juchu. das erste, was ich nach einem langen festen schlaf gestern mittag von der welt vernahm, waren die grotesken sprünge der tepco-istischen desinformationspolitik, Sie wissen schon, die millionenfache belastung des wassers in den reaktoren, die dann - "leider, wir bitten um entschuldigung" - ein meßfehler gewesen sein soll. wenn man sich so durch die verfügbaren informationen nicht nur hierzulande wühlt, bleibt am ende eigentlich nur ein schluß: die situation dort ist nicht nur übel, sie ist regelrecht beschissen. dies vor allem deswegen, weil offensichtlich niemand wirklich einen plan davon hat, was erstens in den reaktoren eigentlich tatsächlich passiert, geschweige denn zweitens, was jetzt zu tun wäre. man kann diese rauchenden und strahlenden ruinen noch nicht mal tschernobyl-artig einsargen, weil vieles darauf hindeutet, dass mindestens in einem reaktor eine kernschmelze schon lange im gange ist und vor einem zuschütten die temperaturen erst ausreichend runtermüssen (so jedenfalls mein eigenes fazit nach ansicht diverser beiträge von leuten, die sich professionell mit kernphysik und atomenergie beschäftigen). bleibt bis auf weiteres die hoffnung, dass sich der wind nicht dreht - soweit sind wir schon gekommen.
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aus diesem und anderen gründen gebe ich dem desaster in japan jetzt bevorzugt platz - was mir in anbetracht der anderen globalen ereignisse nicht gerade leicht fällt, weil es in verschiedener hinsicht durchaus - ja doch, erfreulicher wäre, sich mit den letztgenannten zu beschäftigen. das sind dann nicht nur solche massenproteste wie gestern in london oder auch erst neulich in portugal, sondern ebenfalls die weitere entwicklung der aufstandswelle in nordafrika, arabien und anderen regionen. in diesem zusammenhang empfehle ich einmal mehr denaushilfshausmeisterbei der "taz", der bei seinen betrachtungen inzwischen auch dem atomaren GAU einen platz einräumt. ebenfalls sind dienahostinfosweiter eine gute quelle für zeitnahe infos.
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massenproteste der besonderen art hatten wir ja nun gestern auch hierzulande, und ich muss gestehen, dass ich mir teils wie in einer zeitschleife vorkomme. ich war vergangenen montag selbst bei der örtlichen variante der hundertfachen anti-atom-"mahnwachen", teils aus emotionalem bedürfnis heraus, teils auch aus interesse, wer sich denn überhaupt so auf die straßen bewegt gerade. als erstes hat mich das altersspektrum überrascht - sehr viele ältere, ab 50 aufwärts, fanden sich neben vielen schülerinnen (ja, primär die weibliche form diesmal - viele mädchen bzw. junge frauen) sowie einer gruppe, die ich durchaus gehässig als "typische grünwählerInnen" beschreiben würde; dazu das ganze spektrum der erkennbaren "veteranen der bewegung" aus anti-akw- und umweltgruppen. vereinzelt ein paar parteifahnen dazu, gab das insgesamt ein buntes bild, welches dominiert wurde von einer mir in der form neuen äusserlichkeit: viele fahnen mit der roten sonne.
"Verbraucherschutz-Ministerin Margit Conrad (SPD) protestiert gegen Pläne der EU, die Cäsium-Grenzwerte für Lebensmittelimporte aus Japan heraufzusetzen. Eine entsprechende Eilverordnung der Europäischen Union sollte nach Angaben Conrads am Samstag in Kraft treten.
Nach dieser Verordnung dürfen laut Conrad Waren wie Gemüse, Fleisch, Fisch und Getreide bis zu einem Höchstwert von 1.250 Becquerel an Cäsium 134 und Cäsium 137 pro Kilo in Verkehr gebracht werden. Damit könnten Waren mit einer radioaktiven Belastung bis zu diesem höheren Wert aus Japan importiert werden und auf den europäischen und deutschen Markt kommen." (...)
alle, die alt genug sind, um sich an die zeiten "nach tschernobyl" zu erinnern, dürften bei derartigen meldungen heimelige erinnerungen bekommen... mal abgesehen davon, dass die ganze geschichte tatsächlich als frechheit daherkommt, bei der es interessant wäre zu wissen, welche lobby da im hintergrund wieder die gichtigen und gierigen finger im spiel hat.
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interessant war vor allem das zusammentreffen verschiedener gruppen, die ansonsten leider und bezeichnenderweise wenig bis gar nichts miteinander u tun haben - findet doch montags regelmässig auf dem marktplatz seit jahren tatsächlich auch eine "montagsdemonstration" von erwerbslosen bzw. einigen gruppen aus diesem spektrum statt, die mangels masse aber seit langer zeit den status einer kundgebung mit angeschlossenem "offenen mikrofon" nicht überschreitet. diese versuchten nun, nicht ohne grund und inhaltlich durchaus berechtigt, den bogen zu schlagen zwischen der desolaten sozialen situation vieler leute hier zu dem drohenden bzw. stattfindendem desaster in japan. ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob das wirklich gelang (wie ich mir generell nicht sicher bin, ob das vermitteln doch etwas komplexerer zusammenhänge bei solchen anlässen nicht von vorneherein zum scheitern verurteilt ist), aber die zuströmenden anti-akw-bewegten hörten sich das zumindest größtenteils interessiert an. irgendwann wurde dann von den veranstaltern der mahnwache ihre eigene tonanlage in betrieb genommen, und mir ging erst im verlauf der nun folgenden kundgebung auf, wer das eigentlich organisiert hat: neben einigen umweltverbänden federführend "die grünen", und so standen dann auch neben einigen senatoren aus der rot-grünen landesregierung weitere funktionäre der partei herum, um u.a. den worten des hiesigen umwelt- und verkehrssenators zu lauschen. an diesem punkt ergriff mich dann das erste mal starker widerwillen und ich dachte leicht betrübt an zeiten zurück, an denen so ein redner nach seinen ersten sätzen vom publikum nachdrücklich zum abgang aufgefordert worden wäre.
vor allem dann, wenn die rede eines solchen systemtragenden funktionärs tatsächlich auch genauso klingt: wie eine rede eines solchen funktionärs halt, druckreif, rhetorisch pompös aufgeblasen, und inhaltlich von der konsistenz einer qualle. betrüblich, dass für etwas derartiges genauso beifall geklatscht wurde wie für die anschließenden worte eines mitglieds von robin wood, die im vergleich zum vorhergehenden schon zwangsläufig wohltuend deutlich und regelrecht radikal klangen. die zeiten sind ganz offensichtlich schon andere als "damals".
nach all dem erklärten dann die "grünen" die veranstaltung für beendet, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass alle, die das bedürfnis hätten, "natürlich" so wie den vergangenen montag auch noch demonstrieren könnten, wofür die "montagsdemo" dann wieder die formale verantwortung übernahm. viele der etwa meiner eigenen schätzung nach 800 - 1000 anwesenden machten sich dann auch auf den weg, nur halbherzig und versuchsweise aufgehalten von einer kleinen einheit bereitschaftspolizei, die allerdings auch ohne helm und schild anwesend war. die wurden mit einer erstaunlichen selbstverständlichkeit stehengelassen, und es formierte sich dann in der zunehmenden dunkelheit eine demo durch die abendliche innenstadt, vorbei am örtlichen "energieversorger" und dem cdu-parteibüro, über die nicht mehr viel zu sagen ist.
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hirnschmelze II: jetzt habe ich mir ein paar stunden "wahl"berichterstattung gegeben und weiß nicht, was ich eigentlich schlimmer finde: das es immer noch so viele gibt, die zu diesem simulativen event rennen und ernsthaft glauben, damit auch nur irgendwas beeinflussen zu können? das es immer noch leute gibt, die vor allem die offene fraktion der kapitalhörigen blockparteien wählen? oder ist das schlimmste vielleicht die zahl derjenigen, die anscheinend wirklich glauben, dass die "grünen" in der lage seien (nicht unbedingt nicht willens, da dürfte es dort schon einige geben, denen das abzunehmen ist), nicht nur den nationalen ausstieg aus der atomenergie zu schaffen, sondern auch international mit ihren mitteln druck zu machen? immerhin ist es sehr deutlich geworden, dass diese frage zur nagelprobe dieser partei werden wird und auch ein derartiges agieren wie zu zeiten von rot-grün im bund nicht unbedingt möglich erscheint. bin sehr gespannnt darauf, was sich der reaktionärste teil dieser partei (von dem kretschmann einen würdigen vertreter darstellt) ausdenken wird, um in dieser frage die quadratur des kreise zu schaffen.
wobei das schlimme daran ist, dass man denen genau in dieser frage auch noch wirklich glück wünschen muss - der ausstieg, genauer der schnelle ausstieg, ist eine blanke und existenzielle notwendigkeit.
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ich muss ja gestehen, dass ich die frage der "friedlichen" nutzung der atomenergie lange zu sehr am rande gelassen habe - "politisch sozialisiert" in der81er-bewegung, waren die anti-akw-proteste in jenen zeiten immer etwas selbstverständliches, obwohl ich mich dort nie so recht involviert habe. klar habe ich die großen demos damals - "republik freies wendland" in gorleben, die hunderttausend im kalten februar in brokdorf etc. - immer sympathisierend verfolgt. und auch wusste ich bereits etliche argumente gegen diese technologie zu nennen, aber ernster wurde das erst nach tschernobyl.
was in den letzten tagen und wochen aber alles an informationen dazukam, zwingt mich jetzt, die ganze geschichte nochmals neu zu bewerten. und inzwischen frage ich mich, wie ich nur so blind sein konnte, so lange das ganze destruktive potenzial und das volle ausmaß der schier unbegrenzten kriminellen energie innerhalb der atomindustrie plus verbandelter sparten nicht zu erkennen. nicht nur die in den letzten beiträgen schon erwähnten begleitumstände beim uranabbau über den störanfälligen betrieb bis hin zur nicht lösbaren "endlagerung" auf zehntausende von jahren sprechen absolut und zwingend gegen jegliche nutzung der atomenergie, nein, es ist vor allem ihr gleichfalls in jeder hinsicht unmenschliches maß. und das meine ich in keiner hinsicht moralisch, sondern wortwörtlich:
die technik selbst ist bereits viel zu komplex, um die ständig notwendige fundamentale kontrolle der diversen prozesse auch nur ansatzweise zu gewährleisten
zeitliches ausmaß, räumliche ausdehnung und die nur indirekt mögliche wahrnehmung radioaktiver strahlenbelastung überfordern jedes menschliche vorstellungsvermögen, damit aber wird auch allen realistischen gefahreneinschätzungen gerade im sog. routinebetrieb die fundamentale basis entzogen, was sich dann u.a. in jenen vielfältig auftretenden fällen "menschlichen versagens" äussert. ein "versagen", welches aber erstens zwangsläufig ist und zweitens eben und gerade hier nicht passieren darf
und welche andere technologie bringt es mit sich, dass wirklich schwere stör- und unfälle nicht nur ganze länder, sondern gleich ganze kontinente und die dazugehörigen ökologien existenziell und auf dauer schädigen können? sicher, die wirkungen von analogen fällen zb. in der chemieindustrie oder auch dem ölbusiness werden meist unterschätzt. aber radioaktive strahlung und partikel können über unfassbar lange zeiträume ein elementares problem darstellen.
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hirnschmelze III: ein wie ich finde wirklich interessanter blogbeitrag der "tagesschau" zur frage nach dem stand des katastrophenschutzes in d-land im falle eines atomaren GAU. beachten Sie vor allem auch die kommentare, da sind einige von angehörigen des "thw" und verschiedener feuerwehren dabei, die ziemlich deutlich sagen, was sache ist. fazit: im falle des falles werden wir hier genauso hilflos und dumm dastehen wie jetzt die leute in japan.
und ich mache gleich mit der hirnschmelze IV weiter - das geht in diesemkommentarneulich doch zu sehr unter:
"TÜV Süd ist eine Aktiengesellschaft. 74,9 % der Aktien gehören dem TÜV e.V., der ca. 13.500 Mitglieder hat; die übrigen 25,1 % gehören der "TÜV SÜD Stiftung". Mitglieder des TÜV e.V. sind unter anderem die Energiekonzerne E.ON, Vattenfall und EnBW."
dieser "tüv" - viele leute scheinen ja in diese institution, oder besser in diesen namen, durchaus vertrauen zu setzen - hat u.a. die aufgabe, genau die akw zu kontrollieren, die von seinen größten aktionären betrieben werden.
ich meine, das ist wieder so ein fall, wo jeder mafiosi (also von der "illegalen" mafia) schlicht grün vor neid werden muss. apropos "grün": das wird auch sehr interessant sein zu beobachten, wie "die grünen" dort im süden jetzt mit genau dieser konstellation weiter umgehen. kann mir nicht vorstellen, dass die nicht wissen, was dieser sachverhalt eigentlich bedeutet. fällig wäre eigentlich die sofortige ersetzung dieser "kontrolleure" durch zumindest einigermaßen unabhängige instanzen. als allererste und mindeste aktion.
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betrachten Sie sich einmal dieses video aus japan:
es zeigt die wirklich schwer fassbare gewalt, die in dem tsunami steckte, der auf das beben folgte. und mir wurden dadurch erst jene bilder von städten und dörfern verständlicher, die nichts weiter mehr als ziemlich eingeebnete flächen von geshreddertem schrott zeigen.
was ich mir danach aber auch dachte: nicht nur das akw in fukushima scheint bei ansicht dieser szenen noch glück im unglück gehabt zu haben. auch, wenn im film deutlich wird, dass große gebäude aus beton einzig die stabilität zu haben scheinen, die für das überstehen eines tsunamis dieses kalibers nötig ist. aber bekanntlich gibt es noch stärkere und höhere tsunamis, die dann nicht nur wie in jenen anderen surrealen bildern der katastrophe halbe brennende häuser an ihrer spitze und an ihrer oberfläche mit sich reißen (ein anblick, der mich persönlich aus irgendwelchen gründen besonders verstört hat), sondern die dann gleich mal ganze reaktordruckgefäße weiter ins land befördern können. sicher, solche tsunamis sind "ausnahmen" - genauso so, wie ein erdbeben der stärke neun. und da lässt sich in jeder hinsicht nur jenem japanischenerdbebenforscherzustimmen, der bereits vor einigen jahren "tepco" direkt auf die tsunami-gefahr hinwies und neulich sagte:
"Es sollte umfangreiche Flexibilität geben, wenn es um die Sicherheit eines Atomkraftwerks geht", sagte Okamura am Samstag. "Es ist eine komische Einstellung, ungewisse Aspekte nicht mitzuberücksichtigen."
"komische einstellung" ist wirklich gut - sollten wir hier nicht deutlich von krimineller und vermutlich bewusster ignoranz reden? vermutlich ist japan, was diese naturphänome angeht, einer der ungünstigsten orte auf diesem planeten überhaupt, um da atomare anlagen hinzustellen. und ich bin gespannt, falls das land wünschenswerterweise dieses mal noch mit einem quasi blauen auge davonkommen sollte, ob dann daraus die einzig denkbare konsequenz gezogen wird?
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aber diese besonders aufwendige form des kollektiven suizids, welche atomenergie darstellt, ist natürlich kein rein japanisches phänomen, wie in derhirnschmelze Vdeutlich wird:
(...) "Aber Indonesiens Regierung will die Atomkraft, auch wenn das Land ähnlich wie Japan im heiklen tektonischen Bereich des pazifischen Feuerrings liegt. Noch ist der Inselstaat ein Entwicklungsland, aber die Wirtschaft wächst schnell und der Energieverbrauch steigt rasant. Seit Ende 2010 gibt es ein Abkommen für den Bau von zwei Atomkraftwerken auf der Hauptinsel Java: Muria 1 und Muria 2 - am Fuß des schlafenden Vulkans Mount Muria. Auch nach der Katastrophe in Japan gibt es bisher keine Reaktion der indonesischen Regierung, die auf eine Änderung der Pläne hindeutet." (...)
am fuß eines schlafenden vulkans... warum nicht gleich im krater selbst? das gäbe dann wenigstens vielleicht ein spektakuläres feuerwerk, wenn sich dieser vulkan eines tages regen sollte (was er irgendwann sicher wird - er liegt auf dem pazifischen feuerring).
ich meine, wie absolut irre muss man sein, um auch nur überhaupt auf so eine völlig durchgeballerte idee zu kommen?
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aber diese spezifische art von suizidalem und massenmörderischem wahnsinn, welcher sich hinter dem ewigen gehechel vom "wachstum! wir brauchen wachstum und energie!" versteckt, lässt sich durchaus weltweit beobachten, ob es sich nun um öl-, pharma-, gen-, oder sonstige industrien handelt. die nuklearbranche jedoch toppt in gewisser hinsicht und aus gründen, die ich weiter oben schon angeführt habe, nochmal alle anderen. es ist dabei übrigens auch völlig egal, in welcher art von gesellschaftssystem sie gedacht wird - es ist die technik an sich, die hier völlig unakzeptabel ist. ich habe mich die tage in einem forum mit jemandem herumgestritten, der doch ernsthaft die these vertrat, dass unter anderen eigentumsverhältnissen und vergesellschaftet die atomenergie doch gefahrlos betrieben werden könne... auch eigentlich ein fall von hirnschmelze, der mich an gewisse äusserungen zb. seitens der dkp noch in den 1980er jahren erinnerte, nach denen "sozialistische" akw völlig sicher seien, "weil sie ja dem volk gehören würden". ausser unschönem gegurgel fällt mir zu leuten nichts mehr ein, die einen derartigen blödsinn heute noch vertreten.
und ja, kurz hier schon mal meine antwort auf all diejenigen, die gerade an vielen stellen mit scheinalternativen operieren: "wenn wir keine atomkraft nutzen, müssen wir halt mehr fossile brennstoffe (kohle, öl) verbrennen, um unseren lebensstandard zu halten".
überraschung: müssen wir nicht, und können wir vor allem auch nicht. peak oil ist eine realität, atomenergie aus gründen total abzulehnen. und es gibt auch mittelfristig so etwas wie peak coal, d.h. auch kohle ist ein endlicher rohstoff, der sich dazu bei der verbrennung noch negativ klimatisch bemerkbar macht. das potenzial von geothermie, wind- und solarkraft sowie gezeitenkraftwerken ist noch keineswegs voll ausgeschöpft, aber ich wage die prognose, dass selbst in diesem fall niemals mehr und nirgendwo das materielle niveau der derzeitig existierenden "westlichen zivilisation" v.a. in unseren breiten erreicht oder auch nur gehalten werden kann. ja, da lugt das böse wörtchen "verzicht" wieder um die ecke. verzicht allerdings nur für solche leute, die völlig unfähig erscheinen, sich ein anderes leben jenseits der wahl zwischen 30 waschmittelsorten, 500 fernsehprogrammen, sechsspurigen autobahnen, billigflügen für 19 euro fuffzich sowie stand-by-schaltern am elektrischen dosenöffner auch nur ansatzweise vorstellen zu können.
am ende noch etwas erfreuliches: es kommen gerade weltweit menschen auf den gedanken, sich einmal näher mit den jeweiligen zweigen der atommafia in ihrem land zu beschäftigen - ob es sich dabei um dieusahandelt...
"In Kalifornien liegt das Kernkraftwerk San Onofre - mitten im Erdbebengebiet und zwischen zwei Millionen-Städten. Gegen Katastrophen hält man sich für gut gerüstet, dabei hat der Betreiber jahrelang gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen." (...)
...oder umchina, ob es sich um indien handelt oder italien (wo es am samstag ebenso wie in der schweiz anti-akw-demonstrationen gab), und selbst in den zitadellen der "nuklearen religion", wie frankreich oder eben auch und gerade japan, beginnt sich, erster widerstand zu entwickeln. aber es gilt allerdings auch: wann, wenn nicht jetzt?
(und mir persönlich reicht dieser eine satz auch - würde ich mir den ganzen kommentar vorknöpfen, so würde ich eine nicht druckreife sammlung bösester beschimpfungen und flüche produzieren. das, was da zu lesen ist, kann als verkappter suizid- und gleichzeitig mordwunsch bezeichnet werden, es ist eine derartige propaganda, dass mir die spucke wegbleibt. es erreicht (strukturell!) auch schon mühelos das level der mentalität von endsiegüberzeugten nazis ca. ende 1944.)
und das in den gleichen stunden, in denen die immer noch unvollständigen informationen aus japan immerböserwerden:
(...) "Die IAEA gibt an, dass hohe Werte von Beta-Gamma-Kontaminationen zwischen 16 und 58 km Entfernung vom AKW gefunden wurden. Die Werte liegen zwischen 200.000 und 900.000 Becquerel (Bq) pro Quadratmeter. Die IAEA kann nicht ausschließen, dass solche hohen Werte auch in größeren Entfernungen auftreten. (...)
Zur Bewertung liegt ein Blick zurück auf die Situation nach Tschernobyl nahe. Hot spots wurden von den russischen Behörden damals als lokal begrenzte Kontaminationen von mehr als 555.000 Becquerel pro Quadratmeter definiert. Das ist die Größenordnung, die in Japan zwischen 16 und 58 km von der IAEA gemessen wurde. Die Ausdehnung dieser Zone in Japan ist vergleichbar mit der Sperrzone westlich von Tschernobyl.
Wir haben es jetzt mit dem SuperGau zu tun. Die Vergleiche mit Tschernobyl werden ernst. Weitere Evakuierungsmaßnahmen sind dringend erforderlich. Es wird vor weiterer Bagatellisierung der Kontamination des Meeres gewarnt. " (...)
heute nachmittag gab es dazu noch die information (von "tepco" selbst, die nur das zugeben, was auf keinen fall verheimlicht werden kann), dass über einen kilometer außerhalb der reaktorenneutronenstrahlunggemessen wurde, was auf die freisetzung von plutonium und/oder uran hindeutet. währenddessen sind die konzentrationen radioaktiven jods im trinkwasser von tokio so hoch, dass babys und kleinkinder nach regierungsanordnung damit nicht mehr in berührung kommen dürfen. ich versuche mir das schon die ganze zeit vorzustellen, wie eltern mit einer solchen situation umgehen - eltern, die zudem wie auch kinderlose gesagt bekommen, dass für erwachsene der konsum "unbedenklich sei"...
"sachlich bleiben", my ass. etwa so: "bitte stellen Sie sich ruhig und gesittet für Ihre vernichtung an", oder was?!? es ist eher an der zeit, endgültig stinksauer zu werden.
eininterview(in englisch) mit natalia manzurova - einer ingenieurin, die 1986 und in den folgejahren in tschernobyl an den "aufräumarbeiten" beteiligt war und heute die einzige überlebende ihres damaligen teams ist - zu unterschieden und gemeinsamkeiten zwischen tschernobyl und fukushima.
ich kann momentan immer noch nur sporadisch und begrenzt online gehen, was ich gerade zum jetzigen zeitpunkt nervig finde - für längere texte muss ich mir erst wieder einen anderen arbeitsmodus einfallen lassen (ja, es gibt ein paar möglichkeiten).
jedenfalls ist mein kopf voll von gedanken, und ansonsten sitze ich auf einem berg von teils extrem widersprüchlichen und überwiegend unerfreulichen gefühlen. das ist die crux dieses mächtigen virtuellen mediums: informationsoverkill. was nichts daran ändert, dass hier wie kaum irgendwo anders eine möglichkeit besteht, informationen von allgemeiner relevanz zu verbreiten. der erste teil der überschrift war ungefähr mein erster gedanke, als ich mit dem folgendenkonfrontiert wurde - die meldung ist von gestern:
"A large oil slick – 12-miles wide by 100-miles long – was spotted yesterday off Grand Isle, Louisiana, by pilot Bonny Schumaker, who heads up the California-based environmental nonprofit “On Wings of Care.” Ms. Schumaker confirmed that the slick is rapidly expanding, and reports that she will be returning to the site as soon as possible to further investigate the situation." (...)
kurz noch mal übersetzt: vorgestern wurde vor der küste von louisiana ein großer - 100 meilen lang, 12 meilen breit - ölteppich bisher unbekannter herkunft entdeckt, der sich laut beobachtungen weiter vergrößert. die stelle, an der er sich befindet, ist ca. 20 meilen von der ehemaligen "deep water horizon" unseligen angedenkens entfernt. auf der verlinkten seite gibt es luftbilder zu sehen. auch diehuffington postberichtet mittlerweile.
was das bedeutet? ich habe momentan keine ahnung, aber es melden sich gerade einige schlimmebefürchtungenaus dem letzten jahr wieder.
das "diese geschichte" selbst im besten falle keinesfalls für alles leben am golf vorbei und erledigt ist, hatte ich in den letzten wochen ja bereits schon an verschiedenen stellen angemerkt. ein beispiel dafür sind aller wahrscheinlichkeit nach zb. dietoten delphinbabys:
"Ein knappes Jahr nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko werden an den Küsten der US-Bundesstaaten Alabama und Mississippi zehn Mal so viel tote Delfin-Babys angespült wie in anderen Jahren. In den vergangenen zwei Wochen seien 17 tote Delfin-Babys gefunden worden, teilte das Institut für Meeressäuger-Studien mit. "Normal sind ein oder zwei im Monat. Dieses Jahr haben wir 17, und der Februar ist noch nicht mal vorbei", sagte Moby Solangi, Leiter des Instituts in Gulfport im Bundesstaat Mississippi. "Aus irgendeinem Grund haben sie Fehlgeburten", sagte Solangi. Er warte auf die Ergebnisse einer Untersuchung zweier toter Delfin-Babys, um Angaben zur Todesursache machen zu können.
Die hohe Zahl von Totgeburten sei nicht normal, und die Explosion der Ölbohr-Plattform "Deepwater Horizon", in deren Folge rund 780 Millionen Liter Öl ins Meer liefen, spiele wahrscheinlich eine Rolle, sagte Solangi. Die Zahl toter erwachsener Delfine verdreifachte sich im vergangenen Jahr von 30 auf 89. "Wir sollten nicht voreilig Schlüsse ziehen, bis wir erste Ergebnisse haben", sagte Solangi, "aber dies ist mehr als nur ein Zufall". (...)
das letzte heisst schlicht: statistisch so signifikant, dass der zufall als verantwortlicher ausscheidet. das macht erst recht sinn, wenn man sich die weiteren, und auch unter menschen zu beobachtenden folgen betrachtet. aber diese letzteren werden zum thema eines eigenen beitrags gehören.
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noch ein wort zu japan: weiterhin heisst es daumen drücken, wobei es nicht nur hinsichtlich der zunehmenden meldungen hinsichtlich radioaktiver kontaminationen von lebensmitteln und wasser (natürlich inmer ganz "unbedenklich" ...) so aussieht, dass sich enorme schäden bereits irreparabel ereignet haben. die japanische (des-)informationspolitik jedenfalls ist ein eigener skandal innerhalb der ganzen sache.
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update: das bietet der oben verlinkte bericht der huffpost aktuell, und da heisst es, dass die us-küstenwache davon ausgeht, dass das neue öl nicht mit der versiegelten quelle der "deep water horizon" in verbindung stehen würde. was bedeuten würde, dass es sich in diesem fall um eine neue verschmutzung aus bisher unbekannter quelle handelt. es gibt z.zt. - nach zwei tagen - offensichtlich in den usa keine (öffentlichen) hinweise darauf, wer dafür verantwortlich ist bzw. was für eine art aktion diesen ölteppich produziert.
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update 2: im gegensatz zu meinem ersten letztgenannten obigen eindruck existieren doch erste hinweise auf einenverdächtigen - dieser blogeintrag greiftinformationenauf, wonach es sich um ein leck auf bzw. unter der bohrinsel " Matterhorn SeaStar" des konzerns "w&t offshore" handeln soll. insgesamt ist die nachrichtenlage aber unübersichtlich, deshalb bleibt das alles mit vorsicht zu geniessen. und ja, den weiter oben verlinkten huffpost-beitrag hatte ich beim ersten mal ungelesen zwecks ergänzung übernommen, der enthält bereits den genannten verdacht. sorry!
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update 3, 21.03.: wäre die mediale aufmerksamkeit ohne die derzeitigen - hm, zynisch vom standpunkt der sog. aufmerksamkeitsökonomie muss man wohl sagen blockbuster libyien und japan für diesen doch nicht gerade kleinen ölteppich und seine mögliche entstehung größer? es ist jedenfalls schwer, selbst in den usa ausser in ein paar blogs auch nur irgendetwas relevantes zu finden. aber das sich bis heute in so ziemlich allen deutschsprachigen medien noch nicht mal das kleinste infofitzelchen finden lässt, spricht bände. und nein, das muss auch nichts mit einer (eingebildeten) "großen verschwörung" zu tun haben.
diese nullberichterstattung macht es jedenfalls den real und möglicherweise involvierten bisher einfach, zu deckeln und womöglich wie gewohnt desinformationen zu streuen. das ist jedenfalls mein eindruck nach anblick des folgendenartikelsvon heute aus einem us-blog:
(...) "The Coast Guard says it collected samples from the slick that showed trace amounts of petroleum hydrocarbons, oil and grease. It speculates that the pollution could be caused "by a tremendous amount of sediment being carried down the Mississippi River due to high water, possibly further agitated by dredging operations." The agency says it does not believe the pollution is coming from the Deepwater Horizon spill site." (...)
also okay, zum letzteren - das die küstenwache nicht glaubt, dass es sich hierbei um öl aus dem "deep water horizon"-komplex handelt, das kann ich ja noch nachvollziehen. das lässt sich auch meines wissens durch eine chemische analyse sehr schnell ausschließen oder eben bestätigen. aber die erste behauptung, dass es sich dabei angeblich um durch hochwasser aufgewirbelte sedimente des mississippis handelt - was ist das denn für eine nichterklärung? es existieren aussagen von fischern, die durch die neue verschmutzung gefahren sind - brennende, tränende augen sowie die bemerkung eines anderen, er hätte selbst bei beim ölGAU des letzten jahres nicht derart viel öl auf einem haufen gesehen wie aktuell, machen diese these eher noch abstruser. es sei denn, der grund des mississippis hätte sich komplett in ölschlamm verwandelt - das aber wäre dann ein anderes thema ebenso unerfreulicher natur.
die geschichte jedenfalls hat es dringend nötig, verfolgt zu werden. für weitere hinweise, über die die leserInnen womöglich stolpern, wäre ich natürlich dankbar.
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update 4, 22.03.: vermutlich fühlen sich inzwischen viele anwohnerInnen der us-golfküste in einer horrorversion von "und täglich grüßt das murmeltier" gefangen - so berichtet dieserkommentaraus florida, das es dort seit sonntag an der küste deutlich und lästig nach öl stinken würde. währenddessen treibt in louisiana an verschiedenen stränden und an den vorgelagerten inseln des mississippi-deltasfrisches ölan - zum letzteren äusserte sich die us-küstenwache inzwischen dahingehend, dass es sich dabei um öl aus einem lecken bohrloch in küstennähe handeln würde, allerdings ohne nähere einzelheiten zu nennen. und sie bestreitet nebenbei auch weiterhin implizit, dass der gemeldete und durchaus als riesig zu bezeichnende ölteppich weiter draussen überhaupt ein solcher wäre - baggerarbeiten im mississippi flußaufwärts hätten sedimente in großen mengen gelöst, die jetzt sichtbar wären. nach ihren eigenen untersuchungen enthielten diese sedimente lediglich spuren von kohlenwasserstoffen bzw. rohöl.
dem wird von augenzeugInnen deutlich widersprochen - sowohl fischer als auch mitglieder unabhängig beobachtender gruppen auf flugzeugen und schiffen berichten ebenfalls von deutlich wahrnehmbaren ölgeruch selbst in höheren luftschichten:
"They could smell it from the airplane and I could smell it from the boat. This wasn't just Mississippi River mud."
ebenfalls verhalten sich tiere wie delphine und schildkröten innerhalb der treibenden öligen wolke deutlich ungewöhnlich. die us-küstenwache hat angekündigt, weitere wasserproben zu testen und sucht nach dem verursachenden leck an der küste von louisiana. da es sich dabei um eine staatliche behörde handelt, wäre es sehr interessant, zu welchen resultaten unabhängige untersuchungen kommen würden - nachdem die obama-administration das "moratorium" des letzten jahres bezgl. tiefsee-bohrungen im golf weitgehend aufgehoben hat, wäre ein erneuter großer störfall etwas, was staat und konzerne in sehr große schwierigkeiten bringen würde, und ich kann mir gut vorstellen, dass deshalb im windschatten der anderen global erschütternden ereignisse versucht wird, so lange wie möglich den deckel auf einem möglichen debakel zu halten.
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update 5, 23.03.: inzwischen sind an den stränden von louisiana wieder reinigungstrupps unterwegs, die küstenwache untersucht angeblich immer noch die proben aus dem ölteppich weiter draussen, und es hat sich nach deren ermittlungen ein unternehmen namens"anglo-suisse offshore partners", ansässig in houston, texas, als verantwortlich für ein leck in einem seit monaten nicht fördernden bohrloch erklärt - nicht, ohne sich "überrascht" zu zeigen, hätten sie doch nicht gedacht, dass sich eine "geringfügige entlastung/ableitung" (so klingt das jedenfalls übersetzt - "a minor discharge") sich in einer solchen verschmutzung bemerkbar machen würde.
das wirft nun gleich einen haufen fragen auf: die obige formulierung klingt erstens nach einer bewussten handlung, d.h. die wussten, das dort öl austritt, haben sich aber über tage nicht gemeldet, bis ihnen die küstenwache auf der spur war. dürfen wir das als "normales geschäftsgebaren" in diesem metier annehmen? zweitens aber ist das immer noch keine antwort zum auf dem meer schwimmenden öl, welches ja angeblich gar keins sein soll - wieso lässt die küstenwache verkünden, es handele sich nach ihrer meinung hauptsächlich um "sedimentschlick", während sie "weiter untersucht"? und haben wir es hier tatsächlich mit zwei unterschiedlichen fällen zu tun, wie es im moment den anschein hat? das leck vor louisiana wäre dann durchaus dem sog. "alltagsbetrieb" des ölbusiness zuzuschreiben, während der beobachtete teppich (der sich zwischenzeitlich in länge und breite nochmals vergrößert haben soll) eher auf etwas größeres deutet. mit dem "kleinen" störfall ließe sich der größere dazu zumindest für eine gewisse zeit trefflich deckeln. es heisst jetzt vorläufig abwarten, was die nächsten tage bringen. ach ja, und schon wieder taucht in dem ganzen zusammenhang die schweiz auf - scheint ein wirklich unternehmungslustiges völkchen zu sein, da in den ölfreien und frankenschweren bergen...
und noch ein nachtrag: auch diehuffposthat zwischenzeitlich nachgelegt - und formuliert implizit teils ähnliche fragen, wie sie mir in den sinn kamen. haben wir es mit zwei ereignissen zu tun? zur geschichte mit der "anglo-suisse offshore partners" wird dort ergänzt, dass die firma behauptet, "weniger als 5 gallonen" seien ausgetreten. was in anbetracht der situation dort an der küste absurd klingt und womöglich glatt gelogen ist. aber diese geschichte sollte jetzt ja wohl zu klären sein.
zum großen "teppich" - mir fällt leider kein anderes wort gerade ein, obwohl es nicht treffend ist und auch assoziativ etwas in die irre führt - kommen folgende neue infos:
ein sich eher als "skeptisch" bezeichnender beobachter - ingenieur - nach einem erkundungsflug sagt sinngemäß, dass er so etwas noch nie gesehen hätte. die verschmutzung hätte nicht die farbe bspw. einer algenblüte, und er sei sich nicht 100%ig sicher, aber es würde für ihn nach den erfahrungen des letzten jahres eher in richtung öl gehen
ein zweiter beobachter einer schutz-ngo für den golf beschreibt auf einer großen strecke diverseste erscheinungsformen - schillernde schlieren an der oberfläche, "öl-schlangen" knapp unter der wasseroberfläche, ölige schlieren und wolken, alles laut aussagen deutlich von neuem öl gebildet
undhiergibt es einen film vom letztgenannten erkundungsflug zu sehen. inzwischen laufen neben den staatlichen auch erfreulicherweise unabhängige untersuchungen.
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update 7, 25.03.: neben den beklemmenden nachrichten aus japan - die "new york times" hat vor ein paar stunden mit berufung auf direkte quellen aus der japanischen atomindustrie gemeldet, dass das druckgefäß von reaktor 3 mit den plutoniumhaltigen "mox"-brennelementen einen langen vertikalen riß aufweise, aus dem es ständig lecken und ausgasen würde -; sowie der sich weiter manifestierenden globalen unruhe in vielen ländern fällt es schwer, die aufmerksamkeit noch auf weitere erschütterungen zu lenken - aber das geschehen am golf bleibt seit letztem jahr ein menetekel, und zwar durchaus für den gesamten planeten, weil das thema "öl" unser aller gegenwart und zukunft entscheidend mitbestimmt.
es gibt bei der "huffington post" einen autor, der die neuigkeiten seit tagen dort noch meinem eindruck gut zusammenfasst, und deshalb nutze ich diese artikel auch als primäre quelle. zumaktuellen standfinde ich folgende punkte wichtig:
momentan direkt von frisch anlandendem öl betroffen ist vor allem die südostküste louisianas, wo auch weiterhin reinigungstrupps und inzwischen auch wieder barrieren im wasser im einsatz sind
dieses öl wird weiterhin seitens der us-küstenwache "anglo-suisse offshore partners" zugerechnet, wobei die firma in einer öffentlichen erklärung ihre verantwortlichkeit fraglich findet, da die verdächtigte quelle eigentlich seit monaten nicht produzierend gewesen sei und im letzten halben jahr bei kontrollen als "geschlossen" gegolten habe. mangels weiterer informationen muss das erstmal so stehenbleiben
die große verschmutzung weiter draußen wird weiterhin untersucht; die küstenwache bleibt bisher bei ihren bisherigen, in den letzten updates dokumentierten aussagen. andere quellen zitieren nicht näher bezeichnete "lokale wissenschaftler", die glauben würden, es handele sich bei dem beobachteten teppich um tote algen, die in folge der letztjährigen katastrophe abgestorben seien. das wäre nun im vergleich zu einer möglichen neuen großen ölverschmutzung vielleicht das kleinere übel, aber nicht wirklich beruhigend.
ich schätze, anfang nächster woche spätestens sollte endgültig klar sein, was da nun wirklich auf dem wasser treibt. seltsam genug, dass ein finaler befund so lange unklar bleibt, seltsam genug auch, dass es diverse (weiter oben dokumentierte) aussagen verschiedenster beobachterInnen gibt, die das ganze als öl identifiziert haben. es bleibt bisher ein mehr als schaler beigeschmack nach vertuschung bei der ganzen sache.
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update 8, 29.03.: es gibt nach einem blick in die mediale landschaft der usa auch seitlich des mainstreams nicht wirklich etwas konkretes und neues zu berichten - die letzten news, die mir vor die augen kamen, beziehen sich alle auf das geschehen direkt an der küste von louisiana und dessen vermuteten ursprung, wie er in den letzten updates skizziert worden ist.
ich bin mir nicht sicher, wie das schweigen rund um das, was sich weiter draussen tut (oder auch nicht tut), nun zu werten ist. die ganze golfregion wird eigentlich spätestens seit dem letzten jahr auch von genügend menschen und institutionen so intensiv beobachtet, dass es eigentlich nicht vorstellbar erscheint, dass ein neuer gravierender störfall dort nicht über kurz oder lang bekannt wird. das allerdings - zumindest habe ich nichts derartiges gefunden - keinerlei berichte mehr über die weiteren angkündigten untersuchungen von proben aus den beobachteten verschmutzungen bekannt werden, kann ich gerade von der bedeutung her nicht einschätzen. was also diese konkrete geschichte betrifft, heisst es weiter abwarten.
klar ist aber jenseits aller spekulationen, dass im golf sehr bedrohliche dinge vor sich gehen - die huffpostberichtetheute, dass von anwohnerInnen des mississippi-deltas in den letzten tage eine große zahl toter meereslebewesen an den stränden gefunden wird - seeschildkröten und fische diverser arten, aber auch tote seevögel. dabei wird betont, dass es sich eindeutig nicht um das normale volumen von toten tieren handelt, die an küsten nun mal immer anzutreffen sind, sondern vom ausmaß her bisher so nicht beobachtet worden ist. und gerade die toten vögel geben mir persönlich besonders zu denken, weil ich es aufgrund der belastungen des wassers nun nicht besonders erstaunlich finde, dass wasserlebewesen darin krank werden und sterben. seevögel jedoch haben keinen dauerhaften wasserkontakt, und entweder könnte das eine kontamination der nahrungkette bedeuten, eine besonders starke belastung des wassers, oder aber es sind so viel gasförmige schadstoffe in der luft, dass sie direkt solche wirkungen auslösen. das letztere ist keine dystopische annahme meinerseits, sondern beruht auf der tatsache, dass sich bei vielen menschen in der region im blut erhöhte werte von schädlichen kohlenwasserstoffverbindungen finden lassen, die sich als folge des letztjährigen ölGAU nicht durch direkten kontakt mit öl erklären lassen und nur über die luft aufgenommen worden sein können. und die viele betroffene übrigens inzwischen auch krank gemacht haben.
mittlerweile sind auch bei den toten tieren untersuchungen verschiedener institutionen im gange.
"[12.10 Uhr] Die französische Regierung geht offenbar vom Schlimmsten aus - und widerspricht den Offiziellen in Japan. "Reden wir nicht drum herum. Sie haben offensichtlich die Kontrolle über die Situation verloren. Das ist jedenfalls unsere Analyse und nicht das, was sie verkünden", sagte Wirtschaftsminister Eric Besson dem Fernsehsender BFM. Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet empfahl demnach allen Franzosen, Tokio mit dem Flugzeug zu verlassen. Sollten sie darauf bestehen, zu bleiben, sollten sie sich in den Süden des Landes begeben."
(aus dem spon-ticker)
"ich bin mir jedenfalls gerade überhaupt nicht mehr sicher, ob die welt am ende dieses jahres nicht in einer art und weise verändert sein wird, dass uns aus diversen gründen die ohren schlackern werden."
(selbstzitat, gerade mal eine woche her, als noch kaum jemand hierzulande den namen fukushima kannte)
und in diesem geab war dann u.a. auch folgender satz zu lesen: "Das internationale System ist inzwischen in einem so jämmerlichen Zustand, dass es in jeder Art von Katastrophe größeren Ausmaßes zusammenbrechen kann" (...)
das sich nur wochen später die gelegenheit ergeben würde, die prognosefähigkeiten der "leap"-leute einmal mehr auf die probe zu stellen, hätten sie wohl selbst in ihren dunkelsten träumen nicht für möglich gehalten.
und wer das alles, besonders meine überschrift, nun einmal mehr übertrieben finden sollte, hat meiner meinung nach den schuß nicht gehört und beweist ebenfalls seine oder ihre fähigkeiten zur dissoziierenden wahrnehmung. erinnert sich noch wer an das letzte jahr, gar nicht so lange her eigentlich und doch gefühlt schon wieder extrem weit entfernt? schon damals gab es globale menetekel gleich im mehrfachpack, von der sommerlichenbrandkatastrophein russischen wäldern angefangen, bei denen ein zusammenhang mit möglichen menschengemachten klimaveränderungen ebenso bis heute ein starker verdacht bleibt wie bei den schweren überschwemmungen der pakistanischen flutkatastrophe im gleichen zeitraum, bis hin zumölGAUnamens "deep water horizon" im golf von mexico. zu letzterem hatte ich ja schon öfter einen weiteren beitrag angekündigt, der sich mit der letztlich immer noch stattfindenden katastrophe beschäftigen soll, weil weder große teile des öls noch jener damals unter dem namen "corexit" existierende und zu weltweiter bekanntheit kommende stoff aus der welt sind und in all den monaten seit dem versiegeln des lecks ein stilles leiden sowohl in tier- und pflanzen als auch der menschlichen welt am golf stattfindet. dieser beitrag wird auch noch kommen, aber momentan - tja.
das uns innerhalb von zwei jahren sowohl die risiken als auch die (neben?)wirkungen von gleich zwei elementaren bereichen der öl-basierten und energieverschleudernen westlich-industriellen "zivilisation" so derart um die ohren fliegen würden, hätte ich mir selbst in meinen übelsten alpträumen nicht ausmalen können. die realität spottet einmal mehr jeder beschreibung, kein literarischer katastrophenplot (und glauben Sie mir, von solchen kenne ich einige) kommt tatsächlich an das heran, was uns die moderne, gerne auch mit "post" davor, derzeit präsentiert.
und wenn ich, @demon driver, im letzten beitrag von der unvorstellbarkeit der kommenden situation in japan geschrieben habe, so meine ich das auch so - ich kann mir durchaus bis zu einem gewissen grad die folgen eines schweren bebens, auch eines solchen tsunamis, ausmalen, weil ich mich rein aus interesse schon lange mit diversen naturgewalten beschäftige. was ich mir schon nur noch schwer vorstellen kann, sind die folgen bspw. eines mega-tsunamis, wie er zb. vielleicht entstehen könnte, wenn auf den kanarischen inseln ein schwerervulkanausbruchstattfinden sollte. hunderte meter hohe wasserwalzen kann ich mir nur noch schwer vorstellen.
und das gilt auch für jenes szenario, welches in japan leider im bereich des möglichen liegt: das ein urbaner ballungsraum mit 35 bis 40 millionen menschen in den einfluß relevanter und bedenklicher strahlung geraten kann, ist etwas, was ich mir letztlich in folgen und konsequenzen auch nicht vorzustellen vermag. wenn menschen, tiere, gebäude, wasser und nahrung großflächig kontaminiert sein sollten, und womöglich gar noch das giftigste aller gifte, plutonium, eine rolle spielt - nein, das kann ich mir nicht mehr imaginieren.
die aktuelle situation dort ist mehr als bedenklich, sie geht eher stark in richtung verzweiflung. eine sammlung mit nützlichen und auch weitergehenden links jenseits der ticker findet sich bspw.hier.
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die weiteren konsequenzen sind ebenfalls noch völlig unabsehbar, könnte gut sein, dass die "leap"-crew im schlimmsten falle recht behält und nach dem nuklearen GAU sich dann mit zeitlichem abstand ein weiterer globaler ökonomischer crash vollzieht, der dann nicht mehr von den gegenüber banken und konzernen freigiebigen staaten aufgefangen werden kann, weil sich diese mehrheitlich inzwischen selbst bis zum hals in ökonomischen schwierigkeiten befinden.
wir haben ja immer noch nicht nur die schwelenden wirtschafts-, währungs- und (staats-)schuldenkrisen an den hacken, mitsamt all den bekannten sozioökonomischen verwerfungen in vielen, nicht nur westlichen gesellschaften, sondern ebenfalls auch noch die brisante situation in nordafrika und den arabischen staaten, die momentan zu sehr untergeht, und die ihrerseits bereits auch als symptom von grundsätzlichen krisenhaften verwerfungen wie im bereich nahrungsmittel, wasser und öl gelten kann.
alle zusammengenommen ergibt das einen absolut unbekömmlichen globalen mix, der nicht mehr lange in der form bestand haben kann, bevor es final zu entwicklungen kommt, die dann großflächig nicht mehr zu "kontrollieren" sein werden. meine persönliche einstellung dazu habe ich schon öfter deutlich gemacht: lieber ein ende mit schrecken als ein schrecken ohne ende.
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da ich momentan mal wieder keinen direkten netzzugang habe, muss ich von öffentlichen orten aus schreiben. aus diesem grund folgt der eigentlich überfällige rundblick über die globalen unruhe(n) erst in den nächsten tagen.
ps: beim stichwort "nahrungsmittel" oben sollte dann auch die folgendemeldungklar machen, dass wir es mit komplexen und mehrdimensionalen destruktiven prozessen zu tun haben:
"Ein neuer Uno-Bericht schlägt Alarm: In immer größeren Teilen der Welt sterben die Bienen. Die Nahrungsgrundlage der Menschheit scheint bedroht. Besonders schwierig wird die Lage dadurch, dass Gegenmaßnahmen alles andere als einfach zu finden sind." (...)
aber sicher werden die mietmäuler, schönredner und propagandisten des irrsinnigen westlichen "way of life" auch hier wieder ein set an beschwichtigungs- und rechtfertigungsformeln aufbieten können...
"und wer im jahre 2010 trotz aller bekannten fakten immer noch das lied der ach so "sauberen" atomkraft singt, macht sich, ob gewollt oder nicht, selbst zu einem nützlichen idioten der herrschenden soziopathie."
das hatte ich im letzten jahr als fazit anlässlich der castortransporte und nicht nur zum thema der (illusionären) "endlagerung" von atomarem müll und des laufenden störanfälligen betriebs geschrieben, sondern auch bereits hinsichtlich desuranabbauszu beginn der verheerenden kette.
was sich, mit immer größerer wahrscheinlichkeit, in den nächsten stunden und tagen in japan abspielen wird, ist schlicht unvorstellbar. jede phantasie, jede imagination muss zwangsläufig versagen im angesicht der drohenden realität.
nur zwei punkte noch, beide durchaus in verschiedener hinsicht sehr relevant und auch inhaltlich verbunden:
1. das wort atommafia muss aller wahrscheinlichkeit nach nicht nur in japanwortwörtlichgenommen werden:
"In Japan, so schätzt man, haben ca. 80 000 Personen, die der Organisierten Kriminalität ("Yakuza") zugerechnet werden, in den (bisherigen) Hauptzweigen der Unterwelt (Drogen und Sex) eine Billion Yen (9,3 Milliarden Dollar) im Jahr 2000 verdient (die Hälfte mit Drogen und ungefähr ein Viertel aus dem Sexgeschäft). Dort ist es aber mittlerweile zum größeren Problem geworden, dass sich zumindest eine kriminelle große Organisation (Yamaguchi Gumi) in die "New Economy" des Landes eingeschlichen hat und politische Verbindungen zu den höchsten Rängen der Regierung unterhält. Sie half bei den Unterhauswahlen im Juli 2000 diskret bei der Geldbeschaffung und beim Stimmenfang einer Vielzahl von Politikern aus der Liberal-Demokratischen Partei des (etwa ein Jahr im Amt befindlichen) Premierministers Yoshiro Mori und aus anderen konservativen Parteien. Es soll keinen einzigen Politiker in Japan geben, der seinen lokalen Yakuza-Boss nicht kennt. Ein in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens ehemaliger führender japanischer Polizist (Raisuke Miyawaki) glaubt, dass es zudem unmöglich sei, die Verknüpfungen zwischen der Geschäftswelt Japans und der dortigen Unterwelt in den Griff zu bekommen, weil sie zu ausgedehnt seien."
das sind zwar angaben aus dem jahr 2005, aber es gibt keinerlei anzeichen dafür, dass sich an diesen verhältnissen grundsätzlich etwas geändert haben sollte.
"Keiner von denen - und ich spreche vor allem von Politikern, Generälen, Wissenschaftlern und Journalisten - keiner von denen, die die atomare Massenbedrohung oder den Massenmord vorbereiten, mit diesem drohen oder die Möglichkeit des Massenmordes durch sogenannte friedliche Atomanlagen mindestens in Kauf nehmen - keiner von denen darf mehr oder soll mehr seines Lebens sicher sein. Da sie uns pausenlos programmatisch und professionell in Angst versetzen, sollen nun endlich auch sie in Angst leben müssen. Die uns bedrohen, sollen von uns bedroht werden. Und nicht nur bedroht werden, sondern dadurch, daß wir unsere Drohungen hier und dort wahrmachen, eingeschüchtert, dadurch zu Einsicht gebracht und dadurch zur Umkehr veranlaßt werden. Damit am Ende niemand mehr bedroht sei, nicht wir und auch sie nicht. Ob uns das gelingt, ob wir durch unsere Gegenbedrohung die Gefährdung der Menschheit noch neutralisieren können, das weiß ich nicht. Aber daß wir das ohne unsere Gegendrohung nicht können, das weiß ich." (Charles Meunier* - meines wissens ein kanadischer künstler, anmerk. mo)
*übersetzung durch günther anders am 28.9.1986, im buch auf s.89
weitere argumentationen aus dem interview von anders mit seinem fiktiven selbst:
"... Das Recht auf Notwehr tödlich Bedrohter und in jeder Sekunde Angreifbarer ist natürlich natürlich! Selbst das Naturrecht ...
Die Absage an Gewaltlosigkeit nennen Sie "Notwehr"?
Schon wieder dieses "Nennen"! Sie ist Notwehr! Und da die Bedrohung total und die mögliche Vernichtung global ist, hat unser Notwehr total und global zu werden. Zum Verteidigungskrieg aller Bedrohten. Und das heißt: aller Menschen heute und morgen." (s.91)
"Wir Atomgegner kämpfen also, wie gesagt, einen Verteidigungskampf gegen so enorme Bedroher, wie es deren nie zuvor gegeben hatte. Also haben wir das Recht, Gegengewalt auszuüben, obwohl hinter dieser keine "amtliche" und "rechtmäßige" Macht, also kein Staat, steht. Aber Notstand legitimiert Notwehr, Moral bricht Legalität. Diese Regel zweihundert Jahre nach Kant eigens zu begründen, erübrigt sich ja wohl." (s. 93)
"Happenings sind nicht genug!
(Befremdet:) Happenings! Dieser Vergleich überschreitet doch wohl ...
Nein. Gar nichts überschreitet er. Und ist auch nicht nur ein Vergleich. Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happinings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel." (s.98)
zum schluß nur noch innigste wünsche dafür, dass den menschen in japan das schlimmste erspart bleiben möge. eine naturkatastrophe dieses ausmaßes ist schlimm genug, aber letztlich weder zu verhindern noch aufzuhalten. ein menschengemachter atomarer GAU jedoch ist nichts anderes als ein verbrechen von monströsem ausmaß.
"12:18 Uhr Reuters berichtet, bereits in der Vergangenheit sei es in AKWs der Fukushima-Betreibergesellschaft Tepco zu schweren Sicherheitspannen gekommen. 2002 mussten demnach der Präsident des Atomenergieunternehmens sowie vier weitere Manager wegen des Verdachts gefälschter Sicherheitsberichte zurücktreten. Fünf Meiler - darunter die zwei durch das Erdbeben schwer beschädigten - wurden in der Folge vorübergehend stillgelegt. "
weil ich selbst nach den recherchen beim anblick des keinesfalls vollständigen bildes sehr überrascht bis regelrecht geschockt war, soll der aktuelle länderüberblick in dieser folge endlich einigermaßen vollständig werden - es ist inzwischen global eine derartige häufung von protesten bis offenen und schweren unruhen zu verzeichnen, dass es mir wichtig erscheint, diese tatsache viel breiter als bisher zu vermitteln, weil sich - wie besonders in teil 6 schon skizziert - derart möglicherweise erschütterungen andeuten, die über kurz oder lang auch das leben hier massiv beeinflussen werden. die derzeitige mediale praxis vermeidet es sehr offensichtlich, in ihrer berichterstattung thematische cluster zu bilden - die aufstände in nordafrika und im arabischen raum werden selten genug noch zusammen verhandelt, aber was sich darüber hinaus abzeichnet, geht völlig in nebenspalten und kurzmeldungen unter, wenn´s denn überhaupt thema wird. also, dann mal los:
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nordafrika / arabische halbinsel:
ägypten: im gegensatz zum bericht in der letzten folge ist die ebenfalls zu vermeldende stürmung etlicher gebäude der dortigen "staatssicherheit" mit anschließender beschlagnahme von diversen akten etwas durchaus positives und auch absolut nötiges. inzwischen sind etliche dieser dokumente im netzzu sehen (achtung, facebook-link)und es spricht sich auch hierzulande langsam herum, dass damit auch ein paar veritable skandale das licht der welt erblicken - siehe zb.hier:
"Die Münchener Firmengruppe Gamma/Elaman soll über einen ägyptischen Vertragspartner Abhörsoftware an die ägyptische "Allgemeine Staatssicherheit" geliefert haben. Dies behauptet das ARD-Studio Kairo unter Berufung auf einen vorliegendes Kaufangebot.
Am vergangenen Samstag stürmten rund 2000 jugendliche Aktivisten der Demokratiebewegung ein von Soldaten umstellte Gebäude der "Allgemeinen Staatssicherheit" in Nasr City unweit von Kairo. Die Soldaten ließen die Demonstranten passieren, die die Räume durchsuchten, um Akten der Spitzelbehörde sicherzustellen. Die "Allgemeine Staatsicherheit" hatte nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung etwa 100.000 Mitarbeiter und unterhielt ein großes Netzwerk von Informanten. Bei der Suche nach Dokumenten, die die Folterungen von Regimegegnern belegen sollen, fand der Aktivist Mustafa Hussein eine Akte mit dem Vermerk "Streng geheim", in der eine Gamma International der Staatssicherheit Mitte 2010 die Installation der Programmsuite Finfisher anbietet, inklusive Einweisung, Training und einem optionalen zweijährigen Support." (...)
"partner, freunde und gute geschäftsbeziehungen..." - es wird geradezu monoton, die handlungen der diversen mafiösen herrschenden klüngel noch einzeln aufzulisten.
ansonsten gibt eshiernoch einen sehr interessanten bericht über streiks und soziale kämpfe im gefolge des diktatorsturzes in einem industriellen zentrum des landes. tipp!
algerien: an dem in früheren folgen dieser reihe skizzierten status der auseinandersetzungen im land hat sich nichts großes geändert. falls ich noch nicht vermerkt hatte, dass vor ein paar wochen der 19jährige ausnahmezustand- das wurde ausdrücklich als gnädiges zugeständnis des regimes verkauft - aufgehoben wurde, sei das hiermit geschehen. am grundsätzlichen und seit monaten zu beobachtenden umgang mit protesten seitens des regimes hat das allerdings nichts geändert. jeden samstag kommt es zu ähnlichen szenen in algier, wie sie bereits vor wochen zu verzeichnen waren. gestern allerdings ist dort etwas passiert, was nicht nur von der größe her eine ernstzunehmende demonstration wurde, sondern auch durch die teilnehmer einen, na sagen wir,besonderen toucherhielt:
(...) "Laut Organisatoren beteiligten sich rund 20.000 aus zahlreichen Landesteilen angereiste Sicherheitsbeamte an dem Protest. Die Demonstranten, von denen viele ihre Uniformen trugen, hatten sich am Vormittag auf dem Märtyrer-Platz in Algier versammelt.
Trotz der Polizeisperren drangen sie dann bis zu dem 500 Meter entfernten Parlamentsgebäude vor. Sie wurden daraufhin von der Polizei eingekesselt."
"kommunale sicherheitsbeamte" im kampf für höhere gehälter - hm? ähnliches war ja nach mubaraks sturz auch von ägyptischen polizisten zu berichten, die sich ebenfalls demonstrierend an ihre alten? neuen? "dienstherren" wandten. ich vermag das absolut nicht einzuschätzen - kann es sein, dass die diktatoren jeweils so dumm und gierig sind, dass sie wesentliche teile ihrer machtbasis selbst in mangelzuständen lassen und derart aufruhr provozieren? ist das für die "sicherheitskräfte" nur jeweils eine opportune gelegenheit, die eigenen materiellen interessen durchzusetzen? fragen über fragen. im übrigen könnte ich mir vorstellen, dass die weitere entwicklung in libyien nicht unwesentlich auch das nachbarland beeinflussen wird - fällt gaddhafi, und folgt eine eher stammesgeprägte struktur in libyien, könnte das in algerien womöglich nochmals versuche aus ganz anderen richtungen als den bisherigen provozieren, das regime aus dem sattel zu heben. dazu ist die soziale krise im land weiter virulent - das sollte nicht vergessen werden. algerien war im letzten dezember neben tunesien das erste land, in dem soziale unruhe gemeldet wurde.
marokko: im vergleich relativ ruhig - nach den ersten größeren protesten im februar hat vor ein paar tagen das dortige monarchistische regime dieinitiative ergriffen:
"Nach den Protesten in Marokko hat König Mohammed VI. einen neuen Nationalen Menschenrechtsrat ins Leben gerufen. (...)
Das Gremium sei unabhängig und mit grossen Vollmachten ausgestattet, teilte dessen künftiger Generalsekretär Mohammed Sebbar am späten Donnerstag in Rabat mit. Es setzt sich nach seinen Angaben aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Behörden, Parteien sowie aus unabhängigen Experten zusammen. Vorsitzender wird der Menschenrechtsaktivist Driss al-Yazami, der bisher die marokkanischen Gemeinden im Ausland vertritt.
Der 59-Jährige engagierte sich in den 1970er-Jahren für die extreme Linke in Marokko, dann ging er nach Frankreich ins Exil. Unter anderem war Yazami Generalsekretär der Internationalen Föderation der Menschenrechtsligen." (...)
nicht ungeschickt, würde ich sagen. natürlich sind alle regimes vom atlantik bis zum golf spätestens seit mubaraks sturz hellwach, und wie sie sich im einzelnen verhalten, lässt durchaus prognosen über ihre jeweilige zukunft zu - diejenigen, die eine gewisse flexibilität im umgang mit protesten und den vermittelten forderungen zeigen, haben erstmal größere chancen des machterhalts als diejenigen, die mit reiner repression reagieren. binsenweisheit, aber deren gültigkeit ist halt wieder einmal zu beobachten. das "erstmal" bezieht sich allerdings auf faktoren wie weiterhin steigende nahrungsmittelpreise - sollten die sozioökonomischen verhältnisse sich weiter zuspitzen, dann wird auch eine solch "flexible", an westlich erprobten machttechniken angelehnte politik schnell ihre grenzen finden.
syrien: von außen betrachtet neben libyien, saudi-arabien (und dem speziellen fall iran) für revolutionäre gelüste eine der härtesten nüsse. es ist kaum etwas aus dem land zu vernehmen, erste "facebook-aufrufe" erwiesen sich im februar bekanntlich als flop. ich kann mir überhaupt keine prognose für das land und das regime vorstellen, ausser der tatsache, dass eine nähere beschäftigung mit dem regime bauchschmerzen bereitet. syrien ist neben libyien, vielleicht sogar mehr als letzteres, ein deutlicher fall eines nicht pro-westlichen regimes, ideologisch verhaftet in einem regionalen ableger der panarabischen und "sozialistischen"baath-partei(einen anderen flügel führte im benachbarten irak bekanntlich ehemals ein gewisser saddam hussein an). ich neige dazu, die beiden diktaturen in libyien und syrien trotz all ihrer unterschiede besonders als relikte des "kalten krieges" des 20. jahrhunderts zu betrachten. im falle libyiens ist jetzt so oder so ein ende abzusehen, und syrien? hat die instabilen gebilde irak und libanon als nachbarn, dazu israel in nächster nähe. im norden dazu einen gewissen anteil kurdischer bevölkerung, was in naher zukunft durchaus relevant werden könnte (dazu gleich unten mehr). die sozioökonomische lage im land finde ich schwer einschätzbar, ausser der wahrscheinlichkeit, dass es auch in syrien inzwischen eine relevante jugendliche bevölkerungsgruppe gibt, die potenziell andere lebensentwürfe als die staatlich vorgegebenen ausprobieren möchte. dafür spricht u.a. auch ein urteil gegen eine19jährige bloggerin, die wg. "spionage" mitte februar zu fünf jahren haft verurteilt wurde. das lässt sich aufgrund des zeitpunktes durchaus auch als warnschuss gegen netzaffine teile der städtischen jugend - und damit potenzielle protestkerne - ansehen. wir werden es letztlich erleben, ob und was dort passiert.
irak: vielleicht liegt es daran, dass das land in der hiesigen, nicht nur medialen wahrnehmung eh als sowas wie ein "failed state" gilt, beherrscht von terror und undurchsichtigen religiösen und "ethnischen" konflikten, dass diesozialen kämpfeder letzten wochen kaum irgendwo zum thema wurden?
"Im Irak kam es in den vergangenen Wochen sporadisch zu Demonstrationen, die am letzten Freitag (25.02.) an einem weiteren “Tag des Zorns” kulminierten, als im ganzen Land zehntausende Menschen auf die Straße gingen. Sie demonstrierten gegen Mißwirtschaft und Korruption in der Verwaltung, für die Auswechslung unbeliebter Gouverneure und Beamter und für eine bessere Versorgung, eine Ausweitung der täglichen Stromversorgung und mehr Arbeitsplätze. Die Proteste führten an einigen Orten zum Rücktritt von hohen Beamten, u.a. der Gouverneure von Babil und Basra.
Die größtenteils friedlichen Demonstrationen führten in einigen Städten zu Gewalt, unter anderem in Mosul, wo Demonstranten ein Verwaltungsgebäude anzündeten, oder in Baghdad, wo Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vorgingen, die in die “Grüne Zone” – Sitz der Regierung – eindringen wollten. Dabei gingen sie mit Schlagstöcken, Tränengas und sogar scharfer Munition vor, ein Demonstrant wurde getötet.
Im ganzen Land, u.a. aus Fallujah und Suleimaniya im kurdischen Autonomiegebiet, gab es Berichte von Polizeibrutalität, auch gegen friedliche Versammlungen gingen Sicherheitskräfte vor, teilweise wie in Bagdad mit scharfer Munition. Es gab 29 Tote und hunderte Verletzte. Auch Journalisten wurden angegriffen, ihre Ausrüstung beschädigt, einige verhaftet.
Premier Nouri al-Maliki hatte noch in der letzten Woche betont, die Regierung nehme die Kritik der Bevölkerung an der schlechten Versorgung und Korruption ernst, und forderte die Sicherheitskräfte auf, friedliche Versammlungen zuzulassen. Zudem hat er in den letzten Tagen Reformen zur Anhebung des Lebensstandards und einer Verbesserung der Versorgungslage angekündigt und vorgezogene Neuwahlen auf Kommunalebene gefordert." (...)
weiteres und mehr bei den nahostinfos. wirklich eine sehr gute und informative quelle, auf die ich gleich nochmal zurückgreife.
kurdistan: wie oben schon angedeutet, rumort es auch heftig in den kurdischen autonomen gebietenim nord-irak:
(...) "Und auch im oft als stabil, ruhig und gar demokratisch bezeichneten Nordirak, in der kurdischen autonomen Zone, kam es nun zu Auseinandersetzungen, die diese Attribute mehr als fragwürdig erscheinen lassen. Auf erste Proteste gegen die Regierung aus PUK und KDP, zwei kurdischen “Parteien”, die Macht und Besitz untereinander aufgeteilt haben, reagierten diese mit brutaler Gewalt. Gegen steinewerfende Jugendliche gingen KDP-Milizen mit scharfem Feuer vor, verschiedene Demonstrationen wurden gewaltsam aufgelöst, oppositionelle Medien angegriffen und sabotiert, es gab Tote und dutzende Verletzte und Verhaftete." (...)
die mögliche brisanz dieser entwicklung wird erst dann so richtig deutlich, wenn man sich klar macht, dass es bereits seit monaten - hierzulande kaum beachtet - auch im mehrheitlich kurdischen südosten der türkei zu massiven protesten und unruhen einer solchen intensität kommt, dass u.a. als eine reaktion darauf die kck ("gemeinschaft der gesellschaften kurdistans", besitzt auch einen bewaffneten, als guerilla operierenden arm, faktisch die nachfolge der pkk-guerilla) ihren einseitigen waffenstillstand mit der türkei in der letzten wocheaufgekündigthat:
(...) "Der Ko-Vorsitzende der legalen Kurdenpartei BDP, Selahattin Demirta, warnt: „Die Region ist jetzt wie ein Pulverfass. Es steht kurz vor der Explosion.“ Ende vergangener Woche hatte die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) den einseitigen Waffenstillstand der kurdischen Rebellen für beendet erklärt. In einer Mitteilung begründet dies die KCK damit, dass keine ihrer politischen Forderungen erfüllt worden sei.
Mit Beginn des Frühjahrs seien wieder verstärkte Angriffe der türkischen Armee auf die Kurden-Rebellen zu erwarten, so die KCK. Deren bestimmende Kraft ist die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK, der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan leitet auch die KCK. Die PKK-Guerilla kündigte an, sich „gegen Angriffe noch wirksamer zu verteidigen“, will selbst jedoch vorerst auf offensive Aktionen verzichten."(...)
wer sich ein bißchen mit dem machtgerangel der kurdischen parteien - die drei in den beiden oben zitierten artikeln sind die relevanten - beschäftigt hat, kann sich ganz verschiedene variationen der weiteren entwicklung vorstellen. keine davon ist besonders ruhig, im gegenteil. die auseinandersetzungen in den kurdischen gebieten der türkei waren meines wissens in den letzten monaten teils so massiv und von breiten bevölkerungskreisen getragen, dass die reaktionen der türkischen armee wie üblich ebenfalls extrem ausfielen - extrem brutal, was dann wiederum zulauf für die guerilla brachte. ein imaginärer kurdischer staat würde sich auf heutigen territorien der türkei, des irans, des iraks und syriens befinden und würde dazu im nordirak auch einiges an ölvorräten besitzen. wenn man sich eine durchaus im bereich des möglichen liegende zunehmende instabilität der letzten drei ausmalt, wird zumindest mir bei den dann möglichen optionen in dieser gegend ziemlich schummrig vor augen. nicht falsch verstehen: die jetzigen zustände sind in diverser hinsicht ein einziger riesiger skandal, aber jenseits dessen könnte die ganze aktuelle "politische architektur" der region so derart aufgemischt werden, dass dieser ganze teil der welt nicht wiederzuerkennen wäre. wie gesagt: optionen.
(was noch dazukommt: nordöstlich schliesst sich in zentralasien die ganze kette der ehemaligen südlichen sowjetrepubliken an, und zu den zuständen dort bzw. den allerjüngsten entwicklungen in zumindest einigen dieser länder gibt es auch einiges zu sagen - mehrheitlich sind das ebenfalls schlicht und einfach - diktaturen. aber das dürfte dann schon zum nächsten beitrag gehören).
yemen: geht in der aufmerksamkeitsökonomie etwas unter, obwohl vieles dafür spricht, dass das land das nächste sein könnte, aus dem ein autoritärer herrscher fliehen muss. diejüngsten entwicklungen:
(...) "Etwa 2.000 Häftlinge haben sich im Jemen den Protesten gegen Präsident Ali Abdullah Saleh angeschlossen und in einem Gefängnis in Sanaa am späten Montag gemeutert. Mehrere Wachleute seien als Geiseln genommen worden, sagte ein Behördenvertreter am Dienstag. Einige Häftlinge hätten ihre Matratzen in Brand gesteckt und den Gefängnishof besetzt.
Das Sicherheitspersonal habe Tränengas eingesetzt und in die Luft geschossen, sagte der Behördenvertreter. Seit Wochen kommt es im Jemen zu Protesten gegen die Regierung.
Der TV-Sender al-Dschasira berichtet , die Insassen hätten die Kontrolle über das Gefängnis erkämpft, die Büroräume seien ausgebrannt und alle Angestellten hätten das Gebäude verlassen. (...)
Hunderte Menschen haben sich am Dienstag vor der Universität in Sanaa versammelt, um den unverzüglichen Rücktritt des jemenitischen Präsidenten Ali Abdulla Saleh zu fordern. Die Behörden zogen rund um den Ort der Kundgebung und beim Präsidentenpalast starke Kontingente der Sonderpolizei zusammen." (...)
klingt es zynisch, wenn ich von außen, aus der position eines eher nichtsahnenden "westlers", den yemen als "wundertüte" betrachte? es gab genügend berichte, die mich haben staunen lassen - das land hat irgendwie im medialen mainstream das image eines "failed state", wo al-quaida und irgendwelche wilden stämme in den bergen hausen. könnte es sein, dass sich das zukünftig als eine der größeren medialen desinformationen der neuzeit entpuppt?
iran; libyien: beides länder, die momentan thematisch gesondert behandelt müssten - ich neige gerade dazu, noch etwas abzuwarten, weil ich mir in beiden fällen eingestehen muss, viel zu viel spekulieren zu müssen, solange ein paar aus meiner sicht wesentliche informationen nicht vorhanden sind.
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so. ich hoffe, dass Sie sich als leser/-in jetzt nicht völlig erschlagen fühlen. schließlich wird es im nächsten teil der reihe um entwicklungen gehen, die außerhalb der gerade thematisierten regionen stattfinden und kein stück weniger relevant, interessant, aufschlußreich sind (der kommt aber erst innerhalb der nächsten tage). ich bin mir jedenfalls gerade überhaupt nicht mehr sicher, ob die welt am ende dieses jahres nicht in einer art und weise verändert sein wird, dass uns aus diversen gründen die ohren schlackern werden.
"Das neue Jahr hatte kaum begonnen, da wagte einer der renommiertesten internationalen Lebensmittelexperten eine Prognose: Um Ostern, also Ende April, würden Hungerrevolten ausbrechen, warnte der Franzose Philippe Chalmin. (...) "Ich bin sehr besorgt." Doch schon wenig später stellte sich heraus, dass die Warnungen des Fachmanns Chalmin sogar noch untertrieben waren. Die explodierenden Lebensmittelpreise lösten am Freitag die ersten schweren Unruhen aus: Bei Protesten in Algerien starben zwei Männer, 400 Menschen erlitten Verletzungen. Eine wütende Menge griff Regierungsgebäude an, Banken und Postfilialen wurden geplündert. Die Regierung in Algier beschloss, Einfuhrzölle und Steuern auf Zucker und Speiseöl zu senken.
Die Ausschreitungen könnten der Auftakt einer globalen Serie von gewaltsamen Demonstrationen gegen kaum noch bezahlbare Lebensmittel sein. In der vorigen Woche schockte die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO mit den neuesten Zahlen ihres Preisindexes für die wichtigsten Grundnahrungsmittel: Das Barometer, das die Teuerung von Erzeugnissen wie Weizen, Reis, Korn, Zucker, Speiseöl und Milchprodukten anzeigt, schoss im Dezember auf den höchsten Stand seit seiner Einführung zu Beginn der neunziger Jahre." (...)
so, hier kommt die verspätete fortsetzung dersechsten folgedieser reihe - ich hatte und habe die letzten tage ausgiebig mit den unangenehmen effekten eines blockierenden halswirbels zu tun, eine erfahrung, auf die ich ganz gut verzichten könnte. aber bekanntlich lautet ja eine der unausgesprochenen folgerungen dieses blogs ungefähr so: der körper ist der meister. manchmal oder auch gar nicht so selten bringt sich diese absolute basis unserer existenz sehr nachdrücklich und sehr schmerzhaft wieder zu bewußtsein.
der - hm, vorteil an der geschichte für diesen beitrag ist nun, dass sich in den tagen seit donnerstag nun schon wieder derartig viel ereignet hat, dass ich zunächst mit einigen nachträgen beginnen werde. das zitat oben soll im übrigen als eine art sehr loser roter faden dienen; das thema der hungerrevolten und die frage danach, wie und ob denn die aktuellen aufstände unter diesem begriff verstanden werden können, wird im folgenden immer wieder eine rolle spielen.
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nordafrika / arabische halbinsel:
saudi-arabien: nachzutragen bleibt einemeldung, die am wochenende verbreitet wurde und nochmal deutlich macht, wie nervös die ölprinzen inzwischen sind:
"In Saudi-Arabien hat die Regierung ein Kundgebungs- und Demonstrationsverbot erlassen. Die Sicherheitskräfte würden mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Versuche unterbinden, die öffentliche Ordnung zu gefährden, berichtete das staatliche Fernsehen am Samstag unter Berufung auf das Innenministerium. Zuvor hatte es kleinere Protestkundgebungen der schiitischen Minderheit im Land gegeben." (...)
das ein paar tage vor dem ersten angekündigten "tag des zorns" am 11. märz und mit unruhen in so ziemlich allen angrenzenden nachbarländern konfrontiert: im süden der yemen und oman, im osten die golfstaaten und -emirate, im norden der irak und im nordwesten jordanien - die diktatur der öligen könige muss sich inzwischen wie in einem kochenden krater vorkommen, und die präventiven ankündigungen verheissen nichts gutes.
kuwait: hatte ich im letzten beitrag noch von den dortigen protestierenden staatenlosen arbeiterInnen geschrieben, die als erste auf den straßen waren, so haben diese inzwischengesellschaftbekommen:
(...) "Für Dienstag haben mehrere Gruppen zu Kundgebungen in dem Golfemirat aufgerufen. Nach dem Vorbild der Aufstände in Tunesien und Ägypten fordern sie die Absetzung des Ministerpräsidenten und größere politische Freiheiten. Die Organisatoren, vor allem junge Kuwaitis, haben keine Genehmigung für ihre Demonstrationen eingeholt - die damit illegal wären und die Regierung vor eine Machtprobe stellen könnten." (...)
ich konnte bisher noch nichts finden, ob und was da heute möglicherweise passiert ist. kann sein, dass ich später nochmal drauf zurückkomme und ergänze.
tunesien: zur illustration und vertiefung meiner thesen vom letzten beitrag - die revolution befindet sich tatsächlich in ihrer nächsten und ebenfalls entscheidendenphase:
(...) "Wem gehört die Revolution? Allein der "Kasbah", den tausend Personen, die seit zwei Wochen die Regierung erfolgreich unter Druck setzen, weil sie notfalls auch 100000 Menschen mobilisieren? Vor dem Sportpalast von El Menzah, einem noblen Außenviertel von Tunis, sieht man das anders. Hier demonstriert seit Montag täglich zwei Stunden die "schweigende Mehrheit", von der Ghannouchi in seiner Rücktrittsrede gesprochen hatte. Es sind etwa gleich viel Leute wie auf dem Kasbah-Platz. Doch ist es eine andere Gesellschaft. Viele tragen Krawatte. Demonstriert wird zwischen 17 und 19 Uhr. Vorher arbeitet man schließlich. Man will ja ein neues Tunesien aufbauen. Das wollen die Jugendlichen auf dem Kasbah-Platz gewiss auch, bloß haben die meisten von ihnen eben keine Arbeit." (...)
das beschreibt nochmal ganz gut den konflikt, den ich auch skizziert habe - hier wird entschieden, ob es letztlich in richtung einer sozialen revolution geht oder aber lediglich - ich sagte schon, dass das im verhältnis zur diktatur schon eine verbesserung wäre - eine spezifisch nordafrikanisch-tunesische bürgerlich-demokratische herrschaftsform etabliert wird.
an dieser stelle seien die nachträge erstmal beendet, und es ist durchaus sinnvoll, sich anhand der drei beispiele oben gedanken zu machen zum stichwort vom beginn: hungerrevolten?
wenn ich mir das, was ich inzwischen fragmentarisch in den letzten monaten zu den diversen ländern alles gelernt habe, so betrachte, dann finde ich, dass sich bei dieser frage zunächst ein sehr grober regionaler, geographischer unterschied festmachen lässt: das motiv des hungers (bürokratischer: "nahrungsmittelknappheit") spielt in nordafrika (ausnahme ist möglicherweise ausgerechnet libyien) eine große, aber nicht die einzigste rolle. auf der arabischen halbinsel hingegen - die ausnahme dürften hier zunächst der yemen, aber auch der irak darstellen - rangiert es von außen betrachtet unter den motiven der proteste weiter hinten. der grund für diese unterscheidung dürfte klar sein und ist in einem einzigen kurzen wort zusammenzufassen: öl.
saudi-arabien und die meisten golfstaaten verfügen aufgrund ihrer vorräte an fossilen brennstoffen ebenso wie libyien immer noch über so derart viel materiellen reichtum, dass es ihren herrschern potenziell möglich wäre, sämtliche (materiellen) nöte in ihren ländern abzustellen. das das teils nicht bzw. nur unzureichend (libyien, einige golfemirate) geschehen ist und die schlichte wahrheit des satzes "der mensch lebt nicht von brot alleine" - das beides ergibt zusammen die glut, aus der jetzt die flammen der revolte hochschlagen. in nordafrika hingegen ist der aufstand in ländern wie tunesien, algerien, ägyten... für viele etwas, was auf eine anderen ebene existenziell ist - hier geht und ging es gerade für die mehrheit der armen unterklassen ums pure überleben, eine situation, die durch das geprotze, die widerwärtigkeiten und die repression der jeweiligen diktatorischen clans dann bekanntlich vor kurzem derart unerträglich wurde, das seit dem die weltgeschichte weiter und neu geschrieben wird.
meine eigene antwort, ohne anspruch auf vollständigkeit, auf die frage des anfangs also: teils-teils. die nahrungsmittelpreise spielen und spielten eine rolle, die aber möglicherweise in allernächster zukunft noch deutlicher und fataler werden wird. es ist nämlich kein ende des anstiegs absehbar, und das nicht nur deshalb, weil diese preise nicht nur indirekt mit dem ölpreis zusammenhängen. ebenfalls aber werden die aufstände - und zwar querdurch alle länder hindurch - von wünschen nach mehr gesellschaftlicher partizipation im allgemeinen sinne befeuert - und dabei spielen die städtischen mittelschichten, die dazugehörigen (gutausgebildeten) jugendlichen und auch teile der weiblichen bevölkerung eine große rolle. in so ziemlich allen derzeit "betroffenen" staaten, in denen die aufständigen bewegungen schon die "kritische masse" erreicht haben oder aber dabei sind, diese zu erreichen, spielen blanke materielle existenznöte (für große teile der land-, aber auch stadtbevölkerungen), perspektivlosigkeiten von millionen teils sehr junger menschen, bewußtsein über die bisher völlig fehlenden möglichkeiten der eigenen und politischen selbst- und mitbestimmung sowie das inzwischen global übliche arm-reich-gefälle - das letztere auch besonders für diejenigen, die in den ländern einen arbeitsplatz haben, egal ob im öffentlichen oder privaten sektor; die zahl der gemeldeten stattgefundenen, stattfindenden oder geplanten streiks in den regionen ist nicht mehr zu überblicken - zusammen die entscheidende rolle, um diejenige wucht ins rollen zu bringen, die nötig ist, um diktaturen der dortigen sorte hinwegzufegen. das das nur der erste schritt auf einem langen weg sein kann, wenn es darum geht, das jahrzehnte- bis jahrhundertealte geflecht aus autokratischen, feudalen, religiös untermauerten und patriarchal geprägten (teils auch noch stammes- und clan-) strukturen aufzurollen, dürfte etlichen aktivistInnen in den ländern selbst klar sein.
soweit ein antwortversuch, wie ich ihn z.zt. ungefähr geben würde. mit der frageDemokratie- oder Hungerrevolten?hat sich vor wochen schon telepolis beschäftigt. lesen, auch wenn ich die frage eben nicht so formulieren würde.
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was ich gerade oben von "ersten schritten auf einem langen weg" geschrieben hatte, wird untermauert von einem ganz frischen beitrag dernahostinfos- eine aktion zum internationalen frauentag heute in kairo auf dem tahrirplatz...
"Auf dutzenden Blogs und auf facebook wurde geworben und zum Frauenmarsch auf dem Tahrir-Platz in Kairo aufgerufen. Auf einer facebook-Seite hatte das mehr oder weniger feministische Event über tausend Teilnahmezusagen erhalten. Mit dem noch der revolutionären Hybris entstammenden Pathos sollte es ein “Millionenmarsch für die Frau” werden. Es ging um mehr Gleichberechtigung in einer neuen, säkularen Verfassung und die öffentliche Thematisierung und Kritik des patriarchalen und sexistischen Alltags, wie er sich vor allem in den täglichen verbalen und physischen (=offensives Grabschen) sexistischen Übergriffen auf Frauen mit und ohne Kopftuch, die 9 von 10 befragten ägyptischen Frauen schon mehrmals erlebt haben, äußert. So viele waren enthusiastisch, Schilder wurden gemalt, Witze kursierten auf twitter. Doch 18 Tage Kairiner Revolution verändern eben doch keine Gesellschaft.
Es kam anders, aber anders, als alle dachten. Nur einige Dutzend Frauen und ein paar Männer fanden sich auf dem Tahrir-Platz ein, und begannen zwei Transparente und selbstgemachte Schilder hochzuhalten und Flyer zu verteilen, die u.a. eine säkulare Verfassung und die Möglichkeit weiblicher Präsidentschaft forderten. Auf Schildern verurteilten sie die weitverbreitete Praxis der sexuellen Übergriffe. Innerhalb kurzer Zeit sammelten sich Männer um die kleine Gruppe, und ganz im Sinne massendynamischer Prozesse kamen, als es etwas zu sehen gab, immer mehr hinzu. Bald waren die DemonstrantInnen, die zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 70 und 250 an der Zahl waren, von bis zu tausend ganz normalen ägyptischen Männern [manche behaupten, es seien "angeheuerte thugs" gewesen, aber unklar wer sie hätte anheuern sollen] von allen Seiten umringt, die sie beschimpften, beleidigten und teilweise angrapschten. Sie wurden wahlweise als Ausländer oder “Katzen” bezeichnet, und in hitzigen Pöbeleien ging es darum, dass sie zurück in die Küche sollten, sich nicht wundern brauchten betascht zu werden, wenn sie so aussehen würden. Am meisten aufgebracht waren die Männer von der Forderung, dass auch Frauen Präsident werden sollen. Das alles sei irgendwie gegen die Werte, wahlweise ägyptische, islamische, arabische etc." (...)
so bitter es klingen mag - aber derlei szenen sind in den zwischen- oder nach?revolutionären phasen durchaus zu erwarten. ich kann mich an die vielen teils euphorischen äusserungen gerade von frauen aus den 18 tagen der "republik tahrir" erinnern, hier eine durchausrepräsentative:
(...) "Der Tahrirplatz hat sich in eine gut organisierte Republik innerhalb der Republik verwandelt. Menschenliebe, Aufmerksamkeit und Rücksicht zeichnet das Verhalten aller DemonstrantInnen aus. Komitees für Sauberkeit und Ordnung sind gebildet worden. Ein Teil des Platzes wurde für Menschen mit Behinderungen bestimmt, dort können sie von den anderen unterstützt und beschützt am Geschehen teilnehmen. Die Nahrungsmittelspenden werden über Stände verteilt. Es sind Millionen, die sich selbst ohne fremde Hilfe verwalten. Es sind zahlreiche Ambulanzstationen errichtet worden. Es gibt keine einzige Meldung über Diebstähle, sexuelle Belästigungen oder Gewaltverbrechen. Nicht vom Tahrirplatz, aber auch nicht vom ganzen Land. Ein Land in der Größe Ägyptens mit 80 Millionen EinwohnerInnen ist in einem Zustand der Aufruhr, ohne einen einzigen Polizisten, und ist dennoch sicherer als vor dem 25. Januar!" (...)
selbst, wenn das in der totalität als übertrieben gezeichnet erscheint - der kern des berichts darf durchaus als realistisch angesehen werden, und frauen waren nach vielen berichten durchaus völlig selbstverständlich überall beteiligt. telepolis hat heute übrigend gerade vier frauen aus der region nochmals beispielhaftgewürdigt, und ihr anteil an den revolutionären prozessen ist bereits jetzt ein geschichtlicher fakt.
ist der bericht aus kairo von heute nun ein zeichen für das scheitern der revolutionären bewegung? ich finde nein - immer noch befinden sich ausser tunesien alle anderen staaten in der ersten oder gar den vorphasen der eigenen möglichen revolution. ägypten hat nach dem ersten meilenstein - sturz der symbolischen führungsfigur - noch viel arbeit vor sich, die in tunesien schon weiter fortgeschritten ist. die künftige stellung und bedeutung von frauen im öffentlichen leben lässt sich allerdings - aus westlicher sozialisierter sicht - als echte nagelprobe für die frage ansehen, wieweit sich die antidiktatorischen revolten zu sozialen revolutionen entwickeln - einfach deshalb, weil dieser aspekt sehr direkt an die weiter oben angesprochenen basisstrukturen auch der heutigen herrschaftssyteme in den beiden regionen rührt. und zukünftig bedeutet das auch einen schärferen konflikt zwischen womöglich immer größeren teilen der weiblichen bevölkerungen dieser länder mit allen vorhandenen spielarten des islam. was wir gerade erleben, kann der erste schritt in diese zukunft sein.
vielleicht sollte für leute, besser gesagt männliche leute, die bei dem bericht aus kairo schon wieder chauvinistisch abgewunken haben und im stillen denken: "sieht man(n) ja wieder, wie `die araber´ wirklich ticken" auch noch die empfehlung auf den weg gegeben werden, sich selbst - vorzugsweise als beobachter - auf den weg zu hiesigen feministischen aktionen zu machen und einfach mal zu sehen und zu hören, wie die reaktionen des hiesigen publikums dann so ausfallen. jegliche anflüge kultureller arroganz sollten sich in aller regel dann zuverlässig verflüchtigen.
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so, wieder recht lang geworden, und ich mache wieder einen cut. aber der nächste teil soll in den kommenden stunden folgen.