assoziation

Samstag, 13. November 2010

assoziation: "der kommende aufstand" - ein (gedrucktes) gespenst geht um in europa

"Die Polizei hat die Kontrolle verloren. Das kann man nicht nur in Harlingen erleben, wo in der Nacht von Sonntag auf Montag die größte Schienenblockade in der Geschichte des Wendlands läuft. Eine Schlüsselszene spielt sich 11 Kilometer entfernt ab. Am Kreisverkehr westlich von Dannenberg, dort wo sich die zentralen Kreisstraßen 216 und 248 kreuzen, haben Bauern mit dutzenden Treckern eine schmale Passierstelle eingerichtet: Hier kontrollieren sie den Zugangsverkehr in die Region. „Klar darfst du durch", ruft ein Landwirt einem Autofahrer zu. "Nur keine Polizisten!"

(neulich im wendland)

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May 2010 Greek protests

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zwei orte in europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - einmal die beschauliche ländliche provinz im östlichen niedersachsen; zum anderen die griechische hauptstadt athen. und zwei szenen, die sich jenseits aller unterschiede ideal zur illustration der thesen jenes textes eignen, der im folgenden thema sein soll. vorher aber noch das: die szene in athen fand in jenen tagen des vergangenen mai statt, in denen zehntausende rund um das griechische parlament strömten, in dem die sog. sparbeschlüsse verabschiedet wurden - tage, in sich denen griechenland tatsächlich vielleicht mehr noch als im winter 2008 am rande eines allgemeinen aufstands befand. diese dynamik wurde wie auf einen schlag mit dem
tod von drei bankangestellten unter durchaus diskussionswürdigen umständen beendet. aber genau diese geschichte kann auch exemplarisch für all das janusköpfige stehen, was mit dem begriff aufstand untrennbar assoziiert ist.

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der kommende aufstand also - hinter dem link verbirgt sich die druckreife pdf-fassung dieses textes (aus der ich im folgenden auch zitieren werde), der seit ein paar jahren erst versteckt, dann immer offener, in immer mehr ländern zum gegenstand aufgeregter mutmaßungen mutiert. zumindest im sinne der aufmerksamkeitsökonomie kann sich das "unsichtbare komitee", welches wahlweise als herausgeber und/oder autorInnenkollektiv betrachtet werden kann, bereits etliche punkte gutschreiben. ich weiß seit ein paar jahren von der existenz dieses textes, hauptsächlich aufgrund der furore, die er in frankreich ausgelöst hat (wo sich das buch durchaus als heimlicher bestseller bezeichnen lässt). geschrieben irgendwann in den jahren nach den unruhen in den banlieus 2005, bezieht sich der text zwar auch logischerweise auf spezielle ausprägungen der innerfranzösischen gesellschaftlichen verhältnisse, lässt sich aber durchaus ebenfalls als eine allgemeine situationsbeschreibung vieler gesellschaften des sog. westens lesen. und vor diesem hintergrund empfehle ich durchaus die lektüre. angemerkt werden sollte noch, dass zu dieser lektüre auch ein neueres vorwort gehört, welches 2009 geschrieben wurde und sich zentral auf die griechische dezemberrevolte 2008 bezieht. und dort wird meiner meinung nach deutlicher als in den vorherigen ausgaben, dass sich das "unsichtbare komitee" selbst als kommunistisch verortet - ein kommunismus allerdings, der sich historisch eher an der pariser commune als an die bolschewiki anlehnt.

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hierzulande gab es meines wissens die erste nennenswerte mediale reaktion im mainstream, nachdem der text 2009 tatsächlich in einem verlag erschien und seitdem wie ein ganz normales buch für knapp einen zehner in etlichen buchhandlungen zu erwerben ist (ein vorgang, der im kapitalismus zwar normal, aber gerade bei diesem text mit einem höchstmaß an absurdität verbunden ist). in der "taz" durfte ein mitarbeiter der grünen bundestagsfraktion einen eher unverblümten
verriß schreiben, mit einem - aus seiner sicht - nachvollziehbaren schwerpunkt:

(...) "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen." (...)

ist natürlich auch zu ärgerlich, wenn man sich als irgendwielinker unter dem dach der grünen partei in der "repräsentativen demokratie und ihren institutionen" häuslich und vor allem bequem eingerichtet hat - und dann kommen da irgendwelche anonymen chaoten aus frankreich und feuern genau gegen das eigene heim eine theoretische breitseite ab, die in gewisser weise massenwirksam zu werden droht. da heißt es dann, die eigene vergangenheit zu plündern, um diesem treiben systemtragende riegel vorzuschieben.

in den letzten wochen nun wurde der kommende aufstand aus gründen, die mir nicht ganz klar sind - stuttgart und gorleben mögen hier eine rolle spielen - auch zum thema besonders des konservativen und "liberalen" feuilletons. den interessantesten beitrag finde ich denjenigen von nils minkmar in der "faz", der unter dem titel
Seid faul und militant! unter anderem den wirkungsgrad des textes einzugrenzen versucht:

(...) "Doch das ist erst der Anfang: „Nie war das Gefühl eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs so lebhaft!“ So steht es in „Der kommende Aufstand“, einem französischen Buch, das dieser Tage abseits der Buchhandlungen und Bestsellerlisten stetig an Lesern und Relevanz gewinnt. Glenn Beck, der einflussreiche rechtsanarchistische amerikanische Fernsehprediger, hat schon vor Monaten eine ganze Sendung lang gegen das Werk monologisiert. An britischen und französischen Universitäten wird es als kanonischer Text studiert und besprochen.

Und wenn, wie in der vergangenen Woche in Berlin, nachts die Autos brennen, im Kanzleramt ein Sprengkörper griechischer Anarchisten gefunden wird und die S-Bahn aus ungeklärten Gründen ausfällt und sich in der Stadt das Gefühl einer nahenden Großstörung breitmacht, dann passt das dermaßen perfekt zu der in diesem Buch entwickelten Strategie, dass man an bloßen Zufall nicht mehr glauben mag." (...)


minkmar setzt sich als vielleicht einziger autor der ganzen rezensentenriege besonders am schluß seines besprechung auf eine ernstzunehmende art und weise mit den thesen des "aufstands" auseinander, und darauf werde ich später nochmals zurückkommen. ansonsten taucht in so ziemlich allen artikeln über kurz oder lang unweigerlich der name michel houellebecq auf, und vielleicht lässt sich hier auch eine art feuilletonistischer strategie bei der arbeit sehen, die darauf zielt, die explosivität einiger inhaltlicher thesen mittels der magischen beschwörung "und es sei und werde kunst!" zu entschärfen - deutlicher wird das in der
"neuen züricher":

(...) "Ich wollte mir das Bändchen eigentlich nur aus Neugier und aus Jux kaufen, davon überzeugt, dass sein verquaster Inhalt und sein schwerverdaulicher Jargon mich schmunzeln machen würden. Zumindest was letzteren Punkt betrifft, lag ich freilich völlig daneben. «L'insurrection qui vient» verzichtet weitgehend auf jede Phraseologie und ist in einem eiskalten, messerscharfen Stil verfasst. Das Bändchen liest sich wie ein früher Roman von Michel Houellebecq, nur ist es viel besser geschrieben (was zugegebenermassen mit einem Mindestmass an Begabung nicht sehr schwer ist)." (...)

gerade die letzten sätze lassen sich als schönes beispiel für das obligatorische bürgerliche kulturgeschwätz ansehen, und an houellebecq ist in diesem zusammenhang anscheinend wirklich kein vorbeikommen, wie auch die
"süddeutsche" findet:

(...) "Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine "Ästhetik des Widerstands" für das neue Jahrtausend. Der erste Teil ist in sieben "Kreise" unterteilt, ein Verweis auf Dantes Inferno. In der Hölle unserer Tage ist der Mensch eine kleine, überflüssige Konsum-Monade, der als Lebenssinn nur das kalte Neonlicht der Warenwelt bleibt. Das System ist überall, fast wie Gas ist es noch in die letzten Ritzen des Privatlebens gedrungen. Aber gerade weil es unbesiegbar und übermächtig ist, muss man jetzt dagegen aufbegehren.

Während die meisten Europäer seit zwei Jahren angststarr auf die vielköpfige Hydra der Krise blicken und darauf hoffen, dass alles noch mal gutgehen möge, wird hier mit heiterster Miene davon ausgegangen, dass die Katastrophe des Zusammenbruchs längst begonnen hat. (...)

Kurzum: Die ersten 60 Seiten sind eine Gegenwartsanalyse, so beißend wie poetisch, geschult an Guy Debord, Antonio Negri, Giorgio Agamben, und oft meint man Michel Houellebecqs Stimme durchzuhören, wenn da genüsslich die Kälte und Vereinsamung der Leistungsgesellschaft beschrieben wird." (...)


naja. jenseits von houellebecq, von dem ich besonders seine "ausweitung der kampfzone" schätze, sind mir beim ersten lesen vor allem folgende dinge aufgefallen: erstens setzt der text durchaus einiges voraus; zweitens eignet er sich nicht nur deswegen - ohne das jetzt abwertend zu meinen - nicht unbedingt dafür, mal eben schnell die pause auf der nächsten baustelle abzupassen und dort den arbeitern eine alternative zum totschläger mit den vier buchstaben in die hand zu geben; und drittens enthält er tatsächlich eine fülle von metaphern und sätzen, die geeignet sind, dinge und verhältnisse auf den punkt zu bringen oder sie zumindest kenntlich werden zu lassen. viertens aber sind jenseits aller formulierungskünste dann doch die inhaltlichen aussagen bei so einem text immer noch das wichtigste, und einige dieser aussagen sollen im nächsten beitrag genauer unter die lupe genommen werden. wobei ich einerseits besonders aus meiner heutigen perspektive (d.h. dieses blogs) schauen werde, zum anderen aber auch meine eigene vergangenheit eine rolle spielt - etliche jahre in der autonomen linken haben mich auch etliche sog. militanzdebatten miterleben lassen, ebenso wie direkte erlebnisse der existenz, folgen und wirkungen von (massen-)militanz - im guten wie im schlechten.

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und unabhängig von meinen eigenen inhaltlichen wertungen noch dieses: falls Sie dieses jahr wieder mal nicht wissen, ob und was Sie weihnachten verschenken sollen, ist das ein guter tipp. ausgedruckt, hübsch gebunden und mit wahlweise kunstvoller schleife oder aber an einem pflasterstein angebunden, eignet sich der kommende aufstand als stilvolles und zeitgemäßes präsent unter jedem baum. und statt der obligatorischen lieder lässt sich damit eine inspirierende leserunde im kreise der liebsten veranstalten. und auch auf jeder firmenweihnachtsfeier ist ein großes hallo! garantiert.

Sonntag, 19. September 2010

assoziation: mehr körperkontakt!

diesen titel trägt ein ziemlich guter text auf einer mir bislang unbekannten seite - die für mich wesentlichen auszüge:

(...) "Das Problem, mit dem wir es angesichts des verkrampften Umgangs mit Sexualität in unserer Kultur zu tun haben, ist eigentlich nicht so sehr, dass der Sexualität die Liebe und Wertschätzung fehlt, sondern andersherum: dass den liebevollen und wertschätzenden Beziehungen jegliche körperliche Ausdrucksmöglichkeit fehlt.

Uns fiel nämlich auf, dass nicht nur Sexualität, sondern jede Art von körperlichem, liebevollem Kontakt zwischen Menschen in unserer Kultur stark tabuisiert ist, sobald sie außerhalb intimer Paarbeziehungen stattfindet. Niemand fasst sich an, niemand kuschelt miteinander, niemand hält sich im Arm, niemand streichelt sich gegenseitig – das alles ist nur unter expliziten Liebespaaren erlaubt. Was im Umkehrschluss heißt: Sobald es zu körperlicher Nähe kommt, steht die Frage nach einer Liebesbeziehung und damit nach expliziter Sexualität im Raum. (...)

Selbst bei guten Freunden und Freundinnen sind wir oft verkrampft, sobald es um einen körperlichen Kontakt geht, der über ein flüchtiges Küsschen zur Begrüßung hinausgeht. Sich gemeinsam auf ein Sofa kuscheln und einen Film schauen ist normalerweise nicht möglich. Auch nicht, gemeinsam in einem Bett zu übernachten, sich zu streicheln, Händchen zu halten, sich im Arm zu halten (von Extremsituationen wie großer Verzweiflung vielleicht abgesehen). Noch schlimmer ist es bei Bekannten: Sich bei einem Arbeitskollegen über die Schulter beugen, um auf seinen Bildschirm zu schauen, wird schnell zur heiklen Angelegenheit. (...)

Diese Kultur der Körperlosigkeit in Beziehungen läuft den menschlichen Bedürfnissen entgegen. Denn es ist kaum möglich, ohne körperliche Nähe, ohne Angefasst werden, Streicheln, Kuscheln, Umarmt werden, gut zu leben. Deshalb müssen wir alle so verzweifelt auf eine Zweierbeziehung hoffen. Deshalb ist die Einsamkeit alter Menschen so unerträglich. Wir stellten bei unserem Gespräch fest, dass das unsere größte Angst vor einem eventuellen Single-Dasein ist: auf die Möglichkeit körperlicher Nähe verzichten zu müssen. Nicht das Geld macht uns Sorgen, nicht das Ausgelastet sein, nicht das Eingebundensein in Freundschaften und ein soziales Netz, letztlich auch nicht der pure Sex – das alles ist auch außerhalb der klassischen Zweierbeziehung zu haben. Kuscheln, Küssen, Streicheln, sich Körperlich geborgen Fühlen aber nicht.

Eine Gesellschaft, die die menschliche Sehnsucht nach Körperkontakt so extrem einschränkt und mit Tabus gelegt, muss sich eigentlich nicht wundern, wenn sich destruktive und gewalttätige Formen von Sexualität entwickeln." (...)


letzteres ist allerdings mit wahrscheinlichkeit nicht nur auf die sexuelle ebene beschränkt. das fasste der us-amerikanische psychologe rollo may schon 1969 in seinem buch "love and will" in die folgenden worte:

"When inward life dries up, when feeling decreases and apathy increases, when one cannot affect or even genuinely touch another person, violence flares up as a daimonic necessity for contact."

(in sinngemäßer übersetzung: wenn das innenleben vertrocknet, gefühle verschwinden und sich apathie ausbreitet, wenn man andere menschen nicht mehr erreichen und sogar im tatsächlichen sinne nicht mehr berühren kann, dann flammt als ein letzter dämonischer versuch, eine berührung erzwingen zu wollen, gewalt auf.)

mir ist dieses zitat das erste mal als abschluß einer recht blutigen krimikurzgeschichte begegnet. und tatsächlich: wenn man dieses modell einmal als schablone über unsere gesellschaftliche realität legt, sieht es augenscheinlich etwas danach aus, als ob das motiv der erzwungenen berührung in vielen fällen untergründig beteiligt ist.

nun hat rollo may als vom
existentialismus beeinflusster psychologe seine sätze in einer epoche geschrieben, in der besonders diverse variationen der psychoanalyse - von freud angefangen bis hin zu den "dissidenten" wie erich fromm und auch wilhelm reich - ebenfalls noch up to date waren und ihren focus bekanntlich besonders auf die in ihren entstehungszeiten tatsächlich noch "klassisch" unterdrückte sexualität legten, die in einem fatalen sinne oft genug mit der gesamten körperlichkeit des menschen gleichgesetzt wurde (diesen verhängnisvollen fehler hat meiner meinung nach auch wilhelm reich begangen, so sehr ich ihn auch generell für wichtige arbeiten schätze).

heute haben wir es jedoch mit phänomenen zu tun, die sich unter dem begriff der verdinglichten (und verdinglichenden) selbst- und fremdwahrnehmung zusammenfassen lassen. da wäre einmal die heutige allgegenwärtige übersexualisierung der gesellschaft, in der, wie ich zum thema
amok früher einmal geschrieben hatte...

"... in der sexualität tatsächlich zu einer art alles dominierendem platzhalter für die mehr und mehr fehlende vielfalt von lebendigen und liebevollen menschlichen beziehungen geworden ist, zu allem überfluß auch noch zusehends unter die räder der "marktgesetze" geraten ist - äußere attraktivität konform der jeweiligen mainstreamproduzierten nachfrage mitsamt der fähigkeit, das eigene image gut zu verkaufen, erhöhen die eigenen chancen, von anderen als investitionswürdiges (zeit, aufmerksamkeit) objekt der begierde wahrgenommen zu werden ..."

... und die sich heute zu einem sehr destruktiven gesellschaftlichen faktor entwickelt hat, zugespitzt in den diversen formen von (gewalt-)pornographie bis hin zu sexualisierter gewalt . im engen wechselspiel damit und sich mit der zwanghaften sexualisierung gegenseitig verstärkend/bedingend sind die schon erwähnten wahrnehmungsstörungen und -defizite zu sehen, auch hier an erster stelle die einbußen an empathiefähigkeit, die nicht nur für die eingangs im vorgestellten text erwähnten ebenen von nicht primär sexuellem körperkontakt eine grundlegende voraussetzung darstellt. und die eben auch für viele hier in der vergangenheit schon diskutierten phänomene wie bspw. kindsmorde, schulmassaker ("amok") und "happy slapping" eine basale grundlage bildet.

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da sich die obigen themen allesamt um innere kernbereiche der menschlichen sozialität drehen, ist es aus meiner sicht schon dringend nötig, hier etwas orientierung zu gewinnen, weil sonst die agierenden destruktiven kräfte und prozesse nicht in ihrem wirken verstanden werden können. unter der realistischen annahme, dass wir es in den heutigen gesellschaften mit einer wahren epidemie von beziehungskrankheiten (prinzipiell besitzt jede "psychische" [psychophysische] störung/krankheit als kern eine beziehungsstörung, zuerst innerhalb des eigenen selbst, falls denn letzteres überhaupt vorhanden ist) zu tun haben, mal der versuch, ein paar der angerissenen punkte zu ordnen:
  • als erstes eine binse: nicht alles, was nach sex aussieht, ist tatsächlich sexuell. drastisches beispiel wären hier vergewaltigungen, bei denen es immer zentral um macht geht. und bei denen sekundär auch ein motiv wie dasjenige von rollo may beschrieben eine rolle spielen könnte.
  • beziehungskrankheiten können als symptome sowohl eine weitgehende sexuelle abstinenz als auch eine recht wahllose und teils massiv selbst- und fremdgefährdende komponente sexuellen ausagierens mit schon zwanghaften zügen aufweisen. am deutlichsten zu sehen ist beides (!) bei vorgeschichten sexualisierter gewalt, bei denen die opfer dann später auch dazu neigen, ihre traumata zu re-inszenieren (teils dann mit vertauschten rollen). dieser punkt ist auch genau derjenige, der mich solche zeitgeistphänomene wie "bdsm" mit einigem misstrauen betrachten lässt. selbst wenn den protagonisten ihre motivationen bewusst sein sollten, so lässt sich derart kein trauma wirklich auflösen. eher wird hier nur immer und immer wieder neu ausagiert, und gleichzeitig die fehlkoppelung von sex = machtposition = lust ständig reproduziert und ganz im wirksinne eines verhaltenspsychologischen verstärkers verankert. das hat mit irgendetwas emanzipatorischem nicht nur nichts zu tun, sondern arbeitet dem direkt entgegen.
  • wie auch die verbreitete trennung von sex und liebe. eine der fatalsten spaltungen überhaupt, die einerseits die sexualität mit einer bedeutung auflädt, unter der sie nur früher oder später kollabieren kann (weil sie zwangsweise umstandslos mit allgemeiner menschlicher erfüllung gleichgesetzt wird), während andererseits der allgemeine mangel an liebe (und das nicht im sinne der zweierbeziehung, sondern auf alle sozialen beziehungsebenen bezogen) vielleicht als das besorgniserregendste symptom unserer zeit überhaupt begriffen werden muss. gleichzeitig ist die spaltung auch mehrfach verräterisch: es ist auffällig, dass eine derart herausgehobene sexualisierung bevorzugt innerhalb quantifizierbarer dimensionen abgehandelt und wahrgenommen wird - wie oft, mit wievielen, "eroberungen" besonders begehrter "objekte" etc. - und so auch deutlich wird, dass es dabei keinesfalls um einen, vielleicht den intensivsten, ausdruck zwischenmenschlicher nähe geht, sondern um eine narzisstisch aufgeladene bestätigung des eigenen, objektivistisch konstruierten images, welches gleichzusetzen ist mit der gesellschaftlich präsentierten maske. andererseits steckt selbst in vielen dieser praktiken auch vermutlich das, was im may-zitat so treffend auf den punkt gebracht wurde. und nein, dazu muss nicht unbedingt "sichtbare" gewalt vorhanden sein. während die anonymität und kälte, mit der diese marktkonforme sexualität oft genug daherkommt, schon den kern offener gewalt impizit enthält, so ist doch gleichzeitig oft genug noch ein verzweifelter rest der suche nach authentischer menschlicher nähe vorhanden, die aber - weil weitgehend unbegriffen und im wortwörtlichsten sinne sprachlos - sich nur noch in deformierten ausdrücken manifestieren kann.
  • den sonderfall bei diesem ganzen komplex bilden wie so oft wiedereinmal die "echten" sozioapathen aka als-ob-persönlichkeiten. ganz kurz gesagt, kommt hier alles sexuelle völlig mechanistisch daher, wird einzig und alleine in quantifizierbaren mustern wahrgenommen und hat nicht mal einen hauch mit authentischer zwischenmenschlicher nähe zu tun. alle diese eigenschaften machen aber paradoxer- und bezeichnenderweise strukturell soziopathische leute auf dem heutigen sexmarkt zu bevorzugten objekten und konsumenten gleichzeitig, weil die motive des unverbindlichenden, der anonymität und verdinglichenden / verobjektivierenden wahrnehmung des gegenübers durchaus, nicht zuletzt durch die massenhaft verbreitete pornographie, bruchlos kompatibel mit den nachgefragten eigenschaften von "sexpartnern" im mainstream sind. das alles ist im wesentlichen nur die wiederspiegelung der sonstigen auffälligen kompatibilitäten von soziopathen mit den normen und praktiken des totalitären kapitalismus.
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bei betrachtung all dieser punkte kommt mir auch wieder eine gerade laufende
diskussion bei kritik und kunst in den sinn, bei der ich mein unbehagen bisher nur teilweise fassen konnte. inzwischen aber scheint mir ein zentraler punkt darin zu liegen, dass hartmut finkeldey und ich jeweils unterschiedliche probleme als priorität ansehen: wenn er in seinem letzten statement u.a. schreibt...

"wir haben derzeit eine sehr unheilige Allianz zwischen Therapeuten (denen es zT auch nur um ABMs geht, die ein Interesse daran haben, möglichst viel "Fälle" zu haben - muss man so knallhart sagen!) und neuer Rechter mit ihrer Körperfeindlichkeit."

... dann ist das ziemlich genau die position, die auch leute wie katharina rutschky oder der bei diesem thema unsägliche wiglaf droste in der "mißbrauch-mit-dem-mißbrauch"-kampagne in den 1990ern verbreitet haben. und das fand ich damals schon daneben, weil hier einfach auf dem stand von "1968" argumentiert wird und die - in weiten teilen der politischen rechten bis heute zweifelsfrei vorhandene - tendenz zur sexuellen repression als hauptproblem gesehen wird. und eben das möchte ich in zeiten der allgemeinen übersexualisierung bestreiten. die taten, die bei "kritik und kunst" anlaß für den ausgangsbeitrag bildeten, fanden unter kindern/jugendlichen statt und machen durchaus einerseits die tatsache deutlich, dass in den heutigen jungen generationen die verfügbarkeit und der konsum von pornographie eine sehr negative rolle spielen kann (dazu zusammenfassend mehr beim
psychiatrie-heute-net, ebenfalls eine quasi "regierungsamtliche" studie dazu - beide quellen kommen zu einem ähnlichen, und zwar sowohl für "klassisch" linke wie rechte, unbequemen hauptergebnis: nämlich das das rechte schreckgespenst einer quasi hemmungs- und schamlosen sexualisierung von kindern und jugendlichen per pornokonsum erstens so nicht haltbar ist, während zweitens dieser konsum durchaus negative folgen mit sich bringt, als deren gravierendste die unmöglichkeit beschreiben wird, im vergleich zwischen den scheinwelten des pornos und dem realen eigenen leben quasi nicht den kürzeren zu ziehen. und das kann zu massiven schwierigkeiten für die jeweils eigene sexuelle entwicklung führen), wobei wir in diesem fall diesen möglichen einfluß nicht abschätzen können (es liegt aber nahe, einen solchen einfluß anhand der geschilderten praktiken anzunehmen. solche szenarien entwickeln sich keinesfalls "von selbst". die andere möglichkeit wäre die, dass die betroffenen jugendlichen hier eigene erfahrungen in vertauschten rollen re-inszeniert haben). zum anderen zeigen sich aber auch massive empathiedefizite bei gleichzeitigem sexualisieren von angewandter gewalt, und das spiegelt durchaus entwicklungen wieder, die hier in anderen zusammenhängen bei kindern und jugendlichen auch schon thema waren.

und letzteres betrachte ich inzwischen als zentrales problem - ganz im gegensatz zu vielen linken, die bei diesen fragen immer noch dem irrglauben anhängen, dass "die sexualität" aus den fängen einer rigiden und prüden, religiös beeinflussten bürgerlichen moral zu "befreien" wäre - und dabei völlig übersehen, dass die zeiten der totalen ökonomisierung mitsamt ihren verheerenden folgen für die menschlichen innenwelten die problemstellung massiv verschoben haben - heute ist "die sexualität" in ihrem eigentlichen wesen als ausdrucksmöglichkeit zwischenmenschlicher nähe und zuneigung eher als entkernt zu betrachten. sie hat sich, wie alles andere auch, in ein konsumierbares produkt verwandelt, und wandelt in dieser gestalt ständig in der nähe allerlei grenzverletzungen umher. und das betrachte ich als zentral, nicht das lächerliche gehabe irgendwelcher figuren von rechts, deren absurde thesen im allgemeinen nur noch anlaß zu gelächter geben (ein aktuelles beispiel dafür findet sich
hier).

das es den anschein hat, als würde derlei auf fruchtbaren boden fallen, hat nicht zuletzt auch mit der erwähnten falschen prioritätensetzung zu tun - die rechte greift in ihrer verzerrenden art und weise ein paar symptome der erwähnten produkthaftigkeit von sexualität auf und erweckt dadurch für etliche sich in dieser schwer durchschaubaren lage befindlichenden den eindruck, mittels ihrer rezepte einen ausweg zeigen zu können. das funktioniert analog anderen gesellschaftlichen bereichen aber nur dann und deshalb, weil es bislang keinerlei auf höhe der zeit befindlichen emanzipatorischen ansätze gibt, die hier angemessene antworten und wege aufzeigen könnten. und gerade deshalb finde ich den eingangs verlinkten text gut: weil hier durchaus der versuch sichtbar ist, in dieser situation etwas orientierung zu geben. auch, wenn sich der dortige autorenkreis vermutlich eher weniger als "links" begreift.

Montag, 6. September 2010

assoziation: zum öligen menetekel (nicht nur) am golf (4)

(zum vorherigen dritten teil .)

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weil es zeitlich etwas drängt, möchte ich mich als erstes ausdrücklich der
empfehlung von fk anschließen - "Das Öl-Zeitalter", noch bis zum 8. september online zu sehen, ist eine äusserst lehrreiche dokumentation, die u. u. auch dazu führt, das eigene geschichtsbild nochmal zu überarbeiten - es gibt jede menge aha-affekte zu registrieren, angefangen von der kriegsentscheidenden rolle des öls im ersten weltkrieg (der erste große einsatz von panzern und motorisierten truppentransportern auf seiten der westlichen alliierten war entscheidend - wobei "standard oil", ähnlich wie "krupp" in sachen waffen, an alle seiten verkaufte und sich dumm und dämlich verdiente), über die rolle des öls im nationalsozialismus und im zweiten weltkrieg - hier wird mehr als deutlich, dass ohne die hilfe der us-amerikanischen konzerne "standard oil" und "duPont" (für die gewinnung von synthetischem und für die nazis absolut kriegswichtigem öl aus kohle) sowie "general motors" bis weit in die frühen 1940er jahre hinein die grundsätzliche kriegsfähigkeit der wehrmacht mindestens massiv eingeschränkt gewesen wäre; bis hin zur kolonialgeschichte der global wichtigsten öl-region, dem nahen/mittleren osten, mit einem schwerpunkt auf den iran

bei betrachtung der rückblenden und interviews konnte ich mich des eindrucks nicht erwehren, dass auf dieser ebene menschlicher aktivität bei den protagonisten eine mentalität zu verzeichnen ist, die irgendwo auf der ebene eines mit existenzieller dringlichkeit gespielten hybrids aus "risiko" und "monopoly" angesiedelt ist. konferenzen, entscheidungen am "grünen tisch", geheimgespräche, intrigen, kartelle und militärisches strategisches kalkül prägen das überaus unerfreuliche, aber erhellende bild. zusammen mit der expliziten giftigkeit des stoffes erdöl selbst legt die geschichte des öls in der menschlichen welt die wertung nahe, das bislang kein anderer rohstoff (gleichrangig würde ich hier als einzige noch die radioaktiven ressourcen ansehen) bei seiner nutzung derart destruktive folgen für die gesamte spezies hervorgebracht hat. ich glaube, dass dieses urteil selbst dann gilt, wenn man die vielen, auf den ersten blick durchaus vorteilhaften, anwendungen des öls gegenüberstellt - primär natürlich der medizinische fortschritt, aber auch die erweiterten möglichkeiten der nahrungsmittelproduktion (wobei damit dann wieder andere schädliche folgen verbunden sind, die das ganze dann relativieren).

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und gerade die letztgenannten beiden punkte weisen geradewegs auf etwas hin, was in der langsam in gang kommenden öffentlichen diskussion zu peak oil bisher kaum thematisiert wird: es gibt nämlich eine meiner meinung nach sehr nachvollziehbare und plausible direkte
verbindung zwischen ölförderung und globalem bevölkerungswachstum (die grafik ist in dem hier schon früher verlinkten oelschock-beitrag zur exponentialfunktion enthalten).

die - und hier ist das wort wirklich angebracht - brutalen schlußfolgerungen liegen auf der hand:

1. das öl hat durch die durch seine nutzung errungenen technologischen fortschritte in medizin & nahrungsmittelproduktion überhaupt erst das für uns heute gewohnte wachstum der population der spezies möglich gemacht.

2. durch diverse einflüsse hat sich das modell der auf fossilen rohstoffen basierenden und kapitalistisch organisierten westlichen industriezivilisation auf dem ganzen planeten faktisch selbst zum scheinbar alternativlosen vorbild in sachen lebensgestaltung und -stil stilisiert, was quasi alleine dem damit assoziierten materiellen wohlstand zuzuschreiben ist - für die absolute mehrheit der menschheit aufgrund ihrer erbärmlichen und teils nichtmal das nötigste existenzielle abdeckende lebensbedingungen eine nachvollziehbare verlockung.

3. peak oil (es ist offensichtlich immer noch notwendig zu betonen, dass es sich dabei um die abseh- und teils berechenbare verknappung billigen öls handelt, und nicht um das komplette materielle versiegen aller bekannten quellen; auch dieser aspekt kommt in der eingangs erwähnten doku zur sprache) wird nun beide vorherigen punkte grundsätzlich untergraben und angesichts der ansonsten im blog breit diskutierten psychophysischen verfassung großer teile der spezies, die eine sozusagen ganzheitliche (auch emotionale) rationalität in sachen organisierung unserer kollektiven lebensbedingungen (das wäre politik im eigentlichen sinne) als schwierig bis unmöglich erscheinen lässt, mit erhöhter wahrscheinlichkeit zu massiven verteilungskämpfen bis hin zu kriegen um die letzten erreichbaren ölreserven führen. solche kriege wurden in der vergangenheit schon geführt, werden aber zukünftig aufgrund des finalen charakters der ganzen geschichte ungeahnte ausmaße in jeder hinsicht annehmen.

damit ist auch gleichzeitig eine allgemeine globale reduktion des materiellen lebensstandards unausweichlich - was das bedeutet, zeigen u.a. die hungerrevolten des sommers 2008 in vielen trikontländern (es waren ungefähr 30 staaten betroffen) genauso an wie das langsame zerbröseln der - relativen - materiellen sicherheit für immer mehr menschen in den westlichen ländern. klar, das ist bisher auch eine folge der globalen ökonomischen krise (wobei diese bereits durch peak oil getriggert erscheint) - dabei ist es nicht mehr zulässig, ökonomische, hunger-, ressourcen- und ökologische krise in fragmentierender wahrnehmung jeweils "für sich" zu betrachten - die verzahnungen und gegenseitigen beeinflussungen sind unübersehbar und ich habe auf diesen umstand auch schon öfter hingewiesen, der alles ausserordentlich erschwert. wir haben allesamt eine fatale neigung zur komplexitätsreduktion, und das ist bei einer umfassenden fundamentalen und globalen krise wie derjenigen, in die wir inzwischen voll eingetreten sind, eine absolut schlechte voraussetzung für lösungswege aus dieser situation, die diesen namen auch verdienen würden.

4. ein weiteres ganz zentrales hindernis auf dem weg zu einem positiven umgang mit dem ganzen problemknäuel liegt in den selbsterklärten gesellschaftlichen "eliten" rund um den planeten, bzw. ihrem tun, lassen, denken und fühlen. sie tendieren dazu, sämtliche selbst (mit-)verursachten probleme alleine innerhalb ihrer tunnelhaften instrumentellen und objektivistischen wahrnehmung unter der prämisse des eigenen überlebens in ihren heutigen machtpositionen zu betrachten. das führt dann einerseits zu einer überbetonung der hoffnung auf technologischer alternativen (die aber beim öl unmöglich auf allen relevanten feldern greifen können, weil sie schlicht nicht vorhanden sind und auch zukünftig nicht sein werden - das hat u.a. etwas mit den unschlagbaren eigenschaften der energiebilanz von öl zu tun. dazu kommt noch, dass auch bei einer ganzen reihe anderer rohstoffe, von denen heute technologie, infrastruktur und versorgung abhängen, in relativ naher zukunft peaks zu erwarten sind - angefangen von
phosphor [für die landwirtschaft enorm wichtig] bis hin zu den sog. "seltenen erden" ), andererseits wird nach außen mit notorischer geheimniskrämerei gegenüber der bevölkerung agiert, wie verschiedene vorfälle der letzten jahre belegen - als letzter bekannt gewordener sei auf den im vorherigen beitrag zur peak oil-studie der bundeswehr verlinkten spon-artikel hingewiesen, wo es bezgl. der britischen regierung heisst:

(...) "Erst in der vergangenen Woche hatte der "Guardian" darüber berichtet, dass das britische Department of Energy and Climate Change (DECC) Dokumente unter Verschluss halte, wonach sich Großbritanniens Regierung weit größere Sorgen über eine künftige Versorgungskrise macht, als sie zugeben will.

Demnach arbeiten das DECC, die Bank of England, das britische Verteidigungsministerium und Vertreter der Industrie an einem Krisenplan, der sich mit den Folgen möglicher Versorgungsengpässe beschäftigt. Anfragen des sogenannten Peak Oil Workshops an Energieexperten liegen SPIEGEL ONLINE vor. Eine DECC-Sprecherin bemühte sich, den Vorgang herunterzuspielen. Die Anfragen seien "Routine", sagte sie dem "Guardian"; sie hätten keine politischen Implikationen." (...)


ein solches verhalten weist deutlich darauf hin, dass hier ganz heisse eisen im feuer sind. um die mögliche natur dieser eisen besser begreifen zu können, jetzt nochmals ein hinweis auf einen film - "collapse" nach dem buch des us-amerikanischen autors
michael c. ruppert dreht sich primär um seine - aus seiner biographie heraus interessante - sicht auf peak oil und die folgen, und ich sehe mich leider gezwungen, ihm im großen und ganzen zuzustimmen (wie ich andere thesen von ihm finde, ist ein anderes thema).



die anderen teile (acht insgesamt) sind auf yt zu finden.

wie ich finde, macht ruppert nochmals sehr eindringlich auf die wahrhaft umwälzenden konsequenzen des peaks für so ziemlich alle lebensbereiche aufmerksam. und lässt dadurch erahnen, was für "lösungen" möglicherweise den heutigen "eliten" diesbezgl. vorschweben könnten - unter den oben genannten prämissen natürlich.

ich möchte dazu ein kleines gedankenexperiment veranstalten: wie würden Sie denn als fiktives mitglied der "eliten" mit der sich abzeichnenden situation umgehen? Sie haben natürlich ein interesse daran, Ihre derzeitige position - materiell mehr als angenehm ausgestaltet; vor allem aber mit realen möglichkeiten der machtausübung ausgestattet (die Sie für Ihre psychophysische homöostase dringend benötigen) - nicht nur zu behalten, sondern wenn möglich noch auszubauen (denken Sie daran, dass Sie sich in einer ständigen überlebenskonkurrenz befinden, bei der es keine freunde gibt, sondern nur zeitweilige [pseudo-]verbündete, die sowohl von gemeinsamen ressentiments als auch kühlen nutzkalkulationen motiviert sein können).

und jetzt sind Sie also mit diesen problemen von grenzen konfrontiert, die Sie nicht wie gewohnt manipulieren können, wie´s Ihnen gerade in den kram passt, weil es sich dabei u.a. um die folgen solcher fundamentalen prozesse wie den gesetzen des exponentiellen wachstums und auch der thermodynamik -
entropie heißt hier das stichwort - handelt. womöglich begreifen Sie weder diese prozesse noch die folgen auch nur annährend; was Sie aber durchaus zu spüren vermögen, sind gefahr und bedrohung für die einzige Ihnen vorstellbar erscheinende lebensweise.

Sie nehmen das alles ernst und denken in Ihrer typisch instrumentellen rationalität darüber nach. als erstes fällt ins auge: es gibt da draussen entschieden zuviele artgenossen - bestenfalls nützliche verwertungsmasse, werden im zuge des sich beschleunigenden niedergangs gerade der ökonomischen strukturen immer mehr von diesem gerade noch erträglichen status zu überflüssigen und störenden dingen herabsinken, die kostbare ressourcen beanspruchen und möglicherweise, sofern nicht völlig verelendet, auch überhaupt ansprüche stellen - hunderte von millionen, ja milliarden unruheherde und -stifter. wer braucht die? Sie als allerletztes.

nun haben Sie es ja schon durchaus geschafft, in den letzten jahrhunderten zusammen mit Ihresgleichen verhältnisse zu etablieren, in denen z.b. der tägliche hungertod von ein paar zehntausend dieser überflüssigen und störenden als "normalität" begriffen wird und bei sehr vielen, etwas weiter oben in der hierarchie befindlichen, nichts weiter als ein desinteressiertes schulterzucken auslöst.

hungertod wird natürlich weiter ein verlässliches lösungsmittel darstellen, aber das wird absehbar nicht reichen. kriege bieten sich an, auch eine art der bevölkerungspolitischen kontrolle, allerdings auch in zeiten der nuklearwaffen mit einem gewissen risiko für Sie selbst behaftet. und Sie haben ein recht neues problem derart am hals, dass die reduzierung der massen seit längerer zeit auch wieder in Ihrer eigenen geographischen sphäre stattfinden muss, nämlich im "goldenen westen" selbst. was v.a. deshalb ein problem darstellt, weil Sie es dort mit einer in immer noch zu großen teilen verweichlichten bevölkerung zu tun haben, die sich über jahrzehnte angewöhnt hat, nicht nur einen gewissen lebensstandard, sondern auch das gerede von "demokratie", selbst innerhalb der grenzen der obligatorischen demokratiesimulationen, zu ernst zu nehmen. wie bringen Sie diesen störrischen leuten bei, dass jetzt andere töne angesagt sind? wie bringen Sie ihnen bei, mehr und mehr gruppen als fremd und schlecht zu betrachten, was dann die nötigen maßnahmen doch sehr erleichtern würde?

zuerst haben Sie natürlich den ganzen fundus bewährter machttechniken zur verfügung, als wichtigtes das "teile-und-herrsche"-spiel, neben den angejahrten klassikern wie nationalistische und rassistische spaltungslinien immer wieder brauchbar. aber das wird in dieser neuen situation nicht reichen, es müssen einfach noch viel mehr verschwinden. in Ihren kategorien natürlich nicht die leistenden, jung und stark - wobei es auch von denen eigentlich zu viele gibt -, sondern zuerst alles schwächliche und gebrechliche. rente mit 70? warum nicht, sollen die sich doch totarbeiten und sich dabei noch etwas nützlich machen. reduzierung der medizinischen versorgung? kein thema, wer schwach und krank ist, wird auch in der natur umgehend beseitigt. vielleicht ist auch eine wiederkehr schon ausgerottet geglaubter seuchen möglich, deren erreger jetzt natürlich modifiziert sind. daneben auch soviele definierte gruppen wie möglich aus dem land schaffen - sollen sich die anderen mit denen rumplagen. mehr grenzsicherungen deshalb, um das wiedereinsickern zu verhindern. ein schlagkräftiges und professionelles militär, weil der kampf um die noch verfügbaren ressourcen - an erster stelle, aber bald nicht mehr alleine, öl - ganz oben auf der agenda stehen wird. mehr kontrolltechniken nach innen, weil unruhe ein ständiger begleiter der neuen zeit sein wird.

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ich breche dieses experiment an dieser stelle mal ab, weil klar sein sollte, worum es geht. es kann ganz lehrreich sein, sich mal die gegnerperspektive vor augen zu führen. was ich aber daran am frappierendsten finde, ist die zu beobachtende schrittweise verwirklichung dieser perspektive. nicht im sinne eines "masterplans", aber mit einiger wahrscheinlichkeit durchaus so zustandekommend, dass an verschiedensten schaltstellen - in staatlichen ministerien/behörden, konzernzentralen etc. - durchaus instrumentell intelligente leute sitzen, denen die probleme und ihre ausmaße in der skizzierten - antisozial - eingeschränkten art und weise durchaus bewusst sind. und die in ihren bereichen das reden und noch mehr das handeln anfangen, vielleicht mal da eine beeinflussung einer öffentlichen debatte, mal hier ein paar vorstöße für gewisse neue gesetze. ein regelrechter plan scheint sich dann zu formen, wenn dieses verhalten massiv die öffentliche wahrnehmungsschwelle durchbricht, aber selbst dann scheint das nur ein plan zu sein. ich würde bis auf weiteres - solange die entwicklung nicht absolut dramatische züge annimmt - durchaus mit den üblichen innerelitären fragmentierungen, machtkämpfen und intrigen rechnen, weil ein größerer teil dieser leute eben aufgrund ihres psychophysischen status dieses verhalten als normalen existenzmodus leben muss. was in der durch die krise (umfassend gemeint) bestimmten neuen situation nun vermutlich dazukommt, ist ein kleinster gemeinsamer nenner namens "eigenes überleben", so wie eingangs des gedankenspiels benannt. vergessen Sie nicht, dass sich ein relevanter teil derjenigen, die heute global an gesellschaftlichen schaltstellen sitzen, strukturell nicht von den mitgliedern einer beliebigen mafiösen organsiation unterscheidet.

und nochmal: betrachten Sie sich unter den genannten prämissen einmal die aktuellen gesellschaftlichen diskussionen und diskurse, von "hartz-IV" über den sarrazynismus (schöne wortschöpfung übrigens) bis hin zur umstrukturierung der bundeswehr, den veränderungen im gesundheitswesen und dem pseudo-atomausstieg. und schauen Sie nicht nur auf d-land. und vor allem: machen Sie sich den wahrscheinlichen inneren zustand vieler derjenigen klar, die Sie tag für tag im fernsehen und in zeitungen als entscheider und leistungsträger vorgeführt bekommen. aber ebenso jenen vieler sog. "normalmenschen"!

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so, das ist jetzt erstens wieder einmal länger als gedacht geworden, hat zweitens nur indirekt etwas mit dem golf zu tun, und drittens bin ich jetzt nicht auf die bundeswehr-studie eingegangen. aber nun ja: da die krisenbegleitung schon länger ins blog integriert ist, kann ich sagen, dass peak oil dabei auch zukünftig eine zentrale rolle spielen wird. ich werde mich in den nächsten wochen nochmals direkt mit der situation am und im golf sowie anderen schauplätzen der störfälle der letzten zeit beschäftigen, und dann weiter schauen. die anderen zentralen blogthemen begreife ich dabei nicht als gegensätzlich, sondern ich finde durchaus, dass das alles möglichst oft zusammen betrachtet werden muss.

Donnerstag, 29. Juli 2010

assoziation: nochmal "duisburg" - gedanken und links [update]

(der erste beitrag zur katastrophe findet sich hier.)

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da immer neue materialien dem geschehen weitere aspekte hinzufügen, kommt nun doch ein weiterer beitrag.

bis heute unbekannt war mir
julias loveparade blog, obwohl das anscheinend schon breit verlinkt ist. das, was da steht, ist heftig. ich finde es schwierig, nach dem lesen des kernbeitrags über ihre erlebnisse am samstag noch anmerkungen zu machen, ohne irgendwie herzlos zu erscheinen - aber dann doch ein paar kurze: nein, ich glaube nicht, dass das ein fake ist. und julia beschreibt in ihren ganzen postings eigentlich so ziemlich alle symptome einer massiven und akuten traumatisierung, was ja nun kein wunder ist - von der "schuld der überlebenden" über alpträume, offensichtlich dissoziativen und de-realisierenden phasen bis hin zu einem totalen emotionalen chaos. es tut regelrecht weh, das zu lesen, und ich hoffe bloß, dass sie die nötige hilfestellung bekommt - wenn sie vorher ein relativ unbelastetes leben geführt haben sollte, ist die chance gar nicht mal schlecht, dass sie selbst ein trauma eines solchen kalibers verarbeiten kann. die therapeutischen möglichkeiten gibt es heute dafür. die frage stellt sich aber auch: wieviele julias laufen jetzt eigentlich nach diesem desaster herum? neben den toten und massiv körperlich verwundeten haben die verantwortlichen auch diese menschen auf dem gewissen - und ja, im strengen sinne sind das letztlich auch körperliche wunden im gehirn und nervensystem.

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vielleicht hat sich der eine oder die andere ja schon gefragt, warum ich dem thema trauma nach der katastrophe bisher keinen platz gegeben habe, zumal in einem blog wie diesem. ich habe mir selbst einige statements und interviews von traumatherapeutInnen seit samstag angehört und fand dabei keines so bemerkenswert und/oder wichtig, dass ich das gefühl hatte, mich dazu äussern zu wollen. meistens ist die eingeräumte zeit bzw. spaltenzahl für die leute zu kurz, um wirklich tiefgehender zu erklären. regelrecht falsches habe ich noch nicht vernommen, und als einen schritt in die richtige richtung betrachte ich die erklärung einer therapeutin, dass das erbärmliche schauspiel der verschiedenen funktionäre gerade für viele traumatisierte weiteren schaden anrichten kann. insgesamt wäre das jetzt aber zum wiederholten male eine notwendigkeit, sich seitens der psychotraumatologie massiv in die öffentliche debatte einzumischen - dieses überwiegende (es gibt ein paar ausnahmen) schweigen zu letztlich gesellschaftlich (d.h. durch die herrschenden verhältnisse) produzierten traumata betrachte ich nach wie vor als manko.

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in vielen foren, kommentaren und erlebnisberichten taucht öfter mal das wort vieh auf - meistens als assoziation zur situation in und vor den tunnels. wie vieh seien dort die menschen hineingetrieben und zusammengepfercht worden. daran musste ich auch denken bei einem weiteren
augenzeugenbericht, einem sehr speziellen, weil er von einem 60jährigen erziehungswissenschaftler stammt:

"Es war ein befremdliches Bild, das Duisburg am Samstagvormittag bot: ein riesiges Polizeiaufgebot; dutzende Beamte vor Spielplätzen oder Grünanlagen, denen man, wie mir eine Polizistin bestätigte, aufgetragen hatte, die Besucher abzuwehren. Schon der Anblick der Jugendlichen, die auf der Straße saßen, weil man ihnen keine Parkbank gönnte, erweckte bei mir den Eindruck: Hier geht es nicht darum, die Jugendlichen zu schützen, es geht darum, Duisburg vor den Jugendlichen zu schützen.

Diese schlechte Behandlung der Besucher setzte sich auf dem Gelände fort: der Schotter, den man ausgelegt hatte und der alles in eine schwarze Staubwolke hüllte; die Zäune, mit denen das Gelände doppelt und dreifach abgesperrt war - eine gigantische Geringschätzung mit diesem beängstigenden Tunnel als traurigem Höhepunkt.

Spätestens als ich mittags dort durchging, war mir klar: Die Belange und Bedürfnisse der Besucher zählen hier kaum, man will lediglich im Rahmen der "Kulturhauptstadt Ruhrgebiet" ein Event inszenieren und bestimmte Bilder produzieren." (...)


ein eindeutig stellung beziehender bericht, und die schilderung finde ich interessant - tatsächlich kann ich mich manchmal des eindrucks nicht erwehren, als wäre das alles, was da am samstag in duisburg passiert ist, auch als eine art unbewusste inszenierung zu begreifen, und zwar inszenierung als ausdruck eines enormen hasses auf all diejenigen, die da erwartet wurden: es liegen viele berichte vor, die vom ankunftspunkt vieler teilnehmerInnen - dem hauptbahnhof - von mangelhafter ausschilderung sprechen, d.h. dass viele erst mal ein paar stunden herumirrten, bevor sie überhaupt das gelände fanden. dann: die geplanten hauptrouten scheinen allesamt mittels zäunen und polizei abgegrenzt gewesen zu sein. und wurden wie auf einen trichter zu immer enger (durch die konzentration immer mehr menschen), je näher es dem gelände zuging. dann die falle des tunnels, über die man nichts mehr sagen muss. das gelände selbst ein schottergelände, mit etlichen baufälligen und gesperrten gebäuden, eingezwängt zwischen autobahn und bahnlinie. "eine gigantische geringschätzung" - ja, das dürfte noch positiv formuliert sein. selbst die loveparade in ihren letzten berliner jahren, dort schon bereits zu einem mega-konsum-event mutiert, mutet gegen dieses szenario noch regelrecht unbeschwert an. von dem, wofür "techno" vor langer langer zeit zumindest mal teilweise stand (speziell in detroit), ist das alles weltenweit entfernt.

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(...) "Das bringt uns zu dem zweiten Eindruck, der sich beim Betrachten der Duisburger Bilder aufdrängt: Durch die Anwesenheit zu vieler Menschen hat nun gerade jene Musik zur größten Massenkatastrophe der jüngeren Pop-Geschichte geführt, die einst durch die katastrophale Abwesenheit von Menschenmassen entstand - eine Musik, die sich in entleerten und verfallenden Städten entwickelte, in verlassenen Häusern, Fabriken, Theatern. Fast auf den Tag genau ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass der Produzent Juan Atkins mit "No UFOs" jene Single aufnahm, die rückblickend als erstes Techno-Stück angesehen werden kann. Er lebte in Detroit, einer jener "schrumpfenden Städte" des US-amerikanischen Nordens, aus denen die wohlhabende Bevölkerung in die Speckgürtel geflohen war und in deren Zentren nun lediglich noch die Ärmeren, Unterprivilegierten hausten. Und die Künstler und DJs, die ihre Partys in leerstehenden, von keinem Besitzer mehr beanspruchten Fabriken und Warenhäusern feierten.

Ohne diese aufgelassenen Räume, ohne die große Leere in den Zentren der de-industrialisierten Städte hätte es Techno niemals gegeben. Darum fiel die Musik nach dem Mauerfall in Berlin auf so fruchtbaren Boden: weil es in der Mitte der wiedervereinigten Stadt so viel Leere gab und - vergleichsweise - so wenig Menschen, so viel Räume, die man erobern konnte, in einer steten Bewegung von einem Ort zum anderen, von einer zum Party-Ort umgewidmeten Ruine zur nächsten." (...)


("Die Musik, die Stadt und der Tod")

ja. eigentlich wäre das desolate duisburg, mit seinen mafia- und rockergeschichten, seiner schier aussichtslosen ökonomischen lage, seinen sozialen widersprüchen und der riesigen leere rund um den verfallenen güterbahnhof bestens geeignet für jene teils traurig-düstere melancholie, für die der detroit-techno so berühmt ist (und die ich persönlich so liebe). aber das wäre dann definitiv ein ganz anderer beat als derjenige, der leuten wie den handelnden protagonisten in diesem fall vorgeschwebt hat...

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denn die letzteren (incl. des herrn schaller) haben sich einen dreck nicht nur dafür interessiert, welche interessanten aspekte techno (als oberbegriff) tatsächlich hat, sondern sie haben durch ihre planung des debakels auch gezeigt, dass ihnen ihr publikum - ausser in der rolle von möglichst nicht störenden, geldausgebenden konsumenten - letztlich nicht von bedeutung gewesen ist. aber das scheint insgesamt zur hybris des größenwahnsinnigen "metropolenregion ruhr"-projektes zu gehören, und ich danke quirinus für den hinweis auf einen sehr interessanten text zum thema, den ich gleichfalls empfehlen möchte:
Die Erfindung der "Metropole Ruhr" und ihre tödlichen Folgen. da wird durchaus einiges von dem größeren kontext sichtbar, in dem die loveparade eingebettet gewesen ist, incl. der sozio-ökonomischen verwerfungen der vergangenen jahrzehnte. sichtbar wird aber der noch größere hintergrund einer ebenso wie alles andere inzwischen gnaden- und rücksichtslos geführten standortkonkurrenz um die krümel vom kapitalistischen kuchen.

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ein weiterer
augenzeugenbericht, anders, aber ähnlich bedrückend wie von julia. mit einem schwerpunkt auf die drogen, besonders speed - "pep" - , also amphetamine. das thema drogen kommt hier im blog ja schmählich zu kurz, ihre gesellschaftlichen funktionen und wirkungen halte ich für immens, aber in diesem zusammenhang nur das folgende: es gibt durchaus plausible untersuchungen darüber, wie sich innerhalb der raver-szene ende der 90iger jahre immer mehr speed statt mdma ("exstasy"; sicher geht es in beiden fällen um amphetamine, aber von sehr unterschiedlicher wirkung) verbreitete und das durchaus auch direkte wirkungen auf den umgang innerhalb der szene hatte. speed passt eigentlich wie kokain (nicht umsonst neben alkohol die beliebteste börsendroge) perfekt zum neoliberalismus - eine leistungsdroge, scharfe highs, tiefe depressionen als folge auf die mittelfrist bezogen, fördert narzisstische tendenzen und die eigene selbstüberschätzung. während mdma aus folgenden gründen immer wieder auch in psychotherapeutischen settings erprobt wurde:

(...) "Der Konsum von MDMA führt zu Euphorie, steigert meist die Fähigkeit zur ungezwungenen Kontaktaufnahme mit anderen Menschen (empathogene Wirkung) und die Fähigkeiten zum Verständnis der eigenen inneren Gefühle (entaktogene Wirkung). Es wird Empathie und Liebe stärker empfunden und die Harmonie mit stereotypen Rhythmen (Technomusik oder Sex (...)"

körperlich schädliche wirkungen sind wie bei allen, und nicht nur synthetischen, psychoaktiven stoffen durchaus eine gefahr, gerade bei häufigem und mischkonsum (speed und alkohol ist eine der übelsten kombis überhaupt). aber es ist schon auffallend, wie im laufe der jahre und mit zunehmender massenkompatibilität von techno neben der niedergehenden musikalischen qualität ("kirmestechno", oh graus) auch das eine amphetamin durch das andere mit geradezu entgegengesetztem wirkungsspektrum ersetzt wurde (es gibt sogar leute, die das für keinen zufall halten. ich bin mir da unschlüssig, was die genaue natur des "keinen zufall" angeht).

jedenfalls finde ich persönlich viele menschen auf aktuellen massen-techno-events von ihrem auftreten und verhalten her nicht besonders sympathisch; ebenfalls könnte ich das auch überhaupt von meiner wahrnehmung vieler leute unter 25 sagen. andererseits versuche ich mir bei entsprechender mißgelauntheit auch immer zu sagen, dass die kids von heute das logische produkt des versagens meiner und der vorhergehenden generation sind und dafür noch am wenigsten verantwortlich sind. und bei aller aufregung über wie geklont erscheinende modellhafte mädchen und den dicken max markierende jungen: wenn ich mir die erbärmlichkeit nicht nur von duisburg vor augen halte, dann weiß ich, auf welcher seite - trotz aller vorbehalte und kritik - ich mich eher verorte. die jugendlichen von heute haben in vieler hinsicht die absolute arschkarte gezogen, und von daher ist es kein wunder, wenn sich etliche auch entsprechend verhalten. es ist schon okay zu sagen, dass das letztere natürlich nicht okay ist - aber dabei sollte auch immer der größere zusammenhang präsent sein.

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lotta hat drüben in ihrem beitrag ihr generelles unwohlsein mit massenveranstaltungen an sich angesprochen; und ich kenne durchaus viele, denen das ähnlich geht. bei mir sieht das anders aus: ich erinnere mich gerne an die meisten erfahrungen mit großen menschenmassen (bis 100.000); ausnahme sind bestimmte demonstrationen (wobei hier negative und gefährliche erlebnisse ja eigentlich von vorneherein einkalkuliert werden müssen, was dann den umgang mit ihnen von vorneherein anders gestaltet - im gegensatz zu einer veranstaltung wie in duisburg, wo ich nicht glaube, dass auch nur ein einziger mensch (besucherIn) im vorfeld ein solches szenario in erwägung gezogen hat, was dann den terror der katastrophe für alle betroffenen aufgrund ihrer unmittelbarkeit und des scharfen kontrastes - party, feier, musik - nochmals größer werden lässt).

aber gerade mit kleinen und größeren festivals, aber auch mit stadionbesuchen, verbinde ich eigentlich viele besondere und auch schöne momente. ich finde eine masse durchaus nicht per se ent-individualisierend, das kommt immer sehr auf die art der masse und den anlass an. eine masse kann durchaus auch positive geborgenheit bedeuten, und sie kann v.a. eine art gegenmacht darstellen, eine erfahrung gerade auf bestimmten demonstrationen, die ich für enorm wichtig halte, weil sie gefühle von vereinzelung und ohnmacht stark relativieren kann. und massen können durchaus auch spaß machen, und damit meine ich nicht den typischen und drogeninduzierten als-ob-spaß bei den einschlägigen megaevents, sondern eine besondere art der spontanen interaktion, wie sie zumindest früher bspw. auf festivals stattfand (aus diesem grund wäre ich auch zu gerne in woodstock dabeigewesen - das muss auch in letzterer hinsicht gigantisch gewesen sein).

allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass analog zu den steigenden eintrittspreisen bei den heutigen festivals die spontanen und authentischen aspekte immer mehr verschwinden. und auch das vermutlich generell veränderte verhalten vieler heutiger besucherInnen eine große rolle spielt. nein, früher war nicht alles besser. aber teils entscheidend anders.

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edit am 30.07.: nochmals eine kurze und teils kommentierte zusammenstellung neuer materialien und entwicklungen.

- zur derzeitigen öffentlichen stimmung in duisburg -
ohne worte:

(...) "Die Tür des Sitzungssaales lässt Oberbürgermeister Adolf Sauerland am Freitagvormittag von innen abschließen. Unbekannte Gäste dürfen im Rathaus längst nicht mehr selbst zu den Zimmern gehen, sondern werden begleitet. Auf der Straße sind seit Tagen keine Politessen zu sehen, weil die wütenden Duisburger sie anpöbeln und bedrohen. Im Callcenter der Stadt weinen Mitarbeiter offen, weil sie reihenweise Schmähungen ertragen müssen.

Die Katastrophe der Loveparade, für die Verwaltungschef Sauerland verantwortlich gemacht wird, und seine Weigerung, Konsequenzen zu ziehen, hat in der Industriestadt Duisburg für einen Ausnahmezustand gesorgt. „Das ist Agonie hier", sagt ein Rathaus-Mitarbeiter, der nicht zitiert werden will." (...)


- wenn sich das folgende bestätigen lässt, wäre das ein nachdrückliches beispiel für
"an ihrer (macht-)sprache sollt ihr sie erkennen":

(...) "Höherrangige CDU-Quellen kolportieren indes mittlerweile, daß die Bundeskanzlerin Merkel wünsche, daß “das Problem Sauerland” bis zu ihrem Eintreffen zur Trauerfeier in der dem Rathaus benachbarten Salvatorkirche morgen, Samstag vormittag, “zu lösen” sei. Dies würde “verbindlich” von der Duisburger CDU erwartet." (...)

- nochmal die ruhrbarone mit einer interessanten
chronik der geschichte der loveparade im ruhrgebiet seit jahresanfang 2007

- und noch eine lüge bröckelt: wie es sich von beginn an schon abgezeichnet hat und auch aus vielen augenzeugenberichten zu vernehmen war, ist die polizei aller wahrscheinlichkeit nach
nicht so unschuldig, wie es vor allem der innenminister von nrw neulich suggerierte:

(...) "Ein neues Dokument aus der Einsatzleitung der Feuerwehr belastet die Polizei im Zusammenhang mit der Loveparade-Katastrophe. Dem Papier zufolge (...) gab es eine Meinungsverschiedenheit zwischen Polizei und Feuerwehr über eine geplante Sperrung des Zulaufs auf das Festgelände der Loveparade in Duisburg. Nach Ansicht der Feuerwehreinsatzleitung sei diese Maßnahme „aus einsatztaktischer Sicht sehr problematisch“. Aus diesem Grund „ist die Feuerwehr dagegen“.

Die Feuerwehr wollte dem Dokument zufolge der Sperrung nur unter der Maßgabe zustimmen, wenn gleichzeitig die zweite Rampe zum Gelände „als Zulauframpe“ geöffnet werde. Zudem bestand die Feuerwehr darauf, dass der Zustrom von Festivalbesuchern durch den Karl-Lehr-Tunnel „durch die Polizei verhindert wird“, heißt es weiter. Das Papier entstammt dem Einsatztagebuch der Feuerwehr zur Loveparade. (...) Demzufolge sah die Feuerwehr offenbar die Polizei und nicht den Veranstalter in der Pflicht, den Tunnel zum Gelände zu sperren, damit es nicht zu einem Chaos im Eingangsbereich des Loveparade-Geländes kommt." (...)


wie schon neulich geschrieben: ein gesellschaftliches lehrstück erster qualität, bei dem einem allerdings die haare zu berge stehen.

Sonntag, 20. Juni 2010

assoziation: zum öligen menetekel am golf (3) [update]

(zum zweiten teil)

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(...) "After all, oil is a finite resource. We consume more than 20 per cent of the world's oil, but have less than 2 per cent of the world's oil reserves. And that's part of the reason oil companies are drilling a mile beneath the surface of the ocean because we're running out of places to drill on land and in shallow wate

For decades, we have known the days of cheap and easily accessible oil were numbered." (...)

(barack obama in seiner
rede zur ölkatastrophe vergangenen dienstag)

ich hatte mich mit obamas bisheriger amtszeit ja erst
neulich beschäftigt, und die rede letzte woche wurde schon unmittelbar danach von weiten teilen der (medialen) öffentlichkeit als erneuter ausdruck seiner malaise betrachtet. wobei ich hier eine abweichende meinung habe - nicht unbedingt, was sein aktuelles handeln betrifft. aber ich finde das beredte schweigen sehr bezeichnend, mit dem überwiegend die oben zitierten aussagen schlicht übergangen werden (nein, sie werden nicht unbedingt regelrecht ignoriert, aber eben auch nicht weiter thematisiert).

denn die tatsache ist die: obama hat meines wissens als erster und "gewichtigster" repräsent der westlichen politischen funktionseliten überhaupt die realität von peak oil in aller öffentlichkeit verkündet. so überfällig und eigentlich zu spät das auch war - diese aussage macht die rede durchaus zu einer historischen. alles andere gesagte wird vor diesem hintergrund relativ unwichtig, zumal solche reden primär eher als pr-maßnahme angelegt sind. aber die oben zitierten sätze, v.a. die am beginn und am ende, stehen nun - für eine weltöffentlichkeit dokumentiert. das große teile eben dieser (nicht nur medialen) öffentlichkeit v.a. in den westlichen staaten diese im wahrsten sinne des wortes einschneidende botschaft nun ignorieren und sich statt dessen lieber über den boten mokieren, spricht ebenfalls für sich. man kann obama sehr berechtigt sehr viel vorwerfen, aber in diesem punkt hat er zumindest deutlich klartext gesprochen. und die brisanz dieser worte scheint offensichtlich kaum jemand wirklich zu verstehen.

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von daher ist der begriff menetekel für das geschehen am golf und seine konsequenzen auf allen ebenen kaum übertrieben, und diesbezgl. schrieb das
ölschock-blog schon vor ein paar wochen zusammenfassend:

(...) "Der Erntefaktor der weltweiten Erdölförderung liegt ohnehin schon nahe der Grenze, die für unsere Industriezivilisation noch erträglich ist und nimmt unweigerlich weiter ab. Bei einem Ausfall der Tiefseeförderung würde dieser Trend natürlich weiter beschleunigt. Das Ende der fossilen Industriezivilisation rückt in Angesicht dieser Wirklichkeiten weiter aus der Zukunft in Richtung Gegenwart. (...)

Das Ende der Erdölära ist mit der Harvarie der Deepwater Horizon ein kleines Stück näher gerückt. Die Erdölindustrie, einst Taktgeber und mächtiges gesellschaftliches Fundament der letzten 150 Jahre, wird zum Gejagten, ähnlich den Banken verlieren die Bosse des schwarzen Goldes ihren Einfluss und Glaubwürdigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass bis zum finalen Schlussakt Unglücke wie dieses selten bleiben, gänzlich verhindern kann man sie nicht."


und die "zeit"
sekundiert:

(...) "Doch eigentlich geht es bei der Katastrophe im Golf von Mexiko um noch viel mehr – um fast alles nämlich: um die Zukunft der Weltwirtschaft, die 40 Jahre nach der ersten Ölkrise vom Öl so abhängig ist wie von keiner anderen Energiequelle. (...)

Das Problem ist, dass der Optimismus der Ölmultis an einer umstrittenen Annahme hängt: Ihre Fachleute gehen davon aus, dass sich mit den neuesten technischen Methoden in den kommenden Dekaden viel mehr Ölquellen erschließen lassen. Doch ausgerechnet daran nährt das Desaster im Golf von Mexiko nun Zweifel: Ein Großteil der noch vermuteten Ölreserven lagert schließlich tief unter dem Meer und unter extraharten Stein- oder Salzschichten. Dafür ist noch kein Bohrer erfunden, geschweige denn eine verlässliche Technik zur Sicherung der Bohrlöcher.

Und was geschieht, wenn diese Technik doch nicht erfunden wird – oder wenn Regierungen unter dem Eindruck des jüngsten Desasters die Ölförderung unter extremen Bedingungen verbieten? Dann droht ernster Energiemangel. Er könnte schon bald wirtschaftliche Verwerfungen auslösen, die noch gravierender sind als die Finanzkrise.

Das Problem wäre nicht, dass es kein Öl mehr gäbe – bis dahin dauert es noch ein paar Jahrzehnte. Doch es könnte nicht mehr wie bisher Jahr für Jahr mehr Öl auf den Markt kommen. Es gäbe kein Wachstum mehr bei der Förderung, ein Novum, denn hundert Jahre lang ist dadurch das Räderwerk der Industriegesellschaften angetrieben worden." (...)


peak oil. egal, ob Sie´s ignorieren, "nicht dran glauben" (wollen) oder hoffnungen in die technik setzen (die wird die konsequenzen des peaks allerdings nur aufschieben können, wenn überhaupt - und wie im golf zu sehen, ist der preis dafür schlicht unbezahlbar): dieser begriff wird uns alle spätestens ab jetzt bis ans ende unserer tage begleiten.

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letzteres ist in regionen wie den verseuchten gebieten in ecuador, in nigeria, den kanadischen ölsandlanden oder eben auch am golf von mexico direkt wahrnehmbar; und nein, dabei ist bp keinesfalls das einzige "big problem" wie es jene demonstrantin am 30. mai in new orleans verkündet (foto: infrogmation of new orleans via wikipedia),

demonstration am dreissigsten mai in new orleans quelle infrogmation of new orleans via wikipedia

auch, wenn sich diese kriminelle organisation momentan berechtigt im rampenlicht befindet - und die wertung "kriminell" ist nicht nur nicht übertrieben und nicht nur in einem allgemeinen sinne als synonym für antisozial berechtigt, sondern dürfte selbst nach den messlatten diverser bürgerlicher strafgesetzbücher in einigen punkten schon erreicht worden sein. beispiele dafür finden sich zuhauf - ob es sich dabei nun etwa um die gesundheitssschädlichen folgen der zur verschleierung eingesetzten
dispersionsmittel handelt...

(...) "109 Menschen sind bislang allein im Bundesstaat Louisiana in Folge des Einsatzes von Chemikalien gegen die Ölpest erkrankt. Zwei Drittel sind Fischer oder andere Arbeiter, die im Kampf gegen die schwarze Schliere aufs Meer hinausgefahren sind. Das geht aus einem Bericht der lokalen Gesundheitsbehörde OPH hervor. Die anderen sind Küstenbewohner oder Strandbesucher, die die giftigen Dämpfe eingeatmet haben. (...)

Atemprobleme, Übelkeit, Schwindel und starke Kopfschmerzen sind die am meisten verbreiteten Symptome. "Ich dachte, ich sterbe, so schwach war ich erst", sagt der Fischer Gary Burris. "Die Lungen haben einfach dicht gemacht." Sein Arzt habe ihm gesagt, seine Lungen sähen aus wie die eines Kettenrauchers. "Ich habe noch nie eine Zigarette im Mund gehabt", sagt Burris. Andere Patienten berichten außerdem von brennenden Augen." (...)


...die unter bereitwilliger und regelrecht unterwürfiger mithilfe staatlicher behörden seitens bp ausgeübte
medienzensur...

(...) "AP-Chefredakteur Michael Oreskes vergleicht die Lage seiner Leute mit Reportern, die in Kriegsgebieten wie Afghanistan beim Militär "embedded" sind, eingebettet. "Es herrschen ständige Anstrengungen, den Zugang zu kontrollieren", klagte er in der "New York Times". In der Tat offeriert die Küstenwache besagte Flüge in ihren offiziellen E-Mails als "embedded flights". (...)

Matthew Lysiak von den New Yorker "Daily News" scheiterte zunächst, als er Grand Isle besichtigen wollte, eine gesperrte Düneninsel vor Louisiana. Schließlich habe ihm ein über das Verhalten der eigenen Firma "empörter" BP-Arbeiter eine heimliche Führung gegeben. Das Ergebnis sei grausig gewesen.

Ein Foto eines toten Delfins illustriert den Report Lysiaks. "Als wir diesen Delfin fanden, war er mit Öl gefüllt", zitiert der Reporter den Arbeiter. "Öl floss nur so aus ihm heraus. Es war ein verdammt trauriger Anblick." Der Mann selbst sei entsetzt gewesen: "Es wird viel vertuscht. Sie haben uns spezifisch angewiesen, dass sie keine Bilder von den toten Tieren wollten. Sie wissen, dass der Ozean die meisten Beweise wegspülen wird."

Lysiak berichtet von Stränden, die "von geteerten Meereslebewesen übersät" gewesen seien, "einige tot und andere, die sich unter einer dicken Schicht Rohöl abkämpften". Als er einen zweiten Strand habe begehen wollen, so Lysiak, hätten ihn Polizisten forteskortiert. "Sie sagten, sie handelten auf Befehl von BP." (...)


...oder auch die eigentlich nur noch unter realsatire ablegbaren sog.
"notfallpläne" seitens bp und auch der anderen großen ölkonzerne (die entsprechenden pläne der letzteren, wenn sie denn im golf tätig sind, gleichen sich mit dem von bp bis auf nuancen wie ein ei dem anderen):

(...) "Reporter von Associated Press haben einen Notfallschutzplan für die BP-Bohrinseln im Golf von Mexiko analysiert. Der 582-Seiten-Bericht wurde 2009 der US-Regierung vorgelegt und von dieser abgenickt.

Schockierenderweise ist darin so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Als Naturschutzberater für eine mögliche Ölpest ist etwa Professor Bob Lutz mit seinen Kontaktdaten an der Universität Miami aufgeführt. Lutz arbeitete allerdings schon seit rund 20 Jahren nicht mehr in Miami und verstarb vier Jahre, bevor der Bericht genehmigt wurde. Auch die Namen und Telefonnummern von Meeresbiologen der Universität Texas waren falsch. Die angegebenen Büros des Tierhilfsdienstes in Louisiana und Florida sind schon lange geschlossen. Als zu schützende Tiere werden Walrosse, Seeotter, Seelöwen und Robben genannt. Keines dieser Tiere lebt im Golf von Mexiko.

In dem Bericht wurde die Gefahr für Tiere und Umwelt jedoch ohnehin als gering eingeschätzt. Selbst bei dem Zehnfachen der heute tatsächlich ausfließenden Menge würde das Öl niemals bis zur Küste gelangen: "Wegen der Entfernung bis zur Küste (48 Meilen) und den eingesetzten Schutzvorrichtungen sind keine signifikanten Folgen zu erwarten", hieß es in dem Bericht. In der Realität erreichte das Öl neun Tage nach der Explosion der Plattform die Küste." (...)


hübsch, oder? es gibt derart noch unzählige und verstreute andere berichte bezgl. verschiedener aspekte der katastrophe, die alle zusammen ein bild ergeben, welches nicht von pleiten, pech und pannen spricht, sondern eher bewusste, vorsätzliche unterlassung bei bzw. inkaufnahme einer ganzen serie von mangelhaften schutz- und sicherheitsmaßnahmen hauptsächlich aus kostengründen nahelegt. und wer glaubt, dabei handele es sich ganz bestimmt nur um eine unrühmliche ausnahme innerhalb der welten der corporations, konzerne und den mit ihnen kollaborierenden staaten , sollte sich unverzüglich selbst eine merkbefreiung ausstellen. oder z.b. mal hierzulande einen blick auf das atommülldebakel namens
asse werfen.

eine relativ aktuelle übersicht zum stand im golf, besonders auch zu den - ebenfalls anfangs von bp bestrittenen - wolken aus öl und dispersionsmitteln unter wasser findet sich
hier; dazu kommen erstmals berichte von einer regelrechten flucht der meeresbewohner:

(...) "Wissenschaftler haben an der Küste Floridas unerwarteten Besuch entdeckt: Delfine, Haie und Rochen zeigen sich im flachen Wasser, Krabben und andere Meeresbewohner sammeln sich dort zu Tausenden. Die Forscher vermuten, dass die Tiere vor dem Öl im Golf fliehen und saubere Gewässer in Küstennähe suchen." (...)

dazu richtet sich der focus (im wahrsten sinne des wortes) inzwischen auch auf das ebenfalls massenhaft ausströmende
methan , dessen wirkungen in jeder hinsicht nicht abschätzbar sind:

(...) "Dieses Gas könnte möglicherweise das Meeresleben ersticken, befürchten Wissenschaftler. Es entstünden „Todeszonen“, in denen der Sauerstoffgehalt so niedrig ist, dass kaum noch Leben existieren kann.

Das Öl aus dem Leck enthält rund 40 Prozent Methan – eine außergewöhnlich hohe Konzentration, normal sind fünf Prozent, wie der Ozeanforscher John Kessler von der Texas A&M Universität erklärt. Das bedeutet, dass vermutlich riesige Mengen Methan mit dem nicht abgesaugten Öl in den Golf gelangt sind. „Dies ist die heftigste Methan-Eruption in der modernen Menschheitsgeschichte“, sagt Kessler." (...)


*

und wie sehen nun die perspektiven aus ? düster. wenn die quelle nicht geschlossen werden kann, oder aber die entlastungsbohrungen durch hurricanes gebremst oder nicht sofort zum problematischen bohrkanal stoßen, dürfte das ol mindestens den sommer über weiter austreten - die quelle ist noch lange
nicht erschöpft:

(...) "Sieben Milliarden Liter Öl sollen sich in der Quelle unter dem beschädigten Bohrloch befinden, schätzt BP-Chef Tony Hayward. Er nannte diese Zahl jetzt vor dem Ausschuss des US-Kongresses, der ihn zum Rapport zitiert hatte. Damit würde die Quelle noch immer 94 bis 97 Prozent ihres Öl enthalten. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Öl derzeit austritt, würde es zwei bis vier Jahre dauern, bis die Gesamtmenge ins Meer geflossen ist." (...)

letzteres dürfte aber - immerhin etwas - nicht eintreten, zumal sich irgendwann die druckverhältnisse zwischen dem öl/gas im boden und dem darüber befindlichenden wasser ausgeglichen haben werden. spätestens dann müsste die quelle aufhören zu sprudeln. tatsache ist aber auch, dass selbst unter vielen direkt beteiligten aus ölindustrie und wissenschaft umstritten ist, was nun eigentlich genau da unten am meeresgrund vor sich geht - in den usa gibt es seit wochen in medien und blogs eine sich verstärkende diskussion über ein szenario, welches nur noch als absolutes desaster mit möglicherweise globalen auswirkungen bezeichnet werden könnte - ich erwähne es hier der vollständigkeit halber und weise darauf hin, dass es sich bisher um ein reines modell handelt. die zentralen punkte sehen grob skizziert ungefähr so aus (ich schreibe das so, wie ich´s aus verschiedenen quellen verstanden habe, wobei technisches englisch nicht unbedingt meine stärke ist):
  • eine ölbohrung ist natürlich keinesfalls vergleichbar mit einem bohrloch in der wand, und selbst die bohrungen an land unterscheiden sich qualitativ noch von tiefseebohrungen. bei den letzteren geht der bohrkanal kilometertief durch diverse gesteins- und sedimentschichten und muss entsprechend der ganzen länge nach ausgekleidet werden, u.a. durch zement. diese auskleidung scheint im falle der "deep water horizon" von beginn an mangelhaft gewesen zu sein.
  • die these ist nun, dass bereits durch den unfall - blow out - selbst, der z.t. durch eine massive methanblase mitausgelöst wurde, die gesamte umgebung des bohrkanals durch die unkontrollierten druckschwankungen gefährlich instabil geworden ist
  • und diese instabilität soll nun durch den vor einigen wochen ausgeführten "top-kill"-versuch zum schließen des lecks mittels in die bohrung hineingepumpter fluide (der "schlamm", der keiner war) durch die damit wiederum verbundenen enormen druckschwankungen innerhalb der bohrung an vermutlich mehreren stellen auf der ganzen länge zu brüchen geführt haben
  • ergebnis: öl und gase bahnen sich unter druck durch feine kanäle in den verschiedenen geologischen schichten ihren weg nach oben und treten dann in der nähren und weiteren umgebung des eigentlichen lecks direkt aus dem meeresboden aus, wobei sich die austrittskanäle durch den druck der beiden stoffe, die jede menge gesteine und sand mit nach oben reißen, immer mehr ausweiten, also quasi erodieren
  • mögliche konsequenz: die letztgenannte erosion lässt immer mehr von beiden stoffen heraus, und wird dadurch bis zu einem gewissen punkt beständig weiter verstärkt. ist dann der untergrund in den betroffenen gebieten ausreichend instabil (und das reservoir so weit geleert, dass der wasserdruck darüber sich merkbar auswirken kann), droht ein kollaps des gesamten meeresbodens in der region, in der die lecks vorhanden sind. es folgt ein massiver austritt von milliarden litern öl und gas auf einen schlag...
wie gesagt: ein worst-case-szenario, welches bitte niemals eintreten möge. geologen bezeichnen dieses modell wahlweise als absurd oder im bereich des möglichen, so jedenfalls habe ich entsprechende statements aus den usa interpretiert. es sollen inzwischen auch videoaufnahmen aus der unmittelbaren umgebung des geborstenen lecks existieren, welche austritte von geringen mengen öl und noch mehr gas direkt aus dem meeresboden dokumentieren ( reiche ich nach, wenn ich sie finde - falls jemand von Ihnen bereits solche videos/photos gesehen hat, freue ich mich über einen hinweis). edit am 22.06.: so, inzwischen habe ich hier eines vom 13.06., welches ölaustritte direkt aus dem boden in der nähe des lecken rohres zeigt, besonders gut zu sehen in den ersten minuten:



ebenfalls hat vor bereits gut zwei wochen ein us-senator diese beobachtung
verkündet:

(...) "Oil and gas may be leaking from the seabed surrounding the BP Macondo well in the Gulf of Mexico, Senator Bill Nelson of Florida told Andrea Mitchell today on MSNBC. Nelson, one of the most informed and diligent Congressmen on the BP gulf oil spill issue, has received reports of leaks in the well, located in the Mississippi Canyon sector." (...)

wie dem auch sei: die ganze geschichte ist sowieso schon beklemmend genug und wird uns in zukunft noch lange begleiten. anschaulich gemacht einmal mehr in einer weiteren der trotz der entsetzlichen inhalte durchaus großartigen photoserien auf
boston.com.

*

zum schluß sei ergänzend noch ein hinweis auf einen interessanten text gestattet, der nicht nur für an konzerngeschichte interessierte spannend ist:
Wie BP seit seiner Gründung mit Problemen umgeht spiegelt auch ein ganzes stück deutscher kapitalistischer industriegeschichte. tipp!

und zum jetzt wirklichen schluß sage ich, nicht ganz überraschend: es kommt ein vierter teil.

Montag, 7. Juni 2010

assoziation: zum öligen menetekel am golf - zwei sätze, weitergedacht (2)

(zum ersten teil)

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zwischendrin ist seit dem ersten teil so einiges passiert, was mir nicht nur bloß die laune ziemlich verhagelt hat, sondern sogar depressive zustände produziert - ich habe mein kleines gedankenexperiment aus dem ersten beitrag immer mal wieder in verschiedensten situationen durchgeführt und musste dabei feststellen, dass ich die totalität der offenen oder versteckten anwesenheit von erdöl in der heutigen menschlichen welt schlicht unterschätzt habe. und die binse "alles hängt mit allem zusammen" berücksichtigend, kam dann in einer diskussion im engeren umfeld anläßlich der im letzten beitrag unten verlinkten grausigen bilder der verölten vögel bei mir auch irgendwann die frage auf, ob es zwischen der nur scheinbar immateriellen totalität der traumatischen matrix in unseren sozialen strukturen und der totalität des öls zusammenhänge gibt, die bisher niemand auf dem schirm hat. wenn man denn bspw. konsum als eine verbreitete art der kompensation psychophysischer störungen versteht, stellt sich doch die frage, wie diese struktur in einer welt mit reduzierter rohstoffbasis aussehen würde. hm?

aber auch alleine nur, wenn man sich die nachrichten der letzten woche so betrachtet - der rücktritt des sog. "bundespräsidenten", lena, die kaperung der schiffe im mittelmeer - , ist die anwendung der imaginären öl-schablone auf all diese ereignisse aufschlußreich. köhlers umstrittene sätze bezgl. der möglichen militärischen "sicherung" sog. "deutscher interessen" bezogen sich faktisch zu einem großen teil auf die ölversorgung; lenas satellitenhafter aufstieg wäre ohne öl in diversen rollen ebenfalls nicht möglich - das lässt sich auf weiteste bereiche von kunst & kultur generell ausweiten, die nötige materielle infrastruktur für fast alle relevanten kulturellen produktionen basiert auf öl; und ob die geschichte im mittelmeer incl. der gesamten konfliktgeschichte dort ohne öl so aussehen würde, wie sie´s tut? mal ganz davon abgesehen, dass auch die vermittelnden medien so nicht existieren würden.

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durch all das ist der begriff "menetekel" für das verbrechen im golf nicht nur nicht übertrieben, sondern passt im sinne der eigentlichen bedeutung perfekt. aktuelle updates spare ich mir an dieser stelle; wer interesse hat, dürfte die entwicklung sowieso verfolgen. einen wichtigen aktuellen artikel möchte ich trotzdem hervorheben, weil er sich auf die inzwischen erahnbare tatsächliche dimension des störfalls bezieht:
Neue Ölschwade lauert in der Tiefe.

ansonsten ist inzwischen klar, dass relevante mengen an öl trotz der teils funktionierenden absaugung weiterhin ausströmen, und das auch bis mindestens august tun werden. zeit genug, um sich intensiv mit der bedeutung des menetekels zu befassen. und auch zeit genug, um sich klar zu machen, dass zerstörungen in derartigen dimensionen eigentlich die normalität des ölbusiness darstellen. so ist zb. kaum größer bekannt, was für ein desaster "chevron/texaco" in südamerikanischen regenwäldern in jahrzehnten veranstaltet hat - die juristischen streitigkeiten darüber werden vermutlich in diesem jahr entschieden, und die anhängigen
klagen könnten vor dem hintergrund der aktuellen ereignisse am golf endlich mal mehr aufmerksamkeit bekommen (die geheimrätin hatte in einem früheren kommentar schon mal drauf hingewiesen):

(...) "Von 1964 bis 1990, hinterließ die zu Chevron gehörende Texaco Millionen Tonnen giftigen Abfalls von den Ölfeldern im Amazonasgebiet Ecuadors. Mit der Aussicht auf eine gerichtliche Niederlage, hat Chevron damit begonnen alle legalen Register zu ziehen und fährt ein gewaltiges Arsenal an PR, Lobbyisten und Anwälten auf, um Kritiker einzuschüchtern und sich der Verantwortung für die für Mensch und Umwelt desaströsen Folgen zu entziehen.

Chevron bekräftigt immer wieder, nicht für eine Säuberung aufkommen zu wollen, selbst bei einer gerichtlichen Anordnung: "Wir kämpfen bis die Hölle zufriert. Und dann kämpfen wir auf dem Eis weiter." Ihre jüngste Strategie: Handelsboykott gegen Ecuador." (...)


dieser abfall ist bekanntlich auch in mehr oder weniger großem maße
radioaktiv kontaminiert, und entsprechend dürfte die strahlung zusammen mit der chemischen toxizität für etliche der hier teils bildlich dokumentierten krebserkrankungen verantwortlich sein. von den verwüstungen im ökosystem regenwald mal ganz ab.

die verbrechen von "shell" an der bevölkerung und umwelt in
nigeria sind legion, aber immerhin etwas bekannter - und sollten gleichfalls in den aktuellen kontext gestellt werden:

(...) "Die Amnesty-Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte, Danièle Gosteli-Hauser, erklärt den Unterschied zwischen der Katastrophe im Golf von Mexiko und jener im Nigerdelta wie folgt: «Im Golf von Mexiko ist eine Leitung geborsten – im Nigerdelta tropft der Ölhahn seit 50 Jahren stetig.» Zwischen 1976 und 2001 seien 6800 Erdölseen entstanden. Die Menschen litten an Haut- und Lungenerkrankungen. Gosteli-Hauser sieht aber auch eine Parallele: Im Golf sei Obama auf BP angewiesen – in Nigeria könnten die Behörden aufgrund des Geldmangels nur mit Shell-Fahrzeugen die Lecks aufsuchen, weil sie selbst über keine entsprechenden Fahrzeuge verfügten. «Unabhängige Untersuchungen können so nicht durchgeführt werden.» (...)

diese ganzen geschichten stellen auch einen der gründe dafür da, warum aktuell ein boykott von "bp" zwar eine emotional verständliche reaktion darstellt, insgesamt aber am grundsätzlichen problem völlig vorbeigeht: es gibt keine "guten" ölkonzerne - es gibt nur schlechte und noch schlechtere. "big oil" gehört mit zu den mächtigsten (mafiösen) strukturen des ölbasierten kapitalismus - und diese macht muss gebrochen werden. punkt. jedes gerede von "regulierung" und "kontrolle" verschleiert nur die tatsache, dass transnationale konzerne dieses kalibers nicht von irgendjemanden - und schon gar nicht "regierungen" innerhalb von demokratiesimulationen - kontrolliert werden können, sondern das das verhältnis genau andersherum aussieht. und genau das ist u.a. derzeit in den usa zu besichtigen - "bp" hat lediglich das "pech", dass die folgen seines treibens dieses mal in einer region sichtbar werden, die nicht - wie meistens sonst - am rande der wahrnehmung einer weltöffentlichkeit rangiert.

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eine weltöffentlichkeit, die sich größtenteils allerdings auch weigert zu begreifen, dass hier vor ihren augen ein massives indiz für peak oil zu sehen ist, das hatte ich im ersten beitrag schon skizziert. dabei sind die technisch hoch anspuchsvollen und riskanten tiefseebohrungen nur eine sache, ihr äquivalent zu lande lässt sich bspw. in der kanadischen wildnis betrachten:



(hier geht es zu
teil 2 und teil 3.)

ich empfehle diese doku ausdrücklich, denn das ist bisher ein bereich, über den kaum jemand etwas weiß; ja dessen existenz sogar den meisten menschen unbekannt ist. beteiligt sind an dem "geschäft" (welches sich übrigens nur bei anhaltend hohen barrel-preisen lohnt) alte bekannte wie shell - und auch bp möchte da zukünftig mitmischen. aktuell ist aber ein name in diesem zusammenhang besonders interessant, nämlich "sinopec" - so heisst der staatliche chinesische energiekonzern, der sich mit milliarden von dollar in die dortige szene
eingekauft hat. ein teil aus der agenturmeldung ist dabei hervorzuheben:

(...) "Die Energiegewinnung aus Ölsand hängt von der Konjunktur ab. Sie amortisiert sich nur bei einem Ölpreis über 70 Dollar je Barrel." (...)

nochmal: peak oil bedeutet, dass die zeit des billigen öls vorbei ist - und ich kann mir eigentlich keinen schwerwiegenderen beweis für den eintritt ins post-peak-zeitalters vorstellen als diese ganzen extrem teuren bohrprojekte in der tiefsee, demnächst in den polargebieten und eben auch das rasant expandierende schürfen nach ölsanden. incl. aller "nebenwirkungen" natürlich, von denen wir eine im golf betrachten können.

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dieser zusammenhang, der eigentlich für alle sichtbar das (verdiente und überfällige) ende der ölbasierten kapitalistischen westlichen industriezivilisation ankündigt, kommt nur sporadisch zu bewusstsein - was kein wunder ist, sind die daraus folgenden konsequenzen für ausnahmslos alle menschen doch in ihrer umwälzenden kraft so gewaltig, dass hier bisher eine kollektive vogel-strauß-haltung gepflegt wird - und wenn bspw. in einem
kommentar sätze wie die folgenden zu lesen sind...

(...) "Dass private und staatliche Ölkonzerne angesichts drohender Ölknappheit in Kanada oder Afrika ganze Regionen umpflügen, um auch noch aus dem letzten Körnchen Sand ein wenig von dem Energieträger herauszuquetschen, wird von Industrie, Politikern und Medien sogar als Großleistung einer Branche gefeiert, die für die Zukunft der Menschheit sorgt.

Die noch immer verbreitete und falsche Behauptung, Öl sei noch lange ausreichend verfügbar, beruht auf der fahrlässigen Annahme, dass auch Lagerstätten angezapft werden können, die nur unter großen Risiken erreichbar sind. Und noch immer gilt der gesellschaftliche Konsens, dass alles gerechtfertigt ist, was den Ölpreis niedrig hält." (...)


...so kann ohne weiteres in der gleichen zeitung das statement eines der bekannteren kapitalistischen ideologen und schreibtischtäters hierzulande nachgelesen werden, der all seine pseudoentschiedenheit und sein geschwafel von "verantwortung" in einem einzigen absatz
zur kenntlichkeit entstellt:

(...) "Dass der Mensch immer tiefer ins Meer vordringen muss, um an Öl und damit an Energie zu kommen, ist nachvollziehbar; es ist Teil unseres Lebensstandards, von dem sich nur die wenigsten zu verabschieden bereit wären. Die Zeiten, da das Leben auf der Erde ohne nennenswerte Belastung für die Natur und nennenswertes Risiko für den Gesamtorganismus Erde verwaltet werden kann, sind vorbei. Das mag man bedauern, aber es ist nicht mehr zu ändern." (...)

das ist nichts anderes als eine variante des TINA-prinzips; und dazu ist es noch eine arrogante frechheit ohnegleichen, in dem zusammenhang "der mensch" zu postulieren - tatsächlich hat bisher immer nur eine relative kleine minderheit der weltbevölkerung von diesem rohstoff partizipiert und sich darüber letztlich mit dem eigenen, hochgradig pathologischen system noch über das technologisch-militärische übergewicht einen imperialistischen zugriff auf den ganzen planeten gesichert. der hochgelobte lebensstandard ist schlicht eine mehr oder weniger historische ausnahme in der geschichte der spezies, letztlich eher zufällig entstanden und in großen teilen inzwischen eindeutig in all seinen aspekten krankmachend.

und es geht dabei am ende nicht mehr darum, ob irgendjemand "bereit" dazu ist, sich diesbezgl. zu ändern - das wird schlicht durch die normative kraft des faktischen erzwungen werden, und je weniger bereitschaft, desto mehr zwang. der neoliberale kommentator halluziniert sich tatsächlich eine als-ob-realität zurecht, in der es weder grenzen noch vielfältigste beziehungen innerhalb eines natürlichen geflechts gibt. und nur auf dieser grundlage lässt sich ebenfalls größenwahnsinnig von der "verwaltung des lebens" (auf dem gesamten planeten!) sprechen. wäre das nicht als ausdruck einer völlig durchgeknallten und extrem objektivistischen inneren struktur zu begreifen, so wäre das höchstens derart lächerlich, dass ich fast - aber nur fast - mitleid mit einem solchen subjekt empfinden würde.

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auch, wenn bis heute der größte teil von öl & gas schlicht verbrannt wird - in motoren, kraftwerken etc. - und diesbezgl. bei der erzeugung von strom, wärme und mobilität die hauptrolle spielt, ist denjenigen stimmen mit skepsis zu begegnen, die da sagen: vertraut auf die technische entwicklung! wir werden nicht nur bei der energieerzeugung, sondern auch hinsichtlich der anderen heutigen verwendungen des öls alternativen finden!

abgewandelte versionen dieser optimismustriefenden (bekanntlich, ich wiederhole hier gerne noch einmal dieses nette kleine sinnsprüchlein, bekanntlich beruht optimismus auf einem mangel an information)vorstellungen sind auch bei jenen
"LOHAS" zu finden, die neben einem teil der bildungsbürgerlichen und materiell (noch) abgesicherten mittelschicht bei hiesigen "wahlen" die hauptzielgruppe der "grünen" bilden - da müssen die angekündigten und absehbaren enormen verwerfungen unbedingt sanft und positiv sein, da muss unbedingt ein mehr an lebensqualität herausspringen, und vor allem lösen sich in den visionen dieser schichten die enormen und krassen widersprüche der heutigen gesellschaften einfach in wohlgefallen auf - da gibt´s dann die solarzellen auf jedem dach, high-tec-fahrräder und elektromobile, die leise durch die strassen sausen. in den urlaub wird nur noch "bewusst" geflogen, das essen ist natürlich komplett "bio" von glücklichen tieren in gesunder landluft, zuhause muss das feng shui stimmen und die klamotten aus dem fair trade sind natürlich alle schadstoffreduziert.

im weitesten sinne kann ich etlichen punkten oben durchaus etwas abgewinnen; auch ist die literarisch formulierte utopie von
ökotopia, von der sich bis heute noch teile in sog. "grünen" gesellschaftsentwürfen wiederfinden lassen, durchaus anregend und nachdenkenswert.

und trotzdem: je mehr ich mich mit der rolle des öls beschäftige, desto weniger ist für mich sichtbar, dass eine quasi eins-zu-eins-ersetzung auch nur ansatzweise eine realistische option ist. man kann in den extrem verschwenderischen bereichen motorisierung/verkehr sowie strom- und wärmeerzeugung eine menge sparen, sicher. das würde etwas mehr zeit für die anderen nötigen umstellungen verschaffen. aber bereits bei der petrochemie sieht´s dann schon so aus, dass öl hier einfach so nicht ersetzbar ist, auch wenn es in diesem oder jenem bereich realistische alternativen gibt. einige grundprobleme dabei, die normalerweise nicht berücksichtigt werden, sind im folgenden
text - das ist ein .pdf von 59 seiten - skizziert. ich empfehle sehr das lesen, nicht nur weil ich auf einige punkte noch zurückkommen werde.

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und zwar in einem
dritten teil , der so nicht geplant war, aber jetzt aufgrund des puren umfangs des themas nicht zu vermeiden ist. dann auch mehr zum punkt verzicht.

Montag, 24. Mai 2010

assoziation: zum öligen menetekel im golf - zwei sätze, weitergedacht (1)

zum menetekel im golf hat sich drüben auch somlu einige grundsätzliche gedanken gemacht, incl. zweier filmtipps, die ich natürlich unterschreibe. dann aber wären da noch zwei sätze, die in mir im laufe der folgenden stunden nach dem lesen ein wahres gewitter an assoziationen ausgelöst haben:

"Ja, verdammt, vielleicht wird das alltägliche Leben schwerer, wenn die Petrochemie nicht mehr ist. Vielleicht müssen wir uns auf Kochkisten und weniger Mobilität zurück besinnen."

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als erstes fällt mir beim stichwort "petrochemie" ein, wie wenig ein tatsächliches bewusstsein darüber vorhanden ist, dass "wir" hier in den westlichen lebenswelten allesamt als kohlenwasserstoff-junkies zu gelten haben - ja, auch Sie da! zur untermalung dieser betrüblichen botschaft möchte ich jetzt mal einen kleinen (imaginären) rundgang durch den alltag veranstalten, wie er sich für die meisten von uns so darstellt.

wenn Sie das nächstemal in Ihrem bett aufwachen, schauen Sie sich einfach mal genau um - worauf fällt Ihr blick alles? wenn Sie in der verbreiteten kombination aus arbeits- und schlafzimmer hausen, werden da vermutlich solche dinge wie bücher und zeitschriften herumliegen; vielleicht steht auch Ihr computer plus dazugehörige hardware herum. und wie sieht´s mit unterhaltungselektronik aus? fernseher, cd- / dvd-player ? womöglich haben Sie aus liebhaberei sogar noch irgendwo einen cassettenrecorder oder plattenspieler plus zugehörigem vinyl herumstehen?

wie dem auch sei: Sie stehen jetzt auf, recken & strecken sich herzhaft und laufen - über einen kunstfaser-teppichboden ? oder doch über holz ? (falls das schon vor Ihrem einzug verlegt gewesen ist - wissen Sie, ob und wie das imprägniert ist ?) angesichts der z.zt. nicht wirklich lauschigen nachttemperaturen drehen Sie vielleicht erst mal die heizung herunter und haben dann noch einen flüchtigen gedanken für die farben und lacke an wänden, türen, möbeln und heizkörpern übrig. im schlechtestenfalls fensterlosen badezimmer machen Sie erstmal das licht an und gehen unter die dusche - heisses wasser und irgendwelche duschbäder oder shampoos machen Sie für einen neuerlichen ausflug ins rattenrennen grundsätzlich funktionsfähig. danach dürften, geschlechts- und altersabhängig, auch noch einige aufhübschungen mittels kosmetik fällig sein, bevor Sie sich abschließend nochmal die hände mit einer - recht billigen - seife waschen. benutzen Sie übrigens parfüm ?

dann kleiden Sie sich an - irgendwo in Ihren klamotten werden mit großer wahrscheinlichkeit ebenfalls synthetische fasern verarbeitet sein, und wenn Sie nicht unbedingt lederschuhe tragen sollten... btw.: müssen Sie Ihre schuhe nicht mal wieder mit den entsprechenden schuhputzmitteln reinigen ?

in die küche gewechselt, werden Sie vermutlich erstmal den üblichen morgendlichen koffeinflash benötigen - fragt sich nur, ob mittels wasserkocher oder per kaffeemaschine. aber strom brauchen Sie nicht nur hier. wenn Sie´s denn leider benötigen sollten, kommt jetzt vielleicht auch die zeit, Ihr medikament einzunehmen. hoffentlich sind Sie so vernünftig, wenigstens ordentlich zu frühstücken - ein blick in den kühlschrank fällt auf - falls Sie nicht gerade in der "hartz-IV"-mühle stecken -allerlei mehr oder weniger bunte verpackungen, in denen die - vermutlich mehrheitlich konventionell produzierten - nahrungsmittel ihrer bestimmung harren. Sie essen ein häppchen, schmeißen vorher noch ein wenig wäsche incl. waschmittel in die waschmaschine und eilen aus dem haus.

am himmel zieht ein flugzeug seine runden, während Sie zu Ihrem auto gehen, für dessen nutzung Sie natürlich äusserst triftige argumente anzuführen wissen. besser wäre es, Sie würden wenigstens heute mal wieder Ihr fahrrad ausführen - wobei die wahrscheinlichkeit groß ist, dass weder Ihre auto- noch fahrradreifen aus naturkautschuk bestehen. vergessen Sie nicht, die kettenschmierung zu überprüfen - ist vermutlich schon ein weilchen her seit dem letztenmal.

sehr schön, Sie haben sich für´s rad entschieden - im winter wäre jetzt noch die straßenbeleuchtung an, und während Sie so über den radweg brausen, schweift Ihr blick über den asphalt auf der strasse zu einem bitumengedeckten flachdach. Ihre neue "gore-tex"-jacke trägt sich angenehm, und als Sie bauarbeiter an einem haus sehen, fällt Ihnen kurz die noch ausstehende außenisolierung gegen die feuchtigkeit in Ihrem keller ein.

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ich muss diesen imäginären tagesbeginn jetzt mal abbrechen, und zwar rein aus platzmangel - wie Sie (da bin ich mir sicher) bereits bemerkt haben, sind alle kursiv geschriebenen dinge im prinzip nichts weiter als platzhalter für das wort
petrochemie, womit letztendlich alle produkte gemeint sind, die direkt und indirekt - meistens in ihren wichtigsten komponenten - auf erdöl oder -gas basieren. ich habe dabei nur die augenfälligsten überhaupt angeführt; wo wir überall im alltag mit der petrochemie in berührung kommen - und zwar in allen lebensbereichen - , lässt sich vermutlich leichter darstellen, wenn die aufzählung sich darauf beschränken würde, wo nicht - und das ist ein verdammt schweres unterfangen. wer sich übrigens wundert, warum auch nahrungsmittel auftauchen, sollte sich mal gedanken über kunstdünger sowie das haber-bosch-verfahren machen. von den transportwegen und -mitteln mal ganz abgesehen, ebenso von der in der konventionellen landwirtschaft eingesetzten technik. und worauf basieren nochmal pestizide u.ä. gifte ?

kurz auf den punkt gebracht: nicht nur unser alltagsleben, sondern auch so ziemlich die gesamte infrastruktur der westlichen industriellen zivilisation, beruht und funktioniert auf und mittels (fossilen) kohlenwasserstoffen. das erdölzeitalter

graphische darstellung des erdoelzeitalters
<br />
quelle: bgr

- links nebenstehend sehen Sie eine interessante graphische darstellung der zeitlichen dimensionen (quelle ist die "bundesanstalt für geowissenschaften und rohstoffe"); dargestellt wird die geschätzte menge des förderbaren öls, und Sie sehen auch den peak in der förderung kurz nach dem jahr zweitausend - wobei der genaue zeitpunkt nun meiner meinung nach recht unerheblich ist; das der peak beim billigen (!) öl unvermeidlich eintritt, bestreiten nur noch ignoranten - bei den anderen langt die zeitspanne etwa vom jahr 2005 bis zur "optimistischsten" schätzung 2040. wahrscheinlich ist es bei betrachtung der nachweislich fallenden fördermengen in so ziemlich allen global relevanten feldern - und das sind im verhältnis recht wenige - , dass wir uns in unmittelbarer nähe des peaks aufhalten, meiner vermutung nach schon jenseits.

beim nachdenken finde ich auch interessant, dass ich mich nicht daran erinnern kann, irgendwann in der schulzeit auch nur einmal irgendetwas relevantes zum thema erdöl, geschweige denn zu seiner realen bedeutung gehört zu haben. wer nach dem jahr 1950 geboren worden ist, muss (im westen) unweigerlich den eindruck einer nicht zu hinterfragenden "normalität" des (ölbasierten) materiellen alltagsniveaus gewonnen haben; dabei ist diese normalität alles andere als das, sondern real eher eine historische ausnahme, komprimiert bei großzügigster auslegung etwa auf die zweihundert jahre von 1850 bis 2050 (wo dann vermutlich auch noch die letzten erreichbaren funde in den polaren tiefseegebieten in tausenden von metern tiefe oder auch die ölsande zusammengekratzt werden) datierbar. bezgl. der anfänge: wer mal eine informative und launig geschriebene darstellung dieser anfänge lesen will, incl. historischer photos von den ersten öl-umweltdesastern, sei auf
diesen artikel verwiesen.

die rolle der fossilen brennstoffe lässt sich in ihrer ganzen bedeutung auch in anderer form kurz zusammenfassen: öl (und gas) haben
  • wesentlich für eine unglaubliche zahl von bahnbrechenden wissenschaftlich-technischen fortschritten gesorgt
  • incl. aller medizinischen fortschritte
  • die industrielle landwirtschaft mit ihrer massiven produktivität ermöglicht
  • darüber dann auch das wachstum der menschlichen bevölkerung global explodieren lassen
  • für die heutigen stadtlandschaften gesorgt; incl. der mega-cities
  • die mikroelektronische "revolution" mitsamt all ihrer ausprägungen - u.a. das internet - zu verantworten
  • die kriegsführung bzw. die dazu verfügbaren mittel so tödlich wie nie zuvor gemacht
  • natürlich auch für diverse kriege unmittelbar gesorgt
  • die allgemeine mobilität in ungeahnte dimensionen getrieben
  • vorher unbekannte ökologische zerstörungen globaler bedeutung ausgelöst (direkte ölverschmutzungen, müllprobleme, smog, klimaveränderungen, landschaftsversiegelung etc. etc.
  • und natürlich auch die sog. globalisierung (der ökonomie) sowie die expansion des totalitären kapitalismus mitsamt seiner überproduktions- und sonstigen krisen erst möglich gemacht; in diesen zusammenhang gehört auch die mittlerweile absolut unerträglich gewordene umverteilung gesellschaftlichen reichstums an eine in relation wirklich winzige minderheit incl. der damit verbundenen machtungleichgewichte
  • durch all das dann indirekt auch zur allgemeinen beschleunigung, zu stress und letztlich vielen schwer gestörten psychophysischen zuständen mit beigetragen
in der zusammenfassenden bilanz wird für mich sehr deutlich klar: wir haben insgesamt einen viel zu hohen preis für die - inzwischen teils recht fragwürdigen - auch anscheinend positiven wirkungen des ölzeitalters gezahlt. ein kleiner teil davon ist momentan täglich in den nachrichten zu betrachten.

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wer sich einen großteil des obigen selbst mal in möglichen zukünftigen entwicklungen vor augen halten möchte, sollte sich in der science- / social fiction umschauen - einmal wäre da das szenario von andreas eschberg in seinem roman "ausgebrannt" zu nennen...



...zum anderen das leider offenbar nur noch antiquarisch zu bekommende szenario "mutant 59: der plastikfresser" von kit pedler und gerry davis, in dem ein unfall mit einem genmanipulierten bakterium das gesamte fantastic plastic-universum im wahrsten sinne des wortes in (übelriechende) luft aufgehen lässt und dazu noch eine völlig neue definition des wortes haushaltsauflösung präsentiert wird. andere und weitere tipps sind natürlich willkommen.

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im zweiten teil will ich mich mit einigen konsequenzen - u.a. für politische aktionen, aktuelle verteilungskämpfe, linke diskurse sowie westliche lebensstile - und auch weiteren absehbaren peaks beschäftigen, die sich aus meiner perspektive aus den realitäten des ölzeitalters plus seinem absehbaren ende ergeben. und ein wort, welches da eine große rolle spielen wird und gerade deshalb in so ziemlich allen diskussionen gemieden wird wie ein absolutes tabu, schreibe ich jetzt ebenfalls schon mal groß:

VERZICHT.

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(zum
zweiten teil)

Samstag, 1. Mai 2010

assoziation: peak oil, tote tiere, ruinierte menschen und kapitalistische kriminalität

eigentlich wollte ich mir ja zumindest übers wochenende nichts von außen "diktieren" lassen, was die bloggerei und überhaupt das schreiben (einige mails rund ums blog harren noch ihrer beantwortung) betrifft - eigentlich. inzwischen hat sich jedoch der vor ein paar tagen vermutlich nicht nur von mir eher beiläufig registrierte unfall auf der bohrinsel "deepwater horizon" im golf von mexico als ein monströses technoindustrielles desaster ersten grades herausgestellt, mit einigen dimensionen, die im folgenden kurz skizziert werden sollen. und neben den dazugehörigen eher "rationalen" betrachtungen möchte ich auch ausdrücklich erwähnen, dass mich solche bilder...

veroelter vogel in der san francisco bay zweitausendsieben
<br />
photo von mila zinkova
<br />
via wikipedia commons
<br />

...wie dieses eines verölten vogels in der san franciso bay 2007 (photo von mila zinkova) regelmässig stinksauer machen - und das nicht nur wegen einer fast schon misanthropischen scham im angesicht der durch übles menschliches treiben gequälten kreatur, die nicht begreifen kann, was ihr geschieht (aber, und da bin ich mir sicher, leidet), sondern auch deshalb, weil sich alles gerede und alle wohlfeilen absichtsbekundungen nach derlei großtechnologischen verbrechen regelmässig als billige luftnummern herausstellen - oder will sich jemand hinstellen und behaupten, dass aus der kette von dimensionsmässig vergleichbaren störfällen wie bspw. seveso 1977, bhopal 1984, dem atomaren gau von tschernobyl (in einem quasi staatskapitalistischen system, ganz recht) und der vergiftung des rheins im gleichen jahr 1986 sowie den schweren unfällen mit supertankern wie der "exxon valdez" 1989 irgendwo und irgendwann wirklich grundsätzliche und einschneidende konsequenzen gezogen worden wären?

natürlich nicht - es fällt erstens auf, dass bei den obigen beispielen überall verschiedene, aber weltweit bekannte corporations beteiligt waren, deren macht und kriminelle energie im gleichnamigen
film präzise dokumentiert wurde; und zweitens, dass bei den meisten derartigen "unfällen" ein fataler mix aus menschlicher selbstüberschätzung, mangelnder beherrschung der technologie, verantwortungslosigkeit, unterlaufenen sicherheitsstandards und profitmaximierung um buchstäblich jeden preis ursächlich beteiligt gewesen ist, gefolgt von vertuschungs- und verharmlosungsversuchen sowie dem mehr oder weniger unverschämten bemühen, sich jeweils möglichst erfolgreich um die fälligen entschädigungen zu drücken. mit moralischen kategorien ist derlei treiben nicht beizukommen, im systemimmanenten verständnis sind das alles durchaus "rationale" verhaltensweisen. von "außen" betrachtet jedoch lässt sich etwas wahrnehmen, was in "the corporation" völlig berechtigt als soziopathische, antisoziale grundstruktur von gebilden wie großkonzernen (und ich füge hinzu: auch von den verantwortlichen führungskräften sowie teilen ihrer lakaien) gezeichnet worden ist. und unter diesem aspekt sollten sie auch wahrgenommen und behandelt werden.

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das sich nun "bp" öffentlich sehr schnell zur übernahme der kosten (was immer das dann auch konkret bedeutet) breit erklärt hat, dürfte als allerletztes mit solchen dingen wie echter verantwortungsübernahme oder gar wirklicher reue zu tun haben, sondern eher damit, dass auch die pr-abteilungen dieser kriminellen organisationen inzwischen wissen, dass sich solche (absehbaren) debakel wirklich großen stils öffentlich nicht wirklich gut machen und eine ernste delle ins geschäft schlagen können, vom image mal ganz zu schweigen.

und es dürfte auch etwas mit den tatsächlichen
hintergründen in diesem fall zu tun haben - die sehen hinsichtlich "bp" nämlich so aus:

(...) "Doch BP macht es sich mit der Schuldzuweisung an die Schweizer Firma etwas zu leicht, wie verschiedene Kommentatoren bemerkten. «Es war der britische Ölkonzern, der Transocean den gefährlichen Auftrag gab. BP liess das Unternehmen in in einer Tiefe bohren, die technisch nicht mit letzter Sicherheit zu kontrollieren ist», schreibt etwa die «Financial Times Deutschland». Das «Wall Street Journal» weist darauf hin, dass die Sicherheitstechnik der «Deepwater Horizon» nicht auf dem modernsten Stand gewesen sei. Es habe ein Schalter gefehlt, mit dem das Bohrloch hätte verschlossen werden können. Warum? BP hatte zusammen mit anderen Ölfirmen im amerikanischen Parlament lobbyiert, dass diese Schalter anders als etwa in Norwegen und Brasilien nicht zur Vorschrift werden. Kein Wunder: Ein Stück kostet 500'000 Franken." (...)

weil da einige herren etwas sparen wollten, gibt es jetzt also eine situation, die - stand heute abend -
so aussieht:

(...) "Die küstennahen Feuchtgebiete sind die Laichgebiete und Brutstätten von zahlreichen Krebstieren, Fisch- und Vogelarten. „Gerade für Vögel könnte die Zeit nicht schlechter gewählt sein“, sagt Melanie Driscoll von der US-Vogelschutzorganisation Audubon. Viele Vögel brüten in der Gegend, auch Zugvögel auf dem Weg von Südamerika in arktische Gebiete sind zur Zeit dort. (...)

„Über die Nahrungskette sind beinahe alle Tiere bedroht, die in der Küstenregion leben“, sagt Maggy Nugues vom Bremer Leibniz-Zentrum für marine Tropenökologie. Zahlreiche Tierarten ernähren sich von Plankton - etwa Krabben, Muscheln, Austern und Shrimps. Eingeöltes Plankton können sie entweder gar nicht fressen oder wenn sie es doch tun, vergiften sie sich an der verseuchten Nahrung. Dadurch fehlt dann wieder Nahrung für andere Tiere, etwa Otter, der sich von Muscheln ernähren.

Auch Delphine und Wale sollen betroffen sein. Die können doch weite Strecken zurücklegen - können sie nicht aus dem verseuchen Gebiet verschwinden?

Doch, können sie - sagt Maggy Nugues. „Delfine und Wale werden merken, dass das Wasser nicht in Ordnung ist, verlassen das Gebiet und fressen auch nicht mehr dort.“ Allerdings ernähren auch sie sich von Plankton und Fischen. Sind diese durch Öl verseucht, können die Tiere erkranken. Verseuchte Fische können sich sehr viel weiterräumiger ausbreiten, als der Ölteppich selbst. Wie genau sich das auf die großen Meeressäuger auswirken wird, ist aufgrund der geringen Erfahrungswerte schwer einzuschätzen.

Man hört immer wieder, das Mississippi-Delta sei besonders empfindlich. Warum?

Die Region besteht zu einem großen Teil aus Mangrovenwäldern. Mangroven atmen über Luftwurzeln - deren Öffnungen werden durch das Öl verklebt. Die Pflanzen sterben und mit ihnen der Lebensraum für zahlreiche Tierarten." (...)


oder, aus finanzieller warte - leider und bezeichnenderweise die einzige ebene für etliche zeitgenossen, die von ihnen wirklich wahrgenommen wird -
so :

(...) "Der Fischerei und dem Tourismus in der Region, die sich gerade erst von den Folgen "Katrinas" erholt haben, drohen schwere Schäden. Experten gehen davon aus, dass das Öl Umweltschäden anrichten wird, die nur schwer zu beseitigen sein werden. Die Küstengewässer und Sumpfgebiete im Golf von Mexiko sind Heimat zahlreicher Tierarten wie Seekühe, Delfine, Wale, Tümmler, Pelikanen sowie anderer Vögel. Im Golf gibt es zudem riesige Mengen an Meeresfrüchten wie Austern, Krabben Muscheln und Fische.

Die Energie-Experten der Agentur Fitch schätzen, dass allein die Eindämmung des Ölteppichs und die anschließende Säuberung drei Milliarden Dollar erreichen könnte. Der Analysten Neil McMahon von der Investmentfirma Bernstein rechnete zudem vor, dass in der Fischereiindustrie Schäden von 2,5 Milliarden Dollar und in der Tourismusbranche von drei Milliarden Dollar zu erwarten sind."


wobei ich persönlich das entscheidende die in der fiktiven kategorie "geld" nicht messbaren qualen der unzähligen lebewesen finde, die letztlich einmal mehr vom wahnsinn des ölzeitalters sowie der damit verbundenen bzw. immanenten kapitalistischen schwerkriminalität zum tode verurteilt werden.

*

es gibt aber noch einen weiteren aspekt des ganzen, der bisher - zumindest bei den mir bekannten berichten - nirgendwo aufgegriffen wurde, aber wirklich schlimme befürchtungen wecken muss (vielleicht wird er genau deswegen beschwiegen) - die einzige mir bisher bekannte ausnahme ist dieser
artikel, der den zusammenhang deutlich macht und benennt:

(...) "Da die klassischen Ölquellen nach und nach versiegen, sind Ölkonzerne darauf angewiesen, andere Vorkommen zu erschließen, um den Energiebedarf zu decken – etwa in der Tiefsee sowie in den sandigen Böden Kanadas, wo Öl aus Teersand gefördert werden kann. Dies ist mit mehr Aufwand, höheren Kosten und deutlich größeren Belastungen für die Umwelt verbunden." (...)

kurz: es war eine tiefseebohrinsel, die da versunken ist - und genau diese eigenschaft macht die schließung der lecks jetzt so schwierig - hoher druck, dunkelheit, unzugänglichkeit für taucher bzw. notwendigkeit für high-tech-material . und damit wird genau das deutlich, was im zitat als "mehr aufwand, höhere kosten und deutlich größere umweltbelastungen" umschrieben ist: tiefseebohrungen sind bereits ein teil der manischen jagd nach den letzten erreichbaren ölvorräten, und damit spiegeln sie ebenfalls einen teil der realität von
peak oil - siehe auch hier - wieder. und wie dieser fall jetzt gerade deutlich unterstreicht, steigen die risiken beim gierigen grapschen nach den letzten vorräten des schmierstoffs für die industrielle "zivilisation" absehbar in einer derart unakzeptablen weise an, dass die dringlichkeit der beendigung des zeitalters der fossilen energien einem schier ins gesicht springt. und noch mehr die dringlichkeit der beendigung des auf diesen fossilen energien basierenden totalitären kapitalismus: weil die profitmaximierung um jeden preis das eherne gesetz dieses systems, ja eigentlich seinen einzigen inhalt darstellt, ist das verhalten von bp, wie es weiter oben kurz skizziert wurde, keinesfalls irgendwie als "ausrutscher" zu begreifen, sondern als "normalität", die unter den systemvorgaben ohne weiteres zur offenen kriminalität (wenn auch vermutlich nicht im sinne der herrschenden strafgesetze) mutiert.

anders: es liegt auf der hand, dass bei immer schwierigeren umständen der ölförderung solche "unfälle" keine ausnahmen bleiben werden - was das in gebieten wie den polarregionen oder auch anderen tiefseezonen mit einiger wahrscheinlichkeit bedeutet, müssen wir gerade miterleben. aber wenn man sich den umgang mit der gleichfalls hochriskanten - und zwar in jeder beziehung, vom uranabbau bis zur fiktiven "endlagerung - atomenergie betrachtet, die unter strukturell ähnlichen prämissen wie die ölförderung betrieben wird, bleibt die wahrscheinlichkeit für lerneffekte gering - auch, wenn obama inzwischen andere tiefseeprojekte erstmal ausgesetzt (und eben nicht definitiv beendet) hat. dafür ist letztlich auch eine verbreitete haltung mitverantwortlich, wie sie jemand im "standard"forum
zur schau stellt:

(...) "ich will die errungenschaften der modernen gesellschaft nicht aufgeben. ich will im auto fahren wann ich es will und wohin ich will, ich will wenn ich es möchte ein flugzeug besteigen können und in ein land reisen können, das mich interessiert.

kaufen sie sich einen bauernhof (kein stromanschluss, kein traktor), züchten sie tiere und pflanzen sie obst, gemüse und getreide. und schauen sie sich mal an, was für ein sch** leben das ist."


wer derart "ich will" brüllt, will und wird letztendlich und tatsächlich nur eines: mit dem kopf frontal gegen eine betonwand laufen. ich fürchte, anders werden die nach dem westlichen "way of life" strukturierten gesellschaften incl. einer mehrheit ihrer bewohnerInnen ihre grenzen auch nicht (mehr) lernen, als nur noch auf die ganz harte und schmerzvolle tour (da kann dann beizeiten auch ein naturphänomen wie ein
vulkanausbruch wertvolle lektionen vermitteln). mal abgesehen davon: woher will der im tatsächlichen sinne a-soziale ignorant wissen, was ein scheißleben ist? in der heutigen gesellschaftlichen form können sich wirklich und tatsächlich nur noch gestörte auf die dauer wohlfühlen (und halten das auch noch für "freiheit") - das nenne ich ein scheißleben ! und das ist keine haltlose polemik, sondern ein nüchterner tatsachenbestand (wer das nicht glaubt, darf sich zb. einmal das blog von vorne bis hinten durchlesen und dann wiederkommen).

*

einmal mehr lautet abschließend ein wesentliches fazit aus dem ölteppich im golf so: es ist absolut zeit, aufzuräumen - im ganz eigenen überlebensinteresse.

Sonntag, 11. April 2010

assoziation: nicht wirklich fröhliche gedanken an einem dämmernden frühlingssonntagabend

"klassische" gefühle von innerer leere überkommen mich heute immer wieder, habe mich scheint´s zu sehr den zuständen gewidmet. und das bedeutet ja keinesfalls bzw. noch nicht mal überwiegend die distanziert-objektivistische betrachtung, sondern die zustände gehen an die nieren - irgendwie eine treffende metapher - und bringen die neuronen in hirn und nervensystem/-en (nicht das enterische vergessen) ihrerseits in zustände, die sich dann als bedrückende und belastende emotionen und gedanken manifestieren. aber schreiben kann ja zumindest manchmal therapeutische wirkung entfalten - nun denn.

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als fortsetzung meiner kleinen letztjährigen reihe mit dem versuch, die
folgen der (ökonomischen) krise hierzulande etwas mehr zu fassen zu bekommen, kann ich ganz persönlich feststellen, dass ich die von mir heimlich befürchteten auswirkungen gerade im sozialen bereich mehr und mehr auch in meinem umfeld wahrnehme - es ist deutlich die tendenz vorhanden, sich auf die "allerprivatesten" dinge, umstände, situationen und orte zurückzuziehen. "politik" (als sammelbegriff für alles "öffentliche") wird zusehends gar nicht mehr oder aber nur noch mit kurzen zynismen kommentiert und wahrgenommen. der wunsch, eine zusehends unbegreiflichere und vor allem auch bedrohlichere welt einfach mittels türzuschlagen "draußen" stehen zu lassen, ist ja verständlich (und ich setze das - immerhin inzwischen meist sehr bewusst - selbst ein, um die nötigen ruhepausen zu finden). andererseits: was sagt es über die zustände unserer welt aus, wenn "wir" uns zunehmend defensiv verhalten, zurückziehen und die einzige "utopie" noch darin besteht, "privat" möglichst angenehm über die runden zu kommen?

mal abgesehen davon, dass letzteres gar nicht funktionieren kann ("die welt" wird beizeiten alle scheinbar fest verschlossenen türen schlicht eintreten und aus den angeln heben), erzählt das beobachtete für mich auch laut und deutlich von allgemeiner überforderung. ein burn-out bzw. das, was sich hinter dieser diagnose alles verbergen kann, ist nichts, was alleine am (lohn-)arbeitsplatz entsteht - es ist eine frage aller lebensbereiche und ein symptom für eine umfassende dysfunktionalität - zunächst im weiteren und nahen sozialen beziehungsgeflecht, dann bzw. parallel zwangsläufig auch individuell psychophysisch.

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es ist eine gefährliche situation, wenn sich solche zustände nicht nur vereinzelt manifestieren, sondern als quasi symptomatisch für die verfassung ganzer gesellschaften wahrgenommen und auch hingenommen werden. dieses letztere nun lässt sich mit einigem recht als ausdruck auch von umfassenden legitimations- und letztlich sinnkrisen betrachten - medial wird sich diesen alarmzeichen dann am beispiel eines
nachbarlandes zb. so genährt:

(...) "In Frankreich kriecht gelbe Galle durchs Land. Das Volk misstraut allem und jedem: dem Staat, den Parteien, den Medien. Den Kirchen sowieso. Erst recht den Unternehmen. Und untereinander hegen viele Franzosen ebenfalls Argwohn. Nur ein Fünftel von ihnen glaubt noch, man könne sich gemeinhin auf Mitmenschen verlassen." (...)

mal alle berechtigten fragen nach der plausibilität und repräsentativen aussagekraft von studien wie solchen, auf denen das zitierte beruht, aussen vor gelassen: ist das nicht eigentlich genau das, was - nicht nur in frankreich - zu erwarten ist? alle genannten institutionen erscheinen zunehmend hohl, wenn nicht gleich als ausdruck organisierter zweifelhafter zwecke bis offener kriminalität, vor allem im antisozialen sinne gemeint. nur keine missverständnisse: als sympathisant des anarchistischen gedankens habe ich keine probleme damit, dass sich mehr und mehr systemtragende institutionen und ihre repräsentanten zusehends selbst unmöglich machen und teils regelrecht demontieren (banken und kirchen sind dafür nur sehr auffallende beispiele) - ich finde das eigentlich eine höchst überfällige und sehr begrüssenswerte entwicklung.

das problem: es ist weit und breit nichts wahrzunehmen, was das entstehende vakuum wirkungsvoll und vor allem positiv füllen könnte. sprich: selbstbestimmte und selbstregulierende kollektive entwicklungen zur beantwortung der wichtigsten gesellschaftlichen probleme, beruhend auf authentischer individualität. selbst wenn ich mich an meinen eigenen, in der vergangenheit hier mehrfach geäusserten verdacht klammere, dass wirklich neue politische entwicklungen sich unter umständen in formen vollziehen werden, die historisch bisher unbekannt waren und von daher vielleicht auch nur schwer wahrzunehmen sind, so bleibt doch der eindruck einer allumfassenden defensiven und abwehrenden grundhaltung, und zwar ganz pauschal "der welt" gegenüber, hartnäckig in meinem kopf sitzen.

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wenn ich denn die grundstimmung vieler zeitgenossen unserer epoche in ein paar worten zusammenfassen sollte, würde ich etwas in der art von passiv-gleichgültiges, gleichzeitig latent aggressives misstrauen wählen - zusammen mit der eingangs schon erwähnten allgemeinen tendenz zum rückzug in scheinbar private refugien bietet das ein bild, welches ich bei einem einzelnen menschen als ausdruck einer larvierten depression bezeichnen würde - "larviert" meint hier eine besondere form von versteckt, besser halb-versteckt oder noch nicht voll ausgeschlüpft, weil die depression zwar schon wahrnehmbar ist, aber der betroffene noch zu gleichgültigem funktionieren in der lage ist, wozu auch oberflächliches "spasshaben", meist unter einfluss verschiedenster psychoaktiver substanzen, gehören kann. die kurzfristige "begeisterung" für inhaltlich entleerte und oberflächliche events aller art, die immer wieder neu medial produziert wird, steht dabei für die pseudokollektiven formen des letzteren und bildet dabei gleichfalls nur die andere seite der medaille von dem, was in der letzten zeit hierzulande seitens der selbsternannten "eliten" an plumpen und altbewährten ressentiments wahlweise gegen "die griechen", "die moslems", "die arbeitsscheue hartz-IV-unterschicht" oder sonstwen versucht wird zu schüren - der versuch, die durchaus wahrnehmbaren destruktiven aggressionen wiederum in formen von gegenseitiger aufhetzung konstruierter pseudokollektive zu steuern und zu kontrollieren. aber auch hier ist mein eindruck der einer bestimmten wahllosigkeit - auch, wenn dahinter alte und traditionelle versuche der fragmentierung zwecks machterhaltung stehen, so glaube ich nicht, dass das so funktioniert wie in der unheilvollen vergangenheit - zumindest nicht in den bekannten formen.

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die da heissen: nationalismus, rassismus, sexismus und alle varianten von sozialdarwinistischen bis eugenischen ideologischen konstrukten. sicher schwirren von diesen ladenhütern machtstützender ideologien an allen ecken und enden fragmente durch die gegend; sicher sind auch die seit jahrzehnten unübersehbaren modernisierungsversuche - "wie mache ich diesen alten dreck kompatibel zum modernen zeitgeist?" - teils von mehr oder weniger großem erfolg gekrönt - und trotzdem bleibt vor allem der eindruck einer großen gleichgültigkeit, die sich wie mehltau auf das ganze gesellschaftliche leben gesenkt hat.

und so ist auch die überschrift
wie in alten zeiten des blogs, welches dankenswerterweise das folgende zeitzeugnis dokumentiert hat -

tote soldaten


- rein oberflächlich betrachtet zwar treffend (wenn man sich in den entsprechenden archiven die todesanzeigen der jahre 1939 - 45 in deutschen zeitungen betrachtet, so gibt es da nur ein paar variationen derart, dass damals von "stolzer trauer" und "für führer und vaterland" die rede war), aber bei genauerem hinsehen mutet den versuchen der erzeugung von so etwas wie nationalistischer, gar militaristischer ernsthafter bzw. erhabener (kriegs-)unterstützung (von begeisterung gar nicht zu reden), und sei´s in form von "nationaler trauer und betroffenheit", doch eher etwas absurdes an - das allermeiste wirkt inszeniert, wie show, fake und simulation. leer.

was ja nun gerade in diesem kontext nicht das schlechteste ist - die gemetzel im namen solch fiktionaler konstrukte wie "nation" u.a. bilden bekanntlich zu einem großen teil die historie der spezies. heute aber scheint es so zu sein, dass die wirkungen des totalitären kapitalismus - vereinzelung bzw. all die (verkäuflichen) formen der pseudoindividualität, allgemeine fragmentierung, beschleunigung etc. - zusammen mit seinen massenmedialen vermittlungsebenen bestimmte, pathologische psychophysische und in der vergangenheit verbreitete menschliche strukturen mitsamt ihren spezifischen fiktionalen kompensationsversuchen alá "nation", "gott" etc. ebenfalls unterminiert bzw. durch noch zu bestimmendes anderes abgelöst haben (hier dürfte übrigens eine motivation jener "echten", d.h. reaktionären, konservativen liegen, die sich selbst nicht mehr in der aktuellen kapitalistischen variante wohlfühlen und teils schon verzweifelt versuchen, die "alten werte" wie familiensinn, "patriotismus" usw. mit allen zugehörigen sog. tugenden - disziplin, formale höflichkeit etc. - neu zu definieren und zu füllen.)

dieser gerade zwangsweise sehr grob skizzierte vorgang haut also reale und fiktionale, "alte" kompensatorische ebenen der kollektiven und individuellen sinngebung gleichzeitig zu klump. wobei letztere seitens der "eliten" regelmässig wiederzubeleben versucht werden, was aber offensichtlich nicht so recht gelingen will - wenn, dann (ausser für die ganz gestörten) nur noch als unglaubwürdige farce. der große rest bleibt gleichgültig oder konsumiert bspw. den "neuen patriotismus" anlässlich von irgendwelchen sportevents ähnlich wie eine tv-show.

*

ich hoffe, dass Sie mir ungefähr folgen können - ich versuche gerade, etwas genauer zu fassen zu bekommen, was mir seit langem als vager und diffuser eindruck immer wieder durch meine wahrnehmung geistert. bei der frage an mich selbst, wie ich das umrissene denn nun selbst finde und was das womöglich für konsequenzen hat, bin ich sehr zwiegespalten. einmal finde ich, dass bereits deutlich zu sehen ist, in welche richtung eine gesellschaft driftet, die von solchen tendenzen wie dargestellt bestimmt wird - bereits öfter thema hier, ist das stichwort wieder einmal
mafiasierung - bandenbildung:


(...) "Doch der wirklich gefährliche Teil der Mafia ist unsichtbar, vor allem in Ländern, in denen sie investiert. Nehmen Sie die sizilianische Mafia. Hochintelligente, bürgerliche Verbrecher: Ärzte, Mittelständler oder Juristen, die immer erfolgreicher gesellschaftliche Schlüsselpositionen besetzen und ihre Kinder auf die Universität schicken. Oder schauen wir auf die russische Mafia, die in einem kapitalistischen System stark geworden ist, das nach unseren Schätzungen heute zu 70 Prozent vom organisierten Verbrechen betroffen ist und nun große Teile der Weltwirtschaft beeinflusst. (...)

SZ: Wie muss man sich diese wirtschaftliche Betätigung vorstellen?

Scarpinato: Wie eine Tumorzelle, die wächst und streut. Diese kriminelle Zelle erwirbt ein Hotel oder ein Restaurant; dort werden fünf, sechs Menschen platziert, die das Geschäft im Sinne dieser Clans nutzen und ausbauen. Natürlich darf man das nicht kleinreden, wenn die 'Ndrangheta in Bochum eine Pizzeria eröffnet, aber es ist ein Entwicklung, die sich durch Ermittler gut kontrollieren lässt. Im Vergleich zu unseren wirklichen Problemen ist es ein Witz.

SZ: Was ist das eigentliche Problem?

Scarpinato: Wir müssen aufhören, so zu tun, als beschränke sich die Mafia auf wenige Krisenregionen. Es geht um ganze Staaten, die unterwandert werden. Indem die Mafia dort Verbündete an zentralen Stellen platziert. Das kann der Vertreter einer Schweizer Bank, ein Politiker oder ein Mailänder Spitzenanwalt sein. Ein Schulterschluss zwischen traditioneller Mafia und Funktionären. Und derzeit entwickelt sich die organisierte Kriminalität zu komplexen kriminellen Großsystemen, die undurchschaubar werden.

SZ: Das klingt wie eine Verschwörungstheorie. Einige deutsche Ermittler halten das auch für Panikmache.

Scarpinato: Die Probleme zeigen sich aber an vielen Stellen. Etwa in Russland, wo sich das organisierte Verbrechen mit Personen aus Politik, Wirtschaft oder Finanzwelt zusammengetan hat. Das Kapital, das global verschoben wird, ist enorm. Zudem sehen Analysten mit Sorge die Bedeutung des chinesischen und indischen Wirtschaftswachstums für das organisierte Verbrechen. Wenn sich diese Raten aufrecht erhalten lassen, haben die Chinesen in 20 Jahren dieselbe Kaufkraft wie der Westen. Das würde nicht nur bedeuten, dass China das neue Dorado des Drogenkapitalismus wird, sondern auch dass illegale Märkte die legalen an Bedeutung übertroffen haben. Alle alten Mafia-Geschichten sind nur noch Folklore." (...)


ich greife das mafia-thema hier nicht umsonst immer wieder auf, weil ich finde, dass sowohl die ausbreitung "der mafia" (als sammelbegriff für alle adäquaten globalen strukturen) als auch die zunehmende ununterscheidbarkeit zwischen "legal" und "illegal" gerade im ökonomischen und politischen bereich etwas ist, was einerseits von sehr vielen mit der materie professionell befassten konstatiert wird, andererseits aber in der möglichen bedeutung größtenteils schwer unterschätzt wird. allgemeine vereinzelung und gleichgültigkeit bei parallel laufenden deutlichen tendenzen zur totalitären verdinglichung von allem lebendigen laufen in letzter konsequenz auf verschiedenste, "regional angepasste" (suchen Sie im blog einmal nach "maras") mafiöse strukturen als extreme verfallsform des sozialen hinaus. auf dieser ebene sind alle formalen und fiktionalen normen von "moral" und "ethik" auf ihren eigentlichen gehalt reduziert - nämlich gar keinen. die angebliche "ehre" der mafiosi ist sichtbar nur noch ein ganz dünnes feigenblatt; real befinden sich in solchen strukturen nur noch lauter einzelkämpfer, die einen rücksichtslosen kampf um ihr eigenes überleben - mittels aufstieg in der jeweiligen machtpyramide - austragen. wenn man sich übrigens die antiutopie des neoliberalismus betrachtet, so lässt sich die mafia durchaus als verwirklichung des dortigen antisozialen freiheitsbegriffes verstehen - eigentum und vertrag als einzige basis jeglicher sozialität. dem kann jeder mafiosi zustimmen - "verträge" bzw. ihre gestaltung bestimmt der stärkere, und die fiktion "eigentum" wird in diesem szenario der totalen verdinglichung eh zum einzig "sinnstiftenden" element.

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man kann eine derartige gesellschaft als soziopathische dystopie betrachten, ebenfalls als eine variante von dem, was marx glaube ich als "frühe akkumulation" bezeichnet hat - eine ungebremste profit- und raubmaschine. das für ein solches szenario selbst deutlich fiktionale konstrukte und formale gesetze und normen staatlicher, religiöser oder sonstiger "traditioneller" herkunft hinderlich sind, liegt auf der hand. das mafiöse gesellschaftsideal sieht im kern eher so aus wie das, was unter "wilder westen" aus den frühen tagen der usa bekannt ist - incl. recht des stärkeren, lynchjustiz, und totaler freiheit für jegliche egozentrische anwandlung. heute hat das die form des failed state - nicht zufällig entspringen die maras den mittelamerikanischen, die piraten in ostafrika den dortigen (bürger-)kriegszonen.

ein deutlicher fehlschluß liegt für mich aber nun darin, aus dem obigen heraus eine stärkung der benannten "traditionellen" institutionen - an erster stelle die nationalstaaten - zu fordern. und das nicht nur deswegen, weil auch viele staatliche strukturen heute rund um den planeten als mafiös besetzt gelten müssen, sondern weil genau diese auf altbekannten fiktionen gebauten und angelehnten konstrukte wie staaten, nationen und institutionalisierte religionen erst überhaupt den boden für diese extremen formen der antisozialität bereitet haben. auf (philosophischen) fiktionen beruhende gesellschaftliche normen, nach objektivistischen kriterien waltende justiz und religiös begründete moralsysteme tragen allesamt die tendenz zur offenen und qualitativ soziopathischen antisozialität in sich - während sich die ersteren als historische auslaufmodelle im rahmen der zugrundliegenden traumatischen matrix (= die wirkungen der durch unsere geschichte hindurch akkumulierten individuellen und kollektiven gewalt in der spezies) betrachten lassen, stellt die offene soziopathie (und ihre potenziell antisozialen satelliten in form strukturell verwandter psychophyischer zustände) eher eine art endzustand der möglichen menschlichen entwicklung in dieser matrix dar - solche individuen sind u.a. per empathielosigkeit, unfähigkeit zur angstwahrnehmung und beziehungsunfähigkeit GANZ UND GAR NICHT ZUFÄLLIG gerade unter besonders gewalttätigen, also potenziell traumatischen sozialen bedingungen, besonders funktionsfähig. die soziopathische struktur als menschliche option scheint ein logischer, auch durchaus evolutionärer versuch zu sein, die spezies unter traumatischen bedingungen quasi über die runden zu bringen.

bedauerlicherweise lässt sich diese psychophysische mutation nur noch als "mensch neuen typs" betrachten, weil ihr so ziemlich alles fehlt - an erster stelle die liebesfähigkeit - was uns menschen als soziale wesen ausmacht. und so paradox es klingt: dazu gehört auch die fähigkeit, sich überhaupt traumatisieren lassen zu können! denn ein trauma kann nur an bestimmten bruchlinien innerhalb der psychophysis ansetzen und verwandelt dort primär vertrauen in misstrauen, (zer-)stört derart auch die allgemeine beziehungsfähigkeit, produziert rückzug in fiktionale welten, isolation - ganz allgemein gesagt, wird der objektivistische modus zur kompensation der verschütteten / verlorenen sozialen fähigkeiten extrem aktiviert und darüber der eigentlich "gesunde autismus" innerhalb unserer struktur zu einem pathologischen zustand.

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am anfang hatte ich von der großen gleichgültigkeit geschrieben, und die ist für mich ebenfalls ein immanenter ausdruck der traumatischen matrix, die unser aller leben bis heute bestimmt. und wie ich in den vergangenen beiträgen der letzten wochen zum thema der gewalt in totalen institutionen schon angemrkt hatte, ist das, was aktuell alles sichtbar geworden ist, nur als ein teil dieser matrix zu
begreifen:

(...) "Der Bundesgerichtshof freilich hat noch 1988 "eine gelegentliche Tracht Prügel" für zulässig erklärt. Die Züchtigung mit einem "stockähnlichen Gegenstand" sei, so sagten die fünf hohen Richter im genannten Fall, "nicht pauschal zu verdammen". Es müssten, so urteilten sie allen Ernstes, alle "objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens geprüft werden". Die Untaten des Kindes mussten also zur Dicke des Schlauches und der Zahl der Schläge ins Verhältnis gesetzt werden. So war es Recht - nein, nicht bis 1800, nicht bis 1900, sondern bis zur großen Rechtsänderung von 2000.

Ist das verdrängt - aus Scham über das Vergangene, aus Stolz über das Erreichte? Die lange Geschichte der alltäglichen Prügelei in Schule und Familie ist erst vor einer historischen Sekunde zu Ende gegangen.

Es ist bezeichnend, dass zwei Jahrtausende lang "Frau Grammatika", also die Symbolfigur für Schule und Unterricht, mit der Rute in der Hand gezeigt worden ist. Und zwei Jahrtausende lang hieß das, was heute elterliche Sorge heißt, elterliche Gewalt. Martin Luther hat sie so geschildert: "Die Mutter stäupte mich um einer geringen Nuss willen, dass das Blut hernach floss." Aber, so fügte er an, die Eltern "meinten’s herzlich gut". Diese Art von Güte ist noch nicht ausgestorben.

Das Recht des Ehemanns, die Ehefrau zu züchtigen, wurde erst 1947 offiziell aufgehoben; das Recht des Lehrherrn zur väterlichen Zucht der Lehrlinge wurde erst 1951 abgeschafft; die schulischen Körperstrafen, also die von Lehrern verabreichten Ohrfeigen, Kopfnüsse und Tatzen, wurden in der Bundesrepublik erst 1973 umfassend verboten. Erst seit 1998 sind "körperliche und seelische Misshandlungen" im Bürgerlichen Gesetzbuch für unzulässig erklärt.

Und erst seit dem Jahr 2000 steht dort der klare Satz, der Kindern ein "Recht auf gewaltfreie Erziehung" gibt. Dagegen gab es vor einem Jahrzehnt massive Widerstände. Es sei, so hieß es, dem "Kindeswohl wenig förderlich, wenn Selbstverständlichkeiten ständig wiederholt würden". Selbstverständlichkeiten? Die Eiszeit der Erziehung ist soeben erst zu Ende gegangen. Sie war eine Art Scharia im Westen. Die Misshandlungsskandale, die heute entdeckt werden, sind ihr Nachhall." (...)


mal abgesehen davon, dass die realität nicht nur für viele kinder und nicht nur in anderen regionen, sondern auch in diesem land bekanntlich immer noch so aussieht, dass es fraglich erscheint, bei den "skandalen" von heute von einem "nachhall" zu sprechen, geht bei dieser nötigen und sachlich durchaus richtigen darstellung eines völlig unter: nämlich dass die in juristische normen gegossenen veränderungen in jedem fall gegen den gesellschaftlichen mainstream und die relevanten teile der "eliten" sowieso erkämpft werden mussten - und das gilt eigentlich für alle "zivilisatorischen" errungenschaften, mit denen sich der "freie westen" bis heute zur abgrenzung und selbsterhöhung gegenüber anderen kulturen selbstgefällig schmückt. egal ob arbeiterInnenrechte, stellung der frau oder eben respekt vor kindern: jedes noch so kleinste fitzelchen positiver entwicklungen musste unter teils großen opfern den jeweiligen historischen machteliten aus den händen gezerrt werden; oft genug hiess das auch: kompromisse zu ertragen, weil die eigene macht nicht ausreichend war.

und das, was da dann letztlich alles in gesetzbücher und deklarationen gepackt wurde, ist selbstverständlich nicht davor gefeit, mit einem mal wieder ausradiert zu werden. immer noch stellen diese formen lediglich prothesen für mehr oder weniger gewünschtes soziales verhalten dar - und die notwendigkeit, mit strafandrohungen im falle des nichtbefolgens zu arbeiten, unterstreicht einmal mehr, dass die einzige - relative, aber stärkste denkbare - tatsächliche sicherung dessen, was allgemein als menschenrechte bezeichnet werden kann, nur darin liegt, die traumatische matrix und ihre per unendlich erscheinender individueller und kollektiver re-inszenierungen fortdauernde existenz in möglichst vielen menschen möglichst weitgehend aufzulösen. was dann ohne zweifel auch entsprechende gesellschaftliche konsequenzen hätte.


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ich komme nun langsam zum ende dieses nicht zufällig in der rubrik "assoziation" erscheinenden beitrags. hatte ich weiter oben - im teil zur mafia - von eigener zwiespältigkeit im angesicht der eingangs skizierten wahrnehmungen geschrieben und die mafiasierung als eine zu beobachtende entwicklung dargestellt, so fehlt noch sozusagen die andere seite: könnte es sein, dass innerhalb der erwähnten gleichgültigkeit auch eine tendenz der grundsätzlichen abwendung von den existierenden strukturen vorhanden ist, die sich in einer sozusagen ernüchterten, aber dadurch auch realistischeren einschätzung der eigenen mittel und kräfte ausdrückt? ich kann und will damit nicht meine eigenen, leider negativen eindrücke relativieren oder zurücknehmen, bin aber der meinung, dass sich sehr wohl gerade aktuell durch die thematisierung überhaupt - sowie teils durch ihre art und weise - der gewalt gegen kinder / jugendliche - auch solche tendenzen, wenn auch sozusagen im hintergrund, wahrnehmen lassen. heute leben immerhin zumindest relevante teile von ein paar generationen in den westlichen staaten, für die weder elterliche gewalt noch militärische dressur einen nicht zu hinterfragenden regelfall darstellten. starke minderheiten haben bisher historisch immer als katalysatoren positiver sozialer entwicklungen gewirkt - und je weniger eigene traumatische biographien diese mit sich schleppen müssen, umso mehr steigt die option für ähnliche prozesse.

ich bin mir aber durchaus nicht im klaren darüber, ob das nun eine realistische, wenn auch unwahrscheinliche möglichkeit ist oder aber eine art wunschdenken.
nötig wäre ersteres allemal, um die finsternis zumindest ein bißchen zu vertreiben.

Sonntag, 28. März 2010

assoziation: zu einigen erstaunlichen aspekten eines popkulturellen urknalls

und nun zu etwas ganz anderem - nein, eher zu einer der anderen seiten der medaille namens "herrschende verhältnisse".

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wenn bisher hier die rede auf die welten des showbizz kam, dann meist in eindeutigen kontexten - ob sich das bspw. nun auf
heidi klum und ihre anorektischen supermodels bezog, mögliche borderline-tendenzen bei leuten wie angelina jolie oder auch die traumatische biographie eines michael jackson - stets ging es um den versuch der darstellung dessen, wie sich der ganz normale gesellschaftliche wahnsinn in vielfältigen formen gerade auch in (pop-)kulturellen bereichen manifestiert, ausdrückt und ein -teils verwirrendes, weil verzerrtes - spiegelbild seiner selbst liefert. das ist meiner meinung auch letztlich beim gleich folgenden beispiel nicht groß anders; dennoch gibt es ein paar unterschiede, die ich ziemlich interessant finde. auch deshalb, weil es sich - bisher - um ein spezifisch "deutsches" phänomen handelt.

*

"Vergangene Woche ist Lena Meyer-Landrut in Berlin gewesen, da sind sie bei n-tv fast ein bisschen ins Schleudern geraten. Die Nachricht traf den Nachrichtensender offenbar ebenso unvorbereitet wie den Rest der Republik, es folgten hektische Minuten. Die laufende Politikberichterstattung wurde unterbrochen, die Moderatoren im Studio erklärten, Lena Meyer-Landrut sei jetzt in Berlin und schalteten live in die Innenstadt. Eine wackelige Kamera zeigte Lena am Brandenburger Tor, Lena vor Geschäften, Lena auf einer Bank. Am unteren Bildrand lief immer wieder ein Schriftzug entlang, auf dem stand: «Lena auf Visite in Berlin.» Das war auch der Tenor der Berichterstattung eines einigermaßen aufgewühlten Kommentators." (...)

das obige ist die einleitung zu einem presseartikel mit dem titel
Verliebt in die Hoffnung auf ein besseres Morgen , aus dem ich auch im späteren verlauf noch öfter zitieren werde - alleine die überschrift ist bemerkenswert und auch in gewisser hinsicht treffend. lena meyer-landrut also, das "neue deutsche fräulein wunder", in das sich "die republik verliebt" hat (ebenfalls alles pressezitate der letzten tage). eine republik, in der wir es u.a. gerade mit massiven legitimationskrisen zu tun haben - "die politik" insgesamt, banken, kirchen... - überall bröckelt nicht nur der lack ab, sondern es fallen ganze steine aus den tragenden institutionellen mauern heraus. und eine gesellschaft, in der eine eigentümliche apathie herrscht, was ihre eigene gegenwart und zukunft anbelangt. vor diesem hintergrund finde ich das, was da alles rund um eine achtzehnjährige frau passiert, ziemlich spannend.

*

persönlich bin ich das erstemal vor ca. zwei wochen in einem zeitungsartikel auf sie aufmerksam geworden, und zwar durch die sinngemässe aussage, "die lena" sei so verdammt authentisch - wen wundert´s, dass mich besonders dieses wort zu ersten recherchen gebracht hat?

können Sie sich meine einigermaßen fassungslose überraschung vorstellen, als ich nach recht kurzer zeit feststellte, dass ich selbst - entgegen jeglicher eigener erwartung und nach ansicht einiger videos von und interviews mit ihr im netz - beeindruckt war? das stürzte mich wirklich in einige verwirrung - ich bin weitgehend tv-abstinent, hasse besonders castingshows (über die sowieso einiges anzumerken wäre; georg seßlen war´s glaube ich, der ende 2008 in einer kleinen reihe in konkret sehr schön herausgearbeitet hat, warum diese art shows perfekt in das zeitalter von hartz-IV und prekären arbeitsverhältnissen passt - und das liegt nicht nur am zugrundeliegenden motiv der selektion) wie die pest; nehme den "grand prix" bzw. "eurovison song contest" seit jahren gar nicht wahr oder nur ausnahmsweise als mehr oder weniger belustigenden trash; höre überwiegend elektronische instrumentalmusik - und da saß ich nun, sah mir im netz mit vergnügen auftritt nach auftritt einer singenden schülerin in einer castingshow für eben diesen contest an - und versuchte dahinterzukommen, was zum teufel mich da so offensichtlich berührt. mittlerweile glaube ich, eine antwort gefunden zu haben - aber dazu später.

*

weil die blanken fakten bereits ein wichtiger teil der ganzen geschichte sind (und weil ich vermute, dass nicht wenige leserInnen hier vielleicht zwar schon über den namen gestolpert sind, dann aber müde abgewunken haben), hier noch einmal die geschichte im schnelldurchlauf:

irgendwann vor ein paar monaten fährt eine schülerin kurz vor dem abitur zu den vorcastings für die auswahlshows "unser star für oslo", nach eigener aussage völlig "auf eigene faust" und mit der motivation, sich mal von "professionellen" hinsichtlich ihrer gesanglichen fähigkeiten beurteilen zu lassen. abgesehen von ein paar auftritten in einer schulband hat sie keinerlei erfahrungen. sie wird von tausenden mitausgewählt, tritt irgendwann im februar als letzte in der ersten show auf, hat vorher auf ihrem eigenen gewählten coversong gegen die ratschläge der initiatoren - sinngemäß "zu ungewöhnlich" - bestanden - "sonst fahr´ ich halt wieder" - und - bumm.

Lena Meyer-Landrut - My Same
Found at abmp3 search engine

dieser song war tatsächlich der urknall in dem sinne, dass sie damit und besonders mit der art ihrer performance sofort vielen leuten auffiel - als ich in der letzten woche mal versucht habe, die ganze entwicklung anhand der netzdaten zu rekonstruieren, liess sich das verifizieren. der rest ist heute schon (musik-)geschichte: bis zur finalen show coverte sie primär mehr oder weniger "independent"-material (u.a. the cure, the bird and the bee u.ä.), wurde wieder und wieder gewählt - und beendete die auswahl mit ihrem geradezu zwangsläufigen sieg sowie den ersten songs, die wirklich neu waren und speziell für den contest geschrieben wurden.

was daraus aktuell geworden ist: alle drei finalsongs mit erscheinen sofort unter den top-five der charts, "goldene schallplatte" (150.000 verkäufe) knapp eine woche nach veröffentlichung für das "oslo-lied" satellite, inzwischen drei millionen aufrufe für das entsprechende video alleine auf you tube, über 60.000 fans bei facebook, aufploppende lena-foren und -blogs im netz, aberhunderte von presseartikeln, nach ihrem sieg ein empfang im rathaus mit oberbürgermeister und unter grösserer öffentlicher anteilnahme, rasant ausbreitende tv-präsenz... kurz: ein klassischer hype von allerdings wirklich ungewöhnlichen dimensionen.

*

don´t believe the hype - sicher. und auch ist richtig, was zb. der folgende
kommentar aus der "taz" auf dem punkt bringt:

"Endlich Oslo! Endlich Lena Meyer-Landrut!

Vorbei der Stress am Arbeitsplatz, vorbei die Missbrauchsskandale im TV, die ganze korrupte Politikschose, vorbei das Klimageschimpfe, die nie enden wollende Wirtschaftskrise und ihre drohenden Folgen, vorbei das Elend auf der Welt.
"Endlich mal wieder richtig ABSCHALTEN!"

Vorbei die elende belastende feministische Kritik am Sexismus und extremen Schönheitswahn. An blutjungen, perfekten Dingern, die quirlig auf der Bühne rumstolpern und mit den Wimpern klappern, um dann von Raab angebaggert, Bohlen erniedrigt oder dem schmierigen Stalker verfolgt wird.
"Wir sind modern und sexy - und wir haben Spaß"

Vorbei auch das elende Gefühl in einer kranken Gesellschaft der totalen Konkurrenz leben zu müssen, in der man nicht mal bei besten Freunden weiß ob man ihnen immer richtig vertrauen kann.
Sich wie im Hamsterrad fühlt, um es dem Chef recht zu machen, der dann wegen schnelleren Hamsterrädern anderer pleite geht.
"WIR sind eine große Familie"

Vorbei auch unsere verkackte Geschichte, die logischerweise bis heute andauert. Verdammt all das erzeugte Leid der Alten, über das man lieber nicht mehr sprechen möchte.
"Wir sind wieder wer - und wir sind hier im HEUTE"

Vorbei dieser ganze Hippiekram von Kulturkritik und ewiger Ernsthaftigkeit. Von Menschen, die immer nur vom Elend reden müssen. anstelle auch mal fröhlich zu sein, wenn sie Raab, Bohlen und v.a. Lena Meyer-Landrut sehen.
Es gibt auch schöne Seiten an der Welt.

365 Tage im Jahr.
24 Stunden am Tag abrufbereit - IM FERNSEHEN!
Schalt dich richtig krass und lange weg!
Für nur 17,10 im Monat die volle Dröhnung frei Haus."


alles durchaus treffend - und trotzdem: gerade die linke - im weitesten sinne - hat in der vergangenheit mehrheitlich speziell auf mainstream-(pop-)kultur mit oft gar nicht mal unberechtigter (im sinne von verständlicher) herablassung reagiert, dafür aber den preis gezahlt, die relevanten informationen über die eigene gesellschaft, die regelmässig in solchen massenphänomenen stecken, nicht wahrzunehmen. meiner erinnerung nach war es che guevara, der sinngemäss sagte, dass es mit die erste pflicht eines revolutionärs sei, wahrzunehmen, was real vorhanden ist. und in diesem fall ist ein teil der realität bspw. die repräsentativität einer aussage wie der folgenden, ebenfalls aus dem entsprechenden kommentarteil der "taz":

"Die junge Dame ist ein Erlebnis und ich hoffe, sie bleibt so. Es macht Spaß ihr zuzuhören und das ist für mich der Faktor, nach dem ich gewählt habe.

Woran das hängt kann ich nicht sagen, aber es scheint vielen so zu gehen."


die frage "woran hängt´s denn" ist dabei für mich die interessante - zunächst ist festzuhalten, dass sich die "bezaubernde wirkung" der lena m-l nicht unbedingt durch das bloße hören ihrer songs einstellt (auch wenn ich persönlich ihre stimme durchaus angenehm finde), sondern besonders dann, wenn dazu ein visueller und bewegter eindruck von ihr vorhanden ist - und der stellte sich bisher oftmals so dar (nochmal ein zitat aus dem anfangs verlinkten "Verliebt in die Hoffnung..."):

(...) "Wenn Lena auftritt und singt, dann sieht sie meist ein bisschen ungelenk aus. Ihre Beine stellen sich hin und wieder kurz zu einem X, ihre Bewegungen sind ein bisschen ruppig, ihre Gestik unbeholfen. In der Summe mag all dies nicht perfekt sein, aber weil Lena keinen Hehl aus ihrer Nicht-Perfektion macht, wirkt sie irgendwie anmutig. Und weil sie versteht, was sie singt, weil sie sich bemüht zu erzählen, was das Lied sagen will, werden ihre Bewegungen zu einer Art Ausdruckstanz ihres Gesangs. Sie ist authentisch, sie ist sie selbst. Das vor allem." (...)

oder wie sie es selbst ausdrückt:

"ich tanze so, wie ich tanze - so tanze ich"

das im besagten artikel eine seite vorher zu lesen ist...

(...) "Wenn die Jugend nicht weiß, wogegen sie rebellieren soll, muss sie sich eben selbst inszenieren. Das gelingt Lena so gut, dass man vor Staunen kaum den Mund geschlossen halten kann." (...)

...mag dabei ausdruck des unausgesprochenen konsens vom (irr-)glauben daran sein, dass authentizität immer nur als inszenierung / simulation daher kommen könne, besonders im öffentlichen raum. auf letzteres bezogen, mag das im regelfall so sein; allgemein aber ist das schlicht unsinn.

nochmal aber zurück auf die visuelle ebene: das es offenbar notwendig ist, sie zu hören und dabei zu sehen, lässt sich durchaus als ersten hinweis darauf betrachten, welche wirkungsebenen hier beteiligt sind. und dabei geht´s noch nicht mal um ihr durchaus hübsches äusseres (damit steht sie unter jungen frauen nicht alleine da), auch nicht um eine primär irgendwie sexuelle ebene (im gegenteil finde ich, dass sie an ausstrahlung verliert, wenn sie - wie bei einigen ihrer letzten tv-auftritte - betont als vamp im hautengen kleid und geschminkt mit roten lippen daherkommt), sondern tatsächlich um ihre art zu sein.

was ich damit meine, wird vielleicht besser nachvollziehbar durch den folgenden zusammenschnitt:



kurz: wenn sie aufgeregt ist, ist sie aufgeregt (mit immer wieder interessanten wortfindungsstörungen ;-), wenn sie sich freut, freut sie sich, wenn sie - und so weiter. alles, von der ausdrucksvollen mimik bis zur gestik, spricht einfach nur davon, dass hier jemand ohne sich groß darüber gedanken zu machen, mehr oder weniger situationsangemessen, d.h. ohne grössere, aus der eigenen selbst- und fremdwahrnehmung resultierende verzerrungen, reagiert und agiert. in längeren interviews, in denen sie etwas ruhe hat, verschwinden die benannten wortfindungsstörungen völlig, und dann ist zu sehen, dass sie durchaus reflektiert mit sich und ihrer situation umgehen kann. dazu eine immer wieder durchschimmernde selbstironie - als mir das alles langsam bewusster wurde, war mir auf einmal auch klar, dass meine erwähnte verwirrung zu einem teil daher rührte, weil mir die gefühle, die ich bei der wahrnehmung der lena m-l spüre, nicht unbekannt sind. sehr ähnliche habe und hatte ich immer dann, wenn ich in meinem leben mit menschen zusammen gekommen bin, die ich als im einklang mit sich selbst (ein synonym für authentizität) wahrgenommen habe, mithin also als von der traumatischen matrix um uns herum relativ wenig be- und geschädigt. von solchen menschen gibt es offenbar so wenige hier, dass sie in meiner wahrnehmung regelmässig in form eines peaks auffallen. sie haben eine entspannte (und entspannende) ausstrahlung, vermitteln eine oft untergründige alltagsfreude, können sich einlassen und machen es einem bspw. auch leicht und selbstverständlich, in ihrer anwesenheit ohne angst eigene fehler und defizite einzugestehen.

ein user in einem fanforum bringt das wesentliche in eigenen worten auf den punkt (und nein, ich habe das nicht geschrieben, auch wenn ich es ähnlich formulieren würde):

"wenn ich auch mit recht von lena bezaubert bin, ist mir ihre art nichts fremdes oder gar verrücktes, wie man es oft bezeichnete. so wie sie zb. in dem ard-interview reagierte, verhält man sich unter guten freunden auch. mit ihrem charme macht sie jedes gegenüber zu ihrem freund und ist dabei so unbekümmert und present, das man ihr ihre gedanken, gefühle und worte einfach abnimmt.
ich kann lena auf den kopf zusagen das sie mit sehr viel liebe und nähe aufgewachsen ist und fühle mich da sehr an meine eigene kindheit erinnert. bis zum heutigen tag erlebe ich es immer mal wieder, das man lebens- und menschenliebe für naivität hält, mit der abschottung und ahnungslosigkeit vor der sogenannten realität zu erklären versucht. wer aber die wirkliche kraft von güte, liebe und weisheit erfahren durfte, erkennt das böse als traurige mangelfolge, die bedrohung in der dummheit.

sich selbst so annehmen zu können wie man ist und keine scheu davor zu haben damit bei jedem auch guten gewissens bestehen zu können, stünde uns allen gut zu gesicht. auch ich bin gross-geliebt worden, einfach dafür das es mich gab. das hat jedes kind verdient und jedes menschlein sehnt sich so sehr danach.
authentizität scheint mir in unserer gesellschaft ein rares gut zu sein. viel eher wird versucht sich seiner eigenen maske gerecht zu werden, statt tatsächlich sich selbst.

lena strahlt offensichtlich die liebe aus, die sie auch selbst erfahren durfte und bekommen hat. das sie ein sehr inniges verhältnis mit ihrer mama hat, hat mir das noch mal voll bestätigt." (...)


mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen - die vermutung, dass ihre familienverhältnisse im positiven sinne behütet (gewesen) sind, hatte ich ebenfalls bereits recht früh. und das sie diesen raum, wie ihre gesamte privatsphäre, in der öffentlichkeit freundlich, aber sehr bestimmt auf ihre eigene art versucht abzuschotten, ist nachvollziehbar und verständlich. mir würde als äquivalent auf der ebene der sog. stars am ehesten jodie foster einfallen, die mit ihrem privatleben ähnlich behutsam umgeht - und ebenfalls eine sehr warme und authentische ausstrahlung vermittelt.

*

neben ihrer - altersgemäßen- leichten überdrehtheit mit daraus folgenden komödiantischen momenten halte ich das obige für das zentrale moment beim phänomen "lena". das in dem erwähnten fanforum das jüngste mitglied meines wissens ein neunjähriges mädchen ist, während sich beim empfang in hannover auch 80jährige großmütter getummelt haben und sich in diversen onlineforen besonders häufig männer dies- und jenseits der 40 als "hingerissen" bezeichnen, unterstreicht meiner meinung nach diese these durch die unterschiedlichkeit der von lena m-l begeisterten noch.

(...) "Lena ist eine Art Antipode zur ernsten Biederkeit der 80er Jahre, zum oberflächlichen Hedonismus der 90er, zur Perspektivlosigkeit der 00er-Jahre. Dass Nachrichtensender wegen ihr die laufende Berichterstattung unterbrechen, dass ihr von allen Seiten verliebte Artikel zugetragen werden, dass sich ihre Singles verkaufen als käme nichts mehr nach ihr, hat auch damit zu tun, dass sie, wenigstens in diesem Frühjahr, die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft verkörpert. Insofern ist das, was in sie hineinprojiziert wird, vielleicht am Ende doch politisch.

Wenn heute von «der Jugend» die Rede ist, dann meist im negativen Kontext: Komasaufen, Ausbildungsplatzmangel, Jugendarbeitslosigkeit, Jugendarmut, Jugendkriminalität. Fast ist es, als habe die Gesellschaft die Hoffnung in die Jugend, die sie selbst hervorgebracht hat, etwas verloren. Und dann kommt eine wie Lena.

Eine, die so ist, wie man sich die Gesellschaft von morgen wünscht: gebildet, talentiert, aufrichtig und trotzdem fähig zur Selbstironie. Wahrhaftig. Sie könnte die Gunst der Stunde nutzen und mit Macht eine Karriere als Society-Sternchen vorantreiben. Stattdessen macht sie erst mal Abitur. Überdies ist sie mit einem Selbstvertrauen ausgestattet, das jeder Herausforderung standzuhalten scheint. Man könnte sie sich auch als Ärztin vorstellen, oder als Maybritt Illner." (...)


naja, das letzte würde ich nun nicht gerade als kompliment betrachten - und sicher fungiert sie auch als projektionsfläche. aber ich glaube, zumindest bisher resultiert ihre wirkung tatsächlich vorwiegend aus dem, was ich oben versucht habe zu skizzieren.

und das ist in mindestens zweifacher hinsicht erstaunlich: einmal in regelrecht niederschmetternder weise, weil die eigentlich schlichte selbstverständlichkeit, sich in der welt im einklang mit sich selbst bewegen zu können, offensichtlich in dieser gesellschaft so aufsehenerregend ist, dass dafür nachrichtensender ihr programm unterbrechen und sich diese eigenschaft massenhaft verkaufen lässt. für das zeitalter der fakes und simulationen eigentlich nichts überraschendes, aber dennoch unschön, mitansehen zu müssen, wie weit und tief sich das simulative bereits verbreitet hat.

(...) "In einem Land, dessen Prominenz aus Politik, Sport und Show im Wesentlichen aus Angepassten, Floskelmaschinen und Selbstdarstellern besteht, ist sie eine ziemliche Ausnahmeerscheinung. Es ist, als sehne sich das Land nach Wahrhaftigkeit, und Lena ist so etwas wie die vorübergehende Verkörperung dieser Sehnsucht." (...)

zum anderen aber: im gegensatz zum ganzen - ja, störungskatalog, der sich gerade im showbusiness nicht nur im pathologischen narzissmus, suchtproblemen und diversen anderen diagnostischen kriterien manifestiert, erscheint lena m-l im vergleich dazu von geradezu blühender gesundheit. und das sie trotzdem beliebt werden konnte, könnte vielleicht auf einen paradigmenwechsel in teilen der öffentlichen wahrnehmung hindeuten, den ich erstmal als unbestimmt positiv empfinden würde.

*

natürlich gibt es bei ihren öffentlichen auftritten auch schon unübersehbare ansätze einer maske für eben diese öffentlichkeit, und gerade bei auf die sekunde durchgeplanten events aller art kommt ihre persönlichkeit auch bereits unter die räder der verwertungsmaschinerie - umso erstaunlicher, dass sie´s - bisher - immer noch schafft, sich ihre räume, wenn auch teils nur noch fragmentarisch, irgendwie zurückzuholen. zu befürchten ist leider, dass sie gerade in ihrer rolle der quasi "nationalen delegierten" für den songcontest, ausgepresst wird wie eine zitrone bis zum letzten - nutzbaren - tropfen. entgegen aller vernunft würde ich mir wünschen, dass ihre geschichte in diesem fall ein echtes happy end bekommen würde.

*

bei alldem kein wunder, dass sie durchaus polarisierend wirkt und quasi als gegenpol zu aller bewunderung regelrecht hass hervorruft, bis hin zu wünschen, sie zu entführen und in einen keller zu sperren - den link zu diesem nicht zufällig an natascha kampusch erinnernden szenario spare ich mir an dieser stelle; wer will, kommt durch entsprechende recherche selbst drauf. ob das nur neid auf ihren - vergänglichen - kommerziellen erfolg ist (für den sie womöglich selbst einen zu hohen preis bezahlen muss), bezweifle ich; eher halte ich tiefere ebenen für beteiligt, bei denen primär auf ihre authentizität reagiert wird - die kann nicht nur im positiven extreme reaktionen auslösen.

noch ein anderes fass machte besonders die "welt" auf, das fachblatt für den gehobenen bürgerlichen sozialdarwinisten, in dem in den vergangenen monaten figuren wie westerwelle, sarrazin und gunnar heinsohn ihren ganz eigenen contest unter dem motto "wer ist deutschlands dümmster sozialrassist?" veranstalteten. dort wurde teils alle zwei tage ein artikel nach dem anderen über lena m-l herausgehauen, mit zwar verschwurbelt vorgetragenen, aber doch klaren
tendenzen:

(...) "Man könnte sagen: Lena Meyer-Landrut hat die Deutschen, ihre sogenannte bürgerliche Mitte, von der heute alle reden, ausgesöhnt mit Pop und Fernsehen. In der ARD und auf ProSieben. Nicht dass die verunsicherte Mitte sich nicht gern an „Deutschland sucht den Superstar“ ergötzte, an verzweifelt singenden Verlierern. „Unser Star für Oslo“ allerdings verbreitete die frohe Botschaft des gehobenen Milieus.

Das war zwar weniger unterhaltsam, aber ungemein beruhigend für kultiviertere Adressaten. „DSDS“ treibt die armen Schweine durchs mediale Dorf. „USFO“ zeigte, dass mit den Kindern alles stimmt, solange sie behütet aufwachsen, gefördert werden und geliebt wie Lena Meyer-Landhut. Trotz Privatfernsehen und Stefan Raab, trotz MySpace oder Facebook." (...)


einmal ist der aufgemachte gegensatz zwischen dem "proll-tv" ála "dsds" typisch; nicht, dass denen das nicht gefallen würde, aber es gleichzeitig auch irgendwie schmutzig, weil unkultiviert. schaut sie euch nur an, diese loser, wie sie sich erniedrigen - das ist perfide im quadrat und hat strukturell etwas vom gleichen herrenmenschenblick, mit denen im wk2 die nazis auf die kriegsgefangenen der roten armee schauten - "das sind unkultivierte schweine", und zwar nicht deswegen, weil sie unter erbärmlichen umständen zu hunderttausenden in die lager gepfercht wurden und buchstäblich vor hunger das gras fraßen, sondern weil die so sind. in anderen artikeln der gleichen zeitung kommt das noch etwas deutlicher zum vorschein.

zum anderen aber wird dort lena m-l konsequent alle authentizität als inszeniert ausgelegt. und das macht durchaus aus einer machtperspektive sinn - obwohl ständig als rhetorische forderung medial herausgeblasen - "eigenverantwortung", "mach dein eigenes ding", "tritt selbstbewusst auf" etc. - , ist eine natürliche selbstbewusstheit mit der entsprechenden fähigkeit zur verantwortlichkeit für sich selbst und andere, wie sie lena m-l in ihrem alter bereits ansatzweise verkörpert, doch zutiefst unerwünscht und suspekt - menschen mit dieser eigenschaft lassen sich nämlich unter umständen weder leicht in allgemein prekäre verhältnisse zwingen noch widerstandslos dazu abrichten, all die elitären verbrechen einfach so hinzunehmen. ihnen fehlen die minderwertigkeitsgefühle und elementaren selbstzweifel, mittels der so viele so gut manipuliert werden können. sie werden bei solchen zumutungen einfach schneller bereit und fähig sein, sich zu wehren.

lena m-l hatte dank ihrer herkunft offensichtlich noch keinen größeren kontakt zu dieser seite auch ihrer welt, wird die jetzt aber durch die vermarktungsmaschinerie, in der sie sich befindet, auf eine sehr spezielle art und weise kennenlernen. und fängt bereits an, grenzen zu setzen. das dürfte von etlichen leuten durchaus als unerwünschtes vorbild empfunden werden.

insofern: auch, wenn von lena m-l zukünftig nicht die kleinste "politische" äusserung zu vernehmen sein wird, so ist doch bereits die art und weise ihrer öffentlichen existenz per se tatsächlich im weiteren sinne politisch.

darum: viel erfolg auf Deine art, lena!

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