Sonntag, 12. September 2010

aufgewärmt: sarrazin; die wirklichen machthaber; tradierte traumata

die gesellschaftliche szenerie hierzulande ist in diesen tagen wirklich bemerkenswert und lässt im wahrsten sinne des wortes (abgrund-)tief blicken: nicht nur erfreut sich der sarrazyniker weiter breiter ermunterung aus den reihen des "bild"-kontaminierten volksempfindens; nein, er hat auch gleichzeitig nochmal einen der heutigen elitären grundsätze konsequent umgesetzt: alles ist business:

(...) "Die Bundesbank hatte Sarrazin zunächst angeboten, für seine 17 Monate im Amt eine Pension ohne Abzug zu zahlen, wenn er sich freiwillig zurückzöge. Doch in den vom Bundespräsidialamt geführten Verhandlungen setzte Sarrazin in der vergangenen Woche eine noch höhere Forderung durch. Nun bekommt er eine Pension, wie sie ihm am Ende der regulären Laufzeit seines Vertrags im Jahr 2014 zugestanden hätte. "Der ist vom Stamme Nimm", sagte eine Führungskraft der Bundesbank." (...)

auf letzteres hatte ich schon im letzten artikel schon thema hingewiesen - mit welcher dreistigkeit dieser hybrid aus bankster, "politiker" und demagoge sich dann hinstellt und voller inbrunst auf diejenigen einprügelt, die nicht zuletzt aufgrund des wirkens von leuten wie ihm und seinen elitären gangmitgliedern die gesellschaftliche arschkarte zugeschanzt bekommen haben, ist schon bezeichnend - und zwar bezeichnend für ein größeres ausmaß an absolut verzerrter realitätswahrnehmung. er glaubt wirklich, er wäre etwas "besseres" und würde "wertvolles leisten" - und darum stünden ihm auch all seine privilegien quasi "natürlich" zu.

nicht nur diese gerade erwähnten inhalte, sondern auch die formalen kategorien wie quantifizierbare (!) "leistungen" selbst sind das problem, weil sie in den köpfen solcher leute quasi das einzige sinnstiftende element darstellen, was s. mit dem im letzten blogbeitrag erwähnten positiven bezug auf die pseudoidentitäre kategorie "deutsch" auch selbst unterstreicht. ohne das würden sie aller wahrscheinlichkeit nach in einem inneren chaos versinken. das ist eine erklärung, aber keine entschuldigung für derartiges treiben.

ebenfalls bezeichnenderweise stammt die in gewisser hinsicht bisher beste, weil inhaltlich und stilistisch treffendste öffentlich-mediale reaktion auf dieses treiben aus der krawallecke der politsatire, nämlich der "heute-show" im zdf - der kommentar von "hassknecht" (das wäre doch auch ein passendes synonym für s.) bringt alles wichtige auf den irrsinnigen punkt:



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"ja habt ihr denn noch alle latten am zaun?" ist dabei nicht nur die passende frage an alle claquere des s., sondern auch an seine elitären mitäter und täterinnen, deren aktionen in diesen tagen ebenfalls immer wieder rekordverdächtige ausmaße in sachen frechheit, vermutlicher korruption und scheißegal-mentalität erreichen. nicht nur, dass täglich wie das murmeltier auch die in mehrfacher hinsicht als bad bank zu betrachtende "hypo real estate" wieder einmal ein paar
lumpige kröten braucht, natürlich "nur vorübergehend", "nur als garantie" (aka faktische bürgschaft durch steuergelder) und ganz bestimmt nicht wegen einer grundsätzlich und andauernden prekären lage dieser zombiebank im "staatsbesitz" (ein nichtssagendes bzw. vernebelndes wort, denn "der staat" sind keinesfalls "wir alle") - nein, auch in sachen atomkraft wurde durch die sog. regierung einmal mehr unter beweis gestellt, wer hierzulande der hund ist - und wer den schwanz darstellt:

(...) "Die Atomkonzerne haben sich in dem Vertrag mit der Bundesregierung weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen. So werden die Kosten für die mögliche Nachrüstung auf 500 Mio. Euro je Kernkraftwerk begrenzt, heißt es in der Vereinbarung. Zudem sollen die Energieversorger auch vor einem Regierungswechsel geschützt werden. Verlängert oder erhöht eine andere Regierung die 2016 auslaufende Brennelementesteuer, können Eon , RWE , EnBW und Vattenfall Europe ihre Zahlungen an den Ökostrom-Fonds verringern. Das gilt auch für Steuern und Abgaben aus der sich eine "Zahlungspflicht im Zusammenhang mit dem Kernbrennstoffkreislauf (einschließlich Entsorgung)" ergibt." (...)

das alles wird noch schöner, wenn man sich den letzten satz auf der zunge zergehen lässt - schließlich sieht "entsorgung" hierzulande nicht zufällig so aus wie in der
asse, wo über jahrzehnte und unter der "verantwortlichkeit" verschiedendster regierungen nach dem motto vorgegangen wurde: "hau weg den scheiß, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". was nur dann für solche leute eine überraschung sein kann, die immer noch und immer wieder an die demokratiesimulation glauben (wollen) - da kann als gegenmittel ein nochmaliger blick in die liste der lobbyisten in regierungsdiensten helfen, um sich darüber klar zu werden, wer der hund ist, der da mit seinem regierungsschwanz wedelt. das praktische wirken dieser überaus emsigen gestalten in den diversen ministerien lässt sich kaum besser als an solchen beispielen illustrieren, wie sie oben genannt sind. das fällt dann aufgrund der unverhohlenen sorglosigkeit der protagonisten selbst im mainstream unangenehm auf (via feynsinn).

der götze der profitmaximierung erhebt jedenfalls zusammen mit den masken der ihn anbetenden deformierten charaktere an allen ecken sein hässliches haupt und vergiftet mit seinem fauligen atem die soziale realität - was natürlich in der konsequenz für sich "deutsch fühlende" dann nur heissen kann: mit gebrüll auf "ausländer" und erwerbslose. ja habt ihr denn noch alle latten am zaun?!?

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na, haben sie natürlich nicht (ich schreibe nicht "wir", weil es da durchaus noch relevante und qualitative unterschiede gibt, die nicht verwischt werden sollten). und das liegt gerade in diesem land, wie früher schon öfter thematisiert - z.b. anhand der
"vegetativen dystonie bzw. von tradierten traumata - an der unheilvollen und bis heute keinesfalls auch nur ansatzweise so wie nötig begriffenen, geschweige denn aufgearbeiteten, gewaltgeschichte. in diesem zusammenhang wurde auf telepolis vor ein paar tagen auf eine neue studie hingewiesen, deren ergebnisse und schlußfolgerungen meiner meinung nach durchaus relevant sind, wenn es darum geht, das aktuelle "politische" geschehen verstehen zu wollen:

(...) "In der Konsequenz hieße dies, dass traumatische Erfahrungen, die Kinder familiär oder auch gesellschaftlich etwa durch Kriege oder gewaltsame Konflikte erleben, in die zweite und dritte Generation weiter gegeben werden können, zumindest dann, wenn die Folgen nicht gezielt kompensiert werden. Und dies hieße, dass sich Verhaltensweisen, die sich durch Umweltbedingungen gebildet haben, eben auch über Generationen "genetisch" vererben, die sich auf diese Weise darauf einrichten, mit schlimmen Situationen zurechtzukommen." (...)

ähnliche studienergebnisse hatte ich vor längerer zeit schon mal
hier kurz vorgestellt. irgendwo an der grenze zwischen neuro- und hirnforschung sowie der epigenetik angesiedelt, widerlegt dieses wissen einerseits die thesen des s. vom quasi "determinierenden" gen und weist deutlich auf die entscheidende rolle auch der sozioökonomischen / psychosozialen zustände innerhalb einer gesellschaft hin (auf die oftmals problematische struktur dieser zustände in vielen islamischen ländern hatte ich im ersten beitrag zu s. kurz hingewiesen); andererseits eröffnet das auch eine verständnismöglichkeit für die art von resonanz, die der große fragmentierer sarrazin aus teilen der bevölkerung erfährt.

denn "mit schlimmen situationen" innerhalb einer traumatischen matrix zurechtkommen kann ganz verschiedenes heißen: es kann einen mehr oder weniger "reinen" opferstatus bedeuten, es kann aber auch - z.b. bei eigener unfähigkeit (aus welchen gründen auch immer) zur bearbeitung der eigenen situation kombiniert mit gewissen anpassungserwartungen und anforderungen zum gesellschaftlich-ökonomischen funktionieren von außen - zu einer individuellen struktur mit genau dem verhalten führen, welches ich hier in der vergangenheit als täter-opfer-dialektik bezeichnet habe. eigene schmerzen werden geleugnet / abgespalten; der oder die täter (meist in reihen des nächsten sozialen umfeldes zu finden) werden entschuldigt oder gar idealisiert; und die ganze traumatische situation wird in einem zwangsweise fehlschlagenen versuch der auflösung re-inszeniert, nun allerdings mit verteilten rollen.

an dieser stelle sollte ich vielleicht auch noch mal drauf hinweisen, dass es indizien dafür gibt, dass die vielfach unterschätzte bis nicht begriffene macht dieser strukturen wenigstens in teilen der "eliten" durchaus zumindest in ihren folgen begriffen, ins kalkül gezogen und instrumentalisiert wird - ein prominentes beispiel für entsprechende äußerungen wäre da
peer steinbrück.

große teile der heute lebenden bevölkerung in diesem land sind jedenfalls immer noch durch die traumatischen folgen von ns und wk2 schwer beeinflusst, und studien wie die oben genannte zeigen auch auf, wie das selbst mit über einem halben jahrhundert zeitlichen abstand noch der fall sein kann. und genau diese tatsache dürfte zu einem großen teil für die negative irrationalität vieler heutiger "debatten" mitverantwortlicht sein, bei denen es keinesfalls um "politik" im sinne der auch emotional rationalen kollektiven gestaltung und bestimmung der gemeinsamen lebensbedingungen geht, sondern eben oft genug primär ums ausagieren. und gerade für letzteres bildet die von s. initiierte suche nach "sündenböcken" ein passendes beispiel.

wenn man als experiment eine art "familiäres raster" über diese gesellschaft legt, lässt sich erkennen, dass sich große und relevante teile der "eliten" genauso verhalten wie niederträchtige, bösartige und machtsüchtige eltern in einer dysfunktionalen großfamilie: sie machen, was sie wollen und was ihnen gerade in den verdorbenen sinn kommt, nehmen keinerlei grenzen wahr, verspotten und verhöhnen, wiegeln auf und spalten ihre untergebenen - und die, "offiziell" im status von "erwachsenen, mündigen, selbstverantwortlichen staatsbürgern", werden davon in ihrer individuellen struktur angesprochen, die oft genug und in sehr verschiedenartigen variationen von dem geprägt ist, was ich traumatische matrix nenne - und verhalten sich dann so, wie ich es weiter oben unter dem punkt täter-opfer-dialektik skizziert habe.

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auch das obige kann insgesamt nur eine sehr grobe und modellhafte skizze sein, die aber meiner meinung nach tendenziell durchaus ein großes stück der tatsächlichen realität abbildet. und wie man so etwas auflösen, durchbrechen, ändern kann?

da hilft vermutlich tatsächlich zuerst ein blick in die vorgehensweise vieler psychiatrischer und psychotherapeutischer institutionen, wie sie sich bezgl. individueller menschen zeigt: als erstes muss bei bedarf das jeweilige ausagieren der eigenen störung in seiner struktur bewusst gemacht und gestoppt werden. das ist eine wesentliche voraussetzung für alles weitere. mit der frage, was das auf gesellschaftlicher ebene bedeuten könnte, lasse ich Sie jetzt vorläufig an einem verregneten sonntagnachmittag alleine.

Mittwoch, 8. September 2010

"Das Öl-Zeitalter"

bezugnehmend auf die empfehlungen und meine eigenen anmerkungen zum inhalt hier weise ich gerne darauf hin, dass die dokumentation jetzt auch bei yt zu sehen ist - wie üblich gestückelt, und zwar in elf teile, aber besser als gar keine möglichkeit. wie gesagt: eine erhellende geschichtslektion.

Dienstag, 7. September 2010

kontext 68: ist "portugal" überall?

wer das, was ich hier als gedankenexperiment entworfen habe, hinsichtlich der unterstellten inneren verfassung von "eliten" zu übertrieben oder bösartig findet, darf sich gerne ausführlicher mit geschichten wie dieser beschäftigen:

(...) "Dies ist kein freudiger Tag, nicht nach all dem, was passiert ist. Aber Pedro Namora ist erleichtert. Endlich wird Recht gesprochen. Auch ihn hat seine Mutter einst in einem Kinderheim der staatlichen Wohlfahrtsorganisation Casa Pia untergebracht. In einer Institution, die mittellose, verwaiste und taubstumme Kinder schützen sollte und in der sie missbraucht wurden. Namora hat es miterlebt. (...)

In dem quälend langen Prozess berichteten sie, wie sie in dunklen Kellern vergewaltigt wurden, wie sie nachts zu abgelegenen Häusern gefahren wurden. Und wie sich die Mächtigen an ihnen, den Schwachen, vergingen.

Die Angeklagten waren Teil der portugiesischen Elite, unter ihnen der einst beliebteste Fernseh-Showmaster Portugals, Carlos Cruz, außerdem ein prominenter Arzt, ein Unternehmer, ein hochdekorierter Diplomat und früherer Unesco-Botschafter. Den Angeklagten wurden insgesamt mehr als 800 Straftaten zur Last gelegt.

"Als die Tatverdächtigen bekannt wurden, wurden aus den Opfern die Bösen", erinnert sich Namora. Aber es könne doch nicht sein, "dass jahrelang Kinder vergewaltigt werden, dass ihnen Dinge angetan werden, die Sie sich nicht vorstellen können, und dann gesagt wird, die Angeklagten sind angesehene Persönlichkeiten, wir lassen sie in Ruhe". (...)


das erinnert strukturell nicht zufällig besonders an die phase nach bekanntwerden des
"falles dutroux vor jahren in belgien, wobei es da den aller wahrscheinlichkeit nach involvierten angehörigen der "eliten" gelang, mit den gleichen mitteln, wie sie auch die mafia einsetzt, eine derartige entwicklung mit juristischen konsequenzen wie jetzt in portugal - selbst, wenn sie bezeichnend langsam vonstatten ging und die ergebnisse nicht angemessen sind, nicht sein können, und dabei noch nicht mal endgültig sind: (...) "Beobachter sagten, das Verfahren werde mit der ersten Urteilsverkündung noch längst nicht zu Ende gehen. Die Anwälte der Angeklagten würden auf jeden Fall Berufung einlegen, um irgendwann eine Verjährung der Taten geltend zu machen." - zu verhindern und selbst im dunkeln zu verbleiben. ich würde beide fälle keinesfalls als ausnahmen ansehen, dazu ist inzwischen die internationale faktenlage - man betrachte in dem zusammenhang auch die kirchen, ebenso die niedergeschlagenen ermittlungen hierzulande in sachsen - zu stabil. von daher ist das fragezeichen im titel sozusagen als rhetorisches zu betrachten.

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ps: zum (nicht nur) von "spon" einmal mehr gedankenlos benutzten begriff "kinderschänder" nochmals der hinweis auf diese
anmerkungen.

Montag, 6. September 2010

assoziation: zum öligen menetekel (nicht nur) am golf (4)

(zum vorherigen dritten teil .)

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weil es zeitlich etwas drängt, möchte ich mich als erstes ausdrücklich der
empfehlung von fk anschließen - "Das Öl-Zeitalter", noch bis zum 8. september online zu sehen, ist eine äusserst lehrreiche dokumentation, die u. u. auch dazu führt, das eigene geschichtsbild nochmal zu überarbeiten - es gibt jede menge aha-affekte zu registrieren, angefangen von der kriegsentscheidenden rolle des öls im ersten weltkrieg (der erste große einsatz von panzern und motorisierten truppentransportern auf seiten der westlichen alliierten war entscheidend - wobei "standard oil", ähnlich wie "krupp" in sachen waffen, an alle seiten verkaufte und sich dumm und dämlich verdiente), über die rolle des öls im nationalsozialismus und im zweiten weltkrieg - hier wird mehr als deutlich, dass ohne die hilfe der us-amerikanischen konzerne "standard oil" und "duPont" (für die gewinnung von synthetischem und für die nazis absolut kriegswichtigem öl aus kohle) sowie "general motors" bis weit in die frühen 1940er jahre hinein die grundsätzliche kriegsfähigkeit der wehrmacht mindestens massiv eingeschränkt gewesen wäre; bis hin zur kolonialgeschichte der global wichtigsten öl-region, dem nahen/mittleren osten, mit einem schwerpunkt auf den iran

bei betrachtung der rückblenden und interviews konnte ich mich des eindrucks nicht erwehren, dass auf dieser ebene menschlicher aktivität bei den protagonisten eine mentalität zu verzeichnen ist, die irgendwo auf der ebene eines mit existenzieller dringlichkeit gespielten hybrids aus "risiko" und "monopoly" angesiedelt ist. konferenzen, entscheidungen am "grünen tisch", geheimgespräche, intrigen, kartelle und militärisches strategisches kalkül prägen das überaus unerfreuliche, aber erhellende bild. zusammen mit der expliziten giftigkeit des stoffes erdöl selbst legt die geschichte des öls in der menschlichen welt die wertung nahe, das bislang kein anderer rohstoff (gleichrangig würde ich hier als einzige noch die radioaktiven ressourcen ansehen) bei seiner nutzung derart destruktive folgen für die gesamte spezies hervorgebracht hat. ich glaube, dass dieses urteil selbst dann gilt, wenn man die vielen, auf den ersten blick durchaus vorteilhaften, anwendungen des öls gegenüberstellt - primär natürlich der medizinische fortschritt, aber auch die erweiterten möglichkeiten der nahrungsmittelproduktion (wobei damit dann wieder andere schädliche folgen verbunden sind, die das ganze dann relativieren).

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und gerade die letztgenannten beiden punkte weisen geradewegs auf etwas hin, was in der langsam in gang kommenden öffentlichen diskussion zu peak oil bisher kaum thematisiert wird: es gibt nämlich eine meiner meinung nach sehr nachvollziehbare und plausible direkte
verbindung zwischen ölförderung und globalem bevölkerungswachstum (die grafik ist in dem hier schon früher verlinkten oelschock-beitrag zur exponentialfunktion enthalten).

die - und hier ist das wort wirklich angebracht - brutalen schlußfolgerungen liegen auf der hand:

1. das öl hat durch die durch seine nutzung errungenen technologischen fortschritte in medizin & nahrungsmittelproduktion überhaupt erst das für uns heute gewohnte wachstum der population der spezies möglich gemacht.

2. durch diverse einflüsse hat sich das modell der auf fossilen rohstoffen basierenden und kapitalistisch organisierten westlichen industriezivilisation auf dem ganzen planeten faktisch selbst zum scheinbar alternativlosen vorbild in sachen lebensgestaltung und -stil stilisiert, was quasi alleine dem damit assoziierten materiellen wohlstand zuzuschreiben ist - für die absolute mehrheit der menschheit aufgrund ihrer erbärmlichen und teils nichtmal das nötigste existenzielle abdeckende lebensbedingungen eine nachvollziehbare verlockung.

3. peak oil (es ist offensichtlich immer noch notwendig zu betonen, dass es sich dabei um die abseh- und teils berechenbare verknappung billigen öls handelt, und nicht um das komplette materielle versiegen aller bekannten quellen; auch dieser aspekt kommt in der eingangs erwähnten doku zur sprache) wird nun beide vorherigen punkte grundsätzlich untergraben und angesichts der ansonsten im blog breit diskutierten psychophysischen verfassung großer teile der spezies, die eine sozusagen ganzheitliche (auch emotionale) rationalität in sachen organisierung unserer kollektiven lebensbedingungen (das wäre politik im eigentlichen sinne) als schwierig bis unmöglich erscheinen lässt, mit erhöhter wahrscheinlichkeit zu massiven verteilungskämpfen bis hin zu kriegen um die letzten erreichbaren ölreserven führen. solche kriege wurden in der vergangenheit schon geführt, werden aber zukünftig aufgrund des finalen charakters der ganzen geschichte ungeahnte ausmaße in jeder hinsicht annehmen.

damit ist auch gleichzeitig eine allgemeine globale reduktion des materiellen lebensstandards unausweichlich - was das bedeutet, zeigen u.a. die hungerrevolten des sommers 2008 in vielen trikontländern (es waren ungefähr 30 staaten betroffen) genauso an wie das langsame zerbröseln der - relativen - materiellen sicherheit für immer mehr menschen in den westlichen ländern. klar, das ist bisher auch eine folge der globalen ökonomischen krise (wobei diese bereits durch peak oil getriggert erscheint) - dabei ist es nicht mehr zulässig, ökonomische, hunger-, ressourcen- und ökologische krise in fragmentierender wahrnehmung jeweils "für sich" zu betrachten - die verzahnungen und gegenseitigen beeinflussungen sind unübersehbar und ich habe auf diesen umstand auch schon öfter hingewiesen, der alles ausserordentlich erschwert. wir haben allesamt eine fatale neigung zur komplexitätsreduktion, und das ist bei einer umfassenden fundamentalen und globalen krise wie derjenigen, in die wir inzwischen voll eingetreten sind, eine absolut schlechte voraussetzung für lösungswege aus dieser situation, die diesen namen auch verdienen würden.

4. ein weiteres ganz zentrales hindernis auf dem weg zu einem positiven umgang mit dem ganzen problemknäuel liegt in den selbsterklärten gesellschaftlichen "eliten" rund um den planeten, bzw. ihrem tun, lassen, denken und fühlen. sie tendieren dazu, sämtliche selbst (mit-)verursachten probleme alleine innerhalb ihrer tunnelhaften instrumentellen und objektivistischen wahrnehmung unter der prämisse des eigenen überlebens in ihren heutigen machtpositionen zu betrachten. das führt dann einerseits zu einer überbetonung der hoffnung auf technologischer alternativen (die aber beim öl unmöglich auf allen relevanten feldern greifen können, weil sie schlicht nicht vorhanden sind und auch zukünftig nicht sein werden - das hat u.a. etwas mit den unschlagbaren eigenschaften der energiebilanz von öl zu tun. dazu kommt noch, dass auch bei einer ganzen reihe anderer rohstoffe, von denen heute technologie, infrastruktur und versorgung abhängen, in relativ naher zukunft peaks zu erwarten sind - angefangen von
phosphor [für die landwirtschaft enorm wichtig] bis hin zu den sog. "seltenen erden" ), andererseits wird nach außen mit notorischer geheimniskrämerei gegenüber der bevölkerung agiert, wie verschiedene vorfälle der letzten jahre belegen - als letzter bekannt gewordener sei auf den im vorherigen beitrag zur peak oil-studie der bundeswehr verlinkten spon-artikel hingewiesen, wo es bezgl. der britischen regierung heisst:

(...) "Erst in der vergangenen Woche hatte der "Guardian" darüber berichtet, dass das britische Department of Energy and Climate Change (DECC) Dokumente unter Verschluss halte, wonach sich Großbritanniens Regierung weit größere Sorgen über eine künftige Versorgungskrise macht, als sie zugeben will.

Demnach arbeiten das DECC, die Bank of England, das britische Verteidigungsministerium und Vertreter der Industrie an einem Krisenplan, der sich mit den Folgen möglicher Versorgungsengpässe beschäftigt. Anfragen des sogenannten Peak Oil Workshops an Energieexperten liegen SPIEGEL ONLINE vor. Eine DECC-Sprecherin bemühte sich, den Vorgang herunterzuspielen. Die Anfragen seien "Routine", sagte sie dem "Guardian"; sie hätten keine politischen Implikationen." (...)


ein solches verhalten weist deutlich darauf hin, dass hier ganz heisse eisen im feuer sind. um die mögliche natur dieser eisen besser begreifen zu können, jetzt nochmals ein hinweis auf einen film - "collapse" nach dem buch des us-amerikanischen autors
michael c. ruppert dreht sich primär um seine - aus seiner biographie heraus interessante - sicht auf peak oil und die folgen, und ich sehe mich leider gezwungen, ihm im großen und ganzen zuzustimmen (wie ich andere thesen von ihm finde, ist ein anderes thema).



die anderen teile (acht insgesamt) sind auf yt zu finden.

wie ich finde, macht ruppert nochmals sehr eindringlich auf die wahrhaft umwälzenden konsequenzen des peaks für so ziemlich alle lebensbereiche aufmerksam. und lässt dadurch erahnen, was für "lösungen" möglicherweise den heutigen "eliten" diesbezgl. vorschweben könnten - unter den oben genannten prämissen natürlich.

ich möchte dazu ein kleines gedankenexperiment veranstalten: wie würden Sie denn als fiktives mitglied der "eliten" mit der sich abzeichnenden situation umgehen? Sie haben natürlich ein interesse daran, Ihre derzeitige position - materiell mehr als angenehm ausgestaltet; vor allem aber mit realen möglichkeiten der machtausübung ausgestattet (die Sie für Ihre psychophysische homöostase dringend benötigen) - nicht nur zu behalten, sondern wenn möglich noch auszubauen (denken Sie daran, dass Sie sich in einer ständigen überlebenskonkurrenz befinden, bei der es keine freunde gibt, sondern nur zeitweilige [pseudo-]verbündete, die sowohl von gemeinsamen ressentiments als auch kühlen nutzkalkulationen motiviert sein können).

und jetzt sind Sie also mit diesen problemen von grenzen konfrontiert, die Sie nicht wie gewohnt manipulieren können, wie´s Ihnen gerade in den kram passt, weil es sich dabei u.a. um die folgen solcher fundamentalen prozesse wie den gesetzen des exponentiellen wachstums und auch der thermodynamik -
entropie heißt hier das stichwort - handelt. womöglich begreifen Sie weder diese prozesse noch die folgen auch nur annährend; was Sie aber durchaus zu spüren vermögen, sind gefahr und bedrohung für die einzige Ihnen vorstellbar erscheinende lebensweise.

Sie nehmen das alles ernst und denken in Ihrer typisch instrumentellen rationalität darüber nach. als erstes fällt ins auge: es gibt da draussen entschieden zuviele artgenossen - bestenfalls nützliche verwertungsmasse, werden im zuge des sich beschleunigenden niedergangs gerade der ökonomischen strukturen immer mehr von diesem gerade noch erträglichen status zu überflüssigen und störenden dingen herabsinken, die kostbare ressourcen beanspruchen und möglicherweise, sofern nicht völlig verelendet, auch überhaupt ansprüche stellen - hunderte von millionen, ja milliarden unruheherde und -stifter. wer braucht die? Sie als allerletztes.

nun haben Sie es ja schon durchaus geschafft, in den letzten jahrhunderten zusammen mit Ihresgleichen verhältnisse zu etablieren, in denen z.b. der tägliche hungertod von ein paar zehntausend dieser überflüssigen und störenden als "normalität" begriffen wird und bei sehr vielen, etwas weiter oben in der hierarchie befindlichen, nichts weiter als ein desinteressiertes schulterzucken auslöst.

hungertod wird natürlich weiter ein verlässliches lösungsmittel darstellen, aber das wird absehbar nicht reichen. kriege bieten sich an, auch eine art der bevölkerungspolitischen kontrolle, allerdings auch in zeiten der nuklearwaffen mit einem gewissen risiko für Sie selbst behaftet. und Sie haben ein recht neues problem derart am hals, dass die reduzierung der massen seit längerer zeit auch wieder in Ihrer eigenen geographischen sphäre stattfinden muss, nämlich im "goldenen westen" selbst. was v.a. deshalb ein problem darstellt, weil Sie es dort mit einer in immer noch zu großen teilen verweichlichten bevölkerung zu tun haben, die sich über jahrzehnte angewöhnt hat, nicht nur einen gewissen lebensstandard, sondern auch das gerede von "demokratie", selbst innerhalb der grenzen der obligatorischen demokratiesimulationen, zu ernst zu nehmen. wie bringen Sie diesen störrischen leuten bei, dass jetzt andere töne angesagt sind? wie bringen Sie ihnen bei, mehr und mehr gruppen als fremd und schlecht zu betrachten, was dann die nötigen maßnahmen doch sehr erleichtern würde?

zuerst haben Sie natürlich den ganzen fundus bewährter machttechniken zur verfügung, als wichtigtes das "teile-und-herrsche"-spiel, neben den angejahrten klassikern wie nationalistische und rassistische spaltungslinien immer wieder brauchbar. aber das wird in dieser neuen situation nicht reichen, es müssen einfach noch viel mehr verschwinden. in Ihren kategorien natürlich nicht die leistenden, jung und stark - wobei es auch von denen eigentlich zu viele gibt -, sondern zuerst alles schwächliche und gebrechliche. rente mit 70? warum nicht, sollen die sich doch totarbeiten und sich dabei noch etwas nützlich machen. reduzierung der medizinischen versorgung? kein thema, wer schwach und krank ist, wird auch in der natur umgehend beseitigt. vielleicht ist auch eine wiederkehr schon ausgerottet geglaubter seuchen möglich, deren erreger jetzt natürlich modifiziert sind. daneben auch soviele definierte gruppen wie möglich aus dem land schaffen - sollen sich die anderen mit denen rumplagen. mehr grenzsicherungen deshalb, um das wiedereinsickern zu verhindern. ein schlagkräftiges und professionelles militär, weil der kampf um die noch verfügbaren ressourcen - an erster stelle, aber bald nicht mehr alleine, öl - ganz oben auf der agenda stehen wird. mehr kontrolltechniken nach innen, weil unruhe ein ständiger begleiter der neuen zeit sein wird.

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ich breche dieses experiment an dieser stelle mal ab, weil klar sein sollte, worum es geht. es kann ganz lehrreich sein, sich mal die gegnerperspektive vor augen zu führen. was ich aber daran am frappierendsten finde, ist die zu beobachtende schrittweise verwirklichung dieser perspektive. nicht im sinne eines "masterplans", aber mit einiger wahrscheinlichkeit durchaus so zustandekommend, dass an verschiedensten schaltstellen - in staatlichen ministerien/behörden, konzernzentralen etc. - durchaus instrumentell intelligente leute sitzen, denen die probleme und ihre ausmaße in der skizzierten - antisozial - eingeschränkten art und weise durchaus bewusst sind. und die in ihren bereichen das reden und noch mehr das handeln anfangen, vielleicht mal da eine beeinflussung einer öffentlichen debatte, mal hier ein paar vorstöße für gewisse neue gesetze. ein regelrechter plan scheint sich dann zu formen, wenn dieses verhalten massiv die öffentliche wahrnehmungsschwelle durchbricht, aber selbst dann scheint das nur ein plan zu sein. ich würde bis auf weiteres - solange die entwicklung nicht absolut dramatische züge annimmt - durchaus mit den üblichen innerelitären fragmentierungen, machtkämpfen und intrigen rechnen, weil ein größerer teil dieser leute eben aufgrund ihres psychophysischen status dieses verhalten als normalen existenzmodus leben muss. was in der durch die krise (umfassend gemeint) bestimmten neuen situation nun vermutlich dazukommt, ist ein kleinster gemeinsamer nenner namens "eigenes überleben", so wie eingangs des gedankenspiels benannt. vergessen Sie nicht, dass sich ein relevanter teil derjenigen, die heute global an gesellschaftlichen schaltstellen sitzen, strukturell nicht von den mitgliedern einer beliebigen mafiösen organsiation unterscheidet.

und nochmal: betrachten Sie sich unter den genannten prämissen einmal die aktuellen gesellschaftlichen diskussionen und diskurse, von "hartz-IV" über den sarrazynismus (schöne wortschöpfung übrigens) bis hin zur umstrukturierung der bundeswehr, den veränderungen im gesundheitswesen und dem pseudo-atomausstieg. und schauen Sie nicht nur auf d-land. und vor allem: machen Sie sich den wahrscheinlichen inneren zustand vieler derjenigen klar, die Sie tag für tag im fernsehen und in zeitungen als entscheider und leistungsträger vorgeführt bekommen. aber ebenso jenen vieler sog. "normalmenschen"!

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so, das ist jetzt erstens wieder einmal länger als gedacht geworden, hat zweitens nur indirekt etwas mit dem golf zu tun, und drittens bin ich jetzt nicht auf die bundeswehr-studie eingegangen. aber nun ja: da die krisenbegleitung schon länger ins blog integriert ist, kann ich sagen, dass peak oil dabei auch zukünftig eine zentrale rolle spielen wird. ich werde mich in den nächsten wochen nochmals direkt mit der situation am und im golf sowie anderen schauplätzen der störfälle der letzten zeit beschäftigen, und dann weiter schauen. die anderen zentralen blogthemen begreife ich dabei nicht als gegensätzlich, sondern ich finde durchaus, dass das alles möglichst oft zusammen betrachtet werden muss.

Dienstag, 31. August 2010

notiz: die bundeswehr macht sich gedanken über peak oil

auf diese studie, in voller länge einzusehen bei peak-oil.com, bin ich vor ein paar wochen aufmerksam gemacht worden und ich habe vor, sie in einer weiteren folge der menetekel-assoziationen ausführlicher zu kommentieren. da ich aber erst frühestens zum wochenende genügend zeit und ruhe für etwas längeres habe, würde ich allen interessierten leserInnen in der zwischenzeit die lektüre empfehlen - könnte eine art augenöffner der besonderen art sein. und ist besonders interessant bezgl. anderer gesellschaftlicher aktueller debatten, die anscheinend erstmal nichts mit diesem thema zu tun haben - betonung eben auf anscheinend.

"Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat im August 2010 eine Studie zum Thema Peak Oil veröffentlicht. "Peak Oil - Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" ist die erste Teilstudie der Gesamtstudie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert". Das Papier und die darin gemachten Aussagen haben zwar einen militärischen Blickwinkel als Schwerpunkt, sind aufgrund der langfristigen und strategischen Sichtweise für nichtmilitärische Institutionen und Akteure besonders interessant. Erstellt wurde die Studie vom Dezernat Zukunftsanalyse, welches die Aufgabe hat, Szenarien in Hinblick auf den Zeitraum 2025 bis 2040 zu skizzieren." (...)

ps: auch "spon" hat die studie inzwischen
entdeckt.

Montag, 30. August 2010

notiz: "Ich fühle mich sehr deutsch"

trefflicher und prägnanter kann eine selbstdiagnose wie diese von einem gewissen thilo s. gar nicht ausfallen - vor allem dann, wenn noch die allzu typische und individuell angepasste symptompalette dieses zustands dazu kommt: dummschwätzerei, "rasse"hygienisches erbrechen, fulminante pseudowissenschaftlichkeit, verdinglichung als wahrnehmungsmodus und eine ordentliche egozentrik.

ich hatte die letzten tage großen widerwillen verspürt, an diesen wirklich deutschen sozialdemokraten - ich vermute, der espehdeh passt vor allem nicht, dass er ihr wirklich nur einen spiegel vor die nase hält - auch nur ein wort zu verschwenden. wozu? argumentativ ist gegen diese art von gehobenem stammtischgeschwätz nicht wirklich was zu machen, was nur z.t. daran liegt, dass das gerede von ganz weit rechtsaussen verlässlich abstrus daher kommt. eher ist entscheidend, dass solche typen und ihr anhang tatsächlich primär um das kreisen, was im zitat der überschrift zum ausdruck gebracht wird: sie "fühlen".. und zwar sich am liebsten in hierarchien, klaren oben-unten-verhältnissen und ganz allgemein gesprochen im binären modus: WIR und DIE.

zu den durchaus pathologischen bedeutungsebenen hinter einen aussage wie "ich fühle mich sehr deutsch" hat sich klaus theweleit vor jahrzehnten schon in seinen "männerphantasien" etliche, eher klassisch psychoanalytische gedanken gemacht. was ich von solchen attributen wie "deutsch" (wahlweise läst sich hier auch jedes andere adäquate wort einsetzen) halte, habe ich ausführlicher
hier dargestellt. ansonsten bleibt anzumerken, dass s. genau wie seine claquere mit einem veralteten und rein instrumentell definierten begriff von intelligenz herumfuhrwerken und gerade dadurch belegen, dass sie selbst keinesfalls als intelligent zu betrachten sind:

(...) "Nicht das bloße Vorhandensein von Gefühlen, Emotionen, Stimmungen und Affekten, sondern der bewusste Umgang mit ihnen macht eine hohe emotionale Intelligenz aus." (...)

auch in sachen genetik humpelt s. ungefähr ein halbes jahrhundert hinter dem
aktuellen stand hinterher, und der wird maßgeblich durch die epigenetik definiert:

(...) "Die neuen Entdeckungen erschüttern das bisherige Wissen über Genetik und gängige Vorstellungen von Identität. Stellen also infrage, was gemeinhin angenommen wird: dass die DNS unser Aussehen, unsere Persönlichkeit und unsere Krankheitsrisiken bestimmt. Die These "Die Gene sind unser Schicksal" ist bei vielen zur Überzeugung geworden. Solche eindimensionalen Vorstellungen aber sind nun obsolet. Denn selbst wenn Menschen exakt über die gleichen Gene verfügen, unterscheiden sie sich häufig in den Mustern der Genaktivität und damit auch in ihren Eigenschaften." (...)

und seine beiträge zur "völkerkunde" besitzen schon eine regelrecht humoristische qualität - wie war das mit
"den basken" und ihrem gen, thilo?

"Die Geschichte der heutigen Europäer hat nach neuen Forschungsergebnissen Wurzeln im Baskenland und ist weit älter, als bislang angenommen. Mindestens drei Viertel der Europäer gehen demnach direkt auf Urahnen zurück, die schon in der Eiszeit auf dem Kontinent lebten, also vor mindestens 20.000 Jahren." (...)

ich ziehe die imaginäre (basken-)mütze vor Ihnen, das liegt nämlich irgendwo vergraben in meinen genen...

ganz großer sport ist natürlich auch die adäquate behauptung hinsichtlich "der juden", die in letzter konsequenz zwangsweise in der erstaunlichen erkenntnis mündet, dass die zugehörigkeit zu einer religiösen gruppe genetisch bedingt, wenn nicht gar determiniert ist - dann ist es nur noch eine frage der zeit, bis das christen-, hindu- oder buddha-gen gefunden ist. oder gar das scientology-gen? vom islam ganz zu schweigen, der ja eh das lieblingsthema solcher knallchargen der marke thilo s. darstellt. das problem ist nur wieder mal, dass sie in ihrer typischen manier aus einem restbestand an tatsächlicher realitätswahrnehmung (bezgl. der zustände in islamisch dominierten gesellschaften empfehle ich nochmals
diesen beitrag, der einige gründe dafür aufzeigt, warum besonders männliche migranten aus islamischen gesellschaften tatsächlich in gefahr sind, egal an welchen orten auffälliges(!) antisoziales verhalten zu entwickeln. das hat aber nichts mit "dummheit" und nur sehr peripher etwas mit genetik zu tun) einen widerwärtigen mix aus ihren mit pseudowissenschaftlichkeit unterlegten als-ob-gefühlen brauen - in der wahl der zielgruppe(n) mutet das alles eher beliebig an, und ich würde mir zutrauen, mittelfristig aus eben diesem spektrum auch genügend anhängerschaft für, sagen wir mal eine kampagne zwecks erzeugung von "problembewusstsein" hinsichtlich der fragwürdigen rolle von leuten mit sommersprossen im gesicht (die gene!) in dieser gesellschaft zu mobilisieren. you know what i mean?

echte antisoziale wie hitler haben regelmässig mit ihrer fähigkeit "geglänzt", die sozusagen frei flottierenden ansammlungen von hass innerhalb einer gesellschaft zu bündeln und ihnen ausdruck zu verleihen. auf einer komplexeren ebene manipulieren sie u.a. die minderwertigkeitsgefühle vieler gesellschaftlicher verlierer (die es im kapitalismus zwangsweise gibt, ja geben muss) in richtung des oben erwähnten binären modus und konstruieren sich zusammen mit denen eine art pseudokollektiv ("nation", "volk", "gott" [in allen varianten]), in dem sich die verlierer bzw. alle unter ähnlichen ängsten leidenden dann aufgehoben fühlen können (und der begriff darf ruhig wortwörtlich verstanden werden).

das alles ist eigentlich ausdruck abgrundtief trauriger verhältnisse, und gleichzeitig brandgefährlich, wie ein blick in ein beliebiges geschichtsbuch belegt. aber wie gesagt: mit rationaler argumentation ist den für derartigen unsinn auf sarrazinischem niveau anfälligen genausowenig beizukommen wie klassischen nazis. es geht dabei nicht um "politik", sondern um kollektive wie individuelle pathologische zustände und die möglichkeiten zu derem ausagieren - das ist das eigentliche geschäft jeder faschistischen / faschistoiden mobilisierung.

*

die säue, die seit geraumer zeit in ermüdender regelmässigkeit von leuten wie s., dem anderen s. (sogenannter philosoph) oder auch g. heinsohn durchs dorf getrieben werden, sind allerdings keine rein hiesige spezialität, wie ein blick auf die wahlergebnisse in so ziemlich allen europäischen ländern ebenso zeigt wie die an bizarrer weltwahrnehmung und expliziter dummheit sogar ihre europäischen brüder und schwestern im fundamentalistischen ungeiste noch übertreffende "teaparty"-bewegung in den usa. alles zusammengenommen bietet sich ein bild, welches ich öfter schon in den krisennews der vergangenen zwei jahre angesprochen hatte - ob es sich nun um berlusconis getöse gegen "ausländische vergewaltiger" in italien handelte, die pogrome offen faschistischer paramilitärischer gruppen gegen roma in osteuropa (v.a. ungarn), die "wilden streiks" in großbritannien gegen "ausländische" arbeiter oder auch die jagdszenen an der südgrenze der usa gegen die migranten aus mittel- und südamerika - in der großen und aufgrund vieler zusammenkommender einflüsse wahrscheinlich finalen krise nicht nur des kapitalismus, sondern auch des damit untrennbar assoziierten "way of life" ist es bei den bis auf weiteres ausbleibenden emanzipatorischen aktionen und massenwirksamen bewegungen eben alles andere als erstaunlich, dass sich "eliten" und die ahnungslos-vorahnenden ängstlichen bevölkerungsteile zusammen auf die suche nach sündenböcken machen, finanziert und moderiert natürlich von den ersteren.

sarazzin war "politiker" und ist jetzt banker, wenn auch im staatlichen sold, und damit real gesehen angehöriger zweier der antisozialsten und destruktivisten elitären schichten überhaupt (btw: er verhält sich übrigens ansonsten auch neben seiner ideologieproduktion
genau so :

(...) "Mit 46 Nebentätigkeiten war Sarrazin im Juni 2008 das Senatsmitglied mit den meisten Nebentätigkeiten. Er ist unter anderem Mitglied des Aufsichtsrats der Berliner Verkehrsbetriebe, der Charité, der Investitionsbank Berlin und der Vivantes GmbH. Im Rahmen der Tempodrom-Affäre wurde ihm vorgeworfen, Landesgelder regelwidrig vergeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhob im November 2004 Anklage. Ermittelt wurde außerdem gegen zwei weitere SPD- und zwei CDU-Politiker, drei Unternehmer und zwei Wirtschaftsprüfer. Gegen den ermittelnden Oberstaatsanwalt reichte Sarrazin eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Das Landgericht Berlin lehnte es im Dezember 2004 ab, das Hauptverfahren zu eröffnen, da die Anklage als unschlüssig angesehen wurde.

Seit August 2009 ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Sarrazin wegen Untreue. Er soll dem Golf- und Landclub Berlin-Wannsee e. V. einen Golfplatz zu günstig verpachtet und jenen so finanziell begünstigt haben. Sarrazin wies die Vorwürfe mit der Begründung zurück, er sehe keinen Vermögensschaden für das Land." (...)
)

kurz: vermutlich ist s. aufgrund seiner rein instrumentellen intelligenz (die böseste von allen formen) durchaus in der lage zu erkennen, dass der ganze laden hier absehbar den bach runter gehen wird, allem aufschwungsgetöse zum trotz. und das nicht erst in jahrzehnten, sondern in jahren. und da müssen aus elitärer sicht nicht nur nach innen ("teile und herrsche"), sondern auch nach aussen die zügel angezogen werden. eine im vergleich zum medialen auflauf um s. völlig untergegangene nachricht der letzten tage macht auch hier einiges
deutlicher:

(...) "Zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr gehöre auch die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, dem Nachrichtenmagazin Focus. Für den Exportvizeweltmeister Deutschland "wäre es eine Katastrophe, wenn die Handelswege, insbesondere nach Südostasien dauerhaft eingeschränkt oder bedroht wären", sagte Driftmann. "Die dürfen wir nicht Piraten überlassen." (...)

Driftmann hatte vor seinem Eintritt in das Unternehmen der Familie seiner Frau bei der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium Karriere gemacht und ist Vize-Vorsitzender der Expertenkommission zur Reform der Bundeswehr.

Mit ähnlichen Äußerungen zu den Zielen der Bundeswehr hatte der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler scharfe Kritik auf sich gezogen." (...)


und trat dann bekanntlich beleidigt zurück. interessant, dass einer der führenden köpfe bei der "reform" der armee, für die sich von guttenberg gerade mächtig ins zeug legt, genau die gleiche vorstellung von den aufgaben einer berufsarmee hat. das finde ich ebenso interessant wie den verlag von sarrazins machwerk: die "deutsche verlagsanstalt" ist ein teil von bertelsmann, und dieser name steht in verbindung mit "stiftung" bekanntlich für genau jene extremistische neoliberale transformation des letzten jahrzehnts, die zur krise geführt hat. ich würde nun nicht soweit gehen, einen "masterplan" zu vermuten, aber die zeitliche und personelle abfolge der forderungen, dieses land nach innen quasi mit einem kapitalistisch-autoritären regime unter mobilisierung von nationalistischen und rassistischen affekten auszustatten bei gleichzeitiger umformung der bundeswehr in ein instrument zur imperialistischen intervention zwecks unterstützung der "deutschen wirtschaft" ist schon auffällig, von den personellen verquickungen ganz zu schweigen.

*

all dieser destruktive und hochgefährliche quatsch wird natürlich nicht verhindern können, dass das ganze system sein verdientes und überfälliges ende finden wird. aber dazu mehr demnächst.

Sonntag, 22. August 2010

notiz: (nichts grundsätzlich) neues aus der anstalt

liebe insassen der geschlossenen station der milchstraße,

heute möchten wir in einer weiteren folge unserer beliebten medialen rundblicke wieder einmal einen blick auf das vielfältige treiben unserer mitpatientInnen wagen. betrübliche verrückt- und tollheiten allerorten sind weiter zu verzeichnen und aufgrund der fülle sehen wir uns zum wiederholten male gezwungen, den focus eher auf die zwischenzeitlich angesammelten und zu kurz gekommenen fälle zu legen. die themen peak oil/öl sowie alles rund ums klima werden in nächster zeit mit eigenen beiträgen fortgesetzt.

*

zum tödlichen geschehen auf der diesjährigen
loveparade gibt es eigentlich nur soviel anzumerken, dass das erwartetet schauspiel seinen trostlosen verlauf nimmt - der ob ist immer noch im amt, und bis dato geht das gegenseitige fingerzeigen zwischen stadt, veranstalter und polizei / innenbehörden fröhlich weiter. einer derjenigen gründe, warum diese katastrophe länger als sonst üblich zumindest in teilen der öffentlichen aufmerksamkeit präsent ist, liegt neben dem offen erkennbaren skandalösen versagen aller organisatorisch beteiligten auch darin, dass von beginn an quasi auch ausserinstitutionell "ermittelt" wurde, und zwar von direkt involvierten genauso wie von etlichen, denen aufgrund des schauspiels nach dem unglück der mund offen stehen blieb. die fülle von besonders im netz verfügbaren augenzeugenberichten und videomaterial machte das in diesem fall und in einem solchen ausmaß zumindest hierzulande zu einer premiere; ich kann mich jedenfalls an nichts vergleichsbares erinnern. exemplarisch für die relativ zahlreichen seiten und blogs, die in der zeit nach der katastrophe versuchten, zur aufklärung beizutragen, sei hier nur auf loveparade2010doku hingewiesen, die sich mit der inzwischen so ziemlich alles öffentlich zugängliche material enthaltenen sammlung zu einer art portal für alle entwickelt hat, die sich jenseits der öffentlichen verlautbarungen selbst ein bild machen möchten. die seite sollte im gedächtnis bleiben, falls es irgendwann in ferner zukunft dann doch noch zu juristischen konsequenzen kommen sollte.

*

da ich vermute (und hoffe ;-), dass ein größerer teil meiner leserInnenschaft hier auch oder gerade trotz virtueller präsenz gerne umgang mit altmodisch analogen büchern pflegt, sei hier auf das
"Nichts" der autorin janne teller hingewiesen:

(...) "Kurz nach den großen Ferien beschließt Pierre Anthon, seine Klasse zu verlassen, weil ihm eben nichts etwas bedeutet. Er wird nie wieder in den Unterricht zurückkehren. Stattdessen sitzt er tagelang auf einem Pflaumenbaum in der Nähe der Schule und provoziert seine Kameraden mit Sprüchen: "In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist das mit allem." Oder er ruft ihnen nach: "Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob - und eben genau dabei der Beste zu sein." Und dazu wirft er mit reifen Pflaumen." (...)

ein stück sehr umstrittener, weil angeblich jugendverderbender, literarischer - nihilismus? klingt jedenfalls (und zwar nicht nur wegen den oben zitierten passagen) sehr interessant. als nachschlag gibt´s noch ein interview mit teller:
"Lehrer sagten, dieses Buch ist schädlich".

*

womöglich wird es auch etwas einfältige zeitgenossen geben, die solche bücher mitverantwortlich machen für etwas, was sich schon seit jahren als tendenz immer wieder in klinischen studien, krankenkassenreports etc. ablesen lässt:
"Jedes vierte Kind wird krank":

(...) "Hoher Leistungsdruck führt bei Kindern und Jugendlichen zunehmend zu psychosomatischen und psychischen Problemen. Rund ein Viertel der bis zu 18-Jährigen in Deutschland leiden nach einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) etwa an Kopf- und Bauchschmerzen, Unruhe, Depression oder Ängsten. In den 90er Jahren lag der Anteil noch bei etwa 20 Prozent, wie der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Michael Schulte-Markwort sagte. (...)

"Kinder sind heute unglaublich diszipliniert und leistungsbereit", betonte Schulte-Markwort. "Im Prinzip ist das ja etwas Gutes - aber nicht, wenn sie nicht mehr merken, dass sie sich überfordern, oder wenn ihre Eltern überhöhte Anforderungen stellen." (...)


im prinzip ist das ja etwas gutes - pfff. für wen denn eigentlich? und warum?

(...) "Ein großes Problem dabei: Diese Beschwerden sind häufig die "Eingangssymptomatik" für psychische Auffälligkeiten. "Wenn man das nicht behandelt, bilden sich psychische Symptome oder Störungen aus", sagte der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik.

Ursachen für die zunehmenden psychosomatischen und psychischen Probleme seien Reizüberflutungen und hohe Anforderungen an Kinder - vor allem in den weiterführenden Schulen. "Das ist Ausdruck der veränderten Umweltbedingungen, unter denen Kinder heute groß werden." Eltern, Ärzte und Erzieher seien bei solchen Symptomen aber auch aufmerksamer geworden, betonte der Wissenschaftler: "Früher wurde das eher bagatellisiert und für unwichtig erklärt." (...)


letzteres würde ich eher noch mal differenzieren wollen, und zwar ungefähr so: 1. es gibt einen realen anstieg realer psychophysischer störungen. 2. es gibt eine tendenz (gründe gerade außenvorgelassen), früher eher als "normal" betrachtetes verhalten gerade von kindern im schlechten sinne zu pathologisieren 3. beides kann die bezugspersonen von kindern ins rotieren bringen. 4. letzteres dürfte besonders in bürgerlichen und materiell (noch) besser gestellten milieus der fall sein, weniger in der sog. unterklasse.

ich bin gerade unwillig, alles nochmal herauszukramen, aber gerade das thema vielfältig gestörter kinder / jugendliche hat hier in all den jahren im blog in verschiedensten zusammenhängen eine traurige rolle gespielt. bei interesse sehen Sie bitte im
index nach. dazu passt auch die folgende meldung im juni aus berlin: Immer mehr Erstklässler müssen zum Psychiater:

(...) "Besonders angespannt ist die Lage in den Problembezirken, in denen die Hälfte der Kinder zur sozialen Unterschicht gerechnet werden. Ausgerechnet hier sind die Ärzte so knapp, dass sich die Einschulungsuntersuchungen zum Teil bis in den August ziehen. In den Vorjahren war hier etwa jedem fünften Kind akuter Förderbedarf bescheinigt worden.

„Rund 20 Prozent der Kinder sind gefährdet“, bestätigt Michael Aster, Chefarzt am DRK-Klinikum Westend. Wenn man sie nicht „massenhaft opfern“ wolle, müssten sich die Schulen genau auf ihre Bedürfnisse einstellen. Das aber gelinge offenbar nicht überall, und dann würden „die Kinder, die scheitern, schnell in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen“. (...)


das ist nebenbei auch ein weiteres lehrstück darüber, wie in diesem land die ökonomischen prioritäten gesetzt werden.

*

nicht nur bezgl. des obigen spielt dabei die entwicklung immer ausgefeilterer diagnostischer methoden und entsprechender technik ebenfalls eine rolle. das folgende lasse ich für den moment mal unkommentiert, halte es aber als
information für durchaus wichtig:

"Es könnte eine Revolution in der Autismus-Diagnose sein: Forscher haben eine Methode entwickelt, die die psychische Störung per Hirnscanner aufspüren soll. Der Test soll binnen 15 Minuten ein zu 90 Prozent sicheres Ergebnis liefern. (...)

Das Team um Christine Ecker vom King's College London hat die Hirnstruktur von Freiwilligen mit Hilfe eines Magnetresonanztomografen und einer speziellen Software präzise untersucht. Unter den Probanden befanden sich 20 Autisten, bei denen Diagnose zuvor anhand von IQ-Tests, psychiatrischen Interviews und physischen Übungen sowie Bluttests erfolgt war. Als Kontrolle dienten 20 gesunde Menschen und 19 Probanden mit Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Die psychische Störung ähnelt in ihren Symptomen einigen Autismusformen.

Mit Hilfe des Magnetresonanztomografen und der Software untersuchten die Wissenschaftler die graue Hirnsubstanz der Freiwilligen auf bestimmte Veränderungen in Form, Struktur und Dicke. Das Computerprogramm war auf Basis von Daten aus Gehirnscans anderer Autisten erstellt worden, schreiben die Forscher im "Journal of Neuroscience" (Bd. 30, Nr. 32). Die Ergebnisse hätten sie sich als erstaunlich präzise erwiesen: Die Trefferquote habe bei 90 Prozent gelegen. (...)

Das Computerprogramm gebe sogar Hinweise auf die Schwere der Erkrankung. Schon in einem oder zwei Jahren könne man die Untersuchung klinisch einsetzen. Dazu müsste man nicht einmal neue Geräte kaufen, betonte Ecker. "Alles, was man braucht, ist ein Software-Update für die Hirnscanner." (...)


(die rechtschreibung des originals im ersten absatz habe ich mal korrigiert; den begriff "psychische störung" jedoch müsste man eigentlich aufgrund gleich mehrfacher unsinnigkeit in diesem zusammenhang rausschmeissen.)

*

auch nix neues, wenn ich mir nur mal entsprechendes material im index betrachte:
Der Konsum von Antidepressiva nimmt zu:

(...) "Demnach habe sich das Volumen der verschriebenen Antidepressiva unter Deutschlands Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: Im Vergleich zum Jahr 2000 gebe es eine Steigerung von 113 Prozent.

Statistisch gesehen erhielt jeder Berufstätige 2009 für acht Tage Medikamente zur Behandlung von Depressionen. Frauen erhielten im Schnitt mit 10,5 Tagesrationen deutlich mehr Antidepressiva als Männer, die Medikamente für sechs Tage verschrieben bekamen.

Zwischen einzelnen Bundesländern gibt es gravierende Unterschiede. Während die Berufstätigen in Bayern mit neun Tageseinheiten bundesweit das höchste Pro-Kopf-Volumen verschrieben bekamen, erhielten die Sachsen-Anhaltiner nur knapp sechs Tage Antidepressiva." (...)


lustig-bizarr finde ich ja die zitierte verwunderung darüber, warum ausgerechnet in bayern die verschreibungsquote am höchsten ist, wo doch gleichzeitig dort die "wenigsten psychisch bedingten krankschreibungen" zu verzeichnen wären. tja, diese welt ist halt voller rätsel - besonders, wenn man den kopf tief und fest im sand stecken hat.

*

die junge welt hatte neulich einen lesenswerten text rund um die zusammenhänge von medialer beeinflussung, schönheitsidealen, "selbstoptimierung" des "eigenen" körpers und essstörungen veröffentlicht - der eignet sich aufgrund der fülle an auslösenden assoziationen für eine ruhige stunde.
"Wow, das sieht aber geil aus". dazu empfehle ich nochmals verschiedene adäquate blogbeiträge hier - keywords sind dafür borderline, tattoos, piercing, models, popkultur und narzissmus.

*

abteilung evolutionsbiologie: unter der überschrift
Sex macht einsam gibt es bei spon ein eindrucksvolles beispiel dafür, wie man mit fehl- und kurzschlüssen sowie unzulässiger analogiebildung vermutlich in ihrem rahmen durchaus zutreffende wissenschaftliche beobachtungen in ein schäbiges stück ideologie verwandelt. das wird besonders hübsch deutlich im letzten absatz:

(...) "Es gibt keinen Grund, warum der Grad der Treue nicht auch bei Säugetieren inklusive den Primaten die Ausbildung eines sozialen Netzwerks beeinflussen sollte", sagt Griffin. "Sex behindert, zumindest was die Evolution betrifft, tatsächlich das Sozialverhalten."

So könnte der Mensch etwa von der Blattschneiderameise noch eine Menge lernen. Zumindest, wenn es um Selbstlosigkeit geht. Tag für Tag arbeiten die Insekten unentwegt für ihren Staat, schleppen Blätter zum Bau, zerkauen sie und ernähren mit dem Brei ihre Nahrungsgrundlage, einen Pilz - eine perfekte Symbiose. Jede der Arbeiterinnen ist ein kleines Puzzlestück in einem großen Kollektiv. Das soziale Geflecht kann aus zwei Gründen bestehen: Die Insekten sind sich genetisch ähnlich - die Arbeiterinnen sind Schwestern. Und sie sind unfruchtbar. Sexabstinenz hält den Ameisenstaat zusammen."


das hier selbstlosigkeit und sexabstinenz umstandslos als (positive) grundlagen für ein (menschliches) staatswesen dargestellt werden, ist eine wertvolle erkenntnis, die ich jedoch aller wahrscheinlichkeit nach leicht *hüstel* anders begreife als spon. ansonsten hat es sich dort offensichtlich auch noch nicht herumgesprochen, dass es zwischen menschen und (staatenbildenden) insekten doch so ein paar nicht unwichtige unterschiede gibt. aber insgesamt passen die aussagen des artikels durchaus zum zeitgeist, in dem sich ja sowieso heuschrecken und parasiten tummeln...

der vollständigkeit halber sei aber auch noch angemerkt, dass ich den oben zitierten letzten satz des forschers nicht grundsätzlich für falsch halte - es gibt durchaus formen von sexualität bzw. von pseudosexuellem verhalten, die ich selbst als hochgradig antisozial betrachten würde. überall da nämlich, wo sich machtbedürfnisse in sexualisierter art und weise ausdrücken oder sich quasi sexuell "maskieren". ich fürchte aber, dass der satz nicht unbedingt in diesem sinne gemeint wurde.

*

bleiben wir noch etwas bei der (sozio-)biologie, diesmal in der abteilung
olfaktorische belästigungen:

"taz: Deopflicht am Arbeitsplatz - das fordert Ursula Frerichs, die Präsidentin des Unternehmerverbands mittelständische Wirtschaft. Herr Hatt, warum stört uns Schweißgeruch so sehr?

Hanns Hatt: Das ist ein kulturelles Problem. Es gibt keine genetische Disposition, Schweiß als unangenehm zu empfinden. Durch unsere Erziehung definieren wir Schweißgeruch als negativ. Eltern erzählen ihren Kindern, sie würden nach Schweiß "stinken". Das war nicht immer so. Vor 200 Jahren war Schweißgeruch für manche Nasen durchaus attraktiv. Napoléon hat seiner Joséphine immer geschrieben: "Wasche dich nicht, ich komme!" (...)


finde ich persönlich ein sehr spannendes thema - ich fühle mich durchaus nicht von schweißgerüchen belästigt (klar, es gibt da durchaus ausnahmen), sondern in aller regel von aufdringlich-betäubenden parfüm- und sonstigen duftwolken, gerade in öffentlichen räumen. ebenfalls verzichte ich seit jahrzehnten auf deos und kann nicht sagen, dass das von anderen groß als störend empfunden wird.

(...) "Botox für die Achseln, die Schweißdrüsen entfernen lassen: Die Methoden zur Schweißhemmung werden immer extremer. Herrscht in unserer Gesellschaft ein Hygienewahn?

Wir haben mit der Zeit sicher ein gestörtes Verhältnis zu den natürlichen Dingen entwickelt, die unser Körper produziert. Im Moment ist die Gesellschaft in einer gegenüber Düften sehr zurückhaltenden Phase. Ich persönlich finde es schade, dass wir diesen Sinn so ausklammern.

Warum ist das so?

Wir leben in einer technologischen Welt und denken, wir kommunizieren gar nicht mehr auf diese Weise. Wir gehen nicht mehr mit offener Nase durch die Welt, sondern nur noch mit offenen Augen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das ändern wird und wir uns in zehn oder zwanzig Jahren wieder mehr der Nase zuwenden. Man sieht das ja auch mit dem Rauchverbot in Lokalen. Da kommt wieder viel mehr Eigenduft zutage und plötzlich erstaunt es einen, was man alles wieder riechen kann.

Wenn unsere Gesellschaft Gerüchen so zurückhaltend gegenübersteht, verlernen wir dann auch das Riechen?

Riechen hat mit Übung zu tun und die Nase arbeitet 24 Stunden am Tag. Aber auch wenn wir nicht mehr so stark auf Gerüche achten, die Nase registriert sie trotzdem. Das heißt, die Duftinformation läuft ständig und verändert so unser Gehirn, beeinflusst unsere Erinnerungen und Emotionen. Würden wir die Düfte bewusst wahrnehmen, könnten wir mit den Informationen mehr anfangen. So entscheiden wir uns für etwas, wofür eigentlich der Duft die Ursache war, rechtfertigen unsere Entscheidung aber mit visuellen Faktoren." (...)


yo. das vergessen anscheinend die meisten, die sich da täglich einnebeln: gerüche sind informationen, und innerhalb unserer spezies auch und gerade im sozialen bereich relevant - ein satz wie "ich kann dich nicht riechen" verweist unmittelbar auf diese tatsache. es gibt da ja eine schon etwas ältere these, die sinngemäß ungefähr besagt, dass die verbreitung von synthetischen "wohl"gerüchen auch damit zusammenhängen würde, dass wir uns inzwischen bevorzugt auf relativ engem raum innerhalb großer städte tummeln und ein quasi "reiner" geruchstransfer von mensch zu mensch allerhand unerwünschte, weil das soziale leben sehr komplizierende, folgen haben würde; als herausgehobenes beispiel wurde dann immer etwas skizziert, was sich als territorialprobleme unter (männlichen) säugetieren bezeichnen ließe - fremdgerüche, die u.a. hormonell induziertes kampf- und revierverhalten induzieren würden. keine ahnung, wieviel da wirklich dran ist, wobei sich das teilweise für mich plausibel anhört. aber insgesamt finde ich, dass sich die abneigung nicht nur gegen fremde, sondern auch eigene körpergerüche bei vielen zeitgenossen durchaus als symptom der umfassenden entfremdung verstehen lässt. interessantes thema allemal.

*

so. fast zum schluß noch etwas, was ich als eines der bisher wenigen erfreulichen ereignisse dieses jahres in erinnerung behalten werde. meinen persönlichen sommerhit nämlich, der heisst "tightrope", kommt von janelle monáe aus new york, und ist teil des letzten albums von ihr, "the archandroid" - ein heutzutage seltenes exemplar aus der spezies der konzeptalben, welches sich thematisch mit sci fi-haften visionen der kommenden interaktionen von menschen und maschinen beschäftigt. und zu allem überfluss passt das ambiente des videos auch noch perfekt zu diesem beitrag...

also, wer auch nur den hauch von gefallen an black music - funk, soul - findet, sollte sich das nicht entgehen lassen. mich persönlich treibt der bass immer in den lachenden wahnsinn, und dazu ist der song voll von verschiedensten stimmungen und hat schlicht einen umwerfenden groove (herrjeh, ich rede schon wie ein verdammter werbetexter ;-) - aber in diesem fall: sei´s drum.




*

die musik ist auch durchaus als untermalung für das nun wirklich letzte fundstück für heute geeignet, welches mal wieder aus der beliebten rubrik "psychiatry meets popculture" stammt. und ganz im ernst:
haben wir das nicht immer schon geahnt?

"Der Psychiater Eric Bui diagnostiziert bei Anakin Skywalker eine Borderline-Persönlichkeitsstörung - und sieht in der Krankheit einen Grund für den Erfolg der "Star Wars"-Filme." (...)

(und ich finde, da ist durchaus nicht alles nur an den haaren herbeigezogen).

Donnerstag, 12. August 2010

notiz: "third world america"

...titelt aktuell die huffington post auf ihrer ersten seite, und bezieht sich damit auf das geschehen der letzten tage in atlanta (bundesstaat georgia), wo es städtischerseits einen öffentlich angekündigten termin gab, bei dem sich menschen mit wohnungsproblemen auf eine warteliste (!) für ein diesbezgl. öffentliches hilfsprogramm setzen lassen konnten.

was dann folgte, waren szenen, die aktuell in teilen der us-amerikanischen (medialen) öffentlichkeit für echte verstörung sorgen:



nach allerletzten schätzungen waren es rund 30.000 menschen, die sich teils bereits am tag und in der nacht vor dem behördlich angesetzten termin in den straßen rund um die ausgabestelle (eine art shopping mall) zusammenfanden bzw. dort übernachteten. an den ausgabetagen (dienstag und mittwoch) selbst bildeten sich in den umliegenden straßen lange schlangen und es kam zu einem derartigen gedränge, dass am ende riot police angefordert wurde - da es auch in atlanta gerade sehr heiss ist, kam es nicht nur im gedränge, sondern auch durch die hitze zu dutzenden von verletzten, die in krankenhäuser gebracht werden mussten. gleichfalls kam es zu kaputten scheiben und die verteilung der berechtigungsscheine musste von polizei übernommen werden.

laut verschiedenen quellen war dort übrigens ein großer anteil der leute den "working poor" zugehörig, also menschen ohne wohnung (oder nur mit drecklöchern), aber durchaus mit schlecht bezahlten jobs.

wie nennt der reporter vor ort im video das? "this is a very disgusting scene..." - yo. land of the free, home of the brave...

*

edit am 14.08.: das ursprüngliche video ist auf yt entfernt worden (danke für den hinweis @NIM), ist aber auf der eingangs verlinkten seite der huffpost noch zu sehen. ich hab´s jetzt ersetzt.

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iromeister - 12. Jun, 12:45
Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

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