assoziation

Freitag, 15. Februar 2008

assoziation: von der gier (und von der "ehre" - update)

da dieses kleine wörtchen aktuell beim jüngsten skandal (das sind bekanntlich immer nur einzelfälle) aus der welt der selbsterklärten "eliten" in vielen schlagzeilen und kommentaren als eine art anthropologischer konstante auftaucht (ein beispiel hier ganz unten:

(...)"Was verbindet den Fall Zumwinkel, die Bankenkrise und Nokia in Bochum? Genau: Gier. Die Entfesselung dieser tief menschlichen Untugend hat dramatische Folgen,"(...)

und damit in gewisser weise bspw. das geklaute brot eines alg2-empfängers, der sich aus blanker not dem ladendiebstahl zuwendet, in der motivation mit den beiseite geschafften millionen von millionären gleichgesetzt wird, ist es an der zeit, eine solche derartige nichterklärung seitens der medien des kapitalistischen mainstreams näher zu betrachten. neben dem begründeten verdacht, dass sich die so schreibenden autorInnen und redaktionen aus ihrer eigenen psychophysischen verfassung heraus kein anderes motiv vorstellen können, d.h. wie so oft nur projizieren, ist dabei zunächst die frage zu stellen, was sich hinter dem wort "gier" womöglich verbirgt. ein ansatz:

(...)"Nun hat bereits der griechische Philosoph Aristoteles (...) genial beobachtet, dass die Grenzenlosigkeit des Begehrens nicht allein am Konsum hängen kann. Denn irgendwann ist auch der verrückteste Luxuskonsum nicht mehr zu steigern. So kommt er zu dem Schluss, dass das Kernproblem der grenzenlosen Vermehrung mit dem Geld zu tun haben muss. Konsumgüter sind begrenzt nutzbar und haltbar, Geld verdirbt nicht und lässt sich grenzenlos horten. Darum bewirkt es im Menschen die Begierde (epithymia), grenzenlos Geld anzuhäufen. Der Grund dafür ist die Illusion (dokei, es scheint so als ob), man könne sich grenzenlos Lebensmittel kaufen und damit ewiges Leben. Hinter der Gier nach immer mehr steht also das Nichtfertigwerden mit dem eigenen Tod, der eigenen Begrenztheit als körperlichem, bedürftigem Wesen.

Da aber - so fährt Aristoteles fort - der nach grenzenloser Geldvermehrung strebende Mensch genau durch die dazu benutzten Praktiken (Zinsnahme, Monopolbildung etc.) die Gemeinschaft zerstört, zerstört er sein eigenes Leben, das als bedürftiges auf die Gemeinschaft angewiesen ist. (...) Hier ist also bereits erkannt, dass ein Wirtschaftssystem, das auf Akkumulation von Reichtum der wenigen zielt, nicht nur die anderen, sondern sich selbst zerstört - ein Vorschein der Einsicht, dass in der globalisierten Welt systemischer Mord Selbstmord ist. (...)

Die gleiche Einsicht in die lebenszerstörende Geldvermehrung kommt übrigens auch schon in dem griechischen Mythos vom König Midas zum Ausdruck. Er hatte eine solche Sucht nach Gold, dass er sich wünschte, dass alles, was er berühre, zu Gold werden möge. So wandelte sich auch seine Nahrung in Gold und er musste Hungers sterben. Sein eigenes konkretes Leben als körperlich bedürftiger Mensch zerstörte er selbst durch die Illusion der unendlichen Geldvermehrung. Hegel nannte dies später die `schlechte Unendlichkeit´"(...)

(quelle dieses zitates ist das
hier näher vorgestellte buch "solidarisch mensch werden"; s. 139/140)

den ansatz, geld (bzw. gold) als synonym zu betrachten, finde ich erstmal schlüssig - mit bedruckten papierlappen sowie metallstückchen "an sich" lässt sich ja nun real nicht so wahnsinnig viel sinnvolles anstellen, und schon gar nicht im konkreten lebensalltag. die macht des geldes beruht auf einem symbolischen akt, einer - übrigens letztlich mit gewalt - erzwungenen übereinkunft, papier und metall als abstraktes symbol für reale werte anzusehen. und unter der prämisse sind die gedanken des aristoteles durchaus nachvollziehbar. auch unter dem aspekt, dass die todesangst und ihre möglichen kompensationen vermutlich als grundlegende handlungsmotivation in allen möglichen gesellschaftlichen bereichen in aller regel schwer unterschätzt bzw. verdrängt wird.

geld ist aber heute v.a. ein synonym für macht geworden, und an dem punkt finde ich, dass sich die obigen gedanken erweitern lassen: die erwähnte grenzenlosigkeit - des menschlichen seins und handelns - ist bekanntlich eine fiktion und in der realen - und in jeder hinsicht endlichen - welt nicht vorhanden. grenzenlosigkeit im handeln weist daher immer auch auf die aktivität des objektivistischen modus´hin, der als einziges im menschen imstande ist, derlei fiktionen zu produzieren. und wenn grenzenlosigkeit in den v.a. negativen, d.h. grenzverletzenden, formen vorliegt, wie sie hier im blog immer wieder thema sind, v.a. in form von verschiedenen arten der gewalt, so ist das ein sehr starkes indiz für das ebenfalls lang und schlapp thematisierte ungleichgewicht, welches entsteht, wenn sich der objektivistische modus innerhalb einer geschädigten subjektivität zum dominanten wahrnehmungsmodus aufschwingt. das sich die eigene machtposition dann noch bevorzugt anhand von abstrakten zahlenreihen, die sekundär emotionale zustände von als-ob-sicherheit und triumpfgefühle (anscheinende "überlegenheit") erzeugen können, ablesen lässt, passt dabei bestens ins bild.

und so fahren dann die objektivitätskranken "eliten" weiterhin zwanghaft den karren erbarmungslos gegen die wand. und was ich hier schon früher einmal schrieb, ist weiterhin gültig:
die grenzen werden von außen gesetzt werden müssen. und das bleibt nach wie vor die vielleicht dringendste aufgabe überhaupt.

*

edit am 17.02.: und noch so ein
wörtchen ,welches momentan öfter im zusammenhang mit der affäre auftaucht:

(...)„Wir werden uns nur vor diejenigen stellen, die nach Recht und Gesetz, Ehre und Gewissen arbeiten. Wer das nicht akzeptiert, gehört nicht mehr dazu", sagte Thumann.(...)

naja, von "recht und gesetz" zu fabulieren, ist den "eliten" nur recht und billig - wer sich etwas mit der tätigkeit diverser lobbyisten bei allen möglichen gesetzgebungen beschäftigt, wird gleichfalls zu dem schluß gelangen, dass sie mehr oder weniger ihre gesetze selbst machen - und nicht nur an der stelle fällt wiedermal die strukturelle gemeinsamkeit mit der illegalisierten
verwandtschaft auf, die dann beim appell an die "ehre" noch deutlicher wird:

(...)"Sich auf mafiose Weise zu verhalten bedeutet, sich ehrenhaft [ onorevole] zu verhalten, und zwar in einer Weise, die den Regeln von Mut, Schlauheit, Grausamkeit und der Anwendung von Raub und Betrug entspricht" (...)

(arlacchi, pino: mafiose ethik und der geist des kapitalismus. frankfurt a. m.; 1989; s. 29.)


brüder im geiste.

*

die undurchsichtige rolle des bnd sowie rolle und position(en) der staatsorgane in dieser konfrontation überhaupt sind ein weiteres thema - aber nicht heute.

Samstag, 2. Februar 2008

assoziation: von der "kaschmirisierung des alltags" - oder die verdinglichung des glücks

ein eher zufälliger fund des folgenden artikels hat mich zur genaueren formulierung bisher vager gedanken angeregt, die sich u.a. bei der lektüre vieler texte zum rauchverbot in öffentlichen räumen einstellten - besonders etliches zum thema drüben bei kollege quirinus sorgt immer wieder neben beifälligem nicken auch für etliche fragezeichen. gibt es tatsächlich eine art "wellnessfaschismus"? oder anders: kommt die diktatur zumindest im westen inzwischen auf plüschsohlen daher?

(...)"Man muss sich nur umschauen: Wie nie zuvor dominiert das Streben nach Wohlfühlen unsere Zeit. Wobei wir uns heute ganz anders wohlfühlen als früher. Es geht nicht mehr um Sport oder Kultur, um ein kühles Bier mit Freunden – um Dinge also, die ganz beiläufig Zufriedenheit hervorrufen können. Nein, heute geht es um die reine Essenz des Wohlfühlens: um Regeneration, Entspannung, gemütliches Genießen, aufpoliertes Nichtstun."(...)

Geschäfte, die sich »Die Wohlfühler« nennen, verkaufen einen Mix aus Massagen, Yoga, Kosmetikanwendungen und Maniküre. Magazine mit dem Namen »Wohl fühlen« (zum Beispiel von dieser Zeitung) präsentieren Angebote, deren Konzept irgendwo zwischen Wellness, Bio und Öko angesiedelt ist. Die Wohlfühlindustrie stellt Produkte wie ausgleichendes Mineralwasser mit Ginseng her, grünen Wohlfühltee oder fermentierte Erfrischungsgetränke, die unsere Laune heben sollen. Fast alle großen Modemarken haben in ihr Programm inzwischen weiche Pantoffeln, Wärmflaschen mit Nerzbesatz, Kuschelplaids oder Hauswäsche aufgenommen. Wie viele Politiker in Deutschland und Österreich behaupten, dass ihr Bundesland ein »Wohlfühlland« sei, ist kaum noch zu überblicken (z.B. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bayern, Kärnten, Steiermark). Kaum jemand, der nicht mit einem schick um den Hals geschmeichelten Wohlfühlschal aus dem Haus geht, egal ob es Sommer oder Winter ist oder ob man als Architekt oder als Fußballtrainer arbeitet. Die Verkaufszahlen von Kaminen und Öfen haben sich in den vergangenen sechs Jahren verfünffacht – nicht nur wegen steigender Energiekosten, sondern aus »Lifestylegründen«, wie man beim Industrieverband Haus-, Heiz-, Kühltechnik erfahren kann. Und auch die Karrieren von edlen Schokolade- und Kaffeeprodukten sind Sinnbilder dieser Entwicklung. Unsere Wohlstandsgesellschaft wird gerade zur Wohlfühlgesellschaft."(...)


das ist eine zustandsbeschreibung, die in dieser krassen form wohl eher nur auf teile der (ökonomischen) mittel- und oberklasse zutreffen dürfte - das sog. prekariat hat ganz andere sorgen (und zwangsläufig auch eine andere lebensrealität - ob man die auch lifestyle nennen sollte?)

und es gibt dabei ein paar entwicklungen, die ich im kern keineswegs gleich negativ sehen würde. das zitierte entspannen oder auch das "gemütliche genießen" sind durchaus qualitäten, die alle förderung verdienen und benötigen - komprimiert würde ich das unter
wiedererlangung der subjektiven zeit fassen, und wie ich u.a. im verlinkten beitrag schon versucht hatte, deutlich zu machen, ist das unter den heutigen zuständen ein nötiges und auch potenziell explosives projekt. langsamkeit, entspannung und hedonistische fähigkeiten (die ich nicht mit wahllosem und suchtartigem konsum von allem und jedem gleichsetzen würde), sind aus meiner sicht unverzichtbare bestandteile eines lebens jenseits des dingwelt.

und es spricht auch erstmal nichts gegen das bemühen, sich den alltag möglichst angenehm zu gestalten, wozu von fall zu fall auch die nutzung qualitativ hochwertigen gebrauchseigentums gehören kann. was sich allerdings schon oben im zitat andeutet, ist tatsächlich ein problem: verständliche - und berechtigte - wünsche nach mehr lebensqualität sind, wie in kapitalistischen gesellschaften üblich, längst als verkaufsfördernde marktlücke entdeckt und entsprechend umgesetzt worden. und das ist nun doch etwas, was
nicht kritiklos stehen bleiben kann:

(...)"Wie lässt sich dieser Drang zur immerwährenden Entspannung erklären? Wo mit Hochtouren am Wohlbefinden gearbeitet wird, muss vorher Unwohlsein geherrscht haben. Die Verkrampfungen, Verspannungen unserer Zeit scheinen es notwendig zu machen, dass wir uns sofort und jederzeit – gern gegen Honorar – entkrampfen müssen.

Viele Menschen empfinden das Leben als so hart wie seit den Aufbaujahren der Bundesrepublik nicht mehr. Der berufliche Alltag fordert den meisten mehr als nur eine 35-Stunden-Woche ab, der Leistungsdruck steigt, die Angst vor dem sozialen Abstieg hängt im Nacken. Also versuchen wir – professionell, wie wir sind –, Verstimmungen und Verspannungen von Körper und Gemüt durch ein perfekt organisiertes Wohlfühlprogramm auszugleichen. Jemand, der hart arbeitet, muss sich ebenso schnell und heftig erholen, denken wir, außerdem braucht er körperliche und seelische Ressourcen. Schon dient die Wohlfühllust als Ergänzungsprogramm zur Arbeit, als Hilfsmittel, sofort wieder loslegen zu können."


ergänzend wäre noch anzufügen, dass sich die allgemeine verkniffenheit und anspannung auch als allgemeines symptom von verbreiteter
angst interpretieren lässt, die ich in der herrschenden form bereits als eine art vorstufe zum trauma definiert hatte. und aus dieser perspektive ist der wellness-trend nur folgerichtig und ein weiteres beispiel für den totalitären charakter des kapitalismus: selbst aus der systemimmanenten psychophysischen deformation wird derart noch profit gezogen, und weitergedacht fallen noch ein paar andere herrschaftsstabilisierende effekte auf: zum einen wäre da das teile-und-herrsche prinzip: dünne gegen dicke, raucher gegen nichtraucher, jugend gegen alter, gesund gegen krank.... - so werden nach altbewährter tradition die eigentlich alle gleich von der verdinglichung überrollten gruppen gespalten und gegeneinander ausgespielt.

zum anderen aber wird derart eine definition von gesundheit etabliert, die sich perfekt in das vermessende, objektivierende und konkurrenzorientierte kalkül der herrschenden macht einpassen lässt: wird ein derart statischer - d.h. unrealistischer, weil unlebendiger - gesundheitsbegriff etabliert, so ermöglicht das eine ebenfalls gleichfalls statische und mechanische bewertung anhand als-ob-objektiver kriterien, die einen gesunden menschen v.a. an seinem körperlichen ausdruck festmachen, was heute nichts anderes bedeutet als an seiner leistungsfähigkeit. und so dann auch die tür öffnen zu den sichtbaren tendenzen einer
neu-alten selektion nach eben diesem hauptkriterium. gesundheit = leistungsfähigkeit. und wer das nicht mehr erfüllt bzw. erfüllen kann, wird gleichfalls zunehmend weiter nach den gleichen objektivistischen kriterien behandelt: zu alt, zu dick, selbstverschuldet erkrankt (eine genaue betrachtung dieser definition würde einen eigenen beitrag erfordern) = mit steigender wahrscheinlichkeit werden nötige medizinische behandlungen nicht mehr (voll) finanziert bzw. auf die betroffenen abgewälzt. wer sich das nicht leisten kann: pech gehabt.

aus der sicht der macht also ein prima geschäft: wir versetzen die menschen erstens in angst und panik, um ihnen dann zweitens die gegenmittel zur symptombekämpfung zu verkaufen, etablieren drittens ein hauen und stechen unter den beherrschten, die uns dadurch nicht gefährlich werden können, und erhalten viertens die gelegenheit, durch die hintertür die sowieso niemanden interessierenden loser endgültig loszuwerden.

ein plot, der jedem soziopathischen hirn gefallen dürfte.

"In früheren Generationen haben sich die Menschen dem Stress aus Beziehung, Beruf, Lebensführung auf andere Art entzogen: Sie haben die Welt verändert oder sind spirituell ausgestiegen. Heute gehen wir den Weg des einsamen Genießens; statt der Welt verändern wir unser Leben: ein ausgefuchster Dreh, einen Ausbruch zu schaffen, aber gleichzeitig gesellschaftskompatibel zu bleiben. Das Leben scheint uns fremdbestimmt und unveränderbar, also flüchten wir in die kleine Selbstbestimmtheit der Massage oder spirituellen Turnübung."(...)

ja. wobei ich mich frage, ob "einsames genießen" überhaupt etwas mit genuß im eigentlichen sinne zu tun hat? alleine etwas genießen ja - aber
einsam ?

(...)"die einsamkeit als ein "lebenslang beglückendes lebensgefühl" anzusehen, stellt für - wieder in relation - gesunde menschen ein ding der unmöglichkeit dar. stellen Sie sich nur mal vor, Sie würden dazu aufgefordert werden, hunger als "lebenslang beglückendes lebensgefühl" zu betrachten - nichts weiter als eine unverschämte zumutung.

und diese zwanghafte perspektive "jeder muss (!) nach seiner fasson glücklich werden" - schon wieder managementgeschwätz. vor nichts scheint eine gewisse (und gesellschaftlich tonangebende) art von menschen so viel angst zu haben wie vor der erkenntnis, dass eben nicht alles im leben einen guten ausgang nimmt; dass für uns alle grenzen existieren, dass nicht alles machbar und nicht jede existenzielle schädigung korrigierbar ist. stattdessen "sei glücklich!" als quasibefehl. daraus lassen sich zwar fiktionen und simulationen konstruieren, die ein happy-end besitzen mögen - aber mit der realität hat das dann eben nicht mehr eben viel zu tun. es gibt ereignisse und verluste, die nicht oder nur mit schweren konsequenzen zu verarbeiten sind - und gerade die beziehungskrankheiten zeigen das in aller deutlichkeit."(...)


in etwas anderen worten im sz-artikel:

(...)"Doch zu häufiger Gebrauch schwächt die Wirkung, Regelmäßigkeit fördert die Abhängigkeit: Die Maximierung von Lust wirkt kontraproduktiv. »Die ständige Jagd nach dem Wohlfühlglück macht auf Dauer systematisch unglücklich«, sagt Schmid und rückt andere Glücksarten ins Blickfeld – etwa das Glück der Fülle, das auch Unangenehmes und Schmerzliches miteinbezieht, oder das Glück des Unglücklichseins: Melancholie als gefühlsbewegte, nachdenkliche Selbstbesinnung zu betrachten. Leben ist Polarität und Glück eine Kontrast-erfahrung, sagt Schmid. Es hat nur Wert, was selten ist, was nicht pausenlos und umstandslos zu haben ist: Glück braucht Pausen."

der letzte satz ist ein schöner satz. aber das scheinen diese "einsamen genießer" nicht begreifen zu können. und die dealer des glücksversprechens wollen das natürlich nicht begreifen:

"Solche Sätze hört in der Wohlfühlindustrie niemand gern. Allein in der Wellnessbranche werden derzeit 80 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt, mehr als in der Bekleidungsindustrie; bis zum Jahr 2020 sollen eine Million neue Arbeitsplätze entstehen. Die Fülle der Massagen und Behandlungen ist nicht mehr zu überblicken, ihr Sinn auch nicht. Deshalb überrascht es nicht, dass es bereits die ersten Wohlfühljunkies gibt, die sich nur noch mit immer stärkeren Hilfsmitteln entspannen können. Für solche Menschen hält die Industrie bereits doppelte Dosen an Wohlfühlglück bereit: Schokoladenwellness zum Beispiel oder »Latte Massagio«, eine Massage mit Latte macchiato im Anschluss – Wohlfühlglück in kumulierter Form also.

Muss es uns nicht zu denken geben, wenn plötzlich eine ganze Generation weich gespült, durchmassiert, einwattiert werden will? Und was soll man von einer Gesellschaft halten, in der andauerndes Wohlfühlen zur Norm geworden ist?"(...)


nix. kein stückchen gutes kann man von einer solchen gesellschaft halten, wenn das "wohlfühlen" als das begriffen wird, was es ist: eine fremdbestimmte und profitträchtige suchtstruktur, mittels derer die vereinzelten und verdinglichten menschen im hamsterrad gehalten werden. und unter diesen umständen können dann sogar der eigentlich ungesunde zug an der zigarette oder das herzhafte zulangen in die fettigen pommes rot-weiß zu einer subversiven handlung - ja, werden?

ich habe so meine probleme damit, diese gleichung umstandslos aufzumachen. was sowohl mit dem fitzelchen realität in der objektivistischen wahrnehmung von gesundheit als auch mit der gleichfalls darin vorhandenen dialektik zu tun hat. rauchen ist eine sucht; und steigert die wahrscheinlichkeit von üblen und unangenehmen krankheiten, von den machenschaften der tabakbranche mal ganz abgesehen. ähnliches gilt für fast food. und sowohl als raucher als auch gelegentlicher konsument von fast food komme ich um die einsicht nicht herum, dass auch solche konsummuster einen zusammenhang haben mit den gleichen verhältnissen, aus denen der oben beschriebene wellness-wahn entstammt. es drängt sich der eindruck von scheinalternativen auf, die beide ihre haken haben - und gleichfalls dem einer geschichtlichen wiederholung: wenn man sich das ende des 19. und den beginn des 20. jahrhunderts in d-land betrachtet, so fallen ein paar parallelen auf. es gab damals eine art kulturkampf zwischen dem, was sich als "jugendbewegung" bezeichnete - mit den leitsätzen von jugend, kraft, gesundheit und "moralisch sauberem" lebenswandel incl. sexfeindlichkeit (bei gleichzeitiger anbetung des "reinen" körpers), "vaterlandsliebe", naturverherrlichung und abscheu gegen das ungesunde und "entartete" stadtleben einerseits und einigen städtischen - proletarischen und bürgerlichen - milieus andererseits, die bspw. in fragen von genuß, kunst- und kulturbegriff, "freier" sexualität und experimentierfreudigkeit in fragen des sozialen zusammenlebens für die erstgenannte tendenz das verhasste feindbild abgaben. und später von den nazis in allen bereichen als "das entartete" per se denunziert und bekämpft wurden. (wer sich für diese auseinandersetzung näher interessiert, sei z.b. auf die arbeiten des historikers
george mosse verwiesen, besonders auf "nationalismus und sexualität", in dem das eben grob beschriebene einen großen raum einnimmt.)

jedenfalls lassen sich von heute aus weder die eine noch die andere variante oben vorgeschlagener bzw. vorgeschriebener lebensstile in westlichen gesellschaften guten gewissens goutieren. beide stellen aus heutiger perspektive jeweils scheinbar entgegengesetzte, jedoch letztlich aus gleicher quelle stammende wege der verdinglichung des menschlichen glückes dar, beide arbeiten mit konstruktionen und halluzinationen bzw. realitätsausblendung. und während der eine historisch die basis für den klassischen faschismus gelegt hat, ist der andere völlig kompatibel mit dem totalitären modernen kapitalismus. beide enthalten auch jeweils kleine fragmente richtung psychophysischer gesundheit in einem realistischen sinn - befreiung des körpers, angemessener (u.a. suchtfreier) hedonistischer konsum, überhaupt genußfähigkeit, bei gleichzeitiger benennung tatsächlich problematischer tendenzen des stadtlebens etc. - aber eben auch immer nur in verzerrter form.

und deshalb glaube ich, dass uns ein weg jenseits dieser als-ob-alternativen zunächst in die pfadlose wildnis des eigenen experimentierens bei vollem risiko führen wird. aber: no risk, no fun.

Freitag, 14. Dezember 2007

assoziation: "deutsche zustände" (update 3 am 28.12.)

zunächst eine kleine erinnerung:

"Nichts wird in Zeiten allgemeiner Egomanie so verhöhnt wie der Altruismus. Menschen, die sich nicht auf der Siegerstraße befinden, sollen aus unserem Blickfeld verschwinden. Da jeder sich selbst gehört, ist auch jeder für sich selbst verantwortlich. Ich bin meiner mir mich. Nicht Solidarität oder zumindest Betroffenheit ist angesagt, sondern in erster Linie Gleichgültigkeit oder im schlimmsten Fall sogar offene Aggression: "Eure Armut kotzt uns an!" Solidarität war zumindest in Ansätzen etwas, das auf ein Jenseits der zwänglerischen Identität (Ich bin ich) verwies. Sie besagte, dass ich für die anderen da bin, und sie für mich da sind."(...)

(eine kleine kritik an bestimmten begriffen des textes von schandl - wie bspw. "egomanie" - hatte ich damals angefügt, aber darum soll´s hier gerade nicht gehen).

nun ist gestern der sechste band einer laufenden studie (mit dem titel der überschrift) des bielefelder soziologen wilhelm heitmeyer veröffentlicht worden, von dem sich einige kernaussagen
so zusammenfassen lassen:

"Die sozialen Beziehungen geraten nach der Studie immer mehr unter Druck. Fast die Hälfte der Befragten stimmt der Aussage zu, dass die meisten Langzeitarbeitslosen nicht wirklich daran interessiert seien, eine Arbeit zu finden. Etwa die gleiche Anzahl gab an, es gebe "Dinge, die wichtiger sind als Beziehungen zu anderen". Etwa ein Drittel stimmt der Aussage zu, die Gesellschaft könne sich wenig nützliche Menschen und menschliche Fehler nicht mehr leisten. Rund 40 Prozent sind der Ansicht, es werde zuviel Rücksicht auf Versager genommen. 25 Prozent finden, dass "moralisches Verhalten ein Luxus ist, den wir uns nicht mehr leisten können."

in einem
radiointerview ist speziell zu den obigen ergebnissen näheres zu lesen:

(...)"Kassel: Kann man aus den Antworten, die Sie in diesem Zusammenhang und in ähnlichen bekommen haben, tatsächlich schließen, dass wir immer zunehmend in einer konkurrenzbasierten Gesellschaft leben, also dass dieses Leistungsprinzip, das ja, obwohl es einen Linksruck gibt und das viele Leute im Kopf vielleicht ablehnen, dass dieses Leistungsprinzip im Alltag immer wichtiger wird?

Heitmeyer: Das kann man durchaus feststellen, denn wir ermitteln, dass auf der einen Seite ja die Angst bei Arbeitslosigkeit und damit parallel auch zum Teil die konkurrenzbasierte Fremdenfeindlichkeit abnimmt, und das ist kein Zufall, sondern das ist ein kausaler Zusammenhang. Auf der anderen Seite steigt aber das, was wir Flexibilitätszwang nennen, also auch die nahen sozialen Beziehungen zum Teil unter Nutzenkalkülen sehr viel stärker zu beachten, das heißt, ob es mir nützlich ist eigentlich, überhaupt noch soziale Beziehungen zu pflegen, das heißt, dass wirtschaftliche Kalküle, die im Rahmen der Wirtschaft durchaus angemessen sind, dann aber einsickern auch in soziale Lebenszusammenhänge. Und das, glaube ich, ist schon beunruhigend, denn wir können gleichzeitig dann auch Zusammenhänge feststellen mit den Menschen, die man dann nach Nutzenkalkülen beurteilen kann, also zugewanderte Fremde mit zum Teil niedrigen Qualifikationen oder Langzeitarbeitslose oder Obdachlose oder Behinderte. Und das signalisiert uns doch ein erhebliches Problemfeld."(...)


wo es in diesem land einen "linksruck" gibt, bleibt das geheimnis des interviewers - und wenn heitmeyer beklagt, dass die "im rahmen der wirtschaft durchaus angemessenen" objektivistischen kalküle nun auch in soziale lebenszusammenhänge einsickern, dann outet er sich damit zumindest indirekt als einer derjenigen, die die grundsätzlich totalitäre und übergriffige tendenz des extremistischen kapitalismus nicht verstehen. aber immerhin - oder besser: leider - wird damit in den grundzügen etwas verifiziert, was
früher hier so zu lesen war:

(...) "...stets stehen diese entwicklungen im kontext der verdinglichung und durchkapitalisierung, die von elitärer seite aus als einziges modell für den gesamten planeten versucht wird durchzusetzen. der angriff auf unsere ganz spezifisch menschlichen beziehungsfähigkeiten ist dabei inzwischen unübersehbar, und der "erfolg" dieses angriffs ist u.a. in den steigenden zahlen der sog. psychischen krankheiten abzulesen. und dieser angriff zielt ebenfalls ganz unübersehbar auf den eigentlichen kern dessen, was uns überhaupt erst zu menschen macht: die fähigkeiten zur solidarität, empathie/mitgefühl, altruismus - die menschliche liebesfähigkeit in all ihren ausprägungen.

und wenn dieser angriff durchkommt, wird er der tödlichste überhaupt aller denkbaren angriffe sein. er zielt auf die absolute basis aller sozialität."(...)


ergänzend würde ich heute anfügen, dass die fatalen entwicklungen zwar von den "eliten" forciert und institutionell umgesetzt werden - sie benötigen aber bei der mehrheit aller menschen einen entsprechenden resonanzraum, meistens in form (versteckter) psychophysischer bedürfnisse - und das ist in meinen augen das entscheidende.

und ebenfalls sind die beschriebenen entwicklungen keinesfalls auf d-land alleine beschränkt. wie jedoch ein blick in die geschichte zeigt, neigen ausgrenzung und paranoide verfolgung hierzulande dazu, besonders
monströse dimensionen anzunehmen.

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was ich persönlich sehr interessant finden würde zu wissen: wieviele der befragten weisen wohl symptome der verschiedenen beziehungskrankheiten auf? aber womöglich würde das auch keine größeren konsequenzen mit sich bringen, wenn selbst eine offizielle psychiatrisch-psychotherapeutische institution z.b. hinsichtlich der
alexithymie folgendes veröffentlicht:

"In vielen Berufen sind Alexithymie-Eigenschaften in unserer Industriegesellschaft eine durchaus erwünschte Eigenschaft. Daraus wird ersichtlich, dass es sich bei der Alexithymie nicht um eine Krankheit handelt."

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edit am 15.12.: wednesday machte im kommentar auf einen
artikel aufmerksam, der inhaltlich perfekt passt:

(...)"Doch Levy prophezeit rasanten Fortschritt. Anteilnahme, Humor, Verständnis und Liebe - für ihn ist das einzig eine Frage der Technik. Mitgefühl beispielsweise sei "letztlich eine Lernaufgabe" und daher "in Robotern relativ leicht zu implementieren". Die Maschine müsse den Partner schlicht beobachten, dann intelligente Annahmen über dessen Gedanken machen und entsprechend reagieren."(...)

alpträume eines fachidioten. was er da als "lernaufgabe" beschreibt, ist tatsächlich nichts anderes als eine beschreibung der funktion des objektivistischen modus im menschen: (primär kognitive) beobachtung -> logische schlüsse mittels instrumenteller intelligenz -> simulation von emotionen. der arbeitsmodus eines soziopathen, einer als-ob-persönlichkeit. das wort "beziehung" in diesem kontext zu benutzen, ist entweder reine propaganda oder tatsächliche unkenntnis vom wesen authentischer menschlicher beziehungen.

für die weiter oben zitierten leute allerdings, die meinen, es "gäbe wichtigere dinge als beziehungen", könnten solche maschinen tatsächlich eine gewisse anziehungskraft besitzen. eine echte marktlücke, die einmal mehr beweist, dass der kapitalismus aus buchstäblicher scheiße noch gold machen kann. um das als positives merkmal zu betrachten, muss man allerdings selbst bereits schwer psychophysisch geschädigt sein.

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edit am 27.12.: eine
untersuchung, die sich wie eine ergänzung zur studie von heitmeyer und co. lesen lässt:

(...)"Wer in deutschen Unternehmen Karriere machen will, muss sich offenbar einer systematischen Erziehung zur Unmoral und Rücksichtslosigkeit unterziehen. Viele Führungskräfte sind der Ansicht, dass man daran nichts ändern kann. Manche scheinen sich gar in der Opferrolle zu sehen wie die Antwort eines Befragten zeigt: "Das Schlimmste ist der Zwang, an Maßnahmen mitwirken zu müssen, die eindeutig unmoralisch sind und allein dem Vorteil und Karrierestreben der Vorgesetzten dienen."(...)

wobei sich fast schon automatisch die frage stellt, ob sich für die befragten nicht der erwähnte vorteil zugunsten des konkurrenten als ärgerlichste sache darstellt...

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edit am 28.12.: das fest der liebe 2007 - eine unvollständige
bilanz :

"In Bayern tötet eine Mutter ihre beiden Söhne, in Hessen versucht ein Vater, seine Tochter anzuzünden. Das diesjährige Weihnachtsfest wurde von Gewalttaten und Familientragödien getrübt."(...)


weiteres:

"Im sächsischen Kirchberg ist ein Zweijähriger vermutlich verhungert und verdurstet. Die 23 Jahre alte Mutter wurde Polizeiangaben zufolge festgenommen. In Bayern versuchte ebenfalls am zweiten Weihnachtstag ein 24-Jähriger, ein Kleinkind totzutreten."(...)

tote kinder, psychisch kranke, eifersuchtsdramen (die immer auch etwas mit besitzdenken zu tun haben), ein ermordeter obdachloser und auch der von zwei jugendlichen fast totgeprügelte alte mann in münchen (incl. des bei dieser geschichte in der pseudoverarbeitung auftretenden öffentlichen rassismus)...so drücken sich die deutschen zustände ganz real und absolut unlustig aus. und so sieht es aus, wenn "wichtigere dinge als beziehungen" zum allgemeinen leit(d)bild erhoben werden.

Montag, 8. Oktober 2007

assoziation: von den gefühlen in zeiten des kapitalismus über die ärztliche meldepflicht von tattoos und piercings zum *naturbösen* menschen

die schriftstellerin anna mitgutsch bespricht im standard das buch gefühle in zeiten des kapitalismus, und fällt dabei meiner meinung nach gemeinsam mit der autorin eva illouz dem schein zum opfer:

"Wie die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch (...) nachweist, bestimmt der psychotherapeutische Diskurs mit seiner Betonung auf Emotionen den öffentlichen Raum und die Arbeitswelt - und zwar nicht nur in Form einer wahren Flut an Ratgeberliteratur sondern auch als Stil im Management. Gleichzeitig stellt sie eine emotionale Verarmung des Privaten fest."(...)

wobei es sich dabei eher um einen scheinwiderspruch handelt: was diese angeblichen "emotionen" tatsächlich sind, lässt sich bspw. hier und hier nachlesen - inszenierungen des authentischen, die in form von ökonomisch nutz- und instrumentalisierbaren simulationen daherkommen und sich bei dominanz auch im sog. "privaten" als symptom einer grundsätzlich geschädigten psychophysischen menschlichen struktur begreifen lassen.

im folgenden greift mitgutsch dann einen punkt heraus, den ich als "negative psychologisierung" bezeichnen würde, und zu dem sie aus einer bestimmten perspektive einiges richtige anmerkt:

(...)"In einer Gesellschaft, deren größte Anliegen Wellness und Fitness des Einzelnen sind und die es zum moralischen Imperativ macht, unter allen Umständen nach dem eigenen Wohlbefinden zu trachten, wird alles, was dieses Wohlbefinden durch ein Abweichen von der angestrebten Normalität stören könnte, als Behelligung, ja geradezu als Vergehen empfunden."

"wohlbefinden" ist allerdings ein wischi-waschi-wort, denn es sagt überhaupt nichts über den kontext aus, in dem sich das wohlbefinden einstellt. will sagen: wenn es eine mehr oder weniger große zahl vom menschen gibt, die unter "wohlbefinden" ihr reibungsloses funktionieren innerhalb des vorgegebenen und -gefundenen systems verstehen, dann kann wohlbefindlichkeit kein ernsthaftes kriterium für gesundheit mehr sein. überspitzt gesagt, reden wir dann über das wohlbefinden einer monade, die vor allem authentisch-lebendigen ausdruck pure angst verspürt. erst aus dieser perspektive macht das folgende dann tatsächlich sinn:

(...)"Die Psychologisierung, die den Einzelnen und sein unmittelbares Umfeld als Fall betrachtet und größere gesellschaftliche Strukturen vernachlässigt, hat auch soziale Ungerechtigkeit ins Private verkehrt. Damit ist jeder, der zu den Verlierern zählt, jeder, der von den Normen abweicht, nicht nur krank und therapiebedürftig, sondern auch selber daran schuld und verdient daher weder Mitgefühl noch Hilfe, es sei denn in Form der Psychotherapie.

Wie Susan Sontag und Michel Foucault zeigten, münzt die Gesellschaft Krankheit leicht zum Verbrechen um. In einer Zeit, in der politische Korrektheit die Sprache zu so mancher Verrenkung zwingt, werden Abweichungen von der Norm unreflektiert polemisch als Krankheit definiert und als Instrumente verbaler Ausgrenzung verwendet.

So wird jeder, der sich dem Druck ständiger Verfügbarkeit entzieht, als "Autist" bezeichnet, jedes nicht eindeutige Verhalten als "schizophren", jede Marotte als "psychisch gestört" und Menschen, die auf ihrer Unangepasstheit verharren als "borderline". Die von einer Erkrankung des Nervensystems tatsächlich Betroffenen werden als Soziopathen diffamiert.

Die Gleichsetzungen von gesund mit leistungsfähig und daher wertvoll, und im Gegenzug dazu: unangepasst mit psychisch krank und nutzlos, sogar potenziell kriminell, gehörten allerdings bereits zu den Denkmustern des Nationalsozialismus."


ja. eine solche psychologisierung (oder auch psychiatrisierung) gibt es. aber wie oben schon gesagt, sitzt mitgutsch dabei dem erwähnten scheinwiderspruch auf und kann deshalb die wichtige andere seite der medaille nicht berücksichtigen - gerade in bezug auf die ns-psychiatrie hatte ich das in der vergangenheit so zusammengefasst:

(...)"nun ist eine bestimmte art von "funktionsfähigkeit" ja auch immer wieder thema hier im blog - die "funktionsfähigkeit", die sich in mehr oder weniger reibungsloser anpassung und kompatibilität gerade mit anonymen, mechanischen, bürokratischen und auch mörderischen institutionellen apparaten ausdrückt. was hier wiederum früher bereits als ein schwerwiegendes indiz auf die dominanz des objektivistischen modus bei einem menschen skizziert worden ist. und auch bezgl der sehr wahrscheinlichen psychopathologie hitlers drängt sich zu dieser ganzen geschichte eine frage besonders auf:

waren (und sind) diejenigen, die ihre definitionen von "leistungs- und arbeitsfähigkeit", "lebensunwert" etc. als trennlinie benutzten, um die von ihnen so definierten "asozialen", "psychopathen", "gemeinschaftsunfähigen" etc. auszuselektieren, tatsächlich die weitaus gefährlicheren ver-rückten? lässt sich die these aufstellen, dass bei ihnen zumindest z.t. auch schlichte projektion bei der auswahl der opfer beteiligt war? neben einer hemmungslosen bereitschaft zur unterwerfung unter angemaßte autoritäten, die sich als impliziter selbstverrat bzw. als unfähigkeit, sich selbst als eigene persönlichkeit überhaupt wahrzunehmen, darstellt? empathielosigkeit und extrem verdinglichende wahrnehmung jedenfalls sind eigenschaften, die wir den tätern mit berechtigung attestieren dürfen - und wenn ein technokrat wie der oben erwähnte k. (ich kenne einiges, auch nicht öffentlich zugängliches, biographische material zu und von ihm, welches ich hier leider nicht vorstellen kann) die todeskandidatin als autistisch beschreibt, so scheint mir das eine bitterböse ironie zu sein - k. lässt sich durchaus selbst als eine, allerdings wesentlich bösartigere, zumindest funktionell autistische person begreifen - und das lässt sich nicht nur bei ihm als starker verdacht formulieren.

in früheren beiträgen wurde hier ja schon auf das modell von zwei qualitativ unterschiedlichen formen psychotischer weltwahrnehmung verwiesen, welches mit teils unterschiedlichen begründungen und auch unterschiedlicher terminologie bspw. bei theweleit, mertz und arno gruen als these zu finden ist. wobei nur eine dieser formen - diejenige, die offensichtlich gegen die "objektiven realitätskriterien" z.b. mittels halluzinationen verstößt - von der etablierten psychiatrie und psychologie als psychose benannt wird. während sich die andere eben u.a. durch funktionsfähigkeit und simulierte emotionalität, in krasser form als völlig simulierte lebendigkeit, auszeichnet."


zusammengefasst: ich sehe absolut keinen grund dafür, warum funktionelle oder strukturelle antisoziale persönlichkeiten mit durchschnittlichen simulativen fähigkeiten nicht auch psychiatrische diagnosen in ihrem sinne - der sich meistens mit kontroll- und machtambitionen fassen lässt - instrumentalisieren sollten (so etwas vermute ich ja auch bei den diskussionen und maßnahmen seitens der regierungen von frankreich und großbritannien bezgl. "antisozialen verhaltens"). wieder überspitzt gesagt, ist zb. das szenario überhaupt nicht abwegig, dass eine blande (und antisoziale) borderlinepersönlichkeit (die reibungslos funktionieren kann) in einer beliebigen funktion innerhalb der orthodoxen psychiatrie andere menschen, die bspw. durch ein trauma auch symptome aus dem diagnostischen katalog der bl-störung zeigen, mit ihren mitteln (der diagnose und therapie) in eine gesellschaftlich ausgegrenzte position zwingen kann. und all das lässt eben keineswegs den schluß zu, den ich bei mitgutsch implizit durchschimmern sehe: dass es nämlich "eigentlich" gar keine probleme mit "psychischen erkrankungen" gäbe, weil sie letztlich alle nur konstruktionen zur ausgrenzung seien. davor kann ich zum wiederholten male nur warnen

*

eine andere schriftstellerin, juli zeh nämlich, hatte ich vor längerer zeit in einem beitrag mal heftig gedisst. nun schreibt sie zur geplanten ärztlichen meldepflicht für "selbstverschuldete erkrankungen" ebenfalls etliches, was ich (wieder mit einschränkungen, dazu gleich mehr) unterschreiben kann - auszüge:

(...)"Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer Gesetzesinitiative, die Ärzte verpflichten soll, unter Aufhebung der Schweigepflicht bestimmte Patienten bei den Krankenkassen zu melden. Und zwar solche Patienten, die an ihrem jeweiligen Leiden selbst schuld sind. Als Beispiele werden die Folgen von Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen genannt. Die Begründung dieser absurden Idee liest sich wie ein Lehrbuchbeispiel für politische Scheinlogik unter Zugrundelegung verdrehter Prämissen. Eine Nasenoperation stelle einen Eingriff dar, der medizinisch nicht indiziert und vom Patienten frei gewählt sei. Wenn dabei etwas schief gehe, habe der Patient für Folgeschäden konsequenterweise selbst aufzukommen.(...)

Die Regierung hat nicht weniger vor, als das Privateste, Intimste, das uns zu eigen ist, zur Staatssache zu erheben: den menschlichen Körper. Dabei wird die Idee einer flächendeckenden (von Beitragszahlern finanzierten!) Krankenversicherung in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht das Krankenkassensystem schuldet uns Beistand in der Not - sondern wir schulden dem System die unbedingte Aufrechterhaltung unserer Gesundheit! Diese neue, fiktive Bürgerspflicht gibt dem Staat ein Machtinstrument an die Hand, welches auf fatale Weise an Huxleys Brave New World erinnert. "Krankheit" wird potenziell mit "Schuld" identifiziert, und um innerhalb dieses Zusammenhangs die Spreu vom Weizen zu trennen, bedarf es einer perfiden Form von Selektion.

Tätowierte, Gepiercte und Schönheitsoperierte, lehrt uns der Gesetzesentwurf, gehören schon mal zu den schwarzen Schafen. Auch Patienten, die sich durch ein von ihnen begangenes Verbrechen oder Vergehen selbst geschädigt haben, sollen laut der neuen Initiative gemeldet werden. Wer also beim Kirschenklauen vom Baum fällt, sollte fürderhin besser keinen Arzt aufsuchen, da dieser den medizinischen Fall nicht vertraulich behandeln könnte und die entstandenen Kosten ohnehin nicht von den Kassen gedeckt würden. Und um die neue staatliche Zugriffsgewalt endgültig in ein weites Feld zu verwandeln, soll die Meldepflicht generell für Krankheiten gelten, die sich der Patient "vorsätzlich" zugezogen hat.

In der Sprache der Juristen bedeutet einfacher Vorsatz, eine bestimmte Folge "billigend in Kauf zu nehmen". Nimmt also der Raucher den eventuellen Lungenkrebs billigend in Kauf? Der Alkoholiker die Leberzirrhose? Der Schokoladenliebhaber sein Übergewicht? Der Homosexuelle die mögliche AIDS-Infektion? Der Skifahrer den Beinbruch, der Fußballspieler den Bänderriss, der Autofahrer das Schleudertrauma? Und wie haben wir uns das Antlitz eines Behördenapparats vorzustellen, der in all diesen Situationen das Urteil "schuldig "oder "unschuldig" fällt?"


(was mir nicht nur bei ihren analogien und beispielen auffällt, ist die tatsache, das niemand der bisherigen öffentlichen kritikerInnen dieses kontrollprojektes das eigentlich naheliegendste sieht: den arbeitsunfall. "wie, du möchtest dir über das existenziell notwendige heraus weitere dinge kaufen und machst dafür im rahmen der (zwangs)lohnarbeit womöglich überstunden mit der folge eines unfalls? das ist vorsätzliche selbstschädigung...!" - deutlicher lässt sich der grad von absurdität und willkür, den inzwischen viele staatliche projekte anscheinend mühelos erreichen, kaum deutlich machen).

"Auf jeden Fall hässlich. Es wäre ein Staat, der seinen Bürgern vorschreibt, auf welche Weise sie mit ihrem Ureigensten, ihrer höchstpersönlichen Physis zu verfahren haben - beim Sex, beim Sport, beim Essen, beim Glühbirnenwechsel im Badezimmer - letztlich bei jeder denkbaren Alltagsbewegung. Nicht ohne Grund verfügen wir über ein Rechtssystem, das es bei Strafe verbietet, andere Menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden, während Selbstgefährdungen bis hin zur Selbsttötung straflos bleiben. Die Kernidee der Demokratie wurzelt in jenem kleinen, intimen Bereich, in dem der Mensch frei ist, also die volle Hoheitsgewalt über sich selbst besitzt."(...)

um mißverständnisse zu vermeiden, als erstes mal folgendes: ebenso wie die weiter oben schon erwähnten staatlichen projekte gegen "antisoziales verhalten" in mehreren europäischen staaten, ist die angesprochene geplante hiesige meldepflicht aus meiner sicht abzulehnen. was mich aber bei zehs argumentation stört, ist etwas ähnliches wie bei dem text von anna mitgutsch oben:
  • "demokratie" und rechtssystem werden als eigentlich "gut" und (bisher) "funktionierend" vorausgesetzt. das ist aus meiner sicht schlicht die verwechselung einer in den letzten jahrzehnten im sog. "freien westen" leidlich funktionierenden simulation von demokratie und rechtsstaat mit der tatsächlichen realität. "andere menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden" ist seit eh und je ein "recht", welches sich die "eliten" aller coleur als "naturgegebenes" ohne weiteres herausnehmen, wenn´s ihnen gerade in den kram passt (und damit natürlich auch für etliche ihrer untertanen ein schlechtes beispiel geben).
  • die postulierte "hoheitsgewalt über sich selbst" halte ich ebenfalls für ein abstraktes konstrukt, welches sich bei näherer betrachtung durchaus im rahmen der herrschenden systemlogik bewegt - die angesprochenen "eliten" nehmen diese hoheitsgewalt ja weiter für sich selbst in anspruch; sie ist gleichfalls immanenter teil des (falschen) westlichen menschen- und selbstbildes, und sie ist zunehmend gekoppelt mit der ökonomischen leistungsfähigkeit eines individuums, was gleichzeitig auf ihre wahrscheinliche basis verweist: eine allgemeine und alltägliche praxis der dissoziation. anders: wenn die postulierte hoheitsgewalt über das "eigene" selbst bereits auf einer pathologisch entgleisten realität aufbaut, halte ich es für nicht empfehlenswert, totalitäre tendenzen mit elementen der gleichen pathologischen logik zu kritisieren, die eben auch dieses totalitäre hervorbringt. ist das verständlich?
  • stichwort tattoos und piercings: wie im verlinkten beitrag zu sehen, halte ich das keinesfalls in allen fällen für eine harmlose mode. eher kann es sich dabei ohne weiteres auch um symptome für psychophysische störungen handeln, die bis zur realen antisozialität gehen können. mir fehlt bei zehs argumentation daher auch die aussage, dass es sich bei den betroffenen der staatlichen kontrolle eben nicht nur um opfer handeln könnte. warum ich allerdings die heutigen etablierten staatlichen und sonstigen institutionalisierten gesellschaftlichen apparate durch die bank für ungeeignet (und auch nicht befugt) halte, gegen reales antisoziales verhalten vorzugehen, habe ich an verschiedenen stellen schon öfter deutlich gemacht. und was aus meiner sicht die vielversprechendste alternative zu all dem mist sein könnte? freiwillige kollektive, gebildet aus psychophysisch tatsächlich gesunden - liebes- und beziehungsfähigen - menschen, die sich selbst nach den prinzipien der selbstregulation organisieren. mit weniger sollte sich niemand zufriedengeben.
*

zum schluß noch etwas wirklich ärgerliches:

(...)"Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer und der Zürcher Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr glauben, dass Menschen tatsächlich nur dann brav sind, wenn ihnen auf die Finger geschaut wird. »Alle bekannten Gesellschaftsordnungen gründen darauf, dass die Verletzung sozialer Regeln bestraft wird«, schreiben sie diese Woche in der Fachzeitschrift Neuron. Nur wenn Strafe droht, kontrollieren wir die spontanen Regungen und verhalten uns regelkonform: Eigennutz ist der vorherrschende Impuls."(...)

dazu verweise ich nur hierauf...

(...)"der schlechte witz an dieser schon tausendmal gehörten falschen gleichung "der mensch (was nebenbei auch die unterschiedlichen rollen von männern und frauen bei diesem trostlosen spielchen unsichtbar macht) = grundsätzlich bestie = muss sich selbst mit verstand und rationalität quasi selbst zügel anlegen und züchtigen, was sich leider niemals hundertprozentig umsetzen lässt= das chaos sickert durch" besteht darin, dass es sich tatsächlich um eine selbsterfüllende prophezeiung handelt, welche der ach-so-aufgeklärte westen bis heute nicht begreifen kann und will."(...)

...sowie auf die dem beitrag folgende kleine diskussion.

das ganze forschungsprojekt scheint mir ein weiteres beispiel für die im wissenschaftsbereich allgemein anzutreffende dissoziierende wahrnehmung zu sein: ich bestreite nicht unbedingt die ergebnisse der forschung, aber ich bestreite die aus dem situativen moment heraus abgeleitete be-deutung - die neuronale konfiguration "eigennutz" entsteht weder aus dem nichts, noch ist sie eine naturnotwendigkeit.

Montag, 10. September 2007

assoziation: psychiatrie, privatisierung und die folgen

wie Sie sich bei betrachtung des letzten beitrags unten vorstellen können, hatte ich in den letzten wochen weder große lust noch zeit für die üblichen regelmäßigen recherchen nach neuigkeiten hinsichtlich der blogthemen hier - nichtsdestotrotz bin ich bei meinen seltenen besuchen in der virtuellen sphäre immer wieder über einiges gestolpert, was ich mir für eine spätere kommentierung vorgemerkt habe. so fand sich zb. vor einigen wochen ein artikel in der taz, der sich mit konkreten zuständen in der offiziellen psychiatrie in d-land beschäftigte - zustände, die das in der überschrift gemeinte anschaulich deutlich machen. und die sich auch als eine art illustration zu einigen hier aufgeführten unerfreulichen eigenschaften der offiziellen psychiatrie lesen lassen. die thematisierte geschichte scheint mir dabei ein klassisches beispiel dafür zu sein, was passieren kann, wenn selbst psychophysisch beeinträchtige menschen unter den bedingungen einer totalen institution macht über andere erlangen - und dabei strukturell zu erfüllungsgehilfen ökonomischer interessen der betreiber mutieren bzw. diese interessen in ihrem tun quasi unfreiwillig auf den verdinglichenden punkt bringen:

"Halts Maul", pflaumt der Stationsleiter den Patienten an. Als der psychisch kranke Mann nicht reagiert, sprüht er ihm Pflegeschaum - eigentlich zur Reinigung des Genitalbereichs gedacht - in den Mund. Was wie Szenen aus einer Neuverfilmung von "Einer flog übers Kuckucksnest" anmutet, spielte sich bis vor kurzem in einer der größten psychiatrischen Privatkliniken in Europa, dem Klinikum Wahrendorff bei Hannover ab.

Bekannt wurden die Praktiken auf der Station AST 2, einer geschlossenen Akutstation für Menschen ab 55, als Mitarbeiter anderer Bereiche dorthin versetzt wurden - und vor Entsetzen über die Zustände schleunigst wieder weg wollten. Nach ihren Berichten flößte Klaus W.*, seit 2004 Stationsleiter, schlafenden Patienten Flüssigkeit ein. Gesundheitliche Probleme, die bei einer Patientin daraufhin auftraten, kommentierte er lapidar, sie habe sich "verschluckt" und gehe deshalb "kaputt".

Andere zwang er unter Polizeigriff zur Einnahme von Medikamenten. Und auch die Körperpflege war für "lästige" Patienten kein Vergnügen: Sie wurden von Kopf bis Fuß mit Pflegeschaum eingesprüht, der jedoch nicht abgewaschen, sondern nur mit einem trockenen Tuch abgewischt wurde. Untergebene, die sein Verhalten kritisierten, soll er mit Druck und Drohungen zum Schweigen gebracht haben.

Die Leidenszeit auf der AST 2 hat nun ein Ende: Der Stationsleiter wurde vor die Tür gesetzt. Bis dato gibt es keinerlei Hinweise auf strafrechtliche Konsequenzen der Übergriffe.

Doch für negative Publicity sorgen nicht allein die Misshandlungsfälle. Die Klinik ist für stetig schlechter werdende Arbeitsbedingungen und kontinuierliche Attacken gegen gewerkschaftliche Strukturen bekannt. Kritiker sehen die aktuellen Misshandlungen als direkte Folge der Unternehmenspolitik: "Hier werden Vorgesetzte nicht nach Qualifikation ausgesucht, sondern danach, dass sie die Linie der Klinikleitung umsetzen", kommentiert ein Angestellter, der lieber anonym bleibt.

Auch Klaus W. sei für den Posten nicht geeignet gewesen - im Gegenteil: Er habe ein Alkoholproblem, von dem die Klinikleitung bereits vor der Beförderung wusste. "Die suchen sich Leute aus, die Probleme haben und deshalb erpressbar sind", so die Einschätzung weiterer Mitarbeiter, die aus Angst geschwiegen haben. "Bei 24 statt 19 vorgesehenen Patienten, von denen einige fixiert sind, und das bei dauernder Unterbesetzung - man bräuchte eigentlich Rollschuhe, um von einem Patienten zum nächsten zu hetzen", beschreibt Nandor Pouget, von der GGB (Gewerkschaft Gesundheitsberufe) seine Erfahrungen in Wahrendorff.

Auch ihn überraschen die Vorfälle nicht wirklich, da immer mehr Zivis und studentische Aushilfen die Arbeit von Pflegekräften übernehmen. "Da muss dann auch schon mal eine Hauswirtschafterin Sitzwache bei einem hoch psychotischen Patienten halten", sagt Pouget. Dass das ins Auge gehen kann, zeigt nicht nur der Skandal um Klaus W. Erst vor kurzem wurden drei Mitarbeiter von einem aggressiven Patienten angegriffen und verletzt. 2004 wurde eine Angestellte Opfer eines sexuellen Übergriffs - wegen Unterbesetzung musste sie sich allein um einen Patienten auf der geschlossenen Station kümmern."(...)


ich empfehle sowohl die weiteren teile des artikels zur lektüre als auch einmal eine recherche mit den keywords "privatisierung psychiatrie", die eine unmenge an statements, berichten und infos zum thema liefert, von denen die meisten deutlich machen, dass das risiko für solche geschichten wie oben in privatisierten kliniken eher noch stärker ist als in den (ehemals) staatlich betriebenen anstalten - betonung auf das "noch", weil die letzteren natürlich durch weite teile ihrer geschichte hindurch ebenfalls genügend grauenhafte verhältnisse produziert haben. allerdings mit teils anderen motivationen als private betreiber, denen es primär um ihren profit geht: so hat sich die in der sog. "öffentlichen hand" befindliche psychiatrie in extrembeispielen wie dem nationalsozialismus oder auch im sog. "realen sozialismus" als williger handlanger zur durchsetzung großflächiger antisozialer projekte der gesellschaftlichen normierung und bekämpfung alles "abweichenden" entpuppt (ja, auch hier waren bzw. sind im hintergrund ökonomische verhältnisse beteiligt, aber eben nicht einzig verantwortlich). die privatisierung hingegen bringt innerhalb der institutionellen psychiatrie teils neue probleme, teils aber auch alte probleme in aktualisierter form hervor. ganz gut zusammengefasst ist das in einem Offenen Brief der deutschen gesellschaft für soziale psychiatrie:

(...)"Privatisierung vs. Gemeinwohlorientierung

Die psychiatrische Versorgungslandschaft ist in den letzten 15 Jahren einer beständigen Veränderung unterworfen. Hintergrund hierfür sind die im Zuge der ökonomischen Krise stattfinden Sozialreformen einerseits (s.o) und eine zunehmende Privatisierung auf der Ebene der Organsiations- bzw. Rechtsform der Leistungsanbieter andererseits. Die letztgenannte Entwicklung führt in vielen Fällen zu einer Abkehr von der Gemeinwohlorientierung sozialer und Gesundheitsdienstleistungen hin zu einer profitorientierten privatwirtschaftlichen Unternehmensstrategie. Bürgerschaftliches Engagement das sich z.B. in der Übernahme von Verantwortung in gemeinnützigen Vereinsstrukturen (NPO) zeigt (z.B. ehrenamtlicher Vereinsvorstand) und damit eine Einbindung ins Gemeinwesen bedeutet, wird somit tendenziell in Frage gestellt. Eine weitere Gefahr von Privatisierung sehen wir in der Aussonderung besonders schwieriger Menschen, die durch ihren relativ hohen Hilfebedarf und den damit verbundenen Kostenaufwand nicht in die Strategie der Profitoptimierung passen.
Die angestrebte Entwicklung von Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV) der Leistungsanbieter hat u.a. das Ziel qualitativ hochwertige Dienstleistungen in abgestimmter und koordinierter Form Hilfeempfängern in einer bestimmten Versorgungsregion anbieten zu können. Der damit verbundene Prozess ist personal- und arbeitsintensiv, und daher kostenrelevant. Ob privatwirtschaftlich orientierte Leistungsanbieter sich diesen aufwendigen Prozess, in dem sich auch die Verantwortung für alle psychisch erkrankten Menschen in einer Versorgungsregion ausdrückt, im Sinne einer optimalen Kapitalverwertung zumuten werden, bleibt abzuwarten.

Forschung

Forschung im Bereich der Psychiatrie hat in den letzten Jahren eine deutliche Konzentration auf eine biologisch orientierte Ausrichtung erlebt. Dies führt in diesem Bereich zu Fortschritten, die sich z.B. in der Entwicklung der atypischen Psychopharmaka zeigt. Forschung im sozialpsychiatrischen und damit in einem sehr viel umfassenderen Sinne findet nahezu nicht mehr statt. Es besteht derzeit nur noch ein Lehrstuhl für Sozialpsychiatrie bundesweit.
Der Forschungsbereich Sozialpsychiatrie ist aus ökonomischer Sicht uninteressant, da Forschungsergebnisse sich nicht auf der klassischen und verwertbaren Produktebene niederschlagen."(...)


am (wiedereinmal) schlechten beispiel der usa lassen sich die folgen einer ungehemmten privatisierung psychiatrischer institutionen studieren - so ist in einem artikel der schweizer zeitung "der bund" aus dem jahr 2002 u.a. zu lesen:

(...)"Einen Skandal hat Anfang Mai die «New York Times» mit einer detailliert recherchierten Artikelserie aufgedeckt. Der Bundesstaat hatte vor gut 30 Jahren die großen Psychiatriekliniken geschlossen und versucht, die Patienten dezentral zu betreuen. Doch viele landeten auf der Straße, gut 15 000 verschwanden - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - in privat geführten, profitorientierten Heimen. Dort lebten sie, wie die «Times» aufdeckte, ohne professionelle Betreuung oft unter menschenunwürdigen Bedingungen, während sich die Heimleiter bereicherten.

Am schlimmsten sind die Zustände in den Heimen der Stadt New York. So wurden schwer depressive Patienten in Brooklyn wochenlang ohne genügend Verpflegung in ihren Zimmern eingesperrt, bis sie an physischen Mangelerscheinungen zu leiden begannen. Patientinnen prostituierten sich mit Wissen der Heimleitung, die regelmässig Akten und Belege fälschte, um die Zustände zu vertuschen. Von 1995 bis 2001 starben allein in den Heimen von New York City 946 Patienten, viele nahmen sich das Leben.Nur in drei Fällen wurde eine Untersuchung eingeleitet.(...)


auch bei berücksichtigung der vorhandenen unterschiede zwischen den gesundheitssystemen lassen sich bereits bei einem oberflächlichen vergleich der geschichte in wahrendorff mit den zuständen in new york viel zuviele beunruhigende parallelen entdecken. die nach wie vor vorhandene stigmatisierung von insassen psychiatrischer institutionen plus eine gesellschaftliche entwicklung der ungehemmten ökonomisierung und verdinglichung aller lebensbereiche plus die (auch im blog schon thematisierten) trends zur sozialdarwinistisch motivierten selektion plus das konkrete profitinteresse privater betreiber können im zusammenspiel eigentlich nur zustände ergeben, die letztendlich alle positiven entwicklungen innerhalb der psychiatrie seit den 1970er jahren im kern gefährden. wenn es wahr ist, dass sich eine gesellschaft in ihren totalen institutionen am deutlichsten kenntlich macht, so werden uns die zustände sowohl in der psychiatrie als auch in den (privatisierten) gefängnissen ein spiegelbild unserer inneren verfassung liefern, was zum schreiend davonlaufen - nicht nur sein wird, sondern bereits in teilen ist.

wie angedeutet, sollte die kritik an den privatisierungstendenzen in diesem bereich keinesfalls als falsche sehnsucht nach staalicher einmischung verstanden werden. es ist imo dringend notwendig, zwischen tatsächlich öffentlichen (im sinne von sozialen fortschritten) und staatlichen interessen zu unterscheiden - gerade dann, wenn staaten nicht nur unter die räuber gefallen sind, sondern in zeiten des extremistischen kapitalismus selbst zunehmend räuberisch nach außen und innen werden.

*

St.Jürgen_Asyl_Broschüre

wer sich für die psychiatriegeschichte mit all ihren positiven und leider überwiegenden negativen aspekten interessiert, sei zum schluß noch auf eine buchreihe hingewiesen, die in dieser form im deutschen sprachraum meines wissens nach einzigartig ist: die historikerin gerda engelbracht hat über jahre die inwischen über hundertjährige geschichte der psychiatrie in bremen in vielen facetten beforscht, aufgearbeitet und die ergebnisse jüngst abschließend in dritten buch einer reihe publiziert.

psychiatrie_im_ns

und diese ergebnisse können durchaus als repräsentativ für grundsätzliche entwicklungsphasen der offiziellen psychiatrie in diesem land angesehen werden. wer sich also durch den unstreitig vorhandenen regionalen bezug nicht abschrecken lässt, wird eine fülle von material und informationen kennenlernen, die sich von den "reformanstalten" der jahrhundertwende über verschiedene therapieformen (incl. schockverfahren), die ns-psychiatrie und ihre (nicht stattgefundene) aufarbeitung bis hin zu den reformen seit ende der 1960er jahre ziehen - dargestellt jeweils an persönlichen biografien, psychiatrieinternen debatten bis hin zum wandel der architektur.

von_der_nervenklinik_zum_zkh

die genauen daten zu den büchern lassen sich über diese seite finden.

und wer sich zufällig mal in bremen befindet, kann sich direkt auf dem klinikgelände im ebenfalls in d-land einzigartigen krankenhausmuseum ganz anschaulich mit den themen der bücher befassen. mit dem dort bzw. in den büchern zusammengetragenen material lässt sich letztlich auch die privatisierung in der psychiatrie besser und fundierter einschätzen.

Sonntag, 15. Juli 2007

assoziation: das "wärme-geschäft" des richard nixon

aus dem nachlaß des ehemaligen us-präsidenten richard nixon - eine dokumentation von als-ob-strategien :

(...)"Offenbar wollte Nixon, von einer politischen Gegnerin mit dem Beinamen Tricky Dick versehen, vom Wahlvolk geliebt werden wie der ermordete John F. Kennedy. Doch im Vergleich zu dem ehemaligen Rivalen, der ihn im Präsidentschaftswahlkampf 1960 geschlagen hatte, wirkte Nixon unelegant, uneloquent und ungelenk. Seine Regierung vermittelte den Eindruck einer "effizienten, kalten Maschine". Dem wollte er das Bild des warmen, sorgenden Staatsoberhaupts entgegenstellen.(...)

Nixon betrachtete es als einen "ganz schwerwiegenden Fehlschlag der Öffentlichkeitsarbeit", dass die warme, fürsorgliche Seite seiner Persönlichkeit in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft nicht an die Wähler hatte vermittelt werden können. "Was dieses ganze Wärme-Geschäft angeht", bestand Nixon allerdings darauf, die Medien "nicht mit der Nase darauf zu stoßen. Wir erlauben ihnen, solche Dinge zu entdecken."(...)


heute nennt sich das human touch, bleibt aber genau so krank.

(...)"Ohne sein Wissen hatte Ann Whitman, die Sekretärin Eisenhowers, dessen Vizepräsident Nixon gewesen war, schon Jahre zuvor die perfekte Lösung für Nixons Image-Problem gefunden. Nixon verbringe zu viel Zeit damit, wie ein angenehmer Mensch erscheinen zu wollen, meinte Whitman, anstatt einfach einer zu sein."

und damit ist das dilemma der vermutlich meisten mitglieder der macht-"eliten" bzw. speziell der "politischen klasse" bestens auf den punkt gebracht: wären sie "angenehme menschen" (frei übersetzt: fähig zum authentischen sein) - würden sie nicht den kompensatorischen wahn nach macht verspüren, der sie erst dorthin bringt, wo sie sind - und wo sie sich dann als authentisch verkaufen müssen.

Montag, 25. Juni 2007

assoziation: eine antwort an "scardanelli"

da der kommentar von "scardanelli" neulich zum letzten beitrag anläßlich des "autistic pride day" etliches interessante enthält und deutlich macht, gebe ich meine antwort mal wieder in form eines eigenen beitrags - das halte ich für übersichtlicher.

*

"1. Der jW-Artikel umfasst etwa 6000 Zeichen, die "Assoziationen" dieses Bloggers haben die dreifache Länge, und selbst philosophisch gebildete Leser wie ich haben einige Mühe, zu verstehen, worum es geht. Der Blogger täte gut daran, einmal einen knappen Zeitungsartikel für ein breiteres Publikum zu schreiben. Dann wüsste er, dass für blanke "Assoziationen", etwa Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen Newtons Autismus und seinem Weltbild, darin kein Platz bleibt."

liebe/r scardanelli, Sie beginnen Ihre kritik mit einem doch sehr eigenartigen einstieg - ich habe jedenfalls auch zukünftig nicht vor, mich bei der kommentierung von fremdartikeln an formalen eigenheiten von diesen zu orientieren statt am inhalt. und dazu würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal genauer mit dem sinn der rubrik "assoziation" in diesem blog zu beschäftigen - dazu gibt´s hier zu beginn mehr zu lesen.

"2. Der Blogger dagegen ordnet die jW in der Schublade "Traditionsmarxismus" ein und führt das Fehlen einer Betrachtung über den von ihm gemutmaßten Zusammenhang bei Newton auf diese Zugehörigkeit zurück. Das ist wirklich in jeder Hinsicht Unsinn. Erstens ist das Feuilleton der jW, dessen Redakteur diese Wissenschafts-Seite gestaltet hat, nicht in "traditionsmarxistischer" Hand. Auch der Autor des zitierten Artikels dürfte kaum der Kategorie "Traditionsmarxismus" zuzuordnen sein. (Er nimmt sich auch nicht in "sympathisierender neulinker Tradition" der Forderungen von AutistInnen an, sondern er ist selbst Asperger-Autist.)"

danke für die letzte information, die ich eigentlich als angabe zum autor sowohl in der jungen welt als auch in der analyse & kritik erwartet hätte, wo eine etwas längere variation des jw-textes veröffentlicht wurde. die bezeichnung "traditionsmarxistisch" diente im übrigen als generelle aussage zur "jungen welt", ohne ein bestimmtes ressort oder autorInnen konkret zu meinen. an dieser stelle kann ich übrigens auch meinen eindruck von Ihnen, "scardanelli", genauer äußern: Sie legen bisher sowohl formalistische kriterien als auch ein relativ wortwörtliches verständnis bei Ihrem kommentar an den tag - und erfüllen damit ironischerweise selbst in sehr allgemeiner weise einige asperger-eigenschaften.

"Zweitens sind unter Menschen mit Autismus Weltbilder aller Art anzutreffen. Deshalb entbehrt die Behauptung eines Zusammenhangs von Newtons wissenschaftlichem Denken mit seiner autistischen Persönlichkeit jeder Grundlage. Die autistische Persönlichkeit kann Menschen die Kraft geben, sich "ihres Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen" (Kant). Mit Physik oder mit einem mechanistischen Weltbild hat sie dagegen an sich nichts zu tun."

nun, auf die - mir durchaus plausibel erscheinende - idee, bezgl. newton diesen zusammenhang zu vermuten, sind lange vor mir bereits andere leute gekommen - vielleicht lesen Sie sich einmal, falls Sie es noch nicht getan haben, diesen beitrag durch. denn da stehen einige meiner meinung nach durchaus ernstzunehmende argumente für den genannten zusammenhang.

zum anderen aber: wenn Sie bei newton so argumentieren, dann verstehe ich Ihr schweigen zu den vom autor in der jw genannten anderen beispielen von "genialen persönlichkeiten" mit vermutetem autistischen hintergrund nicht so recht. sollten Sie dann nicht auch die gleiche aussage bezgl. michelangelo, einstein, bill gates & co. treffen? wenn beliebige kulturelle bzw. wissenschaftliche produktionen "nichts" mit einer autistischen persönlichkeit zu tun haben sollten, wäre es dann aus Ihrer perspektive nicht nötig, den autor zu kritisieren, der diesen zusammenhang selbst explizit herleitet (und u.a. genau damit als begründung für die "neurologische vielfalt" argumentiert)?

meine eigene meinung zum zusammenhang zwischen (immer auch gesellschaftlich bedingter) psychophysischer struktur eines menschen und seinen/ihren weltbildern, produktionen etc. lässt sich an vielen stellen im blog nachvollziehen und steht - wie Sie es sich sicher denken können - der Ihrigen konträr entgegen.

"3. So sind auch die Mutmaßungen des Bloggers über einen Zusammenhang zwischen "Kapitalismus als verdinglichender Megamaschine" und Autismus als "objektivistischer", "objektfixierter" und "verdinglichender" Wahrnehmung nichts weiter als eine Luftnummer eines second-hand-adornitischen Ideologiekritikers."

ein rhetorisch fulminanter satz, der sich inhaltlich jedoch als fragwürdig erweist...

"Wir wissen doch gar nicht, ob Autismus heute wirklich häufiger ist als früher. Er wird bloß häufiger erkannt."

...weil ich annehme, dass Sie selbst bereits von der auffälligen ballung (asperger-)autistischer diagnosen in it-zentren wie dem silicon valley gehört haben (die übrigens auch an einem britischen standort der high-tech-industrie, nämlich rund um cambrigde, zu verzeichnen ist)? es ist durchaus mehr als eine "luftnummer", hier die manifesten auswirkungen einer den modernen kapitalismus absolut prägenden branche zu vermuten. ich sehe darin eher die spitze des eisbergs, weil sich gerade in der it-branche und ihren produkten wesentliche strukturelle eigenschaften des kapitalismus mit am deutlichsten manifestieren: abstraktion, virtualisierung, beschleunigung, ortlosigkeit, binäre logik u.a. - alles eigenschaften, die der verdinglichung von menschen (bzw. überhaupt allem lebendigen) notwendig zugrunde liegen bzw. voraus gehen. und zumindest für den it-bereich kann Ihre obige aussage als nicht zutreffend bezeichnet werden.

"Außerdem, was die ideologiekritischen Kategorien des Bloggers angeht: "Verdinglichung und verdinglichtes Denken haben auch die Bedingungen einer Welt ohne Mangel geschaffen" (Adorno).

in anderen worten hat das ja temple grandin formuliert, die ich in meinem ursprungsbeitrag zitiert habe. ich habe da allerdings auch noch einiges angemerkt, was ich an dieser stelle in anderen worten nochmal so formulieren könnte: "die welt ohne mangel" ist bisher erstens nur für eine kleine (und auch in der verteidigung ihrer privilegien zunehmend extremistischer werdende) minderheit aller menschen realität; zweitens ist in solchen aussagen auch immer eine mehr oder weniger große blindheit gegenüber den potenziell katastrophalen folgen verdinglichender wahrnehmung enthalten - wir haben zwar eine welt mit autos, handys, intimspray und der auswahl unter 20 waschmitteln - aber gleichzeitig eine welt, in der "auschwitz" als synonym für die auf die (traumatische) spitze getriebene verdinglichung weiterhin nachdrücklich gültig ist. die eine seite der medaille ist nicht zu trennen von der anderen, und ich frage mich immer wieder mal, ob die "errungenschaften" der technischen "zivilisation" inzwischen nicht primär zur kompensation ihrer zunehmend offensichtlicher werdenden mörderischen folgen/seiten genutzt werden.

"4. Natürlich ist die im postfordistischen Kapitalismus dauernd verlangte "Teamfähigkeit" und "Flexibilität" von Grund auf fremdbestimmt, das bringt der Blogger völlig richtig auf den Punkt. Aber das steht doch gar nicht im Gegensatz zu dem, was in dem Artikel gesagt wird."

nein? hat der jw-autor in seinem text nicht gerade diese behaupteten eigenschaften - und zwar ohne ihren simulativen charakter zu hinterfragen - als argument dafür gebracht, dass sich (asperger-)autistische menschen eben nicht in diesen strukturen bewegen können? das thema der simulation ist an dieser stelle entscheidend, und ich habe ja selbst darauf hingewiesen, dass der asperger-variante des autismus bisher weitgehende simulationsunfähigkeit attestiert wird. wenn Sie sich hingegen die im ursprünglichen blogbeitrag zum thema simulation verlinkten älteren blogartikel hier angeschaut haben, haben Sie vielleicht auch festgestellt, dass ich mich hier auf einige theoretische ansätze beziehe, die die existenz von simulationsfähigen autismusvarianten - mit fließenden grenzen gerade zum asperger-syndrom - nahe legen. und vor diesem hintergrund ist die behauptete ausschließende wirkung von bspw. simulierter "teamfähigkeit" für "aspies" nicht besonders überzeugend, und ebenso nicht bei einer näheren betrachtung der verhältnisse in der it-branche.

"Die Frage ist allerdings, ob es nicht auch in einer nicht mehr kapitalistischen, auf der Selbstorganisation der ProduzentInnen beruhenden Gesellschaft ein Recht auf Partizipation in einem Einzelgänger-Modus geben sollte."

nun, damit rennen Sie bei mir offene türen ein - und das sage ich vor dem hintergrund ganz eigener erfahrungen. allerdings halte ich den ausdruck "einzelgänger-modus" für eine nicht unwesentliche beschönigung von schweren wahrnehmungsbe- und einschränkungen, deren psychophysisch pathologische struktur ich nicht hinter phrasen wie "neurologische vielfalt" u.ä. versteckt sehen möchte. das bedürfnis nach zweitweiligem alleinesein halte ich innerhalb einer authentischen subjektivität für völlig normal - ebenso wie das bedürfnis nach kollektivität, die auf funktionierenden beziehungsfähigkeiten beruht. und gerade die sind im gesamten autistischen spektrum eben nicht bzw. nur sehr eingeschränkt bzw. verändert vorhanden - der "einzelgänger-modus" beruht hier letztlich nicht auf einem zeitweiligen authentischen bedürfnis oder einer freien entscheidung, sondern stellt eine art zwangsweiser existenzweise dar, deren hypothetische dominanz für die menschliche spezies - jedenfalls so, wie wir ihre positiv sozialen fähigkeiten leider nur in ansätzen kennen - das aus bedeuten würde. unter anderem aus diesem grund sehe ich geschichten wie den "autistic pride" sehr skeptisch.

"5. Die in dem Blog evozierte Vorstellung vom autistischen Programmierer, der an der Technik an sich seine helle Freude findet und sich nicht darum schert, was mit dem Resultat seiner gründlichen Arbeit angerichtet wird, ist ein Klischee, das mit der Realität von AutistInnen sehr wenig zu tun hat. "Aspies" sind sehr häufig zugleich hochsensible Persönlichkeiten, denen man wirklich nicht unterstellen sollte, sie wären scharf auf technische Selbstbefriedigung ohne Rücksicht auf die Folgen."

das mag für "klassische" asperger ja weitgehend zutreffen; aber wie sieht es mit dem "versteckten" autismus innerhalb von forschung und wissenschaft aus? ich halte es aus meiner perspektive eben nicht für zulässig, das sozusagen "reine" autistische spektrum als irgendwie bizarre besonderheit am rande der menschlichen möglichkeiten zu bestaunen - ich halte eine wahrnehmung für zutreffender, die die klassischen autismus-varianten (bzw. ihre wesentlichen eigenheiten) als paradigmatisch auch für mögliche psychophysische zustände aller menschen begreift - in verschiedenen variationen, anteilen und kombinationen. zu diesem ansatz trägt übrigens auch meine ganz persönliche erfahrung mit entsprechenden zuständen bei mir und anderen bei.

"6. Natürlich ist simulierendes Verhalten in gewissem Maße eine notwendige Bedingung von Humanität. Natürlich bin ich freundlich zu anderen, auch wenn ich eigentlich gerade depressiv oder schlecht gelaunt bin - denn dafür können die anderen nichts."

so? ohne jede einschränkung? ich würde ja eher dazu tendieren, innerhalb von nahen sozialen beziehungen meinen jeweiligen zustand kenntlich zu machen, um erstens dadurch für andere transparenter zu werden (mit der möglichkeit eines größeren verständnis -> neue handlungs-/umgangsoptionen); zweitens meinen zustand u.u. dadurch auch selbst verändern zu können; und drittens der anstrengung von permanenter simulation zu entkommen. Ihre oben zitierte vorgehensweise hat eigentlich nur berechtigung im sog. öffentlichen raum; und selbst da würde ich an etlichen stellen eine möglichkeit der vermittlung eigener authentischer zustände begrüßenswert empfinden (letzteres hat übrigens nix mit der simulierten "offenheit" von exhibitionistischen talkshows oder dergleichen zu tun).

"Natürlich ist keine entwickelte Subjektivität möglich ohne Vermittlung und Entäußerung. Ein Asperger-Syndrom ist nun eben nicht einfach die permanente und totale Abwesenheit von Simulations- und Vermittlungsfähigkeit. Aspies sind genauso lern- und entwicklungsfähig wie andere Menschen (manchmal sogar mehr als andere), bloß läuft die Entwicklung bei ihnen anders ab. Wenn Aspie-Kinder sich besonders für Gegenstände wie Waschmaschinen interessieren, heißt das noch lange nicht, dass sie das lebenslang tun. Es ist doch überhaupt nicht wahr, dass Aspies keine soziale Kompetenz besäßen. Sie erwerben sie anders, in der Regel später als NTs und dadurch auch bewusster."

Sie verschleiern hier schlicht den qualitativen unterschied zwischen authentischer und simulierter sozialer kompetenz. wenn "aspies" ersteres als strukturelle eigenart ihrer persönlichkeit aufweisen würden - gäbe es sie nicht als "aspies". die "bewusstere erwerbung" beruht ja gerade darauf, dass sie den objektistischen modus ihrer wahrnehmung besonders schulen und trainieren müssen, um überhaupt ein leidlich realitätsfähiges simulatives niveau zu erreichen. das das letztere dann u.u. auch "NTs" beeindrucken kann, dürfte eher mit einer mehr oder weniger großen schädigung der eigenen authentischen fähigkeiten bei diesen zusammenhängen (was dann, nebenbei gesagt, auch zu solch grotesken verhaltensweisen führt wie denen, die alleine aus pr- und imagegründen konstruierte und simulierte "soziale kompetenz" großer konzerne für bare münze zu nehmen).

"Das kann enorme Stärken mit sich führen, z.B. sogar ein starkes soziales Engagement."

meinen Sie damit auch solche leute wie bill gates?

"Den Gerechtigkeitssinn von Aspies mit dem Formalismus der Justiz in Verbindung zu bringen, ist wieder einmal eine der oben bereits kritisierten, völlig willkürlichen und unbegründeten "Assoziationen"."

suchen Sie einmal im index oder der recherche nach beiträgen, die sich hier genauer mit verschiedenen justiziellen urteilen beschäftigen. dann werden Sie vielleicht nachvollziehen können, das von "völlig willkürlich und unbegründet" keine rede sein kann.

"7. Für den Autistic Pride engagierte Aspies verlangen nicht, dass alle Menschen autistisch werden sollen. Sie erkennen die Fähigkeiten von NTs an und verlangen nur, dass diese reziprok ebenso verfahren. Insofern ist jede Überlegung darüber, wie eine nur aus AutistInnen bestehende Menschheit aussähe, völlig unsinnig."

"Bei autistischen Personen ist inzwischen eine starke Tendenz, zu sagen, die Welt sollte sich ihnen anpassen." (zitat temple grandin; quelle hier enthalten).

das sagte grandin über ihre mitbetroffenen. und bei sowas werde ich einfach hellhörig, weil es erstens angesichts verschiedener, mit autismus in zusammenhang gebrachter eigenschaften und besonderer fähigkeiten, die zweitens zumindest teilweise eine schnittmenge mit favorisierten strukturellen eigenschaften der heutigen kapitalistischen gesellschaft aufweisen, wohl nicht so abwegig ist anzunehmen, dass sich drittens autistische betroffene vor diesem hintergrund daran machen könnten, ihren eigenen zustand entsprechend umzudefinieren - eine dekonstruktion der behinderung hin zu einer konstruktion von normalität. warum sie damit gar nicht mal so unrecht haben, hatte ich im ausgangsbeitrag versucht zu skizzieren. aber das bedeutet keinesfalls, die gründe und v.a. die implikationen eines solchen projektes kritiklos hinzunehmen.

"8. Wirkliche Gleichheit wäre die Freiheit, ohne Angst verschieden sein zu können (Adorno)."

ja. und? nochmal: ich rede hier nicht von einer bloßen "verschiedenheit". ich habe absolut nichts dagegen - im gegenteil - für wie auch immer psychophysisch geschädigte menschen alles notwendige zu tun bzw. bereitzustellen, was deren leben erleichtern kann. ich habe allerdings etwas dagegen, real vorhandene einschränkungen und behinderungen - aus welchen gründen auch immer - quasi zu de-konstruieren (und dieses vorhaben würde ich Ihnen unterstellen). autismus stellt eine qualitative und ernsthafte beschädigung ganz elementarer menschlicher sozialer fähigkeiten dar - mit der betonung auf beschädigung!

"9. Die autistische Seinsweise ist nicht antisozial. Sie ist auf andere Weise sozial als die neurologisch typische."

etwas polemik gefällig? nach dieser logik ist letztlich auch ein soziopath nur "anders sozial".

"10. Was der Blogger gegen Ende als Konzept von Geschichte skizziert, ist nicht schlecht. Ärgerlich ist nur, dass er sein "Wissen" über Autismus, das er munter zu allen möglichen und unmöglichen "Assoziationen" verrührt, anscheinend aus auf veralteten Theorien beruhenden populärwissenschaftlichen Magazinen hat. In diesem Text ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Blogger irgendwelche reale Erfahrung mit autistischen Menschen hätte."

wenn Sie sich nochmals die mühe machen würden, im index nach den verschiedenen beiträgen zum autistischen spektrum zu recherchieren, wäre Ihnen Ihre polemik mit den "populärwissenschaftlichen magazinen" vermutlich selbst peinlich. dann aber: was sollen denn die nicht "veralteten theorien" darstellen? etwa der ausschließliche bezug auf irgendwelche gene (wahlweise auch umweltgifte und impfungen, wobei letzteres inzwischen als widerlegt gilt)? zur rolle der gene lesen Sie bspw. einmal joachim bauer - das könnte Ihnen dabei helfen, eine nicht dissoziierende wahrnehmungsposition bei dieser frage einzunehmen (ob irgendwelche gene nämlich bei autistischen menschen nicht oder anders fuktionieren, ist definitv keine antwort zur frage nach der entstehung). dazu wäre es einmal auch interessant, sich genauer die rolle der selbsthilfebewegung, und da besonders die betroffenen eltern, anzuschauen - nicht nur hier, sondern auch durch die erfahrungen mit eltern von "schizophrenen", liegt nämlich der eindruck nahe, dass bevorzugt erklärungsmodelle gefördert werden, die bei derartigen zuständen besonders unpersönliche - und damit eltern/familien und letztlich die gesellschaft entlastende - ursachen für schwere psychophysische einschränkungen annehmen. "die gene" stellen da heute den absoluten favoriten dar, obwohl eben das nach den jüngsten forschungen kaum mehr haltbar ist.

diese verhaltensweise betroffener eltern besonders von als schizophren diagnostizierten, mit dem daraus folgenden teils enormen druck auf involvierte medizinerInnen, dürfte einen nicht unerheblichen anteil daran haben, dass sich innerhalb der psychiatrie nach der phase der besonders die dysfunktionalen sozialen verhältnisse thematisierenden psychiatrischen strömungen (laing u.a.) der späten 1960er und 70er jahre seit den 80ern wieder mehrheitlich eine eher reduktionistische und im schlechten sinne biologistische sichtweise auf schizophrene phänomene durchgesetzt hat. und wenn ich mir die teils rigorose abwehr betroffener eltern von autistInnen gegenüber jedem ansatz anschaue, der auch nur entfernt eine mögliche beteiligung seitens betroffener familien / eltern in betracht zieht, so fällt die parallelität des verhaltens mit dem eben skizzierten bezgl. schizophrenie krass ins auge. von sich als "links" verstehenden medien wie der "jungen welt" und auch der "a & k" würde ich mir bei solchen fragen einfach mehr erwarten - und nicht nur lediglich eine wiedergabe weitgehender selbstbeweihräucherung betroffener - was in diesem fall aus meiner perspektive umso mehr zutrifft, als das selbstbetroffenheit des autors beim thema nicht erwähnt wurde.

und ob ich selbst erfahrungen mit autistischen menschen habe? aus dem kontext von kliniken, kindergärten etc. nicht. ansonsten: mehr, als mir manchmal lieb ist.

Montag, 18. Juni 2007

assoziation: der "neurologischen vielfalt" und dem heutigen "autistic pride day"...

...hat die junge welt vor ein paar tagen einen artikel unter dem sinnigen titel gerechtigkeit und waschmaschinen gewidmet, der sich in sympathisierender (neu-)linker tradition einiger zentraler forderungen der selbsthilfebewegung autistischer menschen annimmt - und diesem vorhaben möchte ich ein paar kommentare meinerseits anschließen.

*

nach dem einstieg ins thema, bei dem sich der autor auch hier hinsichtlich des autismus am bewährten evergreen von den "genialen menschen" sowie der "skurrilen" verhaltensweisen von "berühmtheiten" bedient hat, gibt´s etwas historie:

(...)"Über Isaac Newton wird berichtet, daß er Vorlesungen auch dann hielt, wenn gar keine Hörer kamen, und als er einmal Freunde eingeladen hatte und Wein aus dem Keller holen wollte, kam er nicht wieder – man fand ihn in Betrachtungen vertieft. Der Volksmund spricht von »zerstreuten Professoren«. Heute weiß man, daß deren Verschrobenheit oftmals einen neurologischen Grund hat. Der österreichische Psychia­ter Hans Asperger (1906–1980), der sich in den 1930er Jahren mit hochbegabten Kindern mit gestörtem Sozialverhalten beschäftigte, sah hier eine »autistische Psychopathie«, und er vermutete sogar, daß intellektuelle Höchstleistungen ein gewisses Maß an Autismus voraussetzen."

vielleicht ist es zuviel verlangt, vom autor in einem - na, sagen wir mal, "traditionsmarxistischen" und dementsprechend einem klassisch materialistischen weltbild verpflichteten blatt zu erwarten, sich möglicherweise mal ein paar mehr gedanken zu möglichen zusammenhängen zwischen newtons persönlichkeit und seinem weltbild zu machen? immerhin ist die wiedergebene vermutung von asperger, "ein gewisses maß an autismus" sei eine voraussetzung für intellektuelle höchstleistungen, beim heutigen erkenntnisstand nicht ganz von der hand zu weisen - j.e. mertz hat das in der griffigen metapher vom "gewöhnlichen autismus der gesunden person" zusammengefasst, um den es hier aber nicht geht.

"Der Begriff »Autismus« wird allerdings in erster Linie mit einer geistigen Behinderung assoziiert. Auch hier hat, ungefähr zeitgleich mit Asperger und unabhängig von ihm, ein österreichischer Arzt Pionierarbeit geleistet: Leo Kanner (1896–1981) (...)

Der von Kanner beschriebene »frühkindliche Autismus« fällt als schwere Entwicklungsstörung auf und ist seit den 1960er Jahren eingehender erforscht worden. Die Betroffenen bleiben in den meisten Fällen lebenslang auf Hilfe und Betreuung angewiesen. Manche von ihnen verblüffen allerdings durch »Inselbegabungen«, außergewöhnliche geistige Fähigkeiten in eingegrenzten Teilbereichen wie etwa sensationelle Rechen- oder Gedächtnisleistungen."


das thema der "savants" wird eingehender u.a. in der immer wieder mal wiederholten tv-reihe expedition ins gehirn auf arte behandelt.

"Das Phänomen, dem Hans Asperger nachging, ist weniger dramatisch, und Aspergers Arbeiten sind lange Zeit kaum beachtet worden."(...)

ob das phänomen bei näherer betrachtung wirklich "weniger dramatisch" ist?

(...)"International bekannt wurden Aspergers Schriften erst in den 1980er Jahren, als die britische Psychologin Lorna Wing sie in englischer Übersetzung herausgab. Sie prägte die Bezeichnung »Asperger-Syndrom«, dieses ist seit 1992 von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt.(...)

Anders als beim Kanner-Autismus sind »aspergische« Kinder durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligent. Ihre Sprachentwicklung setzt nicht (oder nur wenig) verzögert ein und erreicht in kurzer Zeit ein sehr »erwachsenes« Niveau – bloß mit der Besonderheit, daß sie extrem auf den wörtlichen semantischen Gehalt der Rede fixiert sind und den der Alltagskommunikation innewohnenden pragmatischen Hintersinn nicht verstehen."


mir ist nicht so recht klar, was hier der ausdruck "pragmatischer hintersinn" bedeuten soll - eine meiner meinung nach typische besonderheit im asperger-kommunikationsverhalten besteht eher darin, doppelbedeutungen und metaebenen, auch und gerade non-verbaler, körperlich ausgedrückter art, nicht wahrnehmen zu können - auch ironie gehört hier zb. dazu, und macht aus der nicht-autistischen erfahrung heraus in vielen fällen keinesfalls irgendeinen "hintersinn", sondern dann gerade den eigentlichen inhalt aus. im übrigen hat die erwähnte fixierung - von außen betrachtet - auch durchaus ihre humoristische seite: so ist in einschlägigen foren für "aspies" immer wieder mal die geschichte vom asperger-autisten zu finden, der in einem kleinen kaff übernachten will und pünktlich kurz vor zehn gespannt aus seinem hotelfenster blickt, um das ihm von einem einheimischen angekündigte hochklappen der bürgersteige um diese zeit auch ja nicht zu verpassen - das bringt das wortwörtliche verständnis auf den punkt.

"Im Vor- und Grundschulalter gehen sie oft bizarr anmutenden Spezialinteressen mit großer Intensität nach, beschäftigen sich mehr mit Gegenständen wie Waschmaschinen oder Dachrinnen als mit Menschen. Ähnlich wie Kanner-Autisten meiden sie Blickkontakte und Berührungen und bevorzugen gleichförmige und ritualisierte Routinen, die ihnen zur Strukturierung des Alltags dienen."

und spätestens an dieser stelle wird ein ganz zentraler inhalt autistischer wahrnehmung deutlich, zu dem ich in einem erklärt gesellschaftskritischen medium wie der jungen welt eigentlich mehr fragen erwartet hätte - fragen zb. danach, wie es innerhalb einer nach allgemeinem konsens sozialen und auf vielfältigen beziehungen gründenden spezies wie der menschheit dazu kommen kann, dass sich eine - oder vielleicht sogar die "reinste" - variante von objektfixierter aka objektivistischer, verdinglichender wahrnehmung offensichtlich in den letzten jahrzehnten weltweit ausbreitet? und auch fragen danach, ob es nicht angemessen ist, zwischen dem siegeszug des globalisierten kapitalismus als verdinglichender megamaschine einerseits und der langsam zunehmenden präsenz von irgendwelchen autismusvarianten betroffener andererseits mögliche zusammenhänge, vielleicht gar evolutionärer art, anzunehmen?

stattdessen gibt´s eine beruhigende nachricht:

"Nach außen wirken sie emotional gleichgültig – ohne es tatsächlich zu sein."(...)

ich vermute, dass sich der autor hier besonders auf den streit um die empathiefähigkeiten von autistischen menschen bezieht; vielleicht auch noch auf den punkt der reizüberflutung (mit folgerichtiger wahrnehmungsabschottung nach außen zum selbstschutz). der klarheit halber sollten dann aber auch zustände wie dieser oder auch jener erwähnt werden - denn auch das sind emotionale zustände. oder?

immerhin, jetzt folgt doch noch ein kleiner schlenker zum kapitalismus:

(...)"Die meisten Asperger-Autisten haben keine offensichtliche Behinderung und können ein selbstständiges Leben führen. Weil ihnen die gerade im postfordistischen Kapitalismus fetischisierten Eigenschaften wie »Teamfähigkeit« und »Flexibilität« fehlen, gelingt ihnen meist keine ihren tatsächlichen Fähigkeiten angemessene Berufslaufbahn."(...)

aber ein mehr als ärgerlicher schlenker: erstens, sollen wir den führenden im "forbes-ranking" der weltweit reichsten leute und vermutlich bekanntesten kapitalisten überhaupt nur als ausnahme von der regel ansehen? und wie sieht es zweitens generell in der it-branche aus, die als wirtschaftszweig unser aller leben ja nun nicht unwesentlich beeinflusst? und wie überhaupt in den ganzen sog. neuen technologien, von "bio" bis "nano", in denen zunehmend enorme abstraktionsfähigkeiten - eine der leistungen objektivistischer wahrnehmung - gefordert werden? andererseits: was hat es denn mit der "teamfähigkeit" oder auch den vielbeschworenen "flachen hierarchien" in den ökonomischen strukturen tatsächlich auf sich? hier ist i.d.r. weniger authentische - und befreiende - kollektivität gemeint als vielmehr eine simulation derselben, die nicht geringen leistungsdruck auf die betroffenen ausübt - im interesse der profitrate.

nun wird die asperger-variante des autistischen spektrums im allgemeinen tatsächlich als nicht simulationsfähig angesehen - aber gilt das erstens auch noch unter gesellschaftlichen bedingungen, in denen virtuelle prozesse aller art (v.a. simulierte kommunikation unter ausschluß der körperlichkeit) explosionsartig um sich zu greifen scheinen, und auch in folge dessen zweitens simulierte prozesse als produkt des objektivistischen wahrnehmungsmodus selbst unter grundsätzlich authentizitätsfähigen menschen mehr und mehr im alltag an die erste stelle rücken? bei näherer betrachtung stellen sich bspw. die meisten sog. "geschäftsbeziehungen" als fakes, d.h. beziehungssimulationen, heraus, für die das wort warenbeziehung zwar beliebt, jedoch irreführend ist - es handelt sich schlicht um ein mehr oder weniger anonymisiertes nebeneinander von subjekten, die in ihren "jobs" in verschiedenen objekthaften masken auftreten und dazu neigen, sich selbst und untereinander, erst recht aber die kunden, ebenfalls als - bestenfalls solvente und damit profitable - objekte zu behandeln. von beziehungen, die diesen namen auch verdienen würden, ist dabei keine spur zu entdecken.

und vor diesem hintergrund ist die hypothese durchaus ernstzunehmen, dass derlei verhältnisse selbst "eigentlich" simulationsunfähigen autisten stark entgegenkommen - denn ein "als-ob"-sozialverhalten ist trainierbar, und leute wie temple grandin sind dafür ein ganz gutes beispiel (siehe dazu nochmal den basisbeitrag autismus).

die möglichen simulationsfähigen autismusvarianten (siehe als "verdachtsfälle" hier, hier und auch hier) sind dabei noch nichtmal thematisiert.

jedenfalls ist bei den derzeitigen gesellschaftlichen bedingungen das folgende durchaus schlüssig:

(...)"Viele Menschen mit Asperger-Syndrom und anderen »hochfunktionalen« (selbständige Lebensführung ermöglichenden) Autismus-Varianten wehren sich in letzter Zeit energisch dagegen, daß Autismus nur negativ, durch Defizite charakterisiert und durchweg als »Behinderung« dargestellt wird."

klar - wenn die gesamtgesellschaft in entscheidenden bereichen selbst zunehmend verhältnisse zulässt, die sich als im weitesten sinne autistisch oder zumindest autismuskompatibel (das internet ist dafür übrigens eines der prägnantesten beispiele) begreifen lassen, und das auch noch als "fortschritt" mißversteht - wenn das also der aktuelle status quo ist, dann ist tatsächlich nicht einzusehen, warum die "klassischen" autisten noch länger als "behindert" gelten sollen. allerdings: als emanzipation im authentischen sinn sollte das wirklich niemand begreifen.

"Einer der besten Kenner des Asperger-Syndroms, der australische Psychologe Tony Attwood, schlägt sogar vor, die »Diagnose« des Asperger-»Syndroms« als Pathologie einfach zu vergessen und an ihre Stelle die »Entdeckung« des »Aspie«-Charakters zu setzen. Denn er hat festgestellt, daß unter Menschen mit Asperger-Syndrom mit hoher Regelmäßigkeit mindestens ebensoviele markante positive Charaktereigenschaften wie Defizite anzutreffen sind: Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Vorurteilsfreiheit, Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt, starker Sinn für Gerechtigkeit."

die gewissenhaftigkeit und sorgfalt - böswillig ließe sich auch pedanterie sagen - hat bspw. im bereich der edv-programmierung tatsächlich ihre vorteile, die allerdings nicht unabhängig von der verwendung der dadurch erzeugten produkte zu sehen sind. ein sorgfältig ausgetüfteltes überwachungs- oder waffensystem mag dem mehr oder weniger autistischen programmierer persönlich freude bereiten (und seinen auftraggebern ebenso) - die späteren opfer jedoch müssen dann den mit den oben genannten fähigkeiten assozierten mehr oder weniger starken verlust der empathiefähigkeit regelmäßig mit einbußen ihrer freiheit, gesundheit oder gar ihres lebens bezahlen.

die wahrheitsliebe bzw. aufrichtigkeit ist hier eher als synonym für die ebenfalls als typische asperger-eigenschaft beschriebene unfähigkeit zur lüge zu begreifen, und das ist ein durchaus zweischneidiges schwert. sicher, wahrheitsliebe wird als moralische forderung in dieser gesellschaft allerorten vor sich hergetragen. und lügen sind pfui. hier geht es jedoch um etwas ganz grundsätzliches: es gibt einige indizien dafür, dass die fähigkeit zu fakes/simulationen (und das sind lügen) als grundaussattung in allen menschen nicht nur angelegt, sondern in bestimmten ausmaß sogar absolut notwendig bei der entwicklung einer authentischen menschlichen identität ist. das mag zunächst seltsam klingen, ist aber bei näherer betrachtung durchaus schlüssig:

es geht v.a. um die "kleinen" lügen, mit denen sich bspw. kinder den zur ihrer entwicklung nötigen freiraum innerhalb der ansonsten dominanten kontrolle seitens des erwachsenen umfeldes beschaffen. ebenfalls gibt es bekanntlich durchaus sinnvolle schutzlügen, die aus einer authentisch empathischen wahrnehmung entspringen, ja sogar ausdruck von liebevoller besorgnis darstellen können. ich rede hier nicht von den gewohnheitsmäßigen simulationen von soziopathen; und andererseits auch nicht von der art von wahrheit, wie sie - achtung, polemik - bspw. die historischen nazis bei der völlig korrekten ankündigung ihrer vorhaben bezgl. mord und totschlag "auszeichnete". brutale wahrheiten, die kaum jemand hören wollte, und die womöglich auch aus einer gewissen zwanghaftigkeit heraus entstanden sind. permanente aufrichtigkeit kann massiv und bösartig grenzverletzend sein, und ist eigentlich nicht vorstellbar bei gleichzeitiger anwesenheit von empathie, die in heiklen sozialen situationen korrigierend wirkt.

die kunst besteht vermutlich darin, an den nötigen und wichtigen stellen jeweils wahrhaftig und bei bedarf auch simulativ zu sein - und dazu muss das volle menschliche wahrnehmungsspektrum vorhanden sein.

und der "starke sinn für gerechtigkeit" hat meiner meinung nach verdammt viel ähnlichkeiten mit dem prinzip, nach dem auch die heutige justiz arbeitet - ein nach objektivistischen prinzipien arbeitendes abstraktes netz, welches über alles und jedes geworfen wird - und eben daher kaum jemals wirkliche gerechtigkeit herstellen kann.

"Asperger-Spezialisten gehen davon aus, daß zahlreiche prominente Persönlichkeiten vom Asperger-Syndrom betroffen waren und sind: Newton, Einstein, Kant, Wittgenstein, Michelangelo, Kafka und viele andere. Würde eine »Heilung« solche Menschen nicht ihrer Produktivität berauben?"

das greift wieder eine diskussion auf, die hier im blog an verschiedenen stellen schon geführt wurde - und aus einer dieser debatten eine für mich immer noch gültige antwort:

"es gibt von temple grandin, die hier im zusammenhang mit dem asperger-syndrom als betroffene an anderer stelle zitiert worden ist, ein zitat, welches sinngemäß lautet, dass, "wenn alle menschen nt´s (neurologisch typisch, asperger-slang für "normale") wären, wir heute noch in höhlen sitzen und nur miteinander reden würden".

manchmal frage ich mich aber, ob das nicht vorziehenswerter wäre als die heutige situation. irgendwo habe ich hier im blog auch die aussage eines psychiaters, "psychopathen sind das salz der erde", zitiert - als ferment /katalysatoren für notwendige grenzverletzungen, die erst weiterentwicklungen möglich machen würden, seien sie für alle gesellschaften unverzichtbar. und wenn ich mir dann so die verschiedenen bereiche der kunst betrachte, mit all ihren freakigen protagonistInnen...

und trotzdem: die logik hinter solchen aussagen wie oben finde ich schon nachvollziehbar - aber gleichzeitig finde ich das auch eine implizite glorifizierung von menschlichem leid, die ich nicht vertreten kann und auch nicht möchte.

meiner meinung nach sind - qualitativ! - andere formen von entwicklung auch möglich ohne die vorbedingung, dass gesellschaften dafür erst eine mehr oder weniger große zahl ihrer mitglieder in den wahnsinn treiben müssen. allerdings meine ich damit entwicklungen, die den heutigen gesellschaftlichen normen dessen, was als wünschenswert erachtet wird, in den meisten punkten scharf zuwiderlaufen."


als nachtrag auch noch dieser aspekt: die erwähnte produktivität ist zu einem nicht kleinen teil bis heute für die leidvollen zustände auf diesem planeten mitverantwortlich.

"Seit 2005 feiern Menschen mit Autismus den 18. Juni als »Autistic Pride Day«. Sie verstehen ihn als Aktionstag gegen die Pathologisierung des Autismus und für die Anerkennung der »neurologischen Vielfalt« unterschied­lich begabter Menschen."(...)

die "neurologische vielfalt" unter und in unserer spezies anzuerkennen wäre tatsächlich ein erster nötiger schritt, um viele destruktive phänomene tatsächlich begreifen zu können. sie würde u.a. zu solchen nicht gerade kleinen konsequenzen führen müssen, das heutige justizwesen komplett umzugestalten. sie würde gleichfalls auch meiner meinung nach zu einer qualitativ neuen bewertung von phänomenen wie dem faschismus führen, und sie würde den zustand derjenigen deutlicher machen, die sich - meist als ideologie oder propaganda abgetan - bis heute gegen den gedanken von der gleichheit aller menschen wenden. als abstraktes existiert diese gleichheit, jedoch nicht in der realität. daraus dann aber wiederum die notwendigkeit sozialer/ökonomischer hierarchien abzuleiten, macht etwas deutlich, was mir bis heute kaum begriffen worden zu scheint (wobei ich das selbst sehr schwierig zu begreifen finde und etliche zeit benötigte, bis mir dieser gedanke plausibler erschien):

nämlich die entwicklung von einen begriff der menschlichen geschichte, der die aus den verstrickungen der verschiedenen neurologischen ( bzw. psychophysischen als begriffserweiterung) zustände, in denen sich menschen befinden, resultierenden konflikte und kämpfe als wichtigen und untrennbaren, vielleicht sogar primären teil der bisherigen sozialen auseinandersetzungen mit selbstverständlichkeit beinhaltet.

ansatzweise findet sich dieser gedanke unausgesprochen im hintergrund zb. hier, wobei es mir mit dem dort dargestellten ansatz ähnlich wie mit teilen des gerade kommentierten artikels geht: einige neurologisch-psychophysische "seinsweisen" kommen mit immanent antisozialer tendenz daher - und das ist nichts, was ich als entpathologisierenswert empfinden würde. im gegenteil.

Freitag, 15. Juni 2007

assoziation: elitäre mafiosi? mafiöse eliten? was tun? (teil 2)

(da der ganze komplex vermutlich leider immer mehr platz erfordern wird, füge ich hiermit eine eigene fortsetzung dieses beitrags an - sozusagen das dritte update).

*

mittlerweile gerät auch der "verfassungsschutz" ob seines seltsamen umgangs mit den akten bzw. den methoden seiner informationsgewinnung und -weitergabe stärker in die kritik - auszüge aus einem kommentar von h. prantl in der süddeutschen zeitung:

(...)Man kann den Eindruck gewinnen, dass dort eine Mafia ihre Nester hat, deren Paten, getarnt als anständige Staatsbeamte, auf der Brühlschen Terrasse spazieren gehen; selbst Spitzen der staatlichen Gewalten sollen ja verwickelt sein in Laster und Verbrechen. Die Nachrichten aus Sachsen klingen so, als sei dort die organisierte Kriminalität die eigentliche Staatsgewalt.

Das alles soll sich ergeben aus Stapeln von Akten, in denen der Landesverfassungsschutz langjährige Beobachtungen gesammelt hat. Der Verfassungsschutz aber sitzt auf diesen Akten, als handele es sich um einen Schatz in Privateigentum. Er lässt es zu, dass sich unglaubliche, ja ungeheuerliche Gerüchte entwickeln - und verweigert zugleich die Herausgabe der Akten an die Ermittlungsbehörden."(...)


die frage danach, ob und wo möglicherweise die organisierte kriminalität die eigentliche staatsgewalt darstellt, kann ganz verschiedene antworten nach sich ziehen - abhängig besonders von der definition der ok. die definition eines extrembeispiels macht das deutlich:

(...)"Denn die so genannte "Machtergreifung" Hitlers, die in Wirklichkeit eine "Machtübergabe" an die NSDAP war, deren Anführer noch 10 Jahre zuvor wegen Hochverrats im Zuchthaus gesessen hatte, bedeutete das Ende demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Business Crime Control betrachtet deshalb die damaligen Nazihorden als eine Variante Organisierter Kriminalität. Damit gerät BCC zwar in Widerspruch zu den offiziell anerkannten OK-Definitionen. Aber es bedurfte nicht der Verbrechen, die unter dem NS-Regime zwischen 1933 und 1945 begangen wurden, die vor 1933 genügen vollauf, um den Nachweis für die Behauptung erbringen zu können, dass die NSDAP mitsamt ihren Unterorganisationen die Kriterien eines Verbrechersyndikats erfüllte."(...)

anders gesagt: es gibt durchaus - in diktatorischen systemen sowieso, aber auch in sog. demokratien - als "legal" besonders im jeweils herrschenden formaljuristischen sinne definierte verhältnisse, die bei realistischer betrachtung als manifestationen organisierter kriminalität begriffen werden müssen. immer dann, wenn ein derartig verfasstes staatssystem vorgibt, kriminalität zu "bekämpfen", handelt es sich in wirklichkeit um stinkbanale bandenfehden, die deutlich das kapitalistische konkurrenzprinzip ausdrücken. und das hat weder mit "recht" im formaljuristischen sinne und erst recht nicht mit gerechtigkeit in einem authentisch-menschlichen sinn irgendetwas zu tun.

ich mache diesen kleinen exkurs deshalb, um ein mißverständnis zu vermeiden: ich gehe nicht davon aus, dass es sich bei den sächsischen verhältnissen um eine art "fremdkörper" innerhalb eines doch ansonsten ganz demokratisch verfassten staates handelt. nein, ich gehe davon aus, dass derlei verhältnisse eher einen blick in die eigentliche innere struktur von kapitalistisch organisierten staatssystemen erlauben, und wir möglicherweise vor unseren augen nur einen sichtbar gewordenen teil der alltäglichen machtkämpfe verschiedener fraktionen der herrschenden "eliten" beobachten können, die sich jeweils selbst und gegenseitig nach bedarf, belieben und machtverhältnissen legitimieren/delegitimieren. die klassische mafia (auch als oberbegriff für die gesamte illegalisierte ok gemeint) bringt in ihrem treiben nur die tatsächliche struktur unserer heutigen ökonomie auf den mörderischen punkt. und es fällt schon seit langer zeit schwer, qualitative unterschiede zwischen den aktivitäten großer transnationaler konzerne einerseits und den als organisierte kriminalität bezeichneten strukturen andererseits zu entdecken (mehr zu diesen gemeinsamkeiten hier). ich vermute, das u.a. genau an diesem punkt auch die affinität beider bereiche zueinander liegt.

und wenn die beiden oben genannten es jeweils schaffen, ganze staatsapparate mitsamt ihrer gewaltmittel unter kontrolle zu bekommen, lässt sich spätestens an diesem punkt nicht mehr wirklich sinnvoll eine unterscheidung treffen zwischen "legaler" und "illegaler" macht. um das zu verdeutlichen, hatte ich in einem früheren artikel u.a. zum thema folter klaus theweleit zitiert:

(...)"Kate Millet betont in ihrem Buch immer wieder, daß die Folter nicht im `Illegalen´ passiert, sondern streng staatlich geregelt ist. Die Folter kommt aus dem Zentrum der offiziellen staatlichen Macht, bezeichnet aber einen Umschlagspunkt dieser Macht, den Umschlag ins Kriminelle:

`Das Vorbild ist nicht die Ethik des Kriegers oder des Offiziers, sondern die Mafia, die Kriminalität. Aber es ist eine hochtechnisierte und hochentwickelte kriminelle Gewalt, die alle Vorteile der Verbindung mit der Regierungsmacht auf ihrer Seite hat: Ihr technisches Kernstück ist das große Kommunikationszentrum im Nationalpalast, wo alle Geheimdienstinformationen koordiniert und die Befehle für die Todesschwadronen ausgegeben werden."(...)


nochmal anders: aufgrund ihrer unsichtbaren basis, die sie in den bis heute dominanten antisozialen gewaltverhältnissen der meisten menschlichen gesellschaften besitzen, sind so ziemlich alle bis heute bekannten staatlichen formationen zwangsläufig anfällig sowohl für die infiltration seitens der ok als auch den offenen umschlag in eine beliebige variante derselben. und ob letzterer zustand dann noch formaljuristisch abgesegnet und durch simulation von "demokratischen verhältnissen" verdeckt wird, ist in einem solchen fall völlig egal.

weiter im kommentar:

(...)"Die dubiose Geschichte in Sachsen hat eine Vorgeschichte: Der sächsische Verfassungsgerichtshof hat vor zwei Jahren Teile des sächsischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt - die Teile nämlich, in denen das Gesetz den Geheimdienstlern die Befugnis eingeräumt hatte, Informationen über jegliche Organisierte Kriminalität (OK) zu sammeln.

Das Verfassungsgericht untersagte dies, weil es sich bei der Bekämpfung der OK um klassische Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft handele; das höchste Gericht erlaubte die geheimdienstliche Tätigkeit hier nur insoweit, als dies zugleich dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung diene.

Der Verfassungsschutz (er verfügt dort immerhin über 211 Planstellen) hätte nach diesem Urteil seine Ermittlungstätigkeiten einstellen müssen - und die Akten, soweit sie Hinweise auf Straftaten enthalten, der Staatsanwaltschaft, und, soweit nicht, dem Staatsarchiv übergeben müssen. Weder dies noch das ist geschehen. Warum nicht? Wer hatte daran welche Interessen?"(...)


bei diesem sachstand drängen sich mehrere fragen auf: ist es nicht vielfältig belegbar, dass sog. geheimdienste jeglicher coleur strukturell immer eine art avantgarde darstellen, wenn es darum geht, die zone des jeweils herrschenden rechtsrahmens zu verlassen? (ohne jetzt den aktuellen rechtsrahmen als maß aller dinge hinstellen zu wollen - das ist er meiner meinung nach absolut nicht). ist es bei solchen "diensten" nicht seit eh und je bekannt, dass sie aufgrund ihrer struktur historisch bereits in vielen situationen selbst zu kriminellen oder gar staatsterroristischen institutionen mutiert sind? was meistens auch mit einer instrumentalisierung seitens verschiedener elitärer gruppen für beliebige machtkämpfe verbunden war/ist? speziell zum aktuellen fall ist aber auch die folgende frage zu stellen: wurde hier nicht die grenze zwischen polizei einerseits und geheimdienst andererseits zum wiederholten male überschritten? und sind solche
schleichenden veränderungen in allen möglichen staatlichen bereichen dieses landes nicht immer öfter zu registrieren?

in diesem zusammenhang finde ich auch eine aussage aus einem interview aus der zeit aufschlußreich:

(...)"Der funktionierende Staat bietet ja genau die Strukturen, die die organisierte Kriminalität für ihre Zwecke nutzen will. Sie ist also gerade nicht bestrebt, die demokratische Grundordnung zu gefährden."(...)

es lohnt sich sehr, darüber nachzudenken, was das eigentlich über die "demokratische grundordnung" im vergleich zur ok aussagt.

ohne weiteren kommentar dann noch dieses hier:

(...)" Am 16. Oktober 2002 findet eine ungewöhnliche Razzia in den Räumen der K26 statt. Fünfzig Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) durchsuchen die Büros ihrer Kollegen, nehmen Akten und Mobiltelefone an sich. Anlass ist das angeblich unlautere Verhalten der K26-Beamten bei der Sicherung einer großen Menge Rauschgift. Die Vorwürfe können nicht bewiesen werden, trotzdem wird K26-Chef Georg Wehling vom Dienst suspendiert. Unterdessen nehmen sich zwei LKA-Beamte den ehemaligen Dealer und K26-Informanten Frank F. vor. Sie versprechen ihm Strafmilderung, »wenn ich gegen Herrn Wehling Aussagen machen würde«, schreibt F. in seiner eidesstattlichen Versicherung, die der ZEIT vorliegt. F. geht nicht auf das Angebot ein, er sitzt noch heute im Gefängnis. Das LKA erklärt dazu, dass gegen beide Beamte Anzeige erstattet wurde, die eingestellt wurde.

Wehlings Rechtsanwalt Rainer Wittner glaubt, dass sein Mandant aus dem Weg geräumt werden sollte. »Das K26 war auf ein Beziehungsgeflecht von Leuten aus dem Milieu, Immobilienmaklern, Polizisten und Juristen gestoßen. Da versuchten wohl einige, Leute aus dem K26 kaltzustellen.« Wehling wusste um prominente Fälle. 1993 wurde das Kinderbordell Jasmin ausgehoben, in dem hochgestellte Personen der Leipziger Gesellschaft verkehrt haben sollen. Als dem Bordellbesitzer MichaelW. der Prozess gemacht wird, wird er zu der erstaunlich milden Strafe von vier Jahren Haft verurteilt. Am 16. Mai 2000 erklärt W. dem K26 in einer Zeugenaussage: »Das Gericht hatte großes Interesse daran, dass in der Verhandlung keine ›dreckige Wäsche‹ gewaschen wird, dass ich keine Angaben zur Kundschaft mache.« Das K26 leitet die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter. Angeblich ohne Ergebnis, ein Verfahren wird nicht eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Leipzig gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme dazu ab."(...)

Dienstag, 5. Juni 2007

assoziation: history repeating ?!?

1967:

"sueddeutsche.de: Können Sie auch ein Beispiel nennen für die Eskalation am späteren Abend des 2. Juni?

Soukup: Kurz vor dem abendlichen Einsatz wurde den Polizisten per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt, dass ein Polizist getötet worden war durch einen Demonstranten. Das stimmte nicht, aber hat die Beamten irrsinnig aufgebracht. Selbst wenn die Meldung wahr gewesen wäre, hätte es diese Durchsage nicht geben dürfen – wenn man denn keine Eskalation will."

(quelle)


2007:

"+++ “Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten +++"

(die hintergründe dieser überschrift heute am späten vormittag im ticker des derzeitig völlig am staatstragenden rad drehenden "spiegel online" sowie die tatsächliche realität ausführlich beim spiegelfechter)


***

statt vieler worte diesmal nur das folgende - die schreibtischtäter in den redaktionen wird das nicht groß interessieren, aber dafür vielleicht all diejenigen - auch gerade jüngeren - die der illusion einer friedlichen und rechtsstaatlichen bundesrepublikanischen gesellschaft anhingen - zumindest bisher.

***

philipp müller, im alter von 21 jahren 1952 von der polizei in essen erschossen:

(...)"Eine Konferenz von Vertretern verschiedener Jugendorganisationen am 2. März 1952 in Darmstadt unter Leitung des dortigen Pfarrers Herbert Mochalski, eines engen Vertrauten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, rief zu einer »Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag« am 11. Mai 1952 in Essen auf. Der Aufruf fand bemerkenswert starken Widerhall. Trotz kurzfristigen Verbots der Demonstration am 9. Mai durch den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold (CDU), der zugleich Ministerpräsident war, nahmen etwa 30.000 Personen teil.

Beim Polizeieinsatz zeichnete sich durch besondere Brutalität der "Einsatzgruppe Wolter" und der "Einsatzgruppe Knobloch" aus. Polizeikommissar Knobloch erteilte den Schießbefehl auf die Demonstranten. Zwei Kugeln eines Polizisten trafen Philipp Müller in den Rücken, eine Kugel traf sein Herz tödlich. Durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden außerdem zwei weitere Teilnehmer der Friedenskarawane, der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und ein parteiloser Gewerkschafter aus Münster. Alle wurden von hinten getroffen."(...)


die staatliche version und die juristische reaktion:

(...)"Der eigentliche Grund [für das verbot, mo] war jedoch, dass die seit dem 26. Juni 1951 verbotene FDJ der Veranstalter war. Arnold Haumann, der die Genehmigung bei der Essener Stadtverwaltung beantragt hatte, galt nur als Strohmann. Trotz des Verbotes versammelten sich die Demonstranten gegen Mittag vor dem Eingang der Gruga. Als die Polizei die Versammlung auflösen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Demonstranten und Polizisten verletzt und der 21jährige Philipp Müller von einer Kugel tödlich getroffen wurde.(...)

Während KPD die Polizei als "Mörder" anprangerte, wies die Polizei darauf hin, dass die Demonstranten nicht nur Steine geworfen, sondern auch von Schusswaffen Gebrauch gemacht hätten. Das Dortmunder Landgericht bestätigte schließlich mit seinem Urteil gegen elf Demonstranten am 20. Oktober 1952, dass die Polizeibeamten in Notwehr gehandelt hätten."


*

benno ohnesorg, im alter von 27 jahren 1967 vom polizisten karl-heinz kurras in berlin erschossen:

(...)"Greiftrupps verfolgten diejenigen, die aus dem Kessel entkamen, bis in Nebenstraßen und Häusereingänge hinein, um „Rädelsführer“ festzunehmen. Dies nannte die Polizei „Füchse jagen“. Zu einem solchen Trupp in Zivilkleidung gehörte Karl-Heinz Kurras von der Abteilung I der Politischen Polizei. Er galt als bester Schütze seiner Einheit und war an diesem Abend unter die Demonstranten gemischt gewesen.

Ohnesorg beobachtete, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann - Hartmut R. - in einen Häuserinnenhof in der Krummen Straße Nr. 66/67 (300 Meter von der Oper entfernt, heute Schillerstraße 29) zerrten. Er trennte sich an der Kreuzung Krumme Straße/Schillerstraße von seiner Frau und folgte mit weiteren Demonstranten dem Mann, um zu sehen, was ihm geschah, und gegebenenfalls zu helfen.

Dabei wurden etwa zehn Personen im Hinterhof von mindestens zehn zivilen und uniformierten Polizisten gestellt. Diese begannen auf sie einzuschlagen. Der Student Götz F. wurde am Boden liegend von drei Beamten verprügelt und getreten. Ein Demonstrant warf einen Taschenschirm auf einen Polizeibeamten, um ihn abzulenken. Dieser nahm den Schirm auf und schlug damit weiter. Die übrigen Studenten versuchten den Innenhof wieder zu verlassen.

Ohnesorg stand wenige Meter entfernt an einer Teppichstange und beobachtete die Szene. Nach anderen Augenzeugen gehörte er selbst zu denen, die der Greiftrupp zuvor aus der Menge herausgegriffen und in den Hof gebracht hatte. Nach Aussage des Demonstranten Reinhard B., der die Szene auf einer Mülltonne stehend beobachtete, trieb die Polizei dann alle Umstehenden hinaus; nur Ohnesorg habe sich noch im Hof befunden und zwischen geparkten PKW zu fliehen versucht, worauf Polizisten ihm den Weg abgeschnitten hätten. Erika S. sah, dass drei Polizisten um Ohnesorg herumstanden und ihn verprügelten, worauf er seine Hände halb erhoben habe. Sie habe dies als Zeichen der Ergebung und Beschwichtigung gedeutet. Der beteiligte Polizeibeamte Horst Geier sagte zunächst aus, Ohnesorg sei von drei Beamten im Griff gehalten worden. Nach weiteren Aussagen habe er sich mit letzter Kraft loszureißen versucht:[13]

...doch in der Nähe stehende Demonstranten hörten noch den entsetzten Ausruf: 'Bitte, bitte, nicht schießen!'

Andere hörten nur den Ruf „nicht schießen“.

In diesem Moment, etwa 20:30 Uhr, fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Der Musikstudent Frank Krüger sagte später aus:[14]

Und dann habe ich das Mündungsfeuer der Pistole gesehen. Das Mündungsfeuer war ungefähr in Kopfhöhe. Im nächsten Moment lag der Student am Boden und rührte sich nicht.

Andere Zeugen bestätigten, sie hätten Mündungsfeuer in etwa 140-150 cm Höhe über dem Boden gesehen und Ohnesorg fallen gesehen. Einige hörten einen Wortwechsel zwischen dem Polizeibeamten Horst Geiger und Kurras:

Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen? - Die ist mir losgegangen.

Ein Tonband, aufgenommen von dem Toningenieur Rainer Bosch vom Süddeutschen Rundfunk, dokumentiert ein Schussgeräusch und gleich darauf einsetzende „Mörder, Mörder!“-Rufe in der Krummen Straße. Zudem ist darauf der Befehl einer männlichen Stimme hörbar:

Kurras, gleich nach hinten! Los, schnell weg!

Mehrere Journalisten - Uwe Dannenbaum, Bernard Larsson, Jürgen Hentschel - fotografierten die Vorgänge im Hof unmittelbar vor und nach dem Schuss. Die Polizisten - darunter der herbeigeeilte Einsatzleiter - versuchten, sie abzudrängen, und brachten Kurras ins Polizeipräsidium."(...)


mediale, staatliche und juristische reaktionen finden sich gesammelt im verlinkten wiki-artikel:

(...)"Auch die Berliner Bildzeitung berichtete am Folgetag, es habe einen Toten gegeben. Abgebildet wurde daneben ein blutender Polizist. Von einem Messerangriff war nichts zu lesen, ebenso wenig von einem Todesschuss. Der Kommentar lautete:

Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.

Am nächsten Tag hieß es:

Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawallradikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer...Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten."(...)

(wie es sich gleicht! mo)

(...)"Nach dem Polizeibericht, der sich ausschließlich auf Aussagen der anwesenden Polizisten stützte, soll Kurras in Notwehr geschossen haben. Dieser gab in den Folgetagen drei verschiedene Versionen des Tathergangs an, die nur im ersten Punkt übereinstimmten: Er habe sich von den Demonstranten bedroht gefühlt, daraufhin seine Waffe gezogen und entsichert.

* Dann habe er einen oder zwei Warnschüsse abgegeben, von denen einer als Querschläger Ohnesorg getroffen habe.
* Im Handgemenge sei seine Waffe versehentlich losgegangen.
* Zwei Männer mit „blitzenden Messern“ hätten ihn, als er am Boden lag, angegriffen, und er habe sich durch Gebrauch der Schusswaffe schützen wollen. Diese Version vertrat er vor den Behörden unwidersprochen monatelang in der Presse und später auch in seinem Prozess."(...)

(...)"Der Todesschütze Karl-Heinz Kurras blieb zunächst im Dienst. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingeleitet. Vor Gericht sagte er aus, er sei in dem Hinterhof von „zwei jungen Männern mit blitzenden Messer“ bedroht worden. Darauf habe er aus seiner Dienstpistole einen Warnschuss abgegeben. Dann sei er „brutal niedergeschlagen“ worden. Dabei habe sich „durch das Zerren und Ziehen der verhängnisvolle zweite Schuss gelöst“, der Ohnesorg traf.

Keiner von 83 Zeugen - auch keienr der beteiligten Kollegen von Kurras - hörte einen Warnschuss, sah Messer, ein Handgemenge und Kurras am Boden liegen. Keiner der Festgenommenen hatte Messer oder andere Waffen bei sich. Das tödliche Geschoss war ebenso wie ein zweites Projektil unauffindbar. Auch das Schädelstück, das die Kugel durchschlagen hatte, blieb verschwunden. Eine Spurensicherung am Tatort hatte nicht stattgefunden; das Pistolenmagazin von Kurras war sofort ausgetauscht worden. Zudem stellte der Richter fest, Ohnesorg habe selbst am Boden gelegen und sei wahrscheinlich sogar noch nach dem Todesschuss verprügelt worden.

Doch die 14. Große Strafkammer des Landgerichts Moabit sprach Kurras am 21. November 1967 frei. In der Urteilsbegründung hieß es, das Gericht habe „keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung oder eine beabsichtigte Körperverletzung durch einen gezielten Schuß“ gefunden. Es sei „nicht widerlegbar, dass er sich in einer lebensbedrohlichen Lage glaubte“. Die Reaktion auf eine subjektiv angenommene Bedrohung nannte das Gericht „putative Notwehr“ und schuf damit einen bis dahin unbekannten Rechtsbegriff."(...)


*

olaf ritzmann, im alter von 16 jahren 1980 in hamburg im rahmen eines polizeieinsatzes nach einer demonstration gegen franz-josef strauß vor die s-bahn getrieben:

(...)"Sehr geehrte ‚Spiegel‘-Redaktion! Beiliegend schicke ich Ihnen einen ‚Offenen Brief an den Innensenator‘, den ich schrieb, nachdem mich die Nachricht vom Tode Olaf Ritzmanns, des mittelbaren Opfers des Polizeieinsatzes vom 25.8.1980 auf dem S-Bahnhof Sternschanze, erreichte und erschütterte.

Nach meiner Überzeugung kann der Polizeieinsatz gegen die auf dem Heimweg befindlichen Strauß-Gegner einzig den Zweck eines ‚Rachefeldzuges‘ verfolgt haben, denn die Angegriffenen – ihre Kundgebung war längst beendet – standen friedlich wartend auf dem Bahnsteig (es wurde auch während des Einsatzes niemand verhaftet). Die tatsächlich geworfenen Steine dienten lediglich als Abwehr der Polizisten, die, indem sie mit Gummiknüppeln auf ihre Schilde schlugen, einen furchterregenden Lärm machten, wobei sie keilförmig gegen die Menschen vorrückten. Dieser Lärm und die Tränengasgranaten, die in die Menge geworfen wurden, waren der Grund für die Panik, die Olaf Ritzmann und viele andere – vom Gas fast blind – auf die Gleise trieb; auf dieser ziellosen Flucht ereignete sich dann in einiger Entfernung vom Bahnsteig der schwere, tödliche Unfall.

Da ich der Meinung bin, daß die Polizei ein solches Verhalten vorhersehen mußte, sie aber trotzdem so brutal vorging, ja sogar den anderen Ausgang des überfüllten Bahnhofes abriegelte, muß ich der Polizei bzw. der Einsatzleitung die Schuld für Olaf Ritzmanns Tod geben.
Deshalb schrieb ich den ‚Offenen Brief‘ mit der Bitte um lückenlose Aufklärung und Bestrafung der schuldigen Beamten. Da der ‚Spiegel‘ für seine faire, objektive Berichterstattung, aber auch für seine kritische Haltung der Staatsmacht gegenüber bekannt ist, bitte ich Sie um den Abdruck des ‚Offenen Briefes‘. Es muß auch einmal die andere Seite gehört werden."
(Leserbrief an den "Spiegel")


mediale, staatliche/justizielle version und reaktionen:

""Die Polizei, die bisher immer nur von einem Einsatz im Sternschanzen-Bahnhof sprach, der um 21.40 begann, bestätigte dem Abendblatt gestern nun doch einen zweiten Einsatz am gleichen Ort."
(Hamburger Abendblatt, 5.9.1980)


"Vier Tage wurde Olaf Ritzmann noch künstlich am Leben gehalten. Erst am Freitag vorletzter Woche durfte der 16jährige Tischlerlehrling sterben. Gehirntot aber war er schon am Montag davor, als er von einem Zug der Hamburger S-Bahn erfaßt und auf die Gleise geschleudert wurde. Auf einen Wink der Polizei hatten die Ärzte das kurze Leben des jungen Mannes noch um ein paar Tage verlängert. Man wollte vermeiden, daß es im Anschluß an die blutigen Auseinandersetzungen nach einer Anti-Strauß-Demonstration auch noch zum Märtyrer-Mythos komme."
(Die Zeit, 12.9.1980)


"Die Anwendung von Tränengasgranaten wird ausdrücklich für den gesamten Demonstrationseinsatz bestritten. [...] Nach Darstellung der Polizei hatte Olaf R. zusammen mit anderen Jugendlichen den Bahnsteig verlassen und war auf den Gleisen bis zu einer Eisenbahnbrücke gegangen. Von dort seien Polizeibeamte, die sich unterhalb der Brücke im Einsatz befanden, mit Steinen beworfen worden. Als die Polizei nicht auf die Brücke gekommen sei, hätten sich die Jugendlichen auf den Rückweg zum Bahnsteig gemacht. Dabei sei Olaf R. von dem Zug, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, angefahren worden. Erst danach sei ein Gruppe Bahnpolizei und später Schutzpolizei auf den Bahnsteig gekommen."
(taz, 1.9.1980)

"Der Hamburger Staatsanwalt Klein hat am 11. April 1983 das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Tod von Olaf Ritzmann abgeschlossen. Der Tod des 16jährigen Tischlerlehrlings, der bei der Anti-Strauß-Demonstration am 25. August 1980 am S-Bahnof Sternschanze von einer Bahn überfahren wurde, bleibt danach ungesühnt. Klein kam nach fast dreijähriger Ermittlung zu dem Ergebnis, daß ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz im Bahnhofsgebäude und dem Tod des Jungen nicht besteht. ‚Die gegen Polizeibeamte in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe sind unbegründet, zumindest aber nicht nachweisbar‘, schlußfolgerte der Staatsanwalt."
(taz, 2.5.1983)


*

klaus-jürgen rattay, im alter von 18 jahren 1981 während eines polizeieinsatzes nach der räumung mehrere besetzter häuser in berlin von einem bus überrollt:

(...)" Der neue CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker, mit Heinrich Lummer als Innensenator, beschließt, ein Exempel zu statuieren und acht Häuser räumen zu lassen. Den Besetzern wird ein Ultimatum gestellt, so dass alle Interessierten wissen, wann die Barrikaden brennen werden. Beide Seiten bereiten sich vor. Am Morgen des 22. September rückt die Polizei gleichzeitig in acht Häuser vor. Als die ersten Häuser geräumt sind, will sich Senator Lummer selbst ein Lagebild verschaffen. Durch die Hintertür wird er ins Haus Bülowstraße 89 geschleust, während vor dem Haus Demonstranten stehen, die von der Polizei in Schach gehalten werden. Es dauert nicht lange, bis die Nachricht von Lummers Anwesenheit die Straße erreicht. Drinnen gibt der Senator eine improvisierte Pressekonferenz, draußen versammeln sich Sympathisanten aus anderen besetzten Häusern und rufen „Lummer raus aus unserm Haus“. Ganz vorne dabei ist auch Klaus-Jürgen Rattay.

Lummer zeigt sich kurz auf einem Balkon, was die Wut der Menge weiter ansteigen lässt. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße ab. Dort geraten sie in den Verkehr. Rattay springt auf die Stoßstange eines Busses – die Polizei erklärt später, er habe die Windschutzscheibe einschlagen wollen, Augenzeugen sagen, er habe seine Arme ausgebreitet, um Stopp zu signalisieren. Der Busfahrer hält nicht. Rattay verliert den Halt, gerät unter den linken Vorderreifen. Er wird tödlich verletzt."(...)


staatliche/justizielle reaktionen 1:

"Berlin/Frankfurt (dpa, ap, ddp) - Nach den schweren Verwüstungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in Berlin zog die Berliner Polizei am Mittwoch eine erste Zwischenbilanz. Danach wurden über 100 Polizeibeamte verletzt, davon allein 50 bei den nächtlichen Krawallen im Anschluß an den Schweigemarsch, zu dem sich die Demonstranten nach dem Tod des 18jährigen Klaus-Jürgen Rattay formiert hatten. Rund 50 Personen seien bei Brandanschlägen und Plünderungen festgenommen worden. Insgesamt 143 Polizeifahrzeuge seien beschädigt worden. Über die Zahl der verwüsteten Scheiben und Geschäftsfassaden lagen keine genauen Angaben vor. Die Sachschäden dürften jedoch Millionenhöhe erreichen. Auch im Ausland, in Amsterdam, kam es im Zusammenhang mit den Berliner Vorfällen zu Ausschreitungen.

Bereits am Mittwochvormittag versammelten sich, wie schon am Abend zuvor, an der Unfallstelle in der Berliner Potsdamer Straße, wo am Vortage der an den Demonstrationen beteiligte Klaus-Jürgen Rattay von einem Bus überfahren worden war, wieder eine große Menschenmenge.

Über den Unfallhergang gibt es nach wie vor unterschiedliche Darstellungen. Polizeipräsident Hübner erklärte, es mehrten sich die Zeugenaussagen, die die von der Polizei gegebene Darstellung bestätigten. Danach sei Rattay nicht mit einer Gruppe von Demonstranten von Einsatzkräften der Polizei in die Potsdamer Straße getrieben worden, auf der reger Autoverkehr herrschte. Der junge Mann sei vielmehr auf die Stoßstange des Busses gesprungen und von dort abgerutscht. Die Vertreter von CDU, SPD und FDP hätten das Vorgehen der Polizei ausdrücklich anerkannt. Lediglich der Vertreter der Alternativen Liste (AL) habe sich der Zustimmung nicht angeschlossen.

Auf einer Pressekonferenz im Schöneberger Rathaus präsentierte die AL acht Augenzeugen, die die Version erhärteten, daß Rattay nicht den Linienbus mit Steinen angegriffen habe. Rattay habe sich vielmehr mit einer Gruppe von Demonstranten auf der Flucht vor der anrückenden Polizei befunden. Dabei sei er über eine Kreuzung gerannt, habe den Bus aber zu spät bemerkt und versucht ihn anzuhalten, indem er sich mit erhobenen Händen vor das Fahrzeug gestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine Steine gegen den Bus geworfen worden. Erst als Rattay von dem weiterfahrenden Bus erfaßt und 60 Meter mitgeschleift wurde, hätten einige Demonstranten versucht, durch Steinwürfe den Busfahrer auf das Geschehen aufmerksam zu machen.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Herrman, erklärte zu den Vorgängen, die Linie des Senats sei "angemessen und sachgerecht". Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund erklärte, es sei "endlich an der Zeit gewesen, der Eskalation der Gewalt Einhalt zu gebieten."(...)


reaktionen 2:

(...)"Er wisse bis heute nicht, warum und weshalb es zu dem Tod des 18-Jährigen gekommen sei, sagt der Potsdamer Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig. Der inzwischen 65-Jährige hat damals die Ermittlungen geleitet. "Das ist meine Vergangenheit", sagt Ludwig auf die Frage, was ihm zu dem Namen Rattay einfällt. Kripo und Staatsanwaltschaft hätten sich wirklich um Aufklärung der Todesumstände bemüht. "Es nicht geschafft zu haben, ist kein gutes Gefühl. Das können Sie mir glauben."

Das Problem ist: Es gibt zu viele Zeugen. Je mehr Menschen von der Polizei befragt werden, desto widersprüchlicher werden die Angaben. "Über 100 Zeugen - das ist ein unvorstellbares Ausmaß", sagt der 61-jährige Rechtsanwalt Wolfgang Meyer-Franck. Er hat die Familie des Toten rechtlich betreut. "Es ist wie immer im Leben: Jeder hat etwas anderes gesehen."

Aus den Zeugenaussagen kristallisieren sich zwei Versionen heraus. Der Gerichtsmediziner Schneider fasst sie in seinem Buch so zusammen: Demonstrationsteilnehmer sagen aus, Rattay sei zusammen mit anderen Demonstranten auf die viel befahrene Potsdamer Straße gedrängt worden. Der Fahrer des BVG-Busses sei "dann voll auf den auf der Kreuzung stehenden 18-Jährigen zugefahren".

Bei der anderen Version handelt es sich um die Polizeiversion, unter Berufung auf andere Zeugen: Demonstranten hätten den BVG-Bus mit Steinen beworfen. Dadurch sei die Frontscheibe und die Seitenscheibe der Fahrerkabine zerstört worden seien. In diesem Augenblick sei der mit einer Kapuze maskierte Rattay auf die Stoßstange des Busses geklettert und habe versucht, die Frontscheibe weiter zu demolieren. "Offensichtlich versuchte der Fahrer, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen", zitiert Schneider den Polizeibericht wörtlich. Dabei sei Rattay von der Stoßstange abgerutscht und vor ein Vorderrad geraten. Der Bus habe ihn 80 Meter weit mitgeschleift. Passanten hätten den Fahrer dann auf das Geschehen aufmerksam gemacht.

Hauptbeschuldigte in dem folgenden Ermittlungsfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge sind der Busfahrer und ein Einsatzleiter der Polizei. Dabei handelt es sich um jenen Beamten, der es versäumt hat, die Kreuzung sperren zu lassen, bevor er den Befehl zur Straßenräumung erteilte. Zweimal stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Beschuldigten ein. Zweimal legt Rechtsanwalt Meyer-Franck Beschwerde ein. Mit einem neuerlichen Verkehrssachverständigengutachten bewirkt Meyer-Franck, dass das Kammergericht eine mündliche Verhandlung zum Klageerzwingungsverfahren durchführen muss. Am Ende wird der Antrag aber doch abgelehnt. Die Begründung der Richter: Gegen die Beschuldigten bestehe zwar ein erheblicher Verdacht, die Beweise reichten aber nicht aus. "Dabei hat der Verkehrssachverständige in seinem Gutachten festgestellt, dass der Bus bei dem Aufprall mindestens 20 Stundenkilometer schnell gefahren ist", erzählt Meyer-Franck. "Die Straße war voller Menschen. Er ist einfach in die Menge reingefahren. In so einem Fall ist ein Bus ein Mordgerät." Das hätte der Fahrer wissen müssen, egal ob ihm die Richtung der Demonstration gepasst habe oder nicht. "Es ist traurig, dass die Rechtssprechung das nicht erkannt hat."(...)


*

günther sare, im alter von 36 jahren 1985 während einer demonstration gegen eine npd-veranstaltung in frankfurt von einem wasserwerfer überrollt (staatliche(justizielle reaktionen im folgenden enthalten):

(...)"Der 36jährige hatte am 25. September 1985 im Gallusviertel an einer Kundgebung und Blockade gegen eine Veranstaltung der NPD teilgenommen, die in dem überwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteil eine Versammlung durchführte.

Massive Polizeikräfte, zu denen auch Wasserwerfer gehörten, gingen in den Abendstunden dazu über, die Strassen von Gegendemonstranten zu räumen. Im Verlauf dieses Einsatzes geriet Günter Sare unter gezielten Wasserwerferbeschuss, versuchte zu fliehen, stürzte und wurde von einem zweiten Wasserwerfer überfahren.

Die Polizei verweigerte zuerst Demosanis und Ärzten die Hilfeleistung und vertrieb unter Schlagstockeinsatz weitere Hilfswillige. Ein Notarztwagen traf verspätet ein. Kurz darauf starb der Schwerverletzte.

Die Angehörigen Günter Sares, Mutter und Schwester, erhielten erst am folgenden Tag von einem Zivilbeamten mehr nebenbei offiziell Kenntnis vom Tod ihres Sohnes und Bruders. Unter Mühen gelang es ihnen, eine Zweitobduktion der Leiche durchzusetzen und dem Gutachter wurden wochenlang wichtige Untersuchungsergebnisse des hessischen Landeskriminalamtes vorenthalten.

Verschiedene Versionen über die Todesursache wurden umgehend in Umlauf gesetzt: So soll sich auf der Kreuzung, wo der Vorfall stattfand, eine Menschenansammlung befunden haben, die die Polizei attackierte. Dann hiess es, Günter Sare sei von einem Stein am Kopf getroffen worden, gestürzt und dann unter die Räder geraten. Als nächstes wurden Günter Sare ein Stein und später ein Rundholz angedichtet, das er auf den Wasserwerfer geschleudert haben soll. Die Meldungen dienten vor der Öffentlichkeit als Begründung, in den kommenden Tagen jegliche Protestversammlungen in der Frankfurter Innenstadt auseinanderzutreiben-, zeitweilig glich die Mainmetropole einer Polizeifestung.

Fast ein dreiviertel Jahr später legte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse vor: Danach war die Kreuzung im Gallusviertel hell erleuchtet und übersichtlich, und Günter Sare stand allein dort, als er unter gezielten Beschuss zweier Wasserwerfer geriet. Der Todeswasserwerfer stand nicht unter Bewurf und aus dem Inneren des Fahrzeugs boten sich beste Sichtverhältnisse.

Doch die beschuldigte Wasserwerferbesatzung will Günter Sare nicht gesehen haben, weder vor dem gezielten Wasserstrahl, noch, als der Getroffene zu entkommen versuchte. Alle fünf Besatzungsmitglieder hatten ihr Augenmerk angeblich gleichzeitig in eine andere Blickrichtung gelenkt.

Merkwürdig bleibt auch, dass die Tonaufzeichnungsanlage, die den Funkverkehr mit anderen Einsatzkräften aufnehmen soll, just in diesem Augenblick funktionsuntüchtig gewesen sein soll. Auch Videobilder der Dokumentationstrupps liegen nicht vor. Eine Erklärung steht ebenfalls aus für die Öffnung des Fahrtenschreibers unmittelbar vor und nach dem tödlichen Einsatz. "Dies legt den Verdacht der Beweismittelmanipulation nahe", schreibt Rechtsanwältin Waltraud Verleih, die die Angehörigen Günter Sares in einer Nebenklage vertritt, in einer Presseerklärung. "Nach diesem Ermittlungsergebnis hat das 26 Tonnen schwere Tatwerkzeug eine Geisterfahrt hinter sich gebracht", kommentiert die Anwältin.

Sie hat deshalb unter anderem Beschwerde dagegen eingelegt, dass die Ermittlungen gegen drei der fünf Besatzungsmitglieder des Todesfahrzeuges eingestellt wurden. Auch mit der Einstellung der Anzeige gegen die verantwortliche Frankfurter Polizeiführung will sich Waltraud Verleih nicht abfinden und kündigt an, die Verhandlung für eine umfassende Klärung des Tatgeschehens zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft selbst hat lediglich gegen den WaWe- Kommandanten und den Fahrer Anklage erhoben: wegen "fahrlässiger Tötung". Für ein vorsätzliches Handeln gäbe es keine Anhaltspunkte, erklärt die Anklagebehörde, mehr noch, der Vorwurf habe sich als "ausgesprochen absurd" herausgestellt."(...)


*

erna sielka, rentnerin (alter kann z.zt. von mir nicht festgestellt werden), 1986 während der auseinandersetzungen um die waa in wackersdorf während eines polizeieinsatzes durch einen herzinfarkt gestorben. zu dieser toten gibt es online anscheinend genauso wenig materialien wie zu

*

alois sonnleitner, im alter von 38 jahren ebenfalls 1986 an einem durch einen polizeilichen cs-gas-einsatz in wackersdorf ausgelösten asthmaanfall gestorben. für ergänzungen zu diesen beiden toten wäre ich sehr dankbar.

*

conny wessmann, im alter von 24 jahren 1989 während eines polizeieinsatzes gegen antifaschistische demonstrantInnen in göttingen auf einer vielbefahrenen straße von einem auto überrollt - ein langes interview als .pdf-file dazu.

justizielle reaktion:

(...)"Bei den offiziellen Untersuchungen wurde weder ein Verschulden von Polizeibeamten noch auf Seiten des Autofahrers festgestellt, der nicht mehr ausweichen konnte."(...)

***

falls Ihnen bei den staatlich-justiziellen reaktionen irgendwelche wiederkehrenden muster oder gar parallelen zu aktuellen ereignissen aufgefallen sind, können die nur an zeitweiligen wahrnehmungstrübungen liegen. schließlich ist das hier ein demokratischer rechtsstaat. wer das anders sieht, steht bereits hart am rande der verfassungsfeindlichkeit. und das will doch wirklich niemand. oder?

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Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

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