt und dabei auch die Oberleitungen der Straßenbahn getroffen. Der ÖPNV wurde daraufhin umgeleitet. Durchfahrende Taxen wurden von der Menge umringt und als Polizeikräfte vor Ort erschienen, wurden diese mit Flaschenwürfen attackiert."(...)
hieß es in den ersten meldungen der lokalpresse seitens der polizei noch, das wäre alle ein werk von "autonomen" im zusammenspiel mit "erlebnishungrigen jugendlichen" gewesen, so wurde das später revidiert - es blieben nur die letzteren übrig. es kam übrigens in den letzten wochen noch öfter zu solchen fussballspielen nachts auf dergleichen kreuzung - "Heute Morgen hielten sich ca. 150 Personen im Bereich der Sielwallkreuzung in größtenteils aggressiver Grundstimmung auf. Sie spielten auf der Kreuzung Fußball, feuerten Leuchtraketen ab und hatten mitten auf der Kreuzung ein 120 Liter fassendes Müllgefäß in Brand gesetzt. Der Individualverkehr war blockiert.
Die eintreffenden Polizeikräfte wurden mit Flaschen beworfen und wüst beschimpft. Durch zügiges Vorgehen der Einsatzkräfte - u.a. unter Einsatz von Diensthunden - wurde die Kreuzung geräumt."(...) -, was eine größere öffentliche debatte unter forderung nach mehr polizeipräsenz nach sich zog. und stellt das umfunktionieren der kreuzung besonders nach werder-spielen oder auch bei welt- und europameisterschaften schon eine art tradition dar, so war dieses jahr das erste mal zu beobachten, wie nicht nur ostern, sondern (s.o.) auch noch ein paar wochenenden später sich jeweils eine menge ohne einen solch "formalen" anlaß versammelte, mit anschließenden weiteren polizeieinsätzen. es hat fast den anschein, als würden sich die über jahre berüchtigten "silvesterkrawalle" rund um die kreuzung jetzt unregelmäßig auf das ganze jahr ausdehnen. nächsten mittwoch dürfte anläßlich des uefa-pokal-endspiels unter bremer beteiligung - und vor einem feiertag - ähnliches zu beobachten sein, wobei der gleichfalls beginnende kirchentag am selben abend vermutlich für eine sehr seltsame kombination von sich auf der straße befindlichenden menschen sorgen wird.
aber ostern war auch an anderen orten - wie zb. einem großen und ebenfalls seit jahren stark besuchten osterfeuer am weserstrand - gekennzeichnet von maßlosen alkoholkonsum sowie teils schweren übergriffen und überfällen, in einem fall einer messerstecherei, bei denen überall ebenfalls jugendliche bis 25 - meist noch jünger - beteiligt und betroffen waren.
bleiben wir noch ein wenig beim stichwort fussball, der ja nicht nur in seiner kommerziellen "profi"-variante und nicht nur in massenpsychologischer hinsicht einigefunktionenerfüllt, sondern sich dadurch auch als eine art gesellschaftlicher seismograph nutzen lässt. vor ein paar tagenbeschwertesich wieder einmal die polizei:
(...)"Pro Spielsaison summierten sich die Einsatzzeiten von Polizeibeamten mittlerweile auf 1,3 Millionen Stunden, berichtet Jürgen Schubert, Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder. Jedes Wochenende würden deutschlandweit rund 800 Spiele von Beamten begleitet.
Die enorme Zahl lässt sich einerseits auf das Phänomen zurückführen, dass selbst in den unteren Ligen, die Gewaltbereitschaft von Fangruppen zunimmt. Ein zweiter Grund ist die Entwicklung der Ultras-Bewegungen, die der Polizei Kopfschmerzen bereiten. Aus den einstigen Kritikern der Kommerzialisierung des Fußballs, gehen nach Darstellung der Polizeivertreter immer öfter gewaltbereite Gruppen hervor."(...)
wobei bzgl. der "ultras" noch anzumerken wäre, dass sich hier die wahrnehmung der polizei naturgemäß von der wahrnehmung der fans krass unterscheidet (interessierte stöbern bittehier.)
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soweit wie gesagt ein paar nicht repräsentative, subjektive und schlaglichtartig ausgewählte meldungen in sachen "unpolitischer" gewalt aus den letzten monaten. die verzerrenden medialen einflüsse sowie die interessen der polizei schon berücksichtigt: was können uns solche meldungen nun in hinsicht auf die ausgangsfrage sagen? sind sie überhaupt aussagekräftig? immerhin waren ja bei den gleichen anlässen zeitgleich teils tausende menschen unterwegs, die nun nicht in irgendeiner form "polizeilich auffällig" geworden sind. und da ist schon die erste einschränkung: die aktuelle qualität der hiesigen sozialen beziehungen sowie der allgemeine individuelle psychophysische "durchschnittszustand" lässt sich meiner meinung nach aus solchen meldungen nur beschränkt ableiten, nicht zuletzt deshalb, weil sich besonders bereiche wie die innerfamiliäre oder auch beziehungsgewalt, aber auch das mobbing im beruf, immer noch weitgehend unbeobachtet abspielen. hingegen sind die jugendlichen und teils auch die kinder seit jahren (medial) immer zuerst im blickpunkt, nicht nur wg. des sog.komasaufens, sondern auch wg. der konstatierten allgemeinenperspektivlosigkeit, die in diesem fall jedoch prompt - und wieder öffentlich - sofortbestrittenwird.
kurz: es ist ein durchaus widersprüchliches bild, was sich da (medial) präsentiert. und ich versuche mal, sowohl die widersprüche als auch die aus meiner sicht vorhandenen tatsächlichen tendenzen auf den punkt zu bringen:
alkohol: bekanntlich die "volksdroge" nr.1, und ihr einfluss bei massenevents aller art ist gewaltig. ich halte die beliebtheit von alkohol aufgrund seiner spezifischen wirkungen - u.a. förderung von enthemmung und amnesie - hierzulande nicht für zufällig. und wenn ich mir so die alltäglichen straßenszenen so betrachte, die ich mitbekomme, bekomme ich mehr und mehr den eindruck, dass - analog zum einsatz bei der ganz persönlichen "krisenbewältigung", wie er seit jeher benutzt wurde - auch die laufende systemkrise im aktuellen stadium nicht unwesentlich mittels alkohol von vielen vorläufig "weggetrunken" wird.
"widerstand gegen die staatsgewalt": bei aller vorsicht, die vor allem aus der berücksichtigung der eigeninteressen der polizei bei solchen öffentlichen diskussionen herrührt - hier habe ich ebenfalls den eindruck, dass es primär, aber nicht nur, unter bestimmten teilen von jugendlichen zu einer massiven verschiebung in der hinsicht gekommen ist, dass die polizei ihren status als "respektsinstitution", wie sie ihn bspw. noch in meiner jugendzeit in den 1970ern besaß, massiv eingebüsst hat. und das ist aus meiner sicht auch keine entwicklung, die nur mit der zunahme der zahl von kindern / jugendlichen aus migrantischen milieus zu tun hat, die in ihren herkunftsländern teils mit einer wesentlich offener brutal agierenden polizei zu tun haben (was die polizei hierzulande nun nicht freisprechen soll.) ich finde diese entwicklung durchaus ambivalent: einmal ist eine weichende angst vor der "staatsgewalt" in meinen augen nun nichts grundsätzlich negatives, weil zu fähigkeiten wie dem öffentlichen und bewussten politischen widerspruch nun einmal auch relativierte ängste gegenüber dem staatsapparat gehören; zum anderen aber könnte es sich dabei auch um menschen handeln, wie sie in diversen blogbeiträgen schon beschrieben wurden, mit sehr ernsten psychophysischen störungen, die sich durch grenzenlosigkeiten aller art, und eben nicht nur gegenüber staatlicher gewalt, manifestieren.
"öffentliche" (bzw. öffentlich registrierte) straßengewalt allgemein: meines wissens in den letzten jahren statistisch zurückgegangen, wobei eine in relation kleine gruppe von primär ebenfalls jugendlichen hier eine erhöhte brutalisierung gegenüber ihren opfern zeigte. ich vermute, dass sich im laufenden jahr hier sowohl der allgemeine trend spürbar verändern wird (ich gehe von einer zunahme aus), als auch die brutalisierung verschärfen und ebenfalls verbreiten wird.
die "unsichtbaren" gewaltformen: hier sind das schon genannte mobbing, auch stalking, ebenfalls die sog. beziehungsgewalt, aber auch die folgen wie psychophysische ("psychische") krankheiten gemeint. und gerade in diesem bereich gehe ich bis auf weiteres - solange nämlich keinerlei wirkliche politische massenbewegung erkennbar ist - von einer enormen verschärfung aus. warum, steht letztlich schon in den vorherigen teilen dieser reihe: die vorhandene traumatische matrix im zusammenspiel mit den vereinzelnden ("individualistischen") ideologischen maximen, zuschreibungen und "werten" des herrschenden systems begünstigt eindeutig die letzteren reaktionen als "typische" für den hiesigen bisherigen umgang mit einer krise solchen kalibers. soweit meine persönliche prognose.
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auch bei hinzunahme weiterer potenzieller indikatoren, die auskunft über kollektive tiefenprozesse geben können, erscheint die situation weiter widersprüchlich. nehmen wir einmal einen (musikalisch einigermaßen erträglichen) chart-hit, nämlich "haus am see" von peter fox, der mitte oktober letzten jahres (offener krisenbeginn) zuerst unter den "top ten" in d-land auftauchte und sich in den charts bis vor kurzem halten konnte:
ist der text ironisch gemeint? ich bin mir da ernsthaft nicht sicher, obwohl ich zumindest ironische anklänge durchhöre. ansonsten stellt der text eine geballte ansammlung von vorstellungen des unbeschwerten, wenn auch modifizierten, spießerglücks aus männlicher sicht dar - individueller "erfolg", eine narzisstische "die-welt-ist-für-mich-da" haltung, die sich regelrecht beisst mit tendenzen zum cocooning im eigenen "haus am see" und geradezu aufdringlichen wünschen nach einer (groß-)familie sowie sozialer verankerung, bei gleichzeitiger akzeptanz des neoliberalen credos vom win-it-or-lose-it, selbstverständlich mit "gezinkten karten". und alles ausgesprochenerweise ein traum.
kurz: der song lässt sich in meiner wahrnehmung durchaus auch als krisensong verstehen, je nach blickwinkel als einer der trotzigen sorte, oder aber auch als abgesang auf hiesige lebensträume und -entwürfe (wenn man denn die eventuelle ironische komponente als existierend bezeichnet).
als anschluß dazu gleich eine der zahllosenumfragendieser zeit:
(...)"In ihrem Unmut über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise würde offenbar die Mehrheit der Berliner Gewalttätigkeiten gegen die Verantwortlichen gutheißen. Wie eine aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der «Berliner Zeitung» (Wochenendausgabe) ergaben, sagten 58 Prozent der Befragten, dass sie Verständnis für gewalttätige Proteste und Demonstrationen haben, die sich etwa in Frankreich gegen Banker und Manager richteten. Verständnis für solche Aktionen haben in Berlin besonders Anhänger der Linken (69 Prozent) und der Grünen (66 Prozent), aber auch 58 Prozent der SPD- und immerhin 53 Prozent der CDU-Anhänger."(...)
was im eingangs erwähnten essay so kommentiert wird:
(...)"Man kann die Solidität einzelner Umfragen mit Fug bezweifeln, aber nicht bezweifeln lässt sich, dass sie nicht das geringste Indiz für Radikalisierungen, gleich welcher Art, enthalten. Es müssten sich ja, aller historischen Erfahrung nach, ökonomische Krisenerfahrungen in einem sichtbaren Zulauf zu radikalen Parteien äußern. Nichts davon ist zu sehen. Zwar gibt es, vor allem in den neuen Bundesländern, einen harten Kern neofaschistischer Antidemokraten, aber erstens ist der in Frankreich oder Italien nicht kleiner, zweitens gab es ihn schon vor der Krise, und dass er jetzt wachsen wird, ist keineswegs ausgemacht."(...)
der erste satz ist im angesicht der zitierten umfrage eine völlig widersprüchliche behauptung, und nichts weiter. die nächste behauptung stimmt zwar, es ist für mich aber inzwischen mehr als fraglich, ob sich das genannte historisch gewohnte muster auch bei dieser krise finden lassen wird. die entscheidenden reaktionen in den kollektiven tiefenströmungen werden sich aller wahrscheinlichkeit in historisch neuen formen ausdrücken, die sich erst als letztes - wenn überhaupt - in irgendwelchen prozentanteilen irgendwelcher parteien wiederspiegeln werden (eher in solchen formen, wie ich sie oben als alltagsgewalt umrissen habe). und das hat nicht nur etwas mit den in den letzten beiträgen in dieser reihe skizzierten verhältnissen zu tun, sondern auch mit der endgültigen zerschlagung aller organisierten strukturen der arbeiterbewegung hierzulande im nationalsozialismus. das war ein bruch, von dem sich "die linke" bis heute nicht erholt hat (und das meine ich nicht primär auf die zerschlagung der kpd bezogen, sondern eher auf das, was sich als "proletarisches milieu" bezeichnen ließe - von arbeitersportvereinen über selbsthilfestrukturen in proletarischen vierteln bis hin zu einer ausgewachsenen kleingartenkultur (die nicht umsonst bis heute staatlicherseits sehr reglementiert wird - im ns waren die parzellengebiete vieler großstädte rückzugsorte des vorhandenen widerstands).
der autor des essays in der zeit hat nicht nur davon offensichtlich keinen begriff, sondern auch nicht von der existenz transgenerationaler traumata, wie sie hier schon thema waren (und wie sie die teils durchaus zutreffenden bemerkungen zur öffentlichen stimmung in den 1980er jahren miterklären können).
(...)"Man soll nie sagen, etwas sei ein für alle Mal vorbei, aber ein unbefangener Blick auf die Gegenwart lehrt, dass die alte Mechanik aus Angst und Aggression schwach geworden ist. Natürlich gibt es immer wieder Gegenbeweise, aber in der jetzigen Wirtschaftskrise geschah es nicht in Deutschland, dass Banker oder Manager attackiert wurden, sondern in England und Frankreich."(...)
und das wird als ausdrücklich positiv beschrieben, obwohl man ebensogut desinteresse, nichtwissen über das tatsächliche ausmaß der krise sowie immer noch vorhandene autoritätsängste und falsche vorstellungen über die "eliten" als wahrscheinlichere gründe anführen konnte. immer noch wird ein "seriöses" auftreten im nadelstreifenanzug und das sprechen in esoterischen und bedeutungsvoll erscheinenden worten über ökonomische zusammenhänge von vielen hierzulande als beweis für gute absichten und fähigkeit genommen. derhauptmann von köpenickist immer noch lebendig, und der oben beschriebene veränderte umgang von teilen der jugendlichen mit der staatsgewalt stellt dabei nur scheinbar einen widerspruch dar - die eine (staatliche) uniform mag abgelehnt werden, aber die fixierung und mehr oder weniger heimliche sehnsucht nach der anderen (nadelstreifen) ist nach jahrzehnten der kapitalistischen formierung unter totalitären vorzeichen (und als symbol für geld = "leben") mehr oder weniger ungebrochen. bisher sollen nur die nieten weg (wenn überhaupt), aber (noch) nicht das gesamte system dahinter.
der dokumentierte essay lässt sich als verspäteter kommentar zu den vor ein paar wochen beschworenen und verdammten sozialen unruhen lesen, und das bringt mich jetzt direkt zu diesem thema zurück. es gab da u.a. eine ganz aufschlußreichesammlungverschiedener "prominenter" stimmen, ein paar auszüge:
(...)"Bisher war die soziale Stabilität ein klarer Standortvorteil. Wer auch diesen noch abschaffen will, setzt nicht nur die Zukunft unserer Wirtschaft und ihrer Arbeitsplätze aufs Spiel, sondern führt etwas anderes im Schilde: Der will ein anderes politisches System!"
Hans-Olaf Henkel
ganz recht, "herr" henkel - und zwar ein system, wo leute wie Sie nichts, aber auch gar nichts mehr zu melden haben.
(...)"Die Geiselnahmen in Frankreich zeigen, welche Lösungen verzweifelte Menschen suchen. Daraus kann sich eine Eigendynamik entwickeln, die von den Verantwortlichen genau beobachtet werden sollte - sie könnten zur Rechenschaft gezogen werden. Darum brauchen wir schnell ein gewaltiges Beschäftigungsprogramm, das gerade den industriellen Bereich stärkt. Die Regierung muss ganz schnell viel Geld lockermachen."
Rainer Einenkel
ein betriebsratsvorsitzender von opel auf gewerkschaftslinie - "geld her, oder ihr werdet zur rechenschaft gezogen". eine kleine erpressung zur erhaltung des status quo der industriearbeiterschaft. aber keinesfalls systemkritisch.
(...)"Und es gibt die reale Gefahr, dass der zentrale Aufruf von rechts erfolgt. Es ist ja angenehm, dass es in dieser Hinsicht in Deutschland bisher sehr ruhig geblieben ist, nicht so wie in anderen europäischen Ländern. Wenn jetzt nichts von links kommt, besetzt die Rechte das ganze. Die Linke muss reagieren, von ihr muss ein Aufruf kommen, etwas, um das die Leute sich sammeln können. Und damit meine ich kein fertiges Programm, die Alternative selbst kann nur in einem Prozess kollektiver sozialer Unruhe entstehen.
Thomas Seibert
eine stimme aus der außerparlamentarischen radikalen linken. ich sehe die skizzierte gefahr ebenfalls, wenn auch nicht als alleinige - auch der organisierte faschismus wird sich mit den eingangs und bisher umrissenen reaktionen schwer tun, obwohl er in sachen andockpunkte an gewaltstrukturen mehr und "bessere" optionen hat als die linke. den letzten satz hingegen kann ich nur unterschreiben, das sehe ich gleich.
und als letztes ein wissenschaftler:
"Niemand kann voraussehen, ob und wann es soziale Unruhen auch in Deutschland geben wird. Ich auch nicht. Trotzdem teile ich nicht die Einschätzung, dass es hier auf Dauer ruhig bleiben wird. Unter der Oberfläche brodelt es bereits.
Wir haben ganz aktuell die Leute in den Betrieben befragt und es zeigte sich: Der Unmut wächst. Entscheidend für Deutschland ist bisher, dass die Kurzarbeit noch viele Probleme abfedert. Die Frage ist jedoch, wie lange das halten wird. Eine Reihe von kleinen Unternehmen werden vor der Insolvenz stehen, und auch bei den großen Betrieben wird es massiven Personalabbau geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einer Wirtschaftsstruktur, die ohnehin bereits eine stark prekarisierte Arbeitswelt hat, eine weitere Prekarisierung völlig folgenlos bleiben wird."(...)
ja, was wird passieren, wenn die absehbaren massenentlassungen real werden, was wird nach den bundestagswahlen passieren, wenn der zwang zu (leeren) versprechungen bei der politischen "elite" nicht mehr vorhanden ist und die große rechnung präsentiert werden wird? was wird also in dem moment passieren, wenn die krisenfolgen ganz spürbar auch für viele derjenigen werden, die sich heute noch - ob aus unwissenheit oder/und selbstsedierung - in "sicherheit" wähnen? was wird dann aus all den in diesem beitrag erwähnten teils eher unterschwelligen reaktionen von aggressivität gegen andere, aber auch in großem maße gegen sich selbst? wie wird sich dieses potenzial entwickeln?
denn die krise läuft nicht nur hierzulande unbeirrbarweiter, und die frage bleibt offen, ob in einem halben jahr immer noch relative ruhe und der quasiwunsch nacheiner art volksgemeinschaftdominieren. und wie lange das noch vorhandene restvertrauen in diedgb-gewerkschaftenanhalten wird.
*
das war jetzt ein zugegebenermaßen sehr "voller" und assoziativer beitrag, aber genau dafür existiert ja auch die entsprechende rubrik. und ich hoffe, gerade durch die vielzahl auch widersprüchlicher aspekte vielleicht dem einen oder der anderen leserIn anregungen für eigene wahrnehmungen gegeben zu haben.
im letzten teil der reihe werde ich dann noch einen aspekt behandeln, der mir hierzulande besonders relevant erscheint: die massenwirkung des fernsehens als teil der sozialen trance.
(...)"In einer Textilfabrik in Bangladesch, die für den deutschen Handelskonzern Metro produziert, hat sich eine junge Frau laut einer Hilfsorganisation unter dem Druck ihrer Chefs zu Tode geschuftet. Die 18-jährige Fatema Akter sei im Dezember während ihrer Schicht tot zusammengebrochen, berichtete die US-Organisation National Labor Committee (NLC).
Demnach musste das Mädchen an sieben Tage in der Woche 13 bis 15 Stunden in der Textilfabrik in der Hafenstadt Chittagong arbeiten und pro Stunde bis zu hundert Jeanshosen reinigen. Bei einem regulären Arbeitstag verdienen die Arbeiterinnen nach Recherchen des (NLC) häufig lediglich 69 Cent.(...)
Der 18-Jährigen wurde NLC-Bericht zufolge trotz Erschöpfung und Schmerzen in Brust und Armen ein freier Tag zur Erholung verweigert. Stattdessen habe der Vorgesetzte das Mädchen hart ins Gesicht geschlagen und ihr befohlen, ihre Arbeit fortzusetzen. Demnach waren für die Arbeiter in der Fabrik 14-Stunden-Schichten ohne Pause, erzwungene Überstunden und Schläge an der Tagesordnung."(...)
"Zeitarbeiter wie Billigware angepriesen - `15 Prozent auf alle´"(...)
"Wenn Arbeitnehmer wie Kühlschränke oder andere Waren mit Rabatten beworben werden, ist dies geschmacklos und verhöhnt die Würde des Menschen und die der Arbeit", unterstreicht André Arenz, Gewerkschaftssekretär der IG-Metall-Verwaltungsstelle Olpe"(...)
warum "würde der arbeit"? was soll denn das bitte sein? und "geschmacklos" würde ich das auch nicht nennen, darum geht es hier nicht. hingegen durchaus als konsequent aus der sicht von verkäufer und kunden. die innere dynamik in solchen verhältnissen scheint sich noch nicht bis zu deutschen gewerkschaftern herumgesprochen zu haben, jedenfalls nicht bis zur ig metall in olpe.
sehr schön aufschlußreich auch das sich-um-kopf-und-kragen-reden des für den slogan offensichtlich (mit-)verantwortlichen:
"Daher sehen wir die Mitarbeiter auch nicht abschätzig als Ware, sondern als wertvolle Humanressource"
und er glaubt vermutlich wirklich ernsthaft daran, dass an der wahrnehmung anderer menschen als humanressource nichts problematisches sei. das ist letztlich ein weiteres beispiel für die verbreitung soziopathischer wahrnehmungsmodi in dieser gesellschaft (ohne das die betreffenden, die sich solcher sprach-, denk- und gefühlsmuster bedienen, nun selbst unbedingt im klinischen sinne soziopathen sein müssten).
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und ein weiteres kapitel aus der unendlichen liste der normalen praktiken bei diversen hiesigendiscounternschliesst den kreis:
(...)"Aber auch, wenn es nicht Samstag ist: Müller findet die Arbeitsbedingungen bei seinem Arbeitgeber Netto inzwischen "unerträglich". "Ich arbeite 65 bis 75 Stunden pro Woche, wenn es glatt läuft", sagt er. Wenn es nicht glatt laufe, seien es an die 80 Stunden. "Unter zehn bis zwölf Stunden pro Tag komme ich nie raus", sagt er. "Wir arbeiten hier am Limit."(...)
und das ist grundsätzlich durchausrepräsentativfür die sog. soziale "marktwirtschaft", wie die kapitalisten das hiesige ökonomische system nach dem wk2 fiktional zu verkleistern suchten. auch die paar jahrzehnte scheinbar "besserer" verhältnisse in der alten brd ändern nichts daran, dass dieses scheinbar bessere schon damals mit den opfern in anderen weltregionen erkauft wurde, ähnlich wie im ersten beispiel. nur in anderen konstellationen.
und die frage nach der rolle der verschiedenen manager bei der "metro", der zeitarbeitsfirma oder den discountern ist besonders vor dem hintergrund der gerade laufendendiskussioninteressant. sind die jeweils verantwortlichen in den obigen fällen nur getriebene der "anonymen sachzwänge"?
wieder eine art kurzer medienrundblick mit blogrelevanten themen - auch, wenn der schwerpunkt absehbar bis auf weiteres auf der eskalierenden systemkrise liegt, so möchte ich doch bereiche, die aus meiner sicht durchaus ebenfalls etwas mit der krise zu tun haben (und seien es noch so verschlungene zusammenhänge) nicht total vernachlässigen.
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beginnen wir mal wieder beim autismus - ganz aktuell gibt´s da alt-neueforschungsergebnisse:
"Autistische Störungen sind offenbar zumindest teilweise genetisch begründet. Forscher haben jetzt verräterische Erbgutvariationen identifiziert, die der Grund für Probleme bei der Signalübermittlung zwischen Nervenzellen sein könnten.
London - Ein Autismus-Gen haben die Wissenschaftler um Hakon Hakonarson vom Kinderkrankenhaus in Philadelphia nicht gefunden. Und doch gelang ihnen eine interessante Entdeckung: Sie deutet darauf hin, dass Autismus in den Genen liegen könnte.(...)
"Viele der Gene, die wir identifizierten, konzentrieren ihre Wirkung in Hirnregionen, die sich bei autistischen Kindern ungewöhnlich entwickeln", sagt Hakon Hakonarson von der University of Pennsylvania, der die beiden in "Nature" veröffentlichten Studien geleitet hat. "Zusammen mit anatomischen und bildgebenden Untersuchungen deuten unsere Resultate darauf hin, dass Autismus ein Problem neuronaler Fehlverbindungen ist." Eine dritte Studie, die in der Zeitschrift "Human Genetics" erschien, kommt zu weitgehend identischen Schlüssen.
Rund 15 Prozent aller autistischen Störungen ließen sich höchstwahrscheinlich auf die SNPs zurückführen, schätzen Hakonarson und sein Team."(...)
zu den (falschen) assoziationen, die aus der auch aus meiner sicht wahrscheinlichen interaktion von genen mit anderen faktoren bei der entstehung autistischer zustände regelmäßig entstehen (und auch medial gefördert werden, verweise ich einfach mal auf einen passendenkommentaraus einer älteren diskussion. und natürlcih auf die bücher von joachim bauer, die auch in der literaturliste vorhanden sind. genetische einflüsse lassen sich nur in ganz seltenen fällen monokausal interpretieren. das ist bei solchen meldungen wie der obigen immer zu beachten.
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zur folgendenmeldungmöchte ich mir (fast) jeden kommentar verkneifen...
"Ein europäisches Forscherteam hat einen Roboter entwickelt, der autistische Kinder spielerisch aus ihrer Isolation locken soll. (...) Der noch namenlose Prototyp soll im Herbst durch ein Serienmodell abgelöst werden, das an Schulen und therapeutische Einrichtungen verkauft werden soll. Die Europäische Kommission hatte das Forscherteam dafür im Projekt IROMEC (Interactive RObotic social MEdiators as Companions) mit 3,2 Millionen Euro ausgestattet.(...)
Jungen wie Mädchen wurden in Bewegung versetzt, folgten dem Gerät und fassten es an. Die Forscher haben verstärkt nonverbale Kommunikation beobachtet: Die Kinder nahmen sich an die Hand, lachten, klatschten und tauschten Blicke aus.
Von einem therapeutischen Nutzen will Kronreif jedoch partout nicht sprechen, obwohl die britischen Projektpartner genau das zum obersten Ziel erklären und längst den Begriff eines „Therapie- und Bildungsroboters“ verbreiten. Ihrer Meinung nach soll das Spielzeug die Entwicklung der Kinder beschleunigen.(...)
Im Sommer bekommt der Roboter noch zwei Arme. Dann sollen Imitationsspiele einstudiert werden, die sich bei Kaspar bewährt haben. Die Maschine winkt, der Mitspieler winkt zurück, beide klatschen abwechselnd. Nachahmen gilt als zentrales Element des Lernens – und insbesondere autistischen Kindern fällt es leichter, einen Roboter zu imitieren als einen Menschen."(...)
...bis auf eine einzige frage zum letzten zitierten satz: was lernen diese kinder bei der imitation eines roboters tatsächlich?
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das hormon (oder auch neuropeptid) oxytocin war bereits öfter thema, zb.hier, nun gibt es ein relativ ausführlichesinterview, welches den aktuellen wissensstand ganz gut zusammenfasst:
(...)Heinrichs: Was wir bis jetzt sehen, und das ist so oft repliziert worden weltweit, dass wir sagen können, es reduziert eindeutig - und zwar bei gesunden Personen zunächst mal - eindeutig Angst, es reduziert die Aktivierung einer Hirnstruktur, die Amygdala, der Mandelkern, die die Angst vermittelt, es reduziert die Stresshormone und es macht sozialen Kontakt belohnender im Gehirn. Deswegen ist natürlich die Hoffnung groß, dass es das Gleiche auch macht bei Patienten, die da die Probleme haben. Nur diese Studien sind noch nicht abgeschlossen. Deswegen denke ich, der Analogieschluss, zu sagen, es funktioniert beim Tier, es funktioniert beim gesunden freiwilligen Probanden, also hilft es auch Patienten, das dürfen wir noch nicht tun, da müssen wir sicherlich die Geduld haben und noch die klinischen Versuche abwarten.
Scholl: Wie sehen Ihre konkreten Forschungen, Experimente auf dem Gebiet derzeit aus?
Heinrichs: Wir machen derzeit an diesen drei Patientengruppen oder Störungsgruppen Untersuchungen, das heißt Kombination Psychotherapie, Oxytocin bei sozialer Phobie, bei Borderline-Persönlichkeitsstörung und auch bei Autismus bzw. einer Unterform des Autismus."(...)
bin sehr gespannt, was da am ende rauskommt - zumal die bedeutung und funktion von oxytocin für unsere zwischenmenschlichen beziehungen nicht mehr ernsthaft bestritten werden kann.
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und noch ein thema, welches bereits von verschiedenen seiten im blog beleuchtet wurde, stellt das schicksal derkriegskinder des 2. weltkriegsdar; und nicht nur in deutschland dürfte die trangenerationale vermittlung der damals entstandenen traumata bis heute einen relevanten gesellschaftlichen einfluß ausüben (der womöglich auch beim umgang mit der aktuellen krise wirksam ist):
(...)"Die letzten Zeitzeugen, damals Kinder, werden alt, sie erinnern sich nun, im Alter, an lange Verschüttetes, und in jedem kollektiven Datum verdichtet sich nun die Erfahrung von Einzelnen, die nicht mehr lange da sein werden. Für die Vierzigjährigen rückt der Abschied von den Eltern näher: von denen, deren Erziehung zumeist noch von der Härte des Nationalsozialismus geprägt war, deren Eltern zur Generation der Täter gehörten, die als Kinder den Krieg, die Kriegsfolgen am eigenen Leibe erfuhren, die dann oft, nur schlecht ausgebildet, unbefriedigende Existenzen führten. Die Erinnerung hat es nicht mehr sehr lange mit ihrer primären Erfahrung zu tun."(...)
in dem artikel werden diverse neue bücher zum thema aus verschiedenen europäischen ländern vorgestellt, die allesamt hoch interessant klingen - ein lesetipp mit lesetipps sozusagen.
"Die Politiker pumpen Billionen Euro und Dollar in die Wirtschaft, um der globalen Krise Herr zu werden. Alles umsonst, fürchtet Eric Hobsbawm, einer der wichtigsten Historiker der Gegenwart. Er hat Angst, dass der Kapitalismus sich über eine fürchterliche Katastrophe rettet."(...)
und ob diese katastrophe so eintreten wird, hängt nicht zuletzt maßgeblich von den reaktionen relevanter bevölkerungsmehrheiten rund um den globus ab - darum jetzt ein weiterer blick vor die haustür.
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in einemkommentarzu einem der songs in den letzten krisennews hat "argolis" folgendes angemerkt:
"Einige der Songs sind auch ganz nett, nur bei RoboZ - wenn die Rede ist von 'Parasiten', von 'menschlichen Schmarotzern' und das Ressentiment gegen das arbeitslose Einkommen gepflegt wird - wird mir eher übel."
ich greife diese kritik deshalb auf, weil sie direkt zu einigen zentralen punkten der bisherigen "krisenbewältigung" hierzulande führt - der öffentliche diskurs von der "gier einiger weniger schwarzer schafe" ist darin ebenso enthalten wie die dadurch potenziell im raum stehende unheilvolle trennung zwischem (bösen internationalen) "raffenden" und (guten deutschen) "schaffenden" kapital, die damit verbundene these vom "strukturellen antisemitismus" sowie die fragen danach, ob die krise erstens hierzulande in nennenswertem maße bestehende aggressions- und wutpegel steigern und zweitens bis zu ihrem ausbruch triggern kann (diese fragen dürften sich real auch größtenteils hinter der öffentlichen debatte zu den "sozialen unruhen" verbergen).
ich persönlich fand den text größtenteils spontan und emotional erstmal ansprechend, trotz wahrnehmung der erwähnten und sich durchaus aufdrängenden assoziationen. warum? wenn ich diese frage für mich zu beantworten versuche, komme ich zu folgenden schlüssen: erstens benennt er tatsächlich die ständig geleugnete realität einer existierenden klassengesellschaft, in der sich eine immer größer werdende spaltung der materiellen situation zwischen einer im verhältnis tatsächlich sehr kleinen schicht oben und einem größer werdenden unten auftut. zweitens wird die tatsache benannt, dass es tatsächlich konkrete täterInnen innerhalb der strukturen gibt (eine tatsache, die von einer breiten medialen koalition von leuten wie bspw. hans werner sinn bis hin zu teilen der radikalen linken bestritten wird - "es sind die anonymen systemzwänge". ich halte eine derartige argumentation für bestens geeignet, tatsächlich leute in scharen zu einer potenziellen faschistischen massenbewegung zu treiben. erstmal sehe ich einen grundsätzlichen widerspruch zwischen zwei - auch gerne in der linken - gebräuchlichen konstrukten: die "anonymen systemzwänge" (in gestalt der notwendigen profitakkumulation, der eigenen behauptung am markt etc.) beissen sich direkt mit der immer wieder gerne postulierten "(selbst)verantwortungsfähigkeit" "des" menschen, die für viele linke welt- und menschenbilder eine tragende rolle spielt.
wenn man aber diese "verantwortungsfähigkeit" ernstnimmt (ich tue das nur begrenzt, weil ich die nicht von vorneherein als irgendwie gegeben betrachte, sondern als potenzial bzw. option sehe, dessen manifestation direkt von den gesellschaftlichen verhältnissen und der jeweiligen förderung dieser option abhängig ist), so ist das bild des von kapitalistischen zwängen determinierten managers /bankers / unternehmers sehr fragwürdig - was zwingt diese leute schließlich dazu, in ihren positionen zu verharren, wenn sie aufgrund ihrer fähigkeit zum verantwortlichen handeln doch erkennen müssten, dass sie nicht nur andere existenziell gefährden, sondern langfristig auch sich selbst? (eine art tatsächlicher zwang ist nur bei klinischen soziopathen gegeben). sie könnten ja schließlich auch etwas ganz anderes aus ihrem leben machen (dafür gibt es übrigens auch ein paar wenige beispiele).
dann: die "anonymen systemzwänge" mögen ja strukturell durchaus vorhanden sein, aber trotzdem ist zu ihrer materiellen umsetzung in die realität das konkrete tun und lassen ganz konkreter personen notwendig - nicht der "zwang" zur rationalisierung und zur drückung der lohnkosten führt zu massenentlassungen und erwerbslosigkeit, sondern die entsprechenden beschlüsse und die unterschriften unter die kündigungen von wieder ganz konkreten personen. letztere mögen sich zwar auf die "zwänge" berufen, aber sie könnten ebensogut ja auch - zusammen mit der betroffenen belegschaft - nach mitteln und wegen suchen, eine ökonomie zu gestalten, die ohne die dem konkurrenz- und leistungsprinzip immanenten zwänge funktioniert. und auch hier führen die fragen zu den möglichen gründen, warum die sog. "führungspersönlichkeiten" bzw. "leistungsträger" letzteres i.d.r. nicht einmal in erwägung ziehen, direkt zur frage nach ihrer möglichen psychophysischen verfassung.
die genannten systemzwänge sind also nur dann ein relevanter faktor, wenn die handelnden personen aufgrund ihrer persönlichkeitsstruktur tatsächlich ebenfalls so determiniert sind, dass ihnen diese zwänge nicht als solche erscheinen, sondern als quasi "natürliche" und scheinbar alternativlose lebensbedingungen - und das macht es gerade in diesem fall aus meiner sicht noch notwendiger, sich mit den handelnden personen und erst recht mit ihrer isolierung von allen relevanten machtpositionen in politik & ökonomie zu beschäftigen - eine schlußfolgerung, die zwar aus anderen gründen, aber immerhin von anderen teilen der linkengleichfalls gezogenwird:
"Wann, wenn nicht jetzt fordern wir den Bruch mit dem System und den Verantwortlichen?
Weder wird das System des kapitalistischen Verwertungszwangs radikal hinterfragt, noch werden die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wirtschaft benannt. Die Tietmeyers, Eichels, Steinbrücks, Merkels, die Asmussens oder die Issings und Ackermanns. Das sind sie. Sie sind die Verantwortlichen für das Desaster. Sie sind die Verantwortlichen aus Deutschland für die drastische Zunahme von Hunger, Elend und Vertreibung durch die Weltfinanzkrise. Sie müssen verschwinden. Und zwar alle. Wie hieß der Schlachtruf 2002 in Argentinien? "Que se vayan todos"! (Alle sollen abhauen)"
der bruch mit dem system und den verantwortlichen - das eine ist ohne das andere nicht schlüssig, nicht sinnvoll, und auch nicht zu haben.
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und auch wenn man argumentiert, dass die jeweils handelnden personen aus den "eliten" letztlich ja nur austauschbare charaktermasken" darstellen würden, ändert das nichts an der notwendigkeit, ihnen direkt auch ihre persönlichen grenzen - und ihre endlichkeit - aufzuzeigen, notfalls auch in solchen formen, wie sie bspw. in der vergangenheit vongünther andersfür den fall eines "gesellschaftlichen notstands" skizziert worden sind - dazu kann doch auch das szenario aus dem text der "roboZ" zählen, in den entsprechenden wohnvierteln den "eliten" direkt auf den pelz zu rücken (was eh mehr sinn machen würde als die immer wiederkehrenden rituale der zerstörung von infrastruktur in gerade denjenigen vierteln, wo größtenteils die betroffenen der elitären "politik" wohnen - seien es nun banlieus oder auch, etwas anders gelagert, viertel wie kreuzberg und die schanze).
zu begriffen wie "parasiten" und "schmarotzern" habe ich nun durchaus eine deutlicheposition, und sehe es trotzdem analog dem text lieber, wenn denn solche begriffe denen zurückgegeben werden, die man inhaltlich treffend noch am ehesten damit belegen kann - und das sind natürlich nicht die erwerbslosen bzw. "hartzer", sondern das ganze antisoziale pack an der macht. will sagen: es gibt auch für mich grenzen der geduld und der verständnis- bzw. reflexionsbreitschaft und -fähigkeit, hinter der mächtige wut und der wunsch danach steht, dass bestimmte leute für ihre ständigen destruktiven aktionen in massendimensionen endlich auch spürbare und schmerzhafte konsequenzen erleiden sollen. und genau solche wünsche und auch die wut, die ich erstens für verständlich und zweitens auch für legitim halte, werden durch ermahnungen in richtung "unzulässiger" personalisierung von "anonymen systemzwängen" seitens bestimmter linker nicht nur ins leere laufen gelassen (wo sie sich selbstverständlich nicht verflüchtigen, sondern sich schlimmstenfalls gegen die eigene person wenden), sondern es werden damit gleichzeitig auch die nötigen psychophysischen prozesse blockiert, die als voraussetzung für späteres (zielgerichtetes und bewußtes) handeln grundsätzlich notwendig sind.
mit anderen worten: bei der notwendigen berücksichtigung der psychophysischen verfassung breiter bevölkerungskreise in diesem land ist jede art von verbot, antikapitalistische impulse und ressentiments auch in personalisierter form zu empfinden, eine fatale und geradezu suizidale dummheit. die meiner meinung nach auch nicht unmaßgeblich in den 1920ger und 30ger jahren seitens der damaligen linken mit zum aufstieg des faschismus beigetragen hat. wer an strukturell mehr oder weniger psychophysisch geschädigte menschen ansprüche hinsichtlich (selbst-)reflexionsfähigkeiten und einsicht in strukturelle gegebenheiten stellt, die diese vorläufig nicht erfüllen können und dazu noch keinen begriff von der elementaren und existenziellen aggression besitzt, die das leben in sich selbst als "zivilisiert" bezeichnenden kapitalistischen gesellschaften mit ihrer ständigen tabuisierung so ziemlich jeglicher - auch positiver und nötiger - aggression ständig produziert, hat eine der wesentlichen lektionen des faschismus schlicht nicht verstanden. die nazis haben nämlich genau mit diesem potenzial erfolgreich "politik" gemacht.
es gilt dabei auch, die enge innere verwandtschaft zwischen depression und aggression (die erstere begreife ich als verwandelte letztere) zu beachten, die unseren "eliten" durchaus bekannt ist und bisher erfolgreich dazu benutzt wird, um zb. das potenziell revolutionäre potenzial der erwerbslosen mittels ständiger öffentlicher stigmatisierungen und demütigungenbis in den todruhigzustellen. eine linke, die sich - meiner meinung teils aus mittelklassenbedingter harmoniesucht - weigert, die realität des klassenkampfes zu begreifen und sich entsprechend klar und deutlich zu äussern, macht sich an dieser stelle der mittäterschaft schuldig.
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struktureller antisemitismus: selbst, wenn viele der derzeit aufälligen us-banken und auch manager aus dem finanzbereich jüdische namen tragen mögen - wen interessiert das eigentlich wirklich ausser leuten, die zwanghaft nach zusammenhängen suchen, die am kern des problems vorbeigehen? es ist sachlich schlicht und einfach irrelevant. und den leuten, die sich aus zufälligen religiösen hintergründen selbst verschwörungstheorien basteln, muss konsequent sowohl ihre eigene gestörte logik als auch die realität des treibens des meistens als gegenpol glorifizierten "deutschen" kapitals vor augen geführt werden, welches kein stück besser oder anders agiert als die geschmähte "jüdische us-ostküste". für diese notwendigen maßnahmen jedoch sehe ich nicht, dass abstriche bei der gleichfalls nötigen benennung konkreter verantwortlicher gemacht werden müssen - ganz im gegenteil sehe ich eine realitätsgerechte aufklärung als antidot zumindest für diejenigen an, die aufgrund ihrer eigenen psychophysischen dispositionen, aber auch aufgrund der schwer verständlichen komplexität der krise anfälliger als andere für die entsprechenden reduktionistischen (ein wesentliches merkmal des antisemitismus) konstrukte von rechtsaussen sind.
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und das letzte stichwort des "arbeitslosen einkommens": hier bleibt mir nur zu sagen, dass die benennung der tatsache der fundamentalen ungerechtigkeit des zustands, dass wiederum einige wenige von der ausbeutung der arbeitskraft der vielen, die sich selbst am markt zur bloßen existenzsicherung verkaufen müssen, profitieren, aus meiner perspektive erstmal nichts mit der durchaus wünschenswerten entkoppelung von (lohn)arbeit und materieller existenzsicherung zu tun hat. eher sehe ich hier schon die besondere und fragwürdige glorifizierung von schwerer körperlicher arbeit berührt, wie sie in deutschland trotz wesentlich veränderter bedingungen (incl. eines realen bedeutungsverlustes gerade dieser art von arbeit) eine lange und schlechte tradition besitzt.
klaus theweleit hat in seinen "männerphantasien" zu dieser besonderen - und im naziuniversum auf die spitze getriebenen - fetischisierung dieser besonderen art arbeit einige aspekte herausgearbeitet, die aus meiner sicht bis heute relative gültigkeit besitzen: vor dem hintergrund des weiter oben angesprochenen ständig produzierten aggressionspotenzials in dieser gesellschaft, dessen bloße existenz zu erwähnen bereits vielfältig tabuisiert ist, stellt(e) körperliche arbeit einen der wenigen erlaubten und sogar erwünschten wege der psychomotorischen abfuhr der im genannten potenzial gebundenen energien dar (ein anderer ist bis heute die sportliche betätigung).
das hat aus sicht der "eliten" gleich zwei wünschenswerte konsequenzen: einmal stabilsiert diese abfuhr das gesamte gesellschaftliche gefüge, zum anderen aber lässt sie sich selbstverständlich profitabel nutzen. mit dem zunehmenden verschwinden dieser art der arbeit primär durch automatisierung haben sich die "eliten" also aller wahrscheinlichkeit selbst ein ei ins nest gelegt, welches vermutlich zu argen verdauungsstörungen führen wird bzw. schon führt, wenn man diesen aspekt mal in zusammenhang besonders mit dem verhalten erwerbsloser junger männer betrachtet.
neben der identitätskonstruktion mittels (lohn-)arbeit wäre das also der zweite - und mit dem ersten funktional zusammengehörige - punkt, der bei der betrachtung der bedeutung von "arbeit" in deutschland eine wichtige rolle spielt. er erklärt einerseits die zu beobachtende traumatische wirkung von erwerbslosigkeit bei vielen menschen mit, andererseits aber auch die bisher primär zunehmende depression bei den betroffenen, die jedoch unter bestimmten bedingungen in relativ wahllose und destruktive aggression umschlagen kann (wenn übrigens der worst case eines krieges zwecks "rettung" des systems eintreten sollte, so wird er psychophysisch primär aus dieser quelle mit den nötigen aggressionen gespeist werden).
ich kann mir ehrlich gesagt kaum vorstellen, dass die verfasser des textes ihre zeilen vor diesem hintergrund geschrieben haben; eher verstehe ich die entsprechenden passagen in dem sinne, wie ich ihn oben eingangs zu diesem abschnitt skizziert habe. ich arbeite unter miesen bedingungen zu einem miesen lohn, während andere direkt davon profitieren und sich ein leben im überfluss (zu allem auch noch allgemein schädlichen überfluss) gestatten? fuck you!
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soweit also anhand des userkommentars einige weitere anmerkungen zum krisenumgang hierzulande. und so wie es aussieht, werden weitere teile in dieser reihe folgen, zumal ich ein paar weitere aus meiner sicht relevante punkte (bspw. den einfluss des fernsehens) noch nicht mal erwähnt habe.
um inmitten der kleinenreihe zum hiesigen umgang mit der krisenicht zu vergessen, worum es eigentlich geht. und dazu gibt´s heute viel krisenhaftes liedgut, von electro über folk und blues bis hip hop...
global: noch mehr fragmente zum wesen und verlauf der krise
krisensongs I: roboZ "schön blöd"
italien /global: die mafia wird zum krisengewinner
krisensongs II: leveraged sell-out "Damn It Feels Good to be Banker -- A Wall Street Musical"
asien: regierungen warnen vor sozialen unruhen in der ganzen region
krisensongs III: angie & hans "nix gibt´s"
frankreich: rund um den ersten mai
krisensongs IV: n.n. "give it to me" bailout rap
türkei: rund um den ersten mai
krisensongs V: rob vegas "finanzkrise"
global: kinder gehören überall zu den ersten krisenopfern
krisensongs VI: mbird "financial meltdown rap"
in aller kürze: acht thesen zur krise / "scheiss-streik" im deutschen pflegegewerbe / eu erwartet "schlimmere rezession als angenommen" in europa / "unternehmer warnen vor linken unruhestiftern"
krisensongs VII: skinnerla "finanzkrisenblues"
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vor längerer zeit habe ich schon mal einenversuchgemacht, überblickartig aus verschiedenen ecken theoretisches & analytisches zur gestalt und dem weiteren verlauf der krise zusammenzutragen. und das soll heute fortgesetzt werden.
beginnen möchte ich dabei mit einemartikelvon tomasz konicz, der bereits vor ein paar wochen bei telepolis erscheinen ist und weiterhin mit zum besten gehört, was ich bisher in diesem jahr an tiefergehenden analyseversuchen zur krise gelesen habe. "kein boden in sicht" ist dabei zugleich überschrift, zustandsbeschreibung, fazit und prognose auf einmal:
(...)"Wir können nun den Charakter der gegenwärtigen Krise bestimmen: Es ist eine in den Widersprüchen der marktwirtschaftlichen Warenproduktion zu verortende Systemkrise, die nun voll ausbricht und zu dem Einbruch der Massennachfrage, und folglich des Handels und der Industrieproduktion führt.
Was bedeutet dies für den Krisenverlauf, für die Tragweite dieses ökonomischen Weltmarktbebens? Der mit voller Wucht einsetzende selbstzerstörerische Prozess hat keine objektive Grenze, sondern kann durch eine positive Rückkopplung immer weiter an Wucht gewinnen. Der Teufelskreis aus sinkender Nachfrage, fallender Industrieproduktion und erneuten Massenentlassungen, die wiederum die Massennachfrage senken, erfährt ein Ende im ökonomischen Kollaps – oder seiner Überwindung auf höherer gesellschaftlicher Organisationsebene.
Eine dunkle Ahnung davon, dass es bei dieser Krise überhaupt keinen "Boden" geben könnte, sondern nur einen immerwährenden Fall, haben auch die intelligenteren Vertreter der globalen Wirtschafts- und Finanzelite."(...)
der alte witz vom berühmten licht am ende des tunnels, welches alle paar wochen gerne als beobachtung aus den schaltzentralen der politischen und ökonomischen "eliten" heraus zwecks weiterer sedierung verkündet wird und sich dann doch nur wieder als (irr-)licht des gegenzugs entpuppt, hat sich in den letzten monaten angesichts der beschriebenen sachlage schon verdammt abgenutzt. auch andere autoren gelangen zu einem ähnlichvernichtenden fazit, in diesem fall aus dem blickwinkel österreich, wobei das verhalten der dortigen kapitalisten sich nicht von anderen orten unterscheidet:
(...)"Eines jedenfalls ist sicher: Es wird schlimmer kommen.
Eine Welle der Massenarbeitslosigkeit baut sich auf. Zugleich hat der Staat enorme Schulden angehäuft. Noch dazu werden die Ausgaben für Sozialleistungen steigen, seine Einnahmen aber drastisch reduziert. Dies umso mehr, als er Vermögen und Profite praktisch nicht mehr besteuert. Bei rückläufigen Masseneinkommen sieht es für seine Kassen demnach äußerst düster aus.
Angesichts dieser Entwicklungen ist die herrschende Klasse in Politik und Wirtschaft zynisch bis naiv. Magna verordnet bereits Lohnverzicht und erfrecht sich, dabei von “Solidarität” zu faseln. Einer seiner Oberbefehlshaber ist sogar so dreist und meint, Magna hätte ja auch die Profite “geteilt” - nun müsse also auch die Belegschaft “Solidarität” beweisen.
Die Lohnabhängigen haben Angst. Das treibt sie teilweise dazu, den Lohnverzicht zu akzeptieren. Dieser Weg ist mit Sicherheit fatal.
Denn diese Krise ist keine, die 2010, 2011 oder 2012 überwunden ist.
Der ganze unvorstellbar ausgedehnte Finanzüberbau der “Realwirtschaft”, der sich seit mehr als 20 Jahren auf dem Rücken der Lohnabhängigen aufgetürmt hat, bricht ein. Bis jetzt auf Raten, bald vielleicht in Gestalt eines Erdrutschs im Finanzsystem. Danach wird nichts mehr sein wie früher.
Staatsbankrotte drohen am Horizont. Unmengen fauler Kredite, derzeit notdürftig durch staatliche Monstergarantien und illusionsgedeckte Finanzspritzen in einer prekären Agonie gehalten, verwesen vor sich hin. Wenn irgendwo ein zentrales Glied der kreditären Ketten reisst, dann ist der Sog in die Tiefe kaum mehr zu stoppen. Das beste Szenario, das der Kapitalismus uns noch zu bieten hat, sind Massenarmut, Apathie und Stagnation.
Es gibt keine Möglichkeit mehr, dieses System so zu reparieren, dass etwas Annehmbares dabei herauskommt."(...)
dem bleibt nichts hinzuzufügen, und das bereits ohne berücksichtigung der krisenkaskade mit peak oil, klimawandel, wasserknappheit und co., in die wir meiner meinung nach mit dieser ökonomischen krise unwiderruflich eingetreten sind. und zu einem speziellen aspekt der letzteren haben diequerschüsseneulich festgestellt:
"Eine der wesentlichen Ursachen der heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise ist die totale Überschuldung aller Bereiche der Gesellschaft. In den USA wird nicht nur die Schere zwischen Gesamtverschuldung und Bruttoinlandsprodukt immer größer, auch das Missverhältnis zwischen Schulden und Einkommen wird immer größer. Fehlende Wertschöpfung und Einkommen wurden durch eine exzessive Kreditausweitung und Spekulation ersetzt!
Die folgenden Charts verdeutlichen auch, dass alle Versuche von Staat und Notenbanken den heutigen Status Quo zu erhalten - letztlich zum Scheitern verurteilt sind! Es wird nur ein unhaltbarer Kreditzyklus mit verzweifelten Aktionen etwas weiter verlängert!"(...)
wobei ich ergänzen würde, dass die allgemeine und globale überschuldung letztlich nur ein symptom einer entwicklung darstellt, auf die besonders im artikel von tomasz konicz genauer eingegangen wird. an der grundsätzlichen krise würde deshalb selbst eine konsequente und globale entschuldungspolitik (von der weder klar ist, wer sie durchführen sollte noch, wer sie überhaupt ernsthaft wünscht) nicht mehr zu ändern vermögen. game over.
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bisher ist mir entgangen, dass die krise immerhin auf viele menschen künstlerisch inspirierend zu wirken scheint, und eine sammlung musikalischer fundstücke möchte ich deshalb den leserInnen nicht vorenthalten - los geht´s mit einem motto, welches momentan eigentlich breit in allen strassen und städten hierzulande plakatiert werden sollte - "schön blöd" von den roboZ schafft es sogar, viele mehr oder weniger gute inhalte rüberzubringen, selbst wenn man die unvermeidbare plakative verkürzung von songtexten berücksichtigt.
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im januar hatte ich in den news nr. 19 einen kurzen hinweis einer uno-organisation kommentiert, dass es hinweise darauf gäbe, dass bei sog. interbankengeschäften seit beginn der offenen krise in größerem umfang auch gelder aus "drogenhandel und anderen illegalen aktivitäten" zwecks überbrückung von liquiditätsengpässen genutzt werden. nun sind die verstrickungen von mafia und co. in die globale ökonomie sowie die strukturell bedingten fließenden grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" geschäften grundsätzlich nix neues, aber es zeichnet sich etwas ab, was zum tieferen nachdenken anregen sollte:Wirtschaftskrise lässt italienische Mafia kalt, und das ist eine untertreibung, wie der bericht deutlich macht (aus dem ich hier deshalb nicht weiter zitiere, weil es sich um eine meldung von "ap" handelt, also jener presseagentur, die sich gerade u.a. gegen blogger auf einem "copyright"-feldzug befindet). aber auch bei einer abgeordneten des italienischen parlaments (und vorsitzenden eines dortigen anti-mafia-ausschusses) lässt sich bspw.lesen:
(...)"Die Mafia ist einer der Gewinner der aktuellen Wirtschaftskrise. Während in der legalen Wirtschaft das Geld knapp ist, verfügt die Organisierte Kriminalität über ausreichend Liquidität. Dies führt nach Erkenntnissen der Antimafia-Ermittler in Italien dazu, dass sich immer mehr, vor allem kleinere Unternehmer Geld aus mafiösen Quellen leihen, um über die Runden zu kommen. Auch beim Bau der Infrastrukturmaßnahmen für die Expo in Mailand steht die Mafia in den Startlöchern, um legale Konkurrenz aus dem Weg zu boxen und Millionen zu verdienen."(...)
es gibt seit letzten herbst bereits so derart viele hinweise auf die organisiert-kriminelle "natur" auch schon vorher als ganz "normal" angesehener "geschäfte" im internationalen rahmen, dass ich gerne die zukünftigen bewertungen von historikern in dieser frage sehen würde. ich denke, wir täuschen uns insgesamt über den tatsächlichen einfluß der (als solches definierten) ok in dieser krise in der hinsicht, dass er unterschätzt wird. wobei sich natürlich darüber diskutieren lässt, ob sich nicht die zentralen institutionen der kapitalistischen ökonomie (u.a. banken und konzerne) insgesamt als "ok" begreifen lassen müssen.
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und die "weiße-kragen"-kriminalität in nadelstreifen ist auch das thema in folgendem kleinen "musical". "Damn It Feels Good to be Banker" - zumindest dieses gefühl sollte sich in naher zukunft grundlegend ändern.
"In Asien wächst die Furcht vor Unruhen in Folge der internationalen Finanzkrise. "Die Armut verschlimmert sich in vielen Ländern, Unternehmen straucheln", sagte Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono zum Auftakt des Jahrestreffens der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) auf der indonesischen Insel Bali. Auch der extrem wichtige Kampf gegen den Klimawandel könnte sich verzögern. "Wenn all dies nicht unter Kontrolle gebracht wird, könnten am Ende in vielen Ländern soziale und politische Unruhen ausbrechen", sagte der Gastgeber vor Vertretern von 67 ADB-Mitgliedsländern, darunter Finanzminister und Zentralbank-Gouverneure."(...)
und das dürfte bei den vielfältigen realitäten in der region, geprägt von verschiedensten formen autoritärer herrschaftssysteme, teils krasser armut sowie religiösen spannungen, durchaus formen annehmen, die niemand sehen möchte.
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deutsches (weihnachts-)liedgut, neu und passend betextet von angie & hans - "nix gibt´s".
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und was tut sich gerade so infrankreich, dessen arbeitender bevölkerung wir u.a. die wortschöpfung "bossnapping" verdanken?
"Die nahezu 300 Demonstrationen, die am 1. Mai in ganz Frankreich stattgefunden haben, waren Ausdruck der Zuspitzung der sozialen Konflikte, aber auch der Kampfbereitschaft der arbeitenden Franzosen."(...)
aha. das heisst konkret?
(...)"Die Losungen auf den Transparenten und die Sprechchöre der Maidemonstrationen machten deutlich, welch großes Echo beispielsweise die Aktionen der Beschäftigten von Continental oder Caterpillar hatten, die aus Sorge um ihre Arbeitsplätze sogar so weit gingen, ein Präfekturbüro zu verwüsten oder führende Manager für Stunden festzuhalten und so Verhandlungen zu erzwingen.
Von solchen spontanen und »gewalttätigen« Aktionen distanzieren sich die Gewerkschaften, wobei sie gleichzeitig Verständnis für die damit zum Ausdruck kommende Verzweiflung der Betroffenen zum Ausdruck bringen. Die Gewerkschaften müssen auf jeden Fall verhindern, dass die Rechtsregierung einen Keil zwischen sie und die kampfbereiten Arbeiter treiben kann. Paris lobt einerseits »die Besonnenheit und das Verantwortungsgefühl« der Gewerkschaftsführer, andererseits verurteilt die Regierung gewalttätige Aktionen als Werk »linksradikaler Agitatoren«. Das zielt vor allem auf die neue Antikapitalistische Partei unter Olivier Besancenot, deren Wirken überall im Land zu beobachten ist, wo Unternehmen geschlossen oder ins Billiglohnausland verlagert werden sollen. Für Mitte Mai hat die Partei einen spektakulären Sternmarsch von Arbeitslosen nach Paris geplant."(...)
und gerade das letztere nenne ich mal eine wirklich interessante aktion, bei der ich vermute, dass die vielfach auch hier im blog angesprochenen "mentalitätsunterschiede" zwischen france und deutschland in der hinsicht erneut deutlich werden, dass sich viele französische erwerbslose nicht so einfach als "selbst schuldig" in die buh-ecke der gesellschaft stecken lassen werden wie hierzulande. und auch das dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass der öffentliche diskurs, der hier noch bei der bloßen möglichkeit sozialer unruhen steckt, dort schoneine stufe weitergediehen ist:
"Ein zweiter "Mai 68" wird aus dem Tag der Arbeit in Frankreich nicht entstehen. Aber die Stimmung im Land ist wegen der Wirtschaftskrise so gespannt, dass der frühere französische Regierungschef Dominique de Villepin doch eine "Revolutionsgefahr" heraufziehen sieht."(...)
aus seiner sicht ist das natürlich eine "gefahr". aber interessant ist das doch schon, dass rund um den planeten inzwischen seitens der "eliten" wöchentlich irgendwo das bild von unruhen und revolution gemalt wird. sind ihnen womöglich ihre eigenen schafsherden zu lethargisch? vermuten sie hinter der immer noch weitgehend vorherrschenden apathie irgendwelche finsteren vorgänge (die paranoia gehört bekanntlich zur elitären grundausstattung)? oder haben sie selbst unbewusst keinen plan und keine lust mehr, und möchten ihr ende mittels einer selbsterfüllenden prophezeiung beschleunigen? fragen über fragen.
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ein hübscher kleiner bailout-rap, könnte ein cover eines nelly-furtado-stücks sein:
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in der türkei hat der erste mai sozusagen aus tradition eine besondere bedeutung für die gesamte linke, war das doch speziell (aber nicht nur) in zeiten der diktatur meist ein blutiger und opferreicher tag. und so stand er in diesem jahr nicht nur im zeichen der krise, sondern primär im zeichen derlandesgeschichte:
"Die Feiern am 1. Mai in der Türkei sind zu einem historischen Moment für die Gewerkschaften des Landes geworden. Zum ersten Mal seit 28 Jahren ist der 1. Mai wieder ein Feiertag. Und zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren konnten sich wieder mehrere tausend Arbeitnehmervertreter am zentralen Taksim-Platz in Istanbul versammeln. Während die Feier friedlich verlief, fanden in der Umgebung heftige Auseinandersezungen zwischen Polizei und Demonstranten statt.
Nach der Erschießung von 36 Demonstranten am 1. Mai 1977 war der Taksim-Platz für Gewerkschafts-Demonstrationen gesperrt worden.
Diesmal gewährten die Behörden rund 5.000 Gewerkschaftern Zugang zu dem Platz, wo sie feierten, der Toten von 1977 gedachten und eine Bestrafung der Verantwortlichen für das damalige Blutbad forderten."(...)
ich würde ja behaupten, dass dieser umgang mit dem ersten mai seitens des staates keinesfalls aus plötzlich entdeckter zuneigung zu den gewerkschaften entstanden ist, sondern eher aus der einsicht, dass sich gerade in diesem jahr die übliche repressive behandlung der mai-demonstrationen zu einem massiven eigentor hätte entwickeln können. eine gewisse strategische und taktische intelligenz (der durchweg instrumentellen art) sollte man den "eliten" also auch dort nicht absprechen.
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rob vegas kurz, knapp und überzeugend mit "finanzkrise" - bisher mein heimlicher favorit in der reihe.
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es ist ja schon in "normalen" kapitalistischen zeiten realität gewesen, dass rund um die welt besonders kinder zu den leidtragenden des wahnsinnigen konkurrenzgerangels zählten - und so ist es auch nicht überraschend, wenn jetzt zum wiederholten male die feststellung verkündet wird, dass in zeiten der krise kinder erst recht diearschkarteaufgedrückt bekommen werden:
(...)«Es sind vor allem die Kinder, die unter den Folgen des weltweiten Abschwungs leiden - in Afrika, in Indien, Pakistan, Bangladesch, China», sagte der Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Jürgen Heraeus, der in Hannover erscheinenden «Neuen Presse» (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Dort lebten viele Menschen von dem, was ihnen Familienmitglieder überweisen, die in Europa, den USA oder den Golfstaaten arbeiten.
Viele dieser Arbeitsplätze fielen jetzt weg, sagte Heraeus. Weltweit würden immer mehr Wanderarbeiter arbeitslos. «Es droht gerade in Asien ein Armutsproblem von dramatischen Dimensionen», sagte Heraeus.(...)
wie im blog in der vergangenheit öfter thematisiert (ebenfalls im obigen verlinkten artikel), existiert aber auch hierzulande eine inzwischen in die millionen gehende zahl von als arm zu bezeichnenden kindern, die erstens durch die krise weiter ansteigen wird, zweitens aber auch die bereits vorhandene armut regelrecht zementieren könnte. und dabei handelt es sich eigentlich um verbrechen, die wieder mal niemals vor einem gericht landen werden - solange sich eine mehrheit weiter mit dem bloßen (nicht-)betrachten dieser zustände zufrieden gibt.
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mbird erklärt uns in einem irgendwie lakonischen rap nochmals zusammengefasst der verlauf der krise in den usa - hier ist der "financial meltdown rap".
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in aller kürze - das krisentelegramm + ein nachtrag von wildcat -acht thesen zur krise, die auf jeden fall für ausreichend diskussionsstoff sorgen sollten + schon was vom aktuellenscheiss-streikim pflegegewerbe gehört? nein? dann wird´s zeit - ich find´s eine angemessene aktion(sform) + ganz frisch kam vorhindasauf den monitor: "Die Rezession wird sich nach Einschätzung der EU-Kommission in Europa stärker auswirken, als bislang erwartet. In ihrer Frühjahrsprognose erwartet die Kommission für die Länder der Europäischen Union und der Eurozone einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um vier Prozent. Das sei doppelt so viel, wie bisher erwartet. Die Arbeitslosigkeit dürfte zugleich deutlich steigen. Europaweit sei in diesem und im kommenden Jahr mit dem Verlust von 8,5 Millionen Stellen zu rechnen" - "der mai ist gekommen, die verluste schlagen aus" *träller* + und das buchstäblich letzte heute vom sog.ethikverband der deutschen wirtschaft(alleine dessen bloße existenz ist natürlich schon ein echter hit): "Der Ethikverband der Deutschen Wirtschaft (EVW) wirft der Politik vor, die Finanzkrise auszunutzen, um mit moralischen Forderungen Ängste innerhalb der Bevölkerung zu schüren. "Auf diese Weise wollen die Parteien Eigeninteressen durchsetzen", sagte EVW-Präsident Ulf Posé." - höhnisches gelächter, tomaten fliegen auf die bühne, schmählicher abgang und vorhang ohne schlussapplaus. die dreistigkeiten der "eliten" wollen einfach kein ende nehmen +
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das blues und fröhlichkeit kein paradox sein müssen, zeigt uns nun zum wirklichen ende "skinnerla" (ich hoffe, ich habe da bezgl. der interpreten nix falsch verstanden) mit dem "finanzkrisenblues".
ich hoffe übrigens, dass die musikalische untermalung der wie üblich und gewohnt sehr unfrohen sonstigen botschaften Sie ebenso etwas aufmuntern konnte wie mich. zum wochenende geht´s dann mit der eingangs erwähnten deutschland-und-die-krise-reihe weiter.
die beiträge dieser kleinen reihe -hier geht´s zum ersten teil- stellen einen versuch dar, das thema besonders aus der perspektive weit verbreiteter psychophysischer strukturen in der hiesigen bevölkerung zu beleuchten. diese in jedem fall zunächst individuell vorhandenen strukturen prägen aufgrund historisch gewachsener und tradierter ähnlichkeiten wie eine größtenteils unsichtbare matrix unser aller verhalten, auch und gerade bei kollektiven reaktionen. und das gilt nochmal besonders und verschärft bei realen oder auch "nur" potenziellen existenziellen bedrohungen diverser art, welche die krise bereits jetzt (und zukünftig noch in größerem maßstab) für viele menschen mit sich bringt. das ist, sehr kurzgefasst, mein "arbeitsansatz" bei diesen beiträgen.
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der fiktive brief des hyperion im ersten beitrag "...lässt sich durchaus nach meinem verständnis als sehr frühe psychohistorische studie lesen.". dabei beziehe ich mich vor allem auf die arbeiten des us-amerikanischen psychohistorikers lloyd deMause, von dem eine zusammenfassung seiner arbeitenhiermit einigen seiner zentralen thesen näher vorgestellt wird.
und die basis dessen, was da von hölderlin mittels der kunstfigur hyperion über die damalige deutsche bevölkerung und ihre eigenarten im sozialverhalten konstatiert wird, lässt sich anhand von deMause bzw. den arbeiten deutscher psychohistoriker wie folgt begreifen:
(...)"Kindesmord und Säuglingssterblichkeit waren gegen Ende des 19.Jahrhunderts in Deutschland und Österreich weit mehr verbreitet als in England, Frankreich, Italien und Skandinavien. Neugeborene wurden nicht als vollwertige Menschen betrachtet, weil man dachte, sie besäßen in den ersten 6 Wochen noch keine Seele und konnten so »in einer Art später Abtreibung getötet werden«. Vielfach bekamen gebärende Mütter in Deutschland »ihre Babies im Abort und behandelten die Geburt wie eine Evakuation«. Geburten, die als »Stuhlgang erfahren wurden, ermöglichten den Frauen ihre Kinder auf eine sehr grobe Art umzubringen, durch Zerschmettern ihrer Schädel wie bei Geflügel oder Kleintieren«.
Andere, die beobachteten, wie Mütter ihre Kinder töteten, bemerkten an diesen keine Gewissensbisse, »voll von Gleichgültigkeit, Kälte und Gefühllosigkeit [und vermittelten] den Eindruck allgemeiner Gefühlsarmut« gegenüber ihren Kindern. Auch wenn der Säugling überleben durfte, konnte er leicht vernachlässigt und zuwenig gefüttert, und somit »direkt in den Himmel geschickt« werden. Die Sterblichkeitsraten von Säuglingen reichten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von 21 Prozent in Preußen bis zu erstaunlichen 58 Prozent in Bayern, wobei sich die Zahlen im Süden teilweise aus der Praxis des Nichtstillens erklären, denn von Hand gefütterte Babies starben dreimal so häufig wie Gestillte. Die besten Zahlen für ganz Deutschland gegen Ende des Jahrhunderts lagen immer noch über 20 Prozent, doppelt so hoch wie in Frankreich und England."(...)
(...)Klöden schreibt, das Motto deutscher Eltern gegen Ende des 19.Jahrhunderts wäre simpel gewesen: »Kinder können nie genug geschlagen werden.«Obwohl wenige deutsche Eltern der Vergangenheit sich für ihr Schlagen heute einer Gefängnisstrafe entziehen könnten, bekamen die
Kinder Ende des 19. Jahrhunderts wenig Schutz von der Gesellschaft, da ihre eigenen Worte und nicht einmal die körperlichen Spuren ihrer
schweren Misshandlung nichts zählten. Endes Erhebung beschreibt typische Gerichtsverfahren, so ein Nachbar Anzeige erstattete, wegen »eines dreijährigen Mädchens, [deren] Körper mit Striemen übersäht war. Lippen, Nase und Zahnfleisch waren offene Wunden. Der Körper zeigte zahlreiche eiternde wunde Stellen. Das Kind wurde auf einen glühend roten eisernen Herd gesetzt - zwei Wunden auf den Pobacken eiterten«, aber das Gericht sprach die Eltern frei."(...)
(auszüge aus lloyd deMause, "das emotionale leben der nationen", siehe literaturliste oder den link oben)
das sind zustände, wie sie sich nicht plötzlich erst in der beschriebenen epoche entwickelt haben, sondern auch vorher (zb. in der zeit von hölderlin) vorhanden waren - und spätestens seit den arbeiten verschiedener, v.a. ursprünglich "klassisch" psychoanalytischer dissidentInnen wie arno gruen und besondersalice miller, fortgeführt und ergänzt durch eigene ansätze von der psychohistorie und vielfältig belegt und gestützt durch die untersuchungen der aktuellen psychotraumatologie könnten eigentlich alle wissen, dass ein derartig destruktiver umgang innerhalb unserer eigenen spezies - gegenüber dem nachwuchs - nicht nur nicht ohne schwere negative konsequenzen für die direkt betroffenen bleibt, sondern auch das potenzial besitzt, ganze gesellschaften in ihrer sozialen basis schwer zu schädigen, wenn nicht sogar mittel ständiger zwanghafter re-inszenierungen der destruktivität auf den pfad der selbstzerstörung zu treiben.
ein ganz fataler mechanismus bei traumatischen prozessen stellt dabei die eigenschaft von traumata dar, sich zu tradieren - d.h., dass traumatisierte menschen, bei denen ohne bewussten umgang mit den trauma ihr ganzes leben von selbigen in vielfältiger art und weise totalitär bestimmt werden kann - in sachen körperlicher verfassung, körperlichem ausdruck, wertesysteme, weltvertrauen, soziales verhalten, beziehungsfähigkeiten, selbst- und fremdwahrnehmung - in einem bestimmten sinne gar nicht anders können, als ihre gesamte soziale umgebung und besonders "eigene" kinder ständig mit traumatischen und auch traumatisierenden strukturen im alltag zu konfrontieren und zu beeinflussen. und das auch, ohne das die kinder selbst als traumatisch zu bezeichnende erlebnisse am eigenen leib erlebt haben müssen. der gleich prozeß kann sich dann, selbst ohne neues traumatisches material, in abgeschwächter und modifizierter form noch in den nächsten generationen manifestieren. weitere informationen zu tradierten traumata im blog bspw.hier, hier, daunddort.
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ich glaube dabei, dass die informationen, die hinter der wahrnehmung der tatsache, dass traumata dazu neigen, sich in gewisser - und vielfältiger - weise fortzupflanzen stecken, noch nicht annähernd in ihrer vollen bedeutung und allen konsequenzen verstanden worden sind. auch ich möchte mir das nicht anmaßen, habe aber aus meiner inzwischen jahrelangen und teils sehr persönlichen beschäftigung damit immer wieder durch vage gefühle und bestimmte aha!-erlebnisse öfter den eindruck, als würde hier eine entscheidende weggabelung unserer weiteren evolutionären entwicklung liegen. will sagen, das es für mich in manchen momenten so erscheint, das es ohne ein breites sowohl individuelles als auch kollektives verständnis des prozesses "trauma" die erwähnte entwicklung nicht (mehr) geben wird. und die spezies insgesamt in einer phase der agonie, gewalttätigkeit, allgemeiner antisozialer atmosphäre und psychophysischer verwahrlosung enden wird (alles typische mögliche symptome eines traumas, zu besichtigen schon in vielen weltregionen). und, das sollte und muss dazu gesagt werden: es wird ein sehr qualvolles ende für die meisten sein, die das möglicherweise miterleben müssen.
deutschland stellt dabei eine art mikroskop dafür dar, was weit verbreitete - und primär durch den über jahrhunderte extrem brutalen und erbärmlichen umgang mit kleinen menschen erzeugte - traumata in massenhaften dimensionen innerhalb einer gesellschaft anrichten können. ich habe im letzten beitrag bereits das, was so allgemein unter dem begriff der "deutschen mentalität" verstanden wird, kurz umrissen. und sowohl die autoritätsängste (wurden und werden bis heute zuerst in den familien verankert) als auch bereitwillige unterwürfigkeit (dito) stellen ebenso wie die brutalität gegen alles anscheinend "schwächere" (wird bis heute von den sog. "eliten" benutzt) tatsächlich zwei zusammengehörige seiten einer medaille dar. je nach betroffenem mensch, der zugehörigen sozialisation sowie dem jeweiligen sozialen umfeld im näheren und weiteren (gesellschaftliche verhältnisse) sinne können traumatische strukturen sich mal im extrem in der einen oder der anderen weise ausdrücken. aber beides gehört funktional untrennbar zusammen.
wie die deutsche, von deMause inspirierte, psychohistorische forschung ausserdem darlegt, gibt es auffällige entwicklungsunterschiede zwischen deutschland und anderen europäischen ländern (zb. frankreich) im umgang mit kindern. und diese sind bruchlos bis 1945 zu konstatieren, erst nach dem ende der nazis lässt sich ansatzweise eine sehr langsame verbesserung wahrnehmen (und relikte der üblichen und "normalen" sog. erziehung bis 45 haben sich in der alten brd, aber wahrscheinlich auch in der ddr, mindestens bis in die 1970er jahre gehalten - stichwortheimkinder.) ebenfalls ist die mehrheitlich - zumindest öffentlich - entsetzte reaktion auf die immer wieder neuen fälle von verschiedener gewalt gegen kinder (siehe auch den index hier im blog, wo viele dieser fälle dokumentiert sind) eine für deutschland historisch recht neue reaktion, zumal die jeweiligen praktiken - kindermorde durch eltern, vernachlässigung, prügel - hier über jahrhunderte im bewusstsein viel zu vieler menschen als "normal" gegolten haben.
natürlich haben dann die historischen traumatischen kollektiverfahrungen durch diktaturen, kriege, flucht, vertreibung und auch all die gescheiterten bzw. teils "verratenen" revolutionen (wozu übrigens "1989" aus meiner sicht nicht zu zählen ist, denn das war eine systemimplosion und keine revolution) dann auf die eh schon vorhandene basis jeweils noch eins draufgesetzt bzw. diese basis immer wieder getriggert. und trotzdem halte ich den eingangs skizzierten unterdurchschnittlichen hiesigen umgang mit kindern für eine entscheidende - zumindest psychophysisch wirksame - quelle des ganzen deutschen desasters.
und eine der vielfältigen ausdrücke davon lässt sich nach meinem verständnis bspw. auch in den folgenden aussagen betrachten, mit denen ich dann wieder den bogen zur aktuellen situation schlagen möchte - stichwort"mentalitätsunterschiede":
(...)"Die Revolution fand vor zweihundert Jahren in Frankreich statt, nicht in Deutschland", sagt Rudolf Heim von der Chemiegewerkschaft IG BCE. "Das sind unterschiedliche Mentalitäten." Dabei ist die Wut auch in Deutschland groß: "Conti stellt die Systemfrage", erklärt Heim. Es gebe eine Betriebsvereinbarung, dass es zu keinen betriebsbedingten Kündigungen in Stöcken kommt. "Damit wird eine rechtsverbindliche Vereinbarung gebrochen." Doch diesen Streit will man geordnet juristisch austragen, obwohl auch die IG BCE weiß, dass "man langfristig vor Gericht die Standorte nicht sichern kann".(...)
Heim fürchtet nicht, dass Conti-Mitarbeiter derweil die Geduld verlieren könnten und einfach ohne ihre Gewerkschaft beschließen, das Werk in Stöcken zu besetzen. "In Frankreich haben wilde Streiks Tradition, doch nicht in Deutschland."
So sieht es auch Gewerkschaftsexperte Hans-Jürgen Arlt: In Frankreich gebe es eine Protestkultur, in Deutschland eine Verhandlungskultur."(...)
so kann man sich eigene autoritätsängste und damit vorhandene konfliktscheu bzw. -unfähigkeit auch schönreden. ich würde ja den begriff einer unterwerfungskultur eher realistisch finden. aber diese realität soll und darf bis datonicht ausgesprochenwerden:
(...)"Heitmeyer: Frankreich besitzt eine ganz andere Protestgeschichte und auch eine gewaltanfällige Protestkultur. Außerdem ist Frankreich eine Klassengesellschaft. Darin entstehen viel eher Protestbewegungen, weil die Menschen sich aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit leichter zusammenfinden.
sueddeutsche.de: Ist es auch eine Mentalitätsfrage?
Heitmeyer: Ja, auch. In Deutschland ist es bisher undenkbar, dass deutsche Arbeiter ihre Manager festhalten und als Geisel nehmen, so wie es jetzt in Frankreich passiert."(...)
starkes stück von heitmeyer, die tatsache der existenz einer klassengesellschaft in deutschland schlicht zu leugnen. und dann noch die nichterklärung mittels der "anderen mentalität". etwas quasinatürliches, vielleicht "genetisch bedingtes", wird damit suggeriert, was bei näherer betrachtung zur durchaus selbstproduzierten sozialen realität wird - selbstproduziert durch all die jahrhunderte voller schläge, grausamkeiten, beschimpfungen, anklagen und erzeugter schuldgefühle.
heribert prantl nähert sich dem ganzen komplex mit einemweiteren aspekt, der das bisherige ergänzt:
(...)"Ist jetzt Freiheit - oder ist noch Ordnung? Dieser fragende Satz aus den Fliegenden Blättern von 1848 ist ein deutscher Schlüsselsatz, er erklärt den deutschen Anti-Chaos-Reflex. Freiheit galt hierzulande lange nicht als Inhalt und Teil der Ordnung, sondern als ein Synonym für Unruhe und Chaos. Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingt noch heute in den politischen Debatten durch, mit denen neue Sicherheitsgesetze begründet werden; die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Sicherheit bringen. Ruhe ist erste Bürgerpflicht, Unruhe eine Pflichtverletzung. Das wurzelt tief im kollektiven Hintergrundbewusstsein."(...)
und der vorletzte satz war schlicht und einfach jahrhundertelang eine maxime des deutschen umgangs mit kindern. und auch vor diesem hintergrund ist ein ganz wichtiger satz zu lesen:
"Die gewalttätigsten Zeiten waren in Deutschland diejenigen, in denen keinerlei Unruhe geduldet wurde."
und an anderer stelle in der gleichen zeitung ist die folgendeselbstbeschreibungzu lesen:
"Wir gelten, das ist unser gerechtfertigter internationaler Ruf, als duldsam, zuverlässig, berechenbar und flippen auch in Krisenzeiten nicht aus."
der zusatz "noch nicht" ist eine option auf die zukunft, bei der weder die genaue art des möglichen "ausflippens" (in der vergangenheit hat das bereits zweimal fast die ganze welt zu einem militärischen eingreifen gezwungen) noch die möglichen ziele benannt sind. ebenfalls finde ich es verdammt fraglich, ob duldsamkeit in irgendeiner form nun eine besonders positive eigenschaft ist (wölfe mögen bekanntlich besonders sanfte schafe...)
und irgendwie ist dieses merkwürdig unformulierte, im vagen gelassene, unaus- oder auch nicht-zuende-geprochene, zwischen den zeilen offen gelassene zumindest in meinen augen typisch für viele der beiträge, die sich in den vergangenen tagen medial mit den berüchtigten "sozialen unruhen" beschäftigten. mir fiel dabei immer wieder ein satz von theweleit aus den "männerphantasien" ein, der sinngemäß in etwa lautete, dass in deutschland alleine die vorstellung eines bürgerkriegs (die höchste zuspitzung sozialer unruhen bzw. der eskalierte klassenkampf) deshalb in einem merkwürdig obszönen geruch stehe, weil man da "an den eigenen eltern rummachen" würde - er hat das vor dem hintergrund seiner spezifischen psychoanalytischen herangehensweise mit einer sexuellen note verknüpft, die ich nicht unbedingt sehe - aber der satz macht trotzdem sinn, wenn man davon ausgeht, dass sich die "eliten" immer wieder gerne, bewusst oder unbewusst, auch als elternfiguren inszenieren. was nur deshalb funktionieren kann, weil sich relevante teile der bevölkerung davon aufgrund ihrer eigenen psychophysischen struktur ansprechen lassen. und den eltern widerspricht man bekanntlich nicht, zumindest nicht in deutschland.
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ich vergesse bei all dem durchaus nicht, dass es spätestens seit den vielgeschmähten 68ern durchaus relevante und breiter wirksame veränderungen im umgang mit kindern hier gegeben hat; ebenfalls müssen heute die diversen gruppen von einwanderern und migrantInnen berücksichtigt werden (wobei ich die herkömmliche türkische kindererziehung nach meinem wissen ähnlich kritisch wie die deutsche bewerten würde), dazu kommen selbstverständlich auch noch ganz andere einflüsse, die über die frage des umgangs mit der krise hier mitentscheiden werden (wie die mögliche strategische und taktische intelligenz unserer antisozialen "eliten" bspw.), aber für mich ist das ausgeführte eben ein ganz entscheidender - und bspw. in den vielen aktuellen vergleichen zwischen deutscher und französischer "protestkultur" auch immer präsenter - historischer hintergrund, der von all jenen menschen, die sich hier emanzipatorische veränderungen wünschen und dafür arbeiten, keineswegs unterschätzt werden darf, was mehrheitlich leider immer noch der fall ist.
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im dritten teil der reihe wird es dann u.a. genauer um die (öffentliche) diskussion der "sozialen unruhen" hierzulande gehen.