diskussion: verhältnis borderline - autismus, thesen von j. e. mertz und anderes

ubu hat mir im gästebuch einige einträge hinterlassen, die ich mehrheitlich aufgrund ihrer inhaltlichen aussagen hierher verschiebe - sie bieten einen einstieg für alle interessierten in eine intensivere diskussion nicht nur vieler thesen von mertz.

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"Mich hat ein Themenbündel interessiert, das man mit Begriffen wie Autismus, Als-Ob, Maschinenmensch, Psychopathen, Borderline, Simulation und ähnlichem kennzeichnen könnte, oder Stichwörter wie z.B. Komorbidität, Beziehungsstörungen, Traumata, hochstrittige Trennungen usw. Alles in allem sozialpsychologische Themen, etwas Persönlichkeitspsychologie oder differentielle Psychologie, auch philosophische Ansätze.

Habe zum Beispiel das Buch von Mertz auch sehr intensiv gelesen. So bin ich auch zuerst auf Deinen Blog gestoßen, wollte mal wissen, was er überhaupt für eine Rezeptionsgeschichte bekommen hat. Letztendlich aber offenbar so gut wie gar nichts angesichts eines solchen Buches."


yep, das "so gut wie gar nichts" teile ich. ich hatte früher schon mal kurz hier geschrieben, dass ich vor ein paar jahren deswegen den verlag angeschrieben hatte, um herauszufinden, ob die dort einen überblick zu den bisherigen rezensionen haben - aber sie konnten mir letztlich bis auf drei ausnahmen auch nur vom schweigen im (publizistischen) walde berichten. und das einige jahre nach dem erscheinen - für ein in einem fachverlag erschienenes buch zum thema borderline schlicht erstaunlich.

einen relativ "neuen" text, der sich ausführlicher auf etliches aus dem buch beruft, gibt es unter dem titel Erhöhter Grenzverkehr - Die Symbiose zwischen der Spätmoderne und dem Borderline-Syndrom. bezeichnend aber auch hier, dass der bezug aus einem nicht-psychiatrischen/psychologischen zusammenhang heraus stattfindet. zur bis heute fehlenden reaktion der sog. fachwelt kann ich mich nur nochmal selbst zitieren:

"dieses auffällige schweigen der fachwelt ist für mich - gerade im borderlinebereich, wo an sich jede veröffentlichung sehr bald von anderen professionellen kommentiert und rezensiert wird - inzwischen zwar einerseits verständlicher, stellt andererseits jedoch auch ein recht jämmerliches ausweichen dar - die thesen von mertz haben es wirklich in sich, dazu bringt er eine sehr scharfe kritik an der orthodoxen psychoanalyse sowie inspirierende beobachtungen zum westlich geprägten bewußtsein vor, ebenso einiges ketzerische zum geschlechterverhältnis - von der möglichen rolle der mütter bei psychischen störungen und der bedeutung der pränatalen phase nicht zu reden. viel explosives material also, um sich daran abzuarbeiten - aber stattdessen das erwähnte tiefe schweigen. und es geht dabei nicht um etwas beliebiges, was eigentlich egal ist - das buch kann für betroffene z.b. mit einer borderline-diagnose eine verheerende wirkung haben, und alleine schon deswegen wäre es eine sozusagen berufliche pflicht der überwiegend - in relation - hochbezahlten sog. professionellen, sich dazu zu äußern."(...)

vielleicht hast Du, ubu, mit deinen folgenden gedanken zu den möglichen gründen dieser ignoranz breits einiges benannt:

"Vielleicht ist es einfach zu schonungslos, zu mitleidlos, außerdem von der Sprache her selber etwas technoid wirkend und stellenweise redundant wie ein Zettelkasten, der noch nicht durchgeordnet ist. Und immer die seltsamen Überschriften plus 15 oder 30 Zeilen, dann wieder eine Passage, und so das ganze Buch. Die Thesen über "Hitlerismus" und "plötzlichen Kindstod" sind vielleicht auch etwas schrill geraten."

ich persönlich hatte mich schnell sowohl an die gewöhnungsbedürftige gliederung als auch die sprache (bei der er nebenbei gesagt mit seinem eigenen, im buch formulierten anspruch recht spektakulär gescheitert ist) gewöhnt - in diesem fall waren für mich die inhalte einfach so - hm, umstürzlerisch, dass ich eine primär formale kritik nicht besonders relevant finde.

mit deinem letzten satz hast du dazu zwei bereiche angesprochen, die tatsächlich problematisch sind: die thesen zu hitler sind in der form tatsächlich zu pauschal und zuwenig unterlegt - da hätte er sich zurückhalten oder aber genauer werden müssen. zum plötzlichen kindstod empfehle ich hingegen einmal eine recherche zur entsprechenden arbeit von arno gruen. das, was mir darüber bekannt ist, hat einen eigenen beitrag nötig - es geht dabei u.a. auch um die wirkung von selbsthilfegruppen im medizinischen bereich.

"Schon klar, daß dieses Buch nichts für die Zunft ist, auch weil Mertz so viel Fundamentalkritik übt - an den Manualen wie ICD und DSM, an der Psychoanalsye, an der überall fehlenden Unterscheidung von Authentizität und Simulation, usw. usf. - auch seine Beispiele sind ja nicht ohne - gerade angesichts borderline-artiger Helfer im Range von Psychiatern, Chefs usw."

ja. gerade der letztere punkt ist absolut heikel - ich weiß aus eigener erfahrung, dass seine aussagen diesbezgl. durchaus realitätsgetreu sind.

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ich komme zum nächsten eintrag:

"Hallo Monoma, das Ganze hat mich nun so interessiert, daß ich noch etwas weiter gestöbert habe und nochmal das Gästebuch für einen Beitrag verwende.

Ich weiß nicht genau, von welchen Daten die Überlegungen zur Als-Ob-Persönlichkeit waren, die im Blog stehen. Jedenfalls interessiert mich dieses Thema auch sehr. Bei Mertz (und anderswo) fällt mir auf, daß er selber die Schwierigkeiten einräumt, Authentizität überhaupt zu beschreiben. Simulation kann man vielleicht noch eher entlarven, besonders über die Zeitschiene bei abrupten Wechseln (Beziehungsabbruch, rücksichtsloser Neuanfang, wie Mertz mal formuliert, Ortswechsel, viele Jobs usw.).

Was Authentizität dagegen ist, bleibt auch etwas diffus. Über den Körper hat man natürlich in gewisser Weise einen nicht hintergehbaren Zugang. Aber der Körper steht ja auch bei Borderlinern durchaus sehr im Zentrum. Man fragt sich also, wo eigentlich Authentisches verortet wird, denn es geht ja um mehr als nur um direktes "Lügen" oder "Schauspielern".


die schwierigkeiten mit dem begreifen dessen, was unter authentizität eigentlich verstanden werden kann / soll / muss, liegen aus meiner perspektive hauptsächlich darin begründet, dass wir uns in einer kultur befinden, deren mainstream aus diversen - und existenziellen - gründen nicht nur kein interesse daran hat, diesen seinszustand näher kennenzulernen sondern ihn sogar aktiv bekämpft - bekämpfen muss, da er die eigenen grundlagen zur implosion bringen könnte.

warum ich das finde, habe ich in vielen beitragen hier im- und explizit schon umrissen. und genaues wahrnehmen fördert eigentlich in so ziemlich allen gesellschaftlichen bereichen diesen zustand ans tageslicht. es reicht dafür bereits, sich mit den täglichen nachrichten zu beschäftigen.

deinen satz oben würde ich anders formulieren: der körper ist der nicht hintergehbare zugang, und er produziert durch seine "teile" gehirn / nervensysteme eben auch sämtliche phänomene der simulativen sphäre. was ja nicht das problem ist, sondern erst dann zum problem wird, wenn die hierarchie zwischen authentizität und simulation auf den kopf gestellt ist. die recht ausführliche theorie dazu bei mertz gehört für mich immer noch zum anregendsten, was ich jemals über das menschliche psychophysische funktionieren gelesen habe.

und das der körper zb. bei borderline-menschen auch "durchaus sehr im Zentrum" steht, widerspricht obigem meiner meinung nach nicht, sondern unterstützt bei genauer betrachtung dessen, wie der körper da im zentrum steht, eher noch die mertzschen aussagen.

ausgangspunkt ist dabei die konstellation "virtuelles ich" (als simuliertes produkt des objektivistischen modus) vs. "eigenem" körper - was dabei in der regel herauskommt, ist intrumentalisierendes und manipulatives verhalten auch sich selbst gegenüber. die exzentrische "körperlichkeit" im bl-kontext ist dabei imo unvermeidbar und auch mehrdimensional - einerseits verweist sie immer wieder auf das problem des wahrnehmungsmäßig "verlorenengegangenen" körpers (und damit auch eines kontinuierlichen sinngefühls), andererseits lässt sie sich in ihren bekanntesten formen - wie svv zb. - sowohl als versuch zur kompensation, zur kontrolle, aber auch zur "wiederaneignung" interpretieren.

beunruhigend finde ich dabei zunehmend, dass die "milderen" formen der obigen konstellation eigentlich den "normalzustand" für die meisten von uns ausmachen - deshalb bin ich der meinung, dass die phänomene, die du selbst ganz oben erwähnt hast, nur die spitze des eisbergs darstellen.

(ich bin dabei übrigens auch durchaus redundant, was das herumreiten auf diesen verhältnissen betrifft - aus zwei gründen: einmal, weil ich finde, dass das, was wir uns als "normalität" angewöhnt haben wahrzunehmen, immer am schwersten zu begreifen ist - zum anderen aber finde ich auch, dass diese struktur eine totalitäre realität im schlimmsten sinne hervorbringt, die bei näherer betrachtung an vielen ecken und enden auf ihren wahrscheinlichen ursprung verweist, oder doch zumindest auf ihr vielleicht wichtigstes funktionsprinzip.)

"Ich finde, die eleganteste "Lösung", auf die ich bisher stieß, gibt eigentlich Marsha M. Linehan mit ihrem Ansatz von der "Invalidierung" vor, damit wird im Übrigen auch eine bruchlose Kennzeichnung der Borderline-Traumatisierung möglich, entweder über direkte Gewalt, Traumata in der Biographie bzw., Familiengeschichte, Mißbrauch u.a., aber auch über chronische Invalidierung (deren stärkste Form wohl auch der Mißbrauch ist).

Dann wird auch klar, wie hier immer mehr des "Als-Ob" verstärkt wird, jede einzelne kleine Invalidierung von Tausenden (als Rückmeldung, daß etwas nicht stimmt, übertrieben sei, falsch empfunden ist, falsch geschlußfolgert usw.) gibt wieder einen kleinen Knacks beim Gegenüber in der eigen-gespürten Sphäre. Man ist dann nur auf der Ebene des "objektiven Kontrollbewußtseins" und argumentiert eh dauernd mit "richtig" oder "falsch" - aargh! Da bleib für Empathie wenig Platz, und es ist eigentlich klar, daß jemand diese Muster dann auch immer mehr übernimmt ("Selbstinvalidierung"). So hat man die 25% oder wie auch immer der Borderliner ohne Trauma-Erfahrung auch noch mit drin, als chronisch Invalidierte. Das Rechthaben ist dann Seuche und ständiger Herd für Ärger, Mißverständnisse und Dementis in der Biographie, die "Entfremdung", auch die Probleme, sich selber überhaupt gut einzuschätzen, bestehen ebenfalls."


interessant. wenn ich das richtig verstehe, wäre die chronische invalidisierung als synonym für kumulative traumata aunzusehen? ich habe mich - vielleicht aus ganz persönlich-erfahrungsmäßig herrührenden vorurteilen - bisher mit linehan nur sporadisch beschäftigt. der dbt stehe ich ziemlich skeptisch gegenüber. aber deine obige skizzierung der "als-ob-verstärkung" finde ich gerade recht spannend, weil ich die - meiner meinung nach vorhandenen - zusammenhänge zwischen trauma und simulation bisher noch recht nebulös wahrnehme.

"Wenig einleuchtend ist mir bisher bei Mertz der Gedanke der vorgeburtlichen Traumatisierung. Wie soll das konkret aussehen - daß die Mutter mit dem Embryo nicht spricht?, es über den Bauch streichelt?, oder sich zuviel Streß zumutet, raucht?, in lauten Umgebungen aufhält?, dadruch das Kind dauernd erschrickt, weil die Mutter auch hohes Adrenalin produziert? Hier bleibt Mertz für mich unangenehm vage-überzeugt."

was eher wieder am vorgehen von mertz liegt, teils zuwenig material anzuführen - die pränatalforschung hat handfeste ergebnisse aufzuweisen, und auch die möglichen wege pränataler traumatisierung sind heute zu einem großen teil sichtbar. eine zusammenfassung davon gibt´s bei lloyd deMause in seinem "emotionalen leben der nationen". weiteren lesestoff zb. hier, oder auch - speziell zum thema autismus - eine arbeit unter dem titel Prä- und perinatale Erfahrungen von Menschen mit autistischen Tendenzen (etwas herunterscrollen auf der seite).

"Eine wieder andere Frage wäre, wofür die autistische Ausprägung eigentlich in positiver Weise nützlich ist, ebenso welchen Nutzen die Ausprägung des Psychopathen hat, o.ä. Ich denke mir, evolutionär war beides potentiell für ein Kollektiv von sehr hohem Wert, denn die Autisten waren mit ihrer Hochfokussierung die Meister im Erkennen von Veränderungen, vielleicht auch im Erfinden, im Vertiefen von etwas Bestimmten. Solange nicht zuviele davon im Kollektiv auftraten, sondern nur ein Rand-Prozentsatz, konnte das sehr nützlich sein.

Ebenso nützlich scheint mir evolutionär gesehen auch ein gewisser Prozentsatz an einigermaßen gezähmten "Psychopathen" in der eigenen Gruppe, denn diese waren sicher oft überlebensfördernd für die Gruppe bei all' den Auseinandersetzungen und Gefahren. Sie konnten relativ angstfrei und schnell eingreifen, kämpfen und waren nicht von den Skrupeln der meisten befallen. Durchaus sehr nützlich! Als Vortrupp, als Kämpfer und Durchsetzungskräfte konnten sie sicher auch sehr viel Schutz ausüben. In der heutigen Moderne laufen solche Individuen immer Gefahr, als Auslaufmodell nicht mehr gebraucht zu werden - obwohl, ganz stimmt das ja auch nicht, vgl. auch die vielen Kriege des 20. Jhts., die ohne Psychopathen auch nicht so hätten funktionieren können (gewisse Mitleidlosigkeit, Angriffsschärfe, Gewaltausübung, oft (vermeintlich) zugunsten der eigenen Gruppe)."


hui. hattest du vor dem schreiben des obigen vielleicht schon kenntnis dieses beitrags? das ist ein sehr streitträchtiges thema, finde ich. wenn ich mal als beispiel für einen "positiven psychopathen" oskar schindler heranziehe - genau, den schindler - werden die obigen gedanken vielleicht konkreter. die wertung psychopath stammt dabei aus diesem text (achtung, .rtf-datei zum download) - und sie lässt sich vertreten, wie ich finde. angstfreiheit unter lebensbedrohlichen bedingungen als ein merkmal eines "psychopathischen" hirns ist ebenso vorhanden wie die damit verbundene suche nach dem "kick" emotional starker erlebnisse, den schindler bei seinen lebensrettenden unternehmungen unter täuschung der ss sehr genossen zu haben scheint. und eine identität - als retter - sprang dabei auch noch heraus.

ein problem dabei scheint mir aber darin zu liegen, dass ein solcher mensch - wie es mertz so schön formuliert hat - unter verschiedenen gesellschaftlichen bedingungen sowohl "ein bekannter moraltheologe als auch ein begnadeter folterer" werden könne - oder sogar widerspruchsfrei zwischen beiden rollen wechseln könnte.

"Mir tun manchmal die Leute, die heute als Psychopathen vor Gericht stehen, leid, wenn ich mir denke, was für eine begnadete Rolle sie in einer kriegerischen Horde vor 5000 Jahren vielleich gespielt hätten - eigentlich fungiert hier doch heute nur noch der Sport als Ersatzmöglichkeit zur Abfuhr, ansonsten laufen diese Persönlichkeiten heute bedauerlich leer und enden dann kriminell stigmatisiert, weil sich ihnen auch kein Rahmen für ihre "Fähigkeiten" anbietet."

ein anderes problem hingegen liegt für mich darin, dass derartige menschen heute eben unter umständen existieren, die eigentlich nur mittels kollektiver zusammenarbeit von primär authentizitätsfähigen menschen zu bewältigen sind. und darin können sie sich zum großteil eben nur destruktiv verhalten - die bestimmung des menschen als soziales wesen ist etwas, was einer autistischen und/oder soziopathischen struktur direkt zuwiderläuft. es sei denn, es herrschen eben grundsätzlich antisoziale verhältnisse, die objektivierung und verdinglichung als wahrnehmungsmodi bevorzugen.

also so wie heute. ich denke, dass die schlimmsten soziopathen (oder adäquat funktionierende personen) in ihrer mehrheit eben nicht nur nicht vor gericht landen - was am grundproblem dazu nichts ändern würde - sondern im gegenteil in relativen machtpositionen damit beschäftigt sind, das leben für milliarden von menschen unerträglich zu machen. mein mitleid hält sich also in grenzen.

"Wenn man so "evolutionär" weiterdenkt, lande ich bei der Vermutung, daß der Mensch als Generalist sowieso schon immer leicht in Nischen reinschlüpfen konnte und sich irgendwo anpassen konnte. Das ist keinesfalls nur eine simulativ-negative Wirkung, sondern in gewisser Weise absolut menschheits-konstitutiv. Zum Problem wird es eigentlich erst, wenn dieses Anpassungsphänomen so total ausgeformt ist, daß eine Person ständig hin- und herswitcht. Der Autist, der bei seinem Steckenpferd bleibt, hat ja sogesehen durchaus eine wiedererkennbare Identität qua Spezialhobby. Der Borderliner füllt dann, etwas anders in seiner Funktion, irgendwelche Lücken aus, die ihm die Gesellschaft heute bietet, und ist doch dabei auch ein hoher Gewinn für die schnelllebige Moderne. Schon wieder: wie nützlich, wie funktional! Mertz hat recht, wenn er sagt, daß das Manko sich nur privat-beziehungsmäßig auswirkt, ansonsten ist die völlige Anpassungsfähigkeit, ob in der Arktis oder Sahara, zutiefst menschlich und gerade typisch für die menschliche Entwicklung."

die "völlige anpassungsfähigkeit" wird aber bei dominanz grundsätzlich destruktiver verhältnisse in einer gesellschaft dann doch eher insgesamt zu einem suizidalen eigentor. nützlichkeit und funktionalität sollten nur in einigen, aber gerade nicht in den beziehungsaspekten des menschlichen lebens, eine große rolle spielen.
ich denke schon, dass ich verstehe, worauf Du hinauswillst - aber ich finde die tendenz Deiner aussagen zu - hm, positiv und in einem gewissen sinne auch relativierend.

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auf zum dritten beitrag:

(...)"Hier noch ein paar Gedanken zu dem Autismus-Thema: ich glaube, daß Mertz sehr viel Wichtiges gesehen hat, an manchen Stellen könnte man seine Gedanken aber noch deutlich weiter ausdifferenzieren. Den Autismus einfach mit "Beziehungslosigkeit" gleichzusetzen, finde ich schon schwierig genug, zumindest auf intelligente Autisten (z.B. in der Definition der "Asperger") bezogen - diese haben zumindest zur Dingwelt oft Beziehungen von einer Bindungstiefe und Begeisterung, von denen der Durchschnitt der Bevölkerung nur träumen kann. Auch sind sie oft sehr "treu" in Bezug auf Standort, in Bezug auf ein paar wenige Freunde oder eben bei einem Spezialhobby."

okay, hier kommt es ganz darauf an, in welchem zusammenhang "beziehungslos" definiert wird. ich persönlich habe ein gewisses unbehagen dabei, bei verhältnisse zu toten(!) dingen von "beziehungen" zu reden - einfach aufgrund der gewaltigen unterschiede, die zu beziehungen unter menschen vorhanden sind. dazu lässt sich mit einigem recht davon reden, dass die von Dir genannten "beziehungen zur dingwelt" ja eher als ausdruck eines mangels als auch zur kompensation zu verstehen sind (ich weigere mich, die verbreitete tendenz mitzumachen, behinderungen hinweg zu definieren bzw. zu konstruieren. klar sind die gesellschaftlichen verhältnisse so zu gestalten, dass sie auch für menschen mit schweren einschränkungen gleich welcher art lebbar sind - aber nichtsdestotrotz gibt es gewisse einschränkungen, die deshalb nicht verschwinden - persönliche verluste, bei denen die betroffenen - wie ich finde - eher die nötigen räume zum trauern bekommen müssten, als darauf zu beharren, dass sie ja "nur anders" seien.)

Noch schwieriger wird es beim Simulationskriterium. Hier ist es gerade bei Autisten (Aspergern) oft genau andersrum als mertz es suggeriert: sie machen eine Mode gerade NICHT mit, oft als einzige sind sie völlig immun gegen solche "Simulations- und Vorzeige-Trends". Auch Hierarchien bedienen sie so gut wie gar nicht, können darin nicht mitsimulieren, sondern stören immer nur einen hierarchischen Betrieb. Wenn sie eine höhere Intelligenz-Ebene erreichen, ist ihr Leben oft viel unverwechselbarer als bei "normalen" Leuten, die sich umstandslos in irgendeine Firma oder irgendeine Berufsrolle einordnen können."

yep, da hast Du auch meiner wahrnehmung nach recht - bis auf den punkt, dass mertz eben das suggerieren würde: er redet beim "klassischen autismus", auch beim asperger-syndrom, ja eben vom simulationsunfähigen autismus. bekannte und gesellschaftlich in einem eingeschränkten sinne etablierte autistische menschen, wie zb. temple grandin, stellen hier in grenzen die ausnahme von der regel dar. es geht aber auch andersherum: je mehr eine gesellschaft insgesamt in ihrer sozialen basis beschädigt ist - also objektivierung/verdinglichung ebenso verbreitet sind wie die kompensatorischen als-ob-zustände - , desto weniger werden autistische menschen auffällig sein, jedenfalls gerade diejenigen, die wie die "intelligenten asperger" fähig sind, in nischen zu funktionieren.

vor dem obigen sehe ich ein problem bei mertz eher darin, dass er ungenügend differenziert: er macht zwar auf strukturelle ähnlichkeiten zwischen borderline, soziopathie und (asperger-)autismus aufmerksam - und zwar zurecht; beschäftigt sich aber nicht mit einigen wichtigen unterschieden, die durchaus vorhanden sind und zu teils sehr unterschiedlichem verhalten führen können.

"Es gibt dann auch Überschneidungen zwischen Aspergern und den wenig erforschten Sonderlingen und Eigenbrötlern, die man auch uner dem Begriff "Exzentriker" fassen könnte. Diese Exzentriker sind gesellschaftlich wahrscheinlich am wenigsten von allen ihren sämtlichen Mitgliedern"simulationsgefährdet" sie machen ja geradezu wesensmäßig alles immer anders als alle anderen, kreiieren einen einzigartigen Stil und lassen sich auch von den Meinungen anderer überhaupt nicht oder nur wenig beeinflussen."

ja, dieser aspekt geht bei ihm zu sehr unter. wobei mir hier folgende möglichkeit plausibel zu sein scheint: eine konstruierte als-ob-identität (ohne einfluß bzw. korrektur durch empathische fähigkeiten zb.) kann von ihren inhalten durchaus völlig konträr zum herrschenden mainstream sein, bleibt aber dennoch eine fake-identität, die dann u.u. wegen ihrer "originalität" und exzentrik sogar sehr erfolgreich werden kann. wesentlich scheinen mir in solchen fällen die sozialen (un-)fähigkeiten zu sein. und in diesem zusammenhang skizziert mertz ja eine variante, über deren mögliche konsequenzen ich mir bis heute noch nicht so recht im klaren bin: nämlich sein modell einer eigentlich psychophysisch sehr gesunden persönlichkeit, die aber aufgrund der gesellschaftlichen verhältnisse dazu gezwungen ist, gegen die als-ob-sozialen normen und gesetze des mainstreams regelmäßig zu verstoßen - eine authentische als-ob-soziopathie sozusagen, bei der die soziopathie erst aufgrund der herrschenden definitionen entstehen würde (tendenzen dazu sind zb. dort sichtbar, wo politische opposition derart psychiatrisiert wird).

gleichfalls ist zu bedenken, dass die simulationen von sozialem leben innerhalb großer bereiche der gesellschaft ebenfalls für authentizitätsfähige menschen eher belanglos und abstoßend sein können, mit der folge eines sozialen rückzuges bis hin zu symptomen von isolation - ein als-ob-autistisches verhalten.

ich hoffe, es wird deutlich, worauf ich hinauswill: eine konfusion allererster qualität nämlich, die sich eigentlich nur mit klaren und handfesten definitionen von authentizität und simulation lösen lässt

"Insofern ist im autistischen Kontinuum keinesfalls nur ein "Imitieren" auf niederem Niveau zu sehen. Es ist sicher kein Zufall, daß so viele Künstler und Wissenschaftler durchaus autistische Züge haben, das heißt auch: sie sind sehr auf sich selber konzentriert, und sie können über lange Zeit einen Gedanken fokussieren, der sie interessiert. Sie sind in gewisser Weise autark. Bezüge sehe ich dann auch im Übergang zum schizoiden Typus, von dem schon Riemann sagte: "sie feiern innere Feste, bei unbewegter äußerer Fassade!"

wobei ich nicht finde, dass diese autarkie in einem realen sinne vorhanden ist. sie ist fiktiv, und vielleicht wäre die menscheit insgesamt besser dran, wenn es nicht soviel derartige genialität geben würde.

"Diese unverwechselbaren Seiten der autistischen Lebensverfaßtheit betont Mertz viel zu wenig, weil er den Autismus in erster Linie als unterste psychopathologische Ebene sieht, auf der er dann den "Borderline-Autisten" als nächsthöhere Ebene setzt. Borderline funktioniert aber - trotz vieler Berührungspunkte zum Autismus - in wesentlichen Bereichen gänzlich anders.

Bei Borderline könnten letztendlich sogar schwächere "Ich's" wirksam sein als bei einem stabilen Autisten, der auf Asperger-Niveau agieren kann. Einige der Borderline-Probleme hat dieser Autist ja gar nicht. Er schlägt z.B. nicht im Nähe- und Distanzbereich wie eine "Flipperkugel" hin und her, dies ist aber das Schicksal des Borderliners. Der Autist ruht in vielen Fällen sehr selbstgenügsam, vielleicht sogar asketisch zufrieden, in sich selbst, ausgelastet mit seinem reichen Innenleben. Dagegen fühlt der Borderliner, wenn er allein ist, oft nur Leere, ist eigentlich für sich als primär "symbiotisches Individuum" gar nicht lebensfähig - der Autist auf höherem Niveau kann aber genau das gerade besonders gut und wünscht es oft auch gar nicht anders."


von der beschreibung her zutreffend, wie ich finde. allerdings führt mertz nach meinem verständnis die typischen positivistischen bl-symptome ja zu einem großteil auf die probleme zurück, die sich durch sozusagen ungenügende bzw. unangepasste simulationen ergeben - wer gemäß der herrschenden normen simulieren kann, fällt nach dem orthodoxem verständnis eben aus dem raster "krank" heraus - obwohl oder gerade weil eine solche person völlig beziehungsunfähig sein kann.

"Hier finde ich Mertz deswegen nicht sorgfältig genug in der Binnendifferenzierung. Freilich hat Mertz gerade, was Borderline betrifft, unglaublich viele hochzutreffende Feststellungen in seinem Buch, ja vielleicht ist es sogar neben Linehan und einigen anderen Quellen eine der besten theoretischen Grundlagen zum Verständnis überhaupt. Was ich nicht ganz verstehe, ist höchstens, wieso sich das Buch von Mertz für mich so stark nach einer "Abrechnung" mit dem Borderline-Komplex anfühlt."

naja, hier lässt sich nur spekulieren: als therapeut dürfte er vielleicht ähnliche erfahrungen wie viele andere therapeutInnen auch mit borderline gemacht haben - nur spricht er seine gedanken dazu aus und lässt auch seine schlechten emotionen zu, während das andere aus gründen einer in diesem fall nicht hilfreichen therapeutischen "neutralität" und einer quasi "political correctness" eben nicht tun.

das lässt sich auch kritisieren, während vielleicht die bei ihm thematisierte mögliche gesellschaftliche bedeutung von borderline und deren weitgehende ignoranz seitens vieler "professioneller" es eher nötig erscheinen lassen, auf rücksichtnahme zu verzichten. ich habe das buch selbst während einer phase kennengelernt, in der ich die noch "offiziell" als borderline klassifiziert gewesen bin - angenehm war das nicht, aber letztlich hat mich das zu einer qualitativ ganz anderen auseinandersetzung mit dem thema und auch mir selbst gezwungen.

"Beim Lesen hatte ich oft das Gefühl, daß Mertz das Leid der Borderliner merkwürdig weg-erklärt. Daß bis zu 10 % aller Borderliner sich schließlich suizidieren, erwähnt er angesichts seiner sonstigen Redundanz kaum, daß viele Borderliner ihr Leben dauernd als "unerträglich" wahrnehmen, scheint ihn nicht so sehr zu berühren, wie es z.B. bei Linehan ersichtlich ist, die von Individuen "ohne gefühlsmäßige Haut" spricht, analog zu Verbrennungsopfern - was ich viel realistischer finde schon angesichts der vielen Suizidanwandlungen von Borderlinern (= höchste Verzweiflungsstufe überhaupt). Hat Mertz sich durch irgendeinen Trick, hier vielleicht durch seinen eigenen sehr sezierenden, dadurch fast autismus-typischen Blick vom Mitgefühl absentiert, also zurückgezogen und abgewendet?"

erwähnen tut er beides ja schon, warnt aber vor zuviel authentischem mitgefühl - suizide bzw. deren androhungen zb. können (!) eben auch durchaus in erpresserischer / manipulativer absicht eingesetzt werden. es ist und bleibt ein eiertanz bei diesen themen.

ein paar kritikpunkte meinerseits noch hinterher: was mir völlig fehlt, ist das thema der dissoziation, die meiner meinung nach theoretisch immerhin eine alternative zum "als-ob-modell" bilden könnte (darauf werde ich in der traumareihe hier noch zu sprechen kommen). und überhaupt, das wissen der psychotraumatologie und gerade die diesbezgl. auseinandersetzungen mit und in der borderline-forschung tauchen bei ihm fast nicht auf - so fehlt auch der aspekt der "vertuschungsdiagnose", den ich persönlich in vielen mir bekannten bl-"fällen" im hintergrund sehe.

"So viel wieder ein paar Gedanken, spontan runtergetippt. Viele Grüße und vielleicht noch weitere spannende Gedanken-Austäusche später! Ubu"

dito, dito und dito ;-)

finde deine beiträge sehr inspirierend, und vielleicht haben ja noch andere mertz-leserInnen (und nicht nur die) lust, sich hier einzuklinken.
monoma - 27. Feb, 21:54

@ubu

leider scheint Dein versuch, hier zu kommentieren, nicht recht zu klappen - wenn´s gar nicht anders geht, machen wir das weiter über das gästebuch.

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der link zum manuskript mit den aussagen über oskar schindler sollte übrigens jetzt funktionieren.

Ubue - 27. Feb, 22:07

Interessante Gedanken

Hallo Monoma, mal sehen, ob es diesmal funktioniert. Hier ein erster Kommentar zu dem obigen Text. Damit verbinde ich auch einen Gruß an alle anderen Mitleser/innen, die schon öfter in dem Blog hier gestöbert haben - oder später einmal durch eine Suchmaschine o.ä. darauf stoßen.

Selbst bin ich, wie im Gästebuch schon erwähnt, über eine Recherche zur Rezeption des (mittlerweile vergriffenen) Buches von J. Erik Mertz in dem Blog hier gelandet. Dieses Buch ist schon ein "Hammer", und es bietet eine unkonventionelle Möglichkeit, in die Diskussion zum Thema Autismus und Borderline einzusteigen. Man braucht nur eine gute Portion Toleranz dazu, so wie Monoma schon gesagt hat, um sich von der äußeren Form des Buches und manchen etwas steilen Thesen sowie Eigenarten des Verfassers nicht gleich abschrecken zu lassen.

Den Gewinn nach sorgfältigem Lesen sehe ich für mich in dem sehr eigenständigen, kritischen und überblicksreichen Ansatz von Mertz. Es tut aber auch gut, sich von dem Buch sozusagen wieder ein bißchen zu "emanzipieren" - z.B. durch eine Diskussion der Schwächen und der noch vorhandenen Lücken bei Mertz.

Die Gedanken, die Monoma oben entwickelt, führen ja bereits zu einem solchen Diskussionsansatz. Selber habe ich ziemlich spontan drauflosgeschrieben, was man den Zitaten oben sicher anmerkt, dafür steigt die Lebendigkeit der ganzen Geschichte etwas.

Ich möchte im Moment noch einen Hauptgedanken vertiefen, der mich beschäftigt: Es gibt nach der Lektüre des Mertz-Buches bei mir zwei "subliminale Mißempfindungen", um in der eigenwilligen und manchmal durchaus betörenden Terminologie des Autors zu bleiben.

- Die erste solche störende Anwandlung habe ich, weil ich vergeblich in dem Buch nach Anzeichen von tiefer Traurigkeit beim Autor gesucht habe angesichts der von ihm oft so katastrophal geschilderten Borderline- und Autismus-Welt. Den "Vogel abschießen" tut Mertz hier noch mit seinem kleinen Nachwort, in dem er sich mit einer "artigen Verbeugung" (wörtliches Zitat) wieder aus dem Feld begeben möchte. Auf der vorherigen Expedition der über 300 Seiten habe ich ebenfalls keine wirkliche Traurigkeit bei Mertz herauslesen können, eher ein hartnäckiges, fast aggressives Aufdeckenwollen der Symptomatik, manchmal auch eine gewisse Freude an den "gegen den Strich" gewonnenen, oft sehr ketzerischen Erkenntnissen.

- Die zweite Mißempfindung habe ich angesichts der vielen Kritik von Mertz - in mancher Hinsicht ist das Buch ja schon wie ein Rundumschlag geraten. An der Grundverfaßtheit der Psychopathologie rüttelt Mertz erheblich; weder die Psychoanalyse gefällt ihm wirklich, noch die Verhaltenstherapie mit ihren Auswüchsen wie NLP; auch die konstruktivistischen Ansätze kommen schlecht weg, und selbst die humanistischen und systemischen Ansätze kommentiert Mertz sozusagen nur "grummelnd".
Solch ein general-kritischer Zugang ist in seinem Kern ja eigentlich "invalidierend" in der Begrifflichkeit von Linehan - man könnte sich durchaus einen Ansatz vorstellen, der ganz umgekehrt vorgeht und jeweils die bedeutsamen und hilfreichen Teile der psychologischen Richtungen berücksichtigt - das berühmte jeweilige "Körnchen Wahrheit". Insgesamt hinterläßt einen die Lektüre des Mertz-Werkes dann auch etwas ratlos, so als ob überhaupt alles mißlungen oder verdorben ist, was im psychologischen, therapeutischen und sozialen Bereich an Theorien wie Praktiken bisher hervorgebracht wurde.

Übrigens erwähnt Mertz selber an einer Stelle Linehan und ihren Ansatz und stellt ihn als den vielleicht wichtigsten Entwurf der zukünftigen Borderline-Literatur heraus - allerdings hat Mertz bei der Abfassung seines Buches die Linehan-Hauptwerke zur DBT ganz offensichtlich noch nicht genauer mit einbezogen. Ich selber finde die ganzen Linehan'schen Gedanken mindestens so hochpotent wie das ganze Gedankengut von Mertz. Man muß beides ja auch nicht gegeneinander ausspielen, mich hat jedenfalls beides bereichert.

Ein letzter Gedanke noch zu der "Invalidierungstheorie" von Linehan: das ist sicherlich ein Schlüssel bei ihr zur ganzen Borderline-Entstehung. Während ein validierender Umgang mehr Wert legt auf Erkundung und auf ein gutes Hören und Wahrnehmen des anderen, ohne zu viel Wertung, beschreibt Linehan den invalidierenden Kontakt genau umgekehrt: über ein stetes Infragestellen des Gegenübers, egal ob es um Überlegungen geht, um Gefühle, um Wünsche oder um Verhaltensweisen. Alles wird bei einer invalidierenden Reaktion immer kritisch und dementierend beantwortet, z.B.mit einem "aber" eingeleitet, mit Häme, Spott und dem bekannten herablassenden "ach!", oder sogar ganz ignoriert.

Man könnte sicher herausarbeiten, wie sich die kalte Welt des "Nichtkontaktes" bei Mertz mit der Invalidierungswelt deckt, wie sie Linehan beschreibt. Die tiefste Form der Invalidierung ist wahrscheinlich die dauernde Unterdrückung von Trauer. In der Gleichung von Linehan: "unterdrückte Trauer ist andauernder Krisenzustand". Dabei ist das Ausmaß der traurigen und frustrierenden Erfahrungen, die Borderliner mit sich schleppen, m.E. oft ungeheuer groß. Vielleicht zu groß, um diese Menge, die sich schon in Generationen gehäuft angesammelt hat, noch selber abzuarbeiten, ohne dabei in ein großes schwarzes Loch zu fallen. Ohne solche Ab- und Aufarbeitung bleibt man aber vernutlich in der kalten und oft fast leblos-starren Welt gefangen, die Mertz in seinem ganzen Buch beschreibt.

Für diesmal einen herzlichen Gruß!
Ubue (habe mich hier auch angemeldet - da der Name "Ubu" schon vergeben war, habe ich noch ein "e" angehängt).
monoma - 2. Mär, 14:24

hallo ubu (ich bleibe mal dabei),

zwei anmerkungen wiederum auf deine zwei punkte:

"Die erste solche störende Anwandlung habe ich, weil ich vergeblich in dem Buch nach Anzeichen von tiefer Traurigkeit beim Autor gesucht habe angesichts der von ihm oft so katastrophal geschilderten Borderline- und Autismus-Welt."(...)

das ist in meinen augen eine interpretationsgeschichte - er hat nun mal einen betont analytisch-abstrakt-objektivistischen stil gewählt, und ist damit bezgl. sehr belastender themen durchaus kein einzelfall - ich wende ein ähnliches verfahren ja selbst hier im blog an, und das durchaus auch zum selbstschutz - die bedrohlichkeit der hier thematisierten entwicklungen macht das für mich notwendig. dazu kommt noch die virtuelle ebene, auf der sich authentische zustände eben nur simulieren lassen. bei den meisten der von mir aufgegriffenen themen ist eine primär emotionale reaktion der auslöser für eine weitergehende und eher abstraktere beschäftigung.

bei mertz mag ich mir einfach kein urteil darüber erlauben, was er zu seinen eigenen erkenntnissen tatsächlich fühlt - dazu wäre imo ein gespräch mit ihm nötig.

zum zweiten:

"Die zweite Mißempfindung habe ich angesichts der vielen Kritik von Mertz - in mancher Hinsicht ist das Buch ja schon wie ein Rundumschlag geraten. An der Grundverfaßtheit der Psychopathologie rüttelt Mertz erheblich; weder die Psychoanalyse gefällt ihm wirklich, noch die Verhaltenstherapie mit ihren Auswüchsen wie NLP; auch die konstruktivistischen Ansätze kommen schlecht weg, und selbst die humanistischen und systemischen Ansätze kommentiert Mertz sozusagen nur "grummelnd".

Solch ein general-kritischer Zugang ist in seinem Kern ja eigentlich "invalidierend" in der Begrifflichkeit von Linehan - man könnte sich durchaus einen Ansatz vorstellen, der ganz umgekehrt vorgeht und jeweils die bedeutsamen und hilfreichen Teile der psychologischen Richtungen berücksichtigt - das berühmte jeweilige "Körnchen Wahrheit". Insgesamt hinterläßt einen die Lektüre des Mertz-Werkes dann auch etwas ratlos, so als ob überhaupt alles mißlungen oder verdorben ist, was im psychologischen, therapeutischen und sozialen Bereich an Theorien wie Praktiken bisher hervorgebracht wurde.(...)"


ist letzteres ein wunder? bei seiner argumentation werden fragmente einer totalitären realität sichtbar, die in allen herrschenden theoriegebäude aufgrund ihrer herkunft aus den menschen- und weltbildern des mainstreams sozusagen die nichthinterfragte basis bildet. dazu nimmt er ja primär körpertherapeutisch fundierte ansätze durchaus von seiner generalkritik aus.

ich würde mit einer kritik da von einer anderen seite kommen: viele psychiatrie- und psychologiekritische ansätze hat er überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie thematisch durchaus passen würden - am ende meines beitrags oben habe ich davon einen kleinen teil erwähnt. und das die genannten bereiche eben in ihrer mehrheit das ziel verfolgen, die von ihnen behandelten menschen wieder funktionsfähig für äußerst destruktive verhältnisse zu machen, kann gar nicht oft kritisiert werden.

und kurz: ich würde nlp durchaus bereits zu den konstruktivistischen ansätzen zählen, siehe dazu auch den entsprechenden beitrag hier im blog.

"Man könnte sicher herausarbeiten, wie sich die kalte Welt des "Nichtkontaktes" bei Mertz mit der Invalidierungswelt deckt, wie sie Linehan beschreibt. Die tiefste Form der Invalidierung ist wahrscheinlich die dauernde Unterdrückung von Trauer. In der Gleichung von Linehan: "unterdrückte Trauer ist andauernder Krisenzustand". Dabei ist das Ausmaß der traurigen und frustrierenden Erfahrungen, die Borderliner mit sich schleppen, m.E. oft ungeheuer groß. Vielleicht zu groß, um diese Menge, die sich schon in Generationen gehäuft angesammelt hat, noch selber abzuarbeiten, ohne dabei in ein großes schwarzes Loch zu fallen. Ohne solche Ab- und Aufarbeitung bleibt man aber vernutlich in der kalten und oft fast leblos-starren Welt gefangen, die Mertz in seinem ganzen Buch beschreibt."

das, was Du da beschreibst, gilt aber meiner meinung nach eher für traumatisierte menschen - die als-ob-personen, die er beschreibt, können ja überhaupt nicht in einem authentischen sinne trauern, sondern auch in diesem bereich nur simulieren. von daher finde ich nicht, dass linehan hier die passende referenz ist.

gruß zurück,
mo
Ubue - 8. Mär, 05:52

Weitgehend d'accord

Hallo Monoma, hier wieder ein vertiefter Kommentar. Ehrlich gesagt habe ich trotz ausführlichen Stöberns in Deinen Antworten nirgends etwas "Hartes, Knackiges" gefunden, wo ich wirklich anders drüber denke als Du es beschreibst. Wo Du differenzierst, finde ich das alles plausibel, ich sehe da wenig grundsätzlichen Dissens...

Überall, wo Du noch etwas genauer die Gedanken ausgearbeitet hast, hatte ich beim Lesen den Eindruck: ja, verstehe, worauf Du hinauswillst.

Der Punkt, den man vielleicht noch am ehesten grundsätzlich vertiefen könnte und der sich inhaltlich m.E. auch anbietet, wäre vielleicht die Schnittstelle zu Linehan hin. Hier habe ich aber auch das Gefühl, wenn Du die Ansätze von ihr sorgfältig durchackerst, würdest Du wahrscheinlich zu ähnlichen Eindrücken kommen, wie ich sie hier anzudeuten versucht habe.

Was die Rezeption von Mertz anbetrifft, vermute ich, die "Professionellen" haben vielleicht auch etwas Angst, sich daran die Finger zu verbrennen, oder wollten es vermeiden, nachher endlos lange in einem Atemzug mit Mertz genannt zu werden. In dem Buch gibt es ja so viel Kritik an der Helferzunft, daß dies auch sehr am Ego von Berufstherapeuten o.ä. kratzen mag.

Es gibt ein anderes Buch zum Thema Therapieschäden von einem Autor, dessen Name mir gerade nicht einfällt, ein ziemlich renommierter Fachbuchautor. In einem Interview zu diesem seinen Buch sagte er mal, alle seine Bücher hätten hohe Auflagen erlebt in rascher Folge, nur das Therapieschaden-Buch läge "wie Blei in den Regalen" - gerade 600 Stück habe er davon absolut gesehen verkaufen können, incl. Bibliotheken.

Er meinte dann abschließend in dem Interview sinngemäß: "Die Zeiten, wo die Helferberufe in der Lage sind, ihr Tun professionell zu reflektieren, sind wahrscheinlich noch nicht gekommen".

Ich mußte dabei auch an den Untertitel "Von der Konfession zur Profession" denken - vgl. das Buch zur Therapieforschung von Grawe et. al. Grawe sagte in einem eigenen Interview 2006, er sei sogar körperlich angegriffen worden nach dem Erscheinen seines Riesenwerkes, so hochemotional hätten viele Leute aus dem Berufsfeld reagiert.

Ich glaube, am Lohnenswertesten wäre es also tatsächlich, in unseren derzeitigen Dialog auch die Linehan-Ansätze noch einmal mit einzubauen. Ich glaube, da könnte man am tiefsten schürfen. Die Frage wäre dann für mich z.B., ob Mertz die Borderline-Wirklichkeit eigentlich tatsächlich vollständig abbildet, oder ob er nur einen ins Auge springenden Hauptbereich auseinandernimmt.

Oder anders gefragt: was an Borderline könnte denn authentisch sein? Da würde ich zunächst mal sagen: hochauthentisch sind die immer wieder einschießenden hohen Spannungszustände. Vielleicht werden sie nicht immer sogleich wahrgenommen, oder sie sind sogar so hoch, daß das ganze Fühlsystem kapituliert und stattdessen Dissoziationen oder Taubheit produziert. Aber vorhanden sind sie sicher, auch ganz authentisch angelegt und biographisch sozusagen im Schweiße des Angesichts erworben (diese Formulierung dürfte ja sogar noch untertrieben sein).

So wird auch in vielen anderen Büchern Borderline definiert, im Grunde als Störung der Emotionsregulierung - und über die ständigen hohen Spannungszustände! Eigentlich seltsam, daß Mertz auf dieses Thema der Emotionsregulierung nicht noch viel mehr eingeht.

Bei Linehan finde ich gerade die Beschreibung der Mechanismen, die zur Hochspannung führen, so beeindruckend: immer und immer wieder kann sie es über den Invalidierungsmechanismus beschreiben. Nach allen meinen Erfahrungen trifft das den Nagel punktgenau auf den Kopf. In der Feinanalyse von Verhaltensweisen ist sie meines Erachtens Mertz doch erheblich voraus, so viel Mühe sich Mertz auch mit seinen theoretischen Grundkonzepten gemacht hat, und so scharfsinnig er berechtigte Kritik entwickelt.

Man merkt einfach, daß Linehan so spekulationslos wie nur möglich den Phänomenen nachgeht bzw. nachging, nachdem sie lange Zeit mit chronisch suizidalen Patienten auf einer Station gearbeitet hat.

Wenn nun diese einschießenden Hochspannungen bei Borderline vollauthentisch sind, hat man gewissermaßen eben doch einen Bereich authentischer Ordnung gefunden. Diese Hochspannungen im Invalidierungsmodus erzeugen dann allerdings eine sehr verschobene Wirklichkeit, die eine Person in ein ichfernes, simulierungsnahes Außenbild hineintreibt und schließlich auch zu Innenmechanismen der steten "Selbstinvalidierung" treibt.

Ob das alles wirklich völlig unverrückbar ist, wie ein "prozessuales Standbild" in der Zeit stehen bleibt, oder ob man nicht doch auch als Borderliner authentisches Leben wieder erobern kann, würde ich selber viel erörtern, als Mertz es mit seinen Antworten tut.

Es geht natürlich nur unter bestimmten Bedingungen, einmal möglichst ohne Herrschaftskampf, dann auch nur mit sehr viel validierenden Ansätzen, da die Dauerinvalidierung alle wirklichen Veränderungen blockiert.

Diesen Mechanismus hat Linehan m.E. ganz meisterhaft herausgearbeitet. Die Verhaltenstherapie setzt ja immer wieder bei Veränderungen an, bei der Borderline-Klientel muß das aber schief gehen, wenn es nicht genug Gegengewicht in Richtung Akzeptanz gibt - denn hier hat jeder einzelne Borderliner ein fürchterliches Mißverhältnis autobiographisch angesammelt, davon bin ich ziemlich überzeugt - 5% Akzeptanz, 95% Kritik, Ignoranz, Widerspruch, Abwerten, Zurückweisen, Rechtfertigen, als "falsch" bestimmen, lächerlich machen usw., alles invalidierende Reaktionen, die sich dann unheilvoll immer mehr verdichten und an der Stelle des Selbstkernes angreifen.

Über die Mindfulnes-Konzepte kommt man vielleicht aus diesen unangenehmen Mustern doch schrittweise wieder heraus, wenn auch mit vielen Schmerzen. Ich weiß nicht, ob ich wirklich an den vollauthentischen Defektmodus bei Borderline glauben soll, ich fürchte, Mertz hat einerseits recht, wenn er diese Realtität beschreibt als eine hermetisch in sich gefangene Welt - andererseits hat er wenig zu den Möglichkeiten geschrieben, was ein intelligenter, aufgeklärter Borderliner selber daran ändern könnte.

Dies ist dann m.E. doch ein sehr weites Feld, und man könnte locker ein ganzes Buch dazu zusammentragen.

Viele Grüße an Dich und alle anderen, die hier mal mitlesen! Ubu(e)

Ubue - 14. Mär, 05:51

Weitergedacht

Hallo Monoma, hier noch ein weiterer Nachkommentar. Ich sehe aus dem laufenden Blog, daß derweil auch andere, interessante Themen vorangehen.

Der Mertz-Gedankenfaden ist vermutlich außer uns gar nicht vielen so vertraut. Das macht es verständlich, wenn die Diskussion zu diesem Punkt nicht so füllig ist.

Habe mir nun u.a. auch mal den Pollmann-Aufsatz durch den Kopf gehen lassen, den Du oben verlinkt hast und den ich auch schon ergoogelt hatte. Es ist interessant, wenn mal ein Soziologe die Mertz-Thesen zum Ausgang eigener Überlegungen nimmt.

Mir widerfährt aber im Moment was ganz anderes: Im Reflex auf die zwischengefilterten Mertz-Gedanken wächst mein eigener Abstand zu dessen gr0ßflächigen Thesen. Ich frage mich, ob Mertz nicht doch Lichtjahre von einem wirklichen Zugang zu Borderline-Personen entfernt geblieben ist.

Wenn ihm das persönlich so gegangen ist, kann er natürlich behaupten, aus seiner subjektiven Sicht dann auch völlig zutreffend, dieser Zugang sei nicht wirklich gegeben, und Borderliner seien per se total kontaktgestört. Ich bezweifele auch gar nicht, daß Mertz häufig diese Erfahrung gemacht haben dürfte!

Ein Minuspunkt für ihn ist dabei sozusagen seine eigene Rolle als Psychotherapeut. Verfolgt man die Situation näher, gibt es zahlreiche Anzeichen dafür, daß Borderliner auf Therapeuten sehr mißtrauisch und argwöhnisch reagieren. Mertz beschreibt es ja auch selber, sie wittern ständig die Gefahr, daß der Therapeut das Regime übernhemen will und die Deutungshoheit sichern will.

In der 1:1-Form der Psychotherapie, in von außen nicht durchschaubarer Privataudienz im Einzelzimmer, ist das alles noch viel verständlicher. Diese Situation transportiert ja sogar etwas dem Mißbrauch sehr ähnliches, "Dunkles in die Kommunikationsweise.

Schon durch seine Rollenposition wird Mertz also auch manches versperrt geblieben sein. Das Thema beginnt wahrscheinlich da wirklich spannend zu werden, wo es zu einem Aufsuchen der authentischen und erfahrungsbasierten Inhalte in einem Borderline-Leben geht - also genau da, wo Mertz die Grenze setzt und mit strikter Thesenform kapituliert hat.

Ich habe es letztens schon angedeutet, die authentischen Potentiale gehen meiner Meinung nach stark auf die einschießenden Spannungen der Borderline-Person und überhaupt auf ihr immer im Alarmmodus befindliches, mißtrauisches Lebenssystem. Das ist aber nicht eingebildet, nicht gespielt, nicht nachgemacht, sondern eigen und vollauthentisch.

Dann findet sich, wie Mertz ja auch sagt, oft, erstaunlich oft, Mißbrauch in den Biographien von Borderlinern. Ist dieser nun erdacht? Oder ist er "nur" eine Funktion des ohnehin schon irgendwie verkorksten Borderline-Milieus? Nein, das würde ich so nicht sagen, der Mißbrauch ist doch offenbar knallharte Realität in zahllosen Borderline-Biographien. Also hat man noch ein weiteres vollauthentisches Faktum - es ist gar nicht einzusehen, warum man diese Erfahrungen als simuliert oder objektivitätsgesteuert ansehen sollte?!

Und was könnte noch authentisch sein? Hier finde ich die biosoziale Theorie hilfreich, die eine doppelte Verwundbarkeit bei Borderlinern annimmt: einmal ein besonders empfindliches und hochschießendes emotionales System schon als natürliche Anlage des Menschen, zum anderen dann äußere Einflüsse, die der Ausbildung eines stabilen und gut ausgebauten Ichkernes entgegen stehen.

Auch diese doppelte Ungünstigkeit wäre wiederum vollauthentisch, es ist nicht einzusehen, warum hier etwas gekünstelt oder gespielt sein sollte.

Des weiteren sind sicher eine Fülle von realen Borderline-Mechanismen vorhanden, die man durch genauso reale Verstärkererfahrungen erklären kann. Ein Verstärker heißt ja so, weil eine Handlung durch Verstärker später häufiger auftritt und stabil wird. Nur daß die herrschenden Verstärker bei Borderline vielfach total ungünstig sind.

Ich glaube, daß eine solche, authentisch suchende Sichtweise der Wahrheit viel näher kommt. Man merkt doch auch bei Pollmanns Aufsatz, daß das Borderline-Bild einfach zu breit wird, daß man bald nicht mehr weiß, wo man mit der Diagnose anfangen und wo man damit aufhören soll.

Dann wäre das Buch von Mertz nur die eine Seite der Medaille, sozusagen die trostlose und unbehandelte Seite der Medaille. Was aber, wenn ein Borderliner sich selber wirklich für Therapie interessiert und aus eigenem Antrieb langfristig dabei aktiv wird? Von solchen Borderlinern spricht Mertz eigentlich gar nicht, bei ihm dominiert ja der ewig gleiche, ewig unbelehrbare und kontaktlose Typus.

Ich bin aber überzeugt, daß es sogar sehr viele Borderliner gibt, die um ihre eigene Entwicklung enorm kämpfen, und die dabei auch auf viele gute Entwicklungen stoßen. Leider hat Mertz solche Beispiele praktisch nirgendwo im Buch dabei.

Ich bedauere es ehrlich gesagt sehr, daß jemand mit diesem energischen Textzugriff wie Du nicht auch mal die Ansätze aus dem Linehan-Feld durchgearbeitet hat. Du schriebst eingangs mal, diese Richtung würde Dir nicht so zusagen. Ich glaube, Gründe hattest Du keine genannt, und ich wäre neugierig, wie es bei Dir zu dieser Einstellung kam. Bloß weil die DBT-Module so verschult in Gruppen gelehrt werden, kann es ja wohl nicht sein, man kann sich die Inhalte ja auch mit dem Theoriebuch selber reinziehen.

Im Internet ist vielfach zu lesen gewesen, daß Linehan selber von Borderline betroffen sei, darüber auch offen sprechen würde, vernarbte Arme habe usw. Dann wäre auch Linehan selber schon eine Art Beleg dafür, was für ein Tiefenverständnis sich Betroffene selber zulegen können. Man muß sie ja deshalb nicht abwerten. Es ist ohnehin zu erwarten, daß viele Therapeuten Borderline-Züge aufweisen, Mertz postuliert das sehr zurecht meines Erachtens, und Du hattest oben, so weit ich weiß, auch schon diese Erfahrung bestätigt!

Die Helferwelten wimmeln sogar nur so von Borderline-Persönlichkeiten, es gibt auch einige gute Texte dazu, den einen kann ich Dir sogar verlinken (Dulz/Knauerhase heißen die glaube ich, sind Therapeuten einer Hamburger Borderline-Station und haben genau über dieses Thema eine Erkundung geschrieben). Habe den link gerade nicht parat, wenn Du bei google eingibst: Dulz Knauerhase Borderline, müßtest Du es schon finden, vielleicht noch mit dem Begriff Therapeuten dazu. Letztes Jahr war der Aufsatz noch frei anklickbar. Evtl. kennst Du ihn ja auch schon.

Rohde-Dachser hat solche Thesen ja auch schon geäußert, das ist einfach recht logisch schon aus dem eher außen- und fremdgesteuerten Lebensmodus des Borderliners heraus. Aber es ging mir ja in diesem Beitrag primär auch um die Möglichkeiten, diese Zustände positiv und anders zu beeinflussen.

Ich zweifele wirklich nicht daran, daß dies ungeheuer schwer ist, aber ich glaube, es ist mehrerlei möglich: man kann von einem autistischen Niveau auf ein Borderline-Niveau vorstoßen (das schaffen viele Erwachsene, die betroffen sind, Mertz scheint es auch anzunehmen).

Man kann dann auch von einem Borderline-Niveau langsam und mit vielen Mißlichkeiten und sozialen Malheruen auf ein schizoides Niveau vorstoßen.

Von da aus kommt man dann, wie schon Riemann sagte, durchaus oft zu einem wahrhaft menschlichen Niveau. Das scheint mir eine treffende Beobachtung zu sein.

Und Mertz beschreibt ja bezeichenderweise immer wieder vorrangig den Borderliner mit antisozialer Zusatz-Ausprägung. Das scheint mir sehr wichtig, es gibt nach meiner Erfahrung auch zahlreiche Borderliner, die NICHT antisozial strukturiert sind! Sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

Alles andere wäre auch verwunderlich, wenn im Zentrum von Borderline zunächst nur ein sehr labiles und hochfahrendes Emotionssystem steht, und zusätzlich von außen ungünstige, traumatisch wirkende Einflüsse auf die Entwicklung ausgehen.

Wieso sollte dann die Kombination mit antisozialen Mustern im Zentrum stehen? Das ist nur die gefährlichste Variante, in der Form Borderline-Dissozial-Paranoid hat man dann die gefährlichsten Menschen. Die machen aber vielleicht nur fünf oder zehn Prozent aller Borderliner aus (was natürlich schlimm genug ist).

Kurz und gut, Mertz zeigt nur eine Teilwahrheit. Siehst Du das auch so, oder kannst Du wenigstens Argumente erkennen, die in diese Richtung weisen?

Besten Gruß sendet Dir und allen anderen Mitlesern
Ubu

monoma - 16. Mär, 15:21

re:

hallo ubu,

erstmal danke für deine wieder sehr ausführlichen gedanken. das, was mich davon spontan am meisten beschäftigt hat, werde ich im folgenden zu beantworten versuchen.

*

"Mir widerfährt aber im Moment was ganz anderes: Im Reflex auf die zwischengefilterten Mertz-Gedanken wächst mein eigener Abstand zu dessen gr0ßflächigen Thesen. Ich frage mich, ob Mertz nicht doch Lichtjahre von einem wirklichen Zugang zu Borderline-Personen entfernt geblieben ist.

Wenn ihm das persönlich so gegangen ist, kann er natürlich behaupten, aus seiner subjektiven Sicht dann auch völlig zutreffend, dieser Zugang sei nicht wirklich gegeben, und Borderliner seien per se total kontaktgestört. Ich bezweifele auch gar nicht, daß Mertz häufig diese Erfahrung gemacht haben dürfte!

Ein Minuspunkt für ihn ist dabei sozusagen seine eigene Rolle als Psychotherapeut. Verfolgt man die Situation näher, gibt es zahlreiche Anzeichen dafür, daß Borderliner auf Therapeuten sehr mißtrauisch und argwöhnisch reagieren. Mertz beschreibt es ja auch selber, sie wittern ständig die Gefahr, daß der Therapeut das Regime übernhemen will und die Deutungshoheit sichern will.

In der 1:1-Form der Psychotherapie, in von außen nicht durchschaubarer Privataudienz im Einzelzimmer, ist das alles noch viel verständlicher. Diese Situation transportiert ja sogar etwas dem Mißbrauch sehr ähnliches, "Dunkles in die Kommunikationsweise.

Schon durch seine Rollenposition wird Mertz also auch manches versperrt geblieben sein. Das Thema beginnt wahrscheinlich da wirklich spannend zu werden, wo es zu einem Aufsuchen der authentischen und erfahrungsbasierten Inhalte in einem Borderline-Leben geht - also genau da, wo Mertz die Grenze setzt und mit strikter Thesenform kapituliert hat."


dem stimme ich zum teil zu, besonders hinsichtlich seiner eigenen rolle als therapeut. über die funktionen und wirkungen von psychiatrie und psychotherapie bezgl. ihrer systemstabilisierenden und potenziell alles fremd- und andersartige pathologisierenden theorien und praxis ist an anderen stellen hier im blog ja schon einiges zu lesen. und trotzdem gibt es bei dieser kritik auch ausnahmen, und trotz unkenntnis der tatsächlichen praxis von mertz würde ich ihn aufgrund einiger seiner hypothesen zu diesen ausnahmen zählen.

"Ich habe es letztens schon angedeutet, die authentischen Potentiale gehen meiner Meinung nach stark auf die einschießenden Spannungen der Borderline-Person und überhaupt auf ihr immer im Alarmmodus befindliches, mißtrauisches Lebenssystem. Das ist aber nicht eingebildet, nicht gespielt, nicht nachgemacht, sondern eigen und vollauthentisch.

Dann findet sich, wie Mertz ja auch sagt, oft, erstaunlich oft, Mißbrauch in den Biographien von Borderlinern. Ist dieser nun erdacht? Oder ist er "nur" eine Funktion des ohnehin schon irgendwie verkorksten Borderline-Milieus? Nein, das würde ich so nicht sagen, der Mißbrauch ist doch offenbar knallharte Realität in zahllosen Borderline-Biographien. Also hat man noch ein weiteres vollauthentisches Faktum - es ist gar nicht einzusehen, warum man diese Erfahrungen als simuliert oder objektivitätsgesteuert ansehen sollte?!"


zunächst zur frage der authentizität: das ist bei diesem speziellen thema in meinen augen eine definitionsfrage, weil selbstverständlich auch konsequent im objektivistischen modus befindliche als-ob-persönlichkeiten und/oder soziopathen tatsächlich an diesem punkt als authentisch bezeichnet werden könnten - rein von einer beschreibenden ebene her wird das wort hier als attribut benutzt.

aber nach meinem verständnis ist das keinesfalls der eigentliche inhalt von authentizität, wenn sie als gegensatz zur simulation gesehen wird - die letztere stellt ja im modell eine funktion dar, welche kompensatorisch den quasiverlust des eigenen körpers bzw. der eigenen körperlichkeit zum zwecke des bloßen überlebens "auffängt", eine aufgabe jedoch, mit der die simulativen fähigkeiten überfordert sein müssen, weil sie für eine solche aufgabe weder vorgesehen noch grundsätzlich geeignet sind.

authentizität als seinszustand begriffen, in dem die vollen wahrnehmungsmöglichkeiten und -potenziale der eigenen körperlichkeit vorhanden sind und als normale realität begriffen werden, ist meiner meinung nach dann doch qualitativ etwas ziemlich anderes als das rein - und oberflächlich - beschreibende attribut "authentisch".

und die von dir erwähnten spannungszustände bei borderline sind sicher eigentlich von ihrem "wesen" her als authentisch zu bezeichnen; die frage jedoch stellt sich, wie diese zustände verarbeitet werden bzw. was der betroffene mensch daraus macht. und da sehe ich dann keine authentischen reaktionen im sinne meiner eigenen definition, sondern eben die erwähnten kompensationsversuche. die dabei den betroffenen durchaus ja als normal und authentisch erscheinen können, vielleicht sogar müssen, weil es ihre mehr oder weniger gewohnte realität darstellt. diese kompensationen sind dabei tatsächlich "nicht eingebildet, nicht gespielt" - beim nachmachen bin ich etwas gespalten, hängt imo ebenfalls von der definition ab - aber eben simulativ. und das ist keinesfalls gleichzusetzen mit bewußter irreführung, auch wenn gerade antisoziale bl oder auch strukturelle soziopathen zu diesem mittel - als geplante aktion - greifen könnten.

dann zum thema trauma/mißbrauch: auch aus meiner sicht ist da ein manko in der argumentation von mertz zu sehen; aber letztlich hängt auch hier vermutlich alles von der entsprechenden definition ab - trauma nach den heutigen mainstreamkriterien v.a. der posttraumatischen belastungsstörung definiert, schließt bekanntlich die möglichkeit "kleiner" oder kumulativer traumata (was du als chronische invalidierung benannt hast) ziemlich aus, die aber vielleicht gerade bei bl ohne "spektakuläre" traumatisierungen in der biographie eine große rolle spielen könnten. im "handbuch der borderline-störungen" ist dem streit zwischen bl-forschung und psychotraumatologie (von denen ein größerer teil ihrer vertreterInnen borderline bekanntlich als chronifizierte ptbs ansieht) einiges an raum gewidmet - und es wird dort aus speziellen studien zitiert, die ein (nach heutigen kriterien "relevantes") trauma in vielen bl-fällen eben auch nicht finden konnten. ich bin an diesem punkt aufgrund der komplizierten faktenlage schlicht hin- und hergerissen. und wie an anderer stelle hier auch schon geschrieben, sind mir schon viele borderline-diagnostizierte menschen begegnet, bei denen ich diese diagnose aufgrund einer teil überwältigend eindeutig traumatischen biographie schlicht verfehlt finde, zumal als hauptdiagnose.

dann würde ich aber auch die these von mertz dazu nicht einfach abtun, dass die wahrgenommene gewalt u.u. auch einfach ein stück "normalität" derjenigen familiären milieus darstellt, die sich als borderline-systeme ansehen lassen. im zweiten teil des beitrags zu als-ob-persönlichkeiten hatte ich dazu von der mit plausibel erscheinenden möglichkeit geschrieben, dass menschen mit gestörtem gespür für eigene grenzen eher in gefahr sein könnten, in potenziell grenzüberschreitenden bzw. -verletzenden situationen mit der möglichkeit eines traumatischen erlebnisses zu landen. auch das wäre eine mögliche erklärung für die auffällige häufung mit der komorbidität ptbs bei borderline-menschen.

und das obige würde dann auf die möglichkeit sehr früher postnataler bzw. schon peri- und pränataler traumata hindeuten. bei den letzteren definiert mertz sie ja nicht mehr als trauma im "klassischen sinne" - und hat damit nach dem etablierten mainstream sogar recht -, sondern bezeichnet das aufgrund der pränatalen eigenheiten als "strukturelle umprogrammierung des menschlichen funktionsganzen". dazu sei gesagt, dass ich diese variante aufgrund dessen, was mir aus der pränatalforschung bisher bekannt ist, durchaus für möglich halte. der gemeinte prozeß könnte zwar auch als trauma beschrieben werden, jedoch müsste dazu die heutige definition ganz erheblich erweitert werden.

zu deinem letzten absatz noch das: es gibt offensichtlich immer wieder geschichten von simuliertem mißbrauch, und wenn diese dann verfolgt werden, bekommen die betroffenen in vielen fällen auch das attribut borderline verpasst. zum anderen: gewalt stellt eigentlich immer auch einen ausdruck von verdinglichung, also von objektivistischer wahrnehzmung, dar. ist es da so unwahrscheinlich, dass die betroffenen selbst die täterperspektive übernehmen, also selbst beginnen, sich als objekte zu begreifen/wahrzunehmen (und entsprechend handeln)? ich sehe von daher solche erfahrungen in einem gewissen sinne schon als "objektivitätgesteuert" an.

"Und was könnte noch authentisch sein? Hier finde ich die biosoziale Theorie hilfreich, die eine doppelte Verwundbarkeit bei Borderlinern annimmt: einmal ein besonders empfindliches und hochschießendes emotionales System schon als natürliche Anlage des Menschen, zum anderen dann äußere Einflüsse, die der Ausbildung eines stabilen und gut ausgebauten Ichkernes entgegen stehen.

Auch diese doppelte Ungünstigkeit wäre wiederum vollauthentisch, es ist nicht einzusehen, warum hier etwas gekünstelt oder gespielt sein sollte."


hier hast du meiner meinung nach etwas mißverstanden: sicher würde ich die körperlichen prozesse als authentisch ansehen, aber es geht ja gerade um die verarbeitung der daraus entstehenden realität, die offensichtlich so unerträglich werden kann, dass die flucht in virtualität und fiktionen aus dieser perspektive eine art "lösung" sein kann. das ich das nicht im sinne eines bewußten aktes meine, sollte dabei klar sein. anders: die objektivistischen und simulativen fähigkeiten würden als reaktion auf eine im weitesten sinne traumatische realität "explodieren", die selbst das subjekt in eine position des objekts gebracht hat. und wenn das - um beim thema im engeren sinne zu bleiben - schon im mutterleib stattgefunden haben sollte, könnte da eben am ende eine als-ob-persönlichkeit herauskommen - eine, die deshalb "authentisch" wirkt, weil sie gar nicht anders funktionieren kann.

in diesem zusammenhang fand ich persönlich bei mertz auch die these sehr einleuchtend und faszinierend, dass der objektivistische modus sozusagen ein ganz normales "funktionsmodul" in jedem menschen darstellt, und wir auch alle täglich damit arbeiten. die idee, dass diese funktion bei einem elementaren mangelzustand sozusagen kompensatorisch für verlorengegangene und/oder nie entwickelte beziehungs- und damit auch wahrnehmungsfähigkeiten einspringt, finde ich dabei nach ausführlicher beobachtung meiner eigenen objektivität keinesfalls an den haaren herbeigezogen.

"Ich glaube, daß eine solche, authentisch suchende Sichtweise der Wahrheit viel näher kommt. Man merkt doch auch bei Pollmanns Aufsatz, daß das Borderline-Bild einfach zu breit wird, daß man bald nicht mehr weiß, wo man mit der Diagnose anfangen und wo man damit aufhören soll.

Dann wäre das Buch von Mertz nur die eine Seite der Medaille, sozusagen die trostlose und unbehandelte Seite der Medaille. Was aber, wenn ein Borderliner sich selber wirklich für Therapie interessiert und aus eigenem Antrieb langfristig dabei aktiv wird? Von solchen Borderlinern spricht Mertz eigentlich gar nicht, bei ihm dominiert ja der ewig gleiche, ewig unbelehrbare und kontaktlose Typus."


vielleicht, weil diese gruppe schlicht nur zeit- und auszugsweise bl-symptome aufweist? oder auch falsch diagnostiziert ist? es gibt da viele möglichkeiten, und du hast mit deiner bemerkung oben wahrscheinlich schon recht: in der form wie bisher macht der begriff keinen rechten sinn mehr. vor allem die verbindungen zum trauma müssen ganz dringend soweit geklärt werden, dass endlich realitätsgerechte diagnostik betrieben werden kann.

"Ich bin aber überzeugt, daß es sogar sehr viele Borderliner gibt, die um ihre eigene Entwicklung enorm kämpfen, und die dabei auch auf viele gute Entwicklungen stoßen. Leider hat Mertz solche Beispiele praktisch nirgendwo im Buch dabei."

siehe meine letzten absatz.

"Ich bedauere es ehrlich gesagt sehr, daß jemand mit diesem energischen Textzugriff wie Du nicht auch mal die Ansätze aus dem Linehan-Feld durchgearbeitet hat. Du schriebst eingangs mal, diese Richtung würde Dir nicht so zusagen. Ich glaube, Gründe hattest Du keine genannt, und ich wäre neugierig, wie es bei Dir zu dieser Einstellung kam. Bloß weil die DBT-Module so verschult in Gruppen gelehrt werden, kann es ja wohl nicht sein, man kann sich die Inhalte ja auch mit dem Theoriebuch selber reinziehen."

nun, vor aller theoretischen - und auszugsweisen - kenntnis der dbt hatte ich schon kontakt mit dbt-therapierten menschen. sagen wir´s mal so: ich fand das, was ich an auswirkungen der dbt bei den betreffenden so wahrgenommen habe, keinesfalls besonders positiv. ich fand vieles der neuen reaktionen und umgangsweisen irgendwie - hm, mechanisch. aber das ist natürlich meine im klassischen sinne subjektive meinung.

aus virtuellen borderline-kreisen habe ich später auch mitbekommen, dass einige vertreterInnen der dbt zumindest in d-land den standpunkt vertreten, traumatische biographische hintergründe seien im interesse des "hier und jetzt" eher zu ignorieren - scheint mir ein unguter einfluß aus dem teils verhaltenstherapeutischen background der dbt zu sein, der aber durch das heutige wissen gerade über die neurophysiologischen besonderheiten von traumata nicht haltbar ist.

"Im Internet ist vielfach zu lesen gewesen, daß Linehan selber von Borderline betroffen sei, darüber auch offen sprechen würde, vernarbte Arme habe usw. Dann wäre auch Linehan selber schon eine Art Beleg dafür, was für ein Tiefenverständnis sich Betroffene selber zulegen können. Man muß sie ja deshalb nicht abwerten. Es ist ohnehin zu erwarten, daß viele Therapeuten Borderline-Züge aufweisen, Mertz postuliert das sehr zurecht meines Erachtens, und Du hattest oben, so weit ich weiß, auch schon diese Erfahrung bestätigt!

Die Helferwelten wimmeln sogar nur so von Borderline-Persönlichkeiten, es gibt auch einige gute Texte dazu, den einen kann ich Dir sogar verlinken (...)

Rohde-Dachser hat solche Thesen ja auch schon geäußert, das ist einfach recht logisch schon aus dem eher außen- und fremdgesteuerten Lebensmodus des Borderliners heraus. Aber es ging mir ja in diesem Beitrag primär auch um die Möglichkeiten, diese Zustände positiv und anders zu beeinflussen."


ja, das mit linehan habe ich auch schon öfter gelesen. wenn das stimmen sollte, wäre das für mich aber eher noch ein grund mehr zur skepsis. ich finde es generell problematisch, mit grenz- und wahrnehmungsproblemen allgemein im sozialen bereich, besonders aber psychotherapeutisch, zu arbeiten, wenn denn die eignen probleme nicht faktisch aufgelöst sind. das gilt auch für menschen mit posttraumastörungen, die besonders schnell zu helfersyndromen und burn-out tendieren. die bl im mertzschen sinne hingegen arbeiten ja nach ihm eher aus macht- und kontrollmotiven in diesen bereichen. aber egal: beide gerade genannten konstellationen finde ich sehr gefährlich, und zwar für alle beteiligten.

"Ich zweifele wirklich nicht daran, daß dies ungeheuer schwer ist, aber ich glaube, es ist mehrerlei möglich: man kann von einem autistischen Niveau auf ein Borderline-Niveau vorstoßen (das schaffen viele Erwachsene, die betroffen sind, Mertz scheint es auch anzunehmen)"

hm, wie kommst du zu dieser aussage? bei mertz steht nach meinem verständnis eigentlich genau das gegenteil bzw. die these, dass solche "sprünge" nicht von dauer seien (konkret bezg. temple grandins); und generell gilt autismus bis heute als unheilbar. dazu kommt noch, dass es bei unserer kleinen diskussion hier ja gerade auch um die frage geht, ob borderline nicht eher als ein anderes und weiteres mögliches "funktionsniveau" des autismus angesehen werden kann? von daher wäre die formulierung also angebrachter, von einem nichtsimulativfähigen autistischen niveau auf ein simulationsfähiges vorzustoßen - aber das würde am autismus grundsätzlich nichts ändern.

"Und Mertz beschreibt ja bezeichenderweise immer wieder vorrangig den Borderliner mit antisozialer Zusatz-Ausprägung. Das scheint mir sehr wichtig, es gibt nach meiner Erfahrung auch zahlreiche Borderliner, die NICHT antisozial strukturiert sind! Sowohl bei Männern als auch bei Frauen."

tja, sind das nicht womöglich eher primär traumatisierte menschen? wobei selbst da das wirksam sein kann, was ich hier immer als täter-opfer-dialektik bezeichne. konkreter: nicht alle opfer werden zwangsläufig zu tätern, aber so ziemlich alle täter waren irgendwann einmal auch opfer (was nach meinem verständnis selbst für strukturelle soziopathen mit womöglich bereits pränatal ungünstigen entwicklungsbedingungen gilt).

dazu kommt noch der aspekt, den ich u.a. im ersten basisbeitrag zu borderline angerissen hatte: einmal die macht von geschlechterstereotypen, zum anderen die jeweils herrschaftsabhängige öffentliche definition des wortes antisozial

"Alles andere wäre auch verwunderlich, wenn im Zentrum von Borderline zunächst nur ein sehr labiles und hochfahrendes Emotionssystem steht, und zusätzlich von außen ungünstige, traumatisch wirkende Einflüsse auf die Entwicklung ausgehen.

Wieso sollte dann die Kombination mit antisozialen Mustern im Zentrum stehen? Das ist nur die gefährlichste Variante, in der Form Borderline-Dissozial-Paranoid hat man dann die gefährlichsten Menschen. Die machen aber vielleicht nur fünf oder zehn Prozent aller Borderliner aus (was natürlich schlimm genug ist)."


wieder ein "hm". und nochmals der verweis auf die probleme mit dem wörtchen antisozial: wenn diese bl-menschen gesellschaftlichen "erfolg" haben, werden beziehungsunfähigkeiten und antisozialität gerne völlig ausgeblendet. und genau diesen punkt kritisiert mertz völlig zu recht.

"Kurz und gut, Mertz zeigt nur eine Teilwahrheit. Siehst Du das auch so, oder kannst Du wenigstens Argumente erkennen, die in diese Richtung weisen?"

letzteres, wobei meine kritik sich teils auf andere punke bezieht - dazu hatte ich in einer anderen antwort weiter oben schon was geschrieben. ich will hier keine "glaubensgemeinschaft" aufmachen, aber bei manchen deiner anmerkungen oben hatte ich den eindruck, dass du einige thesen von mertz etwas anders verstanden hast als ich? und folglich auch andere konsequenzen ziehst.

nichtsdestotrotz: anregender austausch.

gruß
mo
monoma - 16. Mär, 15:28

beitrag von saskia

den verschiebe ich aufgrund seiner zur diskussion passenden aussagen aus dem gästebuch mal hierher:

Bin immer noch am Grübeln, um auf Mo´s Frage nach meinen Gefühlen beim Lesen von Mertz zu antworten.

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr- aber ich weiß, das es mir danach besser ging. Das Ausgeschlossen sein schien nicht reperabel, eigentlich traurig, aber das Abfinden damit hat mich stabilisiert und einen Schritt weiter gebracht.

Die von mir empfundene Wut des lieben Erics scheint aus der Befürchtung zu erwachsen, das die "gesunde" Lebenswelt durch Borderlinestrukturen (nicht mal durch einzelne BLs) torpediert wird. Ist ja auch so- in meinem Berufsfeld (ich bin Sozpäd.. ;-) ) begegnen mir ständig diese Strukturen- nicht greifbar und destruktiv.
So blieb bei mir der Gedanke hängen, daß wir wohl wie Ratten sind- das diabolische Chaos, vor dem ich Mertz eine Furcht unterstelle , ist meine , unsere Lebenswelt in der wir super überleben könnten- ja wenn wir nicht immer noch versuchen würden, alles richtig und gut zu machen um endlich auf der anderen Seite zu stehen. Dieses Streben macht die kranken Symptome, nicht der Defekt, der auch nur aus der Realation der nach Mertz "(noch) Mehrheit" entsteht. Dieses kleine Wörtchen, was er in Klammern setze, ist glaub ich der Schlüssel...

Letztlich haben mir seine Überlegungen einen kleinen elitären Schub verpasst, der sinngebend und damit für mich Identitätsgebend war- gut für mich.

Pete: natürlich will ich andocken, bin ja Bler!
Und wieso sollte mir ein Totaldefekt bekannt vorkommen, so per se? Ich kann die Überlegungen Mertz mit seinen geschilderten "Symptomen" nachvollziehen, aber ich muss nicht unbedingt ja sagen, wenn er diesen einen Totaldefekt als Wurzel zugrunde legt. Da bin ich noch mit mir am arbeiten, weil ich trotzig werde. Aber dazu vielleicht später mehr.

Meine Aussage bezog sich auf die Konsequenz, die sich daraus ergiebt. Jede Suche nach Therapie ((und dies nicht nur im herkömmlichen Sinn) wäre Quark, es sei denn, man wünscht eine Verbesserung der Als- Ob- Funktionen, sprich Anpassungsfähigkeit und Selbstkontrolle. Aber ich möchte gut Leben, für mein Empfinden läuft das auf ein Einsiedlerdasein hinaus, oder aber Mertz weitergedacht, auf ein Akzeptieren der Umstände und ein Suchen nach Gleichgesinnten, die sich nicht mehr mit aufgeschnittenen Armen, Manipulation und einem ständigen Aufschrei in ihrem Verhalten in die vermisste Welt der (noch) Normalität drängen.

Und vielleicht kann ein Austausch auf diesem Niveau wie hier dazu beitragen, dass Bler ihre Welt selbst erforschen und strukturieren. Denn dies gelang bisher nicht. Und vielleicht gibt es eine eigene Richtung in der Psychologie, Therapie, Soziologie usw. und vielleicht übernehmen wir die Weltherrschaft.. ;-)
Ich für meinen Teil weiß nur, das ich im Sackgassendenken krank werde und das will ich nicht mehr.

pete (Gast) - 16. Mär, 18:54

saskia und die helfende helferindustrie (sozpäd. & co.)...

saskia, was siehst du im spiegel?
saskia, beschreib dich mal. alles und nichts, nicht wahr?

du hast recht, begriffe (bzw. deren inhalte) wie therapie, dbt, tfp sind quark - sehr gut reflektiert.
am besten gefällt mir dieser beitrag eines (pat)/(kl)ienten mit der diagnose borderline:

"Der Trickser Ha, da hab ich euch ertappt. Dachtet wohl ihr könnt mir einmal entkommen aus dem miesen, fiesen Spiel. Was ich euch hab aufgezwungen, aufgedrängt? Doch nichts da, ich, ja ich hab euch ertappt. Wolltet mich überlisten, herein legen und das in meiner eigen Spiel? Was habt ihr euch dabei blos gedacht? Was denkt ihr euch blos dabei? Das ihr triumphieren könnt bei dieser elend langen Rumeierei? Mich überlisten könnt in diesem hinterhältig Spiel? In meiner eigen, unerkannten, ungewollt gewolltem Spiel? Wo ihr noch nicht mal die Regeln (er)kennt, die nicht einmal ich kenn? Die ich aufstell oder auch brech, aber euch aufzwing, ob ihr wollt oder nicht. Unbewusst, unterbewusst, ich euch steuern tu. Dahin, wo ich euch haben will und ihr glaubt daran. Zu meinem Ziel, zu euern Verlust, euren Untergang dann. Denn nur einer gewinnt hier und das ist der, der der dies Spiel begann. Euer Pech, warum liest ihr euch drauf ein, auf dies miese, abgekaterte Spiel? Ich bot's euch an, aber warum seit ihr so dumm, fallt auf den Trickser rein? Ich tricks euch aus und ihr verliert. Ich manipulier euch, ich spiel mein Spiel. Ich sabotier euch, ich spiel dies Spiel. Ich dränge, verletzte, beleidige euch mit diesem Spiel. ich setz mich über euch hinweg ohne Gedanken dran. Ich mach nur das, was nur ich machen kann. Ich gewinn jedes Spiel und doch verlier ich soviel. Jedes gewonnene Spiel ist ein Sieg zuviel. Find so nie zu mir selbst, find die Grenze nicht, die es einzuhalten gilt. Find so auch nicht zu euch, den ein Spielzeug seit ihr nur so für mich. Seit ein Ding ohne Raum und Zeit, ohne Grenzen, ohne Gewicht. Benutzt, beschmutzt, belegt und abgelegt... Ich benutz euch und stolper nur über mich selbst. Mein Sieg über euch ist 'ne Niederlage in mir, für mich. Nicht weil ich ertappt wurd, gerad deswegen nicht. Bin es Leid zu siegen ohne (be)siegen zu können. Bin es Leid keine Grenzen zu erfahren, nichts aufgezeigt mir wird. Bin nur verstossen, von denen, die mich letztlich erkannt."

da nützen selbst die schönsten objekttheorien und andere thesen von kohut, klein, kernberg, usw.nichts.
euch fehlt ganz einfach "das wichtigste", welches einfach radikal ausradiert wurde,...imago und so, und dann diese machtphantasien, dieser zerstörungszwang (u.a. kindesentzug) usw., aber andere geschichte.

das alles und noch viel mehr spricht für: kein authentischer kern und totaldefekt lt. mertz.

einsiedler dasein? wohl kaum eine möglichkeit für euch wegen "auflösen und so".
andere borderliner? auch mist, da die auch nichts zu bieten haben. lebensenergie und so.
die wahrheit: ihr braucht einen liebesfähigen, authentischen identitätsgeber.
da ihr andockt ("telepathie", projektion, simulation, als-ob, nennt es wie ihr wollt) freut sich der id-geber wie der schneekönig über eine seelenverwandtschaft bzw. die "große" liebe...

ach so, ich steh nicht so auf die helferia, aufgrund der tatsache, dass leute die selber keinen bezug zum ich haben anderen helfen wollen und doch nur durch lebenskraft anderer ("nicht-borderliner") leben...
aber das ist geschmackssache.
Saskia (Gast) - 19. Mär, 13:22

Das alles...

Pete, Pete.... das könnte ein sehr persönlicher Dialog werden..
Obwohl- mit wem würdest du reden?

Die Spiegelfrage... ich kann mich nicht beschreiben, wer kann (s)ein komplexes Wesen beschreiben?
Eigenschaften, Fähigkeiten, Mankos kann ich benennen, mich sehen, auch fühlen. Dies aber erst, nachdem ich das Vorhandene angenommen habe und nicht mehr als unerträglich fehlerhaft negiere, weil nicht aushaltbar.
Ich hab mehrere Überlegungen, Gedankenketten, was das nun ist, dieses Borderlinedasein.
Einziges Referenzobjekt- werdenes Subjekt- bin ich.
In letzter Zeit sind mir einige begegnet, die versuchen, sich zu strukturieren, sich zu entpathologisieren. Ich hoffe, dass , wenn sie weiter mit sich sind und Gedankengerüste sich verstetigen, dass man dann gemeinsam eigene Erklärungsansätze erarbeiten kann.
Ich habe für diese Dinge nur Bilder in mir und arbeite damit- mit eigener Logik. Ich hoffe, daß es denoch verständlich wird.

Ein paar Gedanken:

Den "Totaldefekt" würde ich als ein "Außer-mir- sein" beschreiben.
Notwendig wird dies, wenn alle, aus mir getätigten Lebensäußerungen ignoriert, negiert, als falsch bewertet werden. So kommt man sehr früh in die Lage, sein Verhalten, seine Lebensäußerungen so zu gestalten, daß sie gehört werden, daß reagiert wird. Nichts davon ist bewusst- eher der Try und Error- Modus. Du beginnst Daten zu sammeln, Parameter, die das Überleben sichern. Dies geht aber nur, wenn du dich selbst und deine quälenden, weil unbefriedigten Bedürfnisse ignorierst. Und ich glaub da setzt das sich verlassen ein.
Übrigens hat dies auch einen Vorteil- das Sichtfeld wird weiter und man durchschaut mehr- dies wird als widerwärtige Anpassungsfähigkeit (andocken?) beschrieben- ich seh es als Gabe wenn nicht mißbraucht.
Ambivalenz der Menschen, die mich als Kind umgeben seh ich als riesen Stichpunkt- wenn ich gezwungen werde, Verhalten zu ergründen (und das geht so gut wie nie, weil die Menschen, die einen Bordi produzieren selbst nicht "sauber" sind). Man versucht ewig, alles richtig zu machen nur um richtig zu sein. Ich bin zur Schule gegangen, mit Fieber und Schmerzen, nur um von einer pflichtversessenen Mutter Anerkennung zu bekommen. Sie tat dies auch (immer Arbeit), also war es für mich ein Schlüssel zu ihr, es kam nichts.
Krank zu Hause zu bleiben brachte den Status des Faulseins- ja was denn nun? Welch Option hast du, wenn du 6 oder 7 bist? Dies in allen Lebenslagen... da bleibt ein Ich außen vor. Es gibt weniger schlimme Reaktionen, aber keine Guten, und wenn, dann sind die meist krank oder nicht verlässlich.
Angst, wieder falsch zu sein ist ein ständiger Begleiter, diese Angst lässt sich nicht kontrollieren. Wenn ein Kind etwas falsch macht, Verbote bricht usw. hat es Kontrolle, weiß, daß sich Tadel, Strafe usw. darauf beziehen. Es hat die Wahl, die Kontrolle, Bordikinder haben nichts, außer der verlässlichen Info, selbst nicht zu stimmen. Das heißt Arbeit, Manipulation an mir- das kann ich nur, wenn ich mich selbst als Objekt sehe, analysiere...also an einen Fremdkörper rumdoktore.

Die Suche nach dem Ich, nach dem "in-mir- sein- können" gestaltet sich ähnlich wie der Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
Ich habe mir irgendwann die Frage gestellt, ob ich jemals in mir war, wann das hätte sein können. Wann war ich richtig und musste nicht leisten? Die Suche nach dem Ansatzpunkt für einen Hebel.
Ich hab da meine Oma gefunden und das Bild, daß sie mit mir in mir war und die Möglichkeit hätte, die zugeschlagene Tür von innen zu öffnen. Ich verfolge dieses Bild, lass Gefühle zu, äußere Wünsche und mit jedem Mal dieser Visualisierung kann ich mich besser fühlen, bekomm ein Bild von mir.
Ich bin allerdings noch nicht in der Lage, dieses Bild weiterzudenken, wenn dieser Umstand, doch irgendwo so einen Menschen in seiner Biografie zu haben, fehlt.

Nun natürlich die Frage- offensichtlich keinen Totaldefekt- also kein Borderliner?
Oder Borderliner beim Selbstbetrug?
oder oder oder....

1. Nach allen Diagnosekriterien bin ich gesund. (Außer gelegentlich ner Tüte und ein Bierchen zuviel und oraler Befriedigung...)- allerdings kann ich bei Bedarf noch einen echten Schein vorzeigen
2. Nach Mertz bin ich maximal nur noch komisch
3. und alle anderen schreiben über den Mars, obwohl sie nicht ausschließen können, das ihnen relevante Daten zur schlüssigen Theoriebildung fehlen

Was mich weiter suchen lässt, ist diese Turbine in meinem Kopf, die sich nicht abschalten lässt, sie ist mein Garant dafür, nicht mehr krank zu sein, aber auch immer die Erinnerung, nicht richtig zu sein.

Mal ein nicht so kurzes Beispiel:

ca. 2.00, Disse, mit Frau und Freunden da, die anderen sind auf Alster, Frau auf Wasser umgestiegen:

Ich möchte noch ein Bier, weil gute Laune, mal getanzt und noch Lust, weiter zu feiern.
Blick in die Runde- die haben bestimmt keine Lust mehr. Wenn ich frage, sagen alle, ich soll mal noch machen. Außerdem will ich mich ja nicht ständig rückversichern. FRau beobachtet mich, hat schlechte Erfahrungen, wenn ich zuviel trinke. Aber ich bin völlig i. O. Oder nicht- die anderen Male hab ich auch nicht gemerkt, wenn es zu viel war und hab mich daneben benommen. Aber das ist schon lange her, hab mich doch im Griff- frag mal doch lieber nach...Schatz, alles ok? Ja- wieso fragst du? Meinst du, ich kann noch ein Bier- Musst du doch selber wissen... (Weiß ich ja eben nicht).. Schweigen.
Freunde sagen, ich soll ruhig noch ein Bierchen holen...die wissen, daß ich so meine Probleme hab, wollen die mich nur beruhigen? Dann steh ich hier mit Bier und die wollen nach Hause. Meine Wahrnehmung sagt, lass es, die wollen nach Hause. Aber ich will doch auf meine Bedürfnisse hören, also verkünde ich, daß es kein Problem wäre, wenn sie gehen wollen, ich würde dann bleiben. Nein nein, wir bleiben noch...wegen mir? Schön, jetzt bin ich verantwortlich, daß die bleiben. Alles Quatsch, sagt dann die Turbine, die sind erwachsen, können selbst entscheiden, du bist nicht verantwortlich- mein Bauch hat mittlerweile Stimmungsabfall...ich registriere jede Bewegung.
Mein Agieren verursacht jetzt auch einen realen Stimmungsabfall bei den anderen, also Heimfahrt. Ich hatte recht...... denk ich dann

Mittlerweile gibt es für solche Situationen Absprachen, ich sage was ich möchte, die anderen auch. Sich darauf verlassen zu können ist Training und ein Austricksen der Kopfturbine. Aber- sie steht nie still.

Dies war der simpelste Kontext.... unter anderen Problemlagen glühen meine Drähte, aber ich werde in meinen Handlungen immer normaler, stetiger..

Soviel zum Thema, warum ich mich in den Borderlinersumpf werfe.

Weißt du Pete, wenn ich deine Stats so lese, kann ich nur aufgrund der Schwarz- Weiß- Malerei sagen: Willkommen im "Ihr".
Provokation ist manchmal gut, um alte Denkmuster zu verlassen, aber du scheinst mit deiner Kategorisierung fast eine Sicherheitsverwahrung für das Denkmuster Borderline anzustreben. Also, wenn ich Bler bin, dann muss ich so reagieren, dann muss dies eben das auslösen. Warum brauchst du diese Berechenbarkeit und Sicherheit und warum sprichst du "uns" dieses Bedürfniss ab?
Es gibt viele Aussagen zur Thematik, aber wie bereits beschrieben, es ist wie alles über den Mars- keiner war da. Ich muss gar nichts, noch nicht mal Borderliner sein. Ich benutze diese Kategorie noch, weil ich dort reingeworfen wurde und weil sie mir die ersten Stufen auf der Suche nach mir geboten hat- aber ich nehme sie nicht als Gottgegebene Wahrheit. Du siehst hier an den Überlegungen und Diskussionen, daß Borderline längst nicht mehr nur Krankheit, Diagnose ist. Wenn Borderline dies aber im allgemeinen Verständniss bleibt, muss ein neues Synonym für das her, worum es geht.

Im übrigen, zum Rest deiner Annahmen, was wir so brauchen... ich trau "liebesfähigen, authentischen identitätsgebern" nicht über den Weg, zu schwach um mich wirklich zu halten, also mach ich das mit mir schon lieber selbst. Ja, und es nervt, die Löcher der Authentischen zu stopfen, scheinbar suchen sie auch alle nach wahrer Liebe, sonst wäre die Enttäuschung nicht da, wenn sie auf uns Simulanten stossen. Aber Ehrlichkeit können die auch nicht aushalten.. Da müssen auch mal neue Kategorien her..(Achtung, Zynismus)

Saskia
Saskia (Gast) - 19. Mär, 15:39

...Nachsatz

..und wieder die Gedanken, hab ich eigentlich überhaupt etwas gesagt, konnte ich was verständlich machen, kann ich das wieder löschen (mal so als Option)

Hier muss wieder mein Kopf her: Ich (also doch vorhanden) habe dies abgelassen, wollte das genauso schreiben. Es wird als Ausdruck meiner selbst nicht weniger wert, egal was andere dazu denken, davon verstehen usw.
Diese Gedanken korrespondieren nicht mit meinen Selbstzweifeln, dem Gefühl der Unzulänglichkeit und der Unfähigkeit, klare rationale Sprache zu verwenden.
Ich versuche über den Kopf mir selbst vor Augen zu führen, daß ich das bin.
Als Ergebniss entsteht da ein Mensch, der weit entfernt von den vermittelten(unfähig, kompliziert, faul, usw.) und angestrebten (Genie, alles Durchschauer, gefeierter Sachbuchautor, Weltverbesserer) Wesenszügen ist.
Zu meinem Leid ( ;-)!!!)stell ich gerade fest, daß ich durchschnittlich intelligent, durchschnitllich hübsch, durchschnittlich eloquent und sehr wenig strukturiert bin.
Aber was für ein Gefühl sagen zu können: Das bin ich und zufrieden zu sein.

Gesetzt dem Fall, mein Defekt ist nicht total und ich bin trotzdem Bler....kann also Mertz sich irren und es lässt sich ein Leben mit einer Persönlichkeit einer Identität rekonstruieren? Was wäre nötig?

Diese Fragen stell ich mir auch in Hinblick auf meine Tätigkeit in der Helferindustrie. Ich habe jeden Tag Jugendliche mit Bl vor Augen und sehe alle institutionellen Versuche, diese auf die "rechte" Bahn zu bringen scheitern. Schlimmer aber noch ihr Leid, daß sie zu Monstern macht und jeder Versuch, an den Schlüssel des bedingungslosen Angenommenwerdens zu kommen, noch eher zum scheitern verurteilt.

Dann auch mal zur Helferindustrie, ich geh mit meiner Diagnose offen um und finde natürlich in diesem "verrückten" Arbeitsfeld immer wieder Bewunderer, für meinen Mut. Was soll ich dagegen tun? Es ist ihre Sache, ich oute mich mit der Bitte, bei Bauchschmerzen sofort mich anzusprechen, Supervision, Relation. Dies ist meine Verantwortung in diesem Job. Glaub mir, die miesen Spielchen, die andere Kollegen spielen, sind nicht aus dem BL- Milieu, die kommen aus Unzulänglichkeiten und fehlender Fähigkeit zur Reflektion. Grundsätzlich erlebe ich das Ganze auch als teilweise ekelerregend.
Pete, welche Vermutung hast du, daß ich mich darüber erhebe und glaube, einer guter Sozpäd zu sein?
Was würdest du sagen, wenn ich gerade dabei wäre, mich zu einer Therapeutenausbildung zu ermutigen. Im übrigen habe ich noch niemanden gefunden, der ernsthaft gewillt ist, mit mir die Risiken und Probleme durchzusprechen, alle Psychologen sagen, ich sei doch ok, ich sollte mal machen...
Wäre es dir möglich anzuerkennen, daß ich Kompetenzen und Wissen mitbringe, die andere Dinge aufwiegen?
Gerade in der Arbeit mit BL- Jugendlichen bin ich nicht für diese zum Ankoppeln geeignet, falle weniger auf Manipulation herein, komme schneller hinter den Sprüngen hinterher, finde oft die besseren Worte, den besseren Ton. Sie können nicht so richtig andocken, sind auf sich selbst zurückgeworfen aber nicht allein. Ich denke, dies kann stabilisierend wirken, es bestätigt sich auch. Leider habe ich noch keine Form gefunden, das genau zu dokumentieren, weil ich selbst und meine eingelullten und von mir beeindruckten Kollegen eine riesige Fehlerquelle in der Faktenbetrachtung darstellen.

Ich freu mich auf eine Antwort, ich würde gern meine, an meiner Person angelagerten Überlegungen gern strukturieren, weiterdenken und eher sachlicher beschreiben können. Dabei helfen mir auch ganz viele "Abers".
monoma - 19. Mär, 15:56

@saskia

deine letzten beiträge werde ich wohl noch ein paarmal lesen müssen, spontan nur einen punkt:

"Dann auch mal zur Helferindustrie, ich geh mit meiner Diagnose offen um und finde natürlich in diesem "verrückten" Arbeitsfeld immer wieder Bewunderer, für meinen Mut. Was soll ich dagegen tun? Es ist ihre Sache, ich oute mich mit der Bitte, bei Bauchschmerzen sofort mich anzusprechen, Supervision, Relation. Dies ist meine Verantwortung in diesem Job. (...)

Was würdest du sagen, wenn ich gerade dabei wäre, mich zu einer Therapeutenausbildung zu ermutigen. Im übrigen habe ich noch niemanden gefunden, der ernsthaft gewillt ist, mit mir die Risiken und Probleme durchzusprechen, alle Psychologen sagen, ich sei doch ok, ich sollte mal machen..."


finde ich gut und auch notwendig, das "outing". was ich generell von bl in sozialen berufen halte, habe ich weiter oben mal geschrieben - ich würde einfach gerne mal wissen, was deine motive sind, dort zu arbeiten? (und ja, den genannten psychologen gehört imo mal echt die meinung gegeigt - das hört sich nicht nur nach ignoranz, sondern auch nach bequemlichkeit und konfliktscheu an).

und noch eine kurze indiskrete frage: woran machst du selbst die diagnose fest? teils kommst du für mich so rüber, als wäre sie für dich etwas normal-alltägliches, dann stellst du sie wieder massiv in frage. okay, eigentlich ist das auch schon eine antwort. (aber ich wäre an weiteren schon interessiert).
Wednesday - 19. Mär, 16:15

> ich trau "liebesfähigen, authentischen identitätsgebern" nicht über den Weg, zu
> schwach um mich wirklich zu halten, also mach ich das mit mir schon lieber selbst.
> Ja, und es nervt, die Löcher der Authentischen zu stopfen, scheinbar suchen sie auch
> alle nach wahrer Liebe, sonst wäre die Enttäuschung nicht da, wenn sie auf uns
> Simulanten stossen. Aber Ehrlichkeit können die auch nicht aushalten.. Da müssen
> auch mal neue Kategorien her..(Achtung, Zynismus)

Das erinnert mich an zwei Familienangehörige - an ihre grenzenlose Gier, alle und alles einzuverleiben, ihr grenzenloses Mißtrauen, ihre brutale Wut über echte oder vermutete Anforderungen, Enttäuschungen und die "Löcher" (?) ihrer Angehörigen um sie herum. Man schafft es nie, ihre (oft nicht in Worten zum Ausdruck gebrachten) "Wünsche" zu erfüllen, und schwebt dauernd in der Gefahr, wie Müll zerknüllt und weggeworfen zu werden, sobald man selber Wünsche äussert oder auch nur andeutet. Ich bin froh, irgendwann erkannt zu haben, daß ich für beide weniger "Wert" habe als eine kaputte Marionette und sie nur noch sehr selten sehe. Soviel "Ehrlichkeit" halten die beiden jedenfalls besser aus als das Bemühen um sie.
pete (Gast) - 19. Mär, 18:26

zur einleitung etwas borderline-poesie:

"ich schenke hoffnung, schenke schmerzen.
ich schenke freude, schenke leid.
ich bin ganz tief in deinem herzen und bin dort für alle zeit.
ich bin deine nacht und bin dein tag.
ich bin stets da in deinem leben. sehe zu wie du versagst.
ich bin krankheit, ich bin liebe.
ich bin deine seele und dein hass.
ich weck in dir die finstren triebe und nur auf mich ist noch verlass.
ich lass dich fliegen, lass dich fallen, hab dich fest in meiner hand.
du kommst nie mehr aus meinen krallen.
dein leben ist mein treuepfand."

"ergreife die hände der freundschaft,
die die entgegengestreckt werden.
keine angst-nur die hand,
nicht deinen ganzen körper gibst du.
so wirst du die wärme spüren,
die energie, die deine hand ausstrahlt
und selbst erhält
und wie sie sich ausbreitet
und schließlich deine seele erfüllt.
und erst wenn es zu spät ist
wirst du merken.
dass die wärme flüssiges blei ist
das deine adern durchfließt
sie erstarren läßt
dich von innen auffrisst.
erst zu spät wirst du merken,
dass deine seele tot ist
verloren, verraten, verkauft
dir deine energie fehlt
sie ist verströmt ins nichts
unendliche leere
unendliche kälte
ist alles, was bleibt."

eine aussagekräftige analyse bezgl. borderline, soziopathie, mertz, angeblicher therapie etc.

saskia, deine beiträge sind mir zu...
doublebinding. manipulation pur?

Zitat: "Übrigens hat dies auch einen Vorteil- das Sichtfeld wird weiter und man durchschaut mehr- dies wird als widerwärtige Anpassungsfähigkeit (andocken?) beschrieben- ich seh es als Gabe wenn nicht mißbraucht."

jetzt kommt meine highlight-frage:
wie "funktioniert" das "andocken" bzw. das erstellen eines tiefen psychogramms des gegenübers ohne ihn zu kennen?

du siehst es als gabe wenn es nicht mißbraucht wird,
na ja, ich könnte einige bl-anekdoten erzählen...
(und das sind keine "ich suche wahre liebe"-geschichten wie von dir erwähnt)
aber die kennen die meisten schon, die mit den borderline-mechanismen "vertraut" sind.

borderline-poesie-zwischenlandung:

"In tiefster Finsternis war ich auf der Suche nach dir.
Ich habe deine Wärme gespürt, noch bevor ich von dir wusste.
Dein Licht hat mich zu dir geführt.
Es blendet meine Augen, verbrennt mir die Haut.
Dennoch kann ich mich nicht von dir abwenden.
Ich will den Anblick deiner Schönheit keinen Augenblick missen.
Du bist meine Erlösung, so wie ich deine bin.
Zwei verirrte Seelen verzweifelt gesucht und einander gefunden an nur dem einem Ort an dem wir beide uns so nah sein können, obwohl wir unendlich weit entfernt zu sein scheinen.
Ich strecke meine Hand nach dir.
Du weichst zurück.
Gequält von Angst und Zweifel, fehlt dir der Mut zum letztem Schritt.
Mein Begehren nach dir verzehrt meinen Verstand.
Ich möchte dich halten, dich lieben, dich besitzen, deine Wärme auf ewig spüren.
Du wirst mein sein. Ein Licht im Schatten meiner Einsamkeit.
Ich lebe wie in einem Traum, bin verwirrt. Die Realität zieht an mir vorbei, mehr wie in einem Film, den man nicht anhalten kann. Ich schwimme durch den Strom der Zeit, hin und hergerissen von den Gezeiten des Alltags. Andere Menschen sind mir fremd. Ich selbst kenne mich nicht. Meine gequälte Seele, abgestoßen von meinem verwesenden Körper, fristet nur ein Schattendasein. Ich leide unter mir selbst. Ich hasse mich, ich werde gehasst, ich hasse andere, ich fühle nichts, ich bin leer. Es ist wie im Traum, mein Handeln gesteuert von anderen, höherem, besserem? Getrieben, gepeinigt, verachtet, ignoriert. Ich bin unfähig aus dem Sumpf des Vergessens zu entfliehen. Treibe dahin ohne Sinn und Sein. Ich ersehne mir ein Ende herbei, doch stehe ich am Anfang. Alles dreht sich nur im Kreis. Es ist wie ein Traum, ein Film, den man nicht anhalten kann. Das Steuer in der Hand, werde ich dennoch von anderen gelenkt. Selbst der freie Wille ist nur Illusion, ein Wunschdenken geboren aus Einsamkeit. In Mitten von Milliarden bin und bleibe ich allein...
Ich gehe ins Nichts. Ich kann nicht zurück. Elend, Leid, Hass und Schmerz liegen hinter mir. Das Nichts bringt mir Erlösung. Ich sterbe nicht, ich war tot. Das Ende ist der Anfang. All die schlechten Erinnerungen vergangen, alle Taten gesühnt. Frei von allem Sein, finde ich den Sinn. Ich gehe ins Nichts, ich finde mich selbst, ich war das Nichts. Ich habe das Leben anderer gelebt, die Träume anderer geträumt, doch ich wurde gestraft. Gelenkt, missbraucht, ausgenutzt, verlassen und vergessen. Ich gehe ins Nichts, ich gehe in mich, allein, unbeschwert, voller Hoffnung, ohne Ziel, ich finde mich selbst. Ich bringe mir Erlösung, schaue nicht zurück. Ich war tot, jetzt werde ich ewig leben.Du bist der Stern am dunklem Horizont meiner zerbrechlichen Seele, das Licht am Ende eines ziellosen Weges, der Traum meiner schlaflosen Nächte. Deine Worte sind wie süßes Gift, welches mir die Sinne raubt. Meine Gedanken drehen sich nur um dich. In jedem Windhauch, in jedem leisen Flüstern vernehme ich deinen Namen. Mein Herz schmilzt im Strahlen deines Wesens.
Alles was ich suche, was ich brauche, finde ich in dir.
Du bist meine Erlösung, meine Errettung, meine Zuflucht aus schwerer Not.
Entrissen aus Trauer, Kälte und Schmerz, sehne ich mich nach deiner Wärme.
Ich kann deine Nähe spüren, sind wir auch noch so weit entfernt.
Endlich ist vereint was zueinander gehört.
Vom Schicksal vorherbestimmt, auf ewig verbunden.
Nichts kann uns jetzt mehr trennen.
Gemeinsam gehen wir den Weg ohne Wiederkehr.
Dein Licht wird mich leiten.
Deine Wärme mich führen...
Sie sind unsere Zukunft, der Sinn unseres Daseins. Sie sind es denen wir unser Leben widmen müssen. Ihre Arroganz ist bodenlos, ihre Naivität ihre einzige Schwäche. Sie sind unberechenbar. Ihr teuflisches Wesen gräbt sich in unseren Verstand und macht uns zu ihren Sklaven. Wir wollen sie beherrschen, sie erziehen, sie auf den rechten Weg geleiten. Doch sind wir es die sich ihren Willen beugen müssen. Ihre dunklen Seelen in zerbrechlichen Körpern haben längst die Macht ansich gerissen. Wir sind Untertanen ihrer Eitelkeit. Widerstandslos geben wir ihnen alles was sie von uns verlangen. Selbst den Tod nehmen wir in Kauf. Niemals würden wir an ihrer Autorität zweifeln. Sie sind wie wir einst waren, was wir vergessen haben und niemals wieder sein werden. Geborgen, glücklich, geliebt, unbeschwert und frei...
Jeden Tag erwache ich aus einem Alptraum.
Ich bin gefangen hinter selbsterichteten Mauern.
Der Blick in die Zukunft versperrt, gejagt von dunklen Schatten der Vergangenheit.
Gequält von Selbstzweifel wandere ich auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tot.
Ich schaue hinab in den Abgrund der Welt, die sich wie ein endloser Ozean vor mir ausbreitet.
Ich erblicke ferne Ziele am grellen Horizont, stürze in die Tiefe, werde davongetragen von den Wogen der Zeit.
Hin und hergerissen vom grauen Alltagssog um Luft ringend werde wieder auf die dunklen Klippen des Vergessens geworfen.
Zu schwach um allein aufzustehn hab ich Angst die Augen zu schließen, weil am nächsten Tag der Alptraum von neuem beginnt."

bittersweet.

truth???
einige behaupten, dass borderliner einen lustgewinn aus dem seelischen quälen des gegenübers erzielen
und die person so "zurücklassenwollen" wie der borderliner einst "zurückgelassenwurde" von mutter und/oder vater bzw. durch andere täter geschädigt wurde.
reinszenierung.
im jetzt und hier.
in der machtposition.

aber was ist schon die wahrheit...
karima (Gast) - 27. Mär, 17:48

borderline

Wieviel krankheit muss man akzeptieren und wieviel kann man aendern. Wo faengt das kranke an und wo das gesunde. Wann ist es schmerzhaft, das kranke veraendern zu wollen. Und wieviel krankes tut gut, wenn man es behaelt, weil man es sowieso nicht wegtherapieren kann, weil vieles einfach fehlt und nicht mehr ergaenzt werden kann. Wie ein kind ohne arm diesen nicht mehr nachwachsen lassen.
sansculotte - 27. Mär, 23:55

@karima

Kann dir nur von mir berichten. Ich mache gerade im Zug eines Selbsterfahrung eine Therapie, die ziemlich "ans Eingemachte" geht. Es ist eine Kombination aus Regressions- und Konfrontationstherapie.

Wir (mein Therapeut führt mich dorthin) gehen zu den Traumatisierungen zurück und dabei kommt es zu alldem, was in der Literatur so unter "Widerstand", "Symptomaktualisierung" und anderen Fachbegriffen läuft. Tatsache ist, das kranke System wehrt sich nach Leibeskräften (und das im wörtlichen Sinn). Kein Wunder, denn die Symptome waren/sind Überlebensstrategien, die einzige Abhilfe, die der Körper gegen die traumatische Überlastung parat gehabt hat. Diese Überlebensmechanismen haben dem Organismus das Weiterleben ermöglicht, sie haben eine Form des Gedächtnisses gebildet, die in Netzwerken im Gehirn abgelegt ist und heute noch jederzeit bei Auslösereizen oder Triggern unwillkürlich aktiviert wird. Lange Rede, kurzer Sinn: Ja, die therapeutische Umbildung des Gehirns tut weh, sie ist schmerzhaft und teilweise sehr belastend.

Und dennoch bin ich der Meinung, dass die Therapie lohnt. Einerseits weil verschiedene 'unverständliche' Züge der Persönlichkeit vertrauter und verständlich werden, als logisch und folgerichtig erlebt werden und so ihren Schrecken verlieren. Anderseits weil ich mehr und mehr davon überzeugt bin, dass es so etwas wie eine "gesunde Matrix" gibt, ein Entwicklungspotenzial im Körper, das dazu drängt, die Zersplitterungen und Fragmentierungen durch das Trauma zu integrieren und aufzulösen.

Die Entscheidung, sich auf diesen Weg zu machen, ist sicher nicht einfach und zunächst auch ziemlich beängstigend. Das kann nur jede/r für sich entscheiden, ich bin jedenfalls angstfreier dadurch geworden.

Alles Liebe!

gruß, s
Wednesday - 28. Mär, 10:38

@karima

Was ist zu akzeptieren? Als PTBS-Betroffene antworte ich: Ich gehe davon aus, daß man nichts akzeptieren, also aushalten muss. Entscheidend ist, was das betroffene Individuum ändern will, um den Schmerz hinter sich zu lassen, und was nicht.

Das herauszufinden sollte ein Therapeut Hilfestellung bieten, als eine Art Geburtshelfer.

Schmerzhaft ist es immer, aus alten Verhaltensweisen herauszuspringen, egal welche Störung man diagnostiziert bekommen hat. Es kommt darauf an, was ich will, wohin ich will, ob ich mein verschüttetes Selbst finden kann, das mir andere zum Teil zerstört haben. D.h. mich erkennen zu lernen, auch wenn das Bild davon unvollkommen scheint, weil ein Arm fehlt. Denn ich lebe ja trotzdem und kann sehen, fühlen, sprechen, denken. D.h. auch, daß man lernt, mit Triggern klarzukommen. Mir hilft es, mich dann auf meine Atmung zu konzentrieren - wenn ich dran denke. ;-)
karima (Gast) - 30. Mär, 00:43

sansculotte

Hallo zu spaeter stunde. Zu traumatisierungen zurueck ist schwierig, da es ein dauertrauma von 19 jahren war. Meine persoenlichkeit hat sich aus dem trauma entwickelt. Vieles wurde nicht gelernt. Nicht nur die sclimmen erfahrungen sind das problem sondern das, was fehlt. Was normalerweise gelernt wird als kind. Nachliefern geht kaum. Urvertrauen z b. Trigger ist sehr viel. Meist ohne erinnerung an urszene. Ohne moeglichkeit, mit panik aufzuhoeren. Der koerper und pdyche reagieren einfach, noch bevor ich etwas gedacht habe. Traumatherapie hab ich auch schon erwogen. Aber da muss vermutlich mehr stabiles im innen sein.y
Ubue - 17. Mär, 00:26

Praktisch und mechanisch

Ein Gruß an Monoma und alle anderen, die sich für das Thema authentisches versus mechanistisches oder simuliertes Leben interessieren.

Ich glaube nach dem sorgfältigen Lesen der letzten Beiträge, daß eigentlich nur noch ein paar Verbindungsglieder in der Gedankenkette fehlen, die in dem gegenseitigen Austausch hier schon entsteht.

Es ist wieder ähnlich wie schon letztens, alle Einzelteile Deiner Antworten finde ich gut nachvollziehbar, auch wenn ich es mehrfach lese. Das geht mir keinesfalls mit anderen auch immer so, sonst ist es schon häufig, daß ich einen ganz anderen Eindruck habe.

Was noch etwas im Verständnis zwischen uns fehlt, scheinen Bezugspunkte zu sein, die mit einigen Kernmechanismen des "nichtauthentischen Lebens" zusammen hängen. Dazu einige Stichworte, die sich auch noch weiter ausbauen lassen. Sozusagen Psychologie pur.

Da, wo nichtauthentisches Leben (bzw. "Nichtleben") geschieht, würde ich annehmen, daß es jeweils Personen sind, die einen nicht gut aufgebauten Ichkern haben. Nichts anderes steht ja auch in den meisten Borderline-Büchern (vgl. "Locj im Ich" bis "Wackelpudding"). Das ganze Problem führt doch letztlich auf das Selbst, auf die Person, auf eine integrierte oder unintegrierte, mit der Umwelt und dem eigenen Körper in einem stabilen und wechselseitigen Austausch befindliche oder abgetrennte Person.

Diese guten Voraussetzungen für ein integriertes Leben haben Autisten, Borderliner und manche andere Menschen nicht, und zwar sicherlich durch zwei "Ungünstigkeiten":
- einmal durch Ungünstigkeiten, die schon in der eigenen Veranlagung liegen - hier überzeugt mich immer noch am meisten der Ansatz, daß eine Neigung zu starken und hochschießenden Emotionen dabei hinderlich ist. Das ließe sich im Einzelnen auch leicht illustrieren und an Beispielen belegen.
- Zweitens dann eine Neigung der Umwelt, sozusagen "ich-ungünstig" auf solch einen Menschen zu reagieren.

Das vielleicht maximal "Ich-Ungünstige" scheint für den Betroffenen Mißbrauch zu sein, denn er wird dann als Ich und eigenbedürftige Person völlig negiert und zerstört.

Bei einem nur oberflächlichen "Versorgungskontakt" à la Mertz kommt es ebenso zu einer Nichtung der eigentlichen Person. Auf der dinglichen Ebene, so Mertz, kann die Versorgung perfekt sein, seelisch kann trotzdem total genichtet werden.

Jetzt konkret zu den Mechanismen, die im Einzelnen "ich-schädlich" sind und die auch als Verstärker wirken und sich dann einzementieren. Du hast ja völlig recht, der Ansatz von Linehan wirkt nicht nur mechanistisch, er ist es auch, denn sie dröselt genau solche ungünstigen Verhaltensverstärker auf.

Wenn Du ein "Ich" des anderen nichten willst, gibt es ja durchaus verschiedene Möglichkeiten, ein ganzes Arsenal. Du solltest den anderen schon mal nicht so ernst nehmen. Günstig wäre sogesehen auch, möglichst bald in eine Art "Kampfhandlung" oder "Kampfansage" einzutreten und dem anderen latent feindlich zu begegnen. Dazu gehört dann auch, den anderen durch gehöriges Einschüchtern und Widersprechen in die Schranken zu weisen.

Dann wäre es sinnvoll, zur Ich-Schwächung des anderen so zu reagieren, als ob er immer unrecht hat. Dabei gibt es nun viele verschiedene Optionen, das dürften mehrere hundert sein: bewährt wäre es, alle Sätze mit "aber" zu beginnen, wenn der andere was sagen will. Wenn man nur immer genug dementiert, wird der andere irgendwann so an sich zweifeln, daß sein Ich ganz infragegestellt sein wird.

Am gravierendsten ist das bei allen Gefühlsprozessen. Man melde also zurück: Dein Gefühl ist übertrieben. Oder: das Gefühl, das Du zeigst, hat gar kein Existenzrecht, es ist sozusagen unzulässig abgeleitet von Dir. Derjenige, dem man so begegnet, wird dann auch gefühlshaft überhaupt keine Sicherheit erwerben.

Was kann man noch tun, um ein anderes Ich zu schwächen? Man kann es lächerlich machen. Sowas tut besonders weh. Man kann also über die Verhaltensweisen des anderen lästern oder höhnen. Auch das ein gutes Mittel, um ein anderes Selbst zu stören und zu schwächen.

Ganz probat dürfte auch immer das Ignorieren des anderen sein. Also genau die Art von Pseudokontakt, die Mertz so schön beschreibt.

Was dann auffällt, ist, daß solches Verhalten einen ungeheuren Funktionsgewinn hat: man hält sich den anderen nämlich vom Leibe, es funktioniert tatsächlich so, wie Pollmann es auch ins einem Aufsatz beschreibt, nämlich via "Abstandshaltung".

Man blendet den anderen auf Dauer als Individuum aus und geht gar nicht persönlich auf ihn ein. Wo ist das besonders wirkungskräftig? Klar, auf der Ebene der Gefühle und der Wünsche des anderen. Hier nur genügend ignoriert und abgeblockt, dann wird dieses andere Ich schon klein und häßlich bleiben, ungehört und unerhört, wie es dann ist.

Eine weitere probate Methode ist es auch, sich unberechenbar zu verhalten. Übrigens beschreibt Mertz durchaus alles, was ich hier aufzähle. Bei unberechenbarem Verhalten hat das andere Ich sehr wenig Anker, wie es sich "richtig" verhalten soll. Es wird immer unsicherer werden, und den eigenen Gefühlen garantiert nicht mehr so richtig trauen.

Dann hat man also, ohne zu viel Hirnakrobatik, schnell den klassichen Borderline-Typen, nämlich jemanden, der nicht genau weiß, wer er ist, was er will, was er fühlt, und was wirklich richtig und falsch ist, wenn er aucgh noch so maßlos versucht, Ordnung da hinein zu bekommen. Man hat dann genau die Art Wackelpudding der Persönlichkeit, die Mertz charakterisiert, man hat Menschen, die unentwegt Gefühle heranbilden, Wünsche heranbilden, und in der Sekunde, wo sie aktualisiert werden würden bei einem gesunden Menschen, werden sie bei diesem ichschwachen Menschen wieder weggeblockt, abgezogen, verunklart, sich selbst verboten. Spüren ist hier ja schon abgewöhnt. Alice Miller sagte es ja auch mal so schön, "Du sollst nicht merken", das ist genau dieser Prozeß. Dazu gehört übrigens tatsächlich auch eine gewisse Begabung dazu.

Das ist nichts anderes als ein Lernvorgang.

Dann braucht man nicht allzu geheimnissvolle gesellschaftstheoretische Denkfiguren zur Erklärung, Mertz schießt darin ja schon etwas über das Ziel hinaus. Es reicht, einfach in eine Familie rein zu gehen, einen Abend zuzuhören, wie sie "kommunizieren", und das Ausmaß ichschädlicher Kommunikation festzustellen.

Man findet das auch immer und immer wieder. All' die Borderliner, die Mertz beschreibt, funktionieren auch genau nach diesen authentizitäts-feindlichen Prinzipien.

Du kannst es übrigens noch an einer anderen Stelle merken: Mertz bietet ja schließlich und endlich, auch wenn man das Buch mit der Lupe liest, nur relativ wenig Futter für eine wirkliche Therapie an. Das, was mir am ehesten noch in Erinnerung ist, ist sein: "es ist am besten, zu sagen: dies bedeutet bei mir das und das, dies bedeutet jenes", usw.

Das ist eigentlich mehr Autisten-Unterricht im Kindergarten. Das ist - mechanistisch, ja, ok - bei Linehan schon gewaltig anders. Sie hat praktisch fast nur solche Module gesammelt, wo konkretes Verhalten auf eine beschreibbare Weise auf die Wirkungen hin untersucht werden soll. Dann hat sie auch noch den unschätzbaren Vorteil, daß sie den Veränderungsnotstand so gut sieht, in dem der Borderliner schon lebenslang sich befindet: nie war es ja gut genug, richtig, angemessen, was er fühlte und wie er handelte.

Einen Bordi unter Veränderungsdruck zu setzen, funktioniert deshalb nicht, weil er auf dieser Seite schon völlig waidwund und abgewetzt ist, das hat er sozusagen schon bis zum Erbrechen durch.

Trotzdem geht es ihm so, wie er jetzt ist, auch nicht gut. Also muß man vorsichtig die ganzen konkreten Module etwas anders angehen, achtsamer, sich selbst ernster nehmend. WIE OFT habe ich von Borderliner ohne Therapieerfahrung schon in irgendeinem Forum gelesen, wenn jemand anders seine Gefühle äußerte: "spar Dir dieses bescheuerte Selbstmitleid". Natürlich ist diese Aversion gegen Gefühle zutiefst verankert beim untherapiertebn Borderliner.

Im Grunde ist der Linehan-Ansatz dann ein einziger Anreiz, einen ichschwachen Menschen wieder etwas in die Ich-Spur zurückzuschieben. Dies wird natürlich auch dankbar aufgenommen. Ich habe in Foren schon mehrfach gehört, daß jemand sagte, ohne diese Linehan-Ansätze wäre er schon längst tot. Vielleicht gilt das auch für mich, auch wenn man es mit letzter Sicherheit nicht weiß. Doch, ich muß mich dem anschließen, wenn ich nur ehrlich bin.

Du siehst, man kann diese Lektionen auch praktisch wenden, man muß nicht in den gesellschaftlichen Wandelhöhen der Mertz-Panoramen bleiben. Ich glaube, Borderline wird mechanistisch verfertigt, und man kann es auch mechanistisch wieder wegkriegen oder zumindest spürbar in eine bisher völlig unerfahrene und unbekannte angenehme Richtung leiten. Alles funktioniert tatsächlich nach erschreckend mechanistischen Regeln, ob man es will oder nicht.

Hier bin ich auch wieder dicht bei Mertz, denn er sagt ja dasselbe: Körperwahrnehmung und interpersonaler Beziehungsaustausch sind die Schlüssel. Man kann z.B. nicht ohne genügend modulierten Blickkontakt wirklich in einer Familie auf Dauer gut miteinander umgehen. Es ist auch schwierig, unter den obig dargestellten "ich-feindlichen" Bedingungen ein gesundes, frei schwingendes Ich zu entwickeln.

So endet dieser Kommentar ganz praktisch, mechanisch und doch lebendig. Man sieht auch, daß gerade der Umgang mit den Gefühlen udn Gedanken des anderen ein Schlüssel ist.

Beste Grüße! Ubu(e)

Wednesday - 17. Mär, 09:54

All die hier im Blog aufgezählten unangenehmen Wahrheiten machen unter anderem auch deutlich, wieso es kaum wo zu solidarischer Revolte gegen die Unterdrücker kommt, und warum auch in vielen linken und feministischen Kreisen Intrigen, Rassismus und (selektive) Frauenfeindlichkeit gedeihen. Wir sind total verstört.
monoma - 19. Mär, 16:02

"wir sind total verstört"

wozu auch gehören dürfte, dass wir uns über die meisten konsequenzen dieser sachlage kaum im klaren sein dürften.

jedenfalls ein - hm, interessanter satz, über den ich jetzt schon lange und oft nachgedacht habe.
Ubue - 17. Mär, 22:24

Mechanismen

@ Monoma:

in diesen Kommentarbewegungen, ich merke es, entwickele ich mich auch wieder erheblich weg von den Mertz-Thesen. Im Grunde kann ich seinem ganzen thesenstrotzenden Buch fast überall zustimmen, dann aber bezogen auf Borderliner ohne wirksame Therapie, die sozusagen im Regen stehen gelassen werden und mit deren Leben niemand gerne tauschen möchte. Ja, die Opfer- und Täterperspektiven vermischen sich hier auch seltsam, ich halte sie sogar für offen, für ungeklärt.

Am meisten fällt mir im Moment in der Rückschau auf, daß mertz so wenig eigenes Therapieprogramm für Borderliner anbietet. Man stelle sich einen Moment vor, es kommt wieder so ein kontaktgestörter Mensch mit virulentem Verfolgungsintrojekt zu Mertz in die Sprechstunde, was würde Mertz dann sagen, was würde er machen?

Wenn ich dazu phantasiere, kann ich mir eigentlich nur noch Handlungsweisen der Schadensminimierung bei Mertz vorstellen, aber sehr wenig an offener, konstruktiver Therapievorgabe.

Letzlich sind bei Mertz auch recht wenig Reiz-Verstärker-Beschreibungen drin zu den typischen Borderline-Mechanismen, die Themen innere Kognitionen von Borderlinern sowie Emotionsregulierugnsversuche bei Borderline sind unterbelichtet.

Linehan argumentiert hier meines Erachtens mit der wirklich nötigen Klarheit. Was man erkennen kann, sind bei Borderlinern fast phobie-ähnliche Reaktionen auf Anzeichen von negativen Emotionen. Diese fungieren somit als diskriminativer Hinweisreiz und werden dann lebenslang vermieden. Auf diese Weise kommen die enormen Emotionsstaus bei Borderline-Menschen zustande.

In der "Hitliste" der unterdrückten und geblockten Emotionen sind alle negativen Emotionen auf den oberen Plätzen. Bei der Emotion "Ärger" wird schon sehr viel kontrolliert und unterdrückt, jeweils bei Anzeichen bei sich selbst, aber auch bei anderen. Bei der Emotion "Angst" wahrscheinlich noch etwas mehr an Unterdrückung. Auf Platz 1, meines Erachtens ist das zweifelsfrei zu erkennen, wenn man nur psychologisch genau genug hinsieht, ist bei Borderlinern die Unterdrückungsleistung hinsichtlich der Emotion "Trauer".

Daraus ergeben sich dann viele der bekannten Phänomene. Die übermäßige Kontrolle führt immer wieder zur totalen Überlastung des Individuums. Folglich kommt es zu einem unsteten, nicht gut vorhersagbaren Muster von Ausbrüchen. Wie Linehan zurecht feststellt, sind es aber gerade diese inkontingenten Verstärkerpläne, die so schlecht zu löschen sind.

Interessant sind dann auch die "Trauerkurven" bei Borderline, nach meinen Beobachtungen werden sie von vielen Betroffenen wie ein nach oben gerichteter Eiszapfen aufgemalt, wenn man sie darum bittet. Man sieht dann schon daran, wie die Trauer noch kurz einschießt, eine sehr hohe Spannung erzeugt und dann geblockt wird. Linehan spricht demzufolge von der an- und ablaufenden Welle, wenn Emotionen nicht geblockt werden, sondern sozusagen ausschwingen können.

Der Borderline-Mensch hat meistens auch die ungünstige Kognition: wenn ich das Gefühl ganz zulassen würde, dann würde es mich wegschwemmen. Genau genommen hat er damit sogar recht, denn in der Tat hat er keine Übung darin, eine Emption derart frei ausschwingen zu lassen. Meistens ist er ja übertapfer, sich selbst abwertend, hochkontrolliert, "reißt sich zusammen".

Kein Wunder, daß sich dann innerlich permanente Hochspannungen ergeben. Man muß schon sehr enau beobachten und hinsehen, um das so zu erkennen, oberflächlich stellt sich vieles anders da: der Borderliner als jemand, der immer wieder schlecht drauf ist, dem es auch sichtlich schlecht geht. So weit ich sehen kann, sind dies aber immer wieder "geblockte" Zustände, gerade deswegen können sie auch so unerträglich werden, daß die Suizidgedanken einschießen (wenn man genau beobachtet, eigentlich immer nur bei viel Invalidierungserfahrung und dann meistens gleich einige Sekunden oder höchstens Minuten später).

Schade, daß Mertz diese ganzen konkreten Beobachtungen nicht stärker einbezogen hat, ich ärgere mich momentan, daß er Linehan nicht stärker rezipiert hat.

Wie oben gesagt, stimmt sein ganzes Buch von vorne bis hinten, nur eben auf die unbehandelten Borderliner mit sehr verfestigten Störungsbildern bezogen, ohne Hoffnung auf wirksame Hilfe, ohne Achtsamkeitserfahrungen, und durch die Verstärker in der ewig gleichen unguten Mühle verfangen.

Die phobieartigen Zusammenhänge, oben angedeutet, sind aus psychologischer Sicht besonders spannend, denn Meidung schafft ja eine selbstverstärkende Wirkung. Wenn man nun nicht eine Spinne oder einen Fahrstuhl meidet, sondern den Moment, wo in Mimik und Körperspannung bei einem selbst oder beim anderen z.B. Trauer hochkommt, schafft man eine ganz eigentümliche Realitätserfahrung. Linehan vergleicht es, m.E. wiederum sehr gut beobachtet, mit einem Raum, den man niemals betreten hat und niemals betritt, weil man nie über die Schwelle kommt.

Ich sehe wenig Argumente, warum diese Erfahrung grundsätzlich nicht möglich sein soll, es braucht dafür eben nur bestimmte Voraussetzungen, möglichst kampf- und hierarchiefrei, möglichst als Experte in eigener Sache, möglichst in einer guten Balance von Akzeptanz und Veränderung, die ein Borderliner normalerweise auch niemals in seinem Leben erfahren hat und sich ohne Anleitung und Anstöße von außen auch nicht gut herstellen kann.

Beste Grüße! Ubue

monoma - 19. Mär, 15:59

@ubu

werde erst zum wochenende wieder zeit haben, ausführlicher zu antworten. also nicht wundern ;-)

zwischenzeitlich ist für dich vielleicht auch der neueste artikel zu pränatalen traumata ganz interessant? ich erinnere mich an deine diesbezgl. bemerkungen zu den mertzschen thesen.

gruß
mo
Ubue - 19. Mär, 21:35

Re

Hallo Monoma, bin schon dabei, im neuen "vorgeburtlichen Thread" zu lesen... Was den Mertz-Blog hier anbetrifft, scheint mir wichtig, bei der Diskussion möglichst psychologisch genau zu sein, die soziologische Annäherungsweise ist auch interessant, aber sie liegt deutlich auf einer anderen, mehr überblicksartigen Ebene.

Psychologie at it's best kommt wohl doch nur da zustande, wo eine Fähigkeit, gleichsam "mechanistisch" hinzuschauen, mit einer Gesamtsicht integriert werden kann - für mich hieße das, unspekulativ, sorgfältig, entstehungsorientiert, verstärkerbezogen, unter genauer Berücksichtigung von Kognitionen und Emotionsregulierung hinzuschauen. Ich glaube, Mertz ist selber erstaunlich soziologisch geprägt, je mehr ich darüber nachdenke, nicht wirklich psychologisch, sondern viel mehr sozialphilosophisch oder soziologisch-zeitgeschichtlich.

Ich habe da selber auch viel gelernt und letzlich meine Anschauung auch ziemlich revidiert, vor etlichen Jahren habe ich selber eher sozialpsychologisch gedacht, oder philosophisch, heute interessiert mich von Tag zu Tag mehr die Psychologie abseits von Spekulationen.

Man kann dann die von Mertz berichteten Phänomene auch über Verstärker, über Kognitionen und über Emotionsregulierung erklären, hat dann aber mehr Veränderungsrüstzeug, die ganzen externalen Borderline-Attributionen lösen sich dann nach und nach (aus "man kann nichts machen" wird langsam ein "aha, daran liegt es also").

LG! Ubu

Ubue (Gast) - 24. Mär, 04:28

Weiter

Hallo Monoma,

zum "Verfertigen der Gedanken" ist so ein Thread doch auch immer wieder aufschlußreich. Ich habe mir vorhin noch einmal den ganzen Austausch hier durchgelesen.

Interessant, wie sich einerseits eine soziologische Perspektive zeigt, und andererseits eine möglichst präzise psychologische Betrachtung.

Hier hatte ich gestern noch einen neuen Gedanken: was ist, wenn man den Begriff der Simulation bei Mertz einmal ganz nüchtern dem Begriff des Lernens gegenüberstellt?

Lernvorgänge scheinen ja vorgangsintern fast immer zunächst sehr simulativ abzulaufen. Das Kind plappert nach, ahmt Bewegungen nach, und auch bei Erwachsenen finden täglich viele Nachahmungshandlungen statt, um Neues zu lernen. Ob beim Autofahren-Lernen, bei einem Fußballtraining, oder wenn einem jemand etwas am Computer zeigt: man beobachtet es, versucht es dann selber, korrigiert hier noch etwas nach und übt es dann, bis man es selber kann.

In der Psychologie laufen diese Lernvorgänge unter dem Begriff "Modell-Lernen". An und für sich ist solches Nachahmen und Nachmachen also nichts schlechtes. Ich glaube sogar, daß fast alles, was Menschen können, in seinen Komponenten zunächst nachgeahmt und nachgemacht wird. Auch Schule und Uni funktionieren in vielerlei Hinsicht so, ebenso die meisten Berufsausbildungen. Man bekommt etwas gezeigt, übt es ein, verfestigt die Abläufe und "kann" es irgendwann.

Würde man deshalb von Simulation reden? Sicherlich nicht. Im Gegenteil, man könnte auch von Vorbild-Charakter und Begabung dabei sprechen. Verfeinert werden muß höchstens noch die Fähigkeit, zwischen nachahmenswerten und schädlichen Handlungsweisen zu unterscheiden. Kinder können dies noch nicht so gut, daher an vielen Ameln die Aufkleber: "Sei Vorbild für Kinder, geh nur bei grün!"

Der "Normalbürger" scheint dann Nachahmungsprogramme recht schnell zu übernehmen und stabil beizubehalten. Dagegen scheint der Borderliner an bestimmten Punkten wieder radikal aus Nachahmungsprogrammen, die schon gleichsam fest installiert waren, wieder auszusteigen, um etwas anderes anzufangen.

Gedanken über Authentizität, Echtheit, wahre Gefühle usw. scheinen Borderliner viel mehr zu beschäftigen als den "Durchschnittsbürger, der nicht so viel darüber nachdenkt, sondern einfach handelt, sich gewöhnt und dann verharrt oder langsam, fast unmerklich weiter moduliert.

Der Borderliner scheint stärker in solchen Programmen stecken zu bleiben und muß sich dann befreien, indem er ganz aus dem Status Quo wieder heraustritt. Sogesehen simuliert er eigentlich weniger als der Normalbürger, der das Nachgemachte einfach per Dauer und Habituation übernimmt, in die Kategorie "so bin ich" (Authentizität) überführt und dann verinnerlicht.

Dies könnte einfach eine Folge vorherrschender negativer Verstärker beim Borderliner sein. Interessante Gedanken hat Mertz dazu ja mit dem Begriff des "Verfolgungsintrojektes" herausgearbeitet. Der Borderliner hat Kognitionen wie "ich werde gezwungen", "ich werde festgenagelt", "ich werde überrumpelt", "ich werde unterworfen" und produziert dann ständig die bekannte Gegenbewegungen des Ausbruchsversuches, des Sichwehrens, des Dagegenangehens, auch des Wütens, des Sichweigerns usw.

Dies scheint jedoch nirgendwo simulativ motiviert zu sein, sondern immer im Dienste einer Korrektur weg vom Zwang und hin zur Wiedereroberung von Handlungsspielraum. Nach Simulation sieht es nur oberflächlich aus an dem Punkt, wo dann etwas abreißt. Der Tiefenimpuls ist aber: "ich lasse mich nicht länger unterwerfen, nachdem mir dies schon viel zu lange wieder passiert ist. Ich will frei davon sein, das Vergangene paßte nicht gut genug zu mir, wurde mir nicht gerecht".

Erklären kann man das über eigene Ichschwäche und sehr viel Rechtmachen wohl am besten. Demzufolge wäre der Borderliner dann immer auf der Suche nach einem Zustand, in dem er nicht zu eingeengt und fremdbestimmt ist, erreicht diesen aber aufgrund seiner Abhängigkeit von äußeren Verstärkern nur unter großen Anstrengungen und Auseinandersetzungen mit der symbiotisch gefährlichen Umwelt.

Es entsteht ein Kampfprozeß, den Mertz ja gut beschreibt, wenngleich er die Motive eigentlich seltsam entwertet oder umdreht. Daß die Motive des Borderliners von der hartnäckigen Suche nach dem Authentischen bestimmt werden, erkennt er nicht an, weil er (zutreffend) beschreibt, wie Borderliner diesen Zustand immer und immer wieder verfehlen. Das sieht etwas nach Fehlschluß aufgrund des Erscheinungsbildes aus.

Ebenso die These, der Borderliner könnte gar nicht wirklich trauern: phänomenologisch einerseits hervorragend beobachtet, andererseits vestärkertechnisch von Mertz nicht präzise beschrieben: wenn das Einschießen von (realer!) Trauer vom Borderliner phobisch beantwortet wird, also mit schneller Meidung und Hemmung, sieht es nach außen natürlich so aus, als habe er auch real nichts zu trauern und kenne diesen Zustand gar nicht wirklich.

Vom Verstärker-Zusammenhang her könnte aber einfach nur eine simple phobische Reaktion vorliegen, die brutal eingelernt worden ist durch negative Reaktion der Umwelt auf Trauerreize des Kindes (genau das kann man m.E. tagtäglich in Borderline-Umwelten sehen, das Kind wird dann dafür bestraft).

Dan wäre das äußerliche Erscheinungsbild nämlich genauso: Einschießen von Trauer nur in einem Moment, danach Abblocken und Hemmung, in diesem geblockten Dauerzustand dann leben müssen. Aufgrund dieser Meidung auch noch eine Selbstverstärkung dieser Prozesse.

Sicher eine technische Beschreibung, die mir allerdings präziser und sauberer vorkommt als das äußerliche Diktum von Mertz, Borderliner HÄTTEN gar nichts zu trauern. Die Wirklichkeit dürfte ganz umgekehrt aussehen, nämlich dergestalt, daß in Borderline-Biographien eine Überlast an Traurigem vorhanden ist.

Du schriebst oben, daß in der DBT ein Primat auf die Gegenwart gelegt wird und Traumata gar nicht mehr besprochen werden sollen. Ich habe das ähnlich verstanden, jedoch motiviert dadurch, daß die Emotionsregulierung bei Borderlinern diesem Ansturm erst gewachsen ist, wenn ein Pool von Skills aufgebaut worden ist, mit starken Emotionen zurechtzukommen.

Dies scheint mir ganz außerordentlich plausibel. Man muß dann allerdings wissen, wieso nach dieser Maxime erst einmal neue soft skills aufgebaut werden sollen.

Ich glaube sogar, auf dieser "technischen" Ebene leiten sich dann die meisten Erfolge ab. Es macht keinen Sinn, daß man nicht mit einer "heißen Emotion" umgehen kann, aber gleich an die Traumata rangeht. Ich meine es aber auch so verstanden zu haben, daß hier ein bißchen dialektisch vorgegangen werden soll, so wie wenn man balanciert. Letztlich sollen ja die phobischen und dissoziativen Verhaltensweisen gelockert werden, und das geht ohne Beschäftigung mit dem Trauma nicht.

Man lernt also die skills nicht als Selbstzweck, sondern um Gegengewichte zu den bisherigen ungünstigen Verstärkern zu gewinnen: also ein Mehr an Achtsamkeit, an Impulsverzögerung, mehr Übung, eine Gefühlsreaktion unzensiert in Form einer Welle ausschingen zu lassen, zunehmende Erfahrung, daß man dies aushalten kann, ohne selbst- oder fremddestruktiv zu reagieren.

So kommt man dann wirklich weiter. Ein Fokus liegt dann ganz eindeutig auf den ganzen Emotionsregulierungsprozessen, und das Manko bei Mertz ist halt, daß der die Literatur dazu gar nicht so eifrig rezipiert hat.

Die Diskrepanz zwischen der äußeren Gestalt und den inneren Vorgängen ist ja gerade bei Borderline oft ganz extrem. Dazu könnte man sicher seitenweise Beispiele schreiben.

Eine Ahnung davon muß er aber doch gehabt haben, es gibt Stellen, wo er genau diesen Ansatz als zukunftsweisend betrachet.

LG für heute! Ubue

monoma - 24. Mär, 15:34

hallo ubu,

ich möchte wieder kurz einige punkte herausgreifen, die mir aufgefallen sind:

- zunächst schält sich für mich eine definition von borderline bei dir heraus, die mir eine mögliche variante zu sein scheint - nämlich auf der basis einer grundsätzlich gestörten emotionalen selbstregulation, zu der dann noch chronische bzw. "klassisch-akute" posttraumatische symptome kommen, die wg. der "besonderen" grundaussattung bzgl. emotionaler regulierung dann auch besonders (schlecht) verarbeitet werden können.

das würde dann eher für die these sprechen, borderline als eine besondere form von chronifizierter ptbs anzusehen. das sehe ich, wie schon gesagt, in vielen fällen ähnlich - aber eben nicht in allen.

- dann: ich würde mich nicht auf eine "soziologische" perspektive festlegen lassen - das ich die teils willkürlichen und dem verständnis abträglichen grenzziehungen zwischen einzelnen wissenschaftlichen bereichen als ein teil des problems empfinde, habe ich hier auch schon öfter umrissen. jede soziologie, die nicht vom menschen und seiner psychophysischen struktur bzw. den darin angelegten (un-)möglichkeiten und gesetzen ausgeht, sondern stattdessen mit beliebigen konstruktionen arbeitet, muss zwangsläufig in die irre führen. das gleiche gilt für jede "psychologie", die unausgesprochen von einer art immaterialität der menschlichen psyche ausgeht. das ist heute schlicht und einfach unhaltbar, deswegen auch der mit besser treffende begriff psychophysiologie.

- mit deinen gedanken über das lernen oben liegst du imo richtig, mittels simulationen wird tatsächlich eine ganze menge gelernt. allerdings habe ich hier zum wiederholten male das gefühl, dass du die entsprechenden gedanken zum simulativen bereich bei mertz doch ziemlich mißverstanden hast.

wenn du den beitrag zur pränatalen phase gelesen hast, dann sicher auch die abschnitte zur propriozeptiven wahrnehmung. und das dortige fallbeispiel verdeutlicht meiner meinung sehr gut, was mertz nach meinem verständnis eigentlich beschrieben hat:

den gebrauch der simulativen fähigkeiten zur kompensation grundsätzlicher ausfälle/störungen elementarer wahrnehmungsfähigkeiten.

und das ist etwas ganz anderes als das, was du oben skizziert hast. das modell von mertz geht ja zusammenfassend von folgendem szenario aus:

1. eine bereits pränatal stattfindende - aufgrund fehlender empathischer und in folge dessen kompensatorisch verdinglichender wahrnehmungsfähigkeiten der mutter - massive störung/schädigung der notwendigen körperlich-materiellen grundlagen der beziehungsfähigkeiten (u.a. propriozeption, vielleicht auch die spiegelneuronen u.a.) des embryos.

2. der embryo wird in seiner entwicklung in eine strukturell autistische wahrnehmung gezwungen.

3. und kommt - je nach den jeweiligen ausprägungen der (un-)fähigkeiten der mutter - entweder mit einer mehr oder minder entwickelten "klassisch" autistischen (selbst-)wahrnehmung oder aber mit ebenfalls mehr oder weniger entwickelten simulativen fähigkeiten zwecks kompensation zur welt. diese können aber nicht mehr als "gelernt" betrachtet werden, weil es sich hier um ganz grundlegende umstruktierungen der "formativen phase" handelt, d.h. in dem pränatalen entwicklungsfenster, in dem sich die jeweils zur beziehungsfähigkeit nötigen psychophysischen grundlagen hätten entwickeln sollen, sind die als trigger für die nötigen entwicklungsprozesse dienenden reize/reaktionen seitens der mutter entweder nur verzerrt angekommen oder zum größten teil ausgeblieben oder sogar als "gegensatz" beim embryo empfangen worden - sprich als negativ in form von grundsätzlicher ablehnung, hass und allgemeiner verdinglichung.

und ich finde, dass mertz im rahmen seines modells durchaus recht hat mit der behauptung, dass es sich bei den oben grob skizzierten prozessen um etwas handelt, für das noch keine zutreffende (fach-)sprache vorhanden ist: von "traumatischen lernprozessen" bspw. lässt sich hier nur sehr schlecht reden - diese sind in ihrer herkömmlichen definition tatsächlich reversibel, eine derartige "pränatale umprogrammierung" wie oben jedoch bildet die körperlich-materielle basis des betroffenen menschen - und das ist, zumindest nach meinem verständnis, tatsächlich qualitativ etwas ganz anderes als traumatische erfahrungen bei einer ansonsten relativ gesunden persönlichkeit.

von daher reden wir hier dann doch etwas aneinander vorbei, wie ich finde, weil sich deine bl-definition ziemlich deutlich nicht auf das bezieht, was mertz in seinem modell umrissen hat. für traumata jenseits der mainstreamauffassung der ptbs - also kumulierte (chronische invalidierung), vielleicht auch tradierte - gelten viele deiner aussagen auch aus meiner sicht. aber gerade eben nicht für die bl-variante, die mertz präsentiert hat.

- wofür auch die deinerseits vielfach erwähnte "ich-schwäche" spricht, die mertz eben genau andersherum als geradezu festbetonierte "ich-stärke" begreift - ein ich nämlich, welches sich eigentlich nur in einem starren, rigiden und extrem strukturierten rahmen zu bewegen vermag (und das vielfach zitierte "borderline-chaos" ist ja seiner logik nach eher als versuch zu begreifen, diese extrem starren ich-strukturen immer wieder aufbrechen zu wollen - mit ständigem mißerfolg).

- ein wort noch zu dbt und trauma: das ist vielleicht ein gutes beispiel für das, was ich zuletzt geschrieben habe: klar wird in jeder brauchbaren traumatherapie darauf geachtet, dass vor einer konfrontation mit den traumatischen erinnerungen genügend stabilität in jeglicher hinsicht vorhanden ist. bloß: die entsprechenden aussagen der dbt-therapeuten meinen aus meiner sicht etwas anderes, nämlich tatsächlich eine angeblich nötige grundsätzliche ignoranz gegenüber vorhandenen traumatischen erinnerungsspuren. und wenn ich die dbt - auch aufgrund ihrer verhaltenspsychologischen herkunft - z.t. in ihren methoden für eine art trainingsprogramm des "simulierten authentischen" halte, wundert mich auch mein weiter oben erwähnter "mechanischer" eindruck nicht mehr.

anders: in der - mir bekannten - dbt-logik würde die besondere beschäftigung mit eigentlich traumatischen erinnerungsspuren keinen besonderen sinn machen, weil das zugrunde gelegte bl-modell überhaupt nicht in besonderer weise darauf beruht, sondern vielmehr auf eine innere strukturierung primär mittels kognitiver gerüste wert legt - und das ist nichts anderes als eine objektivistische art und weise von simulativem training.

grüße
mo
Ubue (Gast) - 24. Mär, 20:37

Re

hallo ubu,
ich möchte wieder kurz einige punkte herausgreifen, die mir aufgefallen sind:

Hallo Monoma, nach einigen freieren Postings möchte ich auch mal etwas genauer auf Deine Gedanken eingehen:

Mo: - zunächst schält sich für mich eine definition von borderline bei dir heraus, die mir eine mögliche variante zu sein scheint - nämlich auf der basis einer grundsätzlich gestörten emotionalen selbstregulation, zu der dann noch chronische bzw. "klassisch-akute" posttraumatische symptome kommen, die wg. der "besonderen" grundaussattung bzgl. emotionaler regulierung dann auch besonders (schlecht) verarbeitet werden können.

Ue: ja, kommt hin. Das entspricht dem internationalen Mainstream der aktuellen Borderline-Forschung, wie er beispielsweise auf Kongressen wiedergegeben wird (vgl. z.B. Zusammenfassungen bei Bohus). Und hast Du einmal Komorbiditätsstudien zu Borderline gelesen? Es gibt z.B. eine Dissertation dazu, wo nichts anderes gemacht worden ist, als Komorbiditäten zu bestimmen. Da kommen dermaßen viele Möglichkeiten heraus, daß man von fast ungezählten "Oberflächen-Varianten" sprechen kann (z.B. Borderline mit dissozialer Persönlichkeit oder ohne, man spricht dann von Subtypen). Was Du mit "Variante" bezeichnest, würde ich genau deshalb mehr als den "invarianten" Teil der Boderline-Störung bezeichnen, der komorbiditäts-unabhängig immer vorliegt, wenn von Borderline gesprochen wird.

Mo: das würde dann eher für die these sprechen, borderline als eine besondere form von chronifizierter ptbs anzusehen. das sehe ich, wie schon gesagt, in vielen fällen ähnlich - aber eben nicht in allen.

Ue: ja, das scheint sehr sinnvoll, insbesondere die Beachtung der anlagemäßig sehr labilen Verfaßtheit des Erregungssystems (vgl. auch die gängigen Theorien im Sinne eines Vulnerabilitäts-Streß-Modells). Der chronifizierte Trauma-Anteil ist der Streß-Anteil, der Vulnerabiliätsanteil liegt z.B. in der eigenen Erregbarkeit und Schwierigkeit, sich selber wieder zu beruhigen.
Das bedingt sich dann lebensgeschichtlich und erzeugt eine besondere Situation, weil so jemand ein viel höheres Risiko hat, gemaßregelt, bestraft, nicht angehört usw. zu werden.

Mo:- dann: ich würde mich nicht auf eine "soziologische" perspektive festlegen lassen - das ich die teils willkürlichen und dem verständnis abträglichen grenzziehungen zwischen einzelnen wissenschaftlichen bereichen als ein teil des problems empfinde, habe ich hier auch schon öfter umrissen. jede soziologie, die nicht vom menschen und seiner psychophysischen struktur bzw. den darin angelegten (un-)möglichkeiten und gesetzen ausgeht, sondern stattdessen mit beliebigen konstruktionen arbeitet, muss zwangsläufig in die irre führen. das gleiche gilt für jede "psychologie", die unausgesprochen von einer art immaterialität der menschlichen psyche ausgeht. das ist heute schlicht und einfach unhaltbar, deswegen auch der mit besser treffende begriff psychophysiologie.

Ue: ja, das halte ich beides auch für grundlegend. Der Punkt ist für mich, inwieweit z.B. Vorgänge beim Lernen, bei Verstärkern oder bei der Ausregulierung von Emotionen berücksichtigt werden. Es läßt sich ja schnell zeigen, wo man hier ansetzen kann, und nachprüfen, ob jemand dies berücksichtigt oder nicht. Das liegt natürlich auch an den jeweiligen Kenntnissen. -

Mo: - mit deinen gedanken über das lernen oben liegst du imo richtig, mittels simulationen wird tatsächlich eine ganze menge gelernt. allerdings habe ich hier zum wiederholten male das gefühl, dass du die entsprechenden gedanken zum simulativen bereich bei mertz doch ziemlich mißverstanden hast.

Ue: vielleicht sind es Mißverständnisse, die zu diesem Eindruck führen, bin mir da auch nicht ganz sicher. Ist ja ein offener Gedankenaustausch im Moment, in dem ich auch versuche, manchen Gedanken weiter zu entwickeln.

Mo: wenn du den beitrag zur pränatalen phase gelesen hast, dann sicher auch die abschnitte zur propriozeptiven wahrnehmung. und das dortige fallbeispiel verdeutlicht meiner meinung sehr gut, was mertz nach meinem verständnis eigentlich beschrieben hat:
den gebrauch der simulativen fähigkeiten zur kompensation grundsätzlicher ausfälle/störungen elementarer wahrnehmungsfähigkeiten.

Ue: ja, das ist ein hervorragender Gedanke.

Mo: und das ist etwas ganz anderes als das, was du oben skizziert hast.

Ue: ergibt aber m.E. nicht unbedingt einen wirklichen Widerspruch, könnte sich im Gegenteil auch sehr elegant ergänzen.

Mo: das modell von mertz geht ja zusammenfassend von folgendem szenario aus:

1. eine bereits pränatal stattfindende - aufgrund fehlender empathischer und in folge dessen kompensatorisch verdinglichender wahrnehmungsfähigkeiten der mutter - massive störung/schädigung der notwendigen körperlich-materiellen grundlagen der beziehungsfähigkeiten (u.a. propriozeption, vielleicht auch die spiegelneuronen u.a.) des embryos.

Ue: Finde ich interessant und in der Vergangenheit zweifellos viel zu wenig beachtet.

Mo: 2. der embryo wird in seiner entwicklung in eine strukturell autistische wahrnehmung gezwungen.

Ue: siehe oben

Mo: 3. und kommt - je nach den jeweiligen ausprägungen der (un-)fähigkeiten der mutter - entweder mit einer mehr oder minder entwickelten "klassisch" autistischen (selbst-)wahrnehmung oder aber mit ebenfalls mehr oder weniger entwickelten simulativen fähigkeiten zwecks kompensation zur welt. diese können aber nicht mehr als "gelernt" betrachtet werden, weil es sich hier um ganz grundlegende umstruktierungen der "formativen phase" handelt, d.h. in dem pränatalen entwicklungsfenster, in dem sich die jeweils zur beziehungsfähigkeit nötigen psychophysischen grundlagen hätten entwickeln sollen, sind die als trigger für die nötigen entwicklungsprozesse dienenden reize/reaktionen seitens der mutter entweder nur verzerrt angekommen oder zum größten teil ausgeblieben oder sogar als "gegensatz" beim embryo empfangen worden - sprich als negativ in form von grundsätzlicher ablehnung, hass und allgemeiner verdinglichung.

Ue: Prägungsvorgänge, ok, wobei ich glaube, daß man auch für den embryonalen Bereich von vielen Rückkopplungen im Sinne von Lernergebnissen ausgehen muß, insbesondere so etwas wie "erlernte Hilflosigkeit" ließe sich wahrscheinlich auch embryonal schon induzieren, auf einer sehr groben, aber wirksamen Ebene, falls z.B. auf Strampeln des Kindes nicht reagiert wird oder sogar negativ verstärkt wird (dann erst recht schädigende Verhaltensweisen der Mutter).

Mo: und ich finde, dass mertz im rahmen seines modells durchaus recht hat mit der behauptung, dass es sich bei den oben grob skizzierten prozessen um etwas handelt, für das noch keine zutreffende (fach-)sprache vorhanden ist: von "traumatischen lernprozessen" bspw. lässt sich hier nur sehr schlecht reden - diese sind in ihrer herkömmlichen definition tatsächlich reversibel, eine derartige "pränatale umprogrammierung" wie oben jedoch bildet die körperlich-materielle basis des betroffenen menschen - und das ist, zumindest nach meinem verständnis, tatsächlich qualitativ etwas ganz anderes als traumatische erfahrungen bei einer ansonsten relativ gesunden persönlichkeit.

Ue: ja, das leuchtet mir auch ein. Ich sehe nur nicht, wieso sich die beiden Positionen wirklich widersprechen. Was hindert einen, nachher beim erwachsenen Menschen einmal genau die Verstärker durchzuklappern, die einen Borderline-Menschen im objektiven Modus gefangen halten? Diese Verstärker lassen sich doch genau benennen, sie funktionieren teils wie "Wächter" und sind zweifelsohne ganz hochwirksam, um ein objektiviertes Notverhalten weiter zu zementieren. Andere Erfahrungsbereiche bleiben dann zwangsläufig unterentwickelt, zum Beispiel kann sich keine angemessene und variable "theory of mind" entwickeln.

Mo: von daher reden wir hier dann doch etwas aneinander vorbei, wie ich finde, weil sich deine bl-definition ziemlich deutlich nicht auf das bezieht, was mertz in seinem modell umrissen hat. für traumata jenseits der mainstreamauffassung der ptbs - also kumulierte (chronische invalidierung), vielleicht auch tradierte - gelten viele deiner aussagen auch aus meiner sicht. aber gerade eben nicht für die bl-variante, die mertz präsentiert hat.

Ue: Ich sehe darin überhaupt keinen Gegensatz. Warum soll denn nicht beides der Fall sein, eine schon embryonal ungünstige Umwelt, und später im Erwachsenenalter zahlreiche ungünstige Verstärker-Implantierungen? Das ist doch viel wahrscheinlicher, wenn man das Agieren im Borderline-Milieu vor und nach der Geburt sieht. Die Geburt ist hier eine bedeutsame Zeitschwelle, das Milieu-System wird aber generationenübergreifend schon ziemlich stabil sein, wie Mertz es auch darstellt. Das Baby erlebt sogesehen vor und nach der Geburt nur jeweils dasselbe System, einmal im Bauch, einmal im Außenraum.

Mo: - wofür auch die deinerseits vielfach erwähnte "ich-schwäche" spricht, die mertz eben genau andersherum als geradezu festbetonierte "ich-stärke" begreift - ein ich nämlich, welches sich eigentlich nur in einem starren, rigiden und extrem strukturierten rahmen zu bewegen vermag (und das vielfach zitierte "borderline-chaos" ist ja seiner logik nach eher als versuch zu begreifen, diese extrem starren ich-strukturen immer wieder aufbrechen zu wollen - mit ständigem mißerfolg).

Ue: ja, hier liegt auch meiner Meinung nach eine außerordentliche Stärke bei Mertz: Borderline nicht als die "instabile Störung", sondern eigentlich als ein unmoduliertes, starres Hängenbleiben in bestimmten Formationen, so wie geronnen, und dann der jeweilige Versuch, daraus immer wieder auszubrechen. Das kann man mit der embryonal ungünstigen Umgebung vielleicht bereits ansatzweise erklären hier fehlt es natürlich an Forschung und an Verbreitung solcher Erkenntnisse im Wissenschaftsbereich), ebenfalls erklären kann man es aber auch mit konkreten späteren Verstärkermustern, z.B. über ungünstige eingelernte Attribuierungsmuster, die zur Passivität führen - vgl. die hervorragende Beschreibung bei Linehan vom Muster der "aktiven Passivität" bei Borderlinern, die fast immer in ihrer sozialen Kompetenz von anderen Menschen ÜBERschätzt werden.

Mo: - ein wort noch zu dbt und trauma: das ist vielleicht ein gutes beispiel für das, was ich zuletzt geschrieben habe: klar wird in jeder brauchbaren traumatherapie darauf geachtet, dass vor einer konfrontation mit den traumatischen erinnerungen genügend stabilität in jeglicher hinsicht vorhanden ist.

Ue: Darauf wird in sehr vielen dokumentierten Fällen viel zu wenig geachtet. Es reicht ja schon, einen Borderliner eine Kurzbiographie schreiben zu lassen, dann klappt so jemand oft schon wochenlang wieder zusammeng. Leute wie Reddemann oder Sachse haben darauf ebenso hingewiesen wie Linehan, Bohus, Stiglmayer usw.

Mo: bloß: die entsprechenden aussagen der dbt-therapeuten meinen aus meiner sicht etwas anderes, nämlich tatsächlich eine angeblich nötige grundsätzliche ignoranz gegenüber vorhandenen traumatischen erinnerungsspuren.

Ue: ist mir so bisher nirgendwo wirklich in der DBT begegnet. Eigentlich sehe ich den wissenschaftlichen Mainstream der Psychologie im Moment umgekehrt: "Trauma first" (vgl. z.B. die Standardwerke von Peter Fiedler), so bald die skills dazu reichen, und die DBT als Versuch, Basiskompetenzen für eine Begegnung mit der eigenen Biographie zu schaffen. Es kann natürlich sein, daß in der Realität psychiatrischer Stationen um die Traumata herumgetanzt wird wie um den heißen Brei, oder daß Borderliner, weil sie fast immer extrem ungeduldig sind, sofort alles oder nichts erwarten. Ich denke, es dauert durchschnittlich etwa fünf Jahre, bis man bei schwerem Borderline so viel Kompetenzen aufgebaut hat, daß sie verinnerlicht wurden und diese Fähigkeiten wie Achtsamkeit einigermaßen stabil zu steuern sind.

Mo: und wenn ich die dbt - auch aufgrund ihrer verhaltenspsychologischen herkunft - z.t. in ihren methoden für eine art trainingsprogramm des "simulierten authentischen" halte, wundert mich auch mein weiter oben erwähnter "mechanischer" eindruck nicht mehr.

Ue: Das finde ich nicht wirklich logisch. Der mechanistische Eindruck ist, wie ich schon schrieb, durchaus zutreffend. Doch woran liegt das? Meines Erachtens an der präzisen Herangehensweise. Die meisten Borderliner schauen doch zunächst auch kognitiv nicht besonders genau hin. Sie versemmeln sozusagen hunderte von Infos pro Stunde, weil sie ziemlich egozentrisch gefangen sind. Stattdessen neigen sie zu einem "magischen" Denken ("ich habe es doch gesagt!", "er WUßTE es doch" usw. usf., ohne daß dies stimmen muß.
Diese Kompetenzen der Kommunikation überhaupt etwas weiter zu entwickeln, finde ich ebenso notwendig wie wirklich hilfreich. Alles andere wäre Vogel-Strauß-Politik oder Verweigerung erforderlicher Fähigkeiten. Beispiele wären Achtsamkeitsmodule, Übungen zur Reaktionsverzögerung und kognitive Methoden der Informationsaufnahme (Erkundung) usw. usf. Damit verringert man unter Umständen jahrzehntelange Leiden. Es dauert m.E. wie gesagt ungefähr fünf Jahre im Durchschnitt, bis sowas sozusagen "systemdominant" wird, lohnt sich aber (und kann ja auch durch ständige Fortschritte in dieser Zeit unterstützt werden!)

Mo: anders: in der - mir bekannten - dbt-logik würde die besondere beschäftigung mit eigentlich traumatischen erinnerungsspuren keinen besonderen sinn machen, weil das zugrunde gelegte bl-modell überhaupt nicht in besonderer weise darauf beruht, sondern vielmehr auf eine innere strukturierung primär mittels kognitiver gerüste wert legt - und das ist nichts anderes als eine objektivistische art und weise von simulativem training.

Ue: In der Haupttheorie zur Invalidierung liegt meines Erachtens eine Beschreibung des Kernmechansimus der Schädigung vor. Besonders spektakuläre "Traumata" sitzen sozusasgen wie Schaumkronen auf diesen Kernmechanismen auf und fesseln dann naturgemäß besonders die Aufmerksamkeit. Ich glaube, schwere Traumata ohne Einbettung in invalidierenden Kontext sind aber eher die Ausnahme als die Regel.
Es ist lohnenswert, sich diese "Alltagsmechanismen" der Invalidierung mal Stück für Stück zu vergegenwärtigen. Sicherlich unspektakulärer, aber wahrscheinlich viel effektiver als der "Generalangriff auf ein Trauma". Wenn man schweres Trauma und chronische Invalidierung zusammen denkt, wofür die Erfahrungsdaten sprechen, ist das doch alles gar kein Widerspruch.

Als Anregung könnte man z.B. mal sammeln, durch welche Mechanismen bei einem Erwachsenen der objektivierte Modus eigentlich beibehalten und quasi auf Dauer gestellt wird. Das sind doch lauter konkrete Verstärker: z.B. wird erkundender Blickkontakt meistens eher abgelehnt (klar, das ist ja auch phobisch eingelernt). Toll, dann kann man natürlich auch nur einen Bruchteil von Erfahrungen sammeln.
Außerdem blockt starke einschießende Spannung die ganze kognitive Wahrnehmungkraft (fast in der Wirkung einer Anästhesie des Verstandes). Ohne ein Runterfahren der high emotions kannst Du doch im sozialen Kontext gar nicht mehr richtig gegenseitig kommunizieren bzw. den anderen wahrnehmen.

Also landet man (mal wieder) bei Fragen der Emotionsregulierung und hat einen Ansatz, Borderline über das ständige Auftreten von hochschießenden Spannungen (als Hauptkriterium) zu definieren.

Gruß und Dank für den interessanen Austausch!

Ubue

Ubue (Gast) - 25. Mär, 00:33

Zitat

Hallo Monoma, weil ich den Austausch sehr interessant finde, möchte ich noch mal auf den Absatz in Deiner Antwort eingehen, der mir besonders zentral vorkommt:

Monoma schrieb: "in der - mir bekannten - dbt-logik würde die besondere beschäftigung mit eigentlich traumatischen erinnerungsspuren keinen besonderen sinn machen, weil das zugrunde gelegte bl-modell überhaupt nicht in besonderer weise darauf beruht, sondern vielmehr auf eine innere strukturierung primär mittels kognitiver gerüste wert legt - und das ist nichts anderes als eine objektivistische art und weise von simulativem training."

Das ist interessant formuliert, finde ich. Mit dem Satz "legt Wert auf eine innere Strukturierung primär kognitiver Gerüste" hätte ich keine Probleme. Hinzufügen könnte man noch: "auf eine Umstrukturierung ungünstiger kognitiver Gerüste", dann wäre es noch etwas stärker auf die Intention bezogen.

Dann schreibst Du: "das ist nichts anderes als eine objektivistische art und weise von simulativem training."

Hier mußte ich erst mal eine Weile überlegen. "Eine Art von Training" sehe ich auch so. "Eine objektivistische Art von Training" - hier stutze ich schon stärker.

Ich sehe Kognitionen sehr stark mit Emotionen verflochten. Ich würde eher formulieren: "Das ist ein Training, das unter anderem auf die Auswirkungen bestehender Kognitionen ausgerichtet ist". Warum ist so ein Ansatz objektivistisch? Vergleichen kann man es etwa mit den Ansätzen von Beck zur Depression. Da hat er einfach Kognitionen gesammelt, die depressonsverstärkend sind (z.B.: "da kann man nichts machen").

Objektivistisch intendiert ist der Ansatz eigentlich doch gar nicht, sondern eigentlich will man ja die Depression wegbekommen. Sogesehen sind die Depressionen eine Art Folge der ungünstigen Kognitionen. Es ist dann einfach logisch, sich das klar zu machen, denn wozu hat man Vernunft und Selbstverantwortung? Die Zusammenhänge sind auch recht leicht erklärbar.

Du schreibst oben sogar noch deutlicher: "das ist nichts anderes als eine objektivistische art und weise von simulativem training."

Bei dem "simulativen Training" stimme ich Dir sogar teils zu, was die ersten Schrittversuche angeht. Natürlich mag eine Achtsamkeitsübung für einen Borderliner am Anfang eher ungewöhnlich sein, weil er sonst z.B. gewohnt war, nicht so fein auf seinen Körper zu achten.

Die Frage wäre nun, ob durch ein längeres Training die ganze Wahrnehmung sich verändert. Mertz würde das wahrscheinlich bestreiten. Real habe ich aber bisher ganz anderes erlebt. Zumindest manche Borderliner kommen sehr gut mit Übungen zu Mindfulness klar. Es ist ein Gegensatz-Programm zu dem, was sie vorher oft gemacht haben:
- vorher wurde die ganze Zeit invalidiert, von außen, aber auch über Selbstinvalidierung (Nicht-Ernstnehmen von Bedürfnissen, Selbstabwertung, Zusammenreißen, phobische Reaktionen auf hochkommende Gefühle, Erfahrung von persönlichen Gefühlsausbrüchen und nachfolgend noch stärkere Unterdrückungsversuche, damit Entstehung eines noch ungünstigeren Musters...)

- nun übt jemand (vielleicht zum esten Mal im Leben) mit jemandem ein, achtsam auf die eigenen Körpersignale zu sein, seine Wünsche, Interessen und Bedürfnisse ernst zu nehmen, zu spüren, dann zu signalisieren usw.

Mertz würde wahrscheinlich wieder sagen: hoffnungslos, beim Borderliner ist da nichts mehr zu holen, die Authentizitätspotentiale sind erloschen und verpfuscht. Real kann ich das aber auch nicht bestätigen. Es kommt mir eher so vor, als ob bei wirklich erloschenen Authentizitätspotentialen auch das Leiden zu Ende wäre.

Das hochdramtische Leiden vielder Borderliner scheint aber eher durch den lebenslang vergeblichen Ansturm innerer authentischer Gefühle, Wünsche und Gedanken zu entstehen, die immer wieder weggeblockt, in Linehans Theorieprache "invalidiert" werden.

Das Faszinierende ist, daß man m.E. genau das tatsächlich im Alltag auch ununterbrochen erleben kann. Borderliner verhalten sich ja nicht neutral auf Invalidierung, sondern sind nirgendwo so hochverletzbar wie darauf, nicht ernst genommen zu werden, nicht gesehen zu werden, bevormundet zu werden, nicht verstanden zu werden, ignoriert zu werden, zurückgewiesen zu werden usw. usf, weil sie genau das schon Zeitlebens so oft erleiden mußten.

Bei erloschenen authentischen Potentialen wäre hier auch wenig an akutem Leiden mehr denkbar, man hätte sich dann eher damit arrangiert, halt nur auf der manipulativen und objektivierten Ebene zu agieren.

Insofern interessant, daß Du die kognitiven Ansätze einer objektivistischen, simulativen Ebene zuordnest. Wenn man sich klar macht, daß vermutlich alle Menschen auf der Welt eine Menge jeweiliger Kognitionen in ihrem Kopf gebildet haben (nenne es Motto, Maxime, Skript, Vorurteil oder wie auch immer), müßten die ja auch alle objektivistisch funktionieren.

Hier kann man glaube ich mit Mertz sagen: Differenzierung ist wichtig. Welche Kognitionen sind objektivitätsfördernd? Welche führen zu einem achtsameren Umgang mit sich selber oder zu einem verbesserten Informationsprozeß?

Oder: Welche Kognitionen verhindern das wellenartige Ein- und Ausschwingen von Gefühlen, ohne daß es einen langen Stau oder einen Ausbruch gibt?

Oder: Welche Kognitionen sind denn eigentlich bei Borderlinern überhaupt vorherrschend? Was konnte - ab Mutterleib und später in der Erziehungsumgebung - implantiert werden? Was ist typisch für Borderliner?

Solche Aufklärungen fände ich nicht objektivistisch. Da würde ich eher sagen, man kommt sozusagen an die Wurzel vielen Übels.

Naja, ich werde darüer auch noch mal weiter nachdenken. Gruß! Ubu(e)

pete (Gast) - 25. Mär, 13:35

...

nebelschwaden oder intellektuelles-pseudo-borderline?

langsam, aber sicher,
kommt man zu dem gefühl, dass
entweder jemand die nebelmaschine angemacht hat
oder jemand sich im existentialismuswald verlaufen hat...
monoma - 26. Mär, 12:59

@ubu

für den moment nur kurz ein paar anmerkungen:

meiner meinung nach bist du am punkt der "pränatalen umprogrammierung" zu optimistisch, was die mögliche reversibilität angeht.

gerade die entsprechenden ausführungen von mertz dazu gehörten für mich bei der lektüre zu den verstörendsten.

und nochmal, es geht dabei nicht um wie auch immer gelerntes, sondern einen massiven einfluß während der entwicklungsphase bestimmter materieller strukturen, die für bestimmte soziale fähigkeiten unverzichtbar sind. wie gesagt, das halte ich qualitativ für einen ziemlichen unterschied.

um nochmals auf das beispiel der frau mit der gestörten propriozeptiven wahrnehmung aus dem artikel zur pränatalen phase zu kommen: diese frau hatte vergleichsmöglichkeiten zu ihrem vorherigen zustand, da die störung erst postnatal aufgetreten ist. aber auch da lässt sich schlecht davon reden, dass sie den eigentlichen defekt irgendwie "verlernen" könnte. sie konnte offensichtlich lernen, die folgen mittels simulationen der verlorengegangenen fähigkeiten zu kompensieren, aber so, dass der als-ob-charakter augenscheinlich für außenstehende wahrnehmbar wurde.

verlegen wir dieses beispiel mal hypothetisch in den mutterleib: eine entsprechende schädigung würde sich auf die gesamte entwicklung des embryos auswirken, mit vielfältigen konsequenzen. der prozeß wurde vom zitierten autor nachvollziehbar und vielleicht nicht ganz zufällig auch in einer ähnlichen logik wie der von mertz beschrieben, ich zitiere den abschnitt nochmal:

Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst. An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern (!!! mo). In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.

wenn das "phänomenale loch im subjektiven erlebnisraum" nun schon pränatal entsteht, kommt ein mensch zur welt, der nicht nur nichts anderes kennen kann, sondern mangels eigener erfahrung auch keinerlei konzepte des verlorenen bzw. niemals entwickelten entwerfen kann, außer objektivistischen konstruktionen. und wie gesagt, das halte ich für etwas sehr anderes als einen gewöhnlichen lernvorgang. auch die möglichen simulativen kompensationen fallen für mich nicht darunter.

der begriff des "phänomenalen loches" passt übrigens wie angegossen für das, was mertz in seinem modell herausgearbeitet hat - es fehlen einfach existenzielle fähigkeiten, primär solche der (selbst-)wahrnehmung.

dann ein anderer punkt: für mich stellst du die opferseite von borderline zu stark heraus - du weißt sicherlich, was auch die von dir beschriebenen bl-menschen für beziehungshöllen entfachen können - jeder blick in ein angehörigen-forum spricht da bände.

und zur dbt: meine informationen stammen zum großteil aus persönlichen erlebnisberichten.

werde versuchen, in den nächsten tagen nochmals genauer zu antworten.

gruß
mo
Ubue (Gast) - 26. Mär, 12:10

@ Pete: auf wen oder was beziehst Du Dich mit den "Nebelschwaden und pseudo-intellektuelles Borderline"?

Auf den Ansatz bei Mertz? (könnte einleuchten, weil er so wenig zu konkreter Therapie sagt und sehr soziologisch rangeht)

Auf den Ansatz bei Lonehan? (würde mir persönlich nicht einleuchten, weil sie so genaue Bedingungsanalysen macht und konkret über eine Fülle von Therapie-Bausteinen berichtet)

Oder auf die Diskussion hier? (fände ich verständlich, vor allem dann, wenn man mit den ganzen Ausgangstexten nicht so vertraut ist).

@ Monoma: man könnte sicher die Linehan-Theorien auch mal kritisch lesen. Ich werde das vielleicht auch mal versuchen, ähnlich wie bei Mertz, wo ich erst alles in seinem Sinne zu verstehen versucht habe.

Linehan's Theoriebuch ist ein so großer "Steinbruch" an konkreten Vorschlägen und Wirkungsanalysen, daß man lange damit zu tun hat.

- Noch eine andere Frage mir ein: ist Linehan's Weg nun ein Ausweg aus dem "Als-ob"? Oder nur eine Meta-Ebene von noch forciertem Als-Ob?

Ich denke, sie selber würde sagen, es ist einfach ein Versuch der Problemlösung.

- Und: was wäre, wenn man Als-Ob-Welten wirklich über ihre Methode nach und nach auflösen könnte? Schließlich scheint "Validierung" bei ihr sinngemäß genau das Gegenteil von "als-ob" zu bedeuten.

Ubue (Gast) - 27. Mär, 02:15

Als-Ob-Welt so sein lassen?

@ Monoma: zugegeben stellen sich auch mir die Fragen, die Du aufwirfst (wie schwer und irreversibel ist dievorgeburtliche Schädigung bei Borderlinern?, wird die Destruktivität erwachsener Borderliner genügend berücksichtigt?).

Doch was folgerst Du nun generell daraus? Sollte man alle Borderliner in eine Extrastadt bringen und dann eine Mauer drum bauen? Ich will kein Zyniker sein, und das Projekt der Vernichtungslager beschreibt Mertz ja selber schon in seinem Buch als objektivistisch gesteuerte Hölle. Das kann es doch nicht sein.

Soll man auf Therapie verzichten? Oder sich damit zufriedengeben, Borderlinern ihren irreversiblen ich-losen, nicht-authentischen Charakter zur Akzeptanz zu bringen? Das kann es angesichts so vieler junger betroffener Menschen doch auch nicht sein. Zumindest, wenn man - wie Pete andeutet - auch konkret sieht, wie hier Menschen an sich selber leiden können, ganz untheoretisch und unnebelhaft.

Ein Gedanke, den ich noch hatte, war: was wäre denn, wenn sich das ganze Als-Ob tatsächlich auch bei schweren Borderlinern prinzipiell weitgehend auflösen läßt? Fallen Dir dann die Referenzpunkte Deiner Weltwahrnehmung zu sehr weg? In gewisser Weise scheinst Du ja auch an den Als-Ob-Realitäten sehr zu hängen, oder ist dieser Eindruck bei mir ganz unzutreffend? Du widmest Dich ihnen ja ausdauernd und leidenschaftlich.

Hast Du irgendwo noch ein besseres Therapieprogramm für Borderliner gesehen als das von der DBT? Ich kenne keines, die psychoanalytischen Programme überzeugen mich bei Borderline nicht, weil die Selbststabilität bei Borderlinern dafür fehlt und stattdessen die Krisen nur noch höher schlagen.

Oder willst Du Dich mit der Beschreibung von Als-Ob-Welten sozusagen zufrieden geben? Ich merke nur bei mir, daß mir das nicht gelingt, obwohl wir zweifellos teils sehr ähnliche Interessenlagen haben.

Selbst die allerschwersten erwachsenen Borderliner haben - als Menschen - und wenn sie noch so verkümmert und kaputt sind - viele lebendige Systeme: sie können zweifellos sehr leiden, sie nehmen psychischen Schmerz extrem stark wahr, das trifft gerade auf die schlimmsten Fälle noch zu. In dieser Hinsicht ist Mertz teils einfach denunzierend und wieder zu sehr am "blanden" Borderliner orientiert.

Borderliner wirken, so weit ich sehe, in der Regel eventuell äußerlich etwas abgestumpft (durch viele scheinbar gleichmütig betriebene destruktive Handlungen verstärkt sich dann noch dieser Eindruck), jedoch innerlich eher sensibler als der Durchschnitt, innerlich im Alarm, hochempfindlich und mit ihrem schweren Verfolgungsintrojekt quasi ununterbrochen beschäftigt ("ich werde vernichtet, ich kämpfe so um meine Existenz" sind ganz typisch).

Auch viele Lernmechanismen sind unzweifelhaft bei erwachsenen Borderlinern weiterhin da, wenn auch immer die ungünstige Verstärkungsform dominiert. So z.B. das Abblocken aufkommender Gefühle mit der Folge noch höherer innerer Spannungen - und ab und zu nachfolgender großer Ausbrüche - oder das Hängenbleiben in für das Individuum unangnenehmen Zuständen auf sehr lange Zeit.

Es gibt auch Borderliner, die einmal anfangen zu weinen und dann tagelang nicht mehr aufhören können, also auch das Trauersystem ist nicht gänzlich kaputt.

Inwieweit echte Kommunikation durch den Borderliner mit einem anderen Menschen entstehen kann, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Was ich da bisher von Borderliner-Seite kenne, macht mich auch ziemlich skeptisch. Allein das überwertige Verfolgungsgefühl schließt oft jedes wirkliche Hinsehen von Borderliner auf andere aus (lerntheoretisch dominiert dann stattdessen ununterbrochene Verteidigung, Rechtfertigen, Abschuldigen des anderen, Unterstellen böswilliger Motive beim anderen, Kampfstellung, außerordentliche Wut usw.). Das ist sozusagen die schlimmste psychotische oder präpsychotische Seite bei Borderlinern - "alle sind immerfort gegen mich, auch xy".

Hier könnte man jedoch sicher noch wenigstens versuchsweise weiter an anderen Erfahrungen arbeiten. Und zwar grundsätzlich mit mehr Erfolg, wenn jemand es selber versucht, als wenn er immer nur hofft, ANDERE richten es für ihn. Es ist dann sicher auch eine Altersfrage. Ich glaube, bei Menschen über 40 oder 50 wird man das Verfolgungsintrojekt gar nicht mehr richtig wegkriegen. Man muß auch bedenken, daß viele dieser älteren Menschen noch aus der KZ-Zeit, dem Weltkrieg, den Flüchtlings-Trecks, der schwarzen Pädagogik usw. entscheidend negativen Prägungen ausgesetzt waren.

Ein Hauptziel wäre ja, daß ein Borderliner überhaupt fähig wird, andere Bedürfnisse und Gedanken eines anderen Menschen wahrzunehmen und mit Respekt zu achten. Ich bin hier auch skeptisch, diese Fortschritte sind mühsam, und vielleicht auch körperlich nicht mehr voll möglich (verkümmerte Spiegelneuronen oder ähnliche Vorgänge wie streßinduzierte Verkümmerung - oder pathologische Vergrößerung - von Hirnregionen).

Mich werden die konkreten Ansätze wie in der DBT immer weiter sehr interessieren, es kann aber auch sein, daß ich nun mal langsam zu einer kritischen Lektüre übergehe, wie ich mich auch von Mertz wieder etwas weg bzw. weiter zu entwickeln versuche. Wenn Du noch neue Gedanken zu diesen Themen hast, schreibe sie ruhig, auch wenn es später mal ist, ich werde öfter mal wieder hier reinschauen.

Bei Mitlesern, die hier nicht mehr in den Texten mitgekommen sind, kann ich nur sagen: Mertz selber ist sehr schwer zu lesen, Linehans Theoriebuch ist auch eine Schwarte, die wohl die wenigsten Menschen komplett durchgeackert haben, also: kann schon sein, liegt auch in der schwierigen Natur der Sache.

Viele Grüße! Ubu(e)
pete (Gast) - 27. Mär, 12:01

Ein Parasit, der ohne Wirt nicht leben kann oder auch Borderline.

"Was ist ein Mensch ohne Gewissen?
Was ist ein Mensch der nur über andere lebt?
Was ist ein Mensch der andere nur benutzt und manipuliert?
Was ist ein Mensch ohne Ich und ohne Bezug zur Realität?
Was ist ein Mensch der nur parasitäre Beziehungen leben kann?"

therapie? dbt? linehan? mertz? philosophie? heinz k.? buddhismus?
am ende doch alles nur augenwischerei?

"...Es ist ungerecht, dass ich für mein eigenes Leben Verantwortung tragen muß, das macht mir keinen Spaß, also sollst auch du keinen Spaß haben.Für den Borderliner ist ein Mensch nur dann interessant, wenn dieser ihm die Möglichkeit bietet, vom Borderliner als Sündenbock oder Unterdrücker (oder beides abwechselnd) in Anspruch genommen zu werden.Erst dann gibt der andere ihm etwas, nämlich einen Anhaltspunkt für seinen Masochismus oder Sadismus. Wo dies fehlt, ist für ihn auch keine Beziehung. Wird ihm dieser Beziehungspunkt entzogen, fühlt sich der Borderliner erst recht in seinem Haß bestätigt.Der Borderliner fühlt sich einer grausamen inneren Leere ausgeliefert, aus der er sich wiederum nur durch abgrundtiefen Haß befreien kann. Jemand der etwas von dem Borderliner will, ist zugleich jemand, der dem Borderliner etwas gibt. Will derjenige nichts mehr von ihm, wird er von ihm attakiert. Dies bedeutet für den Borderliner grausame Versagung, er baucht das Gefühl der Macht, sei dies Allmacht oder Ohnmacht. Ersteres erlaubt ihm, letzteres rechtfertigt ihm das ungezügelte Aussagieren seines Hasses. [...]Ungezügelter Haß und schwerer Sadismus in Abgrenzung von bloßer Abgebrühtheit und Schadenfreude sind wesentliche Kennzeichen seiner Charakterstruktur. [...]Es ist dem Borderliner wichtiger, dem anderen zu schaden, als sich selbst zu nutzen. Der Borderliner schafft sich seine Identität, indem er andere schädigt."

lösung: borderliner weiterlaufen lassen, ohne in die psychopathologie/-dynamik hineingezogen zu werden.

@ubue: einfach weitermachen im kreis und ver-ding-lichen.

vielen dank für den interessanten austausch.
monoma - 27. Mär, 20:48

@ubu

Doch was folgerst Du nun generell daraus? Sollte man alle Borderliner in eine Extrastadt bringen und dann eine Mauer drum bauen? Ich will kein Zyniker sein, und das Projekt der Vernichtungslager beschreibt Mertz ja selber schon in seinem Buch als objektivistisch gesteuerte Hölle. Das kann es doch nicht sein.

letzteres natürlich nicht, und meine position bspw. zur nazi-vernichtungs-"euthanasie" lässt sich im blog zur genüge nachlesen. wobei ich bei deutlich soziopathischen personen zur position neige, dass neue methoden der sozialen isolierung (als ersatz für die fehlenden grenzen) - unter menschenwürdigen bedingungen - entwickelt werden müssen.

was ich folgere? zunächst sehe ich eine dringende notwendigkeit, endlich klarheit in diese bereiche zu bringen - es ist u.a. eine frage des wissen-wollens sowie der gewollten ressourcenverteilung, die meiner meinung nach für die wissenschaftliche konfusion mitverantwortlich ist, zusätzlich zu den theoretischen fallstricken in den modellen der mainstreamwissenschaften selbst.

ich bin der meinung, dass das heute bestehende wissen sowie die entsprechenden technischen möglichkeiten bei weitem ausreichen würden, in einer konzentrierten arbeit und mit ausreichender materieller unterstützung die bisherigen streitpunkte in solchen bereichen wie bordrline oder auch trauma schnell aus der welt zu schaffen. vermutlich ist es aber so, dass die dabei entstehenden antworten sehr vielen leuten nicht in ihren kram passen würden.

Soll man auf Therapie verzichten? Oder sich damit zufriedengeben, Borderlinern ihren irreversiblen ich-losen, nicht-authentischen Charakter zur Akzeptanz zu bringen? Das kann es angesichts so vieler junger betroffener Menschen doch auch nicht sein.

schwierige fragen, zumal du auch immer die bisher üblichen therapieziele der anpassung und funktionsfähigkeit berücksichtigen musst. dazu bemerke ich einige gedankenstränge bei mir, die noch zeit brauchen - es ist ein sehr spannendes thema, was du damit eröffnet hast.

Ein Gedanke, den ich noch hatte, war: was wäre denn, wenn sich das ganze Als-Ob tatsächlich auch bei schweren Borderlinern prinzipiell weitgehend auflösen läßt? Fallen Dir dann die Referenzpunkte Deiner Weltwahrnehmung zu sehr weg? In gewisser Weise scheinst Du ja auch an den Als-Ob-Realitäten sehr zu hängen, oder ist dieser Eindruck bei mir ganz unzutreffend? Du widmest Dich ihnen ja ausdauernd und leidenschaftlich.

zum ersteren: na prima, würde ich sagen - ganz ernst gemeint. ich sehe aber auch die gefahr, aufgrund der bedrückenden perspektiven von konsequent zuendegedachten modellen wie dem von mertz in eine art wunschdenken zu verfallen - was nicht sein darf und soll, kann auch nicht sein.

und zur letzten frage: dabei musste ich leicht schmunzeln - eine der ersten kommentare im gästebuch hat das mal als fixierung bezeichnet, und vielleicht liest du dir meine damalige antwort dazu noch mal durch.

werde deine heutigen beiträge nochmals aufgreifen, aber wird wieder ein paar tage dauern.

gruß
mo
monoma - 27. Mär, 20:54

@pete

wäre nett, wenn du zu fremdzitaten auch die entsprechenden quellen liefern würdest -im obigen fall ist es wohl bielicki, über dessen ansätze und schlußfolgerungen doch sehr gestritten werden kann.
Ubue (Gast) - 27. Mär, 18:38

Psychotisches Verfolgungs- und Vernichtungsgefühl bei Borderlinern

@ Pete: es gibt eine Sache, die beim Borderliner wirklich am schwersten zu mildern oder zu umgehen geschweige denn aufzulösen ist, das ist dieses ewig schmorende Verfolgungs-Introjekt des Borderliners.

Das ist eingerastet fast wie bei einer Art Atomschmelze, und arbeitet dann immer auf Hochtouren weiter. Wer dann in den Nähekreis des Borderliners kommt, gerät unweigerlich irgendwann auch in das zentrale Zielfeld dieses Verfolgungsintrojektes.

Im Grunde genommen stellt sich das Verfolgungsgefühl immer vor die gesamten anderen Wahrnehmungen des Borderliners, es diktiert praktisch den gesamten emotionalen und kognitiven Input. So wird erklärlich, daß man als Gegenüber eines Borderliners oft von der ersten Millisekunde an in einen Pseudo-Kontakt hineingezogen wird, denn man IST ja im Regelfall kein Vernichter oder Verfolger, sondern meistens nur Nähe-Partner, oder im schlimmsten Fall vielleicht ein Mensch mit einigen eigenen Macken.

Man wird aber aus diesem Verfolgungsintrojekt auch kaum wieder herauskommen. Hier ist auch die vielleicht größte Schwachstelle bei Linehan, sie ignoriert dieses Verfolgungsintrojekt immer wieder in ihren Beschreibungen. Einerseits schildert sie sogar, daß eine ihrer eigenen Therapeutinnen von einer Patientin angezeigt und auf Schadensersatz verklagt wurde, weil sie eines von zig Schriftstücken der Patientin (Essays, Briefe usw.) vorübergehend verlegt hatte. Andererseits glaubt sie unverdrossen, man könne über dieses schwelende Verfolgungsintrojekt hinwegkommen.

Mit seinem Verfolgungs- und Vernichtungsgefühl befindet sich der Borderliner aber bereits in einer Art vollpsychotischen Welt. Es gibt meistens nur genau zwei mögliche Zugänge: entweder "kontrollierte" Zustände, in denen der Borderliner so tut, als ob er nicht unter der Herrschaft des Verfolgungsintrojektes stünde (er weiß es ja auch reflektiert meistens gar nicht), oder Zustände der mangelnden Kontrolle, in denen das Verfolgungsintrojekt voll herausbricht (z.B. durch starke Wut, oder in schläfrigem bzw. erschöpftem Zustand, wenn die Kontrollfunktionen nachlassen).

Wenn man einem Borderliner die Sätze nachher vorlegt, die er in diesem unkontrolliertem Zustand gesagt hat, erfolgt in den meisten Fällen ein wütend überzeugtes "Das habe ich nie so gesagt!", manchmal schon 60 oder 120 sec nach dem eigenen Aussprechen dieses Satzes. selbst wenn man wortwörtlich wiederholt (läßt sich durch Tonaufnahme auch dokumentieren).

Hier kann man die psychotische Qualität dieses Introjektes (eingebrannte Verfolgungs-Vorstellung) am besten erkennen.

Alle anderen Mechanismen bei Borderline werden m.E. oft über dieses Verfolgungsgefühl bewirkt, z.B. das Widersprechen, Dementieren, aus dem Kontakt flüchten, das Rechtfertigen und Verteidigen, das Beschuldigen, die massiven Wut-Vorwürfe (bei genauerer Untersuchung nicht nur Wut, sondern auch Panik), das spätere konsequente Nichten und Ver-Nichten des Ex-Partners, die Gemeinheiten gegen diesen Partner (wie Kindesentzug, fälschlicher Mißbrauchsvorwurf, ohne Adressennennung 600 km weit weg ziehen, usw. usf.). Die ganzen destruktiven Verhaltensweisen wie Selbstverletzung, Selbstschädigung auf viele Arten ergeben sich auch als eine Art "Rache" am innerlich eingeschweißten "Vernichter".

Ohne Verfolgungsintrojekt wäre dies alles nicht möglich.

Die schwierigste Aufgabe bei allem bleibt wohl, dieses ganz massive, hochaufgeladene Verfolgungsgefühl überhaupt dem Borderliner selber zugänglich zu machen, er steht nach meinen Beobachtungen fast nie wirklich in Kontakt damit. Genau hierin liegt der psychotische Kern, der Borderline-Kern.

Gruß zurück! Ubue

pete (Gast) - 27. Mär, 20:31

ubue...

sehr, sehr interessant was du schreibst.

weißt du was merkwürdig ist?

dass DIE bl-mechanismen (vernichtung und so) erst einsetzen, wenn der borderliner sich der zuneigung/liebe des gegenübers 120% sicher ist. "platt gesagt: wenn der borderliner macht bekommt"
´
dafür ist bestimmt auch eine erklärung in dem buch "borderline-wie manipuliere ich(?) richtig" zu finden.

that's it
borderlinefreunde.
Ubue (Gast) - 28. Mär, 00:16

latent irres Spannungsfeld

@ Monoma: die Zielfrage bei der Therapie: hier sehe ich es wieder sehr ähnlich wie Du es in Deinem letzten Beitrag schreibst. Im Moment scheint bei gängigen Therapien vieles letztlich auf bloßes "Funktionieren" hinauszulaufen bzw. Anpassung. Als Erfolgskriterium gilt dann die Anzahl weiterer stationärer Aufenthalte oder die berufliche Leistung. Anpassung an ein krankes System macht aber auch nicht gesund. Das dürfte wohl feststehen.

Was die "Fixierung" an das Thema Als-Ob-Welten betrifft, muß es auch solche Menschen geben. Es müssen Leute sein, die nicht zu zentral selber im System mitschwimmen, vielleicht zumindest mit einem gewissen schizoiden Zug, der sie zu einem eigenen Blick befähigt. Dann können sie aber auch hier wieder Höchstleistungen erbringen im Sinne von Leistungen der Lebendigkeit, die auch unverzichtbar sind.

Man muß wohl wirklich etwas dialektisch an das Thema "objektivistisches Dasein" herangehen. Es kann auch durchaus möglich sein, über rein mechanistische Techniken sich aus dem objektivistischen Bereich zu entfernen und lebendiger zu werden (Meditationstechniken, Übungen zur Mindfulness usw). Die Motive dafür sind dann wichtig.

Ebenso kann man über eine rein objektivistische Beobachtung sehr viel Kenntnisse erlangen, so wie es auch Mertz letzlich auf eine sezierende Weise macht. Und bei Linehan haben wir einen ganzen Baukasten voller Module, die man anwenden könnte und die fast alle sehr gut durchdacht sind.

Ein Hauptproblem dürfte sein, daß die gesamten Helferapparate selber von Borderlinern besetzt sind. Außer im Bereich Bühnen- und Filmsternchen (vgl. Dein neuestes Update) gibt es m.E. keinen einzigen anderen Bereich mit einer solchen Borderliner-Dichte wie das sozialpädagogisch-psychologisch-seelsorgerlich-ärztliche Feld, plus Heilpraktiker, Krankenschwestern, Psychiater, Streetworker usw. Saskia hat es oben auch geschrieben - "die wohlbekannten destruktiven Strukturen". Mertz schreibt es fast durchgängig in seinem Buch. Rohde-Dachser hat die These frühzeitig erwogen. Dulz und Knauernase (oder so ähnlich, muß nochmal nachschauen) haben schon einen extra Aufsatz dazu geschrieben.

Muß nicht, es gibt sicher auch Ausnahmen, ist aber sehr häufig. In einem Borderline-Forum wurde dies vor längerer Zeit kontrovers diskutiert, dann eine Umfrage gestartet, und schließlich ergab sich eine Zahl von 75% aller Forenteilnehmer, die in so einem sozial-helfermäßigen Berufsfeld aktiv waren oder eine Ausbildung darin machen wollten. Auch das nur ein Schlaglicht, aber mit der üblichen Aussagerichtung.

Alice Miller hat ganz ähnliche Thesen, nämlich daß das von den Eltern oder einem Elternteil übermäßig beschlagnahmte und benutzte Kind nachher in der Therapeutenrolle landet, wo es wieder als Auffangstation für andere Probleme fungieren muß. Sogar zum Mißbrauch ziehen sich hier Parallelen.

Solange aber die ganze Helferwelt selber voller blander oder sogar labiler Borderliner ist, bleibt die Situation sehr vertrackt und meines Erachtens auch ziemlich ungesund!

@ Pete:

Pete schrieb: "weißt du was merkwürdig ist?

dass DIE bl-mechanismen (vernichtung und so) erst einsetzen, wenn der borderliner sich der zuneigung/liebe des gegenübers 120% sicher ist. "platt gesagt: wenn der borderliner macht bekommt"

dafür ist bestimmt auch eine erklärung in dem buch "borderline-wie manipuliere ich(?) richtig" zu finden."


Ja, ist so wie Du schreibst. Erst muß bei Borderline eine Verschmelzung (Art Kernfusion) mit dem oft arglosen Partner erfolgen, dann gibt es nachher die Explosion im seelischen Reagenzglas mit all den bekannten üblen Folgen.

Und wie stößt man einen "Verschmolzenen" wieder ordentlich und funktionierend ab? Dafür braucht man schon extreme Mittel: absolute Nichtung, Haßaufladung, völliger "Neuanfang".

Wieso sollte man auch einen vorher neutralen Partner nachher nichten? Nur der symbiotisch gewordene Partner muß bekämpft, am besten ver-nichtet werden (aus der Logik des Borderliners).

Daß ein Borderliner gerade auf diese Nichtungsweise seinen Partner auch für sich wieder re-konstruieren kann, beschreibt glaube ich Mertz irgendwo. Ungewöhnlicher, aber guter Gedanke. In der Symbiose sehe ich den anderen ja gar nicht mehr. Das Verfolgungsintrojekt beginnt dann hochtourig mit dem Prozeß der Ausscheidung des Einverleibten, der am Ende schmutzig, gebraucht und unter Umständen geplündert wieder alleine sehen muß, wie er zurecht kommt. Es muß auch betont werden, daß die Fälle mit einem Kind zwischen dem "ausscheidenden" Borderliner und dem geexten Partner natürlich die übelsten sind, weil die "Ausscheidung" dann am wenigsten funktioniert.

Auf diese Weise wird aber stabil, wie auch Mertz schreibt, für neuen Borderline-Nachwuchs gesorgt, da man als Kind in so einem extremen Spaltungsprozeß nur latent irre werden kann.

pete (Gast) - 28. Mär, 10:14

wieder sehr interessant.

weißt du was ich auch noch merkwürdig finde?

sobald man einen borderliner nach kurzer zeit als solchen enttarnt (mit "geübtem" verstand durch einige jahre training aus verschiedenen "bezug-zum-borderliner-blickwinkeln") sind die borderliner ratzfatz verschwunden und die "zuneigungs-/liebesbekundungen" (in der bl-literatur: idealisierung) schnell vergessen.

der pragmatiker könnte jetzt vermuten, dass der borderliner seine perversion (macht, zerstörung, etc.) ausleben will mit einem gegenüber der noch "borderline-unerfahren" ist...........

die frage der therapiefähigkeit könnte jetzt den platz der kernfrage einnehmen............
Ubue (Gast) - 28. Mär, 18:35

also ob oder stimmig?

@ Pete: ganz enorm interessant, auch für mich, man kommt als aufmerksamer Mensch einfach um diese Themen nicht mehr drumrum. Manchmal habe ich den Eindruck, die Borderline-Muster explodieren geradezu, oder mit den Worten von Mertz: heute ist das "DER gesellschaftliche 'Container'", wo Persönlichkeitsstörungen einen Anker finden und eine Gestaltungsformm... deutlicher könnte man sagen: eine Form des ungehemmten Auslebens.

Pete schrieb: "weißt du was ich auch noch merkwürdig finde?

sobald man einen borderliner nach kurzer zeit als solchen enttarnt (mit "geübtem" verstand durch einige jahre training aus verschiedenen "bezug-zum-borderliner-blickwinkeln") sind die borderliner ratzfatz verschwunden und die "zuneigungs-/liebesbekundungen" (in der bl-literatur: idealisierung) schnell vergessen."

-> ja, auch mein Eindruck. Generell scheint alles ich-nahe Hinschauen für Borderliner ein großer Trigger zu sein bzw. sein zu können. Die Hintergrund-Kognitionen beim Borderliner sind dann wahrscheinlich dauernd "ich werde ertappt", "durchröntgt", "ich bin in Gefahr, bestraft zu werden" usw.

Pete schrieb: "der pragmatiker könnte jetzt vermuten, dass der borderliner seine perversion (macht, zerstörung, etc.) ausleben will mit einem gegenüber der noch "borderline-unerfahren" ist...........
die frage der therapiefähigkeit könnte jetzt den platz der kernfrage einnehmen............"

Weißt Du Pete, mir kommt es auch ähnlich vor. Ich habe darüber hinaus die etwas unheimliche Beobachtung gemacht, daß Borderliner sich oft gerade einen besonders arglosen Partner suchen, jemanden der weniger wehrfähig ist als der Durchschnitt und sehr altruistisch eingestellt. Jemanden, der eher schwach und manipulierbar als robust und wehrhaft zu sein scheint.

Hauptsache, der Borderliner kann die Situation seiner Überzeugung nach gut kontrollieren. Sobald diese eingebildete oder wirkliche Kontrolle zusammenbricht, steht auch die Beziehung auf dem Spiel, oder die Angriffsspiele beginnen (Kampfhandlungen als Spirale).

Merkwürdig, daß Linehan, die ich immer mit Gewinn lese, eigentlich doch wenig zu den übelsten privaten Spielchen und Horrorgeschichten der "Liebensbeziehungen" von Borderlinern sagt (teils echte Zerstörung der Biographie anderer Menschen, zumindest über Jahre). Angesichts der verbreiteten "Denunzierung" von Borderlinern schlägt sie stark ins Gegenteil einer überall empathischen Verstärkung um.

Wenn Monoma nicht schon etwas genervt ist von den langen Texten hier, hätte ich durchaus mal Lust, spontan einen Text über "Linehan - Als ob oder stimmig?" oder so ähnlich zu schreiben. Irgendwo schnappte ich bei Monoma was von möglichen "Gastautoren" auf. Schon mit dem Einwurf, Linehan sei so "mechanistisch", hat Monoma ja irgendwie recht. Auf der anderen Seite ist ihr Theoriebuch der größte mir bekannte "Baukasten", um Borderline-Verhaltensweisen zu erklären und Problemlösungen dafür zu finden, die wirklich funktionieren könnten.

Ein großes Thema.

pete (Gast) - 28. Mär, 19:33

...

richtungsänderung?

ubue, du schreibst doch immer aus der "borderliner-sicht" (emotionsregulierung, vernichtungsgefühl, usw.) oder?
monoma - 28. Mär, 23:32

@ubu

Wenn Monoma nicht schon etwas genervt ist von den langen Texten hier, hätte ich durchaus mal Lust, spontan einen Text über "Linehan - Als ob oder stimmig?" oder so ähnlich zu schreiben. Irgendwo schnappte ich bei Monoma was von möglichen "Gastautoren" auf.

nein, genervt bin ich keinesfalls - ich bin aufgrund meiner lohnarbeit nur nicht in der lage, die diskussion so mitzuführen, wie ich´s mir wünschen würde.

und deine idee finde ich grundsätzlich klasse - wenn das eine realistische option ist, schick mir einfach mal ne mail, dann können wir das konkreter machen:

algol@quantentunnel.de

gruß
mo
Ubue (Gast) - 28. Mär, 18:42

"Mißbrauch" als "Enttarnungswort"

@ Pete: übrigens, es scheint noch eine Weise zu geben, mit der man (Inkognito-)Borderliner des öfteren ratzfatz vertreiben kann, und zwar ist es das Ansprechen des Mißbrauch-Themas.

Das scheint ebenfalls wie ein "Menetekel" zu wirken, um einen Spuk zu beenden. Ich habe das sogar schon mehrfach im Internet erlebt, wenn ein hartnäckiger Troll in einem Forum auftauchte. Wenn nach Monaten dann mal einer Verständnis äußerte und die Vermutung, daß auch Mißbrauch solche haßerfüllten Verhaltensweisen auslösen könnte, und daß solche extreme Trollerei etwas an die Mißbrauchs-Landschaft erinnert - Troll-Spuk von einem Tag auf den anderen für immer verschwunden (jedenfalls in diesem Kontext, wo eine Ansprache und mögliche "Enttarnung" erfolgte).

Das hat mich tief beeindruckt, weil mehrere hundert andere Beiträge von Drohen über Beschimpfen bis Prüfung rechtlicher Schritte nicht den geringsten Erfolg brachten.

Ubue (Gast) - 29. Mär, 01:39

Mach' ich

@ Monoma: Du hast recht, die Thematik fordert viel Zeit und auch eine gewisse Ruhe zum Schreiben. Ich werde das mal über Email in nächster Zeit probieren, wenn ich spontan dazu Lust habe und dazu komme. Ideen kamen mir vorhin schon.

Ein differenzierter Linehan- Tageseintrag oder wie die laufenden Hauptseiten genannt werden, könnte wirklich gut zu dem "Als-Ob-Leben"-Thema passen! Vor allem, wenn es weder Huldigung noch reine Abwertung wird. Und ich werde dabei mal probieren, auch Fragen zu berücksichtigen, zu denen ich bisher anderswo zu wenig gelesen habe. Du kannst das dann ja soweit Korrektur bzw. Probe lesen, bei Änderungen am besten nochmal kurz Rücksprache per Mail, und dann könnten auch hier vielleicht noch mehr Leser/innen zum Thema einsteigen. Lohnenswert scheint mir auch, Mertz und Linehan mal in Beziehung zueinander zu setzen. Im normalen gedruckten Diskurs hat das keinen Platz, interessant wäre es aber allemal.

Übrigens: Dein Kurztext heute zur, wie hieß das jetzt, zu Deutsch "Gefühlsblindheit" - muß nochmal das Wort mit "A" nachsehen :-) ist auch hochinteressant. Hundert pro korreliert auch das wieder stark mit dem Borderline-Thema (Gefühlsunterdrückung versus Ausbruchshandeln usw.). Und was für eine extreme Verbindung zum Thema "Als-ob"!

@ Pete: mmh, Du hast das schon zutreffend beobachtet meines Erachtens. Ich pendele zwischen dem Versuch, das Borderline-Phänomen so gut wie möglich zu verstehen (und das ist dann ernst gemeint, deshalb habe ich mich u.a. durch die Kapitel von Mertz oder von Linehan durchgearbeitet) und einer kritischen Rückblende auf andere Erfahrungsdaten.

Ehrlich gesagt wüßte ich gar nicht, wie man sonst bestmöglich rankommen soll. Ich muß doch den Theorie-Konzeptionen eine Chance geben, und andersrum sollte man nachher auch wieder die unbequeme Wirklichkeit befragen (Folgen, Schäden, Illusionen...).

Wenn auch nur eine kleinere Zahl von Leuten an solchen Diskussionen Lust hat, ist das schon besser als bloß die üblichen Klischees oder ein einfaches Schweigen.

Ich stimme Monama zu, daß wir unter einem sehr weitgehenden theoretischen Defizit angesichts dieser überwältigenden Realitätserfahrungen leiden - siehe Borderline-Ära, objektivistisches Totalprojekt der Spätmoderne, sogenannte Globalisierung, Verdinglichung, Machtstrukturen, Gleichförmigkeit des Presse-Mainstreams, Holocaust-Vergangenheit usw.

pete (Gast) - 29. Mär, 10:35

...

dbt-manual, die empathische manipulationsfibel einer linehan ohne ich?
wohl kaum. diskrepanz zwischen theorie und praxis wie bereits in den beiträgen hier zu lesen ist.
ubue, du musst borderline nicht verstehen, es sei denn du bist borderline.
"ich bin du oder bist du ich." (kleiner gag)
Ubue (Gast) - 29. Mär, 23:28

pointiert

@ Pete: sehr gut pointiert und anregend von Dir formuliert, wie ich finde. :-) Ich werde jetzt mal einen Beitrag für den Blog raushauen, und ihn Monoma zusenden. Die Diskussion verdient weitere "Ankerplätze" in diesem Blog.

pete (Gast) - 10. Apr, 00:42

ubue, das war die falsche reaktion.

-der borderliner
-von birgit und wolfgang hart genommen
-und alles verloren
-kindheit, ich, jugend, gefühl, heute, seele, morgen, liebe, leben, zukunft, freiheit
-eine leblose hülle
-von hass und neid zerfressen
-andere menschen bewusst/vorsätzlich schädigen/zerstören und dabei "einer abgeht"
-psycho-/soziopath

das ist borderline, ubue.

danke.
ende.
Ubue (Gast) - 11. Apr, 01:58

schwere Frage

@ Pete: früher, vor mehr als 20 Jahren, habe ich in einer Art und Weise geschrieben, die der Deinigen sehr ähnlich zu sein scheint. Wie Du siehst, habe ich mich in dieser langen Zeit allerdings wieder mehr zu einer etwas langatmigen Prosa hin entwickelt.

@ Monoma: jetzt habe ich die ganze Zeit über die Linehan-Therapie nachgedacht und über die Frage, ob das mehr eine Fibel zur Manipulation ist oder ein optimales Rettungsboot. Durch die "Technik-Kritik" bin ich eher wieder etwas verunsichert.

Ich denke, ich werde das Ganze noch etwas sacken lassen, und habe mir die DBT aufs Neue vorgenommen, jetzt einmal kritischer.

Also ich tendiere dazu, daß man sich mithilfe der DBT auf die beste bis dato bekannte Weise aus der Borderline-Welt befreien kann. Vielleicht kann man die anderen in so einem System befindlichen Personen (Herkunftsfamilie, Borderline-Träger der früheren Generationen) nicht wirklich verändern, darauf deutet viel hin. Der beste Ansatz scheint immer zu sein, bei sich selber anzusetzen, und sich eventuell auch - unter Schmerzen, in einem langwierigen Prozeß - von diesen Borderline-Trägern abzulösen, auch abzutrennen.

Zwar ist das Trennen und insbesondere das totale Abtrennen mit Kontaktabreißen immer auch ein Kernverhalten bei Borderline, aus meiner Sicht sogar geradezu konstitutiv für alle Borderline-Systeme (objektivistische Zwangs-Symbiose kontra ichentwickelndes Abtrennen dieses Zustandes an einem bestimmten biographischen Punkt), aber was bleibt einem übrig, wenn das Grundsystem der Familie praktisch therapieresistent ist und angetrieben von einem überwältigenden Verfolgungsintrojekt mit der Energie einer ganzen Atomschmelze (fortwährende Borderline-Kettenreaktion).

Ich vermute so dunkel, daß auch das Abreißen die Heilung nicht ganz bietet, die es zu versprechen scheint, immerhin dürfte aber bei einigen besonders destruktiven Borderline-Mustern in der Herkunftsfamilie eine leichter erträgliche Lebensstimmung aufkommen, wenn man diesen feindseligen, enorm destruktiven Borderline-Mustern nicht mehr dauernd ausgesetzt ist.

Das ist wie mit einem Lebewesen, das aus einem immerwährenden Hagelsturm wegflieht, dem es bisher immer ausgesetzt war. Unterm Hagelsturm ist es völlig unmöglich, etwas anderes als ununterbrochene Schadensminimierung zu versuchen.

Vielleicht bietet die DBT auch noch eine gewisse Hilfe, sich in Sicherheit zu bringen. Vorausgesetzt, man gelangt auch in einen Trauerprozeß über diesen ganzen totalitären Wahnsinn bei Borderline-Vergangenheit.

Wem das zu technisch ist, der sollte sich einen anderen Weg suchen. Die Wege werden nicht dadurch falsch, daß es verschiedene gibt und für den einen dieser besser ist, für den anderen jener.

Gruß für heute! Ubue

pete (Gast) - 11. Apr, 19:29

du meinst doch nicht etwa...

deine praxisverdunkelungskonstrukte. dafür muss man nicht 20 jahre älter werden, oder?
und es hat sich immer noch nichts verändert im "kopf".
weiterhin so tun als-ob und auf der suche nach neuen opfern/energiespendern ohne jedoch anzukommen.
arme schweine. immer und immer wieder "am anfang" nur das leben/die träume der anderen zu leben wäre mir zu...
wenig. alright, ich bin psy. gesund und zerstöre weder das leben von anderen noch würde mir dabei einer abgehen.

auf die nächsten 20 jahre mit theorie, therapie, dbt, linehan und weiterem käse.

ps: ubue, du bist doch auch pieps, richtig?
monoma - 11. Apr, 21:26

@pete

erstens scheint mir, dass du gerade selbst ansatzweise klassische bl-schwarz-weiß-wahrnehmung praktizierst.

zweitens lassen sowohl dein tonfall als auch deine inhalte den schluß vermuten, dass du selbst ziemlich persönliche erfahrungen mit bl hast - die solltest du jedoch nicht generalisieren. ich kann einen großen teil wahrscheinlich nachvollziehen, wenn´s jedoch um das diagnostische modell bl geht, findes ich etwas distanz sehr angebracht. warum das so ist, habe ich hier an anderer stelle genauer beschrieben.

und drittens ist u.a. genau aus diesem grund eine intensivere bemühung, bl und verwandtes auch theoretisch besser zu verstehen, alles andere als "käse". schon aus blankem eigeninteresse.
pete (Gast) - 11. Apr, 23:56

mo, alles e a s y.

monoma, kommen jetzt wie in jeder borderline-diskussion die standard-zensur-phrasen wie "generalisieren" wahlweise "über einen kamm scheren", "du machst aber jetzt auch schwarz-weiß-malerei" und "deine tonwahl ist..."? oder gefällt es dir nicht, dass das bild von borderline zu klar dargestellt, mo?
diagnosemodelle borderline nach dsm und icd, was sagt das aus? nichts. davon kann ich mich auch distanzieren sowie von borderline-theorie-manipulations-schnick-schnack.
was willst du, nach einigen wälzern mit verschiedenen ansätzen, über borderline/soziopathie noch theoretisch besser verstehen? nur die borderlinepraxis zählt und die ist bekannt. aussagen und handlungen müssen übereinstimmen. fertig.

alright 2: ich muss auch in einer zwischenmenschlichen beziehung keinen kontroll-bzw. besitzwunsch befriedigen und dann ggfs. durch selbstmorddrohungen manipulieren. desweiteren verlange ich von einem mensch nicht seine absolute und uneingeschränkte aufmerksamkeit und erwarte nicht die perfekte liebe (mutter-/vaterliebe), die gibt, ohne jemals eine gegenleistung zu fordern. ich muss auch nicht im zyklus verbal attackieren oder sogar handgreiflich werden. usw. usf.

was mir am borderline besonders gefällt ist der subtile, man könnte auch sagen der hinter*******, schleichende verlauf in einer zwischenmenschlichen beziehung. aber das nur neben bei.

alles easy, mo.
monoma - 14. Apr, 10:41

nein.

mir scheint, du hast meine letzte antwort oben nicht verstanden:

monoma, kommen jetzt wie in jeder borderline-diskussion die standard-zensur-phrasen wie "generalisieren" wahlweise "über einen kamm scheren", "du machst aber jetzt auch schwarz-weiß-malerei" und "deine tonwahl ist..."? oder gefällt es dir nicht, dass das bild von borderline zu klar dargestellt, mo?

erstens geht es hier nicht um zensur - borderline-artige reaktionsmuster können nun mal von jedem menschen entwickelt werden, besonders im realen kontakt mit bl.

ich habe selbst sehr viele bl auf diversen ebenen kennengelernt, und einige dieser begegnungen waren verdammt schmerzhaft. ich habe aber auch als bl-diagnostizierte kennengelernt, bei denen ich mir irgendwann ziemlich sicher war, dass diese diagnose beim entsprechenden menschen quatsch ist.

einige der letztgenannten hatten dabei - nicht zufälligerweise - eine ptbs-diagnose als komorbidität.

und ich habe auch schon menschen nur mit einer ptbs-diagnose kennengelernt, so dass ich fast zwangsläufig einige vergleiche anstellen konnte.

ganz kurz ein für mich relevantes fazit: ein trauma - und zwar auch postnatal - kann u.u. verhalten hervorrrufen, welches sich ohne nährere betrachtung nicht von einer strukturellen bl-störung unterscheiden lässt - ohne das die betroffenen nun tatsächlich letzteres wären.

aus diesem grund halte ich differenzierung für verdammt nötig. du machst es dir schlicht viel zu einfach.

diagnosemodelle borderline nach dsm und icd, was sagt das aus? nichts.

na, zumindest einiges über die verfassung der offiziellen psychiatrie...

was willst du, nach einigen wälzern mit verschiedenen ansätzen, über borderline/soziopathie noch theoretisch besser verstehen? nur die borderlinepraxis zählt und die ist bekannt.

s.o. - primär traumatisierte als primäre bl aufzufassen, ist eine haarsträubende praxis mit u.u. fatalen folgen. das ist das eine.

das andere hatte ich schon erwähnt: wie immer das phänomen letztlich am besten benannt ist - simulationsfähiger autismus, bl, soziopathie, als ob - fakt bleibt für mich, dass es sich dabei weder um ein nur individuelles problem handelt noch um eine zu vernachlässigende randerscheinung.

es geht hier um eine schlicht katastrophale gesellschaftliche entwicklungstendenz, die auf den kern aller authentischen sozialen fähigkeiten zielt - und um das irgendwann stoppen zu können, muss es zuerst verstanden werden.
pete (Gast) - 14. Apr, 13:17

borderline vs. "verrottete gesellschaft"

@monoma

borderline in zwischenmenschlichen beziehungen hat absolut nichts mit einer "verrotteten gesellschaft" zu tun.
borderline/soziopathie in zwischenmenschlichen beziehungen "ensteht" nicht aus aktuellen systemen (kapitalismus, kommunismus/sozialismus, faschismus, usw.) borderline ist eine identiätsstörung/PERSÖNLICHkeitstörung, die im "zarten alter" ihren ursprung findet und die durch generationen weitergereicht wird (erziehung, und nur die) und keine gesellschaftsstörung...

die frage nach der verrottung unserer gesellschaft bzw. den auswirkungen ist eine andere...
(was interessiert mich der andere, der mensch ist ein egoist, gleichgültigkeit, usw.)
->man muss ja auch nicht jeden menschen lieben -
solche gutmenschen könnten schon fast wieder borderline sein...;-))))<-

aber in zwischenmenschlichen beziehungen, die unter der bedingung zuneigung/wertschätzung/liebe/whatever zusammenfinden spielen natürlich anderen faktoren (u.a. "geben und nehmen", respekt, verantwortungsbewusstsein, seelisches wohlwollen) eine wesentliche rolle.

gegenüber gesellschaftssystemen("vorgefertigte produkte") kann ich mich in einem gewissen rahmen abgrenzen...
und meine eigenen werte und moralvorstellungen (die aber psy. gesund sind; ohne fremdgefährdung) usw. leben.
der borderliner sucht aber immer die symbiose bzw. muss diese herstellen...
mit dem bekannten finale , da "riss in der mütze".

pete: "diagnosemodelle borderline nach dsm und icd, was sagt das aus? nichts."

mo: "na, zumindest einiges über die verfassung der offiziellen psychiatrie..."

...oder einfach nur verschleierung durch die psy. kranke helferindustrie
nichts genaues... usw. ...man nicht.

to be f***ing honest: wenn interessiert es, ob die bezeichnung nun ptbs oder borderline ist?
sehr beliebt ist ja auch "nur adhs"...

leute, leute, leute, stoppt die nebelmaschinen und "lebt euer leben(?) ohne auf anderen draufzuhängen" ;-))))
sansculotte (Gast) - 14. Apr, 14:12

@pete - "verrottet"

Tach erstmal ;-),

soweit ich blicke, ist der Term "verrottete Gesellschaft" nicht Gegenstand dieses blogs. Ich glaube nicht, dass es hier um undifferenziertes Moralisieren über eine "verrottete Geselschaft" geht. Aber weiter. Du schreibst:

" borderline ist eine identiätsstörung/PERSÖNLICHkeitstörung, die im "zarten alter" ihren ursprung findet und die durch generationen weitergereicht wird[...]"

Das "Weiterreichen durch Generationen" wäre nicht möglich, stünde es diametral den gesellschaftlichen Werten entgegen. Dann wäre es unter Sanktion oder fast unmöglich, bl-Beziehungen auszuagieren. Aber das ist es nicht. Es gibt sogar ein mächtiges Werkzeug, mit dem bl durch Generationen weitergereicht wird:

" (erziehung, und nur die) "

Genau. Und Erziehung hat als Modell immer eine Verankerung in einem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens oder in etwas, was als solcher behauptet wird. Erziehung wird mit den gemeinsamen Normen und Werten begründet und legitimiert, auch und gerade dann, wenn - wie die reaktionäre "Kinder-brauchen-Grenzen"-Debatte zeigt - diese Normen und Werte aus einer zwangsläufigen Fehlinterpretation herstammen. Fehlinterpretation deswegen, weil kollektive Traumata die Fähigkeit zur vollständigen Wahrnehmung enorm beeinträchtigen, und zwangsläufig deswegen, weil durch die allgemeine Verbreitung dieser Traumata die daraus entstehende Gewalt strukturell wird - das ist der gesellschaftliche Zusammenhang.

Zu den Diagnosemodellen:

pete: " ...oder einfach nur verschleierung durch die psy. kranke helferindustrie
nichts genaues... usw. ...man nicht.

to be f***ing honest: wenn interessiert es, ob die bezeichnung nun ptbs oder borderline ist?
sehr beliebt ist ja auch "nur adhs"... "

ACK. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Diagnosemodelle der Psychiatrie eine gigantische Nebelmaschine sind. Eine geldbringende Nebelmaschine, wenn man an die Entwicklung "genau abgestimmter" Medikamente denkt. Bei längerer Betrachtung nehme ich einmal an, dass so ziemlich die meisten Symptome, die in der medizinisch-psychiatrischen Diagnostik als eigenständige "Krankheiten" firmieren, eine gemeinsame Wurzel haben: Trauma. Die unterschiedliche Qualität und Ausprägung der Symptome und der unterschiedliche Krankheitsverlauf ergeben sich bloß aus den Bedingungen, unter denen dieses Trauma stattgefunden hat: Alter und Entwicklungsstand des Betroffenen, Länge und Intensität des Traumas, usw.

Zur "Hype-Krankheit" ADHS hat ja auch mittlerweile ihr "Erfinder", der Psychiater Robert Spitzer, eine ziemlich kritische Haltung eingenommen:

http://www.dailymail.co.uk/pages/live/articles/news/news.html?in_article_id=441304&in_page_id=1770

Zitat: "Dr Robert Spitzer said that up to 30 per cent of youngsters classified as suffering from disruptive and hyperactive conditions could have been misdiagnosed.

They may simply be showing perfectly normal signs of being happy or sad, he said. "

Soso. Und was sagt uns das nun über die Verfasstheit unserer Gesellschaft? ;-)

Gruß, s
monoma - 14. Apr, 15:17

nochmal nö

borderline in zwischenmenschlichen beziehungen hat absolut nichts mit einer "verrotteten gesellschaft" zu tun.

borderline/soziopathie in zwischenmenschlichen beziehungen "ensteht" nicht aus aktuellen systemen (kapitalismus, kommunismus/sozialismus, faschismus, usw.) borderline ist eine identiätsstörung/PERSÖNLICHkeitstörung, die im "zarten alter" ihren ursprung findet und die durch generationen weitergereicht wird (erziehung, und nur die) und keine gesellschaftsstörung...


deine argumentation ist in meinen augen schon ein schönes beispiel für fragmentierende/dissoziierende wahrnehmung (nicht persönlich nehmen bitte, das dürfte einfach zum "normalen" mainstreamwahrnehmungsmodus dieser gesellschaft gehören):

1. worauf beruht eine gesellschaft als soziales system denn hauptsächlich? eben: zwischenmenschliche beziehungen (ich würde da die beziehungen zu allem nichtmenschlichen leben auch noch einbeziehen, aber erstmal egal).

das menschen in weitgehend gesundem zustand soziale wesen sind, d.h. primär eben nicht autistisch (und den begriff meine ich jetzt hier in allerweitester bedeutung), sollte sich eigentlich herumgesprochen haben.

2. und gleichfalls existieren aus diesem grund vielfältigste wechselbeziehungen zwischen gesellschaft (kollektiv) und einzelnem menschen. es ist schlichtweg unrealistisch, nicht von einer massiven gegenseitigen beeinflussung auszugehen, die sich im falle weit verbreiteter krankhafter defekte, störungen und schäden eben zwangsläufig auch auf die form der gesellschaft als ganzes auswirken muss.

und aus diesem grunde halte ich es auch für absolut nicht zufällig, dass sich momentan ein system wie der kapitalismus anscheinend alternativlos global ausgebreitet hat.
ein system, welches auf toten dingen als fetisch, verdinglichung als bevorzugter wahrnehmungsweise, abstraktion und objektivierung als alltäglicher praxis beruht. mir kann niemand erzählen, dass zwischen diesem zustand und den hier thematisierten psychophysischen schäden, die sich - und das gilt für die persönlichkeitsstörungen wie für die alexithymie, etwas anders auch für die klassischen traumata - allesamt durch destruktive veränderungen der wahrnehmungsfähigkeiten hinsichtlich des sozialen (wieder im weitesten sinne) kennzeichnen lassen. die (selbst-)verdinglichung wird hier ganz offen zum pathologischen normalfall, mit allen negativen folgen.

ich würde von diesem punkt auch weitergehen und behaupten, dass sich auch historische und aktuelle gesellschaftliche strömungen, die andere primäre (zb. religiöse) inhalte haben, als weitere symptome des oben skizzierten wechselspiels verstehen lassen - bezgl. des islamismus, aber auch zb. dem deutschen faschismus, habe ich dahingehend hier schon einiges skizziert.

die frage nach der verrottung unserer gesellschaft bzw. den auswirkungen ist eine andere...
(was interessiert mich der andere, der mensch ist ein egoist, gleichgültigkeit, usw.)
->man muss ja auch nicht jeden menschen lieben -


und darum ist die frage nach der "verrottung" eben auch keine grundsätzlich andere - dazu muss man sich allerdings die detsruktiven entwicklungen genau anschauen, um das zu erkennen.

deine angeführten beispiele machen das deutlich: es handelt sich hier wieder um bestimmte wahrnehmungspositionen, die erstens nicht zufällig entstehen, und zweitens durch die verfasstheit einer gesellschaft entweder gefördert oder blockiert werde können.

ich finde, du operierst bei deiner argumentation mit einen unzulässigen, weil realitätswidrigen menschenbild - als ob jeder eine insel wäre.

aber in zwischenmenschlichen beziehungen, die unter der bedingung zuneigung/wertschätzung/liebe/whatever zusammenfinden spielen natürlich anderen faktoren (u.a. "geben und nehmen", respekt, verantwortungsbewusstsein, seelisches wohlwollen) eine wesentliche rolle.

und wieder: wenn eine gesellschaft diese fähigkeiten als vernachlässigbar ansieht und sogar soweit geht, zb. im ökonomischen bereich gänzlich konträre (konkurrenz, leistungsprinzip) "werte" zu verlangen - was bedeutet das dann zwangsläufig für den sog. privaten bereich?

dazu nurmal das als präzisierung.

und darum hat auch deine nächste schlußfolgerung imo sehr enge grenzen:

gegenüber gesellschaftssystemen("vorgefertigte produkte") kann ich mich in einem gewissen rahmen abgrenzen...
und meine eigenen werte und moralvorstellungen (die aber psy. gesund sind; ohne fremdgefährdung) usw. leben.


das ist die fiktion der getrenntheit, die ich da sehe - bist du sowenig wie jede/r andere. und deshalb wird auch die fähigkeit zur abgrenzung (die eigene kleine private insel) bei wachsendem druck von außen (und der ist am wachsen) stück für stück abbröckeln, mit allen daraus folgenden konsequenzen - wenn nicht bald die notbremse gezogen wird.

achja, und es ist meiner meinung nach eben keinesfalls beliebig, ob bl oder ptbs: postnatale traumata lassen sich nämlich potenziell in ihren folgen durchaus massiv abmildern, im idealfall sogar weitgehend auflösen.

so, und jetzt geht´s gleich erstmal in die sonne ;-)
pete (Gast) - 14. Apr, 16:04

howdy, s-lotte.

s-lotte: soweit ich blicke, ist der Term "verrottete Gesellschaft" nicht Gegenstand dieses blogs. Ich glaube nicht, dass es hier um undifferenziertes Moralisieren über eine "verrottete Geselschaft" geht.
Das "Weiterreichen durch Generationen" wäre nicht möglich, stünde es diametral den gesellschaftlichen Werten entgegen. Dann wäre es unter Sanktion oder fast unmöglich, bl-Beziehungen auszuagieren. Aber das ist es nicht. Es gibt sogar ein mächtiges Werkzeug, mit dem bl durch Generationen weitergereicht wird:

" (erziehung, und nur die) "

Genau. Und Erziehung hat als Modell immer eine Verankerung in einem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens oder in etwas, was als solcher behauptet wird. Erziehung wird mit den gemeinsamen Normen und Werten begründet und legitimiert, auch und gerade dann, wenn - wie die reaktionäre "Kinder-brauchen-Grenzen"-Debatte zeigt - diese Normen und Werte aus einer zwangsläufigen Fehlinterpretation herstammen. Fehlinterpretation deswegen, weil kollektive Traumata die Fähigkeit zur vollständigen Wahrnehmung enorm beeinträchtigen, und zwangsläufig deswegen, weil durch die allgemeine Verbreitung dieser Traumata die daraus entstehende Gewalt strukturell wird - das ist der gesellschaftliche Zusammenhang."

s-lotte, ich behaupte jetzt einfach mal, dass du falsch interpretiert hast...
"verrottete gesellschaft" - war ein schlagwort um aufzuzeigen, dass borderline eine identitätsstörung/
persönlichkeitsstörung ist, die auf die psychische verfassung der biologischen erzeuger bzw. einen "generationendefekt" zurückzuführen ist und keiner gesellschaftlichen installation unterliegt.

kollektive traumata? wat?

das schöne am borderline ist auch, dass der borderliner in einer zwischenmenschlichen beziehung nicht leidet sondern
der partner/identitätsgeber. deswegen outen borderliner/soziopathen sich ja auch so gern...
pete (Gast) - 14. Apr, 16:49

@mo - yeah, yeah, yeah, baby

eine "eigene" kleine "private" insel...;-))))

macht mal allein weiter in der virtuellen welt.
zum schluss noch ein kleiner... kennt ihr den?

der patient zum therapeut: ich fühle mich nicht. hilfe, hilfe wer bin ich?
der therapeut: nun ja, ein mensch, ein stück fleisch mit 'nem riesenspiegel,
'ner perfekten simulation und 'ner geilen grafikauflösung.

roger, ende.
Ubue (Gast) - 15. Apr, 00:52

Die Vernebelungsthese

verstehe ich bisher nicht ganz. Nach 30 oder 40 Jahren psychoanalytischer Vernebelung liegt endlich einigermaßen gute Literatur vor zu den ganzen Verstärker-Kisten bei Borderline vor und zur Emotionsregulierung bei Borderline.

Borderline ist doch wie ein Auto, dessen Motor man jahrzehntelang nur ausgesprochen dürftig erklären konnte. Spekulation massenweise. Jetzt wird seit ungefähr 10 bis 15 Jahren das Bild endlich schärfer.

Man kommt auch erstmals wirklich besser an die Hebel ran, an die Auslöser, kann das Verstärker-Milieu besser beschreiben, alles ganz konkret.

Aber es dauert wahrscheinlich nochmal zehn oder zwanzig Jahre, bis das Mainstream wird. Bisher läuft doch die Borderline-Diskussion oft so ab, als ob wir noch in den 50-er oder 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts wären.
Ubue (Gast) - 11. Apr, 02:18

Noch ein Gedanke für Monoma

@ Monoma: einen interessanten Gedanken habe ich gerade noch. Wir lesen doch bei Mertz z.B. immer wieder über das Verfolgungsgefühl bei Borderlinern, und wie dieses Gefühl immer mehr hypermäßig sich ausbreitet und Raum einnimmt.

Es führt im Grunde immer zu Vernichtungsprojekten, Ausmerzungs-Feldzügen, etwas muß vernichtet und zerstört werden. Ich glaube, hier wird mir auch Pete zustimmen. Borderline hat immer diesen Vernichtungsantrieb.

Darin steckt natürlich auch ein paranoider Kern, ein GEGEN, das irgendwie gefüllt werden muß.

Es scheint eigentlich zuerst dieses VernichtungsGEFÜHL da zu sein. Dieses Gefühl ist zuerst da, dann braucht es irgendeine art Füllmaterial. Ob das nun eine bestimmte Rasse ist wie im Dritten Reich, oder anderes "unwertes Leben", oder ein "Klassenfeind", oder etwas anderes Verachtenswertes, immer scheint dieses Vernichtungsbesetzte zentral zu sein.

Das kann aus der Position des Klerikers bzw. Moraltheologen dann auch das Moralisch Verderbliche und Abgefallene sein. Aus der Position des Überlegenen ist es immer das Abgewertete, bei der Schwarzen Pädagogik das Unerzogene und Wilde, Nichtangepaßte, aus der Position des Nationalen das Fremde, nicht dazugehörige.

Es kann auch irgendein Tier sein, daß man töten mußte (vgl. den weißen Wal in dem berühmten Roman), oder ein Moor, das man trocken legen, ein Sumpf, den man befreien mußte, Parasiten, Schmeißfliegen, Zecken, Ratten, irgend etwas als schädlich Vorgestelltes.

Ungeziefer, Blattläuse, rankende Pflanzen im minimierten Vorgarten. Der Löwenzahn oder das Gänseblümchen, denen es mit Umkrauttod an die Wurzel zu gehen hat. Die vor dem Zaun parkenden Fahrräder. Verfolgungsobjekte im Kleinen und im Großen.

Das Gefühl zuerst da, dann der Inhalt, eigentlich austauschbar, irgendwelche minderwertigen Rassen, Untermenschen, Fremdkulturen. Oder Sozialschmarotzer, Volksparasiten.

Letztlich braucht es für dieses Verfolgungsgefühl einfach ein auskleidendes Feindbild, einen latenten Gegenstand, den man dann ausmerzen und verfolgen kann. Umso besser, wenn dies auch gesellschaftlich anerkannt wird.

Das ist wie mi einem Radar, mit dem man den feindlichen Himmel absucht.

monoma - 11. Apr, 21:36

nur kurz dazu:

ich halte die paranoide komponente eher für eine art zwangsläufige zugabe, die aus den ständig scheiternden versuchen der objektivistischen wahrnehmung entsteht, sowohl sinn zu konstruieren als auch gleichzeitig - als folge der fehlschlagenen sinnstiftung - "die welt" zu kontrollieren. was - glücklicherweise - nicht geht. leider aber auch massiv destruktive energie mobilisieren kann.

*

noch was anderes, und zwar für alle, die sich näher mit mertz beschäftigt haben: als ergänzende andere perspektive kann ich das digitale nirvana von bernd guggenberger empfehlen. aus einer ausdrücklich soziologischen perspektive heraus kommt er hinsichtlich der explodierenden dominanz toter bzw. maschineller strukturen zu einer sehr ähnlichen wahrnehmung der verhältnisse wie mertz.
PerpetuumMobile - 4. Sep, 22:06

"Verfolgungsgefühl" - gutes Stichwort

@ monoma und alle anderen Interssierten

Hallo!

Als Neuling (der bisher schon einiges still mitgelesen hat) möchte ich zunächst meinen Dank dafür äußern, dass es dieses Blog gibt - denn es scheint tatsächlich der einzige Ort im riesigen Monstrum Internet zu sein, in dem überhaupt ausführlich auf das Buch "Borderline - weder tot noch lebendig" von J. Erik Mertz eingegangen wird. Dabei ist das Buch ja schon 12 Jahre alt - was eigentlich genug Zeit für seine (still gebliebenen) Gegner gewesen sein müsste, eine Widerlegung zu versuchen. Dass diese ausblieb, ist leider ein gewichtiges Indiz für die Richtigkeit von Mertz' Thesen.

Schon vor meiner ersten Berührung mit dem Buch hatte ich das unbehagliche Gefühl, dass zwischenmenschliche Beziehungen, die früher einmal auf expressiver (!) Emotion, auf spontaner Leidenschaft basierten, zu bloßen durchkalkulierten Zweckgemeinschaften umfunktioniert werden, innerhalb derer die Beteiligten kaum noch eine Miene verziehen. Auch an meiner eigenen Gefühlsfähigkeit kamen mir immer wieder Zweifel. Das leise Erahnte wurde dann plötzlich von diesem Herrn Mertz bestechend logisch ausformuliert - so dass das Buch, auf das ich durch puren Zufall stieß, wie ein Erweckungserlebnis (allerdings ein ungeheuer schmerzhaftes) für mich war - wenngleich es m.M.n. auch gravierende Schwächen hat.

Das Verfolgungsgefühl, die Paranoia, die hier auf dieser Seite von ubue angesprochen wurde, ist ein Phänomen, das sich nach meinem Eindruck im Zwischenmenschlichen vor allem auch in der immer weiter abnehmenden Kritikfähigkeit der Menschen in der postmodernen Gesellschaft zeigt. Um ehrlich zu sein: An mir selber beobachte ich es auch hin und wieder. Laut Mertz betrachtet der Borderlineautist, der zum authentischen Gefühl unfähige Mensch, das Leben als Kontrollprojekt (während der gefühlsfähige, gesunde Mensch in einem "massiven Nichtkontroll-Paradigma" lebt). Dieser Zwang, andere zu kontrollieren, äußert sich immer häufiger im Versuch von Menschen, Kritik von außen von vornherein abzuwürgen und gerade dadurch Kontrolle über Andere auszuüben. Immer mehr Menschen sind so paranoid, dass sie jede noch so sachliche und berechtigte Kritik an ihrer Person oder an ihren Thesen als Generalangriff auf ihre ganze Person verstehen. Von dieser Paranoia (obiges Stichwort) befallen ist offenbar auch das riesige Heer der professionellen Ärzte und Psychologen, das sich entschlossen hat, Mertz' Beiträge zur Psychologie systematisch totzuschweigen. Diese Ärzte und Psychologen sehen die Welt möglicherweise auch als Kontrollprojekt, in dem nur ihre Thesen zur Schau gestellt werden dürfen (und nicht die von Abweichlern und Querdenkern wie Herrn Mertz), damit das Selbstwertgefühl der Profis im Psychologie-Establishment nur ja nicht angekratzt wird.
Ubue (Gast) - 11. Apr, 22:38

Bordi hardcore und Bordi soft ;-)

@ Pete: jaja, die gute alte BC...

Es scheint hard-core-Bordis zu geben, die genau so ticken, wie Du es oben an Saskia mit dem längeren Zitat beschrieben hast. Darauf bezogen hast Du wohl mit jedem Wort recht.

Es scheint auch sowas wie "Bordi soft" zu geben, eher die Opfertypen, die bereits von ihren Bordi-Eltern erbarmungslos ausgeschlachtet worden sind.

Wenn der Partner eines Bordis diese "Ehe" eingeht, warum macht er das? Vielleicht, weil er selber einen Bordi-Elternteil hatte und diesen ganzen Murks von Pseudo-Beziehung bereits mit der Muttermilch eingenommen hat?

Diese Soft-Bordis fliegen dann später irgendwann wieder auf einen Hardcore-Bordi.

Dann kommt noch das Glück oder Pech dazu, wie antisozial so ein Hardcore-Bordi drauf ist. Die skrupellose Vampir-Variante ist offenbar nur eine, die negative Offensiv-Variante des Bordis.

Genauso scheint es auch einen "Defensiv-Bordi" zu geben, der total unsicher ist und Bindungen gar nicht gerne eingeht oder mehr passiv darin aufgeht. Der kommt aber in den Beschreibungen seltener vor, auch Mertz arbeitet diesen Typus nur an manchen Stellen heraus.

Dieser Defensiv-Bordi oder Autisten-Bordi mit dreiviertel Anteilen Autismus und nur ein Viertel Bordi paßt nicht so recht ins antisoziale Bordi-Muster.

@ Monoma: mir scheint dieses Verfolgungsgefühl viel zentraler. Es scheint sich geradezu vor die ganze Wahrnehmung zu setzen.

Es entsteht dann ein paranoider Dauermodus. Wie dieser gefüllt wird, ist eigentlich egal. Hauptsache, irgendein Inhalt.

Ich wüßte auch gar nicht, wie das Gegenteil, eine Art freundliches Gegenüber-Gefühl, angesichts einer von Anfang an feindlichen, kampfmäßigen Umgebung entstehen sollte.

pete (Gast) - 12. Apr, 00:45

ubue, du bist ein burner.

bc? ich dachte eher an eine andere geschichte ("der mit der ex-frau, wo das kind 100 m den namen ruft").
aber wurscht.

hardcore, bordi-soft oder auch light, halb, 3/4, um, offensiv, defensiv, ...

an der stelle sollten wir hier jetzt aufhören.
Ubue (Gast) - 12. Apr, 00:46

@ Pete: Hardcore-Bordi Schlüssel-Schloß

@ Pete: habe eben noch Deinen Beitrag oben an Monoma gelesen.

Bei mir sehe ich es so: heftige Borderline-Herkunftsfamilie in der Eltern- und Großeltern-Generation. (ich werde ja bei der ganzen Kriegsgreuel-Generation nicht der einzige Betroffene sein, es mag Millionen solche Fälle geben)

eigene Mutter: eher soft-bordi - deren Vater (also mein Großvater): absoluter hardcore-Bordi.

meine eigene Erfahrung: die Muster haben sich auf mich teils übertragen, aber eher in der softbordi-Weise.

Folge: Beziehungserfahrungen mit Borderline-Frauen (eher der hardcore-Typus).

Das funktioniert doch wie Schlüssel und Schloß, warum sollte man sonst solche Muster mehrfach erleben.

Weitere Folge: Interesse, das verdammte Borderline-Muster aufzuarbeiten und besser zu erkennen. Motiv: Selbstschutz und Verhütung der immergleichen Re-Inszenierung.

Wenn Du Dir mal Beziehungen von Bordis mit ihren Partnern genau ansiehst, wirst Du wahrscheinlich auch feststellen, daß hier häufig ein hardcore-Bordi mit einem Soft-Bordi zusammen ist bzw. zusammen gerät.

Der Soft-Bordi ist dann mehr das Opfer. Manchmal sind das ziemlich autistische Typen. Der Hardcore-Bordi kann so jemanden hemmungsloser und vollkommener aussaugen und ausnehmen.

Ganz selten scheint mir der Fall, daß ein Hardcoe-Borderliner sich einen völlig intakten und gesunden Menschen aussucht. warum sollte er das tun? Das Risiko wäre viel zu hoch, daß er nach kürzester Zeit auffliegt.

Die schleichenden Verläufe bekommt der hardcore-Bordi am besten mit einem soft-Bordi hin, der wie der Schlüssel zum Schloß paßt.

Der soft-Bordi ist dann gewissermaßen der Co-Bordi im System, mit beträchtlichen eigenen Borderline-Symptomen, aber mehr die blande Opferform. (passiver Erdulder, Retterphantasien, opferbereit bis zur eigenen Vernichtung).

Nur so ergeben sich dermaßen zähe und ausdauernde Beziehungen für einen Hardcore-Bordi, gesunde Menschen fliehen doch hier schon von weitem.

Wenn der soft-Bordi aber das Borderline-Muster schon in der eigenen family erdulden mußte, fliegt er natürlich auch auf den sadistischen Hardcore-Bordi viel stärker. Dieser verströmt dann das bekannte Alles- oder Nichts-Feeling und wertet den soft-bordi genau darin auf, was er schon die ganze Kindheit erdulden mußte, nämlich sich um den übergeordneten Eltern-Bordi zu kümmern.

So gesehen sind die meisten Theras und Psychos wahrscheinlich soft-Bordis, oder vielleicht auch hardcore-Bordis, weil sie so wieder sehr gute Möglichkeiten zum Abhängigmachen, Aussaugen und Abstoßen haben. Aber das habe ich noch nicht alles so durchdacht, ich habe auch diese Gedanken mit hardcoe-Bordi und soft-Bordi heute erstmals geschrieben, früher in der BC aber intuitiv sowas auch schon mal ohne Begriff überlegt.

Quetzalcoatl (Gast) - 9. Jan, 21:22

Schlüssel-Schloss

Also das mit dem Hardcore-Bordi und Softcore-Borde finde ich interessant...

...erinnert mich an folgendes (Rubrik: Beziehung)...

http://www.borderlinezone.org/indexa.html
Ubue (Gast) - 13. Apr, 16:30

Verbindungsmechanismen

@ Monoma: 51 Kommentare schon hier, ziemlicher Wust ;-)
Was mir zur Zeit auffällt, ist die Frage nach den Verbindungsmechanismen zwischen "Als-Ob"-Welt (z.B. Borderline) und "intakter, gesunder Welt".

Ich weiß nicht, ob diese Schlüssel-Schloß-Mechanismen nicht vielen Autoren bisher entgangen sind, es ist sicher schade.

Pete hat übrigens absolut recht, wenn er vom "Burner Ubue" schreibt (falls ich den Begriff jetzt nicht unzutreffend auffasse), mich interessieren diese Borderline-Verhältnisse jetzt schon seit Jahren, und ich habe auch etliches dazu in der alten BC (Borderline-Community) und anderswo geschrieben. Leider gibt es dieses alte Forum nicht mehr, auch ein anderes, in dem ich anfangs besonders viele Gedanken dazu entwickelt habe, ist schon seit langem weg (zur Lebensdauer und Entwicklung von Foren könnte man sich auch mal Gedanken machen - meistens liegt es ja einfach am Forenbetreiber, dem die Verwaltung zu viel wird oder der andere Pläne hat).

Insofern hat Pete also recht, Totalburner Ubue ;-)
Was soll man machen, wenn einen diese Themen so interessieren. Zu den Schaltstellen zwischen Als-Ob-Welt und intakter Welt hat Mertz eigentlich nur Andeutungen gemacht. Irgendwie scheint ja auch in der von Mertz als gesund bezeichneten Welt ein unglaubliches Verlangen nach Fiktionen und nach fettem Als-Ob zu bestehen.

Anders hätten doch Stars und Sternchen wie die Monroe, Romy Schneider, Lady Di usw. niemals diese Breitenwirkung erreichen könnenallgemeine Träume und Erwartungen einer Zeit, wie Mertz es wohl sagen würde).

Bei manchen Polit-Figuren scheint es ähnlich zu sein, auch bei der aus heutiger Sicht so schwer begreifbaren geradezu hypnotischen Massenwirkung von Hitler (mit seiner rhetorischen Figur: "ein geschichtliches Wunder, daß wir uns gefunden haben, ihr das Volk, und ich, der Führer").

Diese Projektionsfläche scheinen Als-Ob-Menschen ganz besonders zu bieten, in der Terminologie von Mertz als "begnadete Erfüllungsgehilfen".

Außerdem denke ich, daß sich ein Borderliner seine Beziehungspartner nicht rein zufällig aussucht. Am geeignetsten als Partner wären sicher immer etwas kontaktgestörte bzw. kontaktschwache Leute, die der Borderliner dann besser um den Finger wickeln und sozusagen überrennen kann und bei denen er sich sicherer fühlt. Die Schlüssel-Schloß-Paarung zündet doch in diesem Fall nur, wenn auf der Partner-Seite eine gewisse Co-Veranlagung da ist.

In noch allgemeinerem Sinne frage ich mich, inwiefern auch die sich ausbreitende "Als-Ob-Welt" eigentlich die Steigbügel von der im Mertzschen Sinne "kontaktgesunden" Welt gehalten bekommt. Mit anderen Worten: dehnt sich die Als-Ob-Welt ganz autonom aus? Oder gibt es hier auch Verbindungsmechanismen zur authentischen Welt?

Ich tendiere zu Letzterem. Der Widerstand gegen Als-Ob-Mechanismen scheint mir insgesamt gesellschaftlich so lächerlich klein, daß es hier irgendwelche Verbindungsmechanismen einfach geben muß. Sonst könnten Globalisierungserscheinungen nicht in die verschiedensten Kulturen dermaßen reinexplodieren, wie es derzeit geschieht.

Die Freude daran, Instiutionen zu schleifen und Verbindliches aufzulösen, durchzieht eigentlich das ganze letzte Jahrhundert und hält immer noch unvermindert an. Dieser Impuls geht ja nicht nur von einer Speerspitze einer "Als-Ob-Welt" aus, sondern sitzt doch gesamtgesellschaftlich auf einem sehr breiten Fundament. Man merkt es eigentlich auch an dem üblichen Kundenverhalten, das ja letztlich zur heutigen kapitalistischen Marktordnung immer mit am meisten beiträgt.

Das bezieht sich genauso auf das Konsumentenverhalten bei Fernsehen oder anderen Medien, wo nur eine kleine Minderheit substanzhaltige und anspruchsvolle Inhalte bevorzugt.

Sogesehen ist die Entgegensetzung von Als-Ob-Welt und "gesunder" Welt wahrscheinlich eine grobe Vereinfachung. Ebenso wie es eine Vereinfachung ist, den "bösen" Borderliner von der intakten Welt der übrigen Menschen abzugrenzen. Viel plausibler kommt es mir vor (so wie Du es auch in dem Blog an mehreren Stellen erwogen hast), hier auf unterdrückte, traumatische Stellen in der Kriegsgeneration des letzten Jahrhunderts (insbesondere 2. Weltkrieg) zu sehen.

In meiner Biographie ergibt das auch am ehesten einen Sinn, ich habe es ja oben angedeutet.

Wenn man über Borderline und Als-Ob-Welten nachdenkt, würde es sich sicher auch lohnen, weiter über amerikanische bzw. amerikanisierte Lebensverhältnisse nachzudenken. Diese scheinen eine unglaublich reichhaltige Nahrung für Borderline- und andere Als-Ob-Prozesse zu bieten. Du hast ja dazu auch schon manche Gedanken gehabt.

Besten Gruß! Ubue

nt (Gast) - 9. Apr, 19:36

Die Diagnosen sind wahrscheinlich oft falsch, mal abgesehen davon daß BL sich vor allem im privatesten Kontakt äußert und nicht zwangsläufig in der Außenwelt.

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