assoziation: kritikhäppchen und -happen, speziell für und an linke menschen
das thema der weit verbreiteten mafiösen (und ähnlicher banden-) strukturen in vielen gesellschaften rund um die welt scheint sprachlos zu machen? ich dachte eigentlich, dass hier mehr widerspruch kommen würde - etwa auch zum punkt meiner impliziten (und bewußt provozierenden) aussage, dass es eine strukturelle übereinstimmung zwischen der als normal angesehenen durchschnittlichen kapitalistischen ökonomie und dem gibt, was so allgemein mit "mafia" bezeichnet wird (ich benutze das wort hier als metapher für die organisierte kriminalität). die fließenden grenzen zwischen beiden sektoren jedenfalls, die - wie im artikel neulich gezeigt - belegbar sind, deuten imo auf eine deutliche innere verwandtschaft hin - und wie die zustande kommt, ist eine sehr wichtige frage.
wie die aktuellen ereignisse rund um die folterflüge der cia deutlich machen, beschränkt sich diese eigenart der fließenden grenze natürlich nicht nur auf die pure ökonomie. das etwas unpräzise wort mentalität kommt mir in den sinn - ich kann diesbezgl. keine wirklichen unterschiede zwischen dem verhalten von bestimmten politikerInnen, sog. geheimdiensten (und dem rest der repressionsapparate), unternehmensführungen und der mafia erkennen. und das ist etwas, was mir auch in der ökonomie- und gesellschaftskritik von links absolut zu kurz kommt.
ohne ganz konkreten bezug zu obigen themen (aber durchaus mit indirektem), hat arno gruen vor vielen jahren folgendes geschrieben:
"Die Angepaßtheit an die etablierten Werte und Formen unter Mißachtung des eigenen Innenlebens ist eine unerschöpfliche Quelle alltäglicher Gewalt. Solange Erfolg definiert wird als Kontrolle und Beherrschung und Erfolg wiederum den Selbstwert definiert, sind alle Unterschiede der gesellschaftlichen Struktur ziemlich bedeutungslos: Das Selbst bleibt in jedem Fall verstümmelt. Ein Wechsel der politischen Ideologie ändert weder etwas an der Verstümmelung des Selbst noch an der daraus resultierenden Gewalt."
(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s.100 - siehe literaturliste)
hier hat gruen imo kurz und knapp den entscheidenden grund für die relative erfolglosigkeit aller bisherigen revolutionen (worunter auch auch das fällt, was in historischen rückblicken bspw. auf die russische revolution gerne als "pervertierung" bezeichnet wird) skizziert. linke ansätze, die die relevanz der strukturen des menschlichen gehirns und nervensystems sowie die daraus resultierenden wahrnehmungs(un)fähigkeiten und -möglichkeiten als eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste basis für das gesamte menschliche soziale leben nicht in betracht ziehen, nicht wahrnehmen oder ignorieren wollen, können keinerlei tatsächlich emanzipative entwicklung in gang bringen. sie können vielleicht, in besonderen historischen situationen und unter besonderen umständen, voraussetzungen dafür schaffen, dass eine gesellschaft weniger traumatische gewalt erlebt, dass die intellektuellen reflektionsmöglichkeiten durch bspw. breite alphabetisierung überhaupt erst in den bereich des möglichen kommen können u.ä. - aber sie können und konnten bisher nicht die grundsätzlichen tiefenstrukturen erreichen, in denen die prozesse ablaufen, die u.a. hier im blog ständig thema sind. und das liegt auch an einer falschen theorie bzw. an einer unhinterfragten akzeptanz des kulturellen kontextes, in dem theorien entstehen - genau dieser kulturelle kontext jedoch ist geprägt von den jeweiligen vorherrschenden psychophysischen strukturen innerhalb von relevanten mehrheiten der menschen einer gesellschaft:
"Karl Marx glaubte an eine Befreiung und Erneuerung des Menschen durch Umverteilung der Produktionsmittel. Er analysierte zusammen mit Friedrich Engels anhand brillianter Details die ökonomische Struktur des Kapitalismus, der Habgier und Besitz (-denken, mo) fördert. Doch er ging davon aus, daß Ohnmacht Schwäche sei, die der Mensch überwinden müsse, und erklärte die Eroberung der Dinge - auch die der Natur - zum obersten Ziel des Menschen. Damit verewigte er die Ideologie des machtorientierten Selbst sowie das soziale Übel, das er bekämpfen wolte. Er hat den Machtkämpfen eine neue Richtung gegeben, aber nicht die Ursachen verändert. Und noch schlimmer: indem er die menschlichen Möglichkeiten - auch die Moral (diesen punkt sehe ich bekanntlich anders, anmerk. mo) - nur unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelte und nichts anderes zuließ, versperrte er den Weg zur Erkenntnis der tatsächlichen Wurzeln des Machtstrebens."
(gruen, "der wahnsinn...", s.100)
zu ergänzen wäre dazu noch, dass der wissenschaftliche anspruch, den marx selbst auch an sich stellte, deutlich unreflektiert alle fragwürdigkeiten des naturwissenschaftlichen weltbildes transportiert - u.a. eine verschärfte objektivistische wahrnehmung - , welches zu seiner zeit faktisch als konkurrenzlos betrachtet wurde. die reduktion auf die pure ökonomie jedoch als quasiwurzel allen (sozialen) übels stellt nach wie vor einen kapitalen und erkenntnisverhindernden fehler dar. viele jahre in der autonomen linken haben mich immer wieder dazu gebracht, mich mit der tatsächlichen definition von radikalität zu beschäftigen: radix, die wurzel - radikal = an die wurzel gehend (nebenbei gesagt, ist das übrigens auch der grund dafür, warum das wort rechtsradikalismus eigentlich einen widerspruch in sich darstellt...).
keineswegs radikal ist es imo, zwar den offensichtlichen wahnsinn der aktuellen und historischen gesellschaftlichen machtverhältnisse anzuprangern und zu analysieren, bei der analyse jedoch immer genau an den punkten aufzuhören, an denen es meiner meinung nach tatsächlich interessant wird: bei dem, was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr - alles "erklärungen", die in diskussionen zum standard rechtskonservativer bis (neo-)faschistischer "argumentation" gehören. das das tatsächlich existierende "böse" hingegen jedoch eine wahrnehmung des/der wahrnehmenden darstellt, bzw. besser eine durch wahrnehmung übermittelte information, einen wahrnehmungsinhalt (der in diesem speziellen fall quasi sofort mit einer moralischen wertung gekoppelt daherkommt) - diese tatsache scheint nicht allzusehr im bewußtsein verbreitet zu sein. auch nicht im linken. denn dann müssten eigentlich sofort weitergehende fragen gestellt werden: fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen. ebenfalls ist es nötig, nach den grundlagen dafür zu fragen, warum mir eigentlich etwas als bösartig vorkommt. das aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird. und in der logik der macht geradezu verhindert werden muss. denn genau hier sitzt ihre wichtigste und vermutlich eigentliche basis - als bedürfnis von entsprechend deformierten, verletzten und eingeschränkten körpern bzw. hirnen und nervensystemen (als basis unserer individualität/unseres selbstgefühls). genau hier liegt die tatsächliche - und materielle - wurzel aller hierarchischen verhältnisse, in denen macht als selbstzweck(!) den allerhöchsten wert besitzt. anders: machtbedürfnisse lassen sich als ausdruck eines fehlschlagenden versuchs psychophysischer selbstregulation innerhalb eines menschen verstehen. und der fehlschlag ist auf dauer unausweichlich. (es sei denn, die menschliche struktur an sich formt sich durch psychophysische bzw. genetische mutation selbst zu einer der macht ideal kompatiblen struktur um - diesen schwer beunruhigenden gedanken hatten wir schon einmal hier - punkt 5 .)
dadurch lässt sich auch zb. verstehen, warum ökonomische armut alleine zwar begünstigend, nicht jedoch primär auslösend für bösartiges antisoziales verhalten ist - rechtsextreme, faschistische, rassistische, sexistische und allgemein autoritäre einstellungen (als ausdruck von objektivierungsprozessen innerhalb der individuellen und kollektiven wahrnehmung) sind quer durch alle ökonomischen klassen hindurch anzutreffen und tatsächlich eher mit konzepten wie den psychoklassen von deMause zu begreifen, als mit der rückführung auf ökonomische klassenzugehörigkeiten. ebenfalls wird dadurch begreiflich, warum sich zb. in der endphase der weimarer republik ein recht umfangreiches und wiederholtes wechseln der mitgliedschaften von autoritären kommunisten und nazis ergeben hat - beide organisationen zogen durch ihre strikt hierarchische und autoritäre formierung natürlich die jeweils dafür disponierten persönlichkeiten an, die sich dann jeweils ebenso natürlich nur nach dem oppurtunitätsprinzip an die jeweils "erfolgreicher" scheinende seite hielten - ideologien sind in derlei strukturen tatsächlich beliebig austauschbar. (das eher intuitive begreifen dieser zusammenhänge dürfte damals auch wilhelm reich in seine eskalierenden konflikte mit der kommunistischen parteiführung getrieben haben).
"Hilflosigkeit kann aber nicht durch Machterwerb und Herrschaftsausübung bewältigt werden. Jede Theorie, die dies anstrebt, tut dem einzelnen Menschen und seiner Entwicklung Gewalt an. Die linke Gesellschaftstheorie nimmt zwar für sich in Anspruch, den Menschen aus dem Gang seiner Geschichte erklären zu können. Sie tut dies aber auf Kosten des Individuums, weil sie Macht nur unter dem Blickwinkel der Macht analysiert. Das mag sich tautologisch anhören, ist aber der entscheidende Punkt, da sie den Menschen alleine durch die Macht wirtschaftlicher Kräfte determiniert sieht. Georg Plechanow, der frühe Theoretiker und Propagandist des russischen Sozialismus, glaubte, daß er in seiner Untersuchung der historischen Prozesse die Rolle des Individuums beschreiben würde, tatsächlich aber leugnete er die Rolle, die das Individuum für den Fortgang der Geschichte spielt: `Die menschliche Natur kann heute nicht länger als die letzte und allgemeinste Ursache des historischen Fortschritts angesehen werden: Wenn sie unveränderlich ist, kann sie nicht den wechselvollen Gang der Geschichte erklären; kann sie sich aber wandeln, dann geschieht das ganz offensichtlich durch den historischen Fortschritt selbst."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
der letzte satz von plechanow muss heute ergänzt werden: natürlich fällt der "historische fortschritt" nicht vom himmel, sondern kann seine basis nur innerhalb der menschen haben - das ist ein wechselseitiges verhältnis, bei dem aber die möglichkeiten für verändertes individuelles verhalten primär und ausschlaggebend sind - ändere ich nur die gesellschaftlich äusseren strukturen, so habe ich es dennoch mit im schlimmsten fall mit einer mehrheit von menschen zu tun, für die die gerade abgeschafften strukturen einen gewissermaßen authentischen ausdruck ihrer deformierten individuellen bedürfnisse dargestellt haben - die basis für alle konterrevolutionären und reaktionären bewegungen. das, was in einer mechanistischen marxistischen interpretation gerne als gesellschaftlicher "überbau" bezeichnet wird, dürfte real tatsächlich die basis aller emanzipatorischen veränderungen darstellen.
ich finde es immer sehr bedauerlich, das viele von sich selbst als links verstehenden bis heute auf die lektüre von solschenizyns "archipel gulag" verzichtet haben - mag er auch heute mit seinen monarchistischen und reaktionären ansichten ein ideales angriffsziel darstellen, so ist dieses buch von ihm - der sich bis zu seiner verhaftung und auch noch danach selbst als begeisterter marxist ansah, bei seiner verhaftung offizier der roten armee im kampf gegen die nazis - doch die nachdrücklichste und eindrucksvollste widerlegung etlicher autoritär-kommunistischer mythen, von denen der stalinismus nur einen teil bildet. unter anderem macht er auch mit einer sehr detaillierten analyse der struktur der stalinistischen polizei- und justizapparate einerseits sowie mit der beschreibung der rolle und funktionen der in den arbeitslagern regelrecht privilegierten offen kriminellen bevölkerungsteile andererseits sowie der fast schon als "ideal" zu bezeichnenden gegenseitigen ergänzung und inneren anziehung beider gruppen etwas deutlich, was für die heutige linke nur lehrreich sein kann: nämlich die erkenntnis, dass ein als "eigentlich" als befreiend-emanzipatorisch gedachtes modell unter vernachlässigung der tatsächlichen basis der sozialen katastrophe und falscher und mechanistischer prämissensetzung (hier: die ökonomie) zwangsläufig in die simulation von befreiung führen muss - ein als-ob-sozialismus. tatsächlich hat das bolschewistische system faktisch von beginn an, verschärft im offenen stalinismus, genau die art von selektion gezeigt, die auch offen im faschismus, und versteckter in den heutigen kapitalistischen "demokratien", abläuft: machtmenschen bevorzugt! genauer: leute mit autoritären bis offen psychopathischen zügen und zwanghaft-bürokratischen neigungen, gerne auch offen kriminelle antisoziale (der unterschied zwischen offenen diktaturen und den repräsentativen demokratien scheint mir u.a. hier zu liegen - in letzteren wird heute zumindest teilweise die simulation von sozialeren verhaltensweisen verlangt. aber da das ohne tatsächliche erfahrungsbasis stattfindet, können jederzeit entwicklungen hin zu autoritären systemen auftreten - die ansätze dazu sind jeden tag in den nachrichten zu betrachten.)
"Wo die Ideologie der Macht gilt, wird das Selbst von seinem inneren Kern und damit auch von den Wurzeln seiner historischen Erfahrung abgeschnitten - unabhängig von der speziellen Färbung dieser Ideologie und der jeweiligen Organisation der Produktionsmittel."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
die in allen bisher bekannten historischen gesellschaftsystemen mehr oder weniger offene mißachtung des tatsächlich individuellen menschen; die anbetung von halluzinierten und konstruierten bildern von göttern, völkern, nationen und führern; die offene geringschätzung und herabsetzung von subjektivität und subjektiven erfahrungen (die nur dann tatsächlich verzerrt sein können, wenn sie von anfang an angegriffen werden und derart ein elementares misstrauen gegenüber den eigenen wahrnehmungen erzeugt wird); die verherrlichung einer konstruktion von objektivität, das unwissen über das menschliche psychophysische funktionieren und die adäquaten und notwendigen entwicklungsbedingungen unserer spezies; die willkürliche und unhaltbare spaltung und hierarchisierung von körper, psyche und "geist"; ein fehlender begriff und überhaupt eine fehlende vorstellung von psychophysischer gesundheit - dieses und einiges mehr unterstreicht die tiefe wahrheit des obigen satzes von arno gruen.
wie die aktuellen ereignisse rund um die folterflüge der cia deutlich machen, beschränkt sich diese eigenart der fließenden grenze natürlich nicht nur auf die pure ökonomie. das etwas unpräzise wort mentalität kommt mir in den sinn - ich kann diesbezgl. keine wirklichen unterschiede zwischen dem verhalten von bestimmten politikerInnen, sog. geheimdiensten (und dem rest der repressionsapparate), unternehmensführungen und der mafia erkennen. und das ist etwas, was mir auch in der ökonomie- und gesellschaftskritik von links absolut zu kurz kommt.
ohne ganz konkreten bezug zu obigen themen (aber durchaus mit indirektem), hat arno gruen vor vielen jahren folgendes geschrieben:
"Die Angepaßtheit an die etablierten Werte und Formen unter Mißachtung des eigenen Innenlebens ist eine unerschöpfliche Quelle alltäglicher Gewalt. Solange Erfolg definiert wird als Kontrolle und Beherrschung und Erfolg wiederum den Selbstwert definiert, sind alle Unterschiede der gesellschaftlichen Struktur ziemlich bedeutungslos: Das Selbst bleibt in jedem Fall verstümmelt. Ein Wechsel der politischen Ideologie ändert weder etwas an der Verstümmelung des Selbst noch an der daraus resultierenden Gewalt."
(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s.100 - siehe literaturliste)
hier hat gruen imo kurz und knapp den entscheidenden grund für die relative erfolglosigkeit aller bisherigen revolutionen (worunter auch auch das fällt, was in historischen rückblicken bspw. auf die russische revolution gerne als "pervertierung" bezeichnet wird) skizziert. linke ansätze, die die relevanz der strukturen des menschlichen gehirns und nervensystems sowie die daraus resultierenden wahrnehmungs(un)fähigkeiten und -möglichkeiten als eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste basis für das gesamte menschliche soziale leben nicht in betracht ziehen, nicht wahrnehmen oder ignorieren wollen, können keinerlei tatsächlich emanzipative entwicklung in gang bringen. sie können vielleicht, in besonderen historischen situationen und unter besonderen umständen, voraussetzungen dafür schaffen, dass eine gesellschaft weniger traumatische gewalt erlebt, dass die intellektuellen reflektionsmöglichkeiten durch bspw. breite alphabetisierung überhaupt erst in den bereich des möglichen kommen können u.ä. - aber sie können und konnten bisher nicht die grundsätzlichen tiefenstrukturen erreichen, in denen die prozesse ablaufen, die u.a. hier im blog ständig thema sind. und das liegt auch an einer falschen theorie bzw. an einer unhinterfragten akzeptanz des kulturellen kontextes, in dem theorien entstehen - genau dieser kulturelle kontext jedoch ist geprägt von den jeweiligen vorherrschenden psychophysischen strukturen innerhalb von relevanten mehrheiten der menschen einer gesellschaft:
"Karl Marx glaubte an eine Befreiung und Erneuerung des Menschen durch Umverteilung der Produktionsmittel. Er analysierte zusammen mit Friedrich Engels anhand brillianter Details die ökonomische Struktur des Kapitalismus, der Habgier und Besitz (-denken, mo) fördert. Doch er ging davon aus, daß Ohnmacht Schwäche sei, die der Mensch überwinden müsse, und erklärte die Eroberung der Dinge - auch die der Natur - zum obersten Ziel des Menschen. Damit verewigte er die Ideologie des machtorientierten Selbst sowie das soziale Übel, das er bekämpfen wolte. Er hat den Machtkämpfen eine neue Richtung gegeben, aber nicht die Ursachen verändert. Und noch schlimmer: indem er die menschlichen Möglichkeiten - auch die Moral (diesen punkt sehe ich bekanntlich anders, anmerk. mo) - nur unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelte und nichts anderes zuließ, versperrte er den Weg zur Erkenntnis der tatsächlichen Wurzeln des Machtstrebens."
(gruen, "der wahnsinn...", s.100)
zu ergänzen wäre dazu noch, dass der wissenschaftliche anspruch, den marx selbst auch an sich stellte, deutlich unreflektiert alle fragwürdigkeiten des naturwissenschaftlichen weltbildes transportiert - u.a. eine verschärfte objektivistische wahrnehmung - , welches zu seiner zeit faktisch als konkurrenzlos betrachtet wurde. die reduktion auf die pure ökonomie jedoch als quasiwurzel allen (sozialen) übels stellt nach wie vor einen kapitalen und erkenntnisverhindernden fehler dar. viele jahre in der autonomen linken haben mich immer wieder dazu gebracht, mich mit der tatsächlichen definition von radikalität zu beschäftigen: radix, die wurzel - radikal = an die wurzel gehend (nebenbei gesagt, ist das übrigens auch der grund dafür, warum das wort rechtsradikalismus eigentlich einen widerspruch in sich darstellt...).
keineswegs radikal ist es imo, zwar den offensichtlichen wahnsinn der aktuellen und historischen gesellschaftlichen machtverhältnisse anzuprangern und zu analysieren, bei der analyse jedoch immer genau an den punkten aufzuhören, an denen es meiner meinung nach tatsächlich interessant wird: bei dem, was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr - alles "erklärungen", die in diskussionen zum standard rechtskonservativer bis (neo-)faschistischer "argumentation" gehören. das das tatsächlich existierende "böse" hingegen jedoch eine wahrnehmung des/der wahrnehmenden darstellt, bzw. besser eine durch wahrnehmung übermittelte information, einen wahrnehmungsinhalt (der in diesem speziellen fall quasi sofort mit einer moralischen wertung gekoppelt daherkommt) - diese tatsache scheint nicht allzusehr im bewußtsein verbreitet zu sein. auch nicht im linken. denn dann müssten eigentlich sofort weitergehende fragen gestellt werden: fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen. ebenfalls ist es nötig, nach den grundlagen dafür zu fragen, warum mir eigentlich etwas als bösartig vorkommt. das aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird. und in der logik der macht geradezu verhindert werden muss. denn genau hier sitzt ihre wichtigste und vermutlich eigentliche basis - als bedürfnis von entsprechend deformierten, verletzten und eingeschränkten körpern bzw. hirnen und nervensystemen (als basis unserer individualität/unseres selbstgefühls). genau hier liegt die tatsächliche - und materielle - wurzel aller hierarchischen verhältnisse, in denen macht als selbstzweck(!) den allerhöchsten wert besitzt. anders: machtbedürfnisse lassen sich als ausdruck eines fehlschlagenden versuchs psychophysischer selbstregulation innerhalb eines menschen verstehen. und der fehlschlag ist auf dauer unausweichlich. (es sei denn, die menschliche struktur an sich formt sich durch psychophysische bzw. genetische mutation selbst zu einer der macht ideal kompatiblen struktur um - diesen schwer beunruhigenden gedanken hatten wir schon einmal hier - punkt 5 .)
dadurch lässt sich auch zb. verstehen, warum ökonomische armut alleine zwar begünstigend, nicht jedoch primär auslösend für bösartiges antisoziales verhalten ist - rechtsextreme, faschistische, rassistische, sexistische und allgemein autoritäre einstellungen (als ausdruck von objektivierungsprozessen innerhalb der individuellen und kollektiven wahrnehmung) sind quer durch alle ökonomischen klassen hindurch anzutreffen und tatsächlich eher mit konzepten wie den psychoklassen von deMause zu begreifen, als mit der rückführung auf ökonomische klassenzugehörigkeiten. ebenfalls wird dadurch begreiflich, warum sich zb. in der endphase der weimarer republik ein recht umfangreiches und wiederholtes wechseln der mitgliedschaften von autoritären kommunisten und nazis ergeben hat - beide organisationen zogen durch ihre strikt hierarchische und autoritäre formierung natürlich die jeweils dafür disponierten persönlichkeiten an, die sich dann jeweils ebenso natürlich nur nach dem oppurtunitätsprinzip an die jeweils "erfolgreicher" scheinende seite hielten - ideologien sind in derlei strukturen tatsächlich beliebig austauschbar. (das eher intuitive begreifen dieser zusammenhänge dürfte damals auch wilhelm reich in seine eskalierenden konflikte mit der kommunistischen parteiführung getrieben haben).
"Hilflosigkeit kann aber nicht durch Machterwerb und Herrschaftsausübung bewältigt werden. Jede Theorie, die dies anstrebt, tut dem einzelnen Menschen und seiner Entwicklung Gewalt an. Die linke Gesellschaftstheorie nimmt zwar für sich in Anspruch, den Menschen aus dem Gang seiner Geschichte erklären zu können. Sie tut dies aber auf Kosten des Individuums, weil sie Macht nur unter dem Blickwinkel der Macht analysiert. Das mag sich tautologisch anhören, ist aber der entscheidende Punkt, da sie den Menschen alleine durch die Macht wirtschaftlicher Kräfte determiniert sieht. Georg Plechanow, der frühe Theoretiker und Propagandist des russischen Sozialismus, glaubte, daß er in seiner Untersuchung der historischen Prozesse die Rolle des Individuums beschreiben würde, tatsächlich aber leugnete er die Rolle, die das Individuum für den Fortgang der Geschichte spielt: `Die menschliche Natur kann heute nicht länger als die letzte und allgemeinste Ursache des historischen Fortschritts angesehen werden: Wenn sie unveränderlich ist, kann sie nicht den wechselvollen Gang der Geschichte erklären; kann sie sich aber wandeln, dann geschieht das ganz offensichtlich durch den historischen Fortschritt selbst."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
der letzte satz von plechanow muss heute ergänzt werden: natürlich fällt der "historische fortschritt" nicht vom himmel, sondern kann seine basis nur innerhalb der menschen haben - das ist ein wechselseitiges verhältnis, bei dem aber die möglichkeiten für verändertes individuelles verhalten primär und ausschlaggebend sind - ändere ich nur die gesellschaftlich äusseren strukturen, so habe ich es dennoch mit im schlimmsten fall mit einer mehrheit von menschen zu tun, für die die gerade abgeschafften strukturen einen gewissermaßen authentischen ausdruck ihrer deformierten individuellen bedürfnisse dargestellt haben - die basis für alle konterrevolutionären und reaktionären bewegungen. das, was in einer mechanistischen marxistischen interpretation gerne als gesellschaftlicher "überbau" bezeichnet wird, dürfte real tatsächlich die basis aller emanzipatorischen veränderungen darstellen.
ich finde es immer sehr bedauerlich, das viele von sich selbst als links verstehenden bis heute auf die lektüre von solschenizyns "archipel gulag" verzichtet haben - mag er auch heute mit seinen monarchistischen und reaktionären ansichten ein ideales angriffsziel darstellen, so ist dieses buch von ihm - der sich bis zu seiner verhaftung und auch noch danach selbst als begeisterter marxist ansah, bei seiner verhaftung offizier der roten armee im kampf gegen die nazis - doch die nachdrücklichste und eindrucksvollste widerlegung etlicher autoritär-kommunistischer mythen, von denen der stalinismus nur einen teil bildet. unter anderem macht er auch mit einer sehr detaillierten analyse der struktur der stalinistischen polizei- und justizapparate einerseits sowie mit der beschreibung der rolle und funktionen der in den arbeitslagern regelrecht privilegierten offen kriminellen bevölkerungsteile andererseits sowie der fast schon als "ideal" zu bezeichnenden gegenseitigen ergänzung und inneren anziehung beider gruppen etwas deutlich, was für die heutige linke nur lehrreich sein kann: nämlich die erkenntnis, dass ein als "eigentlich" als befreiend-emanzipatorisch gedachtes modell unter vernachlässigung der tatsächlichen basis der sozialen katastrophe und falscher und mechanistischer prämissensetzung (hier: die ökonomie) zwangsläufig in die simulation von befreiung führen muss - ein als-ob-sozialismus. tatsächlich hat das bolschewistische system faktisch von beginn an, verschärft im offenen stalinismus, genau die art von selektion gezeigt, die auch offen im faschismus, und versteckter in den heutigen kapitalistischen "demokratien", abläuft: machtmenschen bevorzugt! genauer: leute mit autoritären bis offen psychopathischen zügen und zwanghaft-bürokratischen neigungen, gerne auch offen kriminelle antisoziale (der unterschied zwischen offenen diktaturen und den repräsentativen demokratien scheint mir u.a. hier zu liegen - in letzteren wird heute zumindest teilweise die simulation von sozialeren verhaltensweisen verlangt. aber da das ohne tatsächliche erfahrungsbasis stattfindet, können jederzeit entwicklungen hin zu autoritären systemen auftreten - die ansätze dazu sind jeden tag in den nachrichten zu betrachten.)
"Wo die Ideologie der Macht gilt, wird das Selbst von seinem inneren Kern und damit auch von den Wurzeln seiner historischen Erfahrung abgeschnitten - unabhängig von der speziellen Färbung dieser Ideologie und der jeweiligen Organisation der Produktionsmittel."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
die in allen bisher bekannten historischen gesellschaftsystemen mehr oder weniger offene mißachtung des tatsächlich individuellen menschen; die anbetung von halluzinierten und konstruierten bildern von göttern, völkern, nationen und führern; die offene geringschätzung und herabsetzung von subjektivität und subjektiven erfahrungen (die nur dann tatsächlich verzerrt sein können, wenn sie von anfang an angegriffen werden und derart ein elementares misstrauen gegenüber den eigenen wahrnehmungen erzeugt wird); die verherrlichung einer konstruktion von objektivität, das unwissen über das menschliche psychophysische funktionieren und die adäquaten und notwendigen entwicklungsbedingungen unserer spezies; die willkürliche und unhaltbare spaltung und hierarchisierung von körper, psyche und "geist"; ein fehlender begriff und überhaupt eine fehlende vorstellung von psychophysischer gesundheit - dieses und einiges mehr unterstreicht die tiefe wahrheit des obigen satzes von arno gruen.
monoma - 6. Dez, 17:28
Was soll ich noch sagen, mo?
Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass das Verständnis von Macht als Selbstzweck sich noch ein wenig erhellt, wenn man berücksichtigt, wie überwältigend die Erfahrung von Ohnmacht während einer traumatischen Erfahrung ist. Nach der Stresstheorie von Lazarus und Folkman (1984) ist nicht nur die Bewertung des Stressors als negativ und bedrohlich ausschlaggebend für die Entwicklung einer posttraumatischen Störung. Die traumatisierte Person stellt darüber hinaus in einem zweiten Bewertungsprozess ("secondary appraisal") fest, dass ihre (natürlichen) Bewältigungsstrategien nicht ausreichen, um mit dem Ereignis erfolgreich umgehen zu können. Ich unterstelle nach deMause -eine genauere Analyse dort- , dass in unserem westlichen Erziehungsstil traumatisierende Elemente gang und gäbe sind (die durch die "Alltäglichkeit" dieser Erfahrungen im Hintergrund der Wahrnehmbarkeit verschwinden). Eine Verschärfung des Effekts dieser Traumatisierungen ergibt sich aber noch dadurch, dass dem kindlichen Opfer der Rückgriff auf seine natürlichen Stress- und Schutzreaktionen, namentlich fight-or-flight, oft als "ungehörig", "trotzig" oder einfach nur "lästig" untersagt und verboten wird. Die Erfahrung der Hilflosigkeit und Ohnmacht ist dadurch eine verdoppelte und so umfassend, dass sie von der emotionalen Verletzung bis in die kognitive Bewertung der eigenen Person reicht: das Kind sieht sich selbst als "Versager", als unfähig, die Situation zu meistern, als "feige" oder einfach "nicht klug genug". Was es gelernt hat, ist eine "Furchtstruktur" (Foa, 1989), die es zu vermeiden gilt. So wird es aus Selbstschutz im späteren Leben alles tun, um diese Erfahrung der Ohnmacht zu vermeiden, und das erklärt, warum Macht so erstrebenswert ist. (Anzumerken ist, dass ich hier keineswegs einer "laissez-faire" das Wort rede, die darin besteht, das Kind unbeachtet "austoben zu lassen". Das ist ebenso Vernachlässigung. Nach meiner bescheidenenen Erfahrung reicht es oft aus, sich Zeit und das Kind ernst zu nehmen - dazu später mal mehr).
Ansonsten müsste ich mich damit begnügen, aus deiner Analyse einzelne Textpassagen noch einmal hervorzuheben, weil sie mir so elementar erscheinen. Wie z.B die Frage,
" was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr[...] fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen [...verkürzt...] aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird."
mit freundlichen Grüßen,
s
Westlicher Erziehungsstil
Das zum einen. Zum anderen muß diese Unterdrückung nicht unbedingt dazu führen, daß ein so mißhandeltes Kind Macht ansstrebt; es kann sich durchaus mehr oder weniger großes Mißtrauen gegenüber Macht und Autoritätsgläubigkeit entwickeln. Solche Kinder entwickeln aber anscheinend gerne eine stark ausgeprägte Sozialphobie.
Gruß,
W.
Re: westlicher Erziehungsstil
Du hast natürlich recht, dass gewalttätige Erziehung nicht auf "den Westen" beschränkt ist. Ich hatte das deswegen hervorgehoben, weil "unser" Gesellschaftsmodell gerne als vorbildhaft und manchmal sogar höchstentwickeltes betrachtet wird. Mir ist allerdings die Verortung der Macht allein bei den Männern, im Patriarchat also, auch ein wenig zu simpel. Es gibt mE vielerlei Arten weiblicher Kollaboration, die sich nicht nur mit diesen "patriarchalischen" Machtverhältnissen einverstanden erklären, sondern sie darüberhinaus noch festigen.
Zum zweiten: die Tatsache, dass ein bestimmtes Verhältnis zur Macht aus einer bestimmten traumatischen Entwicklung herleitbar ist, schließt selbstverständlich nicht aus, dass diese Geschichte der Traumatisierung nicht auch noch weitere, vordergründig konträr erscheinende Folgen hat. Ich denke, dass Sozialphobien und extreme Schüchternheit geradezu typische Folgen von Traumatisierung sind. Andere reagieren aber eben extrem antiphobisch, d.h. mit dem typischen ohnmachtvorbeugenden Aktionismus, der gefühlstaub für seine Folgen und Konsequenzen bleibt, ja bleiben muss, und darauf wollte ich hinweisen.
Gruß, s
Hallo sansculotte!
Wenn ich vom patriarchalen System spreche, dann tatsächlich von dem anonymen System, in welchem die Unterdrückung und Ausbeutung beider Geschlechter und dem Kind sowie Natur allgemein regelrecht erzwungen wird.
Firefox kommt mit twoday nicht so gut zurecht, scheint mir. Und die Antwortfunktion ist hier sehr gewöhungsbedürftig.
Gruß,
W.