assoziation: mehr körperkontakt!
diesen titel trägt ein ziemlich guter text auf einer mir bislang unbekannten seite - die für mich wesentlichen auszüge:
(...) "Das Problem, mit dem wir es angesichts des verkrampften Umgangs mit Sexualität in unserer Kultur zu tun haben, ist eigentlich nicht so sehr, dass der Sexualität die Liebe und Wertschätzung fehlt, sondern andersherum: dass den liebevollen und wertschätzenden Beziehungen jegliche körperliche Ausdrucksmöglichkeit fehlt.
Uns fiel nämlich auf, dass nicht nur Sexualität, sondern jede Art von körperlichem, liebevollem Kontakt zwischen Menschen in unserer Kultur stark tabuisiert ist, sobald sie außerhalb intimer Paarbeziehungen stattfindet. Niemand fasst sich an, niemand kuschelt miteinander, niemand hält sich im Arm, niemand streichelt sich gegenseitig – das alles ist nur unter expliziten Liebespaaren erlaubt. Was im Umkehrschluss heißt: Sobald es zu körperlicher Nähe kommt, steht die Frage nach einer Liebesbeziehung und damit nach expliziter Sexualität im Raum. (...)
Selbst bei guten Freunden und Freundinnen sind wir oft verkrampft, sobald es um einen körperlichen Kontakt geht, der über ein flüchtiges Küsschen zur Begrüßung hinausgeht. Sich gemeinsam auf ein Sofa kuscheln und einen Film schauen ist normalerweise nicht möglich. Auch nicht, gemeinsam in einem Bett zu übernachten, sich zu streicheln, Händchen zu halten, sich im Arm zu halten (von Extremsituationen wie großer Verzweiflung vielleicht abgesehen). Noch schlimmer ist es bei Bekannten: Sich bei einem Arbeitskollegen über die Schulter beugen, um auf seinen Bildschirm zu schauen, wird schnell zur heiklen Angelegenheit. (...)
Diese Kultur der Körperlosigkeit in Beziehungen läuft den menschlichen Bedürfnissen entgegen. Denn es ist kaum möglich, ohne körperliche Nähe, ohne Angefasst werden, Streicheln, Kuscheln, Umarmt werden, gut zu leben. Deshalb müssen wir alle so verzweifelt auf eine Zweierbeziehung hoffen. Deshalb ist die Einsamkeit alter Menschen so unerträglich. Wir stellten bei unserem Gespräch fest, dass das unsere größte Angst vor einem eventuellen Single-Dasein ist: auf die Möglichkeit körperlicher Nähe verzichten zu müssen. Nicht das Geld macht uns Sorgen, nicht das Ausgelastet sein, nicht das Eingebundensein in Freundschaften und ein soziales Netz, letztlich auch nicht der pure Sex – das alles ist auch außerhalb der klassischen Zweierbeziehung zu haben. Kuscheln, Küssen, Streicheln, sich Körperlich geborgen Fühlen aber nicht.
Eine Gesellschaft, die die menschliche Sehnsucht nach Körperkontakt so extrem einschränkt und mit Tabus gelegt, muss sich eigentlich nicht wundern, wenn sich destruktive und gewalttätige Formen von Sexualität entwickeln." (...)
letzteres ist allerdings mit wahrscheinlichkeit nicht nur auf die sexuelle ebene beschränkt. das fasste der us-amerikanische psychologe rollo may schon 1969 in seinem buch "love and will" in die folgenden worte:
"When inward life dries up, when feeling decreases and apathy increases, when one cannot affect or even genuinely touch another person, violence flares up as a daimonic necessity for contact."
(in sinngemäßer übersetzung: wenn das innenleben vertrocknet, gefühle verschwinden und sich apathie ausbreitet, wenn man andere menschen nicht mehr erreichen und sogar im tatsächlichen sinne nicht mehr berühren kann, dann flammt als ein letzter dämonischer versuch, eine berührung erzwingen zu wollen, gewalt auf.)
mir ist dieses zitat das erste mal als abschluß einer recht blutigen krimikurzgeschichte begegnet. und tatsächlich: wenn man dieses modell einmal als schablone über unsere gesellschaftliche realität legt, sieht es augenscheinlich etwas danach aus, als ob das motiv der erzwungenen berührung in vielen fällen untergründig beteiligt ist.
nun hat rollo may als vom existentialismus beeinflusster psychologe seine sätze in einer epoche geschrieben, in der besonders diverse variationen der psychoanalyse - von freud angefangen bis hin zu den "dissidenten" wie erich fromm und auch wilhelm reich - ebenfalls noch up to date waren und ihren focus bekanntlich besonders auf die in ihren entstehungszeiten tatsächlich noch "klassisch" unterdrückte sexualität legten, die in einem fatalen sinne oft genug mit der gesamten körperlichkeit des menschen gleichgesetzt wurde (diesen verhängnisvollen fehler hat meiner meinung nach auch wilhelm reich begangen, so sehr ich ihn auch generell für wichtige arbeiten schätze).
heute haben wir es jedoch mit phänomenen zu tun, die sich unter dem begriff der verdinglichten (und verdinglichenden) selbst- und fremdwahrnehmung zusammenfassen lassen. da wäre einmal die heutige allgegenwärtige übersexualisierung der gesellschaft, in der, wie ich zum thema amok früher einmal geschrieben hatte...
"... in der sexualität tatsächlich zu einer art alles dominierendem platzhalter für die mehr und mehr fehlende vielfalt von lebendigen und liebevollen menschlichen beziehungen geworden ist, zu allem überfluß auch noch zusehends unter die räder der "marktgesetze" geraten ist - äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden ..."
... und die sich heute zu einem sehr destruktiven gesellschaftlichen faktor entwickelt hat, zugespitzt in den diversen formen von (gewalt-)pornographie bis hin zu sexualisierter gewalt . im engen wechselspiel damit und sich mit der zwanghaften sexualisierung gegenseitig verstärkend/bedingend sind die schon erwähnten wahrnehmungsstörungen und -defizite zu sehen, auch hier an erster stelle die einbußen an empathiefähigkeit, die nicht nur für die eingangs im vorgestellten text erwähnten ebenen von nicht primär sexuellem körperkontakt eine grundlegende voraussetzung darstellt. und die eben auch für viele hier in der vergangenheit schon diskutierten phänomene wie bspw. kindsmorde, schulmassaker ("amok") und "happy slapping" eine basale grundlage bildet.
*
da sich die obigen themen allesamt um innere kernbereiche der menschlichen sozialität drehen, ist es aus meiner sicht schon dringend nötig, hier etwas orientierung zu gewinnen, weil sonst die agierenden destruktiven kräfte und prozesse nicht in ihrem wirken verstanden werden können. unter der realistischen annahme, dass wir es in den heutigen gesellschaften mit einer wahren epidemie von beziehungskrankheiten (prinzipiell besitzt jede "psychische" [psychophysische] störung/krankheit als kern eine beziehungsstörung, zuerst innerhalb des eigenen selbst, falls denn letzteres überhaupt vorhanden ist) zu tun haben, mal der versuch, ein paar der angerissenen punkte zu ordnen:
bei betrachtung all dieser punkte kommt mir auch wieder eine gerade laufende diskussion bei kritik und kunst in den sinn, bei der ich mein unbehagen bisher nur teilweise fassen konnte. inzwischen aber scheint mir ein zentraler punkt darin zu liegen, dass hartmut finkeldey und ich jeweils unterschiedliche probleme als priorität ansehen: wenn er in seinem letzten statement u.a. schreibt...
"wir haben derzeit eine sehr unheilige Allianz zwischen Therapeuten (denen es zT auch nur um ABMs geht, die ein Interesse daran haben, möglichst viel "Fälle" zu haben - muss man so knallhart sagen!) und neuer Rechter mit ihrer Körperfeindlichkeit."
... dann ist das ziemlich genau die position, die auch leute wie katharina rutschky oder der bei diesem thema unsägliche wiglaf droste in der "mißbrauch-mit-dem-mißbrauch"-kampagne in den 1990ern verbreitet haben. und das fand ich damals schon daneben, weil hier einfach auf dem stand von "1968" argumentiert wird und die - in weiten teilen der politischen rechten bis heute zweifelsfrei vorhandene - tendenz zur sexuellen repression als hauptproblem gesehen wird. und eben das möchte ich in zeiten der allgemeinen übersexualisierung bestreiten. die taten, die bei "kritik und kunst" anlaß für den ausgangsbeitrag bildeten, fanden unter kindern/jugendlichen statt und machen durchaus einerseits die tatsache deutlich, dass in den heutigen jungen generationen die verfügbarkeit und der konsum von pornographie eine sehr negative rolle spielen kann (dazu zusammenfassend mehr beim psychiatrie-heute-net, ebenfalls eine quasi "regierungsamtliche" studie dazu - beide quellen kommen zu einem ähnlichen, und zwar sowohl für "klassisch" linke wie rechte, unbequemen hauptergebnis: nämlich das das rechte schreckgespenst einer quasi hemmungs- und schamlosen sexualisierung von kindern und jugendlichen per pornokonsum erstens so nicht haltbar ist, während zweitens dieser konsum durchaus negative folgen mit sich bringt, als deren gravierendste die unmöglichkeit beschreiben wird, im vergleich zwischen den scheinwelten des pornos und dem realen eigenen leben quasi nicht den kürzeren zu ziehen. und das kann zu massiven schwierigkeiten für die jeweils eigene sexuelle entwicklung führen), wobei wir in diesem fall diesen möglichen einfluß nicht abschätzen können (es liegt aber nahe, einen solchen einfluß anhand der geschilderten praktiken anzunehmen. solche szenarien entwickeln sich keinesfalls "von selbst". die andere möglichkeit wäre die, dass die betroffenen jugendlichen hier eigene erfahrungen in vertauschten rollen re-inszeniert haben). zum anderen zeigen sich aber auch massive empathiedefizite bei gleichzeitigem sexualisieren von angewandter gewalt, und das spiegelt durchaus entwicklungen wieder, die hier in anderen zusammenhängen bei kindern und jugendlichen auch schon thema waren.
und letzteres betrachte ich inzwischen als zentrales problem - ganz im gegensatz zu vielen linken, die bei diesen fragen immer noch dem irrglauben anhängen, dass "die sexualität" aus den fängen einer rigiden und prüden, religiös beeinflussten bürgerlichen moral zu "befreien" wäre - und dabei völlig übersehen, dass die zeiten der totalen ökonomisierung mitsamt ihren verheerenden folgen für die menschlichen innenwelten die problemstellung massiv verschoben haben - heute ist "die sexualität" in ihrem eigentlichen wesen als ausdrucksmöglichkeit zwischenmenschlicher nähe und zuneigung eher als entkernt zu betrachten. sie hat sich, wie alles andere auch, in ein konsumierbares produkt verwandelt, und wandelt in dieser gestalt ständig in der nähe allerlei grenzverletzungen umher. und das betrachte ich als zentral, nicht das lächerliche gehabe irgendwelcher figuren von rechts, deren absurde thesen im allgemeinen nur noch anlaß zu gelächter geben (ein aktuelles beispiel dafür findet sich hier).
das es den anschein hat, als würde derlei auf fruchtbaren boden fallen, hat nicht zuletzt auch mit der erwähnten falschen prioritätensetzung zu tun - die rechte greift in ihrer verzerrenden art und weise ein paar symptome der erwähnten produkthaftigkeit von sexualität auf und erweckt dadurch für etliche sich in dieser schwer durchschaubaren lage befindlichenden den eindruck, mittels ihrer rezepte einen ausweg zeigen zu können. das funktioniert analog anderen gesellschaftlichen bereichen aber nur dann und deshalb, weil es bislang keinerlei auf höhe der zeit befindlichen emanzipatorischen ansätze gibt, die hier angemessene antworten und wege aufzeigen könnten. und gerade deshalb finde ich den eingangs verlinkten text gut: weil hier durchaus der versuch sichtbar ist, in dieser situation etwas orientierung zu geben. auch, wenn sich der dortige autorenkreis vermutlich eher weniger als "links" begreift.
(...) "Das Problem, mit dem wir es angesichts des verkrampften Umgangs mit Sexualität in unserer Kultur zu tun haben, ist eigentlich nicht so sehr, dass der Sexualität die Liebe und Wertschätzung fehlt, sondern andersherum: dass den liebevollen und wertschätzenden Beziehungen jegliche körperliche Ausdrucksmöglichkeit fehlt.
Uns fiel nämlich auf, dass nicht nur Sexualität, sondern jede Art von körperlichem, liebevollem Kontakt zwischen Menschen in unserer Kultur stark tabuisiert ist, sobald sie außerhalb intimer Paarbeziehungen stattfindet. Niemand fasst sich an, niemand kuschelt miteinander, niemand hält sich im Arm, niemand streichelt sich gegenseitig – das alles ist nur unter expliziten Liebespaaren erlaubt. Was im Umkehrschluss heißt: Sobald es zu körperlicher Nähe kommt, steht die Frage nach einer Liebesbeziehung und damit nach expliziter Sexualität im Raum. (...)
Selbst bei guten Freunden und Freundinnen sind wir oft verkrampft, sobald es um einen körperlichen Kontakt geht, der über ein flüchtiges Küsschen zur Begrüßung hinausgeht. Sich gemeinsam auf ein Sofa kuscheln und einen Film schauen ist normalerweise nicht möglich. Auch nicht, gemeinsam in einem Bett zu übernachten, sich zu streicheln, Händchen zu halten, sich im Arm zu halten (von Extremsituationen wie großer Verzweiflung vielleicht abgesehen). Noch schlimmer ist es bei Bekannten: Sich bei einem Arbeitskollegen über die Schulter beugen, um auf seinen Bildschirm zu schauen, wird schnell zur heiklen Angelegenheit. (...)
Diese Kultur der Körperlosigkeit in Beziehungen läuft den menschlichen Bedürfnissen entgegen. Denn es ist kaum möglich, ohne körperliche Nähe, ohne Angefasst werden, Streicheln, Kuscheln, Umarmt werden, gut zu leben. Deshalb müssen wir alle so verzweifelt auf eine Zweierbeziehung hoffen. Deshalb ist die Einsamkeit alter Menschen so unerträglich. Wir stellten bei unserem Gespräch fest, dass das unsere größte Angst vor einem eventuellen Single-Dasein ist: auf die Möglichkeit körperlicher Nähe verzichten zu müssen. Nicht das Geld macht uns Sorgen, nicht das Ausgelastet sein, nicht das Eingebundensein in Freundschaften und ein soziales Netz, letztlich auch nicht der pure Sex – das alles ist auch außerhalb der klassischen Zweierbeziehung zu haben. Kuscheln, Küssen, Streicheln, sich Körperlich geborgen Fühlen aber nicht.
Eine Gesellschaft, die die menschliche Sehnsucht nach Körperkontakt so extrem einschränkt und mit Tabus gelegt, muss sich eigentlich nicht wundern, wenn sich destruktive und gewalttätige Formen von Sexualität entwickeln." (...)
letzteres ist allerdings mit wahrscheinlichkeit nicht nur auf die sexuelle ebene beschränkt. das fasste der us-amerikanische psychologe rollo may schon 1969 in seinem buch "love and will" in die folgenden worte:
"When inward life dries up, when feeling decreases and apathy increases, when one cannot affect or even genuinely touch another person, violence flares up as a daimonic necessity for contact."
(in sinngemäßer übersetzung: wenn das innenleben vertrocknet, gefühle verschwinden und sich apathie ausbreitet, wenn man andere menschen nicht mehr erreichen und sogar im tatsächlichen sinne nicht mehr berühren kann, dann flammt als ein letzter dämonischer versuch, eine berührung erzwingen zu wollen, gewalt auf.)
mir ist dieses zitat das erste mal als abschluß einer recht blutigen krimikurzgeschichte begegnet. und tatsächlich: wenn man dieses modell einmal als schablone über unsere gesellschaftliche realität legt, sieht es augenscheinlich etwas danach aus, als ob das motiv der erzwungenen berührung in vielen fällen untergründig beteiligt ist.
nun hat rollo may als vom existentialismus beeinflusster psychologe seine sätze in einer epoche geschrieben, in der besonders diverse variationen der psychoanalyse - von freud angefangen bis hin zu den "dissidenten" wie erich fromm und auch wilhelm reich - ebenfalls noch up to date waren und ihren focus bekanntlich besonders auf die in ihren entstehungszeiten tatsächlich noch "klassisch" unterdrückte sexualität legten, die in einem fatalen sinne oft genug mit der gesamten körperlichkeit des menschen gleichgesetzt wurde (diesen verhängnisvollen fehler hat meiner meinung nach auch wilhelm reich begangen, so sehr ich ihn auch generell für wichtige arbeiten schätze).
heute haben wir es jedoch mit phänomenen zu tun, die sich unter dem begriff der verdinglichten (und verdinglichenden) selbst- und fremdwahrnehmung zusammenfassen lassen. da wäre einmal die heutige allgegenwärtige übersexualisierung der gesellschaft, in der, wie ich zum thema amok früher einmal geschrieben hatte...
"... in der sexualität tatsächlich zu einer art alles dominierendem platzhalter für die mehr und mehr fehlende vielfalt von lebendigen und liebevollen menschlichen beziehungen geworden ist, zu allem überfluß auch noch zusehends unter die räder der "marktgesetze" geraten ist - äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden ..."
... und die sich heute zu einem sehr destruktiven gesellschaftlichen faktor entwickelt hat, zugespitzt in den diversen formen von (gewalt-)pornographie bis hin zu sexualisierter gewalt . im engen wechselspiel damit und sich mit der zwanghaften sexualisierung gegenseitig verstärkend/bedingend sind die schon erwähnten wahrnehmungsstörungen und -defizite zu sehen, auch hier an erster stelle die einbußen an empathiefähigkeit, die nicht nur für die eingangs im vorgestellten text erwähnten ebenen von nicht primär sexuellem körperkontakt eine grundlegende voraussetzung darstellt. und die eben auch für viele hier in der vergangenheit schon diskutierten phänomene wie bspw. kindsmorde, schulmassaker ("amok") und "happy slapping" eine basale grundlage bildet.
*
da sich die obigen themen allesamt um innere kernbereiche der menschlichen sozialität drehen, ist es aus meiner sicht schon dringend nötig, hier etwas orientierung zu gewinnen, weil sonst die agierenden destruktiven kräfte und prozesse nicht in ihrem wirken verstanden werden können. unter der realistischen annahme, dass wir es in den heutigen gesellschaften mit einer wahren epidemie von beziehungskrankheiten (prinzipiell besitzt jede "psychische" [psychophysische] störung/krankheit als kern eine beziehungsstörung, zuerst innerhalb des eigenen selbst, falls denn letzteres überhaupt vorhanden ist) zu tun haben, mal der versuch, ein paar der angerissenen punkte zu ordnen:
- als erstes eine binse: nicht alles, was nach sex aussieht, ist tatsächlich sexuell. drastisches beispiel wären hier vergewaltigungen, bei denen es immer zentral um macht geht. und bei denen sekundär auch ein motiv wie dasjenige von rollo may beschrieben eine rolle spielen könnte.
- beziehungskrankheiten können als symptome sowohl eine weitgehende sexuelle abstinenz als auch eine recht wahllose und teils massiv selbst- und fremdgefährdende komponente sexuellen ausagierens mit schon zwanghaften zügen aufweisen. am deutlichsten zu sehen ist beides (!) bei vorgeschichten sexualisierter gewalt, bei denen die opfer dann später auch dazu neigen, ihre traumata zu re-inszenieren (teils dann mit vertauschten rollen). dieser punkt ist auch genau derjenige, der mich solche zeitgeistphänomene wie "bdsm" mit einigem misstrauen betrachten lässt. selbst wenn den protagonisten ihre motivationen bewusst sein sollten, so lässt sich derart kein trauma wirklich auflösen. eher wird hier nur immer und immer wieder neu ausagiert, und gleichzeitig die fehlkoppelung von sex = machtposition = lust ständig reproduziert und ganz im wirksinne eines verhaltenspsychologischen verstärkers verankert. das hat mit irgendetwas emanzipatorischem nicht nur nichts zu tun, sondern arbeitet dem direkt entgegen.
- wie auch die verbreitete trennung von sex und liebe. eine der fatalsten spaltungen überhaupt, die einerseits die sexualität mit einer bedeutung auflädt, unter der sie nur früher oder später kollabieren kann (weil sie zwangsweise umstandslos mit allgemeiner menschlicher erfüllung gleichgesetzt wird), während andererseits der allgemeine mangel an liebe (und das nicht im sinne der zweierbeziehung, sondern auf alle sozialen beziehungsebenen bezogen) vielleicht als das besorgniserregendste symptom unserer zeit überhaupt begriffen werden muss. gleichzeitig ist die spaltung auch mehrfach verräterisch: es ist auffällig, dass eine derart herausgehobene sexualisierung bevorzugt innerhalb quantifizierbarer dimensionen abgehandelt und wahrgenommen wird - wie oft, mit wievielen, "eroberungen" besonders begehrter "objekte" etc. - und so auch deutlich wird, dass es dabei keinesfalls um einen, vielleicht den intensivsten, ausdruck zwischenmenschlicher nähe geht, sondern um eine narzisstisch aufgeladene bestätigung des eigenen, objektivistisch konstruierten images, welches gleichzusetzen ist mit der gesellschaftlich präsentierten maske. andererseits steckt selbst in vielen dieser praktiken auch vermutlich das, was im may-zitat so treffend auf den punkt gebracht wurde. und nein, dazu muss nicht unbedingt "sichtbare" gewalt vorhanden sein. während die anonymität und kälte, mit der diese marktkonforme sexualität oft genug daherkommt, schon den kern offener gewalt impizit enthält, so ist doch gleichzeitig oft genug noch ein verzweifelter rest der suche nach authentischer menschlicher nähe vorhanden, die aber - weil weitgehend unbegriffen und im wortwörtlichsten sinne sprachlos - sich nur noch in deformierten ausdrücken manifestieren kann.
- den sonderfall bei diesem ganzen komplex bilden wie so oft wiedereinmal die "echten" sozioapathen aka als-ob-persönlichkeiten. ganz kurz gesagt, kommt hier alles sexuelle völlig mechanistisch daher, wird einzig und alleine in quantifizierbaren mustern wahrgenommen und hat nicht mal einen hauch mit authentischer zwischenmenschlicher nähe zu tun. alle diese eigenschaften machen aber paradoxer- und bezeichnenderweise strukturell soziopathische leute auf dem heutigen sexmarkt zu bevorzugten objekten und konsumenten gleichzeitig, weil die motive des unverbindlichenden, der anonymität und verdinglichenden / verobjektivierenden wahrnehmung des gegenübers durchaus, nicht zuletzt durch die massenhaft verbreitete pornographie, bruchlos kompatibel mit den nachgefragten eigenschaften von "sexpartnern" im mainstream sind. das alles ist im wesentlichen nur die wiederspiegelung der sonstigen auffälligen kompatibilitäten von soziopathen mit den normen und praktiken des totalitären kapitalismus.
bei betrachtung all dieser punkte kommt mir auch wieder eine gerade laufende diskussion bei kritik und kunst in den sinn, bei der ich mein unbehagen bisher nur teilweise fassen konnte. inzwischen aber scheint mir ein zentraler punkt darin zu liegen, dass hartmut finkeldey und ich jeweils unterschiedliche probleme als priorität ansehen: wenn er in seinem letzten statement u.a. schreibt...
"wir haben derzeit eine sehr unheilige Allianz zwischen Therapeuten (denen es zT auch nur um ABMs geht, die ein Interesse daran haben, möglichst viel "Fälle" zu haben - muss man so knallhart sagen!) und neuer Rechter mit ihrer Körperfeindlichkeit."
... dann ist das ziemlich genau die position, die auch leute wie katharina rutschky oder der bei diesem thema unsägliche wiglaf droste in der "mißbrauch-mit-dem-mißbrauch"-kampagne in den 1990ern verbreitet haben. und das fand ich damals schon daneben, weil hier einfach auf dem stand von "1968" argumentiert wird und die - in weiten teilen der politischen rechten bis heute zweifelsfrei vorhandene - tendenz zur sexuellen repression als hauptproblem gesehen wird. und eben das möchte ich in zeiten der allgemeinen übersexualisierung bestreiten. die taten, die bei "kritik und kunst" anlaß für den ausgangsbeitrag bildeten, fanden unter kindern/jugendlichen statt und machen durchaus einerseits die tatsache deutlich, dass in den heutigen jungen generationen die verfügbarkeit und der konsum von pornographie eine sehr negative rolle spielen kann (dazu zusammenfassend mehr beim psychiatrie-heute-net, ebenfalls eine quasi "regierungsamtliche" studie dazu - beide quellen kommen zu einem ähnlichen, und zwar sowohl für "klassisch" linke wie rechte, unbequemen hauptergebnis: nämlich das das rechte schreckgespenst einer quasi hemmungs- und schamlosen sexualisierung von kindern und jugendlichen per pornokonsum erstens so nicht haltbar ist, während zweitens dieser konsum durchaus negative folgen mit sich bringt, als deren gravierendste die unmöglichkeit beschreiben wird, im vergleich zwischen den scheinwelten des pornos und dem realen eigenen leben quasi nicht den kürzeren zu ziehen. und das kann zu massiven schwierigkeiten für die jeweils eigene sexuelle entwicklung führen), wobei wir in diesem fall diesen möglichen einfluß nicht abschätzen können (es liegt aber nahe, einen solchen einfluß anhand der geschilderten praktiken anzunehmen. solche szenarien entwickeln sich keinesfalls "von selbst". die andere möglichkeit wäre die, dass die betroffenen jugendlichen hier eigene erfahrungen in vertauschten rollen re-inszeniert haben). zum anderen zeigen sich aber auch massive empathiedefizite bei gleichzeitigem sexualisieren von angewandter gewalt, und das spiegelt durchaus entwicklungen wieder, die hier in anderen zusammenhängen bei kindern und jugendlichen auch schon thema waren.
und letzteres betrachte ich inzwischen als zentrales problem - ganz im gegensatz zu vielen linken, die bei diesen fragen immer noch dem irrglauben anhängen, dass "die sexualität" aus den fängen einer rigiden und prüden, religiös beeinflussten bürgerlichen moral zu "befreien" wäre - und dabei völlig übersehen, dass die zeiten der totalen ökonomisierung mitsamt ihren verheerenden folgen für die menschlichen innenwelten die problemstellung massiv verschoben haben - heute ist "die sexualität" in ihrem eigentlichen wesen als ausdrucksmöglichkeit zwischenmenschlicher nähe und zuneigung eher als entkernt zu betrachten. sie hat sich, wie alles andere auch, in ein konsumierbares produkt verwandelt, und wandelt in dieser gestalt ständig in der nähe allerlei grenzverletzungen umher. und das betrachte ich als zentral, nicht das lächerliche gehabe irgendwelcher figuren von rechts, deren absurde thesen im allgemeinen nur noch anlaß zu gelächter geben (ein aktuelles beispiel dafür findet sich hier).
das es den anschein hat, als würde derlei auf fruchtbaren boden fallen, hat nicht zuletzt auch mit der erwähnten falschen prioritätensetzung zu tun - die rechte greift in ihrer verzerrenden art und weise ein paar symptome der erwähnten produkthaftigkeit von sexualität auf und erweckt dadurch für etliche sich in dieser schwer durchschaubaren lage befindlichenden den eindruck, mittels ihrer rezepte einen ausweg zeigen zu können. das funktioniert analog anderen gesellschaftlichen bereichen aber nur dann und deshalb, weil es bislang keinerlei auf höhe der zeit befindlichen emanzipatorischen ansätze gibt, die hier angemessene antworten und wege aufzeigen könnten. und gerade deshalb finde ich den eingangs verlinkten text gut: weil hier durchaus der versuch sichtbar ist, in dieser situation etwas orientierung zu geben. auch, wenn sich der dortige autorenkreis vermutlich eher weniger als "links" begreift.
monoma - 19. Sep, 16:06
Ich sehe das auch so und obgleich es in "meiner Jugend" noch nicht ganz so extrem zuging, wie heute, also wo sexuelle Beziehungen bzw. Sexualität m. M. nach noch nicht ganz so komerzialisiert waren, sondern eher noch im "nachrevolutionären" Stadium der 68, irgendwie unsicher und auf der Suche...so hatte ich auch schon diese hier beschr. Probleme mit normalen, herzlichen Körperkontakt. Das hat m.M. nach aber neben dem gesellschaftl. Kontext auch viel mit den frühkindl. Erfahrungen zu tun. Ich war z.b. Kaiserschnittkind und wurde, wie damals üblich, gleich nach der Geburt irgendwo "stationiert" u. nach der Uhr gefüttert, weder gestillt noch viel herumgetragen. Und da komme ich eben mal wieder auf Jean Liedloff und die "Bedeutung des Getragenwerdens" zurück bzw. auf das Bedürfnis nach Körperkontakt Neugeborener generell. Und meine Erfahrungen, die ich bspw. in Bali gemacht habe bestätigen auch deine Analyse. Dort ist es immer noch üblich, dass kleinkinder den Tag über getragen werden, es gibt sogar eine Zeremonie für den Zeitpunkt wann das Baby das erstemal auf die Erde zum "krabbeln" gesetzt werden "darf", es schläft natürlich auch im Bett der Eltern während der ersten Jahre. Auch wenn man in der Öffentlichkeit als Liebespaar sehr zurückhaltend ist, was z. Knutschen u. der gleichen betrifft, das ist eher tabu, so sieht man nicht selten Männerfreunde händchenhaltend umherspazieren, oder Mädchen Arm in Arm, das ist dort einfach völlig normal. Man betoucht sich, fasst sich an, hält sich an den händen, ohne dass es dabei in irgendeiner Weise um sexuelles ginge. Die Gefühle sind spontan und natürlich. Es gibt auch sogut wie keine Prostutition auf Bali, abgesehen in den Touristenorten und dort sich dann vornehmlich Protutiierte aus Java u. anderen asiatischen Großstädten anzutreffen, sowohl Frauen als Männer, die nat. aufgrund ihrer Armut auf den Strich bzw. an den Strand oder in die Bars gehen.
Ich hab ja kürzlich diesen Artikel hier mal verlinkt, indem sich eine "Feministin" über schwangere Frauen aus Prenzlberg aufregt, die ihre Bäuche in engen T-shirts durch die Straßen tragen u. mit ihren Kindern auf Spielpl. rumlungern, sich ihre Brut an ihre Brüste hängen, anstelle einer Berufstätgikeit nachzugehen. Ich finde das absolut ungeheuerlich. Erstens weiss die Dame überhaupt nicht wer ann und wo auch noch berufstätig ist und 2. scheinen Mütter u. Kinder ihrer M. nach offensichtlich irgendwelche Steinzeitrelikte zu sein, die es in dieser Form in der modernen Zeit nicht mehr geben dürfte. Und der ganze gesell. Trend geht ja in diese Richtung. Es sind die selben Leute, die sich heute über sowas wie "Pornochique" oder zu gebärfreudige Unterschichtler beklagen, die dann Zwangskrippenunterbringung für Babies u. Zwangsniedriglohnmaloche für die Mütter fordern, während andere sich als "aufgeklärt u. emanzipiert" geben und dabei offensichtlich keinerlei Kontakt mehr zu ihrem eigenen, "inneren Kind" haben, um das mal so psychomäßig zu formulieren.
Keiner (in den öffentl. Debatten) macht sich mehr Gedanken um die Bedürfnisse der Kinder, um wirkliche, echte u. natürliche zwischenmenschliche Beziehungen -um das Leben überhaupt und das betrifft sowohl die rechten, konservatien Supermütter als auch die linken, "progressiven" Karrierefeministinnen. Es geht dann bei der Krippenbetreuung auch nicht darum, dass Kinder ihren Bedrüfnissen entsprechend betreut werden sollen, sondern um angebliche "Bildung" und "frühkindl. Förderung. Offen gestanden finde ich diesen Trend völlig pervers. Natürlich brauchen wir mehr Kitas u. ausreichend Kinderbetreuungsplätze, was wir aber vor allem brauchen, ist ein Verständnis, was Kinder tatsächlich brauchen, was und wer Kinder und Menschen überhaupt sind.