Dienstag, 23. November 2010

notiz: alles nichts neues

ein kleines nächtliches quiz gefällig? in welchem jahr wurden wohl die folgenden sätze formuliert?

"(...) Diffus, aber immer häufiger wird der Verdacht laut, daß viele der bei den Arbeitsämtern Registrierten eigentlich gar keinen Job suchen, sondern sich im enggeknüpften Netz der in (...) Jahren Nachkriegsgeschichte erlassenen Sozialgesetze entspannen wollen. Von Parasiten ist da die Rede, von Arbeitsscheuen und Schmarotzern, die auf Kosten der Gemeinschaft sich ein geruhsames Leben einrichten.

Und rasch sind dann die Konsequenzen gezogen: Das Arbeitslosengeld sollte gekürzt, die Auszahlung an notorisch Faule gestrichen werden." (...)


oder auch diese?

(...) "Bis dahin Parkanlagen, in denen Gärtner graben, Spaziergänger, Trimm-dich-Läufer, lärmende Schulklassen. Auch mal eine Schafherde. Dann Linkskurve, und plötzlich starrt der Autofahrer in die Läufe von Maschinenpistolen. die ihm drohend folgen; aus einem Schützenpanzerwagen wird er argwöhnisch gemustert.

Grüne Uniformen, Kaki-Hemden, Walkie-Talkies, Schäferhunde: Der Besucher fährt durch ein Heerlager. Es fehlen nur noch Schlagbaum und Ausweiskontrolle." (...)


nummer eins:
1977. nummer zwei: dito. so sieht dann also wahrscheinlich der vielgerühmte "gesellschaftliche fortschritt" aus...

*

ich kann mich durchaus an jenes jahr erinnern, und auch - obwohl nur aus einer art außenposition, da gerade an der schwelle vom kind zum jugendlichen - an die tatsächliche hysterie in weiten teilen der öffentlichkeit der alten brd. ich möchte eigentlich wirklich nicht wissen, was hier heute passiert, wenn es denn - von wem auch immer - tatsächlich zu einem anschlag kommen sollte.

die hetze gegen erwerbslose allerdings ist dagegen in gewisser hinsicht zeitlos, weil sie in unterschiedlichen ausmaßen und intensitäten seit spätestens ende der 1960er jahre in der brd immer vorhanden gewesen ist. und auch, wenn meistens für ihre jeweilige zuspitzung mediale kampagnen nötig gewesen sind - die disposition dazu dürfte sozusagen etwas "urdeutsches" darstellen. (lohn-)arbeit als existenzlegitimation - es ist und bleibt ein trauerspiel.

unabhängig davon: ich finde das
archiv des "spiegel", beginnend 1947, tatsächlich eine interessante quelle besonders für alle, die sich für die geschichte der alten brd interessieren. und ebenfalls lassen sich naturgemäß die wendungen der redaktionellen linien bestens rekonstruieren. ist was für lange dunkle tage zum stöbern.

Montag, 22. November 2010

notiz: still und heimlich - eine kleine geschichte über die aok niedersachsen, tausende schizophrene und ein pharmazeutisches unternehmen

tut mir ja leid wegen der etwas sperrigen überschrift, aber ich habe lange nach etwas kürzerem gesucht, was den sachverhalt wenigstens ungefähr grob umreißen hätte können. ich habe aber nichts gefunden, und so könnte das auch symbolhaft für eine eigenschaft bestimmter bereiche der heutigen gesellschaftlichen welt stehen, in der ich u.a. einen teil der antwort auf die frage sehe, warum sich besonders hierzulande im angesicht wahrlich desaströser und wirklich bedrohlicher entwicklungen so relativ wenig an protest, geschweige denn widerstand regt. das dürfte nämlich gerade hinsichtlich der ökonomischen verhältnisse auch daran liegen, dass es ein gestrüpp von schier undurchdringlichen wucherungen aus "nationalen" und eu-vorschriften, gesetzen, anweisungen, statistiken, interpretationen, lügen, fakes, zahlen, interessen etc. gibt, die im allgemeinen erhöhte verständnisanstrengungen erfordern und meist auch einen bereits vorhandenen wissenshintergrund voraussetzen, um überhaupt eine ahnung zu bekommen, um was es sich im einzelfall handelt. das spielt im falle der sog. finanzwelt ebenso eine rolle wie erst recht auf anderen ökonomischen feldern, und im vorliegenden fall beispielhaft in einem bereich wie den schnittstellen zwischen sog. gesundheitspolitik und ökonomie.

im (nichtexistierenden) idealfall wäre das eine allgemeine aufgabe tatsächlich unabhängiger medien (die es nicht gibt), in solchen fällen zu recherchieren und das benannte gestrüpp soweit zu lichten, dass auch außenstehende die möglichkeit bekommen, die materie einschätzen zu können. wie es aber diesbezgl. real aussieht, sollte allgemein bekannt sein. und ausnahmen bestätigen die regel, in diesem speziellen fall ist wirklich der "taz" zu danken, dass sie ein thema aufgegriffen hat, welches bisher für die meisten anderen medien und erst recht die jeweiligen konsumentInnen offensichtlich zu kompliziert oder auch schlicht langweilig erscheinen mag - und gerade das ist der ideale moment, still und heimlich im gesundheitsbereich verhältnisse zu installieren, deren weiterdenken mich letzte nacht übel lange wach gehalten hat. ohne die artikel der "taz" wäre das folgende allerdings wirklich komplett an mir vorbeigerauscht.

*

sind Ihnen in den letzten wochen mal irgendwo kryptische zeichenketten wie "I3G" oder "Care4S" über den weg gelaufen? vermutlich eher nicht, und wenn doch, dürfte sich kaum jemand länger damit aufgehalten haben. was durchaus bedauerlich ist, verbirgt sich doch u.a. hinter jenen zeichen ein sog. modellprojekt der aok in niedersachsen, welches im herbst 2011 landesweit flächendeckend installiert werden soll. und welches sich bei näherer betrachtung - ich bin geneigt zu sagen, wie üblich - mehr und mehr in ein kapitalistisches
schurkenstück verwandelt. aber der reihe nach.

"Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt". Das ist der Internetauftritt des Instituts für Innovation und Integration im Gesundheitswesen, kurz I3G, einer Management-Gesellschaft mit begrenzter Haftung, die sich Großes vorgenommen hat:

Für alle Schizophrenie-Erkrankten, die bei der AOK Niedersachsen versichert sind, 13.000 Menschen immerhin, will die I3G die sogenannte Integrierte Versorgung verantworten. Die Krankenkasse überträgt damit das finanzielle Risiko für die Gesundheitsversorgung von 13.000 Patienten einem Privatunternehmen.

Geplant ist eine medizinische Versorgung in einem Verbund miteinander kooperierender Ärzte, Kliniken oder auch Reha-Einrichtungen. So sollen Kosten gespart werden, indem die ambulante Behandlung gestärkt, doppelte Untersuchungen und Besuche bei nicht zuständigen Ärzten vermieden werden. Die I3G organisiert hierbei nicht nur die Versorgungsforschung und sichert die Qualität, sondern übernimmt auch die Budgetverantwortung.

Für die Krankenkasse ein guter Deal. "Die Management-Gesellschaft hat die Verantwortung, dass unterm Strich die Versorgung nicht teurer wird", sagt der Sprecher der AOK Niedersachsen, Klaus Altmann. Denn die I3G sichert zu, dass sie in jedem Fall die finanzielle Verantwortung für die Versorgung sämtlicher 13.000 Patienten trägt" (...)


na, klingt erstmal nach dem trend der zeit - kosten sparen, und im gesundheitsbereich mit seinen teils undurchschaubaren interessengeflechten diverser lobbys im wettbewerb ist das inzwischen ja zu einer heiligen kuh geworden. und die beteiligung an diesem "modell" soll für die als erste zielgruppe auserwählten schizos "freiwillig" sein, d.h. sie sollen sich zwischen der bisherigen regelversorgung und der "i3g" entscheiden können. hier hat´s bei mir das erstemal ein dickes fragezeichen gegeben - gerade die diagnose schizophrenie steht i.a.r. innerhalb der heutigen psychiatrie für akute und chronische, als psychotisch definierte zustände, bei denen die betroffenen auch eine der hauptsächlich involvierten gruppen in der sog.
gesetzliche betreuung darstellen - früher hieß das schlicht entmündigung und läuft, trotz allerhand gesetzlicher modifikationen in den letzten jahrzehnten, immer noch darauf hinaus, elementare entscheidungen in allen möglichen lebensbereichen abgeben zu müssen. unter dieser prämisse hätte ich gerne mehr thematisiert gehabt, was genau hier unter "freiwilligkeit" gerade bei solchen menschen verstanden wird, deren zustand sie in konstruktivistisch-psychotische parallelwelten verharren lässt, die bevorzugt zum ziel psychiatrischer, und das bedeutet meistens auch, psychopharmakologischer, interventionen werden. nichts gegen die vermutlich in den meisten fällen wirklich besorgten betreuer, aber gerade in diesem fall habe ich bezgl. der "freiwilligkeit" so meine zweifel.

und die beziehen sich auf dieses szenario:

(...) "Die AOK Niedersachsen legt damit für die kommenden sieben Jahre die finanzielle Verantwortung für die Gesundheitsversorgung von 13.000 Versicherten in die Hände eines Unternehmens, das erst im Juni 2010 ins Handelsregister eingetragen wurde. Eine Firma, die keinerlei Erfahrung mit integrierter Versorgung von psychisch Kranken hatte.

Was die Sache fragwürdig macht: Die I3G ist eine 100-prozentige Tochter des forschenden Arzneimittelherstellers Janssen-Cilag GmbH mit Sitz im rheinischen Neuss. Janssen-Cilag wiederum ist die deutsche Tochter von Johnson + Johnson, einem der weltweit größten Gesundheitskonzerne mit Sitz in den USA.

Zum Sortiment von Janssen-Cilag gehören Medikamente zur Behandlung von Schizophrenien. Einer der Forschungsschwerpunkte ist nach Unternehmensangaben der Bereich Psychiatrie und Neurologie. Die Janssen-Cilag GmbH und die I3G GmbH firmieren unter derselben Adresse.

Wer beim Mutterkonzern in Neuss anruft, erfährt, dass es sich bei der I3G "um eine Abteilung von uns" handele. Der Geschäftsführer der I3G, Klaus Suwelack, widerspricht: "Ich lege Wert darauf: I3G ist eine unabhängige Management-Gsellschaft und kein Pharmaunternehmen."

Unabhängig? Bis August 2010 war Suwelack bei Janssen-Cilag beschäftigt, unter anderem verantwortlich für Kooperationen im Gesundheitswesen. Noch heute kann man seine Arbeitszeiten und telefonische Erreichbarkeit bei Janssen-Cilag abfragen.

Zugespitzt formuliert: Ein auf Schizophrenien spezialisierter Pharmahersteller gründet also ein Tochterunternehmen, das dann als Vertragspartner einer Krankenkasse für die Versorgung von Schizophrenie-Erkrankten verantwortlich zeichnet. Und das eine soll mit dem anderen nichts zu tun haben? Suwelack beteuert: "Wir nehmen keinen Einfluss auf die Medikationsauswahl der Ärzte." (...)


und da ist die katze aus dem sack - "Ein auf Schizophrenien spezialisierter Pharmahersteller gründet also ein Tochterunternehmen, das dann als Vertragspartner einer Krankenkasse für die Versorgung von Schizophrenie-Erkrankten verantwortlich zeichnet."

"Natürlich sind die an der Integrierten Versorgung beteiligten Ärzte frei in ihrer Therapie- und Medikamentenwahl. Nur: Das Unternehmen Care4S GmbH (Care for Schizophrenia), das mit dem Aufbau und der Unterstützung eines flächendeckenden Netzwerks von Fachärzten und -pflegern betraut ist und damit den medizinischen Teil verantwortet, ist nicht etwa Auftragnehmerin der AOK Niedersachsen. Vielmehr ist sie Auftragnehmerin der I3G - und damit direkt abhängig von deren Entscheidungen.

Was das bedeuten kann? Die I3G als Finanzverantwortliche könnte beispielsweise eines Tages feststellen, dass das Arzneimittelbudget überzogen sei. Daraufhin könnte sie die Ärzte auffordern, bei den Verordnungen zu sparen. Und rein zufällig könnte in dieser Situation Janssen-Cilag auf den Plan treten und den beteiligten Ärzten mit Vorzugspreisen für ihre Medikamente aus der Patsche helfen.

"Das ist so, als wenn ein Autohersteller auch die Straßen und das Benzin in einer Holding kontrollieren würde", urteilt Frank Schneider, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN): "Eine klare Form der Grenzüberschreitung." (...)


ich zitiere deshalb so ausführlich, weil sich der angestrebte zustand mitsamt seinen hintergründen kaum prägnanter beschreiben bzw. zusammenfassen lässt. und nebenbei ist das auch ein schönes beispiel dafür, wie journalismus aussehen könnte, der sich tatsächlich als kontrollinstanz gegenüber staatlichen und ökonomischen gewalten versteht.

die zuletzt genannte gesellschaft, die hochoffizielle "fachorganisation" der praktizierenden im bereich psychiatrie, hat, ähnlich wie ihr oben zitierter präsident, in einer
öffentlichen stellungnahme worte gefunden, die normalerweise für eine derartige, dem breitestmöglichen konsens selbstverpflichtete organisation, schon erstaunlich überdeutlich sind:

(...) "Es gibt nun ein erstes Beispiel für eine Beteiligung der pharmazeutischen Industrie an den Managementstrukturen der Integrierten Versorgung, so bei dem IV-Vertrag der AOK in Niedersachsen. Die Managementfirma I3G ist eine 100% Tochter der Janssen-Cilag GmbH.

Die DGPPN findet die Entwicklung positiv, dass die Krankenkassen die Einrichtung von IV-Verträgen für psychische Erkrankungen nunmehr besser zu unterstützen scheinen und fordert alle Leistungsanbieter auf, sich intensiv um eine Mitarbeit auf diesem Gebiet zu kümmern. Sie kritisiert aber aus grundsätzlichen Erwägungen das Engagement der pharmazeutischen Industrie in diesem Bereich und hinterfragt kritisch das Engagement von kommerziell arbeitenden Firmen. Da psychisch kranke Menschen häufig weniger in der Lage sind als andere Patienten, Alternativen zu suchen und zu wählen, sind solche Bestrebungen im Bereich psychischer Erkrankungen besonders kritisch zu sehen.

Im aktuellen Entwurf für ein Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) wird jetzt eine Erweiterung des § 140 b SGB V vorgesehen: Vertragspartner von Krankenkassen bei Abschluss von Integrierten Versorgungsverträgen können jetzt auch Pharmaunternehmen sein. Damit wird der Industrie weit über den Abschluss von Rabattverträgen hinaus die Möglichkeit eröffnet, psychiatrische Versorgung zu gestalten und zu organisieren." (...)


der letzte satz ist erstens entscheidend und zweitens - dazu später mehr - keinesfalls nur auf die psychiatrie beschränkt, wenn es nach der logik kapitalistischer "gesundheitspolitiker" geht.

die stellungnahme schließt mit den worten:

(...) "Die Beteiligung der pharmazeutischen Industrie oder auch jener für Medizinprodukte, die über Rabattverträge sowie die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten herausgeht, ist politisch höchst bedenklich und wird aus Sicht der Fachgesellschaft eine Vielzahl von nicht hinnehmbaren Interessenkonflikten in der Versorgung psychisch Kranker entstehen lassen."

an "private" - nichts weiter als ein synonym für der profitmaximierung als immanenter zweck verpflichteten - kliniken haben wir uns ja bereits gewöhnt; dieses "modellprojekt" der aok jedoch zeigt den qualitativ nächsten schritt an bei den bestrebungen, die institutionen für die menschliche gesundheit völlig unter die gesetze der profitakkumulation zu stellen (und damit alle beteiligten auch zwangsweise in eine gesteigerte verdinglichte wahrnehmung zu drücken.)

auch aus anderen bereichen der offiziellen medizin kommt deutliche
kritik:

(...) "Der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer warnt hingegen vor dem Modell: "Hier werden die Versicherten an die Pharmaindustrie verkauft", sagt der emeritierte Professor, der am Klinikum Bremen-Mitte das Institut für Klinische Pharmakologie aufgebaut hat. "Die Konzerne bekommen direkten Zugriff auf die Patienten, das ist unerträglich." Die Ersparnis der Kassen und die Profite der Firmen gingen jeweils zu Lasten der Versicherten: "Die Pharmaindustrie ist kein Wohltätigkeitsverein", sagt Schönhöfer, den die Zeit einmal den "Schrecken der Pillendreher" genannt hat. "Die deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie und Psychotherapie, das Diakonische Werk - alle diese Einrichtungen sind über das Vorgehen der AOK entsetzt." Das Modell sei darauf ausgelegt, sich der Verantwortung für die Versorgung der Patienten zu entledigen." (...)

*

am 11. november wurde das
"gesetz zur neuordnung des arzneimittelmarktes" mit den stimmen von schwarz-geld im bundestag verabschiedet. das führt künftig zu solchen verhältnissen (wieder der erste link):

(...) "Ab 2011 sollen erstmals auch Pharmafirmen und Hersteller von Medizinprodukten direkte Vertragspartner von Krankenkassen innerhalb der Integrierten Versorgung werden dürfen. Bislang war dies "Leistungserbringern" wie Ärzten, Krankenhäusern, medizinischen Versorgungszentren und Ähnlichen vorbehalten.

Das heißt: Hersteller von Hörgeräten oder Hüftgelenken werden künftig die Gesundheitsversorgung von Patienten mit Hör- oder Hüftschäden verantworten - und können damit für ihre Produkte innerhalb einer Patientengruppe eine Art Monopol durchsetzen" (...)


und einer der hintergründe für diese wiedereinmal erfolgreich in gesetzesform gegossene lobbyarbeit der pharmaindustrie liegt in folgendem:

(...) "Viele Hersteller sehen sich nicht mehr schlicht als Pharma-, sondern als Gesundheitskonzerne. Den Grund für das gewandelte Selbstverständnis erklären Kenner der Branche vor allem ökonomisch: Das traditionelle Geschäftsmodell der Pharmaindustrie sei überholt, nämlich die Entwicklung von Medikamenten für Volkskrankheiten mit einem weltweiten Umsatz von mehr als 1 Milliarde Dollar pro Jahr. Denn neue Medikamente brächten heutzutage häufig keine wirklichen Verbesserungen gegenüber existierenden Therapien. Der Markt ist schlicht gesättigt. (...)

Neuorientierung ist nötig. Einer der möglichen Deals der Zukunft könnte dann so gehen: Ein Pharmahersteller wird Vertragspartner einer Krankenkasse und übernimmt für ein spezielles Versorgungssegment deren Kostenrisiko. Im Gegenzug verschafft ihm die Kasse Zugang zu einer sehr großen Gruppe Versicherter und damit auch deren Daten. Ferner sichert die Kasse zu, dass für die Ersttherapie grundsätzlich Medikamente des Herstellers privilegiert würden." (...)


*

die probleme bei diesem direkten zugriff der pharmaindustrie auf potenziell alle kranken liegen nun keinesfalls zuerst in jener "aushebelung von wettbewerb und konkurrenz", wie es die "taz" im weiteren verlauf beklagt - diese (vulgärdarwinistische) fiktion eines gedachten idealtypisch funktionierenden kapitalismus, die jede/r als fiktion erkennen kann, der / die schon mal einen abend lang "monopoly" gespielt hat, ist genauso ein konstrukt wie der angeblich "überparteiliche" staat als "hüter des ökonomischen kräftespiels"; real befinden wir uns eher in einem zustand, der sich durchaus als
"STAatsMOnopolistischer KAPitalismus" bezeichnen lässt - die systemimmanente tendenz zum monopol zwecks größtmöglicher profitakkumulation findet heute (wieder) unter bereitwilliger hilfe seitens "der staaten" statt, wie jedes neue sog. "rettungspaket" nachdrücklich belegt, und ebenso wird dadurch deutlich, dass sich das gebilde staat in den allermeisten fällen deutlich positioniert hat - und zwar gegen die angeblichen "staatsbürgerInnen" - und die probleme liegen auch nicht nur in der möglichkeit, dass die pharmaunternehmen den ihnen anvertrauten im falle des falles "nur" ihre eigenen, möglicherweise unwirksamen oder gar schädlichen, produkte andrehen werden, obwohl das bereits ein relevantes argument gegen das ganze vorhaben darstellt.

nein, das generelle problem sehe ich in dem weiter oben schon genannten staatlich abgesegneten zugriff seitens der konzerne auf eine spezifische konsumentengruppe, die erstens auf die entsprechenden produkte zumindest teilweise existenziell angewiesen ist und sich zweitens - und ich sage voraus, dass wir das zukünftig erleben werden - immer weniger "freiwillig" für diese art der medizinischen versorgung entscheiden kann, sondern schlicht vor die "wahl" friß oder stirb! gestellt werden wird. dazu kommt noch, dass in diesem szenario von tatsächlicher ärtlicher bzw. pflegerischer "unabhängigkeit" kaum noch die rede sein kann - die ärzte werden als faktische auftragnehmer von seiten der pharmakonzerne ökonomisch erpressbar, und was das dann im einzelfall für die patienten bedeuten kann, muss ich wohl hier nicht ausführen.

und ich sehe auch weit und breit nichts, was vor diesem hintergrund privatkliniken daran hindern sollte, sich ebenfalls in diese art der "versorgung" einzuklinken - dann wird zukünftig möglicherweise die gesamte versorgungskette, von der klinik über das personal bis hin zu den benötigten materialien, unter dem gleichen grundsatz der offenen profitmaximierung stehen. was das für chronisch kranke und überhaupt alle bedeutet, die aufwendige therapien benötigen, dürfte klar sein - noch mehr als heute eh schon wird die frage von gesundheit/leben oder tod zu einer frage des geldbeutels werden. und speziell in der psychiatrie dürfte dieses vorgehen aus diversen gründen zu ganz eigenen desastern führen, wie früher schon anhand dieses beispiels einer
privatisierten psychiatrischen klinik ausgeführt. das dortige szenario ergänzen Sie bitte einmal selbst um die variante der konzerngesteuerten medizinischen versorgung - das gibt dann eine vorstellung von künftigen verhältnissen. und jetzt können Sie sich weiter vor dem terror fürchten...

Sonntag, 14. November 2010

kontext 71: der aufruf "zur psychosozialen lage in deutschland"

das erste, was ich gestern dachte, als ich von der existenz dieses aufrufes erfuhr, war "besser spät als nie". ich habe so eine art öffentlicher stellungnahme schon seit jahren erwartet und für überfällig gehalten. denn egal, ob es sich um suizide und andere durch antisoziale staatliche politik produzierte todesfälle unter hartz-IV-betroffenen handelt oder die zu beobachtenden vereinsamungsprozesse in so ziemlich allen "westlich" orientierten gesellschaften; ob es sich um die spätestens dieses jahr restlos kenntlich gewordenen gewaltstrukturen in totalen institutionen dreht oder aber die schlagzeilenträchtigen spitzen von familiärer gewalt gegen kinder; von all dem sonstigen, was ich hier im blog sonst so bezgl. psychophysischer störungen gesammelt habe, gar nicht zu reden - es ist immer nur die spitze eines eisbergs, dessen großer unter wasser treibender teil immer noch von schweigen und nichtwissen(wollen) geprägt ist.

ich hätte ja darauf getippt, dass so ein aufruf zunächst explizit aus der psychotraumatologie kommen würde, weil sich hier zumindest seit jahren belege dafür finden, dass international vielen in diesem bereich tätigen zumindest die gesellschaftliche bedingtheit so ziemlich aller relevanten traumatischen störungen immer mehr bewußt ist. aber klar ist auch, dass eigentlich alle im psychosozialen bereich aktiven mit den folgen einer situation konfrontiert sind, die ich vor jahren einmal
so beschrieben hatte:

"bei einer, na sagen wir mal ansteckenden seuche in derartigen dimensionen würden wir schon längst im medizinischen katastrophen- und ausnahmezustand leben. faktisch und real ist dieser zustand längst vorhanden, allerdings hervorgerufen durch unsere eigene "lebens"weise."

von daher ist die jetzige initiative bzw. ihre quelle nicht unbedingt verwunderlich.

*

21 chefärzte (es sind tatsächlich alles männer) von psychosomatischen fachkliniken quer durchs land haben also folgenden
aufruf formuliert und unterschrieben:

"Wir sind Fachleute, die Verantwortung für die Behandlung seelischer Erkrankungen und den Umgang mit psychosozialem Leid in unserer Gesellschaft tragen.

Wir möchten unsere tiefe Erschütterung über die psychosoziale Lage unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen.

In unseren Tätigkeitsfeldern erfahren wir die persönlichen Schicksale der Menschen, die hin­ter den Statistiken stehen.

Seelische Erkrankungen und psychosoziale Probleme sind häufig und nehmen in allen In­dustrienationen ständig zu.

Circa 30 % der Bevölkerung leiden innerhalb eines Jahres an einer diagnostizierbaren psychischen Störung. Am häufigsten sind Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen und Suchterkrankungen.

Der Anteil psychischer Erkrankungen an der Arbeitsunfähigkeit nimmt seit 1980 kontinuierlich zu und beträgt inzwischen 15 – 20 %.

Der Anteil psychischer Erkrankungen an vorzeitigen Berentungen nimmt kontinuierlich zu. Sie sind inzwischen die häufigste Ursache für eine vorzeitige Berentung.

Psychische Erkrankungen und Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen nehmen kontinuierlich zu.

Psychische Störungen bei älteren Menschen sind häufig und nehmen ständig zu.

Nur die Hälfte der psychischen Erkrankungen wird richtig erkannt, der Spontanverlauf ohne Behandlung ist jedoch ungünstig: Knapp 1/3 verschlechtert sich und knapp die Hälfte zeigt keine Veränderung, chronifiziert also ohne Behandlung.

In allen Altersgruppen, bei beiden Geschlechtern, in allen Schichten und in allen Nationen zunehmenden Wohlstands nehmen seelische Erkrankungen zu und besitzen ein besorgniser­regendes Ausmaß.

Die gesellschaftlichen Kosten der Gesundheitsschäden durch Produktivitätsausfälle, medizi­nische und therapeutische Behandlungen, Krankengeld und Rentenzahlungen sind enorm.

Eine angemessene medizinische und therapeutische Versorgung ist weltweit nicht möglich. Trotz der kontinuierlichen Zunahme an psychosozialen medizinischen Versorgungsangebo­ten ist die Versorgung auch in Deutschland angesichts der Dynamik und des Ausmaßes der seelischen Erkrankungen nur in Ansätzen möglich."


im großen und ganzen würde ich das bis hierhin unterschreiben; einmal die fragen unberücksichtigt gelassen, die sich hinsichtlich der verwendeten diagnostischen modelle gerade im psychiatrisch-psychologischen bereich stellen, zum anderen auch die damit verbundenen fragen nach der tatsächlichen anzahl von psychophysischen störungen bzw. derem konstatierten ansteigen vernachlässigend. auf jeden fall als fakt lässt sich die tatsache der - weltweit - nicht möglichen "angemessenen medizinischen und therapeutischen versorgung" ansehen.

"Die Ursache dieser Problemlage besteht nach unseren Beobachtungen in zwei gesellschaftli­chen Entwicklungen:

1. Die psychosoziale Belastung des Einzelnen durch individuellen und gesellschaftlichen Stress, wie z. B. Leistungsanforderungen, Informationsüberflutung, seelische Verletzun­gen, berufliche und persönliche Überforderungen, Konsumverführungen, usw. nimmt ste­tig zu.

2. Durch familiäre Zerfallsprozesse, berufliche Mobilität, virtuelle Beziehungen, häufige Tren­nungen und Scheidungen kommt es zu einer Reduzierung tragfähiger sozialer Beziehun­gen und dies sowohl qualitativer als auch quantitativer Art.

Die Kompetenzen zur eigenen Lebensgestaltung, zur Bewältigung psychosozialer Problem­lagen und zur Herstellung erfüllender und tragfähiger Beziehungen sind den Anforderungen und Herausforderungen dieser gesellschaftlichen Entwicklungen bei vielen Menschen nicht gewachsen.

Angesichts der vorherrschenden gesellschaftlichen Orientierung an materiellen und äußeren Werten werden die Bedeutung des Subjektiven, der inneren Werte und der Sinnverbunden­heit dramatisch unterschätzt."


das ist, so im allgemeinen gelassen formuliert, auch im großen und ganzen richtig. zu dieser ursachenforschung ist unter dem punkt
Unser Anliegen auf der seite noch folgendes zu lesen:

(...) "Wir glauben nicht, dass ein bestimmter Sektor der Gesellschaft, wie z. B. die Schule, die Familie, die Politik oder die Wirtschaft dafür verantwortlich ist, sondern dass es sich um eine allgemeine und grundlegende Entwicklung der modernen Gesellschaften handelt, die bisher nicht angemessen erkannt wird. Der Aufruf möchte dies bewusst machen und ist nicht als Provokation gemeint." (...)

daraus lässt sich auch der umkehrschluß ziehen, dass alle bereiche der gesellschaft gleichzeitig an diesem selbstproduzierten desaster beteiligt sind. andererseits: wenn im aufruftext explizit die "Bedeutung des Subjektiven" unterstrichen wird, so fehlt hier das gegenstück: die tatsächliche bedeutung des kultes der objektivität, des fetischs des quantifizierbaren, die heilige kuh der "leistung", die explosion des virtuellen und simulativen, sowie die inzwischen völlig zusammengeschrumpelte und extrem reduktionistische version der öffentlich bis zum erbrechen verlautbarten einzigen "ziele" des "offiziellen" politikbetriebs: konsum, arbeit, wohlstand, bruttosozialprodukt! und diese offiziellen (alp-)träume bezgl. sinn und inhalte menschlichen lebens sind nun ebenso wie die dazugehörige praxis in der realität untrennbar mit "der Wirtschaft" verbunden, genauer gesagt mit jener struktur, die auch als sozioökonomische matrix bezeichnet werden kann und im weitesten sinne als real gewordener ausdruck des kapitalistischen systems angesehen werden kann. das aber sollte dann auch so benannt werden.

es blieb bis heute bspw. einem konservativen leitmedium, nämlich der "faz" vorbehalten, bereits im jahre 2004 implizit die verblüffenden gemeinsamkeiten des menschenbildes, welches hinter den "hartz-reformen" steckt mit einigen zentralen charakteristika der borderline-persönlichkeitsstörung (und auch anderer beziehungskrankheiten) aufzuzeigen:

„Ökonomisch eigenverantwortlich betrachtet, zahlt es sich da für Langzeitarbeitslose und solche, die es werden können, nicht mehr aus, anders als im Augenblick und allein zu leben. (...) Alles Geld, das in einer ‚Bedarfsgemeinschaft‘ von Eltern, Kindern, Gatten oder Lebensgefährten verdient wird, geht von dem eigenen Anspruch ab. So kommen Ehen, Partnerschaften, Groß- und Kleinfamilien, Patchworkverhältnisse aller Art auf den Prüfstand (...). Das Familienmodell zahlt sich nur aus, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind.“ (...) "Hartz IV fördert die zeitliche und räumliche Zersplitterung der Gesellschaft. Seine Zielvorstellung ist die Monade. Der Menschentypus, den Hartz IV favorisiert, ist der Einzelkämpfer, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und weiter fortlaufend abbricht.“

ich hatte das
damals u.a. so kommentiert:

"nicht anders als im augenblick und alleine"...."zersplitterung"...."monade"...."einzelkämpfer"

was für ein typ mensch wird da gefördert? welche eigenschaften sind z.b. gefragt, wenn gefordert wird, für die rein ökonomische existenz von heute auf morgen notfalls den ort zu wechseln, unter hinnahme des verlustes aller sozialen bezüge (was übrigens durchaus als traumatisch im strengen sinne erlebt werden kann)? welche psychophysischen züge sind dafür wohl am nützlichsten?

beziehungsfähigkeit z.b. wohl kaum - die dürfte für derlei eher hinderlich sein." (...)

der heutzutage allseits - oder besser, von unseren herrschenden sog. "eliten" - geforderte flexible, mobile, sich-selbst-managende mensch, der sich das prinzip "ich-ag" zum lebensmotto macht - und (sich) inszeniert, simuliert, anpassungsfähig an alle möglichen realitäten ist - aber das alles, ohne einen tatsächlichen bezug zu diesen realitäten zu besitzen - denn das würde diese im modernen kapitalismus geforderten eigenschaften grundsätzlich sabotieren - soziale bezüge, "verwurzelung" an einem als zuhause empfundenen ort, ein lebensrhytmus nach der eigenen (körper-)zeit und anderes - all das ist letztlich und in seiner konsequenz inkompatibel mit den anforderungen (ich würde eher sagen: zumutungen), die der offizielle westliche lebensstil stellt."


*

wenn die initiatoren wie oben zitiert formulieren, dass ihr aufruf "nicht als provokation" gemeint ist, frage ich mich: warum nicht? das ist eine haltung, die sicherlich (wenn auch nicht immer und in jedem fall) einem therapeutischen setting angemessen ist, nicht jedoch einem aufruf, der aufgrund seines themas gar nicht anders als auch politisch sein kann. kurzgefasst: die psychosoziale situation einer gesellschaft spiegelt auch immer ihre grundsätzlichen strukturen wieder, ob es sich nun um politische, ökonomische, kulturelle oder sonstige handelt. und in allen bereichen lassen sich nicht erst seit gestern teils rasante verfallsprozesse beobachten, von denen der wahrscheinlich fatalste den allgemeinen verlust an fähigkeiten betrifft, die für funktionierende soziale beziehungen die vorbedingung bilden. die folgen und symptome sind dann u.a. genau das, was die ärzte in ihren kliniken und die inzwischen mehr als tausend weiteren unterzeichnerInnen des aufrufs in ihrer beruflichen praxis täglich erleben (und was sie übrigens zu einem nicht geringen teil auch selbst krank werden lässt - "burn out" ist gerade in den sog. sozialen berufen inzwischen zu einer wahren epidemie geworden).

ich finde es also durchaus einen fehler, auf die - meiner meinung nach letztlich eh unvermeidliche - klare benennung von verantwortlichkeiten und auch verantwortlichen zu verzichten und auch den zugrundeliegenden grundsätzlichen konflikten, die sich hinter der skizzierten situation verbergen, so ausweichend zu begegnen. wobei hier auch vermutlich eine rolle spielt, dass sich die position eines leitenden chefarztes einer klinik durchaus zu den "elitären" positionen rechnen lässt - von daher mag hier der satz gelten "das sein bestimmt das bewußtsein".

meine beschriebenen ansatzweisen bauchschmerzen werden beim letzten teil des aufrufs - in gewisser hinsicht nicht explizit als solche benannte forderungen, aufgelistet in neun punkten - dann noch stärker:

"Wir benötigen einen gesellschaftlichen Dialog über die Bedeutung des Subjektiven, des See­lischen, des Geistig-spirituellen, des sozialen Miteinanders und unseres Umgangs mit Problemen und Störungen in diesem Feld.

Wir benötigen einen neuen Ansatz zur Prävention, der sich auf die grundlegenden Kompe­tenzen zur Lebensführung, zur Bewältigung von Veränderungen und Krisen und zur Ent­wicklung von tragfähigen und erfüllenden Beziehungen konzentriert.

Wir benötigen eine Gesundheitsbildung, Erlernen von Selbstführung und die Erfahrung von Gemeinschaft schon im Kindergarten und in der Schule, z. B. in Form eines Schulfaches "Gesundheit".

Wir benötigen eine ganzheitliche, im echten Sinne psychosomatische Medizin, die die ge­genwärtige Technologisierung und Ökonomisierung der Medizin durch eine Subjektorientie­rung und eine Beziehungsdimension ergänzt.

Wir benötigen eine Wirtschaftswelt, in der die Profit- und Leistungsorientierung ergänzt wird durch eine Sinn- und Lebensorientierung für die Tätigen.

Wir benötigen einen integrierenden, sinnstiftenden und soziale Bezüge erhaltenden Umgang mit dem Alter.

Wir benötigen eine das Subjektive und Persönliche respektierende, Grenzen achtende und Menschen wertschätzende Medienwelt.

Wir benötigen ein politisches Handeln, das bei seinen Entscheidungen die Auswirkungen auf das subjektive Erleben und die psychosozialen Bewältigungsmöglichkeiten der Betroffenen reflektiert und berücksichtigt.

Wir benötigen mehr Herz für die Menschen."


punkt1: ja. 2: ja mit einschränkungen, weil hier nicht klar ist, welche arten von prävention nun denn genau gemeint sind. 3: das hätte ich bereits in meiner schulzeit sinnvoll gefunden. kann grundsätzlich eine positive sache sein, wenn sie denn nicht gerade in die klauen von organisationen wie bspw. der "insm" fällt. punkt 4: ja, wobei ich mich frage: warum nur "ergänzt"?

dann aber die nummer fünf: "Wir benötigen eine Wirtschaftswelt, in der die Profit- und Leistungsorientierung ergänzt wird durch eine Sinn- und Lebensorientierung für die Tätigen."

das kann ich so wie da geschrieben als nichts anderes als die forderung nach quasi simulierter "humanität" am arbeitsplatz interpretieren. das ist einerseits logisch - solange die "profit- und leistungsorientierung" bzw. die dahinterliegenden systemimmanenten zwänge u.a. der profitakkumulation nicht angekratzt werden, ist eine echte verbesserung der zustände in der sog. arbeitswelt (wie auch anderswo) schlicht nicht möglich und kann demnach nur in simulierter art und weise durchgeführt werden - ein als-ob, geschuldet der illusion, als ob sich die authentischen menschlichen bedürfnisse in einer kapitalistischen ökonomie auch nur ansatzweise befriedigen lassen. andererseits karikiert das in gewisser weise den gesamten aufruf in einer unakzeptablen art und weise. klingt ein bißchen so, als hätten hier gläubige peinlich darauf geachtet, ja nicht ihre götter zu erzürnen. diesen punkt empfinde ich als echtes ärgernis.

punkt 6: ja. für sieben und acht gilt hingegen modifiziert die gleiche kritik, die ich oben geschrieben habe - "die medienwelt" zb. wird sich solange einen dreck um respekt und grenzen scheren, solange das (quantitative) kriterium "auflage / einschaltquote" für das eigene ökonomische überleben entscheidend ist. und ebenfalls ist das "politische handeln" heutzutage bereits derart korrumpiert und mit mafiösen strukturen verstrickt, dass es das im aufruf gewünschte weder erfüllen kann noch - und das ist entscheidender - überhaupt will. auch in diesem punkt ist viel über mögliche illusionen bezgl der realen gesellschaftlichen verhältnisse seitens der verfasser herauszulesen.

beim letzten punkt ließe das herz vielleicht als synonym für liebesfähigkeit begreifen, und in dieser bedeutung ein uneingeschränktes ja.

*

vielleicht ist es vor dem obigen bezeichnend, dass in der
kommentarsektion zum aufruf an vielen stellen weitergedacht und grundsätzlicher benannt wird, was eigentlich schief läuft. so im kommentar 63 zb.:

"Zuende gedacht ist das die Frage nach einer anderen Gesellschaft. (...) Menschliches Leben bedarf einer Umwelt, wir haben eine geschaffen, die den Dingen und dem Geld dient, und einigen wenigen, die davon profitieren." (...)

ausführlicher möchte ich kommentar 28 zitieren, der einiges auch von meiner kritik sowie der fälligen selbstbefragung des psychosozialen bzw. psychiatrischen bereiches auf den punkt bringt:

"Der Aufruf ist überfällig und wichtig!!! Ich bin selbst Betroffener, war 16 Jahre lang erfolgr. Manager. 1999 kam das Burn-Out. (...)

Ich habe (...) wieder zu meinen Gefühlen gefunden, welche in der Wirtschaft Fehl am Platze sind. Die wiedererlangte Sensibilität hat jedoch die Rückkehr in den Beruf vereitelt, wo Ellenbogen gefragt sind. Deshalb betrachte ich ganzheitliche psychosom. Behandlungsansätze mit einer gewissen Ambivalenz. Zwar ist dieser Ansatz aus humanistischer Sicht richtig, doch unsere Wirtschaft ist nicht human.

Ein intern. renommierter C4 Prof. f. Psych. erklärte mir, dass die Psych. vor einem Dilemma steht, und Menschen eigentlich zu eiskalten Wesen therapieren muss, wenn sie im schnelllebigen Alltag des gegenwärtigen Paradigma sozialer Atome bestehen sollen. Unsere Hirnstruktur ist jedoch dafür nicht geschaffen, weshalb unweigerlich psychosom. Erkrankungen zunehmen.

Es braucht also ein anderes Gesellschafts- und Wirtschaftsparadigma, welches weniger Druck auf Menschen ausübt." (...)


dem ist grundsätzlich nichts hinzuzufügen.

*

trotz aller eben dargestellten einschränkungen und kritik: ich halte diesen aufruf dennoch für wichtig, weil er mithelfen könnte, längst überfällige diskussionen zu initiieren. und darum empfehle ich auch seine weiterverbreitung.

Samstag, 13. November 2010

assoziation: "der kommende aufstand" - zum inhalt (1)

(hier geht´s zur einführung.)

*

ich kann diese knapp
hundert seiten hier natürlich nicht von anfang bis ende kommentieren, sondern werde mir ein paar meiner meinung nach besonders interessante abschnitte heraussuchen. und es dürfte nicht zufällig sein, dass sich das unsichtbare komitee gleich zum beginn des eigentlichen textes im ersten kreis die - westlich geprägten - aktuellen formen der ICH-struktur vorknöpft. auf den seiten 15 bis 18:

»I AM WHAT I AM.« Das ist die letzte Opfergabe des Marketing an die Welt, das letzte Entwicklungsstadium der Werbung, und vor, weit vor all den Mahnungen, anders zu sein, man selbst zu sein, und Pepsi zu trinken. Jahrzehnte von Konzepten, um dort anzukommen, bei der reinen Tautologie. ICH = ICH. Er rennt auf einem Laufband vor dem Spiegel in seinem Fitnesscenter. Sie fährt am Steuer ihres Smart von der Arbeit nach Hause zurück. Werden sie sich treffen?

»ICH BIN WAS ICH BIN.« Mein Körper gehört mir. Ich bin Ich, Du bist Du und es geht schlecht. Die Personalisierung der Masse. Die Individualisierung aller Bedingungen – des Lebens, der Arbeit, des Unglücks. Diffuse Schizophrenie. Schleichende Depression. Atomisierung in feine paranoide Partikel. Hysterisierung des Kontakts. Je mehr ich Ich sein will, desto mehr habe ich das Gefühl einer Leere. Je mehr ich mich ausdrücke, desto mehr trockne ich aus. Je mehr ich hinter mir herlaufe, desto erschöpfter bin ich. Ich betreibe, du betreibst, wir betreiben unser Ich wie einen geschäftigen Schalter. Wir sind die Vertreter unserer selbst geworden – dieser seltsame Handel, die Garanten einer Personalisierung, die letzten Endes einer Amputation ähnelt. In mehr oder weniger versteckter Unbeholfenheit schaffen wir es zum Bankrott.

Bis es soweit ist, verwalte ich, kriege ich es hin. Die Suche nach sich selbst, mein Blog, meine Wohnung, der letzte angesagte Scheiß, die
Pärchengeschichten, die Affairen... was es an Prothesen braucht, um ein Ich
zusammenzuhalten! Wäre »die Gesellschaft« nicht zu dieser definitiven
Abstraktion geworden, würde sie die ganzen existentiellen Krücken
bezeichnen, die mir gereicht werden, damit ich mich weiterschleppen
kann, die ganzen Abhängigkeiten, die ich um den Preis meiner Identität
eingegangen bin. Der Behinderte ist das Vorbild der kommenden Bürgerlichkeit.

Es ist nicht ohne jede Vorahnung, dass die Vereine, die ihn ausbeuten, ein existenzsicherndes Grundeinkommen für ihn fordern."


es sind solche sätze wie dieser - "Je mehr ich mich ausdrücke, desto mehr trockne ich aus" -, die ich in der einführung gemeint habe (und die vermutlich bei den zitierten feuilletonisten zu geistigen zuckungen geführt haben). aber wie sieht´s nun mit dem zitierten befund aus? nicht zum erstenmal wird hier von links das attackiert, was unter dem begriff "identität" mehr oder weniger unser aller bürgerliche haut geworden ist:

"Die allgegenwärtige Anordnung, »jemand zu sein«, erhält den pathologischen Zustand, der diese Gesellschaft notwendig macht. Die
Anordnung, stark zu sein, erzeugt die Schwäche, durch die sie sich erhält,
so dass alles einen therapeutischen Aspekt zu bekommen scheint, sogar arbeiten, sogar lieben. All die »Wie geht‘s?«, die jeden Tag ausgetauscht
werden, lassen ans Fiebermessen denken, wodurch die einen den anderen die Patientengesellschaft aufzwingen. Gesellschaftlichkeit besteht heute aus tausend kleinen Nischen, aus tausend kleinen Unterschlüpfen, in denen man sich warm hält. Wo es immer besser ist als draußen in der großen Kälte. Wo alles falsch ist, weil alles nur ein Vorwand ist, um sich aufzuwärmen. Wo nichts entstehen kann, weil man dort taub wird beim gemeinsamen Schlottern. Diese Gesellschaft wird bald nur noch durch die Spannung zwischen allen sozialen Atomen in Richtung einer illusorischen Heilung zusammengehalten. Sie ist ein Werk, das seine Kraft aus einem gigantischen Staudamm von Tränen zieht, der ständig kurz vor dem Überlaufen ist.

»I AM WHAT I AM.« Niemals hatte eine Herrschaft ein unverdächtigeres
Motto gefunden. Das Erhalten des Ich in einem Zustand permanenten
Halb-Verfalls, chronischer Halb-Ohnmacht ist das bestgehütete
Geheimnis der aktuellen Ordnung der Dinge. Das schwache, deprimierte,
selbstkritische, virtuelle Ich ist im Wesentlichen dieses unendlich
anpassbare Subjekt, das von einer Produktion gefordert wird, die auf
Innovation beruht, auf dem beschleunigten Veralten der Technologien, dem stetigen Umbruch der sozialen Normen und der verallgemeinerten Flexibilität. Es ist gleichzeitig der gefräßigste Konsument und, paradoxerweise, das produktivste Ich, welches sich mit einem Maximum an Energie und Gier auf das kleinste Projekt stürzt, um später wieder in
seinen larvenartigen Originalzustand zurückzukehren.

»DAS, WAS ICH BIN«, ja und? Von Kindheit an durchdrungen von
Flüssen von Milch, Gerüchen, Geschichten, Klängen, Affektionen, Reimen,
Substanzen, Gesten, Ideen, Eindrücken, Blicken, Gesängen und Fressen. Was ich bin? Von allen Seiten gebunden an Orte, Leiden, Ahnen, Freunde, Liebschaften, Ereignisse, Sprachen, Erinnerungen, an Dinge aller Art, die mit aller Offenkundigkeit nicht Ich sind. Alles, was mich an die Welt bindet, alle Verbindungen, die mich ausmachen, alle Kräfte, die mir innewohnen, verstricken sich nicht zu einer Identität, die zur Schau zu stellen wir aufgefordert werden, sondern zu einer Existenz: einzigartig, gemeinschaftlich, lebendig, aus der stellenweise, im Moment, dieses Wesen aufsteigt, das »ich« sagt. Unser Gefühl der Inkonsistenz ist nur eine Auswirkung dieses dummen Glaubens an die Permanenz des Ich, und der wenigen Sorgfalt, die wir dem entgegenbringen, was uns ausmacht.

Es macht schwindelig, das »I AM WHAT I AM« von Reebok an einem
Wolkenkratzer von Schanghai thronen zu sehen. Das Abendland rückt
überall vor wie sein bevorzugtes trojanisches Pferd, diese tödliche Antinomie
zwischen dem Ich und der Welt, dem Individuum und der Gruppe, der Verbundenheit und der Freiheit. Die Freiheit ist nicht die Geste, uns von unseren Verbundenheiten loszulösen, sondern die praktische Fähigkeit, auf sie einzuwirken, sich in ihnen zu bewegen, sie zu erschaffen oder zu durchtrennen. Die Familie existiert nur für denjenigen als Familie, das heißt als Hölle, der darauf verzichtet hat, ihre Mechanismen zu verderben, die uns schwachsinnig machen, oder der nicht weiß wie. Die Freiheit sich loszureißen war schon immer das Gespenst der Freiheit. Wir entledigen uns nicht von dem, was uns fesselt, ohne gleichzeitig das zu verlieren, worauf sich unsere Kräfte ausüben könnten.

»I AM WHAT I AM«, also, keine bloße Lüge, keine bloße Werbekampagne,
sondern ein Feldzug, ein Kriegsschrei, gerichtet gegen alles, was es zwischen den Wesen gibt, gegen alles, was ununterscheidbar zirkuliert, alles, was sie unsichtbar miteinander verbindet, alles, was die perfekte Verwüstung hindert, gegen alles, was bewirkt, dass wir existieren und dass die Welt nicht überall wie eine Autobahn aussieht, wie ein Vergnügungspark oder eine Trabantenstadt: pure Langeweile, ohne Leidenschaft und wohl geordnet, leerer Raum, eiskalt, nur noch durchquert von registrierten Körpern, automobilen Molekülen und idealen Waren. Frankreich ist nicht das Vaterland der Anxiolytika, das Paradies der Antidepressiva und das Mekka der Neurose, ohne gleichzeitig Europameister der Stundenproduktivität zu sein. Die Krankheit, die Müdigkeit, die Depression können als individuelle Symptome dessen wahrgenommen werden, was geheilt werden muss. Sie arbeiten also am Erhalt der existierenden Ordnung, an meiner folgsamen Anpassung an dumme Normen, an der Modernisierung meiner Krücken. Sie umfassen die Selektion der opportunen, konformen und produktiven Neigungen in mir, von jenen, die brav zu betrauern sind. »Man muss sich verändern können, weißt du.« Werden sie aber als Fakten angenommen, können meine Störungen auch zur Zerschlagung der Hypothese des Ich führen.

Sie werden also zu Akten des Widerstandes im laufenden Krieg. Sie werden zur Rebellion und zum Energiezentrum gegen alles, was sich verschwört, uns zu normalisieren, uns zu amputieren. Es ist nicht das Ich, was bei uns in der Krise ist, sondern die Form, die man uns aufzuzwingen versucht. Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte Ichs aus uns gemacht werden, zuordenbar und zählbar nach Qualitäten, kurz: kontrollierbar; während wir Kreaturen unter Kreaturen sind, Einzigartigkeiten unter unseresgleichen, lebendiges Fleisch, welches das Gewebe der Welt bildet. Entgegen dem, was uns seit der Kindheit immer wieder erzählt wird, besteht Intelligenz nicht darin, sich anpassen zu können – oder wenn das eine Intelligenz ist, dann die der Sklaven.

Unsere Unfähigkeit zur Anpassung und unsere Müdigkeit sind keine
Probleme, außer aus der Sicht dessen, was uns unterwerfen will. Vielmehr
deuten sie auf einen Ausgangspunkt, einen Verbindungspunkt für neue Komplizenschaften. Sie eröffnen den Blick auf eine noch viel verfallenere, aber unendlich viel teilbarere Landschaft als all die Trugbilder, die diese Gesellschaft von sich selbst bereithält. Wir sind nicht deprimiert, wir streiken. Wer sich weigert, sich zu verwalten, für den ist die »Depression« kein Zustand, sondern ein Übergang, ein Auf-Wiedersehen, ein Schritt zur Seite hin zur Aufkündigung einer politischen Zugehörigkeit. Davon ausgehend gibt es keine andere Schlichtung als die medikamentöse und die polizeiliche. Genau deswegen scheut sich diese Gesellschaft nicht, ihren zu lebhaften Kindern Ritalin aufzuzwingen, zu jeder Gelegenheit Laufleinen pharmazeutischer Abhängigkeiten zu flechten, und vorzugeben, schon bei Dreijährigen »Verhaltensstörungen« festzustellen. Weil die Hypothese des Ich überall Risse bekommt."


ich bin bei diesem ersten kreis durchgängig zwiegespalten, wie eigentlich bei allen aussagen von "links", die ich in den letzten jahren zu themen wie subjekt, identität und individualität so wahrgenommen habe. und anlässlich einer entsprechenden kritik von robert kurz hatte ich dazu in der vergangenheit mal die folgenden sätze
grundsätzlich formuliert:

"ich betrachte das "subjekt" im kapitalismus immer als ein als-ob-subjekt, weil es sich von seinen dominierenden psychophysischen funktionsweisen her betrachtet eher um ein schwer beschädigtes subjekt handelt, welches diese beschädigungen - die sich vor allem im gesamten bereich der sozialen beziehungen manifestieren - kompensatorisch versucht, mittels verdinglichung/objektivierung seiner selbst und auch aller anderen, genauer gesagt alles lebendigen anderen, auszugleichen - es geht also um überlebensversuche, die bei einer postulierung des subjekts als "eigentlich überflüssig" an stärke und verzweiflung nur noch zunehmen werden. die sog. subjektform, die kurz als identisch mit der "kapitalistischen daseinsform" begreift, ist aus meiner perspektive eigentlich keine authentische subjektform mehr, besser gesagt, es ist ihre totale negierung: nämlich der soziopath (unabhängig davon, unter welchen namen diese extreme manifestation der kapitalistischen normen in körperlicher gestalt nun historisch bisher aufgetreten ist). hier haben wir den meiner meinung nach einzigen tatsächlichen fall, in dem das subjekt aufgrund psychophysischer prozesse tatsächlich zu einer art objekt im totalitären, d.h. allumfassenden sinne, und damit zur kapitalistischen daseinsform, geworden ist.

es bedarf zu einer tatsächlichen emanzipation bei den meisten menschen also eher des zurückdrängens der objektivistischen, konstruktivistischen und simulativen prozesse, was ich gleichbedeutend mit gesundung begreifen würde - und zwar nicht mit einer gesundung im sinne kapitalistischer verwertungs- und leistungsfähigkeit, wie hoffentlich klar sein sollte. wir brauchen gerade mehr authentische subjektivität und auch individualität, um zur authentischen kollektivität zu kommen!"


das unsichtbare komitee greift aus meiner sicht einiges vom obigen auf, wenn sie bspw. schreiben: "wir sind vertreter unserer selbst geworden" - "... was es an Prothesen braucht, um ein Ich
zusammenzuhalten! Wäre »die Gesellschaft« nicht zu dieser definitiven
Abstraktion geworden, würde sie die ganzen existentiellen Krücken
bezeichnen, die mir gereicht werden, damit ich mich weiterschleppen
kann, die ganzen Abhängigkeiten, die ich um den Preis meiner Identität
eingegangen bin."
wobei sie die wichtigsten und auch destruktivsten dieser krücken vergessen haben, nämlich die identitätsprothesen der konstrukte von "nation" und "gott".

auch der begriff "virtuelles ich", der im laufe des kapitels auftaucht, bringt das von mir oben gemeinte auf den punkt. ich halte eine krititk an den konstruierten bzw. simulierten (pseudo-)identitäten, wie sie sich im gefolge der bereits in der kindheit der allermeisten vollzogenen subjektzerstörenden gewalt einnisten, nicht nur für legitim, sondern für sehr notwendig. all die konsumierbaren und käuflichen identitätssurrogate, wie sie ständig durch den medienapparat und die unterhaltungsindustrie produziert und verworfen werden, sind in ihrem wesen vampiristisch, und das durchaus im buchstäblichen sinne, weil sie die lebenskraft und -energie zu vieler absorbieren. ich sehe allerdings auch hier das gleich problem wie schon damals bei robert kurz: es wird nicht genau bzw. gar nicht unterschieden zwischen authentischer und simulierter identität, und individualität zu oft mit vereinzelung verwechselt. gerade der begriff der individualität muss den klauen der werbe- und marketingabteilungen wieder entrissen werden, weil er - zu recht - positiv besetzt ist, aber das damit eigentlich gemeinte unter den bedingungen des totalitären kapitalismus zwangsläufig nur antagonistisch, d.h. als widerspruch und im widerstand, existieren kann. "der konsument" aka "der bürger" ist kein individualist - auch bzw. gerade dann nicht, wenn er viel kapital investiert (mode, autos, dreck), um sich das einbilden zu können - und lebt auch kein authentisches subjekt aus. er ist im normalfall ein vereinzeltes und vereinsamtes etwas, welches sich mit allerlei simulierten pseudoidentitäten über die runden seiner verplanten und verwalteten existenz schleppt. im schlimmsten fall noch mit einer art von makaberer begeisterung im angesicht der eigenen existenziellen amputation.

und möglicherweise ist das hier...

Von Kindheit an durchdrungen von Flüssen von Milch, Gerüchen, Geschichten, Klängen, Affektionen, Reimen, Substanzen, Gesten, Ideen, Eindrücken, Blicken, Gesängen und Fressen. Was ich bin? Von allen Seiten gebunden an Orte, Leiden, Ahnen, Freunde, Liebschaften, Ereignisse, Sprachen, Erinnerungen, an Dinge aller Art, die mit aller Offenkundigkeit nicht Ich sind. Alles, was mich an die Welt bindet, alle Verbindungen, die mich ausmachen, alle Kräfte, die mir innewohnen, verstricken sich nicht zu einer Identität, die zur Schau zu stellen wir aufgefordert werden, sondern zu einer Existenz: einzigartig, gemeinschaftlich, lebendig, aus der stellenweise, im Moment, dieses Wesen aufsteigt, das »ich« sagt. Unser Gefühl der Inkonsistenz ist nur eine Auswirkung dieses dummen Glaubens an die Permanenz des Ich, und der wenigen Sorgfalt, die wir dem entgegenbringen, was uns ausmacht.

... jenseits der schönen sprache ein beleg für nötige und überfällige definitionen: das, was da als "existenz" beschrieben wird, würde ich als authentische identität bezeichnen, die sich u.a. genau durch das eigene bewußt-sein über die beschiebenen unauslöschlichen beziehungen in der welt auszeichnet. ich finde es einen fehler, den begriff identität einfach dem gegner zu überlassen. ebenso wie individualität berschreibt er eigentlich etwas sehr positives, was innerhalb dieses systems zu einer negativen verzerrten karikatur des ursprünglichen geworden ist. aber begriffe lassen sich, wie oben gesagt, auch zurückerkämpfen.

*

an mehreren stellen des kapitels werden ja diverse psychophysische störungen bzw. krankheiten angesprochen, und zwar in einem sinne, der mich sofort an die ferne gegenwart von linker psychiatriekritik, foucault und thesen des
sozialistischen patientenkollektivs erinnerte. mein auch hier zwiespältiges gefühl zu der, kurz auf den punkt gebrachten, definition von krankheiten bzw. analog begriffenen zuständen als quasi automatisch auch irgendwie widerständige, wenn auch unbewußte, "handlung", hatte ich vor jahren beim beginn des blogs mal so formuliert:

"eine besonders aus den linkeren teilen des politischen spektrums stammende sichtweise, die sich teils auch in der sog. antipsychiatrie manifestiert hat (...), hat sicher in bestimmten bereichen der psychiatriekritik notwendiges geleistet. aber mit der konstruktion eines bildes vom wahnsinnigen menschen als quasi heroischem outdrop, der mit seiner verrückten art ein mörderisches system ins leere laufen lässt, an die stelle berechtigt demontierter mythen letztlich nur neue gesetzt. und das könnte ein gewaltiges eigentor in der hinsicht gewesen sein, dass sich eine progressiv gemeinte linke psychiatriekritik damit unfreiwillig an der vernebelung äußerst bedrohlicher gesellschaftlicher entwicklungen beteiligt."

und wie damals auch schon gesagt: nichts gegen eine absolut nötige psychiatriekritik, aber eine depression kann durchaus viel mehr als ein schritt zur "aufkündigung der politischen zugehörigkeit" eben auch eine persönliche hölle erster klasse bedeuten, gar nicht so selten mit einem tödlichen ausgang. ich halte die entsprechenden interpretationen im aufstand keinesfalls für völlig falsch - natürlich existiert nicht nur ein zusammenhang zwischen individueller krankheit und kollektivem wahnsinn -, aber für unerfreulich verkürzend. ich sehe durchaus dispositionen und verhältnisse, in denen auch unter anderen gesellschaftlichen verhältnissen zumindest eine krankheit wie depression weiter vorkommen dürfte. und bis auf weiteres ist es einfach ein eiertanz zwischen der nötigen kritik der verhältnisse gerade bei psychophyischen störungen, und dem bewußtsein über ihre multidimensionale matrix im hintergrund. vielleicht das in bezug auf die aktuelle situation: in der heutigen lage ist es womöglich tatsächlich notwendig, die bedingtheit gerade von beziehungskrankheiten auf die ge- und beschädigte kollektive sozialität immer wieder herauszustellen, weil diese bedingtheit nun mal auf jeden fall vorhanden ist. nur sollte niemand dem irrtum verfallen, dass es diese störungen - wenn auch wahrscheinlich nicht in ihren heutigen ausprägungen und v.a. ihrer häufigkeit - unter qualitativ anderen sozialen verhältnissen gar nicht mehr geben würde.

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soviel für den moment zum ersten kreis. die folgenden in den nächsten wochen; je nach zeit, lust und laune.

assoziation: "der kommende aufstand" - ein (gedrucktes) gespenst geht um in europa

"Die Polizei hat die Kontrolle verloren. Das kann man nicht nur in Harlingen erleben, wo in der Nacht von Sonntag auf Montag die größte Schienenblockade in der Geschichte des Wendlands läuft. Eine Schlüsselszene spielt sich 11 Kilometer entfernt ab. Am Kreisverkehr westlich von Dannenberg, dort wo sich die zentralen Kreisstraßen 216 und 248 kreuzen, haben Bauern mit dutzenden Treckern eine schmale Passierstelle eingerichtet: Hier kontrollieren sie den Zugangsverkehr in die Region. „Klar darfst du durch", ruft ein Landwirt einem Autofahrer zu. "Nur keine Polizisten!"

(neulich im wendland)

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May 2010 Greek protests

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zwei orte in europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - einmal die beschauliche ländliche provinz im östlichen niedersachsen; zum anderen die griechische hauptstadt athen. und zwei szenen, die sich jenseits aller unterschiede ideal zur illustration der thesen jenes textes eignen, der im folgenden thema sein soll. vorher aber noch das: die szene in athen fand in jenen tagen des vergangenen mai statt, in denen zehntausende rund um das griechische parlament strömten, in dem die sog. sparbeschlüsse verabschiedet wurden - tage, in sich denen griechenland tatsächlich vielleicht mehr noch als im winter 2008 am rande eines allgemeinen aufstands befand. diese dynamik wurde wie auf einen schlag mit dem
tod von drei bankangestellten unter durchaus diskussionswürdigen umständen beendet. aber genau diese geschichte kann auch exemplarisch für all das janusköpfige stehen, was mit dem begriff aufstand untrennbar assoziiert ist.

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der kommende aufstand also - hinter dem link verbirgt sich die druckreife pdf-fassung dieses textes (aus der ich im folgenden auch zitieren werde), der seit ein paar jahren erst versteckt, dann immer offener, in immer mehr ländern zum gegenstand aufgeregter mutmaßungen mutiert. zumindest im sinne der aufmerksamkeitsökonomie kann sich das "unsichtbare komitee", welches wahlweise als herausgeber und/oder autorInnenkollektiv betrachtet werden kann, bereits etliche punkte gutschreiben. ich weiß seit ein paar jahren von der existenz dieses textes, hauptsächlich aufgrund der furore, die er in frankreich ausgelöst hat (wo sich das buch durchaus als heimlicher bestseller bezeichnen lässt). geschrieben irgendwann in den jahren nach den unruhen in den banlieus 2005, bezieht sich der text zwar auch logischerweise auf spezielle ausprägungen der innerfranzösischen gesellschaftlichen verhältnisse, lässt sich aber durchaus ebenfalls als eine allgemeine situationsbeschreibung vieler gesellschaften des sog. westens lesen. und vor diesem hintergrund empfehle ich durchaus die lektüre. angemerkt werden sollte noch, dass zu dieser lektüre auch ein neueres vorwort gehört, welches 2009 geschrieben wurde und sich zentral auf die griechische dezemberrevolte 2008 bezieht. und dort wird meiner meinung nach deutlicher als in den vorherigen ausgaben, dass sich das "unsichtbare komitee" selbst als kommunistisch verortet - ein kommunismus allerdings, der sich historisch eher an der pariser commune als an die bolschewiki anlehnt.

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hierzulande gab es meines wissens die erste nennenswerte mediale reaktion im mainstream, nachdem der text 2009 tatsächlich in einem verlag erschien und seitdem wie ein ganz normales buch für knapp einen zehner in etlichen buchhandlungen zu erwerben ist (ein vorgang, der im kapitalismus zwar normal, aber gerade bei diesem text mit einem höchstmaß an absurdität verbunden ist). in der "taz" durfte ein mitarbeiter der grünen bundestagsfraktion einen eher unverblümten
verriß schreiben, mit einem - aus seiner sicht - nachvollziehbaren schwerpunkt:

(...) "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen." (...)

ist natürlich auch zu ärgerlich, wenn man sich als irgendwielinker unter dem dach der grünen partei in der "repräsentativen demokratie und ihren institutionen" häuslich und vor allem bequem eingerichtet hat - und dann kommen da irgendwelche anonymen chaoten aus frankreich und feuern genau gegen das eigene heim eine theoretische breitseite ab, die in gewisser weise massenwirksam zu werden droht. da heißt es dann, die eigene vergangenheit zu plündern, um diesem treiben systemtragende riegel vorzuschieben.

in den letzten wochen nun wurde der kommende aufstand aus gründen, die mir nicht ganz klar sind - stuttgart und gorleben mögen hier eine rolle spielen - auch zum thema besonders des konservativen und "liberalen" feuilletons. den interessantesten beitrag finde ich denjenigen von nils minkmar in der "faz", der unter dem titel
Seid faul und militant! unter anderem den wirkungsgrad des textes einzugrenzen versucht:

(...) "Doch das ist erst der Anfang: „Nie war das Gefühl eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs so lebhaft!“ So steht es in „Der kommende Aufstand“, einem französischen Buch, das dieser Tage abseits der Buchhandlungen und Bestsellerlisten stetig an Lesern und Relevanz gewinnt. Glenn Beck, der einflussreiche rechtsanarchistische amerikanische Fernsehprediger, hat schon vor Monaten eine ganze Sendung lang gegen das Werk monologisiert. An britischen und französischen Universitäten wird es als kanonischer Text studiert und besprochen.

Und wenn, wie in der vergangenen Woche in Berlin, nachts die Autos brennen, im Kanzleramt ein Sprengkörper griechischer Anarchisten gefunden wird und die S-Bahn aus ungeklärten Gründen ausfällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahenden Großstörung breitmacht, dann passt das dermaßen perfekt zu der in diesem Buch entwickelten Strategie, dass man an bloßen Zufall nicht mehr glauben mag." (...)


minkmar setzt sich als vielleicht einziger autor der ganzen rezensentenriege besonders am schluß seines besprechung auf eine ernstzunehmende art und weise mit den thesen des "aufstands" auseinander, und darauf werde ich später nochmals zurückkommen. ansonsten taucht in so ziemlich allen artikeln über kurz oder lang unweigerlich der name michel houellebecq auf, und vielleicht lässt sich hier auch eine art feuilletonistischer strategie bei der arbeit sehen, die darauf zielt, die explosivität einiger inhaltlicher thesen mittels der magischen beschwörung "und es sei und werde kunst!" zu entschärfen - deutlicher wird das in der
"neuen züricher":

(...) "Ich wollte mir das Bändchen eigentlich nur aus Neugier und aus Jux kaufen, davon überzeugt, dass sein verquaster Inhalt und sein schwerverdaulicher Jargon mich schmunzeln machen würden. Zumindest was letzteren Punkt betrifft, lag ich freilich völlig daneben. «L'insurrection qui vient» verzichtet weitgehend auf jede Phraseologie und ist in einem eiskalten, messerscharfen Stil verfasst. Das Bändchen liest sich wie ein früher Roman von Michel Houellebecq, nur ist es viel besser geschrieben (was zugegebenermassen mit einem Mindestmass an Begabung nicht sehr schwer ist)." (...)

gerade die letzten sätze lassen sich als schönes beispiel für das obligatorische bürgerliche kulturgeschwätz ansehen, und an houellebecq ist in diesem zusammenhang anscheinend wirklich kein vorbeikommen, wie auch die
"süddeutsche" findet:

(...) "Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine "Ästhetik des Widerstands" für das neue Jahrtausend. Der erste Teil ist in sieben "Kreise" unterteilt, ein Verweis auf Dantes Inferno. In der Hölle unserer Tage ist der Mensch eine kleine, überflüssige Konsum-Monade, der als Lebenssinn nur das kalte Neonlicht der Warenwelt bleibt. Das System ist überall, fast wie Gas ist es noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen. Aber gerade weil es unbesiegbar und übermächtig ist, muss man jetzt dagegen aufbegehren.

Während die meisten Europäer seit zwei Jahren angststarr auf die vielköpfige Hydra der Krise blicken und darauf hoffen, dass alles noch mal gutgehen möge, wird hier mit heiterster Miene davon ausgegangen, dass die Katastrophe des Zusammenbruchs längst begonnen hat. (...)

Kurzum: Die ersten 60 Seiten sind eine Gegenwartsanalyse, so beißend wie poetisch, geschult an Guy Debord, Antonio Negri, Giorgio Agamben, und oft meint man Michel Houellebecqs Stimme durchzuhören, wenn da genüsslich die Kälte und Vereinsamung der Leistungsgesellschaft beschrieben wird." (...)


naja. jenseits von houellebecq, von dem ich besonders seine "ausweitung der kampfzone" schätze, sind mir beim ersten lesen vor allem folgende dinge aufgefallen: erstens setzt der text durchaus einiges voraus; zweitens eignet er sich nicht nur deswegen - ohne das jetzt abwertend zu meinen - nicht unbedingt dafür, mal eben schnell die pause auf der nächsten baustelle abzupassen und dort den arbeitern eine alternative zum totschläger mit den vier buchstaben in die hand zu geben; und drittens enthält er tatsächlich eine fülle von metaphern und sätzen, die geeignet sind, dinge und verhältnisse auf den punkt zu bringen oder sie zumindest kenntlich werden zu lassen. viertens aber sind jenseits aller formulierungskünste dann doch die inhaltlichen aussagen bei so einem text immer noch das wichtigste, und einige dieser aussagen sollen im nächsten beitrag genauer unter die lupe genommen werden. wobei ich einerseits besonders aus meiner heutigen perspektive (d.h. dieses blogs) schauen werde, zum anderen aber auch meine eigene vergangenheit eine rolle spielt - etliche jahre in der autonomen linken haben mich auch etliche sog. militanzdebatten miterleben lassen, ebenso wie direkte erlebnisse der existenz, folgen und wirkungen von (massen-)militanz - im guten wie im schlechten.

*

und unabhängig von meinen eigenen inhaltlichen wertungen noch dieses: falls Sie dieses jahr wieder mal nicht wissen, ob und was Sie weihnachten verschenken sollen, ist das ein guter tipp. ausgedruckt, hübsch gebunden und mit wahlweise kunstvoller schleife oder aber an einem pflasterstein angebunden, eignet sich der kommende aufstand als stilvolles und zeitgemäßes präsent unter jedem baum. und statt der obligatorischen lieder lässt sich damit eine inspirierende leserunde im kreise der liebsten veranstalten. und auch auf jeder firmenweihnachtsfeier ist ein großes hallo! garantiert.

Donnerstag, 11. November 2010

notiz: die lüge von der "sauberen atomkraft" - kurze nachbemerkungen zum castortransport

anläßlich solcher und ähnlicher dispute an anderen stellen scheint es nötig, bezgl. der angeblich "sauberen" nutzung der angeblich "zivilen" atomenergie wieder mal ein paar elementare tatsachen in erinnerung zu rufen.

*

den schwerpunkt lege ich dabei bewußt auf einen zumindest hierzulande fast regelmässig "vergessenen" bzw. ignorierten aspekt, nämlich die gewinnung des brennstoffs uran. nicht nur der laufende betrieb - symbolisiert in namen wie harrisburg und tschernobyl, symbolisiert auch in den aberhunderten "kleinen" und größeren störfällen alleine in den akw hierzulande, und ebenfalls symbolisiert in den dauerdesastern von
sellafield und la hague...



... und auch nicht nur die fehlende - und zwangsläufig fehlende, weil schlicht auf zeiträume von zehntausenden von jahren bezogen sein müssende - "sichere endlagerung" machen diese technologie zu einem der schwerpunktskandale der industrialisierten "zivilisation", sondern es geht vor (störanfälligem) betrieb und (simulierter) müllbeseitigung bereits von beginn an hoch destruktiv zur sache.

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beispiel niger:

"Weltweit leiden Zigtausende Menschen unter den Folgen des Uranabbaus. In Deutschland weiß das kaum jemand. Hier streiten viele nur über Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke, Atommüll und Brennelementsteuer. (...)

Uran ist hoch toxisch, radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von bis zu 4,5 Milliarden Jahren. Zum Vergleich: Die Erde wird etwa auf dasselbe Alter geschätzt. Die natürlichen Uranvorkommen in den Tiefen der Erdkruste stellen in ihrer geringen Konzentration keine Gefahr für Mensch und Umwelt dar, anders ist das jedoch beim abgebauten und durch Weiterverarbeitung hoch konzentrierten Uran. (...)

"Die Konzerne geben keine Daten raus. Wir wissen nichts über die Belastung. Greenpeace jedoch hat neulich im Niger eine Untersuchung gemacht und fest gestellt, dass ein vielfaches der Strahlenbelastung vorhanden ist, gegenüber dem, was die Konzerne sagen."

Der Präsident der kanadischen Vereinigung für nukleare Verantwortung, Gordon Edwards, weist darauf hin, dass sich die abbauenden Firmen überhaupt nur für einen ganz geringen Teil des radioaktiven Materials interessieren. Dafür aber in riesigen Minen in der Erde herumstochern.

"Die Firmen wollen beim Abbau nur an das Uran, das aber nur 15 Prozent der Radioaktivität ausmacht. Und lassen 85 Prozent des radioaktiven Materials vor Ort zurück. Für sie ist das nutzlos, aber dieser Rest ist sehr giftig." (...)


und zwar nicht nur für die zwangsläufig direkt betroffenen arbeiter in den minen, sondern auch für und in den umliegenden landschaften incl. der dort wohnenden menschen.
weiteres aus dem niger...

(...) "2003 reiste der französische Nuklearwissenschaftler Bruno Chareyron vom Strahlenforschungslabor CRIIRAD mit einem Team in den Niger, um die radioaktive Belastung zu messen, der die Bevölkerung ausgesetzt ist. Über die Ergebnisse berichtete Chareyron 2007 auf einem Kongress in Stockholm: Fast alle Unterkünfte in den Slums ließen den Geigerzähler laut werden, beim Trinkwasser maßen die Aktivisten Belastungen bis zum 110-fachen des von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgesetzten Grenzwerts.

Das Team fand heraus, dass die Firma jahrelang verstrahltes Altmetall abgegeben hatte, das dann auf den Märkten angeboten und für den Bau von Hütten verwendet wurde. Ein Rohr, das offensichtlich aus der Erzaufbereitungsanlage stammte, wies eine Belastung von 200000 Becquerel pro Kilogramm auf. Einige der Befragten erzählten, dass sie strahlenden Schrott als Bonus erhalten hatten; manche hatten aus dem verseuchten Metall sogar Kochtöpfe gefertigt. Über die gesundheitlichen Gefahren waren die Arbeiter nie informiert worden. In einer Hütte fand das Team ein Stück radioaktives Erz, das der Bewohner als Souvenir aufbe-wahrte; die gemessene Dosisleistung betrug ein Millisievert pro Stunde. "Wenn der Mann sich nur wenige Minuten am Tag in einem Meter Entfernung zu dem Brocken aufhält, hat er die erlaubte Strahlendosis bereits weit überschritten," erläutert Chareyron. (...)


... sowie den usa (gleicher link):

(...) "Phil Harrison kennt alle betroffenen Familien. Er hat das "Komitee für die Opfer der Uranstrahlung" gegründet; er sorgt dafür, dass die Wiedergutmachungen aus Washington, die in zähen Gerichtsverfahren erkämpft wurden, auch zu den Betroffenen gelangen. Sein Büro ist in Shiprock, nahe den "Four Corners", jener Stelle, an der die vier Staaten Utah, Colorado, New Mexico und Arizona aneinandergrenzen. Seine Arbeit geht ihm "unter die Haut"; er hat sofort Tränen in seinen Augen, wenn er über die Opfer spricht. Seit Jahren sieht er sich Kranken gegenüber, die von Leukämie, Haut- und Lungenkrebs gezeichnet sind; in vielen Familien wurden geistig Behinderte geboren. In allen Wohnungen stehen die Fotos der Verstorbenen und erinnern an die ahnungslose Zeit, als alle den Uran-Boom willkommen hießen. Doch seither heißt das Uranoxid in der Sprache der
Diné "Leetso" - das gelbe Monster." (...)


und in australien ist es die regenbogenschlange:

(...) "Die gestörte Ruhe des Urans war für die Ureinwohner der Beginn des Unheils. Denn tief in der Erde wohnt nach ihrer Überlieferung die Regenbogenschlange. Sie verkörpert die Erzadern: Wer die Schlange stört, entfesselt verheerende Kräfte. Alle Bodenschätze haben in der Kosmologie der Aborigines eine Tiergestalt. "Die Bodenschätze sind Organe des Planeten", sagt Rebecca Wingfield-Bear, eine Aktivistin vom Stamm der Kokatha Mula; "verletzte Organe lassen die Erde krank werden. Alle Konturen des Landes stammen aus der Traumzeit und sind heilig; sie geben den Lebewesen Raum und Identität." (...)

von welchen dimensionen wir hier reden, wird ebenfalls am beispiel
australien ganz gut deutlich:

(...) "Die ökologischen Folgen für die Umwelt sind enorm. Denn der Abbau von Uranerz ist nicht weniger gefährlich als die Kernkraftwerke selbst. Da der Urangehalt im Erz nur sehr gering ist, müssen große Mengen gefördert werden. So entstehen für eine Tonne Uran bis zu 40.000 Tonnen Abraum, der noch 85 Prozent der Radioaktivität enthalten kann. Diese todbringende Hinterlassenschaft türmt sich in riesigen Halden in der Landschaft auf und verseucht sie für eine lange Zeit. Durch die Überschwemmungen in der Region während der Regenzeit gelangt der radioaktive Abfall in die weitverzweigten Gewässersysteme. Eine dauerhafte und sichere Lagerung des Abraums ist kaum möglich, schließlich würde er noch mindestens 200.000 Jahre giftige Strahlung abgeben." (...)

und so weiter und so fort - die berichte gleichen sich aus allen zonen, in denen uran abgebaut wird. ähnlich wie bei der fiktionalen "endlagerung" lässt sich hier das in der realität umgesetzte (un-)heimliche motto der beteiligten konzerne und staalichen institutionen deutlich wahrnehmen: "nach uns die sintflut!"

und wer im jahre 2010 trotz aller bekannten fakten immer noch das lied der ach so "sauberen" atomkraft singt, macht sich, ob gewollt oder nicht, selbst zu einem nützlichen idioten der herrschenden soziopathie.

*

kurz noch direkt zum gerade gelaufenen castortransport: ziemlich interessant finde ich die sich verdichtenden indizien für eine aktive (!) beteiligung nicht nur
französischer bereitschaftspolizei...

(...) "Weder die Bundespolizei noch die für den Castor-Einsatz zuständige Polizei Lüneburg wollten die Fotos am Mittwoch kommentieren. Ein Sprecher der Bundespolizei bestätigte gegenüber der taz, dass französische Polizisten in Deutschland am Einsatz beteiligt waren, aber nur "als Beobachter". Dagegen wies das Bundesinnenministerium diese Darstellung zunächst zurück. "Wir haben keine französischen Beamten angefordert, also waren in Deutschland auch keine französischen Polizisten im Einsatz", erklärte ein Sprecher. Die Bilder seien kein Beweis. Später relativierte er die Aussage und erklärte, ihm sei von einem solchen Einsatz nichts bekannt." (...)

... sowie auch hinweise auf
kroatische und polnische polizisten:

(...) "Außerdem will Ströbele Hinweise darauf haben, dass auch polnische und kroatische Polizisten sowie Bundeswehrangehörige an dem Einsatz beteiligt gewesen seien." (...)

es gab tatsächlich während der blockadetage hinweise in den tickern, nach denen beamte in unbekannten uniformen mit dem wort "Policija" auf dem rücken gesichtet worden seien. hingegen war bezgl. der bundeswehr bereits von beginn an klar, dass die polizei logistisch durchaus auf armeeunterstützung hinsichtlich unterkunft und verpflegung zurückgreifen wird. mir ist nicht klar, wie weit ströbele hier auf weitere arten der militärischen beteiligung verweisen will. "skandalös" - wenn man dieses unzutreffende wort überhaupt noch verwenden will, weil der normale alltagszustand in all seinen aspekten zu einem einzigen riesenskandal geworden ist, wie es nicht nur hierzulande seit langem der fall ist, macht das wort keinen wirklichen sinn mehr -; als skandalös also würde ich nicht die beteiligung anderer polizeitruppen aus europa betrachten - das ist im zuge der weiteren destabiliserung des systems zukünftig immer öfter zu erwarten. aber bezeichnend ist das ungenierte plattmachen all jener sonst immer als heiliger fetisch hochgehaltenen rechtsvorschriften, gesetze etc. von seiten derjenigen, die diesen fetisch erst erzeugen und unten auch mit aller gewalt durchsetzen - die macht zeigt inzwischen unverblümt ihre eigentliche fratze.

abschließend sei auch noch auf den verdacht hingewiesen, dass beim diesjährigen castor das erstemal in nennenswertem umfang
polizeidrohnen zur quasi militärischen aufklärung benutzt wurden:

(...) "auf Radio freies Wendland, einem Ticker und aus Quellen der Polizei wurde bekannt, dass offensichtlich im Wendland sogenannte Drohnen zur Aufklärung und Überwachung des Widerstandes genutzt wurden und werden." (...)

das wird seltsamerweise kaum irgendwo thematisiert, obwohl es bereits vor monaten entsprechende
ankündigungen gab:

(...) "Auch Niedersachsen plant einen Versuch mit einem "Quadrocopter". Dem Vernehmen nach ist daran gedacht, die Castor-Transporte und die Demonstrationen im Umfeld zu beobachten. Für die Polizei ergeben sich dieselben Erkenntnisse, die sie bei Demonstrationen auch aus dem Hubschrauber gewinnen kann, allerdings fallen die Kosten je Flugstunde deutlich günstiger aus." (...)

wobei verschwiegen wird, was sich mit drohnen alles so anstellen lässt im gegensatz zu großen, lärmenden und sichtbaren hubschraubern. mehr zu drohnen
hier.

Freitag, 5. November 2010

dokumentation "ich bin ein psychopath" jetzt online zu sehen

im letzten jahr veranstaltete arte einen themenabend psychopathie, und in diesem rahmen wurde dann auch die dokumentation des regisseurs ian walker gesendet - jetzt ist sie auf yt verfügbar:



zu den weiteren teilen:
zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, und die neun.

*

aus dem eingangs verlinkten damaligen beitrag übernehme ich mal meine persönliche rezension dieses films:

"der film von ian walker hat zumindest für mich im großen und ganzen das gehalten, was die ankündigung versprochen hat - die rücksichtlosigkeit (die in solchen fällen gerne mit "aufrichtigkeit" verwechselt wird) und dreistigkeit des sam vaknin wurde an vielen entscheidenden punkten aufschlußreich eingefangen; ebenfalls die elementare lieblosigkeit, mit der vaknin die sog. "beziehung" führt - seine charakterisierung der frau als u.a. "weißes blatt papier" (welches er dann beschreibt), macht seine selbst- und fremdwahrnehmung bzw. besser die defekte in dieser mehr als deutlich. interessant auch seine anfängliche selbststilisierung als narzisst (mit der er im übrigen durch sein buch noch geld verdient), die erst im laufe der im film dokumentierten psychiatrisch-neurologischen untersuchungen widerlegt wird - er ist tatsächlich ein klinischer soziopath, was die erste begutachtende psychologin und v.a. der psychoanalytiker an der zweiten station nicht bestätigen wollten, was vermutlich größtenteils mit an den denk- und diagnosemodellen liegt, die beide angewendet haben. walker hat aber primär durch den einsatz seiner versteckten kamera auch deutlich gemacht, dass eigentlich erst der alltägliche umgang mit soziopathen die ganze destruktive wirkung solcher leute deutlich macht; und dementsprechend überhaupt erst dann der entsprechende diagnostische verdacht aufkommen kann. neu war für mich immerhin die relative sicherheit bei der diagnosestellung, die sich durch den kombinierten einsatz von hirnscans und testverfahren wie dem von robert hare ergibt - das (anscheinend) sehr selbstsichere auftreten, der durchaus vorhandene (wenn auch meist verletzende) witz in kombination mit der als-ob-aufrichtigkeit und der rätselhaften wirkung des soziopathischen "charmes" machen es tatsächlich sehr schwer, hinter dieser maske die extrem kranke und krankmachende persönlichkeitsstruktur zu erkennen. da dürfte dann viel von dem gelten, was im ersten teil des (...) blogbeitrags zu als-ob-persönlichkeiten an zitaten von j.e. mertz zu der von ihm so genannten "psychoallergischen reaktion" zu lesen ist - die zeichen der eigenen wahrnehmung im umgang mit soziopathen bleiben meist so subtil, dass sich das "normale" gegenüber dann eher in irritationen und ausufernder selbstreflexion verliert, was dann für den soziopathen bei seinem treiben erleichternd wirkt.

beklemmend das verzweifelte klammern der ehefrau an ihrem konstruierten bild des "geliebten", welches auch durch die bestätigte diagnose nicht gestoppt werden kann. noch beklemmender aber die darstellung dessen, wie soziopathen anhand körperlicher bewegungsmuster opferpersönlichkeiten identifizieren können.

die bezüge zum öffentlichen leben, v.a. der rolle von soziopathen in der ökonomie, waren zwar vorhanden, wurden aber meiner meinung nach zu beiläufig abgehandelt. dabei ist einer entscheidenden frage nach dem sehen dieser doku eigentlich überhaupt nicht mehr auszuweichen: wie viele solcher leute sind in führungspositionen in politik, wirtschaft und militär unterwegs? wenn man sich das treiben in diesen bereichen so betrachtet, kann die antwort nur niederschmetternd sein.

und auch zu einer alten streitfrage hier im blog möchte ich noch was sagen: oberflächlich weist vaknin sicher zunächst überhaupt keine züge auf, die irgendwie als autistisch verstanden werden könnten. wenn man als zentrales und definitorisches merkmal von autismus jedoch weitgehende bis totale störungen der beziehungsfähigkeiten ansieht, ist er in meiner wahrnehmung ein gutes beispiel für strukturellen und simulationsfähigen autismus, wie er eben von mertz beschrieben wird. (...)

Dienstag, 26. Oktober 2010

notiz: krisennews spezial - frankreich, weitere updates und unterstützungsaufrufe

um den vorherigen beitrag zum thema nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, jetzt eine fortsetzung - und ich zitiere zum einstieg einen satz, dessen inhalt ich nach wie vor für sehr treffend halte:

"und klar sollte auch sein, dass es sich hier um eine echte kraftprobe mit signalwirkung für ganz europa handelt"

in diesem sinne also - los geht´s:

zuerst ein ganz wichtiger punkt - wie vielleicht bekannt, gibt es für streikende in frankreich seitens der diversen gewerkschaften kein oder nur ein geringes streikgeld, was dann eben mittelfristig zu massiven existenziellen problemen führen kann, wenn sich eine situation wie die aktuelle entwickelt hat, in der es dringend notwendig erscheint, den druck durch die verschiedenen streiks aufrechtzuerhalten und noch auszuweiten. deshalb hat das labournet inzwischen verschiedene aufrufe aus frankreich übersetzt und veröffentlicht, in denen es um die
materielle solidarität geht:

(...) "Jeden Tag wird die Zahl der Lohnabhängigen und Bürger_innen in vielen großen, mittleren und kleinen Städten Frankreichs größer, die sich zum Widerstand gegen die Regierungspolitik entscheiden: Lehrer_innen, Schüler_innen, Studierende, Lkw-Fahrer_innen sowie Beschäftigte der SNCF, der Flughäfen, der Raffinerien und Häfen. Es wird möglich, das Wirtschaftssystem des gesamten Landes lahm zu legen.

Hier spielt Geld eine strategische Rolle. Es ist notwendig, den Streikenden zu helfen, damit sie durchhalten können, um diese ungerechte und niederträchtige Reform zu bekämpfen. Wer nicht streiken kann, hat die Möglichkeit, durch finanzielle Unterstutzung Solidarität zu zeigen, selbst mit bescheidenen Beiträgen. Bereits gibt es zahlreiche Initiativen dieser Art, sie sollen aber weiter ausgeweitet werden.

Wir rufen alle dazu auf, die in der Streikbewegung involvierten Gewerkschaften mit Spenden zu unterstützen." (...)


es gibt in den beiträgen drüben links und daten, die wege für spenden aufzeigen.

*

aber nicht nur auf dieser ebene lassen sich die aktionen unterstützen - ich übernehme, allerdings ungeprüft, auszugsweise ein posting bei
indymedia, welches sich hinsichtlich der beschriebenen situation durchaus plausibel anhört:

"Die Raffinierie-Arbeiter/innen aus Frankreich brauchen dringend
internationale Solidarität. Der sehr wirksame Raffinerie-Steik wird
ausgehölt durch vermehrte Treibstoff-Importe aus Nord-Europa (auch
Deutschland), was man nur als internationalen Streikbruch bezeichnen kann
(auch wenn die betroffenen LKW-Fahrer und Seeleute sich dessen meist nicht
bewusst sind).

Angeblich sind belgische Genoss/innen bereit die belgisch-französische
Grenze dicht zu machen, aber sie warten erst auf grünes Licht aus Paris. Das
Problem ist, dass die Gewerkschaftszentralen in Paris gegen den Streik sind
(ausser FO und Solidaires). Die Basis ist jedoch in grossem Masse für den
Streik. Deshalb ist es unsinnig, auf Zustimmung der Gewerkschaften aus Paris
zu hoffen.

Es wäre ausserordentlich nützlich, wenn Ihr in Deutschland in diese Richtung
hin agitieren könntet. Selbst sehr symbolische Blockade-Aktionen vor
deutschen Treibstoff-Lagern, Raffinerien oder in deutschen Häfen wären sehr willkommen."


*

zur aktuellen situation ansonsten hier ein
aufruf aus rennes, unterschrieben von teilnehmenden an einer vollversammlung von studentInnen, erwerbslosen und (streikenden) lohnarbeiterInnen. und ein weiterer bericht von bernard schmid, der sich mit den folgenden punkten beschäftigt: die staatlich angeordneten "dienstverpflichtungen" zwecks streikbruchs, den tendenzen bei den verschiedenen gewerkschaften sowie der an verschiedenen orten zu beobachtenden faschistischen gegenmobilisierung , die besonders gegen die teilnehmenden migrantischen jugendlichen aus den banlieus zielt. dabei wird einmal mehr sehr gut deutlich, welche funktionen faschistische straßenschlägertrupps in krisenhaften entwicklungen schon immer hatten, wem sie nutzen und wer sie nutzt - geschichte wiederholt sich zumindest partiell dann doch.

*

zum schluß noch unkommentiert der hinweis auf eine weitere - und bislang noch nirgends wirklich ausprobierte - aktionsform, zu der sich zumindest in frankreich bisher an die zehntausend menschen mit ihrer unterschrift bekennen: am 7. dezember sollen von zehntausenden überall in frankreich, nach möglichkeit aber auch an vielen anderen stellen in europa, die eigenen konten und sparbücher bei den banken abgeräumt und aufgelöst werden -
stopbanque ...

"...ist ein Aufruf zum Europaweiten massiven Abzug aller Gelder von Banken und der Schliessung von Sparkonten.

Die Aktion Stopbanque hat in Frankreich bisher 10’100 Teilnehmer, und erwartet weitere 57’000.

Das ist die erste spontane Bürgerinitiative, um sich vor medialer und politischer Korruption zu schützen und uns aus der Sklaverei, die uns vom Grosskapital auferlegt wurde, zu befreien.

Unsere Aktion ist legal, friedlich, säkular, nicht politisch und nicht gewerkschaftlich organisiert.

Wir tun dies da Demonstrationen offensichtlich nichts mehr nützen, da die Elite uns nicht zuhört und die reale Macht sowieso in den Händen Internationaler Banken und Konzerne liegt." (...)


mehr dazu in den nächsten tagen.

Montag, 25. Oktober 2010

notiz: bildungsfernsehen

und zwar im besten und eigentlichen sinn:

"Ferienjob mal anders: Die Doku-Soap "Blut, Schweiß und Fastfood" begleitet sechs wohlstandsverwöhnte junge Briten, die als Wanderarbeiter nach Südostasien gehen. Saus und Braus weichen dort erschreckenden Verhältnissen - und die Kids lernen, dass ihr billiges Convenience Food hart erarbeitet wird." (...)

ist eine möglichkeit, die noch zu wenig genutzt wird, die ich aber aufgrund der möglichen lern- und aha-effekte ziemlich hoch einschätze. und nicht nur für schülerInnen bzw. studentInnen - auch der bildungsurlaub könnte hier neue wege gehen: kohlekumpel verdingen sich ein paar wochen mal in südamerikanischen oder afrikanischen minen; hiesige textilarbeiterinnen in den mittelamerikanischen sweatshops. den möglichkeiten sind (theoretisch) keine grenzen gesetzt. das wäre mal was, wo sich die hiesigen gewerkschaften sinnvoll betätigen könnten, zumal deren streikkassen eh fast niemals in anspruch genommen werden...

ps: im angesicht der verkündeten "sparmaßnahmen" in großbritannien wie auch überall anders in europa könnte es allerdings passieren, dass für solche erfahrungen zukünftig keine weiten reisen mehr nötig sind.

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